Cover



Iris Heerdegen
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Nichts
wird die Dinge ändern




Teil 2 - Ein langer Weg
Roman





Farewell, farewell, dear Caledon,
Land of the Gael no longer!
Strangers have trod thy glory on.
In guile a treachery stronger.
The brave and just sink in the dust,
On ruin's brink they quiver-
Heaven's pitying eye is closed on thee;
Adieu, adieu forever!





Dieses Buch widme ich meinen Eltern, ohne die ich nie der Mensch geworden wäre, der ich bin.

Ich danke meiner Mutter, die jetzt in ihrer ganz eigenen, für mich fremden Welt lebt. Sie hat mir die Welt der Bücher eröffnet.

Meinem Vater verdanke ich mein Interesse an allen schönen und interessanten in der Welt und vor allen Dingen mein künstlerisches Talent.

Danke dafür, dass ihr immer für mich und meine Familie da wart, wenn ich euch brauchte.





Liege bei mir und stelle meinen Glauben in Frage
Oder halte mich mit all unserer Liebe

Teile all deine Geheimnisse
Oder verbirg sie von mir
Nichts wird die Dinge ändern


Das Bild ist gemalt, die Farben sind klar
Eines für jede Zeit im Leben nehme ich an

Es ist nichts länger wichtig
Die Geschichte ist erzählt
Nichts wird die Dinge ändern


© Bruce Guthro & Malcolm Jones
RUNRIG




Vorwort



Wer schon einmal von Crianlarich in Richtung Fort William gefahren ist, egal ob mit dem Auto oder dem Zug, wird die Leere und Weite des Rannoch Moores gesehen haben.
Das Rannoch Moor umfasst eine Fläche von etwa 130 Quadratkilometern auf eine Höhe von ungefähr dreihundert Metern, umgeben von Bergen, die an die tausend Meter hoch sind. Es wurde von einem gigantischen Gletscher vor etwa 20.000 Jahren gebildet, der sich ostwärts bewegte. Seine Hinterlassenschaften in Form von Geröll und Findlingen findet man überall.
Doch es zu Fuß zu durchqueren ist etwas ganz anderes. Es ist nicht ungefährlich, besonders bei schlechtem Wetter, wo man völlig orientierungslos werden kann.
Bis ich es nicht selbst durchwandert hatte, konnte ich mir keine Vorstellung über die Weite und Leere machen … sie ist unwirklich und beängstigend.
Sonst hört man überall in Schottland Vögel, hier kaum. Es ist still, nur der Wind weht darüber und die fernen Umrisse der Berge sind selbst bei schönem Wetter weit weg.
Dieses Areal war Allan Breck Stewart bekannt wie seine Westentasche, denn er wuchs in Invercomrie am Nordende des Loch Rannoch auf. Einem Gebiet, das als der Wilde Westen Schottlands galt – ein Ort der Gesetzlosigkeit, in dem sich Mörder und Diebe versteckten.
Hier wurde er auch zuletzt gehen, wohl bewaffnet mit einer Pistole, die er in einem Halfter unter seiner Jacke trug.
Als er im März 1753 wieder bei seinem Regiment in Frankreich auftauchte, wusste niemand zu sagen, wo er sich die restlichen zehn Monate aufgehalten hatte und wie es ihm gelang durch das Netz zu schlüpfen, mit dem die Regierung verhindern, wollte das er das Königreich verlässt.
In den von John Dewar verfassten »Dewar Manuscripts«, einer Sammlung von mündlich überlieferten Sagen und Geschichten, die der Autor im Auftrag des VIII. Duke of Argyll Mitte des 19. Jahrhunderts sammelte, wird berichtet, dass Allan Breck gegen eine Belohnung bereit war, sich in den Bergen zu verstecken und die Rede zu verbreiten, er sei der Mörder des Roten Colin. Er sollte damit von dem wahren Schützen ablenken und dessen Verfolger auf eine falsche Spur führen. Die Leute im Lande hielten zu ihm, denn solange er nicht ergriffen wurde, verdeckte er die Schuld derjenigen, die die böse Tat begangen hatten.
Nachdem Allan Breck sich eine Zeitlang versteckt gehalten hatte, fand er schließlich Mittel und Wege nach Frankreich zu gelangen, von wo er einen Brief sandte, in dem er sich bekannte Colin Campbell of Glenure getötet zu haben. Doch er kam nicht rechtzeitig genug, um James of the Glen von Nutzen zu sein.
Was Wahres an der Legende ist, kann nicht mit Sicherheit bewiesen werden, genauso wenig wo Allan Breck während der zehn Monate war.

Es war auf jeden Fall ein langer gefährlicher Weg bis nach Frankreich
… Teile all deine Geheimnisse oder verbirg sie von mir. Nichts wird die Dinge ändern

Viehtreiberwege



Falls of Bruar 23. Juli 1752




Alan saß in der Hütte, die sein Versteck im Glen Bruar bildete, und starrte in das flackernde Feuer.
Er konnte kaum fassen, was in den letzten beiden Tagen geschehen war. Sein Zusammentreffen mit Hunter hatte etwas in ihm geweckt, was er lieber weiter tief vergraben in seinen Erinnerungen gesehn hätte.
Andrea hatte schon genug Geister der Vergangenheit geweckt und seine nach außen hin kalte Fassade bröckeln lassen. Das war etwas, was er im Moment überhaupt nicht gebrauchen konnte.
Alan zog sein Stiefel aus und streifte die Hose und die Strümpfe herunter, um ins Bett zu schlüpfen.
Als er sich auf die Seite drehte und sein Gesicht ins Kissen presste, nahm er noch Andreas Geruch wahr, der Erinnerungen weckte, die ein anderes Gespenst heraufbeschwor, eine Erinnerung an das, was sie vor einigen Tagen getan hatten und was er liebend gern wieder tun wollte mit ihr. Doch zugleich kam er sich schäbig vor und verfluchte innerlich seine Schwäche. Auch das konnte er im Moment nicht gebrauchen, sich nach einer Frau verzehren, wo sein Leben und seine Sicherheit in Gefahr waren. Nein, nicht nur sein Leben auch ihres. Leise seufzte Alan, als er spürte, dass Andreas Geruch seinen Körper zu etwas zwang, was er nicht wollte. Es dauerte eine Weile, bis das nachließ und er in einen unruhigen Schlaf fiel, um den Geistern der Vergangenheit erneut zu begegnen.


