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Die Beerdigung

Eben glaubte er noch einen bitteren Geschmack im Mund zu spüren, aber dann war alles weg. Heiner konzentrierte sich auf seine Sinne - nein, da war nichts Bitteres mehr feststellbar. Aber irgendetwas war eigenartig. Er blickte sich um. Hatte er sich nicht gerade eben in seiner Villa befunden? Wieso stand er jetzt auf freiem Feld? Wie kam er hierher? Das Gras gab einem leichten Wind nach, aber Heiner konnte den Wind nicht fühlen. Er befeuchtete seinen Finger und hielt ihn in die Luft - nein, kein Wind - nicht einmal die Feuchtigkeit an seinem Finger war spürbar. Aber die Bäume und Sträucher bewegten sich. Irgendwie passte das nicht. Auch das Fehlen des Vogelgezwitschers war eigenartig! Nicht, dass ihn diese Flattermänner interessieren würden, denn er hatte sich noch nie etwas aus diesem Ungeziefer gemacht, aber es war so still!

Er fühlte sich seltsam. Eben hatte er noch Durst verspürt und nach dem edlen Whiskey gegriffen, aber jetzt fühlte er sich nur noch eigenartig. Er konnte es nicht näher beschreiben. Durst? Nein. Vielleicht spürte er noch ein Verlangen. Aber auf was? Er war sich seiner Gefühle nicht im Klaren. Irgendetwas schien ihn aus der Bahn geworfen zu haben. Die Gefühle waren intensiver als kurz zuvor. Eine Orientierungslosigkeit hatte sich eingestellt und zu ihr gesellte sich eine eigentümliche Schwerelosigkeit - nicht zu verwechseln mit der übermütigen Leichtigkeit eines Schwipses. Nein, hier war es anders. Er fühlte sein Gewicht nicht mehr. Es war ihm, als wäre er leicht wie eine Feder.

"Willkommen Heiner Reyam", sprach eine weibliche Stimme hinter ihm und er fuhr erschrocken herum. Da stand eine eigenartig gekleidete junge Frau. Ihre Haare lang und schwarz, ihre Gesichtszüge mitfühlend und ihre Kleider ... ja, ihre Kleider waren so gar nicht die aktuelle Mode. Sie sah eher aus wie ein Hippie oder eine Indianerin. Wer war sie? Der Manager hatte sie noch nie in seinem Leben gesehen.

"Heiner", sprach sie ihn an, "willkommen im Leben nach dem Tode."

"Wo?"

"Du bist tot", antwortete sie und wartete geduldig seine Reaktion ab. Sie wusste, dass er jetzt Zeit benötigen würde, um die Situation zu verarbeiten. Die Wenigsten begriffen sofort, was geschehen war. Manche Seelen wollten ihren Tod sogar überhaupt nicht akzeptieren, eine kritische Situation zwischen den Welten.

Heiner blickte sich irritiert um.

"Tot?" wiederholte er immer wieder. Gerade eben hatte er in der Bar seiner Villa einen Drink genossen. Er hatte noch ein paar Dokumente unterschrieben, die er für die Konzernleitung von SalutemArtis vorbereitet hatte. Die mussten heute Abend noch fort.

SalutemArtis Ltd war der Pharmakonzern, den bis vor kurzem Onkel David geleitet hatte. Er war es gewesen, der ihn nach seinem MBA-Studium als Konzernleiter bei der Chemiefirma Chem&Nova eingesetzt hatte. Von ihm hatte er alles über die Leitung eines Konzerns gelernt. Strategien und Networking waren dabei die wichtigsten Fächer.

