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Mit Alois Tschirner von Dresden nach Zwickau



Das große Gebäude der Chursächsischen Postdirektion, im barocken Stil errichtet in der Zeit August des Starken mit den dahinter Hufeisenförmig angeordneten Unterstellmöglichkeiten für Postkutschen und Pferde, lag noch im nächtlichen Dunkel einer lauen Sommernacht im August des Jahres 1755, als im Osten der Dresdner Neustadt langsam das Morgengrau heraufzog. Erste Vögel fingen an zu zwitschern und in der Nachbarschaft bellte ein Hund. Zu dieser Zeit sah man fast keinen Menschen auf dem Vorplatz des Hauses, welches nur am Haupteingang mit der großen Freitreppe durch zwei Öllaternen erhellt wurde. Doch ging man durch die Hofeinfahrt unter dem Gebäude hindurch zu den Postkutschen, musste man feststellen, dass neben einigen Wagen eine brennende Laterne stand oder an der Decke hing. Einige Postkutscher bereiteten ihre Fahrzeuge für eine neue Tour vor. Darunter befand sich auch der großes Ansehen erreichende Alois Tschirner, ein kleiner rundlicher etwas korpulenter Mensch, der immer zu Späßen aufgelegt und sehr uneigennützig war. Im Moment wienerte er die Karosse für die Reisenden, denn es sollten keine Beschwerden kommen. Hier war er sehr pingelig. Innen waren die Sitze und Seiten grün gepolstert. Die Wagen bestanden aus dunklem Holz, wobei in der Mitte der Türen unter dem Fenster das Chursächsische Wappen und das Posthorn angebracht waren. Es sollte alles wie neu aussehen, obwohl er schon viele Meilen im sächsischen Hoheitsgebiet mit diesem Gefährt zurückgelegt hatte. Zu dieser frühen Stunde wurde kaum ein Wort gesprochen. Er überprüfte die Bremsen an den Hinterräder und fettete die Naben der Räder. Dann begutachtete er kurz seine Arbeit und zog seine Dienstkleidung an, bestehend aus schwarzen Stiefeln, hellgrauen Strümpfen, dunkler Hose bis zu den Knien, dunkler Jacke und schwarzen Dreispitz. Plötzlich stand ein Schreiber des Sekretarius vom Oberpostamtsdirektor neben ihm und meinte er solle sofort zu ihm kommen. Tschirner ist erst mal pass erstaunt, da er noch nie dort erscheinen sollte. Was hatte das zu bedeuten. Schnelle Sendungen wurden mit der Reit- oder Expresspost befördert. Sie benutzten den Eingang am Durchgang und stiegen die breiten Stufen zum zweiten Stock hinauf. Man wartete im Vorzimmer bis der Sekretarius, ein kleines schmales Männchen mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck und weißer Perücke, Alois angekündigt hatte. Darauf wurde er hereingebeten. Noch nie war er in diesen Räumlichkeiten, welche hoch, mit Stuck verziert und mit Regalen bis unter die Decke gesäumt waren. Die ersten Sonnenstrahlen durch das große Fenster erhellten das Zimmer. Hinter einem großen verzierten Schreibtisch kam ein imposanter Mann seines Alters hervor und übergab ihm ein Schreiben, welches unbedingt noch am heutigen Tag bei einer bestimmten Stelle in Freyberg abgegeben werden sollte. Dabei meinte dieser mit angenehmer Stimme,
"Tschirner, ich sehe sie heute zum ersten Male, aber ich habe schon viel Gutes von ihnen gehört, sie sind einer unserer besten Fahrer und immer einsatzbereit. Sie fahren heute die Route über Freyberg nach Zwickau. Ich bitte sie ausnahmsweise um einen dringenden Gefallen. Überbringen sie doch bitte dieses Schreiben, wenn sie in Freyberg ankommen, eiligst dem dortigen Stadtrat Kremler. ich wäre ihnen sehr zu Dank verbunden."
"Ja, aber wie komme ich zu dieser Ehre, verzeihen sie, ich verstehe nicht recht Herr Oberpostamtsdirektor."
"Fragen sie nicht so viel, es ist für mich und dem Hofe äußerst wichtig und sie sind mir der Vertrauenswürdigste."
Ehrfürchtig nahm er es entgegen, sagte, dass alles zu seiner Zufriedenheit ausgeführt würde, und zog sich zurück. Als er wieder im Hof war, schlug gerade die Glocke der Stadtkirche die siebente Morgenstunde. Nun hieß es sich sputen. Er rief den Pferdejungen, zog die Kutsche an der Deichsel heraus und ließ vier Pferde vorspannen. Wie die Kutsche, so sind auch die Kaltblüter als Zugpferde bestens gepflegt. Holte die Bündel mit den Briefen für Herzogswalde, Freyberg, Öderan, Chemnitz, Langenlungwitz und Zwickau. Nochmals überschaute er alles und schwang sich dann vorn auf den Bock, ließ die Peitsche knallen und fuhr durch den großen Durchgang und über den davor befindlichen Platz. jetzt flanierten schon einige Leute dort entlang. Frauen trugen bodenlange Röcke und hoch aufgetürmte Frisuren mit einem kleinen Hütchen. Er lenkte den Wagen vorüber und grüßte die Damen. Sein Ziel ist die Villa des Freiherrn von Birtitz, Oberleutnant eines Husarenregiments in der Dresdner Neustadt. Dieser möchte mit seiner Angetrauten nach Nürnberg und sie dort seinen Eltern vorstellen. Bald fährt er im Außenbereich der Stadt in einem Villenviertel durch das schmiedeeiserne Tor einen mit Bäumen gesäumten Weg entlang zur Freitreppe des barocken Hauses, welches im Schatten großer Bäume eines gepflegten Parks liegt. Ein Diener kommt nach dem Läuten und meldet seinem Herrn die Ankunft. Das Fräulein sei aber noch nicht ganz fertig. Da schleppt man erst einmal ihre schweren Kastenkoffer heran und lud sie hinten auf die Kutsche. Kurz darauf erscheint reisefertig, mit schwarzen Schuhen, weißen Strümpfen, dunkler Hose modisch bis zu den Knien und Rock sowie auf dem Kopf den mit einem goldfarbene Rand versehenen schwarzen Dreispitz, Freiherr von Birtitz. Hochgewachsen, schmal mit einem kantigen Gesicht überblicken seine graublauen Augen das Geschehen. Bald erscheint auch seine Verlobte Friederike, eine zierliche charmant aussehende kleine Persönlichkeit mit der Zofe Dora an ihrer Seite. Vom Alter her könnte man denken es wäre ihre Mutter. Friederike trägt trotz der steigenden Temperaturen eine Haube und wie die Mode es vorschreibt einen fast bodenlangen bestickten Rock. Einen Reifrock, wie er am Hofe und bei Bällen getragen wurde, war für die Kutsche nicht geeignet. Diese beiden stiegen als erste ein und dann folgte der Freiherr mit seinem Diener. Durch die voluminösen Kleider von Friederike wurde es sehr eng im Wagen. Aber als Alois Tschirner sah, dass alle untergebracht waren, schwang er sich auf seinen Bock, knallte die Peitsche und setzte sich in Bewegung. Auf gepflasterten


Wegen verließ man Dresden, fuhr auf der alten Franken- oder Reichsstraße, die von Bautzen kommt, Richtung Herzogswalde. Sie waren gesäumt von verschiedenen Obstbäumen oder hohen zum Himmel strebenden Pappeln. Die Fenster in den Türen ließ man aufgeklappt, da es schon am Vormittag mächtig warm wurde. Die breite Straße mit vielen Spurrillen schlängelte sich durch die Landschaft von der Elbe fort. Man passierte die kleinen Dörfer Wolfnitz, Gorbitz, Kesselsdorf und Grumbach. Noch befand man sich im Meißnerischen Kreis. Manchmal wird die Fahrt durch Schafherden, Enten oder quer umherlaufende Schweine aufgehalten. Außerdem stank es oft in den Dörfern nach Unrat und Mist. Fliegen und Ungeziefer waren hier Gang und Gebe. Tschirner wartete dann bis er Platz hat, anstatt mit lauter Stimme das Getier aufzuscheuchen. Durch die schon Wochen anhaltende Hitze sind viele Pflanzen verdorrt, da alles nach Wasser dürstet. So sah die Landschaft nur noch grau und trostlos aus. Bäche und Flüsse hatten kaum noch Wasser. Auf den Feldern ist die Kornernte in vollem Gange. Schnitter schwingen die Sense und die Frauen binden die Garben. Manchmal schallt ein Lachen herüber. Gegen halb elf vormittags ist man etwa in Herzogswalde. Hier genehmigt der Kutscher eine halbe Stunde Pause. Den Reisenden tut es gut dem engen Gefährt zu entfliehen und sich im Schatten eines großen alten Lindenbaumes vor dem Haus auf einer Bank frische Luft zu schnappen und die Beine zu strecken. Im Wagen war es wegen der Enge gar zu stickig. Im Haus stehen schon viele Boten der umliegenden Herrschaften und Güter und warten dringend auf die ankommende Post. Tschirner übergibt derweil die entsprechende Schreiben im Hause, welches ein alter Fachwerkbau ist. Dabei hält er mit dem Beamten einen kleinen Plausch und schlürft eine Tasse Milch. Man redet über dies und jenes und die neue Erhöhung der Steuern. Als die Kirchturmglocke elf schlägt, verabschiedet er sich, geht nach draußen und bittet die Reisenden zum Einsteigen. Während der Pause hatten sich Spielleute, die unterwegs waren, sich den Reisenden genähert und zeigten ihnen, was sie mit Fidel und anderen Instrumenten so konnten. Danach geht es weiter, man will schließlich mittags in Freyberg sein. Bis dort sind es noch weitere zwei Meilen. Immer öfter wechseln sich Wald und Felder ab und bald geht es nur noch durch Wald aufwärts. Kleine Dörfer wie Bettelgrund und Hütte durchquert man. Den Häusern sieht man die Ärmlichkeit an. Da ist kein Geld zu holen. Die Pferde ziehen im gleichmäßigen Tempo und man kommt gut voran. Danach kommt man durch die Kleinstadt Schöna, welche man schon am Kirchturm von weitem erkannte und Naundorf. Freyberg ist nun nicht mehr weit und pünktlich holpert man über das Pflaster zwischen den reichen Bürgerhäusern entlang und hält vor dem großen Gasthof. Die Reisenden können endlich mal wieder der Enge entfliehen. Tschirner lenkt das Gefährt in den Hof und versorgt danach die Pferde. Während sich Friederike und der Herr von Birtitz es sich mit der Dienerschaft im Zimmer für Reisende bequem machen, sucht Tschirner den Stadtrat Kremler im Rathaus wegen dem wichtigen Schreiben auf, aber er findet ihn nicht. Vom Sekretarius erfährt er, dass er am Morgen zu verschiedenen Bergwerken in der Umgegend aufgebrochen sei und erst spät abends zurückkommen werde. Es ging um eine Neuerung im Wasserregal des Gebietes. Diese Nachricht gibt ihm zu denken, schließlich musste er den Postfahrplan einhalten und konnte deswegen nicht die verschiedensten Gruben abklappern. Da musste eine andere Lösung gefunden werden. Eine verzwickte Sache.
"Ist denn der Herr Bürgermeister nicht da, es ist wirklich dringend."
"Nein, der ist auch außer Haus und speist zu Mittag", bekam er vom Sekretarius zu hören,


kaum dass er vom Papier aufblickte.
"Ja, wo denn", Tschirner wurde langsam unruhig, dass er hier so abgespeist wurde, fand er mehr als unverständlich.
"In der Posthalterei am Markt", bekam er halb genuschelt als Antwort.
Warum nicht gleich so, er bedankte sich und ging. Zurück in der Posthalterei betrat er die Gaststube, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Zu dieser Zeit war sie sehr voll, denn viele Beamte und Leute die etwas zu sagen hatten, nahmen hier ihr Mittag ein. Den Wirt fragte er, wer denn der Bürgermeister sei, der zeigte nur zu einem bestimmten Tisch in einer Ecke. Tschirner begab sich schnell dorthin und wurde endlich das besagte Schreiben los mit der dringenden Bitte es Stadtrat Kremler persönlich zu übergeben. Trotzdem behielt er ein ungutes Gefühl, konnte er sich darauf verlassen, dass das Schreiben tatsächlich in die richtigen Hände gelangte. Die obligatorische Mittagsstunde war fast um und er hatte selber noch nichts zu sich genommen, darum begab er sich schnell in die Küche hinunter und schlang den Brei, dem man ihm vorstellte herunter. Die Turmuhr hatte schon längst vierzehn Uhr geschlagen, da begab er sich zu seiner Reisegesellschaft und bat sie einzusteigen. Die war wieder frisch gestärkt und munter. Das Einsteigen dauerte immer eine Weile bis alle untergebracht waren. Nun hatte man eine ansehnliche Strecke vor sich, denn bis Chemnitz sind es vier Meilen. Aber bis zum Abend sollten die zu schaffen sein. Zunächst fährt man durch die Stadt mit den reich verzierten Bürgerhäusern, da sah man welch einträgliches Geschäft mit dem Bergbau zu machen war. Die Räder der Kutsche holpern über das Pflaster von Freyberg und jede Unebenheit merkt man trotz der Polsterung. Da hatte es der König weit besser, denn seine Kutschen hatten einen zwischen den Federn frei schwingendes Gehäuse für die Reisenden, doch für lange Strecken waren die nicht geeignet. Nachdem man die Stadt hinter sich gelassen hatte, fährt man weiter auf der alten Frankenstraße. Langholz liegt am Rande des Weges, der von Hochwald gesäumt ist und wird sicherlich irgendwann einmal im Bergbau verwendet werden. Friederike schaut aus dem Fenster und lässt ihrer Phantasie freien Lauf, wenn sie den dichten Wald sieht. Irgendwo im Dickicht wird Holz geschlagen, denn man hört die Axtschläge. Viel belaufene Pfade ziehen sich zwischen den Stämmen des Hochwalds entlang. Schon bevor man nach Freyberg kam, befand man sich im Erzgebirgskreis. Bis zum Böhmischen war es nicht weit. in den Tälern sieht man Wassermühlen und kommt an Teichen für die Wasserhaltung des Bergbaus vorbei. Bald lichtet sich der Wald und die Straße schlängelt sich hinunter nach Chemnitz. manchmal kommen ihnen Kutschen oder mit Ochsen oder Pferden bespannte Frachtwagen entgegen. man fährt noch durch die Ortschaften wie Freybergsdorf, Kloster Schirme, wo eine Prozession von Mönchen am Wege entlang schreitet, Schöna, Öderan mit kurzem Halt für die Briefübergabe, Guckelsberg, das Örtchen Flöha und Wiese. Hinter sich lassen sie die Höhen des Erzgebirges. Noch bevor die Glocke der Stadtkirche zur achten Abendstunde schlägt, passiert man das Stadttor und fährt bis zur Posthalterei, einem alten großen Gasthof aus Fachwerk mit guten Übernachtungsmöglichkeiten. Hier sollte angemerkt werden, dass Postillione laut Vorschrift vor jedem Stadttor das Signal mit dem Posthorn geben mussten.
Am Eingang des Gasthofes begrüßt sie der Wirt höchstpersönlich und schwärmt über die


Annehmlichkeiten, welche sie in seinem Hause erwarten. Tschirner fährt die Postkutsche in den Hof und spannt die Pferde aus, sie haben für den heutigen Tag ihren Dienst geleistet. Aber zuerst wird die Reisegesellschaft in ein Jagdzimmer, an den mit Seidentapeten verzierten Wänden sind Geweihe und Gehörne von Damwild Trophäen, geleitet. Bequeme Stühle und Sofas laden zum Ausruhen ein. Die Körper sind arg mitgenommen durch das stundenlange Fahren in der prallen Sonne. Aber hinter den dicken Wänden des Hauses ist es viel angenehmer und kühler als im Wagen. Nach einer Weile bringt man ein reichhaltiges Abendbrot mit allerhand Schmeckerlie. Friederike hat keinen richtigen Appetit und stochert nur herum und mäkelt. Zofe und Diener können sich erst zurückziehen, wenn sie genau wissen, dass ihre Herrschaften bestens versorgt sind. Sie nehmen ihre Speise, die lange nicht so opulent ausfällt, in einem karg eingerichteten Nebenzimmer ein. Der Tag zollt bei Friederike seinen Tribut, denn sie wird müde und möchte auf ihr Zimmer gebracht werden. Der Wirt leitet sie samt Zofe die Treppe hinauf in das geräumige Gemach. Ein großes Bett mit einem gewaltigen Federbett, an der einen Seite und ein Waschtisch mit Waschschüssel und Krug aus Porzellan sowie an der Wand befindlichem großen Spiegel an der anderen Seite, füllen das Zimmer aus. Nicht unerwähnt soll der wuchtige Kleiderschrank neben der Eingangstür sein. Zwei Fenster lassen den Blick auf einen Platz und über die Dächer von Chemnitz schweifen. An den Wänden befinden sich Halterungen für Kerzen, die alle angezündet sind und ein warmes Licht verbreiten. Zofe Dora ist Friederike beim Entkleiden behilflich. Am schwierigsten ist es mit dem Korsett. Nach dem Entfernen reibt sie sie mit einer Hautsalbe ein, zieht ihr das Nachtgewand an, lässt die Kerzen löschen und wünscht ihr eine gute Nacht. Der Herr von Birtitz wandelt noch mit seinem Diener in einem kleinen Park hinter dem Haus und bespricht so manche Sachen. Erst als es dunkel ist und sich der Sternenhimmel über Chemnitz wölbt, begibt auch er sich auf sein Zimmer, welches zwar auf dem gleichen Flur, aber auf der anderen Seite liegt. Nur wenige Öllaternen an Häusern oder Hauseingängen erhellen begrenzt die Dunkelheit. Der Nachtwächter der Stadt zündet sie an und löscht sie.
Am nächsten Morgen ist Friederike gar nicht nach Aufstehen zu mute. Lieber möchte sie unter dem dicken Federbett liegen bleiben. Aber Zofe Dora, früh aufgestanden und munter, kennt kein Erbarmen. Sie zieht die Vorhänge beiseite und öffnet die Fenster. Sonnenlicht und der Lärm vom Marktplatz schwellen herein. Das passte Friederike gar nicht.
"Dora, was machen sie da, es ist so hell, ich kann gar nichts mehr sehen. Machen sie sofort die Vorhänge wieder zu", kommt es barsch vom Bett her.
"Immer mit der Ruhe mein Kind, wenn wir heute Abend in Zwickau ankommen wollen, muss sich die junge Dame langsam aus den Federn heben.
"Nennen sie mich nicht mein Kind, das bin ich nicht mehr und ihres schon gar nicht. Wie oft soll ich ihnen das noch sagen", kam es trotzig zurück.
Nur missmutig tat sie den Gefallen und dribbelte über die Dielen zur Waschkommode worauf sie dann in den Spiegel schaute. Ihr von langen Haaren umrahmtes Gesicht gefiel ihr nicht. Da waren Flecken und da rote Pickel. Am liebsten wäre sie zurück nach Dresden gefahren. Nachdem Dora ihr das Nachtgewand entfernt hatte, benetzte Friederike mit etwas


lauwarmem Wasser ihr Gesicht. Damit war die Morgenwäsche erledigt. Das Ankleiden und die Haare aufstecken war Doras Aufgabe. Das Antlitz wurde gepudert, damit die Haut hell und untadelig aussah. Der Herr von Birtitz machte da kein langes Federlesen, ging zum Brunnen hinab und wusch sich dort mit kaltem Wasser und rasierte sich im Zimmer. Danach sah für ihn die Welt anders aus, kleidete sich an, ging ins Speisezimmer und setzte sich an den gedeckten Tisch. Sein Diener reichte ihm Kaffee oder Milch. Brot und Kuchen dufteten verführerisch.
In der Zwischenzeit war Alois Tschirner in vollem Gange und spannte zwei Paar frische Pferde vor. Schaute nach dem Hinterrad warum es so quietschte. Die genaue Ursache konnte er auf die Schnelle nicht entdecken. Ansonsten war alles in Ordnung.
Nun kam auch Friederike mit ihrer Zofe herunter und nahmen im Speisezimmer für die Reisenden Platz. Bernhard von Birtitz empfing sie mit vielen Komplimenten. Da waren schnell der Ärger von vorhin verflogen und sie fühlte sich sichtlich wieder wohl. So kam zwischen den beiden schnell eine muntere Plauderei in Gang. Bernhard wusste eben, wie man Frauenzimmer zu nehmen hatte. Zofe und Diener waren im Hintergrund immer zugegen. Kurz schaute der Postkutscher herein und teilte mit, wann man ungefähr aufbrechen wollte. man frühstückte in Ruhe und machte sich dann zur Abreise fertig. Überschwänglich verabschiedete sie der dicke Wirt und wünschte eine gute Weiterreise. Die von einem wolkenlosen Firmament herab scheinende Sonne versprach einen heißen Tag. Doch noch halten sich die Temperaturen in Grenzen. Mit einem Peitschenknall setzt Alois Tschirner das Gefährt in Bewegung. . Schon jetzt ist auf dem Marktplatz und den Straßen von Chemnitz viel Betrieb. Menschen aller Alters- und Rangschichten sieht man.
Zunächst kommt man an den schmucken Bürgerhäusern der Innenstadt entlang, doch außerhalb der Stadtmauer ändert sich das Bild. Alte fast zerfallene Bruchbuden stehen abseits des Weges mit viel Unrat und Gestank und doch leben Menschen dort. Eine Distanzsäule weißt den weiteren Weg. Bis zum nächsten Halt in Langenlungwitz sind es zwei Meilen, also ungefähr zwei Stunden Fahrzeit. Da man fast pünktlich gegen acht Uhr abgefahren ist, könnte man gegen zehn Uhr in Langenlungwitz sein. Tschirner kommt gut voran. Ein Stück hinter Chemnitz muss er links abbiegen, geradeaus geht es nach Erfurt. man durchquert kleine Bauerndörfer wie Capel, Schöna, Neustadt, Höckricht, Samar, Reichenbrand und Mittelbach. Auch hier sind an Bächen Wassermühlen oder auf Hügeln Windmühlen zu sehen.
Die Reisenden betrachten zwischen Gesprächen die Landschaft und haben viel zu lachen. Wo keine Brücken sind, quert man eine Furt. Da aber fast kein Wasser mehr in Bächen oder Flüssen ist, ist es ein Leichtes dort hindurchzufahren. Häufig sieht man hochbeladene Ackerbauernwagen, die die Kornernte einbringen.
In Langenlungwitz macht man eine halbe Stunde Pause und wer möchte, kann aussteigen und sich die Beine vertreten. Das Angebot wird gern angenommen, denn jede Minute ist kostbar der Enge des Wagens den Rücken zu kehren. Alois Tschirner organisiert auch frische Getränke, welche gerne verkostet werden. Seine wichtigste Aufgabe ist aber das Überbringen


der für den Ort und deren Umgebung bestimmten Post. Auch hier stehen die Boten schon Schlange, um sie zu empfangen.
Langsam erscheinen hoch am Himmel Schleierwolken, welche nach der Erkenntnis der Bauern eine Wetterveränderung ankündigen. Der Postkutscher macht sich so seine Gedanken während er den Schweiß von der Stirn tupft. Herr von Birtitz scheint sie zu lesen und fragt ihn ob sich eine Änderung ankündigt. Die Antwort ist vielsagend. Er solle sich keine Sorgen machen, heute noch nicht, aber vielleicht in den nächsten Tagen. Die Zeit ist um und man zwängt sich wieder in den Wagen, um die restlichen zwei Meilen bis Zwickau zu absolvieren. Nun befindet man sich auf dem Gebiet der Schönburgischen Herrschaft. Diese vielen Grenzen gefallen Alois und anderen Kutschern so gar nicht. Kann man nicht mal von A nach B fahren ohne Zollstellen zu passieren. Beim Kurfürsten scheint das noch nicht angekommen zu sein. Für diese und jene Fürsten ist nur ihr Besitztum wichtig. Aber schnell schiebt er diese Gedanken beiseite, denn sie ändern nichts. In den Schenken sprach man mehr und mehr von einem kommenden Krieg. Das Volk wurde immer unmutiger über die Zustände und Gesetze zwischen Preußen und Wien. Frankreich, England und Russland spielten mit gezinkten Karten. Im fernen Amerika gab es Schwierigkeiten mit den Indianern, wo sich Europa auch einmischte. Für den kleinen Postillion Tschirner ein Strick mit vielen Knoten. Die Landschaft war abwechslungsreich, bewaldet und hügelig mit Feldern dazwischen. Auch hier waren die Poststraßen von Zörner mit Viertel-, Halb- und Ganzmeilensäulen markiert. Zwischen den Hügeln lagen die Ortschaften Bernsdorf, Lichtenstein und Langen Mutzen. Die Glocke der Zwickauer Kirchturmuhr schlug eins, als man in die Bergarbeiterstadt einrollte. Vor der Posthalterei mit großen Laubbäumen davor, ließ er seine Reisegesellschaft aussteigen und verabschiedete sich von ihr. Hier endete seine Route. Ein Knecht half ihm beim Abladen der Kastenkoffer und anderer Sachen der Reisegesellschaft und stellte sie im Haus unter. Diese mussten auf die Chursächsische Kutsche von Leipzig nach Hof warten. Sie sollte im Laufe des Tages ankommen. Das war immer so eine Sache mit dem Umsteigen, die Anschlusskutsche kam selten pünktlich. Aber Friederike und der Herr von Birtitz wurden in der Zwischenzeit gut beköstigt. Alois Tschirner nahm eine neue Reisegesellschaft, bestehend aus zwei Advokaten und ihre Schreiber entgegen, welche nach Dresden wollten. aber vorher reinigte er den Wagen säuberlichst.
Die Zofe begab sich nach einer Mittagsruhe mit Friederike zu einem Schlenker über den Gemüsemarkt. Hier war immer etwas los, zwischen den Marktfrauen und Kundinnen huschten Kinder umher, stahlen hier mal und dort Obst und Gemüse. Öfters hörte man dann mal ein lautes Wort über dieses Treiben. Wehe jemand von den Marktfrauen erwischte einen, dann konnte es schon mal vorkommen, dass es schmerzhafte Hiebe gab.
An einer Distanzsäule umringte ein Pulk von Menschen einen Mann, der auf einer Leiter stand und irgendwelche Pülverchen anpries, welche gegen verschiedene Leiden wichtig wären. Es hagelte Fragen und Einwürfe von den Leuten. Das war was für Zofe Dora und sie


begab sich mit Friederike auch dorthin. Aber diese hatte nicht mit dem Widerstand ihrer Herrin gerechnet, denn dieser wurde es durch die drückende Schwüle am Nachmittag immer ungemütlicher. Sie wollte lieber in das kühle Zimmer der Posthalterei zurück. Der Himmel hatte sich mit Schleierwolken bedeckt und die Sonne sah man nur noch als milchigen Punkt. Bevor sie das Haus betraten, fragte Dora ihre Herrin, ob es ihr lieb wäre ein Vollbad zu nehmen. Diese bejahte und nachdem Dora sie auf ihr Zimmer gebracht hatte, ging sie zum Bader in eine Nebenstraße. und trug ihm auf einen Extrabottich für ihre Herrin zu machen, sie wünsche nach langer Fahrt ein Vollbad zu nehmen.
Zurück in der Posthalterei war das befürchtete eingetreten, denn die Kutsche aus Leipzig war noch nicht da. Erst am späten Abend, als die Laternen in der Stadt schon brannten, rollte die Kutsche an der Posthalterei vor. Die Leipziger Reisegesellschaft war sichtlich geschafft. Der Postkutscher berichtete von einem Malheur unterwegs. Sie wurden tätlich angegriffen und ein Rad hatte sich noch selbständig gemacht.
Um diese Zeit genoss Friederike das heiße Vollbad im Badehaus. Ihr Körper sehnte sich nach dieser Erholung. Ein Masseur rieb ihr danach mit duftenden Ölen diesen ein. Sie fühlte sich wie neu geboren. Im Zimmer der Posthalterei schlief es sich in dem wohligen Bett nochmal so gut.

Von Zwickau nach Hof mit Eggebrecht



Die Gaststube in der Posthalterei war brechend voll und über allem lag ein kaum verständliches Stimmengewirr. Bergarbeiter und Bauern kamen zu dieser Stunde vorbei, um kurz noch einen Umtrunk zu sich zu nehmen. Mancher mutete sich zu viel zu und bald lag sein Kopf auf dem Tisch und schnarchte seinen Rausch aus. Auch um den Tresen standen einige und diskutierten heftig. Der Alkohol tat auch hier seins. Aus sanften Gemütern wurden Hitzköpfe. Das sah sich ein großer kräftiger Mann mit zerfurchtem Gesicht, stechenden Augen und Schulterlangen Haaren unter dem Dreispitz an, der zwischen Tür und Tresen stand. Im Gesicht trug er einen gewaltigen Schnauzer. Der Uniform nach war er von der Chursächsischen Post. Es war tatsächlich der Kutscher, der zu spät erschienenen Postkutsche von Leipzig. Man kannte ihn nur unter Eggebrecht, sein Nachname war wenigen bekannt und über seine Herkunft munkelte man viel. Früher soll er ein stattliches Anwesen besessen haben, aber das war lange her. Er war ein stiller Typ, war sich aber für keine Arbeit zu schade und half gern. Einige Branntwein füllten schon seinen Magen und er wusste genau, wann das kritische Pensum erreicht war. Darum betrachtete er genau das Geschehen und sah voraus, dass es bestimmt noch eine Schlägerei geben würde. Da war es besser nicht in das Räderwerk zu geraten. Wie recht er hatte, zeigte der spätere Tumult, wo die Stadtwache noch eingreifen musste. Vor Auseinandersetzungen hatte er keine Angst, doch wenn er einmal zuschlug, wuchs so schnell kein "Gras" wieder. Außerdem nahm ihn die Müdigkeit ein, denn der Tag war verdammt lang.
In seiner Kammer überdachte er so manches und schlief dann Traumlos ein. Am anderen Morgen reichte ein Eimer kaltes Wasser, den er sich am Brunnen über den nackten Körper goss, um munter zu werden. Noch ehe die Sonne über den Horizont kroch, stand er bei den Pferden und versorgte sie. Bald verschwand sie hinter Schleierwolken. In Zwickau wurde es langsam lebendig. Hunde bellten, Hähne krähten, Ziegen meckerten und Spatzen zankten sich in der Luft. Aber Eggebrecht nahm die Kutsche unter Augenschein und stellte fest, dass er wegen der Achse schnell zu einem Schmied vorbeischauen sollte. Sofort spannte er zwei Paar frische Pferde an und ging zum Schmied in der Nähe des Marktplatzes. Statt sich auf den Bock zu setzen, führte er die Pferde am Zügel. Gestern hatte er Rad und Achse nur notdürftig geflickt. Der Schmied bearbeitete gerade ein Stück glühendes Eisen auf dem Amboss.
"Holla, darf man schon am frühen Morgen den Meister stören, ich habe eine dringende Sache", rief Eggebrecht in das laute Hämmern. Der Schmied schaute verdutzt auf und wendete sich ihm zu.
"Kann er sich mal die Vorderachse und das rechte Rad ansehen, wir hatten gestern bei Altenburg ein Malheur und das Rad löste sich."
Der Schmied, klein und kräftig, ging neben Eggebrecht nach draußen und beschaute sich die angesprochenen Dinge an der Kutsche an. Was er sah, war gar nicht gut. Das Rad lief ohne Spundnagel und die Achse, angebrochen, tat bestimmt nicht mehr lange seinen Dienst. Der Kutscher fragte, ob er das in zwei Stunden hin bekam. Ohne eine Mine zu verziehen meinte der Schmied, also vor heute Abend ist da nicht dran zu denken. Eggebrecht wollte schon eine saftige Entgegnung ihn an den Kopf schleudern, doch der war schneller und war mit der Zeit einverstanden und so begab sich Eggebrecht wieder zur Posthalterei und stattete der Küchenmamsel in ihrem Bereich einen Besuch ab. Sie hantierte gerade an der rußgeschwärzten Ofenstelle und bereitete das Frühstück. An den Wänden hingen viele Kochutensilien. Von hinten trat er an sie heran und fasste sie um die runden Hüften. Erschrocken drehte sie sich herum.
"Eggebrecht, dass ist wunderbar, dass sie mal wieder vorbeischauen", sagte sie hocherfreut und schlang ihre Arme um seinen Nacken.
"Schon öfters musste ich an sie denken."
"Ja?, was denn, es passiert so viel, da habe ich wenig Zeit mir Gedanken zu machen", küsste sie auf die Wange, worauf sie rot anlief und fragte gleich, ob das Frühstück nicht schon fertig wäre. Verdattert drehte sie sich um und stotterte etwas. Dann setzte sie ihm eine Schüssel mit Grießbrei und süßen gekochten Pflaumen vor.
"Ich habe sie extra von den Herrschaften abgezwackt, die mögen sie doch so gerne", meinte sie.
"Ursel, du wirst immer schöner, wie machen sie das nur?", erwiderte er als Kompliment zu ihr. Doch ehe sie etwas sagen konnte, kam der Wirt die Steintreppe herunter und fragte, wo denn das Frühstücksgedeck für die Reisenden bleibe. Es wäre langsam Zeit, die Gäste würden nicht gern warten.
Um den Kutscher konnte sie sich nun nicht mehr kümmern. Alles musste jetzt schnell gehen. Eggebrecht ging als er fertig war zum Schmied, um zu schauen, wie weit er sei. Der brachte gerade die neue Achse an, verspundete das Rad neu, einige Minuten später konnte er die Kutsche mitnehmen, nachdem er freilich dem Schmied seinen Lohn für die schnelle Arbeit übergeben hatte. So stand er pünktlich vor der Posthalterei. Aber Friederike und Bernhard Freiherr von Birtitz waren noch gar nicht fertig als er hereinschaute. Es dauerte noch eine Weile, ehe die Reisenden die Außentreppe herunterkamen und in die Kutsche stiegen. Eggebrecht schwang sich auf den Bock, grüßte zum Wirt hin und gab mit einem Hü die Fahrt frei. nach dem Schönburgischen Herrschaftsbereich durchquerte man nochmal ein Stück Erzgebirgskreis. Das Wetter war aber noch diesiger und schwüler geworden. Vögel zwitscherten kaum noch aber der Flug von Mücken hatte stark zugenommen und bis Reichenbach waren es noch zwei Meilen. Dort machte man nur kurz Rast und übergab die bestimmte Post. nun kam man in den Voigländischen Kreis. Die Landschaft wurde noch hügeliger und bergiger. Heiße Winde ließen die Bäume rauschen und wirbelten mächtig Staub auf. Auf manchen Höhen standen Burgen, Schlösser oder ihre Überreste. Bald kam man durch Limbach und Herlesgrün, kleine Ackerbauerndörfer. Oftmals lief auch hier irgendwelches Hofgetier auf der Straße herum. Hinter Neudörfel sah man am Horizont, dass sich Wolken aufbauten. Der Kutscher bekam das natürlich als erster mit. Doch die Pferde waren schon seit dem Morgen unruhig und ließen sich nur schwer Händeln. Als nächstes kam man durch den kleinen Ort Pöln. Hernach fuhr man in das Tal der Trieb hinunter und auf der anderen Seite steil nach Meschwitz hinauf. Auf diesem Stück mussten die Pferde ihr Äußerstes geben. Darum stieg Eggebrecht lieber ab und führte die Pferde am Zügel. Ihm war es, als hörte er fernes Donnergrollen. Da man aber gerade durch dichten Wald fuhr, konnte man schlecht sehen, was sich am Himmel abspielte. Erst als man die Höhe erklommen und den Wald hinter sich gelassen hatte, sah man, wie sich die Lage entwickelte. Rechts von sich sah Eggebrecht eine bedrohlich dunkle Wolkenwand über die Berge heraufziehen. Der Horizont war kaum noch zu erkennen. Als Friederike kurz aus dem Fenster schaute und mitbekam, was auf sie zukam, bekam sie einen gewaltigen Schreck und lehnte ihren Kopf an die Schulter Doras, denn sie hatte mächtige Angst vor Blitz und Donner.
Kurz darauf hielt Eggebrecht an, stieg vom Bock und bat die Reisenden die Fenster zu schließen, da ein Unwetter heraufziehe. Die schweren Kastenkoffer sicherte er extra mit Stricken und Regenplane. Das Grummeln wurde immer lauter und in der Ferne zuckte ein gezackter Blitz zur Erde. Nachdem der Kutscher wieder aufgestiegen war, zog auch er seinen Regenumhang hervor, denn ihm schwante nichts Gutes. Plötzlich hatte sich ein böiger Wind aufgemacht, der Eggebrecht voll ins Gesicht blies. Die Bäume bogen sich vor dem Sturm und die Donnerschläge wurden lauter. Zur Mittagszeit wollten sie in Plauen sein. Sollte er im nächsten Dorf, Meschwitz, halt machen oder versuchen durchzukommen und mit Verspätung Plauen ansteuern.
Ein Blitz, grell mit einem gewaltigen Donnerschlag, welcher neben dem Wagen in einen Straßenbaum fuhr, machte alle Überlegungen überflüssig. Die Pferde bäumten sich auf und gingen rasant durch. Ehe der Kutscher sich versah, waren ihm die Zügel aus der Hand gerissen und die Kutsche wurde ein Spielball der dahinrasenden Pferde. Durch Meschwitz ging es mit einem Höllentempo. Normalerweise hatte er ein sehr schnelles Reaktionsvermögen, aber hier wurde er regelrecht überrumpelt. Trotz, dass die Hinterräder blockierten, die Bremsbacken konnte er gerade noch straff anziehen, jagte man über das Pflaster und durch Sand. Vier Pferde hatten eben viel Kraft. Der böige Wind wurde zum Sturm und die ersten schweren Regentropfen fielen. Der Himmel war nun insgesamt bedeckt, alles sah grau, dunkel und trostlos aus. Ein dichter Regenschleier kam immer näher.
Friederike bebte am ganzen Körper, schrie und hielt sich die Ohren zu. Bernhard hatte sie noch nie so erlebt un wollte auf sie einreden, doch der Regen trommelte so auf das Dach, dass man kein Wort mehr verstand. Wie konnte man nur vor Blitz und Donner eine solche Angst zeigen. Frauenzimmer waren halt unverständlich. Des Weiteren wurden alle dermaßen durcheinandergeschüttelt bei dem nicht enden wollenden Tempo. Der nächste Ort war Grischwitz, doch vorher hatte sie der Hagel erreicht. Mit unerwarteter Heftigkeit stürzte er hernieder. So schnell konnte der ausgetrocknete Boden die vielen Wassermassen gar nicht aufnehmen. Aus Wasserlachen wurden Seen und aus Rinnsalen reißende Ströme. Ringsum war nur ein tobendes Inferno. Wie Geschosse trafen Eggebrecht die Hagelkörner ins Gesicht. Wenn er doch nur seinen Untersatz zum Stehen bringen könnte. Im nächsten Ort musste er unbedingt anhalten, aber selber konnte er das kaum bewerkstelligen. Wenn, ja wenn keine Hilfe kommt, sieht es schlimm aus. Aber zunächst jagte man durch Wasser und Schlamm und dann spritzten ihn die dahineilenden Pferde selber voll. Der Regen und Hagel waren so dicht, dass man fast keine Elle weit sehen konnte. Die Zügel schleiften immer noch am Boden und eine Möglichkeit in der jetzigen Situation schien undenkbar, sie wieder hoch zu bekommen. Noch schlechter wurde die Lage durch heruntergespülten Schlamm und Geröll von den Feldern. Kurz vor dem Ort hatten die Wassermassen einen mit Stroh beladenen Wagen umgekippt und die ganze Fuhre lag im Schlamm. So schlimm hatte es Eggebrecht noch nicht erlebt. In Grischwitz liefen die Männer in hüfthohem Wasser umher, um zu retten was zu retten ist. Dort bedrängten Geröll und Schlammflut vom alten Burgberg den Ort. Der sonst so ruhige kleine Friesenbach, welcher kurz vor dem Ort die Straße querte, war ein wildes reißendes Gewässer geworden und riss alles mit, was im Wege war. Die Furt war unpassierbar durch die tosende Flut, die der nahen Weißen Elster zustrebte. Dieser Stelle eilte mit unverminderten Tempo und noch abwärts Eggebrecht mit seiner Kutsche entgegen. Die Reisenden ahnten davon nichts. Plötzlich blieb der Wagen unvermittelt stehen. Die Pferde scheuten vor dem gefährlichen Wasser. Endlich kein Rütteln und Schütteln mehr, nur das Unwetter tobte nach wie vor. Bernhard wollte die Ruhe nicht wahrhaben und schaute aus dem Fenster auf den umgeworfenen Wagen. Er fragte Eggebrecht warum sie standen, die Antwort war kurz und knapp, denn die Pferde würden nicht durch die Furt kommen so wie sie jetzt war. Sie mussten also warten, bis der Wasserstand gesunken war. Das konnte dauern. Eggebrecht stieg ab, stand fast im Kniehohen Wasser und bemächtigte sich wieder der Zügel, welche er in der erdbraunen Brühe ertastete. So geriet der ganze Fahrplan durcheinander. An Aussteigen war nicht zu denken. Friederike hätte sich gern in die äußerste Ecke der Kutsche verkrochen, doch das war leider unmöglich bei der Enge. Sie war nervlich und körperlich fix und fertig. Zofe Dora versuchte das Beste, aber bei diesen Zuständen war an Ruhe nicht zu denken. So musste man sich in das Unvermeidliche fügen und ausharren. Erst gegen nachmittag verließ die Unwetterfront den Schauplatz. Es dauerte noch eine Weile, bis der Wasserstand in der Furt gesunken war und die Fließgeschwindigkeit es erlaubte, dass die Pferde mit gutem Zureden von Eggebrecht, den Friesenbach querten und man bis zur Mitte des Ortes fuhr. Dort lenkte er die Kutsche auf festeren Untergrund außerhalb des vielen Schlammes.
Eggebrecht merkte erst jetzt wie sein Gesicht vom Hagelschlag brannte. Mit der Hand fuhr er kurz darüber und hatte sie voller Blut. An vielen Stellen war seine Gesichtshaut aufgerissen. Sein Dreispitz war irgendwo auch verloren gegangen. Die Tür der äußerst verdreckten Karosse ging auf und von Birtitz und sein Diener kamen heraus. Sie hatten bisher alles einigermaßen überstanden. Er geleitete auch seine Angetraute die Stufen herunter und man führte sie zusammen mit Dora in eine kleine Kirche und bettete sie in der Nähe des Altars auf Stroh und Heu. Solch eine Unterlage hätte sie normalerweise abgelehnt, doch sie bekam ja kaum mit, was um sie geschah. Mit Beruhigungsmitteln versuchte Dora sie zum Einschlafen zu bringen, damit sich ihr Körper entspannen konnte. Doch es dauerte lange, ehe sie ihr den Gefallen tat. Die Versorgung von Eggebrecht ging schneller vonstatten, obwohl er mächtig die Zähne zusammenbeißen musste bei der Behandlung der Wunden. Eigentlich tat ihm sein ganzer Körper weh, denn er war ja dem Trommelfeuer des Hagels und des Sturms voll ausgesetzt. Dann schaute er nach den Pferden, wie es denen ging und brachte ihnen noch etwas Hafer, was ein Bauer entbehren konnte. Sie standen jetzt etwas abseits der Kirche und grasten. Die Zeit war vergangen und es ging auf den Abend zu. Am Himmel waren nur noch lockere Wolken zu sehen und auch die Luft war endlich angenehmer. Die Straße im Ort war wieder weitestgehend frei, doch wie sah es in Richtung Plauen aus. Als der Nachthimmel sich ausbreitete, saß man in einer winzigen Schenke zusammen, nachdem man ihren Boden von Schlamm befreit hatte. Bei den Gesprächen handelte es sich überwiegend über die letzten Stunden des Tages und das Unwetter sowie die daraus folgenden Schäden. Auch der Kutscher war unter den Zechenden. Als die letzten gegangen waren, fragte er den Wirt, wo er denn die Nacht verbringen könnte. Dieser bot ihm seinen Dachboden an und so machte es sich Eggebrecht im Stroh bequem so gut es ging. Bei Freiherr von Birtitz war das etwas anders, der nahm vorlieb mit einem Treppenstein vor der Kirche, gepolstert mit seinem Mantel. Das man in so eine Situation kommen könnte, damit hatte er nicht gerechnet. Das war ja fast wie im freien Feld mit seiner Truppe. Sollte es regnen, war er etwas geschützt durch das Vordach des Eingangs der Kirche. Er hatte schon einige kriegerische Auseinandersetzungen mitgemacht. Immer zum Wohle des Fürsten von Sachsen und Königs von Polen. Selbst unter August dem Starken, den er innerlich bewunderte, war er schon dabei. Sein Ursprung lag in einem Rittergut in der Nähe von Dresden. Als er eingezogen wurde, machte er schnell Karriere. Er merkte rasch, dass er für diesen Dienst wie geschaffen war.
Am nächsten Morgen bekam Dora einen tollen Schreck, als sie aus der Kirche trat und fast über von Birtitz stolperte. Der wandelte noch in süßen Träumen und war genauso verdutzt, als er aus diesen gerissen wurde. Eine goldene Sonne leuchtete über der gezeichneten Landschaft. Im Dorf war man schon wieder dabei die Schäden des gestrigen Tages zu beseitigen. Als Eggebrecht gerade seine Milch schlürfte, kam ein ziemlich verdreckter Bauer mit Bart und zerzausten Haaren in die Schenke und berichtete, dass er einen Ausritt in die Umgebung gemacht hätte und sah, dass ein Durchkommen nach Plauen mit der Kutsche oder anderen Wagen noch nicht möglich sei, da die Straße an einigen Stellen mächtig unterspült wäre. Also noch einige Stunden ausharren ging es dem Kutscher durch den Kopf. Friederike wachte erst im laufe des Tages auf und schien auf dem Wege der Besserung zu sein. Ihre Zofe sorgte dafür, dass sie einen kräftigenden und stärkenden Trunk aus Geflügelbrühe bekam. Die brachte sie vollends wieder auf die Beine und Friederike war die alte. Die Erinnerung an den gestrigen Tag wollte sie nicht hochkommen lassen. Aber die Landgerüche brachten sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Statt in einem Bett, hatte sie in einer Kirche übernachtet, sie konnte es nicht fassen. mit der Zofe machte sie eine Runde an der frischen Luft um die kleine Kirche.
Bauern, die nicht auf die Felder konnten, da diese noch verschlammt waren, reparierten die Schäden an der Straße nach Plauen. Diese waren oft mehrere Ellen breit und tief. Man schüttete Geröll und Erde hinein und verfestigte dies. Diese Arbeiten zogen sich über den ganzen Tag hin. Eggebrecht reinigte in der Zeit die total verschmutzte Kutsche. Die neue Achse hatte zum Glück gehalten und auch der Spund hielt noch. So stand einer Weiterfahrt nichts mehr im Wege. Doch die sollte erst am nächsten Tag erfolgen. Am späten Abend war die Straße erst wieder geflickt. So richtete sich Eggebrecht noch einmal für eine Nacht im Stroh des Dachbodens der Schenke ein und auch Bernhard wechselte dorthin, da eine Treppenstufe doch nicht das richtige Nachtlager war.
Nach einem kargen Frühstück, was mit dem in der Posthalterei nicht zu vergleichen ist, hieß es endlich wieder einsteigen. Noch am Vormittag rollte man mit vorherigem Posthornsignal durch das Hammertor in Plauen ein, fuhr über den Marktplatz der Neustadt, überquerte die kleine Syra und fuhr hinauf zum Altmarkt. Man sah vorher viele böse Schäden in der Landschaft. Der Wirt der Gaststätte in der Posthalterei empfing sie auch hier und vermeldete gleich, was er sich für Sorgen gemacht habe. Aber nach den traurigen Umständen der letzten Tage würden sie besonders zuvorkommend behandelt werden. Das altehrwürdige Haus bot auch wirklich sehr gute Annehmlichkeiten. Von der ersten Minute an wurden sie hervorragend beköstigt und bedient. Hier konnte Friederike das erlittene Ungemach vergessen. Nach einem reichhaltigen Mittagstisch ging es weiter Richtung Hof. Dreieinhalb Meilen waren es noch, bis zu Eggebrechts Endstation. Bei locker bewölktem Himmel und einer abwechslungsreichen Landschaft mit Hügeln, Wäldern, Seen und Feldern, fuhr man durch Orte wie Rosenthal, Birk, Groß Zobern und Hayde dem Ziel entgegen. An einem Augusttag gegen sieben Uhr abends kamen sie in der großen Posthalterei an. Es war ein ansehnlicher Ort hier im Fränkischen. mehrere Kirchen zierten ihn und ein Schloss. Nach der Frage, wann denn eine Postkutsche nach Nürnberg ginge, kam die nächste Enttäuschung, denn das wäre erst in zwei Tagen. Am Morgen war eine abgegangen. Also hieß es wieder warten. Diese Fahrt stand aber wirklich unter einem schlechten Stern. Bis jetzt waren sie eine Woche unterwegs und sollte bis Nürnberg wieder was passieren, käme eine zweite hinzu. Da das Ambiente sehr gut war und das Wetter es zuließ, war Friederike mit ihrer Zofe viel in der Stadt unterwegs und machte einige Bekanntschaften höher gestellter Herrschaften der Umgebung.
Eggebrecht hatte sich schon von seinen Reisenden verabschiedet und war mit frischen Pferden und anderen Herrschaften auf dem Rückweg. Nach zwei Tagen stand auch pünktlich die Kutsche der kaiserlichen Reichspost derer von Thurn und Taxis vor dem Haus. Nun konnte der zweite Abschnitt des Abenteuers in Angriff genommen werden. Jetzt ging es über Beirut, Hilpoltstein nach Nürnberg, wo schon Bernhard von Birtitz Eltern sehnlichst warteten. Aber sie hatten Glück, es passierte nichts Nennenswertes mehr. Die Eltern waren entzückt über Bernhards Verlobte. So verbrachten sie erlebnisreiche Stunden dort.

Anmerkung:
Städte- und Ortsnamen wurden so wiedergegeben, wie sie zur damaligen Zeit üblich waren.
Längenmaße entsprechen der damaligen Zeit.
Namen der handelnden Personen sind frei erfunden.


Verweise
Lexikon der Kursächsischen Postmeilensäulen,
transpress VEB Verlag für Verkehrswesen Berlin 1989
Postreisekarte 1758 Anhalt, Sachsen, Thüringen
Verlag und Versand Rockstuhl, www.verlag-rockstuhl.de
Wanderatlas Talsperre Pöhl und Pirk
VEB Tourist Verlag Berlin-Leipzig, 6. Auflage 1988


Imprint

Text: Reinhard Kühnast
Publication Date: 11-13-2012

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