Es war ein kalter, feuchter Septembermorgen. Im Osten war schon ein heller Streifen zu sehen, der den nahenden Tag ankündigte. Über den sumpfigen Wiesen nahe des Örtchens Prestonpans, östlich von Edinburgh waren die ersten Rufe der Austernfischer zu hören. Alles schien friedlich und still, wenn man von der martialischen Ansammlung schlafender Rotröcke absah, die ein Feld vor dem Preston House bedeckten. Um das Feldlager herum, waren Posten platziert die Wache hielten und mehrere große Feuer erhellten die Nacht.
Nahe bei einem der Feuer und am Rande der Gartenmauer von Preston House lagerte eine Gruppe von Soldaten des Regiments von Colonel Lee. Es war keine Zeit gewesen Zelte aufzustellen und so schliefen die Männer in Decken gewickelt auf den Boden. Ihre Musketen waren fein säuberlich zu einer Pyramide aufgestellt und mit einer Zeltplane gegen Feuchtigkeit gesichert.
Die meisten Männer schliefen unruhig, denn sie wussten das ihnen morgen eine Schlacht bevor stand, für viele von ihnen die erste ihres Lebens.
Der Posten am Feuer beobachtet kopfschüttelnd einen der Soldaten, der sich seit Stunden hin und her wälzte, zeitweise aufsaß, um brütend vor sich hinzustarren, oder zu rauchen. Wie gern hätte er mit ihm getauscht, denn er war todmüde, die Augen brannten ihm und sein Rücken schmerzte.
Grinsend beobachtet er nun, wie einer seiner Kameraden den jungen Mann einen groben Schlag versetzte, als er sich erneut von der rechten auf die linke Seite warf.
»Hör auf dich herumzuwälzen Breck, du weckst mich ständig auf und packe deine stinkende Pfeife weg!«, fluchte er im Flüsterton.
Der so Angesprochenen setzte sich wieder auf, warf scheinbar wütend seine Decke beiseite und stand auf. Leicht taumelnd, wie schlaftrunken lief er zwischen den Schläfern hindurch in Richtung der Gartenmauer, wo man hastig am Vorabend Latrinen ausgehoben hatte.
Er verschwand damit aus dem Sichtkreis des Postens, der sich nun wieder auf sein eigentliches Ziel konzentrierte, auf die sumpfigen Wiesen und den Entwässerungsgraben zu seiner Rechten.
Der junge Soldat indessen erleichterte sich im Halbdunkel und lief noch ein Stück die Gartenmauer entlang, bis sie im rechten Winkel abbog. Hier setzte er sich leicht fröstelnd ins feuchte Grass und starrte in die Dunkelheit, die hier herrschte.
Er war ein großer, schlanker junger Mann von etwa 23 Jahren. Sein Größe, die deutlich über dem Limit seiner Kameraden lag und sein von Pocken gezeichnetes Gesicht, machten ihn neben seinen pechschwarzen, schwer zu bändigenden Locken sehr auffällig. Wenn er etwas ausgefressen hatte, erinnerte man sich sehr schnell an ihn, aber weniger an seinen Namen, als an seine Erscheinung. Die meisten nannten ihn Breck, kaum einer wusste seinen Vornamen oder gar seinen Familiennamen, einen Namen, auf den er stolz war … der Name eines Königs.
Er wusste da draußen in der Dunkelheit, in dem erwachenden Morgen, keine Meile entfernt von ihm, lagen Männer in ihre Plaids gewickelt mit denen er durch sein Blut verbunden war. Männer, die den gleichen Namen wie er trugen, und allen voran der Prinz, dessen Kommen so manche Lieder versprochen hatten, die er in seiner Kindheit gehört hatte. In den langen Winternächten, wenn die fliegenden Händler kamen, von Haus zu Haus zogen und die Neuigkeiten aus der weiten Welt brachten, Neuigkeiten in Form von Gedichten und Liedern, die jakobitische Barden verfasst hatten.
Erneut barg er sein Gesicht in den Händen und rauft sich die Haare. Er war in verdammten Schwierigkeiten, das wusste er.
Seit vier Jahren diente er bei den Rotröcken. Es hatte nichts mit Vaterlandsliebe oder etwa Treue zum herrschenden Haus Hannover zu tun, es war simpel und einfach der einzige Weg der bitteren Armut in den Highlands zu entfliehen. Aber nicht nur das, Alan, auf diesen Namen war der junge Mann getauft, wollte nicht das langweilige, eintönige Leben eines Bauern oder Viehhändlers führen. Ein Weg, den sein Pflegevater für ihn vorgesehen hatte. Dafür hatte er ihm, genauso wie seinen eigenen Söhnen, die etwas jünger als er waren eine gute, fundierte Ausbildung gegeben. Er konnte Lesen und Schreiben, Englisch lesen und Schreiben, was keine Selbstverständlichkeit war in den Highlands, etwas Latein und Mathematik und natürlich war ihm die Liebe zum König jenseits des Meeres beigebracht worden. Das war es, was ihn im Moment in große Schwierigkeiten brachte.
Er hatte ein gutes Leben bisher bei den Soldaten gehabt. Ein warmer Platz zum Schlafen, genug Essen, allerlei Vergnügungen, die ein junger Mann brauchte. Er konnte seinen Kameraden beim Kartenspiel das Fell über die Ohren ziehen, ohne dass die etwas merkten und ab und zu war da auch ein Mädchen gewesen, das ihn interessierte. In seiner Freizeit hatte er sich immer etwas Geld dazuverdient, indem er Pferde einritt oder dem Schmied half. Er verstand sich auf Pferde, er hatte ein Händchen dafür sie ruhig und gelassen werden zu lassen.
Doch seit er von den Gerüchten gehört hatte, dass der Prinz in Moidart gelandet war und seine Anhänger um sich geschart hatte, zerbrach er sich den Kopf, was er tun sollte. Spätestens seit er unter John Copes Kommando in den Highlands unterwegs war und ihnen täglich ein Kampf gegen die zunehmende Anhängerschaft von Charles Edward Stuart drohte, dachte er über Fahnenflucht nach. Doch bisher hatte er sich nicht durchringen könne, wirklich zu desertieren. Etwas hielt ihn davon ab und das war seine Highland Ehre, die neben seinem verdammten Stolz und seiner Streitsucht ihn schon oft in Schwierigkeiten gebracht hatten.
Er konnte nicht tatenlos dabei sitzen, wenn seine englischen Kameraden, die oft genug nicht weiter als Diebe und Bettler waren, die Männer in den Kilts als verlauste Bande von halbnackten Wilden bezeichneten, als Ungeziefer und Schlimmeres.
In Inverness hatte er schon eine Woche dafür im Gefängnis verbracht und auf dem Schiff, das sie von Aberdeen nach Dunbar gebracht hatte, war er mit einer Gruppe Campbells aneinander geraten die zu Lord Loudons neu ausgehobenen Regiment gehörten. Er hasste die Campbells, seit er denken konnte. Sie waren Blutsfeinde der Appiner Stewarts, zu denen er gehörte, denn sein Familienname war Stewart. Dieser Streit hätte ihm zwölf Schläge mit der neunschwänzigen Katze eingebracht, doch zum Glück hatten sich sein Captain, Thomas Hamilton ein Lowland Laird und sein Korporal, mit dem er befreundet war, für ihn eingesetzt. So verbrachte er den größten Teil der widrigen Schiffsreise in der Kettenkammer.
Und die Truppen des Prinzen waren nicht ein Haufen zerlumpter Straßenräuber, wie die Offiziere annahmen. Er wusste es besser, denn er hatte dieselbe Ausbildung erhalten wie die meisten Männer der Clans. Von frühester Kindheit an, wurden sie darauf vorbereitet ihrem Chief im Falle eine bewaffneten Konflikts zu folgen. Er war neun gewesen, als er im Sommer wie die anderen Jungen bei seinem Laird Charles Stewart of Ardshiel in die Lehre der Kriegskunst eingeführt worden war. Sie übten mit hölzernen Schilden und Schwertern, wurden auf Ausdauer trainiert, rannten den steilen Hang hinter Ardshiel House hinauf und wer als Erster oben war, bekam ein Geschenk in Form von Essen. Das mochte manchem Engländer simple erscheinen und seltsam, doch Alan wusste, was Hunger war, denn oft genug war er in seiner Kindheit ohne eine Mahlzeit ins Bett gegangen.
Sein Leben war nie leicht gewesen und seine Kindheit alles andere als fröhlich und unbeschwert. Er war drei gewesen, als er die Pocken bekam, die die Hälfte der Kinder und Erwachsenen tötete, die in dem kleinen Ort am Loch Rannoch lebten, in dem er geboren worden war. Er überlebte, fürs Leben gezeichnet. Fünf Jahre war er alt, als sein Vater starb, an den er keinerlei Erinnerung mehr hatte. Er wurde zu entfernten Verwandten gegeben, er und seine Geschwister, von denen nur noch zwei Schwestern lebten. Warum er nicht bei seiner Mutter hatte bleiben können, verstand er nicht, aber als er älter war, hörte er immer wieder Gerüchte und nicht umsonst nannten ihn manche einen Bastard und den Sohn einer Hexe. Er konnte sich sehr gut daran erinnern, dass er deswegen ständig Streit mit anderen Kindern hatte und dass er sich den Respekt dieser erkämpfen musste.
Gerade als er in die Dunkelheit starrte, erinnerte er sich daran, wie er im Alter von sieben Jahren mit einem gut drei Jahre älteren Jungen aneinandergeraten war. Er war der Cousin eines seiner wenigen Freunde und er war nur zu Besuch bei seinen Großeltern. Alle nannten ihn nur den dicken roten Charlie und das nicht ohne Grund. Als der dickliche Junge sich vor ihm aufbaute und vor seinen Freunden als Bastard beschimpfte, weil er ihn zuvor ein fettes Schwein genannt hatte, eskalierte der Streit. Sie prügelten sich und zogen beide mit blutigen Nasen und herausgerissenen Haaren nach Hause. Alan war als Sieger auf dem Feld geblieben, doch zu Hause hagelte es eine Tracht Prügel von seinem Ziehvater. Am Ende waren er und der dicke Charlie die besten Freunde geworden für drei oder vier Sommer, bis die Großeltern des Jungen kurz hintereinander starben. Sie hatten sich aus den Augen verloren, doch Alan hatte erfahren das Charles MacDonald, so hieß der Junge auch bei den Rotröcken diente, ausgerechnet im Regiment von Lord Loudon, der ein Campbell war.
Alan holte tief Luft, um die Erinnerungen abzuschütteln. Er starrte in die Dunkelheit, die langsam heller wurde. Der Lärm der Vögel, die auf dem Marschland nahe der See unterwegs waren am frühen Morgen nahm zu.
Langsam konnte er Konturen erkennen, wenn er sich Mühe gab. Vor ihm lag ein sanfter Hügel, das wusste er, davor ein breiter, tiefer Entwässerungsgraben. Oben hinter dem Hügel lag Tranent und dort waren die Jakobiten. Wollte er dorthin musste er durch den Graben oder riskieren einem der Wachen in die Arme zu laufen, die General Cope überall um ihr Lager herum postiert hatte.
Alan hatte sich am gestrigen Nachmittag, während des kurzen Gefechtes mit einem Teil der Truppen des Prinzen die Gegend gut eingeprägt, und wenn er die Augen schloss sah, er alles deutlich vor sich. Wenn er den Weg durch den Graben nahm, riskierte er entdeckt zu werden und die Straße entlang standen Posten. Es war gefährlich, egal wie er es drehte. Er konnte von den Posten, den Englischen und den der Jakobiten entdeckt und erschossen werden. Er hatte nichts als seine verräterische rote Uniform, die ihn nicht schützen würde und wenn er das zweifelhafte Glück haben würde, nicht sofort erschossen zu werden, würden die Rotröcke ihn hängen.
Ein anderer Weg wäre es, sich einfach zu verstecken und abzuwarten, wie die Schlacht ausging, aber das erschien ihm feige und verwerflich. Aber er musste sich entscheiden, und zwar schnell, denn es wurde zusehends heller und damit die Gefahr größer, entdeckt zu werden.
Doch gerade als Alan beschlossen hatte, den Weg durch den Entwässerungsgraben zu nehmen, kam jemand um die Gartenmauer herum.
Alan erschrak, denn er hatte den Posten am Feuer außer Acht gelassen, der ihn die ganze Zeit beobachtet hatte.
»He was treibst du hier im Dunkeln Mann … willst wohl abhauen!«, kam es im sanften Singsang eines Mannes aus den Highlands und Alan verfluchte im Stillen seine Unachtsamkeit. Unter Garantie war es einer der verflixten Campbells.
Doch er konnte sein Gegenüber nicht richtig ausmachen, nur seine Umrisse. Der wiederum sah ihn wahrscheinlich umso deutlicher, weil er mittlerweile mehr im Hellen stand.
„Nein Mann, die Latrine stinkt mir zu sehr, hier um die Ecke ist es angenehmer!“, erwiderte Alan etwas in den Dialekt eines Mittelengländers verfallend.
Sein Gegenüber knurrte etwas auf Gälisch, worüber er selbst lächeln musste und das Rascheln von Stoff gefolgt von einem Plätschern bestätigte ihm das sein Gegenüber wohl der gleichen Meinung war.
Alan zögerte einen Moment, denn er wusste nicht, was er tun sollte. Der Mann hatte ihn gesehen, vielleicht sogar erkannt und er konnte nicht so einfach verschwinden, ohne einen Alarm auszulösen.
„He Mann, mach das du zurück ins Lager kommst, sonst pisse ich mir noch vor Angst in den Kilt!“, nahm ihm sein gegenüber die Entscheidung ab und Alan lief innerlich fluchend wieder in Richtung seiner Schlafstelle.
Doch kaum war er wieder in den Lichtkreis des Lagerfeuers getreten, wurde er von hinten gepackt und derb herumgewirbelt. Alan starrte in das Gesicht eines von Loudons Männern, denn der Mann trug einen Kilt, dessen loser Zipfel hinter ihm im feuchten Gras schliff.
Er kannte ihn nicht, obwohl das Gesicht des Fremden ihn an irgendjemanden erinnerte. Es war wohl doch einer der Campbells, mit denen er aneinandergeraten war.
»Du wolltest abhauen, du verfluchter Bastard, habe ich Recht?«, kam es nun in Gälisch von dem Mann und Alan zuckte hilflos mit den Schultern, als hätte er nichts verstanden.
»Tu nicht so, ich weiß, dass du mich verstehst, denn ich kenne dich Stewart!«, kam es nun und Alan begriff noch immer nicht mit wem er es zu tun hatte.
Doch bevor er noch weiter überlegen konnte oder einen handfesten Streit mit dem Mann von Loudons Highlandern anfing, kam ihm sein Korporal zu Hilfe, und zerrte ihn genauso grob beiseite.
»Mach dich auf deinen Platz Breck, wir werden schon früh genug kämpfen, dann kannst du dein aufbrausendes Temperament wenigstens nützlich einsetzten!«, kam es von Henry Hunter einem jungen Mann aus den Lowlands.
Doch bevor er seinen Schlafplatz erreichte oder noch etwas sagen konnte durchbrach das Krachen einer Kanone die Stille des erwachenden Morgens.
Auf der Stelle war das ganze Lager auf den Beinen und ein jeder Soldat, Unteroffizier oder Offizier sprang auf die Beine und packte seine Waffe.
Alan rannte gemeinsam mit Hunter zu seinen Leuten und griff sich seine Muskete, steckte den kurzen Infanteriedegen und das Bajonett in die Lederscheide und stellte sich auf seinen Platz in der hinteren Reihe, unmittelbar neben den Korporal. Befehle wurden gebrüllt und sie nahmen die vorgesehen Stellungen in der Schlachtordnung ein.
Sie standen entlang eines schmalen Weges, der von Seaton nach Preston führte, und hatten den Entwässerungsgraben und den Hügel von Tranent vor sich.
Es war noch immer nicht wirklich hell und Nebelschwaden erschwerten die Sicht. So sehr Alan sich Mühe gab, er konnte keinen Feind ausmachen. Etwas was ihn keinesfalls beruhigte.
Die Dragoner platzierten sich hinter und neben ihnen, bis es plötzlich Unruhe gab und der Befehl gegeben wurde nach links zu schwenken, da die Jakobitischen Truppen plötzlich und unerwartet im Osten aufgetaucht waren.
Es war nervenaufreibend und chaotisch, sich erneut aufstellen zu müssen und nun waren sie neben dem Kanonen platziert, die sie beschützen sollten und hinter ihnen wieder die Dragoner.
Irritiert beobachtete Alan wie die Kanoniere, es waren allesamt Männer von dem Schiff, das sie von Aberdeen hergebracht hatte, die Flucht ergriffen und den Grund dafür sah er aus dem Nebel auftauchen, der noch immer über dem abgeernteten Feld lag, das sie jetzt vor sich hatten.
Schemenhaft sah er die Highlander und es waren verdammt viele. Nur mühevoll konnte Alan seine Aufregung verbergen und er ließ alle Hoffnung fahren hier lebend davon zu kommen. Noch dazu wo er wahrnahm, dass sie den Angriff begonnen hatten, so wie er es kannte.
Unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Dudelsäcke und mit infernalischen Gebrüll begannen die Männer der Clans den berühmt, berüchtigten Highland Angriff.
Neben ihnen an den Kanonen wurde es unruhig. Einer der Dragoner Offiziere, hatte mit ein paar Männern und einem Kanonier, der nicht davongelaufen war die Kanonen geladen und feuerbereit gemacht.
Doch Alan musste sich auf sein eigenes Tun konzentrieren, denn man gab die Befehle die Musketen zu laden, während das Geschrei der angreifenden Highlander immer lauter wurde und nun die Sonne plötzlich den Nebel vertrieb und die hocherhobenen Breitschwerter, Lochaberäxte und umfunktionierte Sensen, die einige trugen aufblitzen ließen.
Während Alan die Ladung der Papierpatrone mit der Kugel und dem Pulver in den Lauf stopfte, den etwas schüttelte, damit das ganze tiefer rutschte, konnte er schon deutlich die angreifenden Männer sehen und die Fahne, die hinter ihnen sichtbar wurde. Eine hellblaue Fahne mit einem gelben Andreaskreuz.
Dem Colonel der Dragoner gelang es gerade in diesem Moment die Kanonen abzufeuern und Alan sah einige der Highlander fallen und die anderen für einen Moment stoppen. Ein Jubelgeschrei der Rotröcke klang über das Feld, doch dem antworteten die Jakobiten mit ihren Kriegsgeschrei und rannten weiter auf sie zu.
Alan hatte gerade seinen Ladestock aus dem Lauf der Muskete gezogen und wollte ihn zurück an seinen Platz stecken, als die Angreifer eine Salve auf sie abfeuerten.
Er hörte das trockene Knattern der Musketen und nahm den Geruch des Schießpulvers wahr, der im entgegenschlug. Sam Hobson, ein kleiner rundlicher Soldat, der vor ihm stand, sackte zusammen und fiel nach vorn. Korporal Hunter, der wie er den Arm erhoben hatte, um den Feuerbefehl zu geben, stolperte ein paar Schritte rückwärts gegen Thomas Hamilton seinen Captain. Alan hatte im ersten Moment den Eindruck, als sei ein Schwarm wütender Bienen unterwegs. Mehrere Kugeln pfiffen auch an ihm vorbei, ein paar durchschlugen seine Provianttasche an der rechten Seite. Wie im Traum realisierte er das eine Kugel von dem Lauf seiner Muskete abpralle und den neben ihm stehenden, John Treby ins Gesicht schlug, der schreiend zu Boden ging. Doch nun fühlte Alan, wie er selber getroffen wurde. Eine Kugel durchschlug seinen erhobenen rechten Arm, eine weiter traf ihn an der Hüfte und ließ ihn ein Stück nach rechts taumeln. Doch er blieb aufrecht stehen.
Völlig seine Schmerzen ignorierend, hörte er den Feuerbefehl, legte an und zog seine Muskete sofort nach oben, als er merkte, dass die Highlander fast bei ihnen waren. Aber er drückte ab und für kurze Zeit waren sie von einer weißen Wolke aus Pulverdampf eingehüllt, aus der plötzlich eine Lochaberaxt herausschoss auf sein Gesicht zu.
Alan wich aus und die Klinge köpfte den armen Tomas Eyre, der links neben John Treby gestanden hatte. Der Kopf machte einen makaberen Sprung an ihm vorbei in Richtung des mittlerweile wieder fest auf seinen Beinen stehenden Henry Hunter.
Eine Blutfontäne traf Alan und er rutschte beim Ausweichen aus und fiel über seine beiden getöteten Kameraden. Das war gerade noch rechtzeitig, um unter dem Schild eines weiteren Mannes unterzutauchen, das dieser mit seiner Linken, in der er einen langer Highlanddolch hielt in Richtung seiner Brust stieß, während er mit seiner rechten, versuchte auf Alan mit dem Breitschwert einzuhauen. Nur mit Mühe konnte er ihn abwehren und mit dem Kolben seiner Waffe außer Gefecht setzten.
Verzweifelt versuchte er wieder auf die Beine zu kommen, seine Muskete fest-haltend, um sie zur Not als Waffe zu gebrauchen und wenn es nur gut dazu war ein Breitschwert abzuwehren. Mehrere Male wurde er wieder zu Boden gerissen, durch mittlerweile fliehende Soldaten, aber auch durch angreifende Highlander. Ein Dragoner ritt ihn fast nieder, verfolgt von einem Mann mit einer umfunktionierten Sense. Die Hölle schien sich um ihn herum geöffnet zu haben.
Als Alan endlich auf die Beine kam, verwickelte er sich in einen verzweifelten Abwehrkampf mit einem jungen Mann, der gekonnt mit dem Breitschwert auf ihn losging, nachdem er James Hughes der in der ersten Reihe gestanden hatte und dem Kugelhagel lebend entkommen war, den Bauch aufgerissen und fast den Oberarm abgetrennt hatte.
Während Alan immer wieder die Hiebe des Highlanders parierte, was den Mann sichtlich irritierte, genauso wie Alans gälisches Gebrüll, er würde sich ergeben, schrie der arme Kerl wie am Spieß und wand sich verblutend am Boden.
Schließlich stolperte der junge Mann, als er gegen Alans Kopf auslegen wollte, und riss ihn erneut zu Boden. Verzweifelt rangen sie miteinander.
»Mann höre auf Donald, hör endlich auf. Ich ergebe mich …!«, schrie Alan verzweifelt, während der junge Mann schon seine Hände um seinen Hals legen wollte.
Der schien plötzlich zu begreifen, dass er da in seiner Muttersprache angesprochen wurde und ließ von ihm ab. Mit blutunterlaufenen Augen starrte er ihn an und rappelt sich mühevoll auf die Knie, während Alan keuchend liegengeblieben war.
»Himmelherrgott Ailean Breac …, ich hätte dich fast erwürgt!«, brachte er ebenfalls nach Atem ringend heraus.
Es war genau das was Alan gefürchtet, was ihn in der Nacht so umgetrieben hatte.
Der junge Mann vor ihm war Donald MacColl, einer seiner besten Freunde aus Appin.
Donald half ihm auf und sah sich um. Um sie herum tobte noch immer der Kampf.
An den Kanonen lieferte sich ein Highlander, der ausnahmsweise die langen karierten Hosen trug und der Kleidung nach wohl einer der höheren Ränge war, einen verzweifelten Schwertkampf mit dem Colonel der Dragoner, der sich genauso gut zu verteidigen wusste.
Ein weiterer Highlander lief auf Alan und seinen Freund zu und machte Anstalten dem vermeintlichen Rotrock einen Hieb mit dem Breitschwert zu verpassen, was Donald Mac Coll verhinderte, in dem er seinen ledernen Schild schützend vor ihn hielt.
Die beiden Männer brüllten sich an und schließlich lief Donald mit ihm weiter hinter flüchtenden Rotröcken her, nachdem er Alan befohlen hatte, hier zu bleiben.
Der sank zu Boden, mitten zwischen toten und sterbenden Rotröcken und sah sich um. Er kam sich wie in einem fürchterlichen Alptraum, wie im Schlachthaus vor und noch immer schrie und wimmerte der Soldat, dem der Arm halb abgetrennt worden war, John Treby tat seine letzten Atemzüge und der entstellte Körper seines Captain, Thomas Hamilton, war einfach zu viel für ihn. Alan wusste, dass er niemand helfen konnte und er sah sich nach seinen Freund, Korporal Henry Hunter um.
Er sah ihn verzweifelt kämpfen und das obwohl er bei der ersten Salve genauso wie Alan verwundet worden war. Alan taumelte wieder auf, um ihm beizustehen, doch Korporal Hunter wusste sich zur Wehr zu setzten, obwohl er auch nur eine Muskete hatte. Doch gerade, als er einen Mann mit einer Lochaberaxt mit dem Bajonett erledigt hatte, schoss ein weiterer, ein wahrer Hüne von einem Mann, mit einer Sense auf ihn zu.
Alan überlegte keine Sekunde, rannte Gälisch brüllend auf ihn zu und drängte ihn von Henry ab. Der Hüne, den Alan fast zu Fall gebracht hatte wirbelte herum, versetzte dem jungen Soldaten einen Hieb mit dem Griff der Sense, der ihn nach Luft ringend, ins Grass warf. Alan nahm noch das Aufblitzen der Klinge wahr, die ein Sonnenstrahl traf und so laut er konnte, schrie er nun in Gälisch: »Ich ergebe mich, ich ergebe mich MacCombie, um Gottes Willen ich ergebe mich!«, Er spürte den Lufthauch den die rasiermesserscharfe Klinge erzeugte neben seiner Wange und mit einen grauenvollen Geräusch grub sie sich in den Boden neben sein Gesicht.
Für einen Moment kämpfte Alan gegen eine aufkommende Übelkeit und richtete sich langsam auf. Verwundert registrierte er wie seine Haare ihm plötzlich ins Gesicht fielen und er starrte auf den abgeschnittenen, mit einem dunklen Stoffband umwickelten Zopf, der neben ihm lag.
Doch nun sah er auch wie der Hüne, der kein anderer war als der Müller des Lairds von Invernahyle, ein Mann, den man schlecht vergessen konnte, hatte man ihn einmal gesehen, auf den Colonel der Dragoner zulief, der noch immer mit dem Highlander kämpfte.
Der hatte dem Offizier gerade das Schwert, das sich in seine Tartsche gegraben hatte, entrissen und ihn damit ohne Verteidigung gelassen, als MacCombie auch ihn mit der Sense köpfen wollte. Doch der Highlander, den Alan jetzt als Alexander Stewart, den Laird of Invernahyle erkannte, hielt ihn davon ab und nötigte den Colonel sich zu ergeben.
Doch Alan selbst bekam das nur am Rande mit, denn er hörte jetzt ein infernalisches Gebrüll, das er bisher ignoriert hatte, während er um sein eigenes Leben kämpfte. Henry Hunter wand sich schreiend am Boden, beide Hände vor dem Gesicht, Blut lief ihm darüber.
Alan schwankte zu ihm hin, nachdem er seinen abgeschnittenen Zopf in die Tasche seines Uniformrockes gesteckt hatte. Es gelang ihm kaum den Mann zu beruhigen, oder die Hände von seinem Gesicht zu bekommen, um die Schwere der Verletzung zu beurteilen. Erst als er ohnmächtig wurde, konnte er Henry notdürftig verbinden. Invernahyles Müller hatte ihn wohl doch mit der Sense getroffen, aber die Wunde war, abgesehen davon, dass sie Henrys Gesicht entstellte und heftig blutete, nur oberflächlich, was man von den anderen Schussverletzungen nicht behaupten konnte. Alan fragte sich, wie der Mann so kämpfen konnte mit mehreren Kugeln, die seinen Arm, seine Brust und seine Schulter getroffen hatten. Aber er selbst registriert jetzt sichtlich geschockt den Schmerz in seinem rechten Oberarm und den blutgetränkten Ärmel, ganz davon abgesehen, das seine Hüfte steif zu werden begann und er sich allmählich schwach und müde fühlte.
Alexander of Invernahyle brachte den Colonel, den er entwaffnet hatte zu ihm, und ließ ihn, nachdem er Alan einen Augenblick gemustert hatte, unter der Bewachung des Müllers zurück.
Der junge Soldat saß nun da, hatte Henrys Kopf auf seinen Schoß gebettet, der vor sich hin wimmerte, und versuchte krampfhaft wach zu bleiben. Der Schlafmangel der vergangene Tage und Nächte forderte seinen Tribut.
Colonel Whiteford, so hieß der Dragoner Offizier fragte ihn mehrmals etwas, was Alan nur leise und zögerlich beantwortete, während MacCombie ihn sichtlich finster musterte.
Die Sonne schien, als wäre nichts geschehen, obwohl um sie herum ein Feld des Grauens lag, was auch den Colonel schockierte, so wie Alan feststellen musste. Noch immer wimmerte der tödlich verletzte James Hughes und Alan begann plötzlich fürchterlich zu fieren trotz der warmen Sonne. Er barg sein Gesicht in den Händen und versuchte krampfhaft das Zittern unter Kontrolle zu bringen.
»Bist du verletzt Soldat?«, hörte er Colonel Whiteford fragen, der ihm die Hand auf die Schulter legte.
»Leicht, … aber meinen Korporal … hat es schlimmer erwischt …!«, murmelte Alan, als er das Zittern einen Moment unterdrücken konnte.
»Leg dich hin, dass ist der Schock …!«, meinte der Colonel und er folgte seiner Empfehlung. Alan sank ins Gras und in einen tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf.
Wie lange er so gelegen hatte, konnte er am Ende nicht sagen. Er wachte auf, als er merkte, wie jemand an seinem Rock herumzerrte und ihm offensichtlich die Taschen ausräumen wollte.
Noch mit geschlossenen Augen hielt er die Hand fest, die sich in seinen Proviantsack verirrt hatte, und fühlte den kalten Stahl einer Waffe am Hals. Als er blinzelnd die Augen öffnete und die Hand losließ, sah er auf die Klinge eines Breitschwertes, dessen Spitze noch immer unterhalb seiner Kehle die Haut berührte, da er sein Halstuch dazu benutzt hatte Henry Hunter zu verbinden.
Sein Blick folgte der Klinge und er sah in das Gesicht eines Jungen, vielleicht zwölf oder dreizehn. Sein dunkles Haar schimmerte in der Sonne wie Bronze und er hatte auffällig hellbraune Augen. Doch noch etwas fiel Alan auf. Der verflixte Bengel hatte seinen Sporran gefunden.
Er schob energisch die Klinge des Schwertes beiseite und setzte sich auf, wobei er zu tun hatte, überhaupt nach oben zu kommen. Sein linker Arm pochte und seine Hüfte fühlte sich an als hätte jemand einen glühenden Schürhaken hineingestoßen.
Henry Hunter hatte sich neben ihm zusammengerollt und wimmerte, als er sein Gesicht berührte und Colonel Whiteford warf dem Bengel, der Alans Sporran hatte finster Blicke zu, während der Müller Invernahyles breit grinsend seinen Proviant verspeiste.
»Gib mir den Sporran wieder Junge und auch meinen Ring du verdammter kleiner Dieb!«, forderte Alan in Englisch.
»Ich bin kein Dieb, du bist mein Gefangener und ich habe das Recht dazu!«, kam es von dem Jungen in derselben Sprache und er begann weiter in Alans Sporran zu wühlen, nachdem er das Breitschwert vor sich in die Wiese gestochen hatte.
»Ailean beag, Ich habe das Plündern verboten, das gilt auch für dich!«, ertönte nun eine Stimme aus dem Hintergrund. Alexander Stewart erschien mit ein paar Männern, die erbeutete Kavallerie Pferde an den Zügeln führten.
Der angesprochenen machte ein trotziges Gesicht und schüttelte energisch den Kopf.
Invernahyle packte seinen jüngeren Bruder, denn kein anderer war der Junge und schob ihn zu Alan. »Gib dem Soldaten sein Eigentum zurück!«, befahl er.
»Du solltest auf deinen Bruder hören Ailean beag!«, kam es nun von dem jungen Soldaten in Gälisch und Invernahyle musterte ihn aufmerksam.
Er nahm dem Jungen den Sporran und den Ring ab und gab ihn Alan, wobei er sich zu ihm hinhockte. „Du bist der Ziehsohn von James of the Glen, nicht wahr?“, fragte er ebenfalls Gälisch und der junge Mann nickte.
»Bist du verwundet?«, fragte er, als er merkte wie Alan das Gesicht schmerzhaft verzog, als er den Sporran wieder an den Gürtel band.
»Nicht schlimm, aber mein Korporal hier braucht einen Chirurgen. Er ist mein Freund und er hat tapfer gekämpft!«, setzte Alan nun alles auf eine Karte, denn Henry Hunter brauchte dringend Hilfe.
Alexander Stewart nickte stumm und stand wieder auf. »Geh Alan, hol den Doktor, er ist mit Lochiel unterwegs!«, mit diesen Worten schickte er den Jungen weg und reichte dem Soldaten eine Wasserflasche.
Dafür war Alan dem Laird dankbarer als für alles andere, denn er hatte fürchterlichen Durst. Doch zuerst flößte er Henry Hunter etwas ein und dann trank er selbst.
Invernahyle verließ sie wieder und jetzt merkte Alan wie Colonel Whiteford ihn misstrauisch beäugte.
»Du bist also einer von denen?«, fragte der schließlich.
»Von denen? Wie meint Ihr das, Sir?«, fragte Alan höflich, aber mit einem seltsamen Unterton.
»Nun, du sprichst jedenfalls ihre Sprache, also nehme ich an du bist auch ein Highlander?«, kam es von dem Colonel nun.
»Da habt Ihr recht Colonel … ich bin auch einer von diesen zerlumpten Banditen, die uns heute geschlagen haben in weniger als zehn Minuten!«
Nach diesem Satz schwieg der Colonel und Alan ließ sich wieder zu Boden sinken, denn er fühlte sich ziemlich schwach. Erneut dämmerte er in einen Halbschlaf.
Er verlor völlig das Zeitgefühl, und als er wieder die Augen öffnete, fiel sein Blick auf ein paar polierte schwarze Stiefel und verwirrt registriere er mehrere Leute, die ihn, Colonel Whiteford und Korporal Hunter umringten. Das Gesicht eines älteren Mannes erschien in seinem Gesichtsfeld, der ihn ansprach. »Bist du verwundet Soldat?«, hörte er die Frage und nur mühevoll konnte er antworten.
»Leicht Sir …«, kam es sehr leise von ihm, und als der Mann, offensichtlich einer der Chirurgen ihn auf den Rücken drehte und vorsichtig untersuchte, starrte Alan den Mann an, der zu den polierten Stiefeln gehörte.
Er war groß und schlank, ein junger Mann mit einem sehr jungenhaften Gesicht, mit dem Teint eines Menschen der nicht viel Zeit im Freien zubrachte. Er hatte lebhafte dunkle Augen, trug eine weiße Perücke und für ein Schlachtfeld viel zu kostbare Kleider.
»Ich wünsche, dass diese Gentleman hier eine gute Behandlung erfahren, alle, die Offiziere und auch die niederen Ränge!«, hörte er ihn sagen in bestimmenden Ton und mit einem seltsam fremdländischen Akzent.
Bei dem letzten Teil des Satzes hatte er Alan angesehen und der begriff plötzlich, wen er da vor sich hatte. Es war Charles Edward Stuart.
Mühevoll setzte er sich auf, strich sich die wilden Locken aus dem Gesicht und nahm all seinen Mut zusammen.
»Eure Hoheit, darf ich eine Bitte äußern?«, begann er unsicher, da er plötzlich alle Augen auf sich gerichtet sah.
»Nur zu Soldat, ich werde Eure Bitte gern erfüllen, wenn es möglich ist!«, kam es nun von dem Prinzen mit einem flüchtigen Lächeln.
»Hoheit, ich möchte darum bitten in Eurer Armee dienen zu dürfen?«, bat Alan nun mit fester Stimme.
Charles Stuart musterte ihn aufmerksam und dann den Colonel, er hinter ihm saß.
»Wie ist Euer Name Soldat?«, fragte er höflich.
»Mein Name ist Stewart Hoheit, Ailean Breac werde ich genannt Zuhause, in Duror in Appin!« Ein Mann neben dem Prinzen trat näher heran und Alan erkannte ihn. Es war Tearlach More, Charles Stewart of Ardshiel, sein Laird, auch ein Mann, den man ebenfalls schwer übersehen konnte.
»Nun Ardshiel, es scheint einer von Euren Leuten zu sein.«, begann der Prinz mit einem kurzen Blick zu dem angesprochenen. »Es wird deinen Laird sicher freuen, dass ein verlorener Sohn nach Hause kommt. Deine Bitte ist dir hiermit erfüllt und ich danke dir für das Vertrauen in mich!«, fügt er schließlich an Alan gewandt hinzu und hielt dem junge Soldaten die Hand hin, die er flüchtig küsste.
Der Prinz und seine Begleiter wandten sich nun Colonel Whiteford zu, während der Chirurg sich um Korporal Hunter kümmerte und ihn schließlich von zwei Männern in das Feldhospital beim Preston House bringen ließ.
Alan selbst sollte von einem Mann von Ardshiel Regiment abgeholt werden.
»Du bist ein verdammter feiger Deserteur Soldat! Dafür wirst du hängen!«, kam es recht heftig von Colonel Whiteford, kaum dass der Prinz und seine Männer außer Sichtweite waren.
Alan fuhr erschrocken herum, doch noch, bevor er etwas erwidern konnte, sprang Alexander Stewart für ihn ein.
»Colonel Whiteford, lasst Euch eines gesagt sein. Dieser junge Soldat hier ist kein Feigling. Er hat genauso wie Ihr gekämpft und ist nicht davon gelaufen wie Eure anderen Soldaten. Und im Gegensatz zu den meisten, wusste er was auf ihn zukam, als er unserer Armee angreifen sah. Er ist in den Highlands geboren und aufgewachsen, er wusste, wie wir kämpfen und das seine Chancen zu überleben verschwindend gering waren, aber er ist nicht davon gelaufen! Dass er jetzt die Seiten wechselt, hat nichts mit Feigheit zu tun. Er weiß ganz einfach, wo seine Platz ist!«
Alan war verwundert über diese Worte, aber Invernahyle hatte ihm aus dem Herzen gesprochen. Er war nicht feige, nein, das war er nicht und das er überlebt hatte war purer Zufall!
Alan war froh, als Invernahyle den Colonel wegbrachte und er seine Drohungen nicht mehr hören musste. Er brauchte keinen Offizier, um zu wissen, dass er gehenkt werden würde, sollte er wieder in die Hände der Rotröcke fallen.
Nun saß er allein zwischen Leichen, bewacht von einem furchterregenden Highlander mit einer Sense. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel und die ersten Vögel, die auf der Suche nach Aas waren, ließen sich langsam auf den Feld des Grauens nieder, über den ein übler Geruch nach Fäkalien und Verwesung zog.
Alan begann wieder zu frieren, obwohl ihm Schweißperlen auf der Stirn standen.
»Tut mir leid Junge … das mit deinen Haaren!«, kam es plötzlich von Ian MacCombie, dem Müller und der junge Soldat sah ihn verwundert an und dann auf die Trinkflasche die er ihm reichte. Es war Ale und es tat ihm gut.
»Haare wachsen nach Iain, mein Kopf nicht«, erwiderte er mit einem flüchtigen Lächeln.
»In der Hitze des Kampfes, habe ich dich nicht erkannt Junge, du bist verdammt gewachsen und fast so groß wie ich«, setzte der Mann das Gespräch fort.
»Na so groß wie du kann keiner werden MacCombie und ich glaube ich wachse nicht mehr«, Alan spürte wie das Gespräch in seiner Muttersprache und das Ale ihm halfen sich zu fassen.
»Ich würde dich gern selbst zum Hospital bringen, aber ich muss auf die Kanonen aufpassen, sonst reisen sich die MacGregors die noch unter die Finger!«, meinte der Müller nach einer Weile, weil er merkte, dass der junge Soldat ihm gegenüber gegen die Müdigkeit und Erschöpfung kämpfte.
»War das deine erste Schlacht Junge?«, fragte er dann, als er Alans Blick zu den Leichen um sie herum folgte und der Angesprochenen nickte stumm.
»Ich war mit deinem Vater auf dem Sheriffsmuir, er war ein tapferer Kämpfer und ein verwegener. Du bist ihm sehr ähnlich und du hast auch tapfer gekämpft. Ich bin froh, dass ich nur deinen Zopf und nicht deinen Kopf erwischt habe, wirklich froh«, setzte der Müller das Gespräch fort.
»Ich erinnere mich kaum an meinen Vater MacCombie, aber ich habe die Geschichten gehört vom Sheriffsmuir, … nur so habe ich mir kein Schlachtfeld vorgestellt …«, Alan verstummte abrupt, als sein Blick auf seinen Captain fiel. Fliegen summten mittlerweile um den Leichnam.
Er war froh, als endlich der Mann kam, der ihn abholen sollte, kein anderer als sein Freund Donald Mac Coll.
»Ailean Breac, du hast wohl heute verdammtes Glück«, begann der und musterte seinen Freund erschrocken.
»Das hatte ich …«, murmelte Alan erschöpft.
»Gott gütiger, was ist mit deinen Haaren passiert?«, fragte Donald plötzlich verwundert.
»Iain hat mir einen Haarschnitt verpasst«, mit diesen Worten zog er seinen Zopf aus der Jackentasche und der Müller berichtete den jungen Highlander, was passiert war.
»Tearlach Mhore hat mich geschickt und ich soll gut auf dich Acht geben, hat er gemeint!«, mit hochgezogenen Brauen zupfte Donald nun an seiner Uniform herum. Er löste den Gürtel, an dem das Artillerieschwert hing und die Scheide für das Bajonett.
»Warum hast du nicht das Schwert benutzt Alan, ich weiß das du damit recht gut umgehen kannst?«, fragte er plötzlich.
Alan zog mit schmerzverzerrtem Gesicht die Waffe aus der Scheide und schüttelte den Kopf. »Diese Schwerter taugen nichts. Ein Schlag mit einem Breitschwert und sie zerbrechen. Ich habe es an einem Campbell ausprobiert auf dem Weg hierher, was mir eine Woche Gefängnis eingebracht hat. Diese Dinger sind höchsten dazu nutze, um jemanden zu erstechen und ich hatte nicht vor einen Mann aus Appin oder einen von Lochiels Leuten absichtlich zu töten!«, mit diesen Worten zerbrach er das Schwert mit einem Ruck über seinen Knie, was ihn allerdings vor Schmerzen aufschreien lies.
»Hör auf mit dem Unsinn Mann, lass mich sehen, wo es dich erwischt hat.«, warf Donald ein und half ihm aus der Jacke.
»Himmelherrgott ist das alles dein Blut Ailean Breac …!«, entfuhr es dem jungen Mann, als er das vollkommen blutgetränkte Hemd sah, nachdem er die Weste ebenfalls aufgeknöpft hatte.
»Nein … von dem armen Kerl neben mir …«, Alan wies auf den kopflosen Leichnam neben ihm. »Am Arm und an der Hüfte hat es mich erwischt …«
»Hm … ich sollte dich schnellstens zum Hospital bringen!«, begann Donald MacColl nachdem er seinen Freund kurz abgetastet hatte und mehrmals erschrocken seine Hand zurückzog, weil ständig auf blutgetränkte Stellen traf und sich nicht sicher war, wessen Blut es wirklich war. »Kannst du gehen?«, fragte er schließlich und Alan nickte stumm.
Allerdings hatte er einige Mühe auf die Beine zu kommen und das Laufen ging trotz Donalds Unterstützung nur recht schwierig und unter großen Schmerzen.
Endlos lang erschien Alan der Weg in Richtung der Mauer, die Bankton und Preston House umschloss und in deren Nähe er am Morgen gelagert hatte.
Dort und unmittelbar vor der Mauer, die gut zwei Meter hoch war, lagen die meisten Toten und Alan hatte zu tun das Gesehene zu verarbeiten. Hier lag ein Arm, da ein Kopf, über den er und Donald fast stolperten, dutzende Pferde der geflohenen Dragonern, ganz zu schweigen von ihren Reitern, erstochen und in Stücke gehackt.
Der junge Soldat war daran gewöhnt Tote zu sehen, von Kindheit an, aber so etwas war schwer zu verkraften. Die Schmerzen in seinem Bein, die Hitze die mittlerweile herrschte, der Geruch und die Bilder setzten ihm zu und er spürte eine Ohnmacht kommen.
»Lass mich hinsetzen Donald … ich fürchte ich werde gleich … ohnmächtig …«, murmelte er benommen und sein Freund hatte Mühe ihn auf den Boden gleiten zu lassen.
Es dauerte eine Weile bis Alan wieder zu sich kam und während Donald ihm Luft zufächelte mit seinem Bonett, kam ein älterer Mann zu ihm und beugte sich zu ihm herunter mit einem finsteren Gesichtsausdruck.
»Was schleppst du dich mit dem Rotrock ab, der ist doch sowieso fast hinüber…lassen wir ihn doch lieber zur Hölle fahren!«, mit diesen Worten machte er Anstalten Alan die Kehle durchzuschneiden.
Der junge Highlander schlug dem Mann den Dolch aus der Hand, so dass dieser fluchend danach sucht.
»Verdammt, der Prinz und Lochiel haben befohlen die Gefangenen und Verwundeten gut zu behandel, außerdem ist er ein Überläufer und mein Schwager Mann!«, schrie er ihn an und der Mann zog zerknirscht von dannen.
Gerade in diesem Moment kam Alan wieder zu sich und zwinkerte benommen.
»Seit wann … bin ich … dein Schwager, Donald?«, fragte er stockend, er hatte den letzten Teil des Satzes wohl mitbekommen.
»Seid ich im Mai deine Schwester Catherine geheiratet habe Ailean Breac«, antwortete Donald.
»Wer hat dir das erlaubt!«, ohne zu stocken kam das nun und der junge Soldat setzte sich abrupt auf, musterte seinen Freund mit finsterer Miene.
»Na wer wohl? Du sicher nicht, denn du warst ja weg, bei den verflixten Rotröcken und weiß der Kuckuck wo! Dein Ziehvater und Lady Ardshiel haben es mir erlaubt und außerdem dachte ich, du hättest sicher auch nichts dagegen. Ich bin ein anständiger Mann, ich behandle sie gut, schlage sie nicht und außerdem hat sie mich gern«, kam es nun leicht wütend von Donald.
»Ja ich weiß, du hattest sie schon immer gern …!«, müde barg Alan seinen Kopf in der Hand.
»Komm, lass uns weiter gehen. Du siehst nicht gut aus!«, meinte sein Freund darauf.
Obwohl Alan vor Schmerzen kaum auf die Beine kam, schleppten sie sich weiter. Endlich im Garten von Bankton House angekommen, sahen sie die vielen Gefangenen, die im Schatten der Bäume saßen. Vor ihnen waren Musketen und Munitionstaschen aufgehäuft und die Soldaten machten einen ängstlichen und geschockten Eindruck.
»Kannst du dich an meinen Cousin erinnern, den dicken roten Charlie?«, fragte Donald plötzlich und Alan nickte darauf stumm, als er weiter humpelte.
»Ich habe ihn bei den Gefangenen gesehen vorhin, bevor ich dich holen gegangen bin. Ich bin froh, dass ihm nichts passiert ist! Er dient seit Jahren bei der Black Watch, seit er sechzehn ist … und ich glaube du würdest ihn nicht wiedererkennen«, meinte der junge Mann darauf.
»Ich glaube ich bin ihm heute Morgen begegnet und ich habe ihn nicht erkannt, obwohl sein Gesicht mir bekannt vorkam … er ist einer von Loudons Highlanders, nicht wahr?«, nun nickte Donald stumm darauf.
Sie hatten mittlerweile das Hospital erreicht, das im Garten den Bankton Hauses war, und einer der Chirurgengehilfen kam, um Donald zu helfen …


Schweißgebadet schreckte Alan aus dem Schlaf. Er hatte sich jahrelang nicht an diesen Tag erinnern wollen, hatte ihn aus seinem Gedächtnis gestrichen. Doch nun war alles wieder da, genauso wie die Erinnerung an Culloden. Er war Henry Hunter begegnet und auch Tearlach More Ruaidh, Korporal MacDonald, der ihn gezwungen hatte auf ihn zu schießen. Der Mann war am Leben, aber er hatte Andrea nichts davon erzählt, gar zu sehr ärgerte es ihn, dass Charles dieselben Gefühle für das Mädchen hatte wie er. Die Erinnerung an den Streit, den er wegen MacDonald mit Andrea hatte, saß noch zu tief und das, was am vergangenen Abend in Blair geschehen war.
»Möge der Herr sich deiner Seele annehmen, Tearlach Dòmhnallach…«, murmelte er, sich auch erinnernd, das Henry meinte er lebe noch, die Betonungen auf noch gelegt. Gar zu gut wusste Alan als Soldat, dass die Chancen einen Bauchschuss zu überleben gleich null waren. Ihm war für einen Augenblick, als spüre er das Blut des Mannes erneut über seine Hände rinnen und ein eisiger Schauer erfasste ihn.
Hastig bekreuzigte er sich » A bith mo thearmad's a chath nach tainig ...Sei mein Schild in der Schlacht die kommt...«, flüsterte er, als müsse er Charles MacDonald Seele beschützen.
Alan barg sein Gesicht in den Händen und seufzte. Es fiel ihm schwer, diese Geister der Vergangenheit zu vertreiben und zugleich marteret er sich das Hirn, wie es jetzt weiter gehen sollte. Wäre er allein gewesen und im Vollbesitz seiner Kräfte, wäre er stehenden Fußes in Richtung Unterland verschwunden. Er wäre nachts gelaufen und hätte sich tagsüber versteckt, um bis in die Nähe von Stirling zu kommen, wo er einen sicheren Unterschlupf bei Verwandten von Lady Ardshiel finden könnte. Doch jetzt schien das alles unmöglich zu sein.
Alan ließ sich auf das Kissen zurücksinken und schloss die Augen. Binnen kürzester Zeit war er erneut eingeschlafen, tief und traumlos.



Andrea blieb noch zwei weitere Tage in Blair, bis auch sie auch gezwungen wurde unterzutauchen.
Am jenem Abend kam Lieutenant Hunter ins Haus der Mac Martins. Auch er war nicht bester Laune und bat Andrea und Brian in die Bibliothek, um mit ihnen zu sprechen.
»Ihr müsst hier sofort verschwinden, es kursieren viel zu viele Gerüchte, das Breck hier ist oder war und nun auf dem Weg in Richtung Osten, nach Aberdeen«, begann er und lief unruhig vor dem Kamin auf und ab.
Brian und Andrea sahen sich betroffen an, erwiderten allerdings nichts.
»Ich schuldete Alan mein Leben und das habe ich bezahlt, als ich ihn an der Furt laufenließ, als der Hesse ihn schon erkannt hatte. Aber zu viel mehr reicht meine Dankbarkeit für das, was er in Prestonpans für mich getan hat nicht. Ich bin ein Offizier König Georgs und ich habe einen Eid geleistet. Ich komme in Teufels Küche, wenn jemand Wind davon bekommt. Außerdem bin ich nicht geneigt diesen schwarzen Schurken irgendwie weiter zu helfen, dafür zieht das, in was, er und Ihr verwickelt seid, zu große Kreise. Einen weiteren Stuart Aufstand kann der König nicht dulden, er muss im Keim erstickt werden!«, fügte er noch hinzu.
Brian stand da, wie vom Donner gerührt und auch Andrea war sichtlich verwirrt von seinen Worten, die sich zu sehr widersprachen.
»Was ist, hat es Euch die Stimme verschlagen?«, fuhr er Offizier den jungen Cameron an.
»Wir ... wir sollten hier wirklich ... verschwinden«, stammelte dieser nur verwirrt und stolperte nach draußen, wohl um Floras Eltern Bescheid zu geben.
Als Andrea ihm wortlos folgen wollte, stellte der Offizier sich ihr in den Weg. »Halt Miss, ich würde gerne unter vier Augen mit Euch reden«, bat er sie fordernd.
Das Mädchen sah ihn erschrocken an. Noch immer hatte sie Angst vor dem Rotrock, obwohl er sich immer recht liebenswürdig ihr gegenüber benommen hatte. Höfflich bat Hunter sie schließlich Platz zu nehmen auf der Wandbank unter dem Fenster.
»Ich möchte Euch noch einige Worte mit auf den Weg geben Miss und ich verrate meinen König damit, das solltet Ihr wissen!«, begann er und musterte Andrea mit einem durchdringenden Blick aus seinen braunen Augen.
»Dann solltet Ihr es lieber für Euch behalten Sir, denn ich möchte Euch nicht dazu veranlassen, Euren Eid zu brechen. Es ist wohl besser, wenn ich gehe!«, mit diesen Worten stand das Mädchen wieder auf.
Doch der Offizier hielt sie am Handgelenk fest und zog sie wieder zum Sitzen.
»Halt, setzt Euch hin Frau, Ihr habt wohl eines mit Breck gemeinsam und das ist der hochländische Starrkopf!«, meinte er.
Andrea zog ihre Hand zurück, setzte sich wieder und starrte zu Boden. Sie wollte nicht wieder durch unüberlegte Worte den Offizier auf Dinge stoßen, die er besser nicht wissen sollte.
»Aber Ihr seid nicht aus den Highlands, nicht einmal aus dem Königreich von Britannien, nicht wahr?«, begann Hunter erneut.
Das Mädchen schwieg verbissen, worauf der Rotrock nur seufzte.
»Nun gut lassen wir das sein, ich kann nur eines sagen Miss, Ihr habt meinen ehemaligen Freund ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Er war ein verrückter Kerl, damals und nach den Dingen, die im Jahr 46 und später hier geschahen, sicher noch verrückter und verwegener, aber irgendetwas hat ihn doch sehr verändert. So kenne ich ihn nicht. Vor sieben Jahren gehörte zu den Männern, die nichts anbrennen ließen, wenn Ihr wisst, was ich meine«, er machte eine Pause und ein stilles Lächeln huschte über sein Gesicht, als er Andreas Reaktion darauf bemerkte.
»Außerdem hat er seinen Ring nie verschenkt, was mir sagt, dass er es wohl ernst mit Euch meint, todernst, denn er hatte vor sich zu stellen, nur um Euch zu schützen, was etwas heißen will. Der Alan Breck, den ich einmal kannte, hätte keine Gelegenheit ungenutzt gelassen sein armseliges Leben zu retten, anstatt es für jemanden zu opfern«, fügte er noch hinzu und schwieg erneut.
Auch Andrea blieb stumm. Die Worte des Mannes gaben ihr zu denken. Doch sie wollte mit keiner Silbe ihre Gedanken diesem Soldaten verraten.
»Schweigen ist Gold Miss, nicht wahr. Ich verstehe es und ich akzeptiere es. Also kommen wir zur Sache«, mit diesen Worten kramte er in seiner großen Jackentasche, holte eine Geldbörse heraus und drückte sie Andrea in die Hand.
»Ich weiß, dass sie Euch alles Geld abgenommen haben in Gallovie, die Fünf Pfund von James Stewart und noch mehr Geld von, weiß der Kuckuck, woher. Ihr braucht es dringend, um außer Landes zu kommen und das solltet Ihr schnellstens bewerkstelligen. Die Campbells wollen Alan gar zu gerne gemeinsam mit James baumeln sehen und einige Leute in London haben noch scheußlichere Dinge mit ihm vor, sollten sie seiner habhaft werden auf englischen Boden, Ihr habt sicher schon erfahren was die Strafe für Hochverrat ist?«, er machte wieder eine Pause und sah Andrea durchdringend an. Das Mädchen war blass geworden.
Hunter drückte ihr noch einen Bogen zusammengefaltetes Papier in die Hand. »Hiermit begehe ich Hochverrat Miss und ich hoffe Ihr vernichtet dieses Papier, sobald Ihr es Alan gegeben habt. Es ist eine Karte mit den Posten entlang des Glen Garry und der Pässe ins Unterland, nach Crieff und Stirling. Doch noch schärfer sind die Täler in Richtung Osten bewacht, also geht nicht dorthin, auf keinen Fall, hört Ihr!«, damit stand der Offizier auf und verließ, ohne noch ein Wort gesagt zu haben, ohne sich zu verabschieden oder sie eines Blickes zu würdigen, den Raum und schließlich das Haus der Mac Martins.
Er ließ Andrea vollkommen verwirrt zurück und auch Alan war mehr als nur erstaunt, als sie ihm von den Vorfällen berichtet, als sie in dem Versteck am nächsten Vormittag ankamen.
Der Schotte schüttelte den Inhalt der Geldbörse auf der Steinbank vor der Hütte aus. Es waren an die fünfzehn Pfund, teilweise in Gold, teilweise in kleineren Münzen. Daneben ein zusammengefalteter Zettel.
»Ich habe, soweit ich mich erinnern kann, beim Kartenspiel fünf Pfund an dich verloren, ganz zu schweigen von dem Geld das du dem Chirurgen gegeben hast in Prestonpans. Hier sind sie zurück, mit Zinsen für die sieben Jahre«, las Alan vor und schüttelte den Kopf.
»Womit habe ich das verdient?«, fügte er noch in Gälisch und recht leise hinzu. Das Postskriptum hatte er allerdings ausgelassen, in dem ihm Henry Hunter mitteilte, das die Schwester des Chirurgen seine Frau geworden war und die Mutter seiner zwei Kinder. Es versetzte ihm einen Stich, wenn er an sein eigenes Leben dachte und wenn er Andrea ansah, die seine Chance auf etwas Ähnliches war, wenn er sie nutzte.
Die Tage, die sie in dem Versteck verbrachten, verliefen ruhig und ausgeglichen. Alan brauchte diese Zeit, um endgültig zu Kräften zu kommen. Brian und Alan unterhielten sich sehr lange und klebten die folgenden Tage wie Kletten aneinander, gingen oft Fischen am Wasserfall und Andrea war froh darüber. Sie wollte Alan im Moment nicht in Versuchung bringen, denn er hatte einen kühlen Kopf nötig und so schien es ihr besser Distanz zu wahren, auch wenn es manchmal weh tat. Die Hütte und das Bett, in dem sie schlief, während sich die Männer ein Lager auf dem Boden bereiteten, weckten zu viele Erinnerungen, Erinnerungen an Minuten des Glücks. Andrea wusste auch, dass sie ihre Vergangenheit begraben musste an diesem Platz, ihre Vergangenheit, welche die Zukunft für diese Menschen hier war. Sie musste es tun, sonst würde sie nie ihren Ort in dieser Welt finden, der ihr ein Zu Hause war.
So saß sie an einem Nachmittag auf dem Bett und sortierte ihren Seesack aus. Ihr war nicht viel geblieben von den Dingen, die sie auf Mull noch besessen hatte. Den Film in dem Fotoapparat hatte sie zurückgespult, es waren einige Bilder von Mull, Aucharn und Alan darauf, Fotos, die wohl nie entwickelt werden würden. Dennoch wickelte sie die Filmspule säuberlich in einen Fetzen Silberfolie ein, ein Stück aus der Rettungsdecke. Dann legte sie die Kamera zu den Teilen, die sie vergraben oder verbrennen wollte. Diese Dinge gehörten nicht hierher, konnten gefährlich werden oder waren nutzlos geworden. Sie behielt lediglich ihr Tagebuch, einige Kleidungsstücke, besonders die Unterwäsche und die Medikamente, die ihr noch geblieben waren.
Zuletzt hatte sie ihre persönlichen Papiere in der Hand. Den Pass wollte sie behalten, auch wenn das Dokument sehr gefährlich werden konnte. Anders sah es mit den Fotos aus. Es tat Andrea weh sich davon zu trennen und so saß sie mit Tränen in den Augen auf dem Bettrand, ein Bild von Neil in der Hand, als Alan gemeinsam mit Brian am späten Nachmittag mit frisch gefangenen Forellen zurückkam.
Als die beiden die Hütte betraten, deckte die junge Deutsche die Sachen schnell mit der Bettdecke zu. Brian warf einen seltsamen Blick auf Andrea und Alan bat ihn leise, sie einen Moment allein zu lassen. Der Junge nickte stumm und verließ die Hütte, um die Fische auszunehmen. So gab er den beiden die Gelegenheit allein zu sein.
»Was hast du damit vor Annie?«, fragte er leise, als er nun das Bild in Andreas Hand entdeckte.
»Ich ... ich muss ... mich trennen von ... den Sachen«, antwortete das Mädchen stockend und eine Träne rollte über ihre Wange.
Für einen Moment herrschte Schweigen, Alan starrte genauso auf das Foto wie Andrea.
»Er war ein gutaussehender Mann«, sagte der Schotte schließlich und nahm sanft das Foto aus ihrer Hand. »Du solltest es behalten Annie, so ein Bild ist etwas Besonderes ... gar zu leicht vergisst man Gesichter mit der Zeit ... ich, ... ich kann mich kaum noch an Donald oder meine Schwester erinnern, ... das ... ist schlimm«, fügte er noch hinzu.
Andrea schüttelte stumm den Kopf. »Es ist besser ich verbrenne es ... es ... es erinnert mich nur ...«, weiter kam sie nicht. Alan legte den Walkman und das Foto neben sich, seinen Arm sanft um die Schulter des Mädchens und zog sie an sich. Er küsste ihre Stirn und streichelte sanft ihr Gesicht. Andrea genoss diese Berührung, genoss es Alans Wärme zu spüren.
»Es ist nur ein Bild Annie und eine Erinnerung, nicht mehr. Ich fürchte Neil Sutherland nicht. Ich muss ihm danken für das Geschenk, was er mir gab und ihn um Verzeihung bitten, dass ich nicht immer gut mit diesem Geschenk umgehe«, sagte er dabei.
Andrea nickte nur stumm und schmiegte sich an ihn. Es tat ihr gut zu fühlen dass Alan sie festhielt und für sie da war. Sie wünschte sich, dass dieser Augenblick nie vorüberging. Doch er ging sehr schnell vorüber, immerhin waren sie nicht allein in dem Versteck, wie ein paar Tage zuvor.
Andrea behielt dieses Bild von Neil und auch die Fotos von ihren Eltern und ihrem Bruder. Alles andere verbrannte oder vergrub sie. Es fiel ihr nicht leicht, aber sie wusste dass sie es tun musste.
James, der Knecht wollte weiterhin jeden zweiten Tag mit Vorräten und Neuigkeiten kommen, doch als er nach drei Tagen immer noch nicht kam, wurde Alan unruhig. Solange es Tag war, wechselte er sich mit Brian beim Wache halten am Wasserfall ab.
Mehrmals waren Patrouillen der Rotröcke in der Nähe, ließen jedoch den schwer zugänglichen Wasserfall unbehelligt. Doch es war ein Zeichen, das etwas vorgefallen war. Was, das sollten sie am folgenden Tag erfahren.
Brian war gerade in dem Versteck am Fuße des Wasserfalles, als James in Begleitung von Flora Mac Martin vorsichtig durch den dichten Wald geschlichen kam.
Der junge Mann zeigte deutlich Zeichen von schweren Misshandlungen, wie Andrea später feststellte.
Die Wiedersehensfreude des jungen Cameron mit Flora Mac Martin, war etwas getrübt durch die vorsichtige Hast mit der James drängte, in dem Versteck zu verschwinden. Immer wieder sah er sich um, um sich zu überzeugen, dass ihnen keiner folgte.
Alan und Andrea waren nicht minder überrascht, aber auch besorgt über das Auftauchen der Beiden. Sie waren brennend interessiert, zu erfahren, was passiert war
Doch zuerst begrüßte Flora beide stürmisch. Ohne zu zögern, fiel sie Alan um den Hals, hielt ihn schließlich an den Schultern fest und ein wenig von sich weg, um ihn zu begutachten.
»Ihr seht sehr verändert aus Mister Stewart, man erkennt Euch ja fast nicht«, begann sie zuerst mit fröhlichem Gesicht, was sich allerdings schließlich wieder veränderte. »Ich habe gehört, wie krank Ihr gewesen seid, sterbenskrank, wie mein Vater sagte«, erneut machte sie eine Pause, warf einen vorsichtigen Blick auf Andrea, die das Ganze mit einem seltsamen Gesichtsausdruck beobachtete. »Aber Ihr habt Euch doch wieder versöhnt mit Annie?«, fragte sie schließlich.
»Aye, das haben wir Flora, das haben wir«, mit diesen Worten nahm der Schotte Andrea an der Hand zog sie näher zu sich und legte ihr sanft den Arm um die Schulter.
Floras Gesicht hellte sich wieder auf, aber nur für einen Augenblick. Sie fasste nach der Hand der jungen Deutschen und drückte sie sanft, um sie schließlich ebenfalls herzlich zu umarmen.
Doch nach dieser Begrüßung berichtete sie von den Umständen, die sie hier mit James hergebracht hatten. Der Knecht hatte mittlerweile sein Bonett vom Kopf gezogen und Andrea betrachtete besorgt den blutgetränkten Verband darunter.
Beunruhigt hörten sie, was vorgefallen war. Keine zwei Tage, nachdem sie mit Brian aus Blair verschwunden war, wurde Robert Mac Martins Haus durchsucht, nicht etwa weil Johannes Erler geplaudert hatte, das konnte Lieutenant Hunter wohl ganz gut verhindern. Nein, man hatte herausgefunden, dass Roberts Sohn derjenige war, der den Trupp Soldaten unter Captain Milner in die Irre geführt hatte. Man suchte Neil und seine Kumpane, was auch ein Grund war, das Flora, die sich bei ihrem Onkel in der Nähe von Kinlochrannoch aufgehalten hatte, zurückgekommen war. Da man aber nichts Belastendes im Haus des Tacksman fand und er unter den Schutz des Verwalters von Blair stand, verhaftete sie kurzerhand James um ihn zu verhören. Dabei hatten die Soldaten den jungen Mann so grässlich zugerichtet, weil er sich weigerte, Englisch zu antworten.
Robert hatte ihn und seine Tochter zum Versteck geschickt, um beide etwas aus der Schusslinie zu bringen, bis sich ganze Sache beruhigt hatte. Flora berichtete, dass Neil mit seinen recht zwielichtigen Freunden, allen voran Tam Struan, der sich zu Andreas Leidwesen wieder erholt hatte, verschwunden waren, während das Lager der Räuber am Loch Erricht von den Rotröcken entdeckt worden war und einige der Räuber gefangen wurden. Sie war bei ihrem Onkel, der ständig seinen Aufenthaltsort wechselte nicht mehr sicher, aber genauso wenig in Blair, solange die Soldaten dort stationiert waren, die Andrea als Robert Mac Martins Tochter kannten. Als Flora dann meinte, ihr Vater hätte James gebeten sie zu Alan Breck zu bringen, damit er sie mit nach Edinburgh nimmt, wo sie noch eine Tante mütterlicherseits hatte, bei der sie bleiben sollte, wurde Alan doch etwas stutzig. Die Sache kam ihm nicht geheuer vor.
»Erzählt Ihr mir da ein Märchen Flora? Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet Euer Vater mir, einem gesuchten Mörder und Hochverräter Eure Sicherheit anvertraut, um Euch nach Edinburgh zu bringen?«, fragte er recht misstrauisch.
Das Mädchen sah ihn einen Moment erschrocken an und errötete heftig. »Weshalb sollte ich Euch so ein Märchen auftischen, Mister Stewart?«, fragte sie dann empört.
»Nun Mädchen, weil hier ein junger Mann sitzt, den Ihr die ganze Zeit mit Euren Blicken verschlingt und er das mit Euch tut«, entgegnete Alan schmunzelnd.
Nun wurde Brian rot und Flora noch einen Schein dunkler. »Ich ... ich ... ich habe einen Brief von meinem Vater«, stammelte das Mädchen, und begann in den Falten ihres Rockes zu kramen. Sie drückte Alan ein zusammengefaltetes Stück Papier in die Hand, welches der Mann aufmerksam durchlas.
»Nun das klingt ganz verständlich, wenn es Euer Vater wirklich geschrieben hat. Doch ich bezweifle das, denn ich bin wohl der Letzte, dem er die Tugend seiner Tochter anvertrauen würde, ganz zu schweigen von Eurer Sicherheit Flora«, kam es erneut recht skeptisch von Alan.
»Das hat mein Vater geschrieben, fragt James!«, erwiderte das Mädchen sichtlich empört.
Das tat Alan dann auch. Der Knecht bestätigte Floras Worte mit schmerzverzerrtem Gesicht und barg erschöpft seinen Kopf in den Händen. Er war sichtlich mitgenommen und das Mädchen bat Andrea nach seiner Kopfwunde zu sehen, was die junge Deutsche auch gerne tat.
Am Abend dieses Tages machten sie dann gemeinsam Pläne über ihr weiteres Fortkommen. Der Weg nach Osten war ihnen durch die vermehrte Wachsamkeit der Rotröcke versperrt und damit alle Hoffnung zerstört von dort aus ein Schiff nach Frankreich zu bekommen. In Richtung Süden kannte Alan, dank Henry Hunter, die Posten der Engländer und gerade dort aufzutauchen, wo es am unwahrscheinlichsten erschien, weil es schlichtweg tollkühn war, schien ein guter Plan zu sein, wenn auch nicht ohne Gefahren. Doch Alan rechnete mit seinem veränderten Aussehen, und da sie als zwei Pärchen auftauchten, sollte so schnell keiner Verdacht schöpfen. Immerhin suchten die Rotröcken nur nach Alan und einem mysteriösen jungen Deutschen, wobei Andrea bisher verwundert festgestellt hatte, dass sie auf keinem der Steckbriefe erwähnt worden war. So erschienen ihre Chancen nicht schlecht, bis in das Gebiet der Lowlands zu kommen, welches das nördlicher Ufer des Forth bildete, der bei Stirling ein Fluss war, seine Quellen in den Menteith Hills in der Nähe der Trossachs hatte und weiter östlich als breiter Meeresarm Fife von Midlothian trennte.
Edinburgh, das Herz von Midlothian, wie Walter Scott die Stadt in einem seiner Romane nannte, lag auf dem südlichen Ufer des Firth of Forth. Also mussten sie den Fluss irgendwo überqueren. Bis zu seinen Quellen zurück zu gehen war etwas mühselig und Alan vermutete, das man sie dort auch erwartete, wenn sie versuchen würden bei Kippen oder Balfron ins Unterland zu kommen. Es war seine übliche Route, wenn er von Edinburgh nach Rannoch und Appin kam und das durfte den Campbells und ihren Verbündeten mittlerweile bekannt sein.
So schlug er vor, einfach die Viehtreiber Route nach Crieff und Falkirk zu nehmen und dabei die Brücke von Stirling zur Überquerung des Forth zu nutzen. Es war offiziell noch nicht die Zeit der großen Viehtriebe, die normalerweise Ende August begannen, aber vielleicht hatten sie Glück und konnten sich einer kleineren Herde anschließen, die nach Crieff unterwegs war. Das würde ihnen etwas Sicherheit bieten, besonders an den Brücken und öffentlichen Fähren, die sie benutzen mussten. Alle Anwesenden fanden Alans Vorschlag gut und relativ ungefährlich, nur Andrea hatte Bedenken. Ihr spukte Stevensons Buch im Kopf herum und das Desaster bei der Überquerung der Brücke von Stirling, aber sie wagte nicht das zu erzählen, da weder Flora, Brian, noch James von ihrer seltsamen Herkunft wussten und sie nicht vorhatte noch mehr Leute in ihr Geheimnis einzuweihen.
In der Abenddämmerung des nächsten Tages brachen sie dann auf. Flora führte sie erneut, da sich Alan in der Gegend nicht so gut auskannte. Zwar hatte er auf dem Weg nach Culloden und auch danach das Gebiet durchquert, doch besonders der Rückzug war ihm nur lückenhaft in Erinnerung geblieben.
Sie durchquerten den Garry an einer seichten Stelle und zum Glück führte der Fluss zu dieser Jahreszeit nicht allzu viel Wasser. Dann ging es in die Hügel, die das Glen Garry vom Glen Tummel trennten. Es war ein mühseliges Laufen in der Dunkelheit und am Morgen machten sie erschöpft Rast an einem Bach, der von den Bergen herunter kam und in den River Tummel mündete. Alan übernahm die erste Wache, währen sich alle anderen in ihre Decken rollten und im, durch den Tau feuchten Heidekraut zu schlafen versuchten.
Andrea kam es vor als wäre sie gerade eingeschlafen, als der Mann sie wachrüttelte. Dem Stand der Sonne, die gerade über den Bergen aufgegangen war, hatte sie wirklich nicht lange geschlafen. Brian und Flora schliefen noch, eng aneinander geschmiegt, was dem Mädchen ein flüchtiges Lächeln entlockte, während Alan bedenklich die Stirn runzelte.
»Ich weiß nicht, ob ich sehr erfolgreich beim Bewahren von Floras Tugend sein werde, so wie das jetzt aussieht«, meinte er.
»Nun ich glaube da hat Robert den Bock zum Gärtner gemacht«, war Andreas Erwiderung darauf.
Der Blick des Mannes verfinsterte sich. »Komm mit, ich will dir etwas zeigen!«, mit diesen Worten fasste er sie an der Hand und zog sie zum Bach, den sie überquerten und dann einem Seitenarm folgten, der eine flache grasige Fläche durchfloss. Schon aus einiger Entfernung trug ihnen der Wind den Geruch von Vieh und Rauch zu. Eine Herde von zotteligen schwarzen und rotbraunen Rindern graste hier. Auch an die zwanzig Ziegen und Schafe waren dabei. Unterhalb einer Baumgruppe saßen zwei Männer am Feuer, während eine Frau mit einem Eimer vom Bach zu ihnen herauf kam.
Alan zog Andrea ins hüfthohe Heidekraut, offensichtlich wollte er ungesehen bleiben.
»Das ist unsere Chance Annie. Das ist ein kleiner Viehtrieb. Wenn wir uns den Leuten anschließen, fallen wir kaum auf«, flüsterte er.
»Ist das keine Sommerweide?«, fragte das Mädchen ebenso leise, worauf Alan den Kopf schüttelte.
»Oberhalb der Stelle, wo wir uns ausgeruht haben, habe ich zwei Schafe und eine Kuh gefunden, die sind wohl im Dunklen abhanden-gekommen. Wenn wir die Tiere zurückbringen, werden sie sehr dankbar sein. Sie brauchen sicher auch Hilfe, denn es sind nur drei Leute. Die Frau, die noch dazu ein kleines Kind hat, ein Bursche von unter zwanzig und ein alter Mann, der nicht besonders gut zu Fuß ist. Für ein wenig Milch werden sie uns sicher mithelfen lassen. Du und Flora könntet der Frau zur Hand gehen, Butter zu machen und Käse, die sie unterwegs verkaufen kann. Ich denke, es könnte klappen«, erklärte er schließlich. Etwas was Andrea recht plausibel erschien, besser jedenfalls als ständig nachts unterwegs zu sein, um tagsüber ab-wechselnd Wache zu halten und zu schlafen.
Vorsichtig schlichen sie wieder zurück zu Flora und Brian, die noch immer friedlich schliefen, aber ebenfalls sehr erschrocken waren, als Alan sie weckte. Gemeinsam mit Brian trieb Alan die Kuh aus dem Gebüsch oberhalb ihres Rastplatzes und Flora sammelte die scheuen Schafe ein.
Die Leute waren nicht schlecht überrascht, als sie die Tiere brachten. Freundlich wurden sie zum Frühstück eingeladen und Alan begann recht leutselig zu erzählen, dass sie auf dem Weg nach Crieff waren, um die gestohlenen Kühe seines Herrn wieder zu finden. Das verängstigte die guten Leute allerdings zuerst etwas, denn sie beteuerten sofort, das ihre Tiere nicht gestohlen seien, sondern ihrem Laird gehörten, der in der Nähe von Inverness lebte. Der junge Mann war dessen Neffe und trug die Verantwortung. Die Frau mit dem Kind und der alte Herr waren Bedienstete, die ihn begleiteten. Sie waren so zeitig aufgebrochen, da der Laird offensichtlich in Geldnot war.
Alan stellte sich selbst als Donald Robertson vor, Andrea als seine Schwester. Brian und Flora blieben ebenfalls bei ihren wirklichen Namen und der junge Cameron gab als Grund ihrer Reise an, das er Flora zu einer Verwandten in Edinburgh bringen wollte, da ihr Vater gestorben sei. Das erschien ihm eine plausible Erklärung.
Recht bereitwillig ging der junge Mann auf Alans Vorschlag ein, ihnen beim Viehtrieb zu helfen gegen Naturalien. Hilfe hatten sie bitter nötig, denn die beiden Männer waren kaum in der Lage die Tiere ordentlich zu treiben und auch die junge Frau dankbar für jede helfende Hand.
Ihre erste Feuerprobe hatten sie schon am Vormittag des nächsten Tages, als sie Bridge of Tummel erreichten. Hier hatten die Rotröcke Posten an der Brücke aufgestellt. Jeder wurde kontrolliert und Andrea bemerkte schnell, dass sie besonderes Augenmerk auf große dunkelhaarige Männer legten, die pedantisch durchsucht wurden. Noch immer trug Alan seine Pistole in einem Halfter unter dem linken Arm, und auch wenn er sein Äußeres verändert hatte, war dies ein Verstoß gegen geltende Gesetzte des Königs in London.
Im Tumult, den die schwer zu treibende Herde an der Brücke ver-ursachte, gelang es ihm das Halfter, die Pistole, Pulverhorn und Kugeltasche, in dem Korb zu verstecken, den Andrea trug und in dem sich Butter und Käse befanden.
Einer der Soldaten verstellte Alan, der ja aus den Leuten hervorragte sofort den Weg. Was er fragte, konnte das Mädchen nicht verstehen, denn das Gebrüll der Tiere übertönte alles. Aber sie konnte noch sehen, wie der Rotrock den Hochländer aufforderte die Arme zu heben, um ihn zu durchsuchen. Doch plötzlich drängte eine zottelige schwarze Kuh sie beiseite und sie lief fast schon Gefahr vor ihre ausladenden Hörner zu geraten, doch eine kräftige Hand zog sie zur Seite auf die Brüstung der Brücke zu.
»Passt auf schöne Frau, dass ihr nicht unter die Hufe der Tiere geratet!«, mit diesen Worten ließ sie der Soldat wieder los, der sie beiseite gezogen hatte.
Andrea war gelähmt vor Furcht, als der Rotrock in ihren Korb schielte und das Tuch, das sie darüber ausgebreitet hatte, wegzog. Sie hatte zwar die Pistole und die Munition unter die in Kohlblätter eingewickelte Butter und den Käse gelegt, doch wenn der Mann etwas wegnahm, konnte er leicht das Verborgene finden.
»Ah Butter und Käse, verkaufst du etwas?«, fragte der Soldat freundlich.
Das Mädchen nickte stumm und versuchte die Ruhe zu bewahren. »Wollt Ihr Käse oder Butter Sir?«, fragte sie schließlich bemüht einen Highlandslang anzudeuten.
»Beides«, antwortete der Rotrock, lehnte seine Muskete an die Brückenbrüstung und griff in Andreas Korb.
Dem Mädchen war, als würde ihr das Herz stehen bleiben. Doch der Soldat hatte gerade an der Stelle zugegriffen, unter der nur die Kugeltasche aus Leinen war und die sah aus wie ein Tuch. Der Mann legte Käse und Butter ebenfalls auf die Mauer und begann in seinen Taschen nach Geld zu kramen. Zum Glück hatte die junge Frau ihr gesagt, wie viel sie für alles verlangen sollte, denn Andrea hatte keine Ahnung von den Preisen und kam teilweise mit den Geldstücken durcheinander. So starrte sie auf die Münzen die der Soldat ihr gab, bis dieser sie weiter schob. »Stimmt so Mädchen«, meinte er freundlich grinsend und Andrea ging langsam weiter, folgte Brian und Flora, die kurz vor ihr liefen, und versuchten die störrischen Ziegen zu treiben.
Von Alan sah sie im ersten Moment nichts, doch der Posten auf der anderen Seite der Brücke, der ihn durchsucht hatte, lehnte lässig auf seiner Muskete. Geschrei, das wilde Brüllen einer Kuh weiter vor ihr, lenkten ihre Aufmerksamkeit in diese Richtung. Nun sah sie Alan, der hinter einer ausbrechenden Kuh und ihrem Kalb herlief, und versuchte sie zur Herde zurück zu bringen. Er tat das mit viel Geschick, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan.
Es dauerte bis zum Abend, als Andrea eine Gelegenheit fand, mit Alan zu sprechen. Es war ein anstrengender Marsch, obwohl sie mit der Herde nur langsam vorankamen. Das Mädchen war nicht gewohnt in den Röcken, die schwer und bei der Hitze über aus lästig waren, zu laufen, ganz zu schweigen von den Schuhen, einfachen hochländischen, mit einer so dünnen Sohle, dass sie jeden Stein spürte. Doch sie war weitaus besser dran als die junge Frau mit dem Kind, die gar keine Schuhe trug, genauso wie Flora. Doch die Beiden waren es gewöhnt.
Allgemein fühlte sich Andrea nicht besonders wohl. Der Vorfall an der Brücke hatte sie nervlich aufgerieben und umso schwerer fielen ihr auch die Arbeiten, wie das Melken und das Buttern, das sie am Abend, bevor es dunkel wurde noch zu verrichten hatte.
Als sie gerade neben einer der Kühe hockte, sie molk und dabei mit den überaus lästigen Fliegen kämpfte, kam Alan zu ihr und setzte sich ins Heidekraut.
Stumm beobachtete er sie einen Moment. »Du machst das gut Annie, als hättest du nie etwas anderes getan«, meinte er dann.
Andrea hielt inne lehnte ihren Kopf erschöpft an den dicken, weichen Bauch des Tieres und sah schließlich zu dem Mann, der die Stirn runzelte.
Alans Gesicht war genauso wie seine Kleidung von einer dicken Staubschicht überzogen.
»Du auch Donald Robertson. Hast du schon immer Kühe getrieben zum Viehmarkt nach Crieff?«, erwiderte sie und versuchte zu lächeln.
»Nun ja, den ersten Viehtrieb habe ich mit sieben mitgemacht. Aber mein Vater war da besser, besonders gut verstand er sich auf das Wegtreiben!«, meinte der Mann schmunzelnd.
»Wegtreiben? Du meinst wohl eher stehlen.«
»Stehlen!«, gab Alan empört von sich. »Wegtreiben und stehlen sind zwei Paar verschieden Schuhe Mädchen. Wegtreiben ist eine ehrenwerte Sache, Diebstahl nicht!«, fügte er noch hinzu.
Andrea schüttelte stumm den Kopf, wandte sich wieder dem Melken zu. Sie war zu erschöpft um mit Alan eine Diskussion über Viehdiebstahl, jenen ehrenwerten Zeitvertreib der Highlander zu führen.
Die Nacht, die sie unter freiem Himmel verbrachten, wurde recht unruhig für das Mädchen. Flora, die junge Frau, die Mary Chisholm hieß und ihr sechs Monate altes Baby Lilly teilten sich das Deckenlager mit Andrea, während Brian, Alan und der junge Malcolm Anderson abwechselnd die Herde bewachten.
Andrea wachte mitten in der Nacht auf, weil sie höllische Kopfschmerzen hatte. Mary hatte das Baby neben sie gelegt und war verschwunden, was sie etwas verwunderte. Aber offensichtlich war die junge Frau nur in die Büschen gegangen oder sah nach ihren Ziegen.
Die kleine Lilly war recht unruhig, begann zu weinen und in ihren Decken zu strampeln. Offensichtlich hatte die Kleine Hunger, denn sie zerrte immer wieder an Andreas Mieder, als sie sie hochgenommen hatte.
Alan tauchte plötzlich neben ihr auf, augenscheinlich war er auch wach geworden, ganz im Gegenteil zu Flora, die wie ein Stein schlief.
»Wo ist die Mutter von der Kleinen?«, fragte er leise.
»Ich weiß nicht?«, erwiderte Andrea flüsternd und versuchte das weinende Baby zu beruhigen.
»Gib mir die Kleine, ich will sehen, ob ich seine Mutter finde«, bat Alan und nahm ihr das Kind ab um es im Arm zu wiegen. Zum Glück kam in diesem Moment Mary zurück.
»Oh hast du Hunger Lilly?«, mit diesen Worten streichelte sie über das Köpfchen ihrer Tochter und stellte die kleine Laterne ins Heidekraut, die sie bei sich hatte.
Etwas verwundert sah sie in Andreas Gesicht und dann zu Alan. Mit einer plötzlichen Bewegung tastete die junge Frau nach ihrer Stirn.
»Wie lange habt ihr schon Fieber? «, fragte Mary dann und Andrea sah sie sichtlich verwirrt an.
»Seit gestern ... «, antwortete sie kleinlaut. Es fiel ihr schwer, ihre eigene Schwäche zuzugeben
»Ihr habt Euch sicher überanstrengt«, stumm schüttelte Mary den Kopf und warf Alan einen tadelnden Blick zu.
»Wie könnt Ihr eine Frau, wie Eure Schwester, die solch schwere Arbeit nicht gewöhnt, ist mit auf so eine Reise nehmen, was seid Ihr für ein Bruder!«, fuhr sie ihn plötzlich an. Sie griff nach dem Korb mit der Butter und dem Käse, schleuderte ihn vor Alans Füße.
»Ich weiß nicht, wer oder was Ihr wirklich seid Donald Robertson! Die Robertsons sind bekannt dafür, dass sie gerne Vieh wegtreiben, doch jetzt hat wohl jemand den Spieß umgedreht, deshalb seid ihr wohl auch mit einer Pistole losgezogen. Aber lasst Euch eines gesagt sein, solltet Ihr noch einmal Eure Schwester in solche Gefahr bringen mit diesem verdammten Schießeisen, wie heute an der Brücke, dann Gnade Euch Gott. Ich bin nicht so einfältig wie Malcolm Anderson, also lasst Eure Finger von unserem Vieh!«
Der Mann starrte die junge Frau an wie vom Donner gerührt, sogar die kleine Lilly hatte zu quietschen aufgehört und nuckelte genüsslich an ihrem Daumen.
»Ich will Euer Vieh nicht wegtreiben und ich wollte Annie nicht in Gefahr bringen«, begann er kleinlaut. Doch ein finsterer Blick von Mary Chisholm brachte ihn zum Schweigen.
»Ja, ja ..., ich hoffe das ist die Wahrheit. Aber jetzt wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr mir Lilly wiedergebt, damit ich sie stillen kann oder wollt Ihr mich beschämen in dem Ihr lüstern auf meinen Busen starrt!«, fuhr sie ihn weiter ziemlich heftig an.
Andrea war erschrocken über den Tonfall aber zugleich ungemein belustigt von Alans Gesichtsausdruck, besonders bei dem Wort ›lüstern‹, denn seine Blicke hatten sich wirklich auf das voluminöse Mieder von Mary verirrt. Ohne noch einen Ton zu erwidern, stand Alan auf, gab der jungen Frau das Kind und ging ein Stück von ihnen weg.
Mittlerweile war auch Flora aufgewacht und hatte den ganzen Wortwechsel mit einem seltsamen Gesichtsausdruck beobachtet. Andrea folgte schließlich Alan und setzte sich still neben ihn.
Der Mann sah sie einen Moment überlegend an, legte ihr sanft den wollenen Umhang wieder um die Schultern, der verrutscht war und streichelte ihre Wange.
»Es tut mir leid Annie. Vielleicht wäre es besser gewesen dich in Blair zu lassen und das... das mit der Pistole ... ich wollte dich nicht in Gefahr bringen«, sagte er leise dabei.
»Es ist schon gut, der Soldat hat ja nichts gefunden«, erwiderte Andrea und seufzte. Alan warf einen Blick auf Mary Chisholm, die am Feuer saß und ihr Kind stillte.
»Ich habe nicht lüstern auf ihr Mieder gestarrt«, begann er und Andrea sah ihn verwundert an, mit einem flüchtigen Lächeln im Gesicht. »Es ist nur etwas Faszinierendes an Müttern, die stillen …es hat mich an meine Schwester erinnert«, fügte er noch hinzu und senkte den Blick.
Andrea war nicht schlecht verwundert darüber, sie erinnerte sich gar zu gut an Alans Schuldgefühle, was den Tod seiner Schwester betraf. Er hatte wohl ein besonderes Verhältnis zu ihr gehabt.
Flora, die noch immer neben ihnen saß, schien wohl zu merken dass die Beiden sich unterhalten wollten und ging etwas abseits, wobei sie versprach Wache zu halten, damit sie ungestört blieben. Alan nickte nur stumm darauf.
»Ich bin ein verdammter Idiot Annie, ein grober Klotz ... ich tue dir immer nur weh und nehme keine Rücksicht auf dich!«, brach es aus Alan hervor, als Flora außer Hörweite war.
Andrea schüttelte stumm den Kopf. »Nein, höre auf solche Unsinn zu reden. Ich bringe dich immer nur so durcheinander, das du keinen klaren Kopf mehr bewahren kannst, das darf nicht mehr passieren Donald Robertson!«, erwiderte sie mit fester Stimme. Als sie sah wie Alan mit einem finsteren Gesichtsausdruck seinen Kopf schüttelte fügte sie noch etwas wütend hinzu. »Höre auf so stur zu sein und so trotzig. Du nimmst ab jetzt keine Rücksicht mehr auf mich. Dein Leben steht auf dem Spiel, nicht meines. Niemand weiß von mir, das ist mein Schutz, es schützt mich besser als dein Dolch oder die Pistole! «
Es herrschte bedrücktes Schweigen nach diesem Wortwechsel. Alan sah erneut zu der jungen Mutter am Feuer.
»Du magst Kinder?«, fragte das Mädchen schließlich und der Mann nickte stumm darauf.
»Ich würde gerne welche haben ... mit dir Annie.«, er sah zu Andrea und fing einen seltsamen Blick des Mädchens auf.
»Damit sollten wir uns wirklich Zeit lassen Alan, wir sind immerhin auf der Flucht. Ein Kind ist das Letzte was wir gebrauchen können im Moment«, Andrea versuchte zwar nicht gar zu abweisend zu klingen, doch der Gesichtsausdruck des Mannes sprach Bände. Man konnte die Enttäuschung in seinem Gesicht deutlich sehen. Er senkte den Blick und eisiges Schweigen herrschte wieder.
»Ich ... ich verspreche dir eines Annie, ..., ich...ich rühre dich nicht wieder an… bevor wir in Sicherheit sind und… du mir nicht das Ja-Wort gegeben hast.«, sagte er nach einer Weile stockend. Andrea seufzte und sah Alan kopfschüttelnd an.
»Hör auf so etwas zu versprechen. Ich könnte getrost um 100 Guineas wetten, dass du auch dieses Versprechen nicht hältst. Das ist keine Sache, die man besonders gut mit seinem Willen steuern kann. Du bist kein Mönch und ich keine Nonne, also ist es besser, wenn ich dieses Versprechen ganz schnell vergesse und du auch«, mit diesen Worten streichelte sie sanft über Alans Wange und zupfte einen Heidezweig aus seinen Locken.
»Ich meine es ernst Annie«, sagte dieser trotzig.
»Ich auch. Reden wir über solch eine Sache, wenn wir wirklich in Sicherheit sind, vorher hat es keinen Sinn sich den Kopf zu zerbrechen. Ein langer Weg liegt noch vor uns«, erwiderte Andrea leise und verstummte, denn Flora und mit ihr Mary näherten sich.
Die junge Frau scheuchte Alan davon und kümmerte um Andrea, der sie ihr einen Tee braute, der ziemlich übel schmeckte. Aber sie musste am nächsten Morgen feststellen, dass es half, denn sie fühlte sich deutlich besser.
Sie brauchten noch zwei weitere Tage, um nach Crieff zu gelangen. Sie mieden die Brücke über den Tay bei Aberfeldy, überquerten stattdessen zwei Flussläufe an Furten und einen Pass, der als Tor zu den Lowlands galt und laut Alans Aussage früher oft durch die Viehdiebe aus dem Glen Lyon, Rannoch und andere Gebiete der Highlands benutz wurde.
Als sie in das Glen Almond kamen, hatten sie die Lowlands erreicht. Hinter ihnen lagen die schroffen abweisenden Berge, das Gebiet der wilden Clans und vor ihnen das, was die Engländer und Lowlander als zivilisiert bezeichneten. Das Einzige, was Andrea als zivilisiert empfand, war das es weniger steinig und rau war, denn weder die Hütten der Pächter noch die ärmliche Kleidung der Bewohner machte einen Unterschied zu den Zuständen in Aucharn oder Blair. Dass sie endgültig die Highlands verlassen hatten, merkte sie aber auch an dem Umstand, dass hier kaum noch Gälisch gesprochen wurde und die Leute außerordentlich misstrauisch und unfreundlich waren. Das hatte jedoch seine Gründe. Alan berichtete ihr am Abend, als sie wieder ein paar Minuten allein für sich hatten, dass die Aufständischen der ersten Jakobitischen Erhebung 1716 sich nicht unbedingt beliebt bei den Bewohnern der Täler um Crieff gemacht hatten. Nach der gewonnenen Schlacht von Sheriffsmuir waren die sich zurückziehenden Truppen über die Ortschaften hergefallen, hatten geplündert gemordet und alles niedergebrannt. Dasselbe drohte den Bewohnern im Jahre 46, als sich die Truppen des Prinzen zurückzogen, doch der Herzog von Perth konnte das verhindern.
So lagerten sie auch mit ihrer kleinen Herde vor den Toren der Stadt , die sich von Feldern umgeben sanft einen Hügel hinunter bis zum Fluss Earn erstreckte und für Andrea das Ausmaß eines großen Dorfes hatte, wie sie aus dem 20. Jahrhundert gewöhnt war. Doch viele Gebäude waren zweistöckig und ein mächtig rauchender Schornsteine, der wohl zu einer Fabrik gehörten, zeigten ihr das hier schon etwas Industrie am entstehen war.
Alan war am späten Abend gemeinsam mit Brian und dem jungen Malcolm Anderson in die Stadt gegangen, um einen Händler aufzusuchen. Andrea hatte nicht unbedingt ein gutes Gefühl dabei, was ihr dann bestätigt wurde, als die drei ziemlich betrunken wieder auf der Bildfläche erschienen. Am nüchternsten schien Brian zu sein, so zog ihn das Mädchen beiseite, um ihn auszufragen.
Der berichtete zögernd und ziemlich angesäuselt, dass Alan sich in dem Gasthof geprügelt hatte. Eine Sache die Andrea sehr missfiel. Es brachte sie in Gefahr.
Doch sie kam nicht weiter, der Sache auf den Grund zu gehen. Denn nun ertönte vom Feuer ein heftiger Streit, an dem Mary Chisholm und ihr Großvater saßen und zu dem Alan gemeinsam mit dem jungen Anderson gegangen war. Der alte Mann hatte den Hochländer, der ihn um fast zwei Köpfe überragte am Revers seiner kurzen Jacke gepackt und schrie ihn ungehalten an. Alan stieß den Mann grob zurück, so dass er ins Gras purzelte. Nun mischte sich Mary ein, wobei Andrea nicht ausmachen konnte, um was es eigentlich ging. Als der Alan dann auch noch handgreiflich der jungen Frau gegenüber wurde, ging sie gemeinsam mit Brian und Flora schnell zu ihnen. Doch noch, bevor sie die Streithähne erreichten, sackte der Hochländer plötzlich zusammen und kullerte ins Gras. Mary packte ihn grob, halb an den Haaren, halb am Kragen seiner Jacke und schleifte ihn ihnen entgegen.
»Hier habt Ihr Euren nichtsnutzigen Bruder, Ihr solltet besser auf ihn achtgeben Miss Robertson, damit er sich nicht um Kopf und Kragen redet, wenn er betrunken ist! «, fuhr sie Andrea an, als diese den Ort des Geschehens erreicht hatte. Alan wand sich auf dem Boden, stöhnend, die Hände zwischen seine Beine gepresst. Er schimpfte ziemlich ungehalten auf Gälisch, als er den Schmerz halbwegs überwunden hatte. Andrea schnappte nur einzelne Worte auf, wie etwa ›verräterische Chisholms‹ und dann noch einige gälische Schimpfworte, die auf Marys Attacke in seine Weichteile gemünzt waren.
»Donald Robertson halte jetzt dein Schandmaul oder ich haue dir eine runter!«, fauchte nun Andrea ihn an und packte ihn recht unsanft am Kragen seiner Jacke.
Alan stieß sie weg und nun fiel ein Wort, das sie als gar nicht nett empfand und der Mann fing seine angekündigte Ohrfeige ein.
Erschrocken sah er sie an und rieb sich die Wange. »Annie, was tust du?«, kam es nun in Englisch.
»Nennst du mich noch einmal eine Schlampe Donald Robertson, dann trete ich dich auch dort hin wo es besonders weh tut ... und jetzt komm weg hier, bevor du noch mehr Unheil anrichtest!« Mit diesen Worten zerrte Andrea ihn zum Stehen und brachte ihn mit Floras Hilfe zu ihrem Schlaflager, wo sich der Mann schwer fallen ließ und ohne ein weiteres Wort umdrehte um zu schlafen.
Mary war ihnen mit grimmigem Gesichtsausdruck gefolgt, wohl um weitere verbale oder tätliche Ausfälle Alans zu unterbinden.
»Entschuldigt Mary, wenn mein Bruder Euch beleidigt hat, er vergisst sein gutes Benehmen, wenn er getrunken hat«, versuchte Andrea nun die Situation zu retten.
»Es ist schon gut, Miss Robertson. Morgen wird ihm nicht nur der Kopf weh tun, wenn er wach wird. Aber ich konnte diese Beleidigungen nicht auf mir sitzenlassen!«, erwiderte Mary schon etwas ruhiger und lauschte zufrieden Alans Schnarchen.
»Was hat er gesagt?«, fragte nun Flora vorsichtig.
»Er beschimpfte meinen Großvater als Verräter, als Mann ohne Rückgrat, der seine Söhne an die Rotröcke verkauft hätte!«, kam es mit finsterem Gesichtsausdruck von der jungen Frau.
»So etwas kann ich nicht hinnehmen. Die Chisholms sind keine Menschen ohne Ehre. Ich habe zwei meiner Brüder in dem unseligen Jahr 46 verloren, was allein schon schlimm genug ist. In Culloden kämpfte mein Bruder Robert auf der Seite des Prinzen und James der jüngerer auf der Seite der Rotröcke. Ich habe sie beide verloren und noch viel mehr. Wir sind nicht ehrlos und auch keine Verräter, das sollte kein dahergelaufener Schurke, wie Euer Bruder behaupten. Wäre mein Mann hier und nicht in der Verbannung in den Kolonien, würde er ihm zeigen, wer hier ehrlos ist!«, fügte sie noch recht heftig hinzu.
Andrea fühlte sich betroffen und Angst erfasste sie. Mary schien das zu merken. Sanft legte sie ihren Arm um ihre Schulter.
»Ihr habt ein hartes Los zu tragen mit Eurem Bruder, aber man kann sich seine Familie manchmal nicht aussuchen. Habt keine Angst, ich bin nicht so nachtragend, dass ich ihn anzeigen würde oder so etwas. Ich hatte meine Rache und er wird morgen Probleme beim Pissen haben und nicht nur Kopfschmerzen«, meinte sie lächelnd.
Am nächsten Morgen wachte Alan wirklich mit einem heftigen Kater und Problemen beim Gehen auf. Er stürzte sich auf seine Arbeit, die darin bestand, die Tiere in die Stadt zu dem Händler zu treiben. Dabei vermied er es, Andrea oder gar Mary zu begegnen.
Doch das Mädchen fand ihn schließlich in einem Hinterhof an dem Viehgatter des Händlers. Es gab einen kurzen Wortwechsel, der fast in einem Streit ausgeufert wäre, denn Alan gefiel es gar nicht, von Andrea gemaßregelt zu werden. Doch am Ende entschuldigte er sich zerknirscht bei ihr.
Nach dem Malcolm Anderson sein Geld bekommen hatte, verabschiedete er sich von ihnen um sich noch am selben Abend auf den Weg zurück nach Inverness zu machen, begleitet von Mary Chisholm und ihrem Vater Angus. Er hatte Alan zwei Guineas und etwas Milch und Käse als Lohn für seine Mühe gegeben. Andrea verkaufte gemeinsam mit Flora die Naturalien auf dem Markt und sie mieteten sich schließlich in einem Gasthof am Rande der Stadt ein, wo sie übernachten wollten.
Dieser Gasthof war schon weitaus besser ausgestattet als die, welche Andrea in den Highlands gesehen hatte. Das Zimmer, das sie sich zu viert teilten, war einigermaßen sauber und sie nutzten alle die Gelegenheit sich zu baden und auch ihre Sachen waschen zu lassen.
Flora und Andrea teilten sich das Bett, während die Männer auf dem Boden schliefen. Alan vermied es an dem Abend etwas anderes außer Ale zu trinken, wohl um die junge Deutsche nicht wieder in Rage zu bringen.
Am nächsten Morgen war Andrea dann die Letzte, die wach wurde. Brian und Alan waren schon in die Gaststube hinunter gegangen und Flora dabei sich zu waschen und anzuziehen. Das Mädchen half auch Andrea und sie flochten sich gegenseitig die Haare, steckten sie hoch, so dass beide Mädchen eine wirklich hübsche Erscheinung abgaben.
Aber auch Brian und Alan hatten sich über Nacht von hochländischen Viehtreibern in gewöhnliche Reisende verwandelt. Alan hatte ja noch eine weitere lang geschnittene Jacke von Floras Vater, eine Weste, seine schwarze Kniebundhose und zwei französische Hemden.
So wie er jetzt am Tisch saß, hätte Andrea ihn nicht als den Donald Robertson vom Vorabend erkannt. Der Mann hatte sein Haar offensichtlich nass fest geflochten und den Zopf mit einem Stoffstreifen umwickelt, so dass man seine Locken nicht sah. Er hatte nicht nur das recht aufwendig mit gerüschten Armbündchen verzierte französische Hemd an, sondern auch ein Jabot umgebunden, mit einer Spitzenverzierung. Er schien Brian das zweite Hemd geliehen zu haben, obwohl das Ganze an ihm etwas deplatziert aussah, da es zu groß war und der Junge mit den langen Bündchen zu kämpfen hatte.
Stumm setzten die beiden Mädchen sich an den Tisch und aßen ihr Frühstück. Brian und Flora verschwanden danach mit einer fadenscheinigen Entschuldigung und ließen Alan und Andrea zurück.
»Ich glaube ich muss ein ernstes Wort mit Brian reden, damit nicht noch etwas passiert. Die erste Liebe ist eine gefährliche Sache. Da passiert schneller etwas als man denkt«, gab der Hochländer zu bedenken und sah den Beiden mit einem seltsamen Gesichtsausdruck nach.
»Die erste Liebe ist manchmal auch eine große Enttäuschung. Aber ich denke Flora kann ganz gut achtgeben auf sich. Besser vielleicht als wir auf uns Donald Robertson ... oder wer bist du heute?«, den letzten Satz hatte Andrea nur geflüstert.
Alan zog die Augenbrauen hoch, sah einen Moment zum Fenster hinaus auf die Straße, wo Trommelwirbel ertönte. »Bleiben wir bei Donald Robertson, es fällt sonst zu sehr auf. Aber ich glaube wir sollten uns hier nicht länger aufhalten, da draußen stehen Werber für die Rotröcke und die werden nicht draußen bleiben«, erwiderte er schließlich, wischte sich seine vom Essen fettigen Finger am Jabot ab und stand auf.
Andrea hatte das mit einem seltsamen Lächeln beobachtete, das noch immer in ihrem Gesicht strahlte als Alan sie im Flur vor ihrer Zimmertür sanft an sich zog.
»Ich möchte mich entschuldigen für vorgestern Nacht ... ich habe mich ziemlich daneben benommen«, sagte er leise und streichelte sanft Andreas Gesicht.
Das Mädchen sah zu ihm auf, strich ebenfalls sanft über seine Wange. »Du solltest besser nicht so viel trinken, es könnte dich sonst leicht deinen Kopf kosten!«, erwiderte sie allerdings nicht sehr sanft.
Alan seufzte und senkte den Blick. »Ich weiß Annie, es entgleitet mir nur immer«, gab er zerknirscht zu bedenken. Schließlich blickte er auf, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie sanft.
Andrea spürte dabei, wie ihr wieder sämtliche Haare zu Berge standen. Seufzend schob sie den Mann schließlich von sich und zupfte still lächelnd an dem Jabot herum.
»Jetzt weiß ich, wozu diese Dinger gut sind, sie ersetzten eine Serviette. Allerdings ist es eine Schande, bei dieser hübschen Spitze hier, die sicher handgeklöppelt ist«, meinte sie schließlich.
Alan sah etwas verwirrt auf sein Jabot und dann in Andreas Gesicht. »Meine Schwester hat sie geklöppelt, meine Schwester Sine - Jean, sie lebt in Frankreich«, sagte er leise.
»Du hast noch eine Schwester? «, fragte nun Andrea verwirrt.
Der Mann nickte stumm. »Sine ist fünfundzwanzig und war als Bedienstete bei Lady Ardshiel, sie führt mir den Haushalt seit ein paar Jahren«, berichtete er dann.
»Gibt es noch mehr Geschwister, ich meine außer Catherine, Sine und Ewan?«, fragte das Mädchen neugierig und Alan schüttelte den Kopf.
»Keine, die am Leben sind Annie«, sagte er schließlich leise und Andrea fühlte, dass sie das Thema besser lassen sollte. Sie wusste noch lange nicht alles von Alan. Er hatte seine Geheimnisse und er schien nicht bereit zu sein sie alle mit Andrea zu teilen.
Ein Kichern aus dem Zimmer unterbrach die eingetretene Stille. Alan runzelte wieder die Stirn. »Ich glaube das war genug Zweisamkeit für heute. Ich habe keine Lust es mir mit den MacMartins zu verderben, nur weil Brian die Situation ausnutzt!«, meinte er etwas brummig. Andrea lächelte still.
»Ich glaube nicht, dass Brian irgendetwas ausnutzt. Er ist noch sehr jung und unerfahren«, sagte sie schließlich.
»Nun ja, das mag stimmen, aber es kommt manchmal so über einen, du weißt ja?«, mit diesen Worten küsste er das Mädchen sanft.
Schließlich klopft er kurz und öffnete die Tür. Brian schnippte vom Bettrand hoch auf dem er gesessen hatte und Flora, die noch saß ordnete sich die Kleider.
Die beiden Ertappten nahmen die Farbe von überreifen Tomaten an und Andrea musste sich die Hand vor den Mund pressen, um nicht laut loszulachen.
Nachdem sie sich überzeugt hatten, das die Werber seiner Majestät im Schankraum schwer beschäftigt waren, machten sie sich wieder auf den Weg in Richtung Stirling.

Alan blieb weiter auf den Viehtreiber Wegen. Sie überquerten den Earn an einer Furt und folgten der Straße, die man hier auch als solche bezeichnen konnte bis ins Strath Allan, ein breites, fruchtbares Flusstal voller Felder und kleiner Ansiedlungen. Hier übernachteten sie in Heuschobern um dann nach einen kleinen Frühstück in einem Gasthaus den Weg in Richtung Stirling wieder aufzunehmen.
Statt weiterhin dem Allan Water zu folgen, überquerten sie den Fluss und Alan führte sie in die Orchil Hills, eine Bergformation die das Strath Allan von den Niederungen des Forth trennte.
Es war ein ganz anderes Wandern, als in Wochen zuvor in den Cairngorms. Zwar liefen ihnen immer wieder Soldaten über den Weg, aber es war nicht so das nach ihnen gefahndet wurde. Lediglich strategisch wichtige Punkte wie Brücken und Fähren wurden bewacht, doch teilweise so lasch, das Alan mit seinem veränderten Äußeren kaum etwas zu fürchten hatte. Doch der Mann war auch nicht so blauäugig, sich darauf zu verlassen. Seine Verfolger wussten, dass er einen Hafen brauchte, um sich nach Frankreich wieder auszuschiffen und die Wege dahin waren weitaus schärfer bewacht.
Gegen Mittag hatten sie eine Art Pass am höchsten Punkt der Orchils erreicht. Hier stand ein Gasthof, ein beliebter Treffpunkt von Viehtreibern, die an dieser Stelle, kurz vor dem Abtrieb ins Unterland rasteten. Auch Alan wollte eine Pause machen, nicht etwa, weil es noch sehr weit war bis Stirling, sondern weil er nicht am späten Abend dort ankommen wollte. So mieteten sie sich erneut ein Zimmer.
Alan war recht unruhig, redete mit verschiedenen Leuten im Inn, um etwas über die Bewachung der Brücke herauszufinden. Erst spät abends kam er ins Zimmer, wo er sich neben Brian auf den Boden ein Lager bereitete, während sich die Mädchen wieder das Bett teilten.
Andrea wurde früh wach, war allerdings nicht die Erste, die aufgestanden war. Alan war bereits verschwunden und Brian packte schon fleißig, währen Flora noch tief und fest schlief.
»Wo ist Alan?«, fragte das Mädchen den jungen Cameron.
»Oh, er ist schon lange auf, schon vor Sonnenaufgang ist er nach draußen gegangen. Er hat kaum ein Auge zugetan diese Nacht«, antwortete Brian.
Andrea nickte stumm, ordnete ihre Kleider und die Haare und ging ebenfalls nach draußen.
Sie fand den Mann auf einer kleinen Anhöhe, oberhalb des Weges, der nach Stirling führte. Alan saß auf einem Findling in der Morgensonne, die ihm auf den Rücken schien. Tautropfen glitzerten im feuchten Heidekraut und den Binsen, wie Perlen. Die Luft war klar und einige Kiebitze stapften über die Wiesen. Bienen schwirrten um die Blumen. Ein Bild des tiefsten Friedens, doch ein Schatten lag auf Alans Gesicht und man sah deutlich, dass er sehr übernächtigt war.
Er reagierte kaum auf Andreas kommen, sein Blick war starr nach Westen gerichtet. Er rückte nur stumm ein Stück zur Seite, damit sie sich neben ihn auf den Stein setzen konnte, denn im Gras zu ihren Füßen war es feucht und ungemütlich.
Auch Andrea blickte nach Westen, wo man in der klaren Morgenluft die bläulichen Umrisse hoher Berge sah, die sich in einem Halbkreis bis in den Südwesten erstreckten. Davor in Richtung Süden breitete sich das flache Gebiet der Forth Niederung aus, von dem Fluss durchschlängelt, den man deutlich an dem grünen, bewaldeten Ufer zwischen den Feldern erkannte. Das war ihr Ziel nun und neue Gefahren sah Andrea in der schönen Landschaft verborgen.
»Seit wann sitzt du schon hier?«, fragte sie Alan leise.
Der holte tief Luft, als wäre er aus einem Traum erwacht, blickte sie kurz an und antwortete schließlich. »Schon vor Sonnenaufgang bin ich nach draußen. Ich wollte die Sonne aufgehen sehen.«
»Das hast du doch schon oft gesehen in den letzten Tagen, seit wir aus Blair weg sind«, erwiderte Andrea darauf etwas erstaunt.
»Man kann nicht genug davon sehen, es könnte immer dein letzter Sonnenaufgang sein«, kam es prompt von Alan.
Das Mädchen schaute ihn einen Moment überlegend an, am liebsten hätte sie ihn umarmt und geküsst, doch wie sie jetzt so saßen ging es einfach nicht, außerdem mussten sie sich in der Öffentlichkeit sowieso zurück halten. So nahm sie nur seine rechte Hand in ihre linke und streichelte sie sanft.
Alan sah auf ihre Hand und dann lange in ihr Gesicht. Sein Blick schien eine einzige Frage zu sein. »Du machst dir Sorgen Alan?«, fragte Andrea zögernd.
Der Mann wandte sich wieder von ihr ab, starrte in das feuchte Heidekraut zu seinen Füßen und holte erneut tief Luft.
»Ja, ich mache mir Sorgen«, begann er leise. »Bis jetzt ist alles gut-gegangen, aber nun kommt das Gefährlichste. Wir müssen über den Forth, und wenn wir das geschafft haben, noch ein Schiff finden, das uns nach Frankreich bringt. Beides wird sehr schwierig werden«, fuhr er fort und wandte seinen Blick, zu dem Wiesen und dem Moorgebiet das sich in Richtung Süden hinzog.
»Weißt du wie das Moor hier heißt?«, fragte er schließlich und Andrea schüttelte den Kopf. »Das ist das Sheriffsmuir, hier gab es eine Schlacht 1715, während des letzten Stuart Aufstandes, mein Großvater und mein Vater haben hier gekämpft. Es war eine glorreiche Schlacht für die Jakobiten, sie haben dem Duke of Argyll das Fürchten gelehrt. Genauso wie in Falkirk vor sechs Jahren«, erklärte er und Andrea bemerkte das stolze Leuchten in seinen Augen. Für einen Moment fühlte sie Bedauern und Mitleid für Alan, denn sie wusste das alles, worauf er bisher stolz war, dem Untergang geweiht war.
»Das ist alles vorüber Alan«, sagte sie leise und fing einen finsteren Blick des Mannes auf. Er holte tief Luft.
»Ich weiß Annie, ich weiß … «, kam es schließlich von ihm. »Es sind auch anderen Fragen, die mich bedrängen, wenn ich das Sheriffsmuir vor mir sehe. Ich frage mich, welchen Weg wir nehmen sollen. Sollen wir nach rechts abbiegen und über Dunblane gleich zur Brücke von Stirling oder nach links, nach Bridge of Allan hinunter, wo es ein beliebtes Gasthaus gibt, ein Platz, an dem man sich bestens informieren kann, über das, was in der Gegend vorgeht?«
Er machte eine Pause und sah Andrea mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. »Was meinst du dazu?«, fragte er schließlich.
Andrea sah ebenfalls hinunter auf die ferne Flussniederung, die im Dunst lag. Sie seufzte, denn ein merkwürdiges Gefühl, eine Mischung aus finsterer Vorahnung und Angst hatte sie bei der Erwähnung der Brücke von Stirling stets erfasst, so nun erneut.
»Ich habe kein gutes Gefühl bei der Brücke von Stirling«, antwortete sie Alan nach einer Weile. Der sah sie mit hochgezogenen Brauen an.
»Was ist es Annie, Taibhsearachd oder irgendetwas, was du weißt?«, fragte er finster.
»Beides Alan, ich kann es nicht genau sagen. Stevenson hat da seine eigene Geschichte gesponnen, glaube ich. Sie konnten nicht über die Brücke, weil sie bewacht war. Mehr kann ich dazu nicht sagen« Andrea sah Alan, der seufzte, einen Moment fragend an.
»Welchen Weg hättest du genommen, nach dieser Sache in Appin, wenn ich dir nicht in die Quere gekommen wäre?«, fragte sie schließlich.
Der Mann sah sie verwirrt an, blickte wieder in Richtung Westen und seufzte erneut.
»Ich wäre nach Osten gegangen, nach Aberdeen oder Dundee. Oder wie üblich nach Süden. Ich kenne jemanden, bei dem ich unterschlüpfen könnte für eine Weile, in der Nähe von Stirling. Aber ich wage mich nicht dorthin, zusammen mit dir« erwiderte er und schwieg eine Weile. Andrea fühlte sich seltsam betroffen.
»Das dort im Westen sind der Ben Ledi, die Trossachs und die Menteith Hills, das ist der Weg, den ich sonst immer nehme, wenn ich nach Appin komme und wieder zurück nach Frankreich«, begann Alan dessen ungeachtet und machte erneut eine Pause. Andrea registrierte eine seltsame Veränderung in seinem Gesichtsausdruck. Es war jener Schatten auf seinem Gesicht.
»Es war das letzte Mal, dass ich diesen Weg genommen habe, ich werde nie wieder hierher zurückkommen, nie wieder Annie. Es ist vorbei, alles weggeworfen, wegen eines dummen, törichten Planes, wegen einiger junger Hitzköpfe, von denen ich der Größte und der Dümmste war!«, fügte er schließlich noch hinzu.
Ihre Blicke trafen sich und Andrea spürte den Schmerz und die Verzweiflung, die Alan erfasst hatten, sie kannte dieses Gefühl. Es war mehr als nur Heimweh. Sie wusste, dass die Heimat, die sie gekannt und geliebt hatte, für sie unerreichbar war. Für Alan würde es dasselbe sein. Er konnte sie zwar noch erreichen, wenn er es wollte. Er würde dabei nur sein Leben riskieren und einen elenden Tod.
»Ich weiß, wie schlimm Heimweh ist«, sagte sie schließlich leise.
Alan holte geräuschvoll Luft, drückte ihre Hand sanft. »Aye Annie und mein Heimweh ist nichts im Vergleich zu deinem. Mich werden nur ein Meer und die nötige Portion Wahnsinn von hier trennen und nicht Jahrhunderte. Du bist weitaus schlimmer dran«, sagte er seufzend, noch immer keinen Blick von Andrea lassend. Sie nickte nur stumm und kämpfte gegen die Tränen, die ihre Augen schossen.
»Du musst mir ein Versprechen geben Annie und du musst schwören es zu halten, egal was geschieht!«, brach es plötzlich aus ihm heraus.
»Was für ein Versprechen?«, fragte das Mädchen verwundert. Sie wusste nicht, auf was Alan hinauswollte.
»Du hast vor ein paar Tagen zu mir gesagt, dass ich keine Rücksicht auf dich nehmen sollte, weil mein Leben in Gefahr sei. Ich möchte, dass du mir gegenüber genauso handelst. Sollte etwas passieren, wenn wir den Forth überqueren, sollte ich verhaftet werden, musst du mir versprechen, dass du nichts unternimmst. Gehe mit Brian und Flora nach Edinburgh, sie werden dir helfen. Gib dich auf keinen Fall zu erkennen, du würdest weder mich, noch James damit retten können. Mein Leben ist verwirkt, wenn sie mich nicht für den Mord an Colin Campbell hängen, dann für meine Fahnenflucht in Prestonpans. Es hat keinen Sinn!«, mit diesen Worten hatte er sich auf sie zugedreht und hielt ihre beiden Hände fest. Sein Blick war flehend und voller Schmerz.
Andrea hatte noch mehr mit den Tränen zu kämpfen, stumm schüttelte sie den Kopf. »Ich ..., ich weiß nicht ob ich das kann Alan, ... ich weiß nicht …«, stammelte sie schluchzend. Alan hielt noch immer ihre Hände und drückte sie sanft, stumm schüttelte er den Kopf dabei.
»Du musst es Annie, um meiner und um deiner Willen. Dass letzte was ich will, ist dich in Gefahr zu bringen, oder dass du noch mehr leiden musst, als du es schon getan hast. Es ist schon schlimm genug, was meinetwegen mit James passiert ist, mehr kann ich nicht ertragen!«, mit diesen Worten ließ er ihre Hände los und barg erschöpft das Gesicht in seinen.
Das war es also, was Alan so bedrückte, ihm schlaflose Nächte bescherte. Wieder ein unbekannter Teil Alans, den sie entdeckte.
Sie saßen noch stumm eine Weile beieinander, eine Zeit, die sie brauchten um sich wieder zu fassen, dann gingen sie zurück zum Gasthof, wo Flora und Brian bereits auf sie warteten

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Imprint

Text: Liedtext "One Thing" Copyright RUNRIG, mit freundlicher genehmigung der Band
Images: Covergestaltung, Copyright Ursula Ritzmann
Publication Date: 05-10-2012

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