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Wir waren beide pünktlich auf die Minute und saßen dort, wo wir auch schon gestern saßen.
Er hatte einen etwas ausgeblichenen graugrünen Pullover an, der am Hals eng anlag. Als besonderer Pfiff war ein seitlicher schräger Reißverschluss eingearbeitet.
Der Himmel war leicht bedeckt und man wusste nicht, ob es noch regnen würde oder nicht.
Selbst wenn es regnen sollte, saßen wir auf dieser Terrasse trocken.
Andrea, die Wirtin, erzählte uns wie nebenbei, dass man heute Nacht erneut eingebrochen hätte.
Wieder war das Geld in beiden Spielautomaten das Ziel der Einbrecher. Sie war der Verzweiflung nahe, brachte aber schnell zwei Café con leche in gewohnt guter Qualität.
„Mein Kreuzfahrer“ stellte die Tassen etwas anders hin und schuf so Platz für einen kleinen Laptop.
„ Ich will Ihnen heute mal etwas anschaulicher von meiner letzten Kreuzfahrt berichten. Deshalb brauche ich dieses Teil hier“ sagte er und begann seinen Rechner hochzufahren. Ich wusste gar nicht, dass man in diesem Restaurant auch WIFI anbietet.
„Bewusst habe ich diese Reise ausgewählt, weil sie für kleines Geld schnell nachzuvollziehen ist“ erwähnte er wie ein Reisebürokaufmann.
Geschickt navigierte er zwischen den vielen Fotos hin und her und brachte erst jetzt eine gewisse Ordnung in sein übervolles Angebot.
Bei einem Hafenfoto geriet er ins Schwärmen und mir ging es ebenso. Was für ein märchenhaftes Bild für den Betrachter!


„Ihnen wird es sicher ebenso gehen wie mir“ setzte er fort „man weiß beim Betrachten der Bilder gar nicht mehr, wo man es geknipst hat.“



Ich wusste natürlich, das man über die integrierte Bildinformation auch eine Fülle von Infos abrufen konnte Die Bilder überwältigten mich regelrecht und ich war froh, als er endlich wieder im Zusammenhang plauderte:

„Als Frühaufsteher gehe ich am Morgen vor dem Sonnenaufgang gerne auf das höchstgelegene Deck , trinke meinen ersten Kaffee und betrachte den aktuellen Hafen bzw. die offene See.
Bei der Gelegenheit trifft man auch auf Besatzungsangehörige, die man im Tagestrubel nicht zu Gesicht bekommt. Zum Beispiel bei meiner letzten Fahrt den Kapitän und seine charmante Schiffsärztin aber auch den Assistenten eines Bartenders, der mir beim Morgenputz sogar etwas über sein monatliches Salär erzählte.


Vom Kapitän bis zum Eierbrater, vom Steward bis zum Animateur, vom Schiffsingenieur bis zum Mitarbeiter im Spielcasino – es waren bei der letzten Kreuzfahrt ca. 500 Besatzungsangehörige aus 25 Nationen an Bord.



Die Schiffsärztin, eine nette Italienerin, hatte bis Rom ihre Eltern an Bord.
Die beiden alten Herrschaften sah man häufig im Bordcasino an den Spielautomaten.
Einer der schönsten Räume an Bord war die Bibliothek/Spielzimmer. Hier konnte man auch an einigen Arbeitsplätzen ins Internet gelangen. Aber wie schon erwähnt, das kostet ein Vermögen.“

Mein „Kreuzfahrer“ nahm einen kräftigen Schluck seines mittlerweile lauwarmen Getränks und sagte bedeutungsvoll:
„Apropos Getränke, mein Lieber: da sollten Sie nicht am falschen Ende sparen. Die meisten Unternehmen bieten sogenannte Getränkepakete an. Da kann man ruhig zugreifen. Es ist praktisch und erspart das häufige Abzeichnen der Getränkerechnungen und ist am Ende der Reise wesentlich billiger.
Bei meiner letzten Reise, die ich mit meiner „Krankenschwester“ unternahm“, er lächelte süffisant,
„zahlte ich gerade mal 265 Euro und wir konnten täglich bis zum Abwinken Trinken.“

Plötzlich suchte er auf seinem Laptop Fotos, die mir beweisen sollten, dass überhaupt kein Gedränge in den Restaurants besteht.
Ich hatte tatsächlich im Internet gelesen, dass besonders am Frühstücksbuffet ein unerträgliches Gedränge herrscht. Das Gegenteil ist der Fall.




„Am Buffet wird nicht nur der Gaumen verwöhnt, sondern auch das Auge. Achten Sie mal auf die künstlerischen Schnitzereien allein bei den Melonen.
Auch in den Kabinen, wo hübsche Mädchen täglich aus den frischen Handtüchern verschiedene Tiere formen, entstehen wahre Kunstwerke.“

„Lassen Sie mich noch etwas zu den angebotenen Exkursionen sagen“ fügte er belehrend hinzu.
„Buchen Sie das überhaupt nicht, bzw. erst an Bord, wenn Sie tatsächlich keine Alternative sehen.
Nach den ersten Schritten in die neue Hafenstadt werden Sie ohnehin von Taxifahrern und Fremdenführern bedrängt. Aber Sie werden sehen, dass Sie selbst mündig genug sind, um in den wenigen Stunden das richtige zu machen.
Hier zeige ich Ihnen mal ein Foto von einem glücklichen Paar, das in Trapani gar nicht von Bord ging, sondern alles aus der Position des Whirlpools betrachtete.




Aber natürlich lohnt es sich, in Trapani an Land zu gehen.
Sehen Sie sich diese Fotos an:




Diese alten Gassen trifft man in vielen italienischen Hafenstädten. Dazu muss man nicht in einen Exkursionbus steigen, sondern das spaziert man sich privatim so dahin.


Dabei kann man auch solche Körbe entdecken, die unten z.B. vom Händler mit frischen Gemüse gefüllt werden und dann von oben bequem durch die Hausfrau hochgezogen werden.




Manch einer überlegt, ob er die Reise mit einem kleineren Boot fortsetzen sollte :-))



Interessant war für mich zu erfahren, dass der Betrieb des Spielcasinos nur auf offener See erlaubt ist. Im Hafen bleiben die vielen Automaten und die bekannten grünen Spieltische leer und verwaist.



"Wenn Sie mir die Freude machen, heute abend mit mir ins hiesige Casino zu gehen, möchte ich Sie gerne dazu einladen und wir setzen unsere maritime Plauderei morgen fort" sagte mein "Kreuzfahrer" und klappte seinen Laptop demonstrativ zu.
Wir tranken bei Andrea noch ein kleines Bier und verabredeten uns um 20:00 vor dem CASINO MEDITERRANEO.

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Text: Georg Herrmann
Images: Georg Herrmann
Editing: Georg Herrmann
Publication Date: 11-09-2012

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