Später hatte er sogar einen Sitz in der Konzernleitung von SalutemArtis besetzen können. Es war nicht ungewöhnlich in der Stadt, dass ein Manager einen Sitz in zwei verschiedenen Konzernen innehaben konnte. Diesen Trick hatte Onkel David eingeführt und galt als Auszeichnung für besondere Dienste. Dienste an wem? Nun an Onkel David natürlich. Er war es, der alle Geschicke der Stadt geleitet hatte: die Geschicke der Konzerne und die der Stadt. Er hatte den Sumpf, wie man diese Organisation inoffiziell nannte, aufgebaut. Der Sumpf war ein Netzwerk von Managern, welche im Golfclub ihre konspirativen Treffen hatten. Eigentlich war dieser Club das Hauptquartier, in dem Onkel David regierte. SalutemArtis war nur sein offizieller Sitz gewesen.

Seinen Neffen Heiner hatte er als Nachfolger auserkoren, seit er wenig Glück mit einem seinerzeit vielversprechenden Manager hatte. Dieser hatte sich dummerweise nach Asien abgesetzt - oder glücklicherweise - das kommt auf den Blickwinkel an. Heiner hatte das Handwerk gierig aufgesogen. Es war der Schlüssel zum Glück, zu Geld und zur Macht.

"He, wer bist Du, Mädchen? Weisst Du überhaupt wer ich bin? Also lass mich in Ruhe!" schnauzte er sie an.

Sie aber blieb ruhig stehen und blickte ihn nur mitfühlend an.

“Natürlich weiss ich wer Du bist, Heiner”, meinte sie mit einem Ausdruck ehrlichen Bedauerns, “Du warst der CEO von Chem&Nova und warst gleichzeitig in der Konzernleitung der SalutemArtis. Dann wurde Dir die Aura Deines Onkels zu mächtig.”

“Er liess mich nicht mehr frei entscheiden”, verteidigte sich der Manager wütend.

“Du musst Dich nicht rechtfertigen. Du stehst nicht vor Gericht. Jedenfalls hast Du Dich rührend um Deinen Onkel gekümmert, nach seinem Hirnschlag.”

“Natürlich! Nach allem was er für mich getan hatte, war das selbstverständlich. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst - ein verwirrter alter Mann. Das hätte jeder getan.”

“Bestimmt”, antwortete die Frau gelassen, diesmal aber mit einem leicht zynischem Unterton, “jeder hätte sich um ihn gekümmert und dann seinen Sitz als CEO von SalutemArtis und den Vorsitz des Sumpfes übernommen.”

“Du sagst das, als ob ich ihn getötet hätte!”

“Natürlich nicht. Er lebt ja noch.”

Heiner seufzte tief. Er war der wichtigste Mann der Stadt! Er hatte das Imperium seines Onkels übernommen! Und nun sagte ihm so eine Hippie-Indianerin, dass er tot wäre? Das konnte nicht sein. Wie konnte sie es nur wagen, so respektlos mit ihm zu sprechen!

   "Verschwinde!" murrte er und wandte ihr den Rücken zu.

"Mein Name ist Ninagi-wanblanka", stellte sie sich unbeirrt vor, "das bedeutet ‘Die in die Seele sieht’. Du kannst mich Ninagi nennen."

"Dann verschwinde, Ninagi."

"Du warst Heiner Reyam."

"Das bin ich noch..."

"Warst Du..."

"Ich bin der CEO von SalutemArtis, wenn Dir Hippie das was sagt. Ich brauche mich nicht von so einer Tussi wie dir anquatschen lassen. Ich soll tot sein? So ein Quatsch! Wieso kannst Du dann mit mir sprechen?"

"Weil ich ein Geist bin, der Dir helfen will."

Heiner fuhr herum.

"Was willst Du sein? Ein Geist? Zu viel LSD geschluckt, wie?"

Ninagi seufzte. Sie kannte solche Typen zu genüge. Es waren traurige, bemitleidenswerte Seelen, denen sie half.

"Blicke dich mal genauer um, Heiner", forderte sie ihn auf.

"Wieso soll ich mich umsehen? Was interessiert mich der Mist? Einen Scheiss werde ich!"

"Vertrau mir."

"Nerv mich nicht!"

"Du musst nur hinsehen und erkennen", forderte sie ihn hartnäckig auf.

Heiner schaute sich um. Vielleicht würde er die Nervensäge dann bald loswerden. Sie standen auf einem Feld, na und?

"Was siehst Du noch?"

Heiner erschauerte: Gräber! Sie waren auf einem Friedhof.

"Ganz recht. Wir sind auf einem Friedhof. Heiner, heute ist Deine Beerdigung."

"Meine was?"

Heiner musste lachen.

"Wir sind im Jenseits", erklärte Ninagi, "keiner wollte Dich hier abholen. Nicht einmal Deine Mutter. Deshalb ist das meine Aufgabe. Ich heisse Dich im Jenseits willkommen."

"Woher willst Du meine Schlampe von Mutter kennen?" fuhr Heiner auf, "und mein Vater?"

"Komm mit, ich muss Dir etwas zeigen."

Ninagi ging zwischen den Gräbern hindurch. Heiner zuckte mit den Schultern und meinte, dass er ja doch nichts anderes tun könne. Also folgte er ihr. Sie blieben zwischen ein paar Bäumen stehen. Vor ihnen war eine Menschenmenge um ein offenes Grab herum versammelt. Heiner erschauerte. Er konnte seine Frau und seine Kinder erkennen. Seine Schwägerin, Tante Anni, einige Verwandte und sogar der Bürgermeister waren gekommen. Da waren noch mehr Leute: die gesamte Konzernleitung von SalutemArtis und Chem&Nova (jedenfalls die ehemalige Konzernleitung), viele Manager, Kollegen und ja! Sogar Mitarbeiter aus seinem Konzern!

Alle waren gekommen, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Ja, er war beliebt. Sie alle huldigten seiner Macht! Er war also tatsächlich tot. Ihm wurde schwindlig. Dann aber riss er sich zusammen und beobachtete die Szene weiter.

Der Bischof hielt eine kurze Rede und der Sarg wurde in die Erde gelassen. Dass das alles ein wenig hastig und lieblos wirkte, war Heiner entgangen. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Besucher zu beobachten. Seine Frau und seine Kinder standen gemeinsam an der offenen Grube. Er konnte ihre Gesichter nicht sehen. Bestimmt weinten sie bitterliche Tränen!

"Ich bin tatsächlich tot", murmelte er und betrachtete irritiert seine Hände.

Ninagi atmete auf. Er hatte verstanden. Zu oft hatte sie erleben müssen, dass die Verstorbenen glaubten, am Leben zu sein. Der Hang zum irdischen Leben konnte sehr stark sein. Es war dann immens harte Arbeit, die Seelen mit viel Überzeugungskraft auf den rechten Weg zu führen. Wenn sie nicht folgten, konnten sie in der Ewigkeit verloren gehen. Diese Seele hier schien wohl den ersten Punkt begriffen zu haben. Jetzt musste sie ihm die zweite härtere Lektion erteilen.

Nun trat jeder einzelne Besucher nach und nach ans Grab, blickte hinab, warf etwas Erde oder Blüten hinunter und kondolierte seiner Witwe. Sie trug einen Schleier. Heiner konnte nicht sehen, ob sie weinte. Wer war das eigentlich neben ihr? Franz? Ein guter Freund der Familie? Wieso hatte er sie und seine Kinder im Arm? Heiner ballte die Fäuste, dann aber lenkte ihn etwas anderes ab.

Hatten die Besucher bisher höflich und voller Anstand kondoliert, hörte er gerade einen Mann zu seiner Frau sagen: "Herzlichen Glückwunsch, dass Sie dieses Schwein los sind."

Dann verschwand der Mann. Einige der Umstehenden blickten ihm nur schockiert nach, aber schon kam der Nächste, öffnete vor dem Grab seine Hose und pinkelte hinein. Der Urin stank vom edlen Holz in der Tiefe empor und ätzte sich in den Stolz des Toten. Der Mann zog schweigend den Hut und schlenderte gen Ausgang. Einige Gäste riefen laut auf, andere schienen lachend zu nicken, aber niemand hatte ihn aufgehalten.

"Was geschieht hier?" murmelte Heiner mehr zu sich selbst als zu Ninagi.

Diese antwortete, damit die Sachlage keine Fragen offen liess: "Es gibt viele Menschen, denen Du weh getan hast. Sie hassen Dich. Der Mann neben Deiner Frau ist ihr Liebhaber. Sie ist die Beziehung schon vor einigen Jahren eingegangen. Sie hat diese Beziehung gebraucht, um ein Gefühl der Geborgenheit zu haben. Sie hat Dich nur nicht wegen der Kinder verlassen..."

"...und wegen des Geldes, nehme ich an. So eine Schlampe!"

Ninagi ging nicht weiter darauf ein.

"Der Mann, der in Dein Grab uriniert hat, war ein Mitarbeiter, den Du entlassen hast."

"Den kenne ich doch gar nicht!"

"Nicht persönlich, aber durch Deine Handlungen hat er seinen Job verloren. Er ist auf der Strasse gelandet, weil er durch das Zutun Deiner Manager und Handlanger keinen weiteren Job mehr bekommen hat."

"Die bekommen doch eine saftige Abfindung!"

"Schon vergessen? Du hast ein Dokument unterschrieben, was die Abfindungen auf ein Minimum reduziert. Davon kann kein Mensch leben."

Eine einfach gekleidete Frau trat an das Grab und holte eine Schachtel heraus. Den Inhalt schüttete sie über dem Sarg aus.

"Wer ist das?"

"Die Sekretärin von Karl von Münchenstein - Deinem Vorgänger in Chem&Nova. Du hast Sie eine primitive Nutte genannt, weil sie Dir nicht ... zur Verfügung stehen wollte. Dann hast Du sie gefeuert."

"Was hat sie da ausgeleert?"

Ninagi zuckte mit den Schultern.

"Sieht wie Kompostbeschleuniger aus. Sie will wohl, dass Du schneller verrottest."

Heiner rang nach Fassung.

"So eine Nutte! Ich habe sie nicht belästigt! Sie hat...."

Ninagi blickte ihn nur mitleidig an und meinte: "Das musst Du mit Dir selbst ausmachen. Ich werde hier nicht urteilen. Ich helfe Dir nur ein wenig Gleichgewicht zu erreichen."

Sie klopfte ihm auf die Schulter.

"Wir alle haben an ein paar Dingen zu beissen", meinte sie gelassen, “damit sind wir nach unserem Tode als erstes beschäftigt. Unsere erste Aufgabe im Jenseits ist es, sich diesen Dingen zu stellen. Du scheinst jedenfalls nicht sehr beliebt gewesen zu sein ..."

"Ich war sehr beliebt!" brüllte Heiner, "ich war der Partylöwe schlechthin. Man lachte mit mir und man..."

Tränen traten in sein Gesicht.

"... und man trank mit mir. Ich schmiss eine Runde nach der anderen..."

Dann lenkte ihn wieder etwas ab.

"Moment, diesen Mann kenne ich! Das ist doch unser Gärtner!"

Ninagi seufzte.

"Deshalb wirft er auch zwei Handvoll Würmer ins Grab."

Ihre Stimme war aufrichtig mitfühlend.

"Soll wohl den gleichen Effekt haben wie der Kompostbeschleuniger", brummte Heiner grollend, "Undankbares Volk! Ich habe so viel Gutes für sie getan. Wäre ich nicht gewesen, hätten sie keinen Job gehabt!"

Ninagi würdigte dieser Bemerkung keine Antwort. Heiner musste selbst wissen, welchen Unsinn er von sich gab.

Dieser wollte schon gehen, dann aber wandte er sich nochmals seiner Beerdigung zu.

"Wo ist eigentlich Onkel David?"

"Er hält sich abseits. Sieh dort."

Ninagi zeigte auf einen Mann im Rollstuhl, der etwas abseits stand. Es war David Reyam, der ehemalige Herrscher der Stadt und einstiger CEO von SalutemArtis. Heiners Lehrer und Mentor!

"Alles umsonst", murmelte er, "dabei habe ich das mit dem Testament so gut eingefädelt. Und jetzt bin ich vor dem alten Sack tot."

Plötzlich fasste Heiner Ninagi am Arm.

"Ich will gehen", flüsterte er erschrocken, "Ninagi, wie komme ich hier weg? Ich will gehen!"

Der gute Geist reichte dem Verstorbenen die Hand und führte ihn fort. Hinaus aus dem Friedhof, fort von den Lebenden hinüber ins Jenseits.

Was hatte Heiner so sehr erschreckt?

Onkel David, der einst so herrische Mann, der geniale Stratege und jetzige Tattergreis mit einem Gehirn aus Brei hatte in ihre Richtung geschaut. Der alte Mann hatte ihn angesehen, als könne er die zwei Geister auf dem Friedhof erblicken. Vielleicht hatte er es auch. Denn es war nicht mehr klar, was er nach seinem Schlaganfall wirklich sehen konnte. Er hatte immer wieder von seinem Bruder und seiner Schwägerin - Heiners Eltern - gesprochen, als wären sie noch am Leben - ja als würden sie sich gerade im Zimmer aufhalten. Aber sie waren schon lange tot! Immer wieder hatte er behauptet, dass sie gerade das Zimmer verlassen hätten.

Hatte David seinen toten Neffen wirklich sehen können?

Was Heiner aber am meisten erschreckte:

Es war das breite befriedigte Grinsen seines Onkels.



Herzlich Willkommen

Drei Jahre zuvor betrat Jens das Labor, welches dunkler zu sein schien als alle bisherigen Giftmischerküchen, die er kannte. Man hatte ihm einen Job in der Pharmafirma SalutemArtis besorgt, nachdem man ihm übel mitgespielt hatte. Es war ihm keine andere Wahl geblieben, als diese Chance zu ergreifen. Eigentlich war er Betriebschemiker und nicht gewohnt, in einem kleinen Labor zu arbeiten. Seine Welt war in Tonnen und Liter zu messen, nicht in Milligramm und Mikroliter. 

Vor einigen Jahren hatte er sich am Tode einiger Mitarbeiter schuldig gemacht - er glaubte schon selbst daran. Man hatte ihn damals gezwungen, die Anlage schneller produzieren zu lassen, was in einer Katastrophe geendet hatte. Seine Warnungen hatte man in den Wind geschlagen. Alles war so geschehen, wie er es prophezeit hatte. Unendlich lange hatte er seine Vorgesetzten ins Gewissen geredet, aber die Methoden des Managements waren mafiös und gefürchtet. Es war zu einer Katastrophe gekommen und man hatte ihn verurteilt. Die Schuld hatte der Chemiker mit Gefängnis bezahlt und war nun wieder auf freiem Fusse - auf Bewährung.

Das Schicksal war aber auch nicht folgenlos am Management vorbeigegangen. Ein Manager nach dem anderen war exekutiert worden. Es war ein guter Freund, der sich am Management gerächt hatte. Dieser hatte aber selbst dafür büssen müssen. Obwohl er ein Krimineller und Mörder geworden war, war sein Freund zu einer Legende unter den alten Chemikern geworden (Chimica Mala - Die Rache des Chemikers).

Jens schüttelte den Kopf. Es war ein Abschlachten biblischen Ausmasses gewesen. So etwas durfte sich nicht wiederholen.

Der damalige CEO von Chem&Nova Karl von Münchenstein hatte veranlasst, dass er einen Job bei SalutemArtis bekommen würde. Jens hasste sich dafür, denn er hatte seinen Freund und Chemiker an diesen Manager verraten müssen, um sich selbst zu schützen (Chimica Mala II - Chemