Cover

Das Glück kommt auf leisen Sohlen

-1-

 

Mit scheinbarem Interesse lasse ich das Geschwafel meines Gegenübers über mich ergehen, verdrehe jedoch innerlich die Augen und zupfe angestrengt an der Weihnachtsdekoration auf dem Tisch vor mir herum, um mich daran zu hindern aufzuspringen und laut schreiend aus dem Gebäude zu rennen. Ich habe schon vor gut einer Stunde meine Ohren auf Durchzug gestellt. Diese furchtbare Selbstbeweihräucherung würde nämlich ein gesunder Mensch – als den ich mich durchaus bezeichne – nur schwerlich überstehen, ohne einen dauerhaften Dachschaden davonzutragen.

 

Der heutige Abend hat sich wahrlich als absoluter Reinfall entpuppt. Wäre ich zu Hause geblieben und hätte einer Spinne beim Bau ihres Netzes zugesehen, läge der Spaßfaktor sicherlich um ein Vielfaches höher - und das, obwohl ich Spinnen abgrundtief hasse. Ich erwähne das auch nur, damit ihr in etwa eine Vorstellung davon habt, wie unterhaltsam dieser Mensch ist, der sich – aus, zumindest für mich, nicht nachvollziehbaren Gründen – für eine Art Übermensch zu halten scheint. Müßig zu erwähnen, dass ich diese Ansicht nicht im Geringsten teile, oder?

 

Dabei sieht der Kerl noch nicht einmal schlecht aus, eigentlich passt er haargenau in mein Beuteschema: groß, dunkelhaarig, breitschulterig. Optisch ein absoluter Traum. Aber dieses Exemplar hier, das mir gerade mit glühenden Augen erzählt, was für ein toller Hecht er sei, hat seine Attraktivität in dem Moment verloren, als er den Mund aufmachte. Es ist unglaublich, wie viel verbalen Müll ein einzelner Mensch in nicht einmal zwei Stunden produzieren kann, ohne daran zu ersticken.

 

„... leider wurde ich bisher übergangen, dabei weise ich eine wesentlich höhere Qualifikation auf, als derjenige, der diese leitende Position letztendlich bekommen hat.“ Er schnauft verächtlich, um nach einer effektvollen Pause verschwörerisch zu ergänzen: „Aber gegen den Neffen des Chefs hat man auch als fähigster Bewerber keine wirklich faire Chance!“

 

Oh Gott, ist mir schlecht, so geht das schon seit dem Zeitpunkt, als wir uns auf dem Weihnachtsmarkt getroffen haben. Selbst wenn ich das Bedürfnis hätte, überhaupt etwas über mich erzählen zu wollen, hätte ich noch nicht einmal die geringste Chance auch nur ein Wort von mir zu geben. Die Aussicht darauf, einen ganzen Satz artikulieren zu können, ist geradezu utopisch. Oh Himmel, holt der denn auch irgendwann einmal Luft? Ich halte das keine Minute mehr aus.

 

Unter dem Vorwand nach meiner kranken Mutter sehen zu müssen – meine werte Frau Mutter erfreut sich übrigens bester Gesundheit – verabschiede ich mich rasch. Gleichzeitig lege ich einen 5-Euro-Schein auf den Tisch – mehr dürfte der Kaffee, den ich getrunken habe kaum gekostet haben - und verlasse, eine Entschuldigung murmelnd, eiligen Schrittes das Bistro. Wir hatten es irgendwann aufgesucht, als es draußen zu regnen begann. Fast schon entsetzt blickt mir mein Date hinterher, und obwohl es sonst eigentlich nicht meine Art ist, ist es mir in diesem Augenblick scheißegal, was dieser Kerl von mir denken könnte. Wiedersehen werde ich ihn garantiert nicht wieder – zumindest nicht freiwillig.

 

Ich weiß wirklich nicht, welcher Teufel mich geritten hat, es mit einer Kontaktanzeige zu versuchen. Das war so ziemlich die dämlichste Idee, die ich jemals in meinem Leben hatte und ihr dürft mir glauben, ich hatte schon etliche. Ich kann mir diese hoffentlich nur vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit nur damit erklären, dass wir mit großen Schritten auf Weihnachten zugehen und mich erneut diese brennende Sehnsucht nach trauter Zweisamkeit gepackt hat, wie schon im Jahr zuvor. Vielleicht hat es aber auch etwas mit meinem Alter zu tun, dass ich mir etwas Beständiges wünsche, denn seit Anfang des Jahres habe ich die Zwanziger endgültig hinter mir gelassen. Möglicherweise ist es aber auch eine Mischung aus beidem.

 

Dabei hätte ich es doch eigentlich gar nicht nötig, mir auf diese Weise einen Typen zu angeln. Schlagt mich nicht gleich, wenn sich das jetzt vielleicht etwas eingebildet anhören mag – aber so schlecht sehe ich eigentlich gar nicht aus. Ich bin blond – und damit meine ich nicht dieses schmutzige Blond, das man häufig sieht, sondern wirklich dieses nordische hellblond. Einen recht auffälligen Kontrast dazu bilden meine Augen, denn die sind nicht blau oder grau, wie man es vielleicht bei einem solchen Schimmel wie mir erwarten würde, sondern tiefdunkelbraun. Auch meine Haut mag nicht so recht zu meiner Haarfarbe passen, ich bin nicht gerade blass, noch nicht einmal im Winter. Wenn ihr euch jetzt einen kalifornischen Beachboy vorstellt, kommt ihr meiner Erscheinung tatsächlich recht nahe. Etwas kleiner vielleicht und weniger muskulös.

 

Und genau das ist wahrscheinlich auch mein eigentliches Problem. Für die meisten Kerle bin ich einfach nur der schnuckelige Sunnyboy, den sie mal eben vögeln wollen, für mehr scheint es bisher nie gereicht zu haben. Um ehrlich zu sein, gab es aber auch noch keinen geeigneten Kandidaten, denn ich will das volle Programm - Beziehung, ein gemeinsames Dach über dem Kopf und wer weiß, wenn tatsächlich der Richtige einmal vor mir stünde, vielleicht sogar eine Heirat - pardon - Verpartnerung. Bevor ihr mich jetzt gleich als Spießer abstempelt: Wie jeder andere möchte natürlich auch ich meinen Spaß haben, aber Herrgott, ich bin 30, es ist ja nicht so, als ob ich bislang keine Gelegenheit gehabt hätte, mich auszutoben – denn das habe ich zur Genüge - und auf vieles, das ich in den vergangenen 15 Jahren so getrieben habe, bin ich nicht wirklich stolz.

 

Ungehalten über diese jüngste Zeitverschwendung pfeffere ich meinen Schlüssel auf das Schlüsselbord neben der Tür und streife die Schuhe von den Füßen. Seufzend lasse ich den Blick über das Innere des Hauses gleiten, das mir nicht zum ersten Mal kalt, unpersönlich und vor allem einsam vorkommt. Erst ein vertrautes Maunzen hinter mir holt mich aus dieser zutiefst unerwünschten deprimierenden Stimmung. Lächelnd beuge ich mich hinunter und strecke eine Hand aus. Sofort streckt sich mir ein schwarz-weißes Köpfchen entgegen und beginnt wie auf Knopfdruck zu schnurren.

 

„Hey Baby“, sage ich leise, „wenigstens du bist hier.“ Ich kraule das weiche Fell hinter den Ohren und einen Augenblick später wirft sich Socke vor mir auf den Fußboden und streckt mir ihren Bauch entgegen. Lachend gehe ich in die Hocke und komme dieser unmissverständlichen Aufforderung eilens nach, um nicht zu riskieren, die ein oder andere Kralle irgendwo stecken zu haben. Im günstigsten Fall nur im Hosenbein.

 

Zwei Jahre habe ich dieses Fellmonster nun schon. Eines Tages kam meine Schwester mit einem flauschigen Bündel daher und hat es mir kurzerhand in die Arme gelegt. Überflüssig zu erwähnen, dass dieses winzige Lebewesen von der ersten Sekunde an mein Herz erobert hat, oder?

 

„Wenigstens ein weibliches Wesen hier im Haus“, hatte sie damals mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht gesagt.

 

Irgendwann hat Socke wohl genug von meinen Streicheleinheiten und begibt sich behäbig in die obere Etage. Ich folge ihr ins Schlafzimmer, um mich von meinem schwarzen Rolli zu trennen und mir ein T-Shirt überzuziehen. Im Türrahmen halte ich jedoch erstaunt inne. Offensichtlich hat sich mein kleines Mädchen einen Gast mit nach Hause gebracht, denn auf der Bettdecke hat es sich ein riesiger Stubentiger bequem gemacht und blinzelt mich aus verschlafenen Augen an. Unbeeindruckt von meinem plötzlichen Auftauchen, reißt er seine Schnauze weit auf, gähnt einmal lange und ausgiebig und legt seinen Kopf schließlich wieder zurück auf die Pfoten.

 

„Ja aber hallo“, sage ich leise, „wer bist du denn?“

 

Langsam nähere ich mich dem fremden Tier und streiche sanft durch das pechschwarze Fell. Zutraulich räkelt es sich unter meinen Berührungen und stößt ein genüssliches Grunzen aus. Der Kater – bei der Größe kann es sich eigentlich nur um ein männliches Tier handeln – lässt es sogar zu, dass ich in seine Ohren blicke. Er ist tätowiert – der Halter sollte demnach nicht schwer ausfindig zu machen sein.

 

Die Nacht verbringt er bei uns, das heißt eigentlich ja bei Socke. Eng aneinander gekuschelt liegen sie einträchtig beieinander, als ob sie sich schon Jahre kennen würden. Ich bin es zwar gewohnt, dass sich hin und wieder fremde Katzen zu uns verirren, aber das hier habe ich bisher noch nicht erlebt. In der Regel werden derartige Eindringlinge mit Schimpf und Schande nicht nur des Hauses, sondern gleich des ganzen Grundstücks verwiesen. Es sei denn Socke ist ausgesprochen gut gelaunt und erduldet huldvoll die Gesellschaft eines Artgenossen, was heute der Fall zu sein scheint.

 

Am nächsten Morgen ist der Besitzer von Carlos – den Namen hat mir der Tierarzt verraten - ermittelt und ich halte einen Zettel mit Namen und Telefonnummer des Halters in der rechten, während ich mit der linken Hand die Nummer in mein Handy tippe.

 

„Löffler“, meldet sich eine sonore Stimme am anderen Ende.

 

„Guten Morgen, mein Name ist Maximilian Keller. Entschuldigen Sie, dass ich sie so einfach überfalle, ich habe ihre Telefonnummer vom Tierarzt bekommen. Vermissen Sie einen schwarzen Kater?“, erkläre ich mich freundlich.

 

„Carlos ist bei Ihnen?“, fragt mein Gesprächspartner erfreut.

 

„Wenn sich der Doc mit der Nummer im Ohr nicht vertan hat, ja“, betätige ich.

 

„Katrin“, höre ich ihn aufgeregt rufen: „Dein Kater ist aufgetaucht!“

 

Im Hintergrund vernehme ich aufgeregtes Stimmenwirrwarr und in der nächsten Sekunde meldet sich eine junge weibliche Stimme.

 

„Sie haben meinen Kater?“, erklingt es atemlos.

 

„Ja, er ist bei mir. Er scheint sich mit meiner Socke angefreundet zu haben“, lache ich.

 

„Mit ... äh ... Ihrer Socke?“

 

Erst jetzt bemerke ich, wie seltsam sich das angehört haben muss. Sie kann schließlich nicht wissen, dass es sich bei Socke um meine Katze handelt.

 

„Socke ist meine Katze“, erkläre ich deshalb schnell.

 

„Ihre Katze heißt Socke? Komischer Name für ein Tier“, kichert sie.

 

„Wenn du – ich darf doch noch du sagen, oder?“

 

„Klar, ich bin 13“, antwortet sie.

 

„Wenn du Socke siehst, dann weißt du, warum sie so heißt. Sie hat ein Kuhmuster, die Schenkel sind weiß, aber die Beinchen pechschwarz, als ob sie ...“, weiter komme ich nicht.

 

„... schwarze Socken an hat!“, beendet sie übermütig den Satz für mich.

 

„Ja, genau“, erwidere ich lachend.

 

„Dürfen wir gleich vorbei kommen? Papa, wir können doch gleich los, oder?“, bittet sie aufgeregt.

 

„Gerne, ich bin den ganzen Vormittag da“, beantworte ich den ersten Teil der Frage.

 

Wieder höre ich ein kurzes Gemurmel, dann erklingt erneut Katrins Stimme: „Wir fahren gleich los. Geben Sie mir bitte Ihre Adresse? Und die Telefonnummer am besten auch gleich“, fordert sie gutgelaunt von mir.

 

Es dauert tatsächlich keine 10 Minuten und ich sehe einen silbernen Toyota älteren Baujahrs in meine Hofeinfahrt rollen.

 

Ein Teenager mit langen dunklen Haaren hüpft, kaum dass der Wagen zum Stillstand gekommen ist, aus dem Auto, gefolgt von einem ebenso dunkelhaarigen großen Mann. Ich beobachte, wie das Mädchen aufgeregt auf die Haustür zurennen möchte, jedoch von ihrem Vater nochmals zurückgerufen wird. Sie lacht kurz auf, greift auf den Rücksitz und zieht einen Katzentransportkorb heraus.

 

Lächelnd überbrücke ich mit wenigen Schritten die Distanz zur Haustür, öffne sie und sehe mich neben einer hübschen Jugendlichen auch einem ... Traum von Mann gegenüber.

 

Ich starre, ich weiß, dass ich es tue, aber ich kann einfach nicht anders. Jedes kleinste Detail sauge ich in mich auf, wie ein Schwamm. Angefangen von dem dichten, fast schwarzen Haar, das an den Schläfen bereits vereinzelt graue Fäden aufweist, über die kleinen Fältchen um seine tiefblauen Augen, die von häufigem Lachen zeugen. Die gerade und etwas zu groß geratene Nase gibt ihm fast schon ein aristokratisches Aussehen. Mir entgeht jedoch auch nicht der etwas härtere Zug um seine Mundwinkel, als ob sein bisheriges Leben nicht gerade zimperlich mit ihm umgesprungen wäre. Ich muss meinen Kopf ziemlich in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht blicken zu können, er ist annähernd einen Kopf größer als ich. Seine Figur ist unter der dicken Winterjacke zwar nicht zu erkennen, aber ich bin davon überzeugt, dass sich unter all diesen Stoffschichten ein atemberaubender Körper verbirgt.

 

„Hallo, ich bin Christian Löffler, wir haben telefoniert. Das heißt, eigentlich haben Sie die meiste Zeit wohl eher mit meiner Tochter Katrin gesprochen“, beginnt er freundlich, streckt die Hand aus und holt mich so aus meiner Schwärmerei.

 

Mechanisch ergreife ich seine dargebotene Hand. Warm und angenehm umschließt sie fast vollständig meine Finger. Ich schaffe es einfach nicht, meinen Blick von ihm abzuwenden, ebenso wenig bringe ich es fertig, meine Hand zurückzuziehen, die so wundervoll in die seine passt.

 

Viel zu schnell ist dieser Augenblick vorbei und Katrin meldet sich zu Wort.

 

„Hallo Herr Keller, ich bin Katrin.“ Auch sie streckt mir artig ihre Hand entgegen und ich bin hin- und hergerissen zwischen Bedauern und Erleichterung. Ich bedauere, die Hand ihres Vaters loslassen zu müssen, bin jedoch erleichtert es geschafft zu haben, bevor es peinlich für mich werden konnte.

 

„Sag einfach Max, so nennt mich eh jeder“, lächle ich sie an.

 

„Zu Pa sagen alle Chris“, kommt es aufgeweckt von Katrin und ich registriere einen warnenden Blick, der von Vater zu Tochter wandert.

 

Ich wende mich wieder Katrin zu: „Na junge Dame, du möchtest doch bestimmt gleich zu deinem Kater, habe ich recht?“

 

Sie nickt eifrig und ich trete schnell beiseite, um die beiden ins Haus zu lassen.

 

„Ich habe ihn gestern Abend entdeckt, als ich nach Hause gekommen bin. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich ihn in meinem Bett vorgefunden habe“, erzähle ich.

 

„Ich hoffe, er hat nichts schmutzig oder kaputt gemacht?“, fragt Chris sogleich besorgt.

 

Ich winke beruhigend ab. „Ich bin es gewohnt, dass sich hin und wieder fremde Katzen im Haus tummeln, seit ich vor etwa eineinhalb Jahren die Katzenklappe habe einsetzen lassen. Allerdings hatte ich bisher noch nie ein solch zutrauliches Exemplar zu Besuch ... oder eines, das es geschafft hat länger als fünf Minuten im Haus zu bleiben, bevor es von Socke zum Teufel gejagt wird“, erkläre ich grinsend mit einem kurzen Blick auf Katrins Vater.

 

Katrin beginnt zu kichern, auch Chris Mundwinkel zucken amüsiert nach oben. „Haben sie außer Socke noch weitere Haustiere?“, fragt sie neugierig nach.

 

„Nein, und ich hätte vermutlich nicht einmal dieses, wenn meine Schwester nicht vor einigen Jahren der Meinung gewesen wäre, dass ich nicht alleine hier wohnen sollte“, erkläre ich.

 

„Oh, sie wohnen ganz alleine hier?“, bohrt Katrin weiter.

 

„Ja, seit ein paar Jahren“, antworte ich amüsiert. Die Kleine gefällt mir.

 

„Wow, dann verdienen sie bestimmt ne Menge Kohle.“ Bewundernd lässt sie ihre Blicke über das Innere schweifen. Den abermals warnenden Blick ihres Vaters übersieht sie geflissentlich.

 

„Ich komme zurecht“, erwidere ich mit einem verschmitzten Lächeln.

 

Dem werten Herrn Papa ist deutlich anzusehen, dass die Wissensgier seiner Tochter ihm zusehends unangenehmer wird. „Schatz, du kannst doch nicht einfach fremde Menschen so ungeniert ausfragen“, presst er schließlich hervor.

 

Erneut winke ich lachend ab: „Das macht mir überhaupt nichts. Machen Sie sich keine Gedanken ... Chris.“ Ich konnte einfach nicht widerstehen, ihn bei seinem Vornamen zu nennen. Ich wage einen kurzen Blick und erkenne gerade noch ein undefinierbares Funkeln in seinen Augen.

 

„Siehst du Papa“, bemerkt Katrin triumphierend in seine Richtung. „Haben Sie denn keine Frau oder Freundin?“, setzt sie ihr Verhör fort.

 

„Nein, im Moment nicht“, antworte ich brav und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

 

„Süße, möchtest du nicht langsam einmal deinen Kater sehen? Max ...“, Chris sieht vorsichtig in meine Richtung, „... hat sicher nicht den ganzen Tag Zeit“, unternimmt er einen weiteren Versuch seine Tochter auszubremsen.

 

Beim Klang meines Namens aus seinem Mund beschleunigt sich unwillkürlich mein Herzschlag.

 

Katrin springt tatsächlich darauf an: „Wo steckt er denn?“

 

„Die beiden haben es sich in meinem Schlafzimmer bequem gemacht, ich habe ihn einfach dort liegen lassen“, erkläre ich und bereue in der gleichen Sekunde, dass ich das Tier nicht mit nach unten genommen habe. Bei der Vorstellung von Chris in meinem Schlafzimmer ... oh Gott, wie hätte ich denn ahnen können, was da in mein Haus geschneit kommt? Dabei ist dieser Kerl ja wohl das Sinnbild eines Heteros. Er ist Familienvater, mehr Beweise bedarf es nun wirklich nicht.

 

Ich führe Vater und Tochter die geschwungene Holztreppe hinauf in das riesige Studiozimmer mit breiter Fensterfront und Balkon, von dem aus man einen atemberaubenden Blick hinunter ins Tal hat. Ich liebe dieses Zimmer, aus diesem Grund halte ich mich hier auch die meiste Zeit auf, wenn ich zuhause bin. Links steht ein wuchtiger Schreibtisch, darauf ein PC und allerlei Schriftkram. Rechts davon, genau am Fenster, mein Zeichenbrett. Dahinter an der Wand ein Aktenschrank, daneben ein offenes Regal mit Büchern, Fachzeitschriften und dergleichen. Auf der rechten Seite des Zimmers befindet sich mein Schlafbereich. Direkt neben der Tür an der Wand steht ein Sideboard mit einem Flatscreen obendrauf. Rechts davon führt ein schmaler Durchgang in einen Wandschrank und direkt vor dem Fenster mein ganzer Stolz: ein riesiges, aber auch sündhaft teures Wasserbett. Darauf thronen - anders kann man es einfach nicht nennen – Carlos und Socke.

 

„Carlos“, quiekt Katrin, kaum dass sie ihren Kater erblickt hat, und stürzt sich auf ihn. Dieser hebt kurz den Kopf, blinzelt einmal gelangweilt, steht auf, streckt sich lange und ausgiebig, gähnt genüsslich und rollt sich schließlich wieder an Ort und Stelle zusammen, um weiterzuschlafen.

 

Katrin kichert und krault Carlos hinter den Ohren und sogleich beginnt er zu schnurren. „Hier gefällt es dir, was?“, spricht sie liebevoll zu dem Tier. Dann in meine Richtung: „Und das hier ist also Socke. Darf ich?“

 

Ich nicke kurz. „Klar.“

 

Sie setzt sich auf die Bettkante und vergräbt eine Hand im Fell meiner Katze. Auch sie wirft augenblicklich ihren Motor an und ihr Schnurren ist bis an die Tür zu hören.

 

„Schüchternheit kann man Ihrer Tochter nicht gerade vorwerfen“, schmunzle ich und mustere Chris von der Seite.

 

„Das stimmt wohl. Ich hoffe, sie hat Sie nicht allzu sehr überrumpelt mit ihrer Fragerei“, sagt er vorsichtig.

 

„Nein, wirklich nicht. Sie ist eine sehr aufgeweckte junge Dame. Ihre Frau und sie können stolz auf sie sein“, erwidere ich.

 

„Ich bin nicht verheiratet, zumindest nicht mehr“, antwortet er und ich meine einen bitteren Unterton erkennen zu können.

 

Ich sehe ihn fragend an.

 

„Geschieden“, antwortet er, „lange Geschichte“, ergänzt er noch und verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse.

 

Oh, da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen. Dennoch kann ich einfach nicht widerstehen. Ich hake nach: „Frische Wunde?“

 

„Nein, eigentlich nicht. Wir haben uns schon vor einigen Jahren getrennt“, antwortet er ausweichend. Diesmal belasse ich es dabei und frage nicht weiter nach, auch wenn es mich brennend interessieren würde, ob er wieder vergeben ist. Dabei ist das doch wirklich ziemlich egal. Was hat es mich zu interessieren, ob er frei oder gebunden ist. Um auch nur halbwegs attraktiv für ihn zu sein, habe ich eindeutig zu wenig Holz vor der Hütte, dafür jedoch zu viel Gebaumel zwischen den Beinen. Nun steht schon mal ein Prachtexemplar vor mir in meinem Schlafzimmer und spielt doch im völlig falschen Team. Ich möchte einfach nur heulen.

 

„Katrin, wir sollten langsam“, wendet sich Chris seiner Tochter zu.

 

Widerwillig lässt sie von Socke ab und greift nach dem Katzenkorb.

 

„Socke ist total süß“, schwärmt sie und greift nochmals durch das weiche Fell, bevor sie den Korb öffnet. „Ach, hier haben wir noch etwas für Sie, als kleines Dankeschön“, lächelt sie und hält mir eine durchsichtige, mit einem roten Bändchen zugeschnürte Tüte Plätzchen entgegen. „Die habe ich selbst gebacken“, erklärt sie stolz.

 

„Vielen Dank“, freue ich mich aufrichtig, „ich mag Plätzchen sehr!“

 

Nachdem sich Vater und Tochter verabschiedet haben, stelle ich mich ans Fenster und sehe ihnen verstohlen nach. Eine heftige Diskussion scheint zwischen den beiden entbrannt zu sein. Leider höre ich nichts, sehe nur, wie Katrin sich irgendwann wild gestikulierend auf den Beifahrersitz fallen lässt und das Auto wenige Sekunden später von meinem Hof rollt. Wehmütig stehe ich noch einige Minuten hinter dem Vorhang, bevor ich mich schließlich seufzend abwende.

-2-

 

Die folgenden Tage vergehen ohne nennenswerte Ereignisse, denn die beiden Blind Dates, die ich wider besseren Wissens noch gehabt habe, sind es schlicht und ergreifend nicht Wert, dass man näher darauf eingeht. Nur soviel sei gesagt: Beide Herren scheinen im Deutschunterricht entweder geschlafen zu haben, oder sie waren regelmäßig Kreide holen. Oder wie sonst ist es zu erklären, dass man sich angesprochen fühlt, wenn in einer Kontaktanzeige geschrieben steht, dass ein großer, starker Mann, an den man sich anlehnen kann, gesucht wird, obwohl man selbst ein abgebrochener Riese ist, der gerade mal 60 Kilo auf die Waage bringt, vor Kurzem dem Windelalter entwachsen ist und noch zu Hause bei Mama wohnt? Himmelhergottnochmal, ich formuliere doch so etwas nicht ohne Grund! Ich bin nun einmal nicht der dominante Typ, ich fühle mich in der passiveren Rolle einfach wohler. Nagut, wenn ich ganz ehrlich bin, war der Eine von beiden eigentlich ganz schnuckelig, unter anderen Umständen vielleicht ... aber er war ... er war ... ach scheiße auch, er war einfach nicht Chris.

 

Missmutig betrete ich das Foyer des Firmen-Gebäudes durch die riesige Glastür, schreite vorbei an einer gigantischen Tanne, die mit hunderten Lichtern und allerlei Weihnachtsschmuck behangen ist, und steuere auf die Fahrstühle zu, um in eines der oberen Stockwerke zu gelangen. Ich habe ehrlich gesagt nicht den geringsten Nerv auf diese Weihnachtsfeier. Es ist lediglich der Überzeugungskraft meines Auftraggebers zu verdanken, und der Tatsache, dass wir seit vielen Jahren befreundet sind, dass ich dennoch hier bin. Ich werde also meine Pflicht erfüllen, eine gewisse Zeit absitzen, eine Kleinigkeit essen, und mich bei der erstbesten Gelegenheit wieder aus dem Staub machen.

 

Noch bevor sich die Fahrstuhltüren öffnen, dringt mir bereits Melanie Thorntons „Wonderful Dreams“ ans Ohr. Wie erwartet, ist die Party bereits in vollem Gange, als ich den riesigen Saal erreiche. Auch hier wurde nicht mit Weihnachtsdekoration gegeizt. Überall sind Tannenzweige angebracht, die mit roten Schleifchen und kleinen goldenen Weihnachtskugeln geschmückt wurden. Eine ineinander verflochtene Lichterkette wurde wie ein Baldachin an die Decke gehängt, so dass der Eindruck eines Sternenhimmels entstanden ist. Um den Effekt zu verstärken, wurde das Licht, das den Saal für gewöhnlich in gleißendes Licht taucht, gedämmt. Zu meiner Rechten erstreckt sich ein mehrere Meter langes Buffet mit allerlei Köstlichkeiten. Der Saal ist übersät mit runden Tischen, die fast zur Gänze bereits besetzt sind. Auch dieses Jahr hat Ralph, mein Auftraggeber, es wieder einmal geschafft, eine durch und durch weihnachtliche Atmosphäre zu schaffen und ich lasse mich tatsächlich sogar ein bisschen davon anstecken.

 

Es ist nicht so, dass ich Weihnachten nicht mag, im Gegenteil. Und wenn mich nicht wieder diese Sehnsucht nach Zweisamkeit überkommen hätte, würde ich es sicherlich auch genießen. Natürlich bin ich nicht wirklich allein. Da gibt es immerhin noch meine Familie, die sich hinreißend um mich kümmert. Es geht mir auch eher um das Gefühl, zu jemandem zu gehören. Sofort taucht in meinem Kopf ein Gesicht mit schwarzen Haaren und blauen Augen auf. Energisch schüttle ich selbigen und verbanne Chris Bild in den hintersten Winkel meines Gehirns. Ich sollte endlich aufhören an ihn zu denken, es ist doch ohnehin zwecklos.

 

Ich stoße mich seufzend vom Türrahmen ab und betrete den Raum, bleibe hier und da stehen, um ein bekanntes Gesicht zu begrüßen und steuere schließlich auf das Buffet zu. Ich lasse meinen Blick über die exquisite Auswahl schweifen und belade meinen Teller mit den unterschiedlichsten Köstlichkeiten.

 

„Also mit Ihnen hätte ich heute Abend wirklich nicht gerechnet“, ertönt eine tiefe Stimme und ich weiß auch ohne mich umdrehen zu müssen, wer da hinter mir steht. Augenblicklich erhöht sich die Frequenz meines Herzschlages und ich drehe mich langsam um. Seit zwei Wochen geht mir dieser Mann nicht mehr aus dem Kopf und ich kann kaum glauben, dass er jetzt, und ausgerechnet hier, leibhaftig vor mir steht.

 

„Chris?“ Ich sehe ihn ungläubig an. „Was tun Sie denn hier?“, bringe ich ziemlich einfallslos über die Lippen.

 

„Ich arbeite hier?“, schlägt er amüsiert vor.

 

Ich versuche, meine Nervosität mit einem Lachen zu überspielen. „Ich habe Sie vorher noch nie hier gesehen. Arbeiten Sie schon länger für diese Firma?“, will ich wissen.

 

„Seit etwa einem halben Jahr“, erwidert er. „Und Sie?“

 

„Oh, ich stehe nicht auf Ralphs Gehaltsliste, zumindest nicht direkt“, antworte ich. „Ich bin einer der Consultant.“

 

„Möchten Sie ... ach lassen wir doch diese Förmlichkeit, ja?“, meint er lachend und wartet meine Antwort erst gar nicht ab. Ich habe aber ohnehin nichts dagegen, im Gegenteil.

 

„Möchtest du dich eine Weile zu mir an den Tisch setzen? Da lässt es sich wesentlich besser reden, als zwischen all den hungrigen Wölfen hier, wo man jede Sekunde damit rechnen muss, unfreiwillig mit Speisen beworfen zu werden.“ Er verzieht gespielt gequält das Gesicht, als er von einem unvorsichtigen Gast angerempelt wird und dessen Baguette-Brötchen gerade noch rechtzeitig vor der Erdanziehung retten kann. „Oh, oder bist du mit jemandem hier?“

 

„Nein, ich bin alleine da. Klar, warum nicht?“, erwidere ich freundlich. Für meinen Seelenfrieden wäre es zwar wesentlich gesünder, wenn ich die Einladung einfach ausschlagen würde, aber im Grunde will ich es doch gar nicht. Ich weiß durchaus, dass ich null Chancen bei ihm habe, aber das hindert mich nicht daran, wenigstens für eine Weile seine Nähe zu genießen.

„Seit wann arbeitest du schon für Herrn Gärtner?“, knüpft er an unser vorheriges Gespräch an, nachdem wir Platz genommen und er mich den anderen am Tisch - wohl Kollegen von ihm - vorgestellt hatte.

 

„Seit gut zwei Jahren“, entgegne ich zwischen zwei Bissen.

 

„Ich war überrascht, dich vorhin am Buffet stehen zu sehen“, meint er. „Aber angenehm überrascht“, ergänzt er augenzwinkernd und stellt damit merkwürdige Dinge mit meinem Magen an.

 

„Danke“, erwidere ich lächelnd und kann kaum verhindern, dass mir die Verlegenheitsröte ins Gesicht steigt. „Ich freue mich auch. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich je wieder zu Gesicht bekomme.“ Im selben Augenblick möchte ich mir auf die Zunge beißen. Wie hört sich das denn an?

 

Er gibt ein dunkles, kehliges und furchtbar sexy Lachen von sich, bevor er sagt: „Ja, das hätte ich auch nicht gedacht.“

 

Die nächste Stunde vergeht wie im Fluge. Er erzählt mir, dass er seit der Trennung von seiner Frau mit Katrin in einer Wohnung lebt und ich schildere von meiner Arbeit, wie ich Ralph kennengelernt habe und wie es kam, dass ich in einem Haus wohne, das doch eigentlich viel zu groß für einen alleine ist. Ich erfahre die näheren Umstände, wie Carlos ein Teil dieser Familie wurde und berichte im Gegenzug die Story mit meiner Schwester und Socke. Wir haben gerade voneinander erfahren, dass wir derzeit beide Single sind, als Ralph sich zu uns gesellt.

 

„Hallo ihr zwei, ich sehe, ihr kennt euch bereits?“ Neugierig blickt er von mir zu Chris und wieder zurück zu mir.

 

Ich fühle mich geradezu dazu genötigt, ihm die Geschichte unseres Kennenlernens zu erzählen.

 

Er lacht laut auf und meint: „Sieh an, sieh an, Socke hat sich also einen Kater zugelegt und ihn auch gleich mit ins Bett geschleppt? Da hat sie dir ja Einiges voraus. Wie lange ist es her, seit du nen Kerl im Bett hattest?“, kichert er und wackelt bedeutungsvoll mit seinen Augenbrauen. Ich schnappe kurz nach Luft und starre ihn mit hochrotem Kopf wütend an. Musste das denn sein? Ralph hat die Stimme zwar beim letzten Satz gesenkt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass zumindest Chris ihn gehört hat. Ich wage einen kurzen Blick in seine Richtung, doch seine blauen Augen wirken undurchdringlich.

 

Ohne sich auch nur im Mindesten von meinem aufgebrachten Blick beeindruckt zu zeigen, klopft Ralph freundschaftlich auf meine Schulter und erhebt sich mit den Worten: „Man sieht sich.“

 

Unbehaglich rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Schließlich räuspere ich mich und stammle: „Er ... er ist sehr direkt, war er schon immer.“

 

„Ja, das schätze ich aber an ihm. Er lässt keinen Raum für Spekulationen. Man weiß immer direkt, woran man ist“, erwidert er ruhig. Ich wage es nicht, ihn anzusehen und spiele nervös mit einer Serviette.

 

Einige Sekunden später sehe ich auf die Uhr und tue erstaunt: „Was, schon so spät!“ Ich weiß, ich bin ein erbärmlicher Feigling, aber ich kann einfach nicht länger in Chris Nähe bleiben. „Tja, dann gehe ich mal wieder. Ich habe gleich noch einen Termin.“ Geht’s vielleicht noch auffälliger? Mir steht doch das Wort 'Flucht' geradezu ins Gesicht geschrieben.

 

„Schade“, erwidert Chris mit stoischer Ruhe. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was hinter dieser Stirn vor sich geht. „Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, dich wiederzusehen“, ergänzt er und lächelt mir kurz zu.

 

„Ich mich auch“, bringe ich atemlos und etwas traurig hervor. „Bye“, sage ich noch, bevor ich dann auch tatsächlich eiligen Schrittes den Saal verlasse.

 

*

 

Verdammt, verdammt, verdammt. Ich könnte Ralph erwürgen! Warum hat er das nur getan? Natürlich nimmt er auch sonst kein Blatt vors Maul, aber das musste doch wirklich nicht sein, oder? Ich hatte zwar nicht vor, es Chris zu verheimlichen, irgendwann hätte ich es ihm sicherlich erzählt, aber doch nicht ausgerechnet auf dieser beknackten Weihnachtsfeier! Das war es dann wohl. Ich glaube kaum, dass ich ihn jemals wieder sehen werde, wenn es sich nicht zufällig im Betrieb ergeben sollte. Dabei habe ich doch überhaupt keine Ahnung, wie er überhaupt zu Schwulen steht. Ich versuche mir zwar einzureden, dass es ohnehin keine Rolle spielt und es mir egal sein könnte, aber es ist mir eben nicht egal – ich habe mich verknallt, und das nicht zu knapp.

 

Andererseits, dann weiß er es jetzt eben, na und? Entweder er kommt damit klar, oder eben nicht. Vielleicht wäre es sogar ganz gut, wenn er sich als homophobes Arschloch erweisen würde, somit hätte ich zumindest eine winzige Chance, ihn zu vergessen.

 

Aus genau diesen Gedanken, die mich seit zwei Tagen nicht mehr loslassen, schrecke ich hoch, als das Telefon läutet. Widerwillig greife ich nach dem Hörer und melde mich knapp. Mir ist heute einfach nicht nach Gesellschaft und je eher der unerwünschte Anrufer das begreift, um so besser.

 

„Max?“, erklingt eine bekannte Stimme etwas unsicher. Mein Hals fühlt sich plötzlich furchtbar trocken an. Mir bleibt sprichwörtlich die Spucke weg.

 

„Hallo Chris“, melde ich mich möglichst unbeteiligt, kann jedoch ein leichtes Zittern meiner Stimme nicht verhindern.

 

„Schade, dass du bei der Weihnachtsfeier so plötzlich ... aufgebrochen bist, ich hätte mich gerne noch mit dir unterhalten“, sagt er in seiner ruhigen Art.

 

Ich schlucke. „Ja.“ Mehr bringe ich nicht über die Lippen.

 

„Weißt du“, beginnt Chris, „ich hatte mir tatsächlich überlegt, ob ich Carlos als Vorwand nehmen sollte, um dich anzurufen. Aber das erschien mir dann doch etwas zu albern.“

 

Ich kann ihm nicht so recht folgen. Wieso braucht er einen Vorwand um mich anzurufen? „Was?“, frage ich deshalb nach.

 

„Ich würde dich gerne auf ein Bier einladen. Du hast ohnehin noch etwas gut bei mir“, erklärt er.

 

Er will sich mit mir treffen? Mein Herz macht einen freudigen Satz und ich kann nicht verhindern, dass mein Kopfkino emsig damit beginnt, die unterschiedlichsten Szenarien zu produzieren. Selbst, als ich mir einzureden versuche, dass diese Einladung sicher nichts zu bedeuten hat, verschwindet das glückliche Grinsen nicht aus meinem Gesicht.

 

„Wann und wo?“, frage ich und versuche meiner Stimme einen festen Klang zu geben.

 

„Drüben im Nachbarort ist doch dieser kleine Pub, kennst du den?“

 

„Ich war da zwar noch nie, aber ja, ich weiß welchen du meinst.“

 

„Hättest Du heute gegen 20 Uhr Zeit?“

 

„Heute?“, frage ich überrascht und sehe unwillkürlich auf meine Armbanduhr. Heute ist zwar wieder eines dieser unsäglichen Dates, aber es steht ja wohl außer Frage, wem ich den Vorzug gebe. Dieser ganze Kontaktmist führt eh zu nichts.

 

„Natürlich nur, wenn du nicht schon etwas vorhast, ich wollte ...“, meint er schnell.

 

„Nein, nein“, unterbreche ich ihn, „heute passt prima. 20 Uhr also?“

 

„Ich freue mich. Dann bis nachher“, erwidert er.

 

„Bis nachher“, bringe ich noch über die Lippen, bevor ich mich selig grinsend in den nächsten Sessel fallen lasse.

 

*

 

Mit klopfendem Herzen betrete ich wenige Stunden später den Pub und lasse meinen Blick über die zum größten Teil leeren Tische gleiten. Nur vereinzelt haben sich einige Gäste eingefunden und die meisten davon sitzen an einem großen Tisch, nahe des Eingangs. Es scheint so eine Art Stammtisch zu sein.

 

„Max“, ertönt eine Stimme von links und ich wende den Kopf. Er hat es sich bereits in einer kleinen Nische gemütlich gemacht und winkt mich erfreut zu sich.

 

„Hallo“, sage ich, als ich den Tisch erreicht und mich auf dem Stuhl ihm gegenüber niedergelassen habe.

 

„Schön, dass du es einrichten konntest“, meint er.

 

Ich winke ab: „Es lag ohnehin nichts Wichtiges an“, erwidere ich. Hey, das ist noch nicht einmal gelogen, also seht mich nicht so an!

 

Er mustert mich einige Momente mit diesem undurchdringlichen Blick, den ich bereits an ihm kenne. Zu gerne würde ich wissen, was sich in diesem Moment dahinter verbirgt.

 

„Ich fand es ziemlich schade, dass du bei der Weihnachtsfeier so Hals über Kopf geflohen bist“, erklärt er irgendwann.

 

„Ich ... es tut mir leid“, entgegne ich leise und kann nicht sagen, worüber ich entsetzter bin. Darüber, dass es ihm nicht verborgen geblieben ist, oder die Tatsache, dass er es so unverblümt anspricht.

 

„Was hattest du denn von mir erwartet? Dass ich dich mit Schimpf und Schande davon jagen würde?“

 

Ich bin erstaunt, aber auch angenehm überrascht über diese Offenheit und sehe ihm unverwandt in die Augen. „Ich weiß nicht“, gebe ich zu. „Ich ... manche Menschen reagieren nicht gerade positiv darauf, wenn sie erfahren, dass ich mit Frauen nicht allzu viel anfangen kann.“

 

„Nun, ich gehöre nicht dazu“, erklärt er fast schon ein wenig beleidigt.

 

Ich räuspere mich: „Das freut mich zu hören, denn ... ich hatte eigentlich den Eindruck, als ob wir uns gut verstanden hätten.“ Etwas verlegen wende ich mich von seinen wundervollen blauen Augen ab und wische einen imaginären Krümel vom Tisch.

 

„Das Gefühl hatte ich auch“, erwidert er und ich fühle seinen Blick auf mir.

 

Er öffnet seinen Mund, schließt ihn jedoch einige Augenblicke später wieder. Dann lacht er verlegen auf und fährt sich mit beiden Händen einmal kurz über sein Gesicht. Dann sprudelt es geradezu aus ihm heraus. Er erzählt mir von seiner Ehe und dass es ein großer Fehler gewesen wäre, je eine Frau geheiratet zu haben und dass der einzige Grund, warum er es dennoch nicht gänzlich bereuen würde, Katrin wäre. Er berichtet davon, dass es letztendlich zu einem recht schmutzigen Scheidung- und Sorgerechtskrieg gekommen wäre, der die Nerven aller bis zum Äußersten strapaziert habe. Letztendlich war Katrins Wunsch bei ihrem Vater bleiben zu dürfen ausschlaggebend für den Ausgang des Sorgerechtsstreits, obwohl sie zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal 12 Jahre alt war. Er gesteht mir auch, dass es seit seiner Scheidung eine Vielzahl kurzer Affären gegeben habe, die ihm allesamt nichts bedeutet hätten, er mittlerweile ein Alter erreicht habe, in dem er etwas Beständiges suche und er sehr hoffe, es endlich gefunden zu haben.

 

Ein kurzer und schmerzhafter Stich macht sich in meiner Brust bemerkbar. Was hatte ich auch erwartet? Dass dieser wundervolle Mann mir sagt, dass er ebenfalls schwul ist und mir ewige Liebe verspricht? Ich hätte es besser wissen müssen. Es war doch vollkommen klar, dass er zumindest eine Freundin hat.

 

„Rückblickend habe ich so ziemlich alles falsch gemacht, was ich hätte falsch machen können. Ich habe eine Frau geheiratet, die ich nicht liebte, ein Leben geführt, das ich nicht mochte und mich selbst so verbogen, dass ich mich irgendwann schlichtweg hasste. Aber das ist nun endgültig vorbei. Ich möchte einfach nur noch ich sein, mein Leben führen, wie ich es mir schon immer gewünscht habe, mit jemandem an meiner Seite, der so fühlt wie ich“, erklärt er aufgewühlt. „Und wenn ich mich nicht sehr täusche, bin ich bereits auf einem guten Weg dorthin“, ergänzt er leise. Und wieder dieser Blick, der mich ganz hibbelig macht und den ich einfach nicht zu deuten vermag.

 

Wenn mich seine Augen nicht an Ort und Stelle fesseln würden, wäre ich vermutlich längst aufgesprungen und erneut geflohen. Ich will das alles nicht hören. Seine Schilderungen haben mir die Hoffnung genommen, all meinen Träumereien und Wünschen, und seien sie auch noch so unwahrscheinlich, ein jähes Ende bereitet. Ich fühle, wie meine Augen zu brennen beginnen, und schlucke tapfer den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat.

 

„Max?“

 

„Das ist ... toll“, sage ich schnell und lache gekünstelt. „Seit wann seid ihr denn schon zusammen?“

 

„Ich bin mit niemandem zusammen, zumindest noch nicht“, antwortet er mir mit einem merkwürdigen Funkeln in den Augen.

 

„Oh, ich dachte, du hättest von deiner Freundin gesprochen.“ Ist mein Gesicht tatsächlich so rot, wie es sich anfühlt?

 

Er lacht kurz. „Nein, ich habe keine Freundin ... und ich beabsichtige auch nicht, mir eine solche zuzulegen.“

 

Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Die Verwirrung scheint mir geradezu ins Gesicht geschrieben zu sein, denn er beugt sich etwas zu mir und erklärt einige Momente später: „Ja, ich habe erst kürzlich jemanden kennengelernt, aber es handelt sich dabei nicht um eine Frau.“

 

Ich schlucke hart und starre ihn nur an.

 

„Verstehst du denn nicht, was ich dir zu sagen versuche, Max?“, seine Stimme klingt zärtlich und ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel.

 

Mein Herz schlägt Purzelbäume, in meinem Bauch erheben sich 1000 Schmetterlinge gleichzeitig, mein Hals wird trocken und ich bekomme keinen Ton heraus. Natürlich hoffe ich zu wissen, was er mir damit sagen will, aber mein Verstand will es noch nicht richtig wahrhaben. Erst als Chris seine Hand auf die meine legt und sanft mit dem Daumen über meine Knöchel streicht, verschwinden all meine Zweifel. Am liebsten würde ich aufspringen, um den Tisch laufen und ihn so lange küssen, bis wir beide keine Luft mehr bekommen. Ganz kurz erwäge ich das auch tatsächlich zu tun, nach einem Blick in den Pub jedoch, ändere ich meine Meinung und begnüge mich mit einem glücklichen Lächeln. Wenn ich schon über ihn herfalle, dann bitte ohne Publikum.

 

Die darauf folgenden Minuten verbringe ich wie schwebend auf einer Wolke. Immer noch hält Chris meine Hand fest und streichelt sanft darüber. Erst als nach einem dezenten Wink von Chris der Kellner erscheint, um abzukassieren, lässt er mich los. Er winkt ab, als ich nach hinten in meine Hosentasche greifen will, um meinen Geldbeutel hervorzuziehen und bezahlt für uns beide. Kurze Zeit später erheben wir uns und verlassen den Pub.

 

Es ist mittlerweile recht spät geworden und ich blinzle ungläubig in den Himmel, es hatte tatsächlich zu schneien begonnen. Chris lässt es sich nicht nehmen, mich zu meinem Auto zu begleiten. Etwas unschlüssig trete ich von einem Bein auf das andere. Ich würde ihn gerne berühren, ihn küssen, halte mich jedoch zurück, da ich nicht weiß, ob er das überhaupt möchte.

 

„Dankeschön. Für die Einladung und für den schönen Abend“, sage ich stattdessen und vergrabe vorsichtshalber meine Hände tief in den Jackentaschen.

 

Chris lächelt und sieht mir in die Augen. „Gern geschehen, es war ja nicht ganz uneigennützig.“ Dann wird seine Miene ernst. „Und ich möchte dich wiedersehen“, erklärt er, tritt im Schutz der Dunkelheit einen Schritt auf mich zu und legt einen Finger unter mein Kinn.

 

Sanft aber energisch drückt er meinen Kopf nach oben und kurze Zeit später fühle ich seinen Mund auf dem meinen. Er schmeckt noch etwas nach dem Guinness, das wir beide getrunken haben. Zart streicht er mit seiner Zunge über meine Lippen und bahnt sich schließlich einen Weg hindurch in meinen Mund. Es ist, als ob ein Blitz in meinen Körper einschlagen, und all meine Nervenenden zum Vibrieren bringen würde, als unsere Zungen das erste Mal aufeinandertreffen. Oh Gott, wenn schon ein einzelner Kuss eine solche Reaktion auslöst, wie wird es dann, wenn wir ... nein, ich darf, gar nicht daran denken, sonst dürfte meine Heimfahrt gleich ziemlich unbequem werden.

 

„Hm“, brummt Chris genüsslich. „Darauf warte ich seit über zwei Wochen. Ich musste mir von Katrin eine ganz schöne Standpauke anhören, weil ich dich nicht gleich um ein Date gebeten habe. Sie hat mir die Hölle heißgemacht, noch bevor wir überhaupt deinen Hof verlassen haben. Sie kennt ihren Vater verdammt gut. Sie wusste sofort, dass du mir gefällst“, nuschelt er an meinem Mund und küsst sich von einem Mundwinkel zum anderen.

 

„Du solltest öfter auf deine Tochter hören, du hättest nämlich offene Türen eingerannt, ich war dir vom ersten Moment an verfallen“, gebe ich zu und rücke näher an ihn heran.

 

„Ist das so?“, meint er und hebt bedeutungsvoll eine Augenbraue.

 

„Mist, ich wusste, es war ein Fehler, dir das zu verraten“, necke ich ihn.

 

„Dein Geheimnis ist bei mir sicher, ich werde es niemals ausnutzen!“, verspricht er grinsend.

 

Ich glaube ihm kein Wort.

 

Dann wird er jedoch plötzlich ernst: „Lass es uns langsam angehen, okay? Du bist mir zu wichtig, um dich durch meinen eventuellen Übereifer in die Flucht zu schlagen.“

 

„So schnell lasse ich mich nicht in die Flucht schlagen“, schnurre ich und küsse mich sein Kinn entlang.

 

„Das habe ich an der Weihnachtsfeier gemerkt“, entgegnet er trocken. „Nach Gärtners Kommentar konntest du gar nicht schnell genug vor mir davon rennen.“

 

„Das waren besondere Umstände“, erkläre ich, „ich hätte ihn in diesem Moment am liebsten erwürgt! Kannst du dir vorstellen, wie peinlich mir das war? Vielleicht nicht gerade, dass er es gesagt hat, sondern vielmehr die Art und Weise, wie er damit rausgeplatzt ist.“

 

„Ich war ihm überaus dankbar dafür“, lächelt Chris und legt seine Wange auf meinen Kopf, während er mich eng an sich zieht. „Ohne ihn wüsste ich schließlich bis heute noch nicht, ob ich überhaupt eine Chance bei dir haben könnte. Ich hatte zwar so eine vage Vermutung, aber ich war mir eben nicht sicher.“

-3-

 

Unschlüssig strecke ich meine Hand nach dem Klingelknopf aus, ziehe sie dann jedoch wieder zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob Chris es überhaupt recht ist, wenn ich hier einfach so unangemeldet auftauche, es ist schließlich Heiligabend und wir hatten einstimmig beschlossen, es langsam angehen zu lassen. Vielleicht sollte ich die Weihnachtsgeschenke einfach vor die Tür legen und wieder verschwinden. Wenn er mich dennoch sehen möchte, kann er sich ja immer noch bei mir melden.

 

Gedacht, getan. Ich lege die drei Geschenke neben den Fußabtreter und habe mich gerade aufgerichtet, um mich wieder aus dem Staub zu machen, als die Tür von innen geöffnet wird und ich mich einem überrascht drein blickenden Chris gegenübersehe.

 

„Max!“, ruft er aus und ich meine aufrichtige Freude heraushören zu können.

 

„Hi“, antworte ich unsicher. Chris trägt Mantel, Schal und Handschuhe, ich halte ihn also ganz offensichtlich von etwas ab. „Sorry. Ich wollte eigentlich nur ein paar Sachen vor die Tür legen und bin auch gleich wieder ...“, ergänze ich deshalb entschuldigend.

 

„Hey, nicht so schnell“, unterbricht er mich lachend, greift nach dem Ärmel meiner Jacke und zieht mich ins Innere der Wohnung. Geistesgegenwärtig greife ich nach den drei Paketen und lege sie auf die Garderobe, die sich gleich neben der Eingangstür befindet.

 

Sobald meine Hände frei sind, schlingt Chris seine Arme um mich und küsst mich liebevoll. „Ich wollte gerade zu dir“, erklärt er irgendwann, als wir uns etwas atemlos voneinander gelöst haben.

 

„Zu mir?“, schnurre ich zufrieden und zeichne mit der Zunge sanft die Konturen seiner Lippen nach.

 

„Mhm“, brummt er an meinem Mund, „oder wäre dir das nicht recht?“, will er grinsend wissen.

 

„Oh doch“, antworte ich und schlüpfe mit den Händen unter seinen Mantel. Für meinen Geschmack sind hier eindeutig zu viele Textilien im Spiel.

 

Chris scheint der gleichen Meinung zu sein, denn wenige Momente später verschwinden sowohl Mantel, als auch Schal und Handschuhe. Auch meine Daunenjacke findet unmittelbar später ihren Weg zur Garderobe.

 

„Hm“, brummt er genüsslich, kaum dass er unsere Jacken aufgehängt und mich wieder in eine enge Umarmung gezogen hat, „ich habe dich vermisst.“

 

„Ich habe dich auch vermisst“, gebe ich zu. Und wie ich ihn vermisst habe. Seit wir uns vor einigen Tagen widerwillig voneinander verabschiedet haben, verging keine Stunde, in der ich nicht an ihn gedacht hätte, mir gewünscht habe bei ihm zu sein, ihn zu berühren, zu küssen und noch so viel andere Dinge mit ihm zu machen. Daran änderten auch die Telefonate nichts, die wir seither immer wieder miteinander geführt haben.

 

„Hast du ein wenig Zeit?“, fragt er mich zwischen zwei Küssen.

 

„Mhm“, nuschle ich an seinen Lippen, „allerdings erwarten mich meine Eltern morgen pünktlich zum Weihnachtsessen“, teile ich ihm unüberlegt mit und bin damit vermutlich wieder einmal weit übers Ziel hinausgeschossen. Hatten wir nicht vereinbart, es langsam angehen zu lassen? Ich impliziere mit dieser Aussage ja geradezu, dass ich die kommende Nacht mit ihm gemeinsam zu verbringen gedenke.

 

„Das ist schön“, lächelt er hintergründig und zieht mich hinter sich her in sein Wohnzimmer.

 

Mein Blick fällt sogleich auf eine raumhohe Tanne, die kunterbunt geschmückt ist. Kleine verschiedenfarbige Lämpchen schlingen sich an einer langen Kette um die Äste. Alle möglichen Farben und Formen an Kugeln lassen die Zweige fast ächzen unter der Last. Holzfigürchen und selbst gebastelte Sterne, die ihre besten Tage längst hinter sich haben, ergänzen das Gesamtbild. Den krönenden Abschluss jedoch bildet ein filigraner Engel aus Glas, der auf der Spitze des Baumes sitzt. Sein rechter Flügel wurde durch offensichtlich jahrelangen Gebrauch ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. Ich meine eindeutig Katrins Hand an diesem Gesamtwerk erkennen zu können.

 

„Die Rollen sind bei uns klar verteilt“, erklärt Chris schmunzelnd, als er meinen amüsierten Blick bemerkt, „Seit Jahren schon habe ich keinerlei Mitspracherecht mehr, was die Weihnachtsdekoration anbelangt“, ergänzt er und bestätigt damit meine Vermutung.

 

„Er gefällt mir, sehr sogar“, sage ich ehrlich. „Wo ist deine Tochter überhaupt?“

 

„Bei ihrer Mutter. Sie verbringt seit unserer Trennung Weihnachten und die Hälfte der Sommerferien bei ihr“, erwidert er. „Ich hätte in der Küche noch eine Flasche Spätburgunder. Möchtest du ein Gläschen davon haben? Vom Essen ist auch noch reichlich übrig, falls du Hunger hast“, bietet er an.

 

„Essen nicht, danke. So wie ich meine Mutter kenne, tafelt sie morgen wieder so viel auf, dass man von den Resten noch gut einen Monat eine kleinere Gemeinde verköstigen könnte. Ich werde mich danach wahrscheinlich tagelang nicht mehr regen können. Aber zu einem Glas Wein sage ich nicht nein“, antworte ich lächelnd.

 

Chris verschwindet nickend und kehrt kurze Zeit später wieder mit einer Flasche und zwei bauchigen Gläsern zurück. Ich sehe ihm dabei zu, wie er mit geübten Handgriffen die Flasche entkorkt, die beiden Gläser befüllt und sich anschließend zu mir auf das Sofa gesellt. Er reicht mir eines der Gläser und stößt mit dem seinen kurz dagegen.

 

„Auf uns, und auf das erste von hoffentlich vielen gemeinsamen Weihnachtsfesten“, flüstert er und sieht mir dabei tief in die Augen.

 

„Auf uns“, antworte ich heiser und strahle ihn glücklich an, bevor ich das Glas an meine Lippen führe, kurz daran nippe und es auf den Tisch stelle.

 

Er rückt lächelnd etwas näher an mich heran. „Was ist eigentlich in den Päckchen, die du uns vor die Tür stellen wolltest?“, fragt er schließlich neugierig.

 

„Wenn ich dir das verrate, ist es ja keine Überraschung mehr“, antworte ich grinsend.

 

„Hm“, macht er, legt einen Finger an sein Kinn und denkt scheinbar angestrengt nach. „Heute ist Heiligabend. Ich könnte die Päckchen ja einfach auspacken?“

 

Ich lache auf. „Okay, lass uns Geschenke auspacken. Ich bin gleich wieder da“, antworte ich und bin auch schon aufgesprungen.

 

Mit den drei Päckchen beladen komme ich kurze Zeit später zurück ins Wohnzimmer und setze mich wieder neben Chris.

 

„Ich habe auch etwas für dich“, sagt er und blickt stirnrunzelnd auf einen Briefumschlag mit weihnachtlichen Motiven, den er mir in die Hand drückt. „Es ist nur eine Kleinigkeit. Wir kennen uns noch nicht so lange und ich wusste einfach nicht, was dir gefällt“, meint er entschuldigend. „Zudem bin ich völlig unkreativ und einfallslos.“

 

Schmunzelnd öffne ich den Umschlag und fördere Kinogutscheine zu Tage. „Dafür, dass du mich kaum kennst, hast du meinen Geschmack ziemlich gut getroffen“, lache ich. „Vielen Dank!“ Ich freue mich wirklich sehr darüber und ziehe ihn in einen langen Kuss.

 

„Wenn ich ehrlich bin, war das nicht ganz uneigennützig. Ohne Begleitung macht das Kino doch gar keinen richtigen Spaß, oder?“, grinst er an meinen Lippen.

 

„Da hast du absolut recht“, stimme ich ihm uneingeschränkt zu. „Meine Mutter ist ganz versessen auf Filme, ich denke, ich nehme sie mit“, ergänze ich und blicke ihn unschuldig an.

 

Chris knurrt leise und beißt leicht in meine Unterlippe.

 

„Das flache, viereckige ist für Katrin. Ich dachte mir, dass ich mit einem Sampler der aktuellen Charts nicht viel verkehrt machen kann. Das größte Päckchen von allen ist für Carlos“, sage ich schmunzelnd.

 

„Du hast ein Weihnachtsgeschenk für unseren Kater?“, fragt er amüsiert nach.

 

„Ohne Carlos hätten wir uns nie kennengelernt. Ich finde, dafür hat er definitiv eine Belohnung verdient. Neben besagtem Weihnachtsgeschenk hielte ich ein lebenslanges Abo für alle möglichen Köstlichkeiten für das Mindeste, oder?“, teile ich Chris überzeugt mit.

 

„Unbedingt“, stimmt er mir zu, bevor er mich erneut in einen langen Kuss zieht.

 

„Und das dritte Päckchen?“, fragt er neugierig.

 

„Mach es auf, es ist deins“, antworte ich zusehends nervös.

 

Ich falle möglicherweise wieder einmal mit der Tür ins Haus, aber ich bin mir so sicher, was Chris anbelangt, es fühlt sich alles so unglaublich gut und richtig an.

 

„Ein Schlüssel?“, meint er verwundert, als er die kleine Schachtel geöffnet hat.

 

„Er ist zu meinem Haus“, erwidere ich atemlos. „Ich meine damit nicht, dass du gleich bei mir einziehen sollst – nicht dass ich etwas dagegen habe, im Gegenteil.“ Ich hole tief Luft und traue mich fast nicht, ihn anzusehen. „Er soll dir einfach nur zeigen, dass du und Katrin jederzeit herzlich willkommen seid“, ergänze ich etwas unsicher.

 

Bevor ich richtig weiß, wie mir geschieht, hat Chris mich ungestüm in seine Arme gezogen und drückt mich fest an sich.

 

„Max“, flüstert er und vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge.

 

Sein Herz pocht ebenso heftig, wie das meine. Langsam küsst er sich eine Spur entlang zu meinem Mund, saugt leicht an meiner Unterlippe, bevor er sich sanft aber energisch mit seiner Zungenspitze einen Weg zwischen meinen Lippen hindurch bahnt. Bereitwillig komme ich ihm entgegen, dränge mich an ihn, versuche jedes auch noch so kleinste Quäntchen Berührung auszukosten. Nur ganz vage nehme wahr, dass er mich auf seinen Schoß gezogen hat. Ich schlinge beide Arme um seinen Nacken und grabe meine Finger tief in sein dichtes Haar.

 

Deutlich kann ich seine Erregung fühlen, als er seine Hände auf meinen Hintern legt und mich noch enger an sich drückt.

 

„Wollten wir es nicht langsam angehen lassen?“, frage ich atemlos nach, als Chris Hände sich unter mein Hemd stehlen und er fordernd über meine nackte Haut streicht. Das sage ausgerechnet ich, der soeben seinen Haustürschlüssel zu Weihnachten verschenkt hat.

 

„Scheiß drauf“, brummt er heiser und knöpft ungeduldig mein Hemd auf, während er mich stürmisch küsst. „Ich will dich. Ich wollte dich vom allerersten Moment an. Wenn ich noch länger warte, werde ich wahnsinnig“, ergänzt er keuchend.

 

Einmal rückt er für einen kurzen Moment von mir ab, aber nur, um uns beide Richtung Schlafzimmer zu bugsieren. Auf dem Weg dorthin habe ich sowohl mein Hemd als auch meine Schuhe verloren. Im Gehen versuche ich Chris den Pullover über den Kopf zu ziehen. Er ist wesentlich größer als ich und so gestaltet sich dieses Unterfangen als nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt habe. Für einen kurzen Moment kommen wir sogar recht gefährlich ins Straucheln und klammern uns kichernd am Türrahmen fest. Letztendlich verliert der Pulli jedoch den Kampf und landet, wie die anderen Kleidungsstücke vor ihm, auf dem Fußboden. Bewundernd streiche ich mit beiden Händen seinen nackten Oberkörper entlang. Oh Gott, ich wusste es ... ich wusste, dass er einen traumhaften Körper hat.

 

Er macht sich nicht die Mühe, mir die Hose von den Hüften zu ziehen, sondern schlüpft ungeduldig mit einer Hand unter den dünnen Stoff meines Slips und umschließt mich.

 

„Chris“, stöhne ich und muss mich an ihn lehnen, weil meine Beine unter mir zu zittern begonnen haben. Ich bin so erregt, dass ich es kaum schaffe, den Knopf und den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen. Meine Hände zerren ihm schließlich fahrig das lästige Kleidungsstück samt Slip über den Hintern.

 

Ich taste mich ungeduldig von seinen festen Pobacken über seine Hüften zu seiner Mitte. Meine Hand schließt sich um das warme, inzwischen steinharte Fleisch und ich streiche mit dem Daumen vorsichtig über seine Spitze. Teufel auch, ich will ihn so sehr.

 

Er scheint meine Gedanken zu erahnen, denn keine Minute später finde ich mich auf dem Rücken liegend auf dem Bett wieder. Völlig nackt. Chris liegt seitlich neben mir und betrachtet mich mit unverhohlener Bewunderung.

 

„Du bist wunderschön“, flüstert er zärtlich und gleitet mit einer Hand meinen Körper entlang.

 

Ich schließe die Augen und lächle vor mich hin. Glücklich genieße ich diese Berührungen – und auch wenn ich im Moment wirklich mehr als scharf auf ihn bin, möchte ich diese zarten und überaus sinnlichen Liebkosungen nicht missen.

 

Als Nächstes fühle ich seine Lippen auf meiner erhitzten Haut, die der Spur folgen, die zuvor seine Hände genommen haben. Hier und da verharrt er etwas länger, kostet es aus, dass ich unter seinen Berührungen erzittere. Schließlich ist er an seinem eigentlichen Ziel angekommen. Verdammt, er stellt wirklich irre Dinge mit dieser Zunge an – und nicht nur damit. Ich kralle meine Finger links und rechts von mir in das Laken, mein Kopf ist weit zurück in das Kissen gedrückt. Ein hingerissenes Seufzen nach dem anderen verlässt meine Kehle.

 

Irgendwann, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, fühle ich neben Lippen und Zunge auch vorwitzige Finger, die sich an meinem Eingang zu schaffen machen. Sanft und gründlich bereitet er mich vor auf das Kommende. Zusehends ungeduldiger recke ich ihm mein Becken entgegen. Kurz darauf höre ich Plastik reißen, und dann ... fühle ich ihn. Langsam und vorsichtig schiebt er sich in mich. Hält immer wieder inne, gibt mir Zeit, mich an seine Größe zu gewöhnen, verteilt unzählige kleine Küsse auf meinem Gesicht und flüstert freche Unanständigkeiten in mein Ohr, die meine Lust bis ins fast Unermessliche steigern.

 

Immer wieder trifft er diesen einen empfindlichen Punkt tief in mir und bringt uns gemeinsam Stück für Stück dem Gipfel entgegen. Einer zusätzlichen Stimulation bedarf es gar nicht, um mich von der höchsten Klippe zu stoßen. Mit einem unterdrückten Schrei und meinem Namen auf den Lippen folgt er mir, nur einen Wimpernschlag später.

 

Es dauert einige Zeit, bis sich unser beider Herzschlag beruhigt hat und wir wieder annähernd normal atmen können. Bis dahin spricht keiner von uns ein Wort. Wir liegen nebeneinander, streicheln uns und genießen einfach die Nähe des anderen. Chris bricht als Erster das Schweigen.

 

„Du weißt, was das bedeutet?“ Liebevoll streicht er mir eine Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht.

 

„Was denn?“, frage ich, fange seine Hand ein und hauche zarte Küsse auf die Fingerspitzen.

 

„Dass du mich so schnell nicht wieder los wirst. Und du hast dir nicht nur einen Kerl angelacht, sondern einen 13-jährigen Teenager gleich mit dazu“, erklärt er liebevoll.

 

„Und einen Kater“, ergänze ich.

 

„Und einen Kater“, wiederholt er lächelnd, küsst mich sanft auf die Stirn und zieht meinen Kopf auf seine Brust.

 

Träge lege ich einen Arm auf seinen Bauch und streiche sanft über die weiche Haut an seinen Seiten.

 

„Chris?“

 

„Hm?“

 

„Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?“, flüstere ich und kuschle meine Wange noch enger an ihn.

 

„Nur zu“, fordert er mich auf.

 

„Warum hat du überhaupt geheiratet?“

 

Chris starrt an die Decke und streicht geistesabwesend über meinen Arm. „Der Klassiker. Das war mein Versuch ein normales Leben zu führen. Ich war noch ziemlich jung, als ich Melli kennenlernte. Im Grunde wusste ich schon damals, dass ich anders bin, wollte es aber nicht wahrhaben. Tja, und dann wurde sie schwanger und wir haben geheiratet.“

 

„Weiß sie, dass du ...“, beginne ich.

 

„Dass ich Männer mag?“, er lacht bitter auf. „Zu Anfang nicht. Da gab es auch noch nicht allzu viel zu wissen. Außer einer experimentellen Fummelei in meiner Jugend war da nichts. Aber ich wurde älter und zusehends unruhiger. Irgendwann bin ich einfach losgezogen und habe irgend nen Typen aufgerissen – und ich habe daran Gefallen gefunden, sehr sogar. Ich habe das regelmäßig wiederholt und die Abstände dazwischen wurden immer kürzer. Ich wurde unvorsichtig und Melli hat mich bei einem dieser Streifzüge mit der Hand in einer fremden Hose erwischt. Die Szene war eindeutig. Den Versuch mich herauszureden konnte ich mir sparen. Den Rest kennst du, zumindest ungefähr“, beendet er seine Erzählung.

 

„Wie hat sie reagiert?“, frage ich nach.

 

„Ungläubig, entsetzt, enttäuscht, wütend. In genau dieser Reihenfolge. Ich habe sie noch nie vorher so unglaublich wütend erlebt.“

 

„Wieso konnte sie dich überhaupt dabei überraschen?“

 

„Wie gesagt, ich wurde unvorsichtig und leichtsinnig. Ich habe nicht gemerkt, dass sie misstrauisch geworden war. Und eines Tages ist sie mir unbemerkt nachgefahren“, seufzt er.

 

„Autsch“, erwidere ich und schneide eine Grimasse.

 

„Die Zeit danach war zwar alles andere als angenehm, aber im Nachhinein bin ich froh, dass es so gekommen ist. Ich weiß nicht, ob ich jemals den Mut aufgebracht hätte, es ihr zu sagen“, erzählt er leise.

 

Ich kann mir nur ganz vage vorstellen, wie sein Leben verlaufen sein muss. Ich kenne eine derartige Geheimniskrämerei nicht. Okay, ich bin mit meiner Homosexualität nicht wirklich hausieren gegangen, aber ich habe sie auch nicht versteckt. Eine Beziehung zu einer Frau hatte ich nie, zumindest keine, die über eine platonische Freundschaft hinaus gegangen wäre. Im Grunde wusste meine Familie noch vor mir, was mit mir los ist. So war letztendlich mein Coming-out keine große Überraschung mehr.

 

Ich starre immer noch nachdenklich an die Decke, als seine gleichmäßigen Atemzüge mir verraten, dass er längst tief und fest eingeschlafen ist.

 

*

 

Das Erste, das ich am nächsten Morgen sehe, als ich noch schlaftrunken versuche die Lider zu heben, sind Carlos Augen, die mich aufmerksam mustern. Von seinem Herrchen ist weit und breit keine Spur. Jedoch höre ich dezentes Klappern von Geschirr und verziehe den Mund zu einem Lächeln. Wie lange ist es her, seit mir das letzte Mal jemand ein Frühstück gemacht hat? Ich strecke eine Hand aus und vergrabe sie in Carlos dichtem, schwarzen Fell. Genüsslich schließt er die Augen und drückt seinen riesigen Kopf in meine Hand.

 

„Das gefällt dir, mein Großer, was?“, lache ich leise. „Komm, lass uns mal nachschauen, was dein Herrchen so treibt.“

 

Als ob er mich verstanden hätte, springt Carlos mit einer geschmeidigen Bewegung vom Bett und trippelt mit hoch erhobenem Schwanz aus dem Schlafzimmer. Ich greife nach meiner Hose, ziehe sie mir über und folge ihm in die Richtung, aus der die Geräusche kommen.

 

Lächelnd bleibe ich im Türrahmen stehen und genieße einfach nur den Anblick, der sich mir bietet. Chris, mit nichts weiter als einer Jogginghose bekleidet, steht am Herd und lässt vorsichtig zwei Eier in einen kleinen Topf mit kochendem Wasser gleiten. Anschließend stellt er die Eieruhr und greift sich aus einem Hängeschrank zwei Eierbecher, die er zu den anderen Dingen auf den liebevoll gedeckten Tisch stellt. Als er sich schließlich vornüber beugt, um die knusprig gebackenen Brötchen aus dem Backofen zu nehmen und mir somit seine überaus leckere Kehrseite präsentiert, kann ich einfach nicht anders. Ich warte noch, bis er die Backofentür geschlossen und das Blech auf der Spüle abgestellt hat, und trete dann von hinten an ihn heran. Mit beiden Armen umschlinge ich seinen Bauch, bedecke seinen Rücken mit winzigen Küssen und schmiege mich eng an ihn.

 

„Guten Morgen mein Süßer“, brummt Chris mit seiner tiefen Stimme und dreht sich in meinen Armen zu mir um.

 

„Morgen“, erwidere ich, „hast du gut geschlafen?“

 

„Mhm, ich habe sogar sehr gut geschlafen“, meint er süffisant grinsend und seine Augen funkeln bedeutungsvoll.

 

Es ist offensichtlich, woran er im Augenblick denkt und mir läuft ein wohliger Schauer über den Rücken. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, schlinge beide Arme um seinen Nacken und drücke meinen Mund auf den seinen. Spielerisch lasse ich meine Zunge über seine Lippen gleiten. Keine Sekunde später kommt er mir entgegen und umfängt mich mit beiden Armen. Ein genüsslicher Laut entweicht meiner Kehle und lässt Chris leise auflachen.

 

„Ich liebe diese Töne, die du von dir gibst, wenn dir etwas besonders gut gefällt“, schnurrt er und erhält als Antwort auch prompt eine weitere Kostprobe aus meinem umfangreichen Repertoire. Er küsst sich mein Kinn entlang bis zu meinem Ohr, knabbert zärtlich an meinem Ohrläppchen und schmust anschließend über die empfindliche Haut an meinem Hals. Wir schrecken beide leicht zusammen, als die Eieruhr sich laut und vernehmlich bemerkbar macht.

 

„Frühstück?“, fragt er verschmitzt lächelnd.

 

„Natürlich. Irgendwie muss ich die Kalorien ja wieder zuführen, die ich heute Nacht verbrannt habe“, gebe ich frech zurück.

 

Statt einer Antwort zieht Chris mich in einen kurzen aber stürmischen Kuss und gibt mir breit grinsend einen leichten Klaps auf den Hintern, bevor er sich von mir löst, die Eier aus dem Wasser fischt und sie in die Eierbecher stellt.

 

„Brauchst du noch Hilfe?“, frage ich.

 

„Nein, es ist alles fertig. Setz dich“, fordert er mich auf und deutet zu einem der Stühle, die um den runden Tisch aufgestellt sind. „Du trinkst doch auch Kaffee, oder?“, ergänzt er und greift bereits nach der Kanne.

 

„Ja“, erwidere ich und setze mich, „süß und weiß“, füge ich schmunzelnd hinzu.

 

„Süß, ja?“, grinst er doppeldeutig und schiebt mir Milch und Zucker hin.

 

Ich betrachte ihn immer noch grinsend, während ich meinen Kaffee umrühre und einen Schluck von dem Gebräu nehme.

 

„Wann musst du los?“, fragt er ziemlich unvermittelt.

 

Ich sehe auf die Uhr. „Bald. Ich muss vorher noch zu Hause vorbei, um zu duschen und mich umzuziehen“, antworte ich stirnrunzelnd. In mir wächst ein Gedanke. Auch wenn es sicherlich viel zu früh ist, meine Familie auf ihn loszulassen, hätte ich dennoch gerne, dass er heute mit mir kommt. Ich überlege noch kurz, entscheide mich jedoch ihn einfach zu fragen. Was kann schon groß passieren? Mehr als nein sagen, kann er schließlich nicht.

 

Ich räuspere mich. „Ich habe mir gerade überlegt ... ich meine ... natürlich nur, wenn du wirklich möchtest“, stammle ich.

 

„Du musst schon etwas deutlicher werden, Süßer“, meint er amüsiert.

 

„Ich würde mich sehr freuen, wenn du mitkommen würdest“, sage ich nun frei heraus und blicke ihn an.

 

„Du möchtest mich deiner Familie vorstellen?“, erwidert er verblüfft.

 

„Ja“, antworte ich lapidar.

 

„Max“, flüstert er und greift über den Tisch nach meiner freien Hand. „Auch wenn es eigentlich zu früh ist, wir kennen uns schließlich erst seit etwa drei Wochen, aber ...“, er hebt den Kopf und sieht mir nun geradewegs ins Gesicht, „es ... es fühlt sich gut an mit uns ... ich“, er hält kurz inne und ich sehe ihn erwartungsvoll an, „ich habe mich so wahnsinnig in dich verliebt und ich würde dich sehr gerne zu deiner Familie begleiten.“

 

Ich gehe zu ihm und lasse mich mühelos auf seinen Schoß ziehen. Mit beiden Händen umfange ich sein Gesicht und hauche einen winzigen Kuss auf seinen Mund. „Ich habe mich in dem Moment in dich verliebt, als du vor meiner Tür standest“, sage ich nun meinerseits und blicke in diese wundervollen blauen Augen, die es mir von der allerersten Minute an so angetan haben und die mir inzwischen überhaupt nicht mehr undurchdringlich vorkommen. Im Gegenteil. Die Gefühle, die ich im Augenblick in ihnen zu lesen glaube, kommen meinen eigenen recht nahe.

 

Es hat sich als absoluter Glücksfall erwiesen, dass Carlos über den Balkon getürmt ist. Unbewusst hat er mir damit meinen größten Weihnachtswunsch erfüllt.

 

Ich kann zwar nicht mit Gewissheit sagen, ob das, was zwischen Chris und mir läuft, überhaupt die nächsten Monate übersteht, aber im Moment fühlt es sich danach an. Und ich werde alles in meiner Macht stehende dafür tun, damit dieser Zustand noch sehr lange anhält!

 

-Ende-

Imprint

Text: Jule Becker
Images: Fotolia
Publication Date: 12-17-2015

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /