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Große Ereignisse stehen bevor

Über Nacht hatte Väterchen Frost noch einmal seinen Mantel ausgestreckt und die Felder in ein mildes Weiß verwandelt. Wie ein Schleier lag der Schnee über der Erde. Ein paar Schneeglöckchen streckten bereits ihre Köpfchen durch den weißen Flaum und flüsterten leise: „Der Frühling naht!“
Aus der Ferne sah man einen Reiter über die Wiesen fliegen. Es schien, als würde das Pferd mit dem Wind um die Wette laufen. Schnell näherte sich Isabelle dem äußeren Rand des prächtigen Grundbesitzes.
„Langsam, Aaron, langsam“, ermahnte sie den schwarzen Hengst ganz außer Atem. Ungeduldig versuchte ihr Lieblingspferd noch einmal in einen schnellen Lauf zu verfallen, fügte sich dann jedoch leise wiehernd.
Aus Isabelles schwarzem langen Zopf hatten sich dicke Strähnen heraus gelöst, die ihr nun in ihr verschwitztes und gerötetes Antlitz fielen. Ihre verschmutze Reitkleidung trug nicht gerade zur Verschönerung ihres Aussehens bei, den sich ihre Stiefmutter so sehr wünschen täte.
Isabelle schmunzelte in sich hinein. Wenn mich Netti so sehen würde…
"Eine Dame muss wie eine Dame aussehen, sich kleiden und benehmen."
So was und mehr durfte sie sich von ihrer Zofe anhören. Aber Netti meinte es keineswegs böse. Sie war eine gute Seele. Aus ihrem Kindermädchen war sie später zu ihrer Zofe geworden. Die gutmütige ältere Frau war immer auf ihrer Seite und gab ihr gute Ratschläge. Sie stand ihr in allen Situationen bei, auch als sich ihr Vater neu vermählte.
Das Mädchen seufzte tief, als es an seine Mutter dachte. Sie war noch sehr klein gewesen, als diese von ihr ging.

Der Duke und die Duchess of Feenwick gaben ein wunderschönes Paar ab. Beide fielen auf allen Festlichkeiten auf mit ihren schwarzen Augen, rabenschwarzen Haar und ihrer hellen Haut. Isabelle war gerade mal drei Jahre alt, als ihre Mutter starb und ihr Vater sich aufs Land zurück zog.
Dort lernte er die Countess Josephine kennen, Isabelles zukünftige Stiefmutter.
Obwohl der Lord seine Frau über alles geliebt hatte, widerstand er den Reizen der Countess nicht. Wer könnte das auch. Sie war das ganze Gegenteil seiner geliebten, verstorbenen Helene.
Josephines Gesichtszüge waren ebenmäßig mit einem hübschen und sinnlichen Schmollmund. Ihre Augen von einem solchen Blau wie er nur bei den Veilchen vorkommt. Je nach Stimmung wechselte sich deren Farbe und wurde zu einem tiefen Meeresblau, wenn sie zornig wurde. Ihre langen, seidenen Haare schienen aus puren Gold zu bestehen. Im nu hatte sie den steinreichen Lord mit Ihrer Schönheit gefesselt, so dass eine große Hochzeit gefeiert wurde. Ein Jahr später wurde den beiden eine Tochter geboren, welche noch schöner als ihre Mutter werden sollte.
Cecile war jedoch nur äußerlich ihrer Mutter ähnlich. Sie war ein liebevoller und herzlicher Mensch, wenn auch ein wenig leichtgläubig und naiv, da sie sehr verhätschelt und verzogen wurde.

Isabelle näherte sich mit Aaron dem großen, alten Herrenhaus. Von außen war der Besitz schon prächtig anzusehen mit seinen grotesken Verzierungen und Säulen, einem großen Park mit einem marmornen Springbrunnen und edlen Statuen, die der Schönheitsgöttin ähnelten. Was einem jedoch beim Eintreten des Hauses begegnete, konnte sich kein Besucher ausmalen. Hohe Wände mit wunderschönen Tapeten und Wandvorhängen mit gold und silbern glitzernden Fäden, Perlen und Diamanten. Antike Möbel aus Elfenbein, mit rubinroten Samt bezogene kleine Stühle, große Spiegel zierten die Eingangshalle. Mediterrane Pflanzen und duftende südländische Blumen mit weißen, roten und blauen Blüten standen in den Ecken und schlängelten sich an den Wänden empor. In einer dieser Ecken befand sich ein sprechender vorwitziger Papagei, der die Dienerschaft auf Trab brachte und die Gäste mit viel Scharm unterhielt. Gläserne breite Treppen führten in die oberen Etagen. Jeder Raum war in unterschiedliche sanfte Pastellfarben gehüllt und besaß seinen eigenen Stil. Cecile wohnte in einem rosafarbenen Blumenzimmer. An den Wänden befanden sich riesige Blüten, welche sich sanft hin und her bewegten und leise Glockenlaute von sich gaben. Ihr Bett bestand aus einer übergroßen Seelilie mit kuscheligen weichen Daunenkissen und Decken.
Im Haus gab es fliegende Kronleuchter aus Gold und Silber mit Diamanten bestückt. Das Licht wurde überall durch den Raum geworfen, so dass es im ganzen Haus glitzerte und funkelte.
Der Duke of Feenwick war ein großer Zauberer. Als er sich vom Königshof zurück gezogen hatte, war die Innenausstattung des Herrenhauses der einzige Ort an dem seine Zauberei sichtbar wurde. Die neue Duchess schmollte deswegen sehr oft. Sie hätte am liebsten das ganze Grundstück in ein einziges Meer aus Gold, Rot und Diamanten verwandelt. Aber das ließ der Herr des Hauses nun doch nicht zu.
Er besänftigte seine Gattin stets, in dem er ihr extravagante Geschenke machte.
Ein Diadem sah aus wie Sternenstaub, ein Abendkleid dunkelrot wie die untergehende Sonne und eine gläserne Blume in deren Blüte eine kleine winzige Elfe hauste.
Einmal hatte er ihr tatsächlich eine Schwanenkutsche mit Einhörnern gezaubert.
Jedoch ist die ganze Zauberei lediglich eine optische Täuschung. Denn es ist kaum möglich materielle Gegenstände oder Lebewesen zu zaubern. Die Duchess war über die besonderen Geschenke immer sehr beglückt. Tatsächlich wären ihre regelmäßigen Launen und Ohnmachtsanfälle sonst auch gar nicht zu ertragen.

Als Isabelle gerade eben leise die gläsernen Treppen empor gehen wollte, stürzte sich ihr ihre jüngere Halbschwester Cecile entgegen.
„Wir sind eingeladen“, rief sie und bekam kaum noch Luft.
„Wir beide. Du musst mitkommen, unbedingt. Bitte sag nicht nein. Oh ja, dass wird eine wunderschöne Zeit werden, Belle. Ich freu mich so.“
Isabelle hatte ihre Schwester noch nie dermaßen aufgelöst erlebt.
„Beruhige dich. Was ist denn das für eine Einladung und wohin muss ich unbedingt?“
Cecile berichtete, dass sie am Londoner Hof erwartet wurden, weil König Ludwig Ihnen zu Ehren einen Ball halten wollte.
Tatsächlich verhielt es sich auch so, aber aus einem ganz bestimmten Grund.

Vor langer Zeit, noch in den ausgelassenen Jugendjahren König Ludwigs hatte der junge Duke of Feenwick diesen vom dem Ertrinken gerettet. Aus einer Laune heraus und auch damit niemand von diesem peinlichen Vorfall erfahren sollte, hatte der noch damalige Prinz Ludwig ihm einen Gefallen zugesprochen, welcher bis heute nie eingelöst wurde. Die Duchess wiederum erfuhr dies von Ihrem Mann, nachdem sie lange und ausdauernd gebettelt und geweint hatte, er solle Cecile doch endlich standesgemäß, pompös und am liebsten am Königshof in die Gesellschaft einführen. Natürlich hatte sie alles in Bewegung gesetzt, ihre Tochter im Palast des Königs debütieren zu lassen. Nun konnte der Duke seinen Herzdamen jedoch keinen Wunsch abschlagen und hatte einen Brief nach London aufgesetzt.
Als der König von dem Wunsch las, dachte dieser, warum nur für eine Tochter einen Ball geben, wenn sein guter, alter Freund und ehemaliger Berater zwei solcher Schönheiten zu Hause hatte. Also bestand er in einem Antwortschreiben darauf, dass für beide oder keine der Ball statt finden sollte. Und um es kurz zu machen, verschickte er die Einladungen sofort.

Isabelle sah Ihre vor Freude auf und ab hüpfende Schwester an und wusste sich keinen Rat.
„Ja, also… du weißt doch, ich mag keine Gesellschaften“ begann sie zögernd.
„Du könntest doch auch allein…“
Weit kam sie nicht.
Cecile sah ihrerseits ihre Schwester mit groß werdenden Augen an.
„Aber du wirst mir doch mein Debüt nicht verderben. Der König möchte, dass wir beide zum Hofe kommen“, schluchzte sie.
Isabelle seufzte leise.
Das geht nicht gut. Ihre Gedanken begannen zu rasen und ihr wurde ganz flau im Magen.
Ich, am Hofe des Königs auf einem Ball. Besser kann es gar nicht werden. Welche Frau will schon Duzenden von Männern vorgestellt werden, alles etwaige Ehegatten.
Außerdem, wer braucht schon einen Ehemann? Sie wurde aus ihren Grüblereien geweckt, als Cecile noch lauter anfing zu weinen.
„Ja, ist schon gut. Ich komme mit nach London.“
Welch andere Wahl habe ich schon?
Ich kann ihr kaum diese besondere Zeit verderben.
„Au fein“, hauchte Cecile und umarmte ihre Schwester stürmisch.
„Wir brauchen unbedingt neue Abendgarderoben, Mäntel, Schmuck, Schuhe, Unterwäsche ….“

Sie rannte, Isabelle an der Hand mit sich ziehend, aus der Halle in den großen Salon, in dem ihre Frau Mama ihren Tee um diese Zeit zu sich nehmen gedachte.
„Mama, Mama. Belle hat eingewilligt. Wir fahren nach London", jubelte sie.
Die Duchess in einem extravaganten Tageskleid aus blauer Seide und silbernen Unterrock gekleidet, blickte ihre Tochter liebevoll an. Ein Herzenswunsch ging für sie in Erfüllung und sie hatte mit keiner Silbe daran gedacht, dass sich ihre Stieftochter diesem entgegenstellen würde. Ganz im Gegenteil. Sie wusste, wie gern sich die beiden Schwestern trotz der unterschiedlichen Charaktere hatten.
„Nun, setzt euch beide doch erst einmal und trinkt mit mir eine Tasse Tee. Cecile, für eine Dame solltest du nicht durch das ganze Haus rennen. Eine Dame rennt nicht, eine Dame schreitet!
Und du, meine liebe Isabelle“, die Duchess würde sich nie dazu herunter lassen, ihre Stieftochter bei deren Kosenamen zu nennen.
„Du solltest doch schon alt genug sein, um dies zu wissen und deine Schwester nicht auch noch dazu ermuntern!“
Sie beendete ihren Vortrag und ging auf die bevorstehenden Ereignisse über.
Der Abend wird lang werden. Jetzt geht es in die Vorbereitungen und meine liebste Stiefmutter wird nicht zufrieden sein, bis alles bis ins letzte Detail geplant und vorbereitet ist, dachte sich Isabelle und seufzte leise in sich herein, nicht ohne noch einen ermahnenden Blick von ihr zu erhalten.

Am späten Abend schleppte sie sich müde auf ihr Zimmer. Auf ihrem großen Himmelbett mit blauen, durchsichtigen Vorhängen hatte Netti bereits die Decken zurückgeschlagen und ihr ein seidenes Nachthemd bereit gelegt.
„Jetzt möchte ich nur noch schlafen“, murmelte sie vor sich hin. Sie zog sich schnell aus, wusch sich und schlüpfte gerade unter die Decke, als ihre Zofe mit einer Tasse heißen Milch herein kam.
„Ach mein liebes Kind“, begann sie.
„Welch große Aufregung gab es heute im ganzen Haus. Das Zimmermädchen hat es von der Küchenfrau, diese von der Haushälterin und die Haushälterin vom Stallmeister gehört. Welch große Ehre ist es nur für euch ins Königshaus geladen zu werden!“
„Ja ja“, gähnte Isabelle.
„Ich kann kaum noch an mich halten vor Vorfreude.“
„Oh Belle, du darfst nicht immer alles so Ernst nehmen. Die meisten jungen Damen in deinem Alter sind bereits verheiratet. Du solltest dir auch etwas mehr gönnen als den ganzen Tag zu arbeiten“, tadelt Netti sie liebevoll.
„Und wer macht es dann? Wer kümmert sich um alles, wenn ich nicht mehr da bin? Meine liebe Stiefmutter schläft den halben Vormittag, trinkt mit ihren Damen Tee oder ist irgendwo anders auf einer dieser Teepartys eingeladen. Sie kümmert sich gar nicht um die wichtigen Angelegenheiten. Ich kann das Haus doch nicht allein lassen und Vater auch nicht!“
„Deine Eltern sind Erwachsen und können für sich selbst sorgen. Und du solltest dich endlich einmal in die Gesellschaft begeben und dich mit Leuten deines Alters anfreunden. Genieße London, sieh dir die Stadt an, geh aus und lerne doch einmal einen jungen Mann kennen. Wer weiß, so schlimm ist die Liebe nun auch nicht! Glaube mir!“
Ihre Zofe meinte es nur gut und durchaus nicht ohne Hintergrund. Ihr Zögling war nun bereits Anfang Zwanzig und zeigte keinerlei Absicht sich jemals für einen jungen Mann zu interessieren. Sie zog sich von der Gesellschaft zurück, verbrachte ihre freie Zeit entweder im Garten bei ihren Blumen und Kräutern oder mit ihren Lieblingstieren, ihrem Pferd Aaron und ihrer Hündin Aiaka, einer Huskydame mit weichem schwarz-weißem Fell, grauen liebevoll blickenden Augen und treuen Charakter.
„Ich versteh nicht, was an der Liebe so toll ist. Und am Ausgehen noch viel weniger“, murmelte Isabelle müde und schlief erschöpft vom langen Tag ein.

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Publication Date: 01-24-2011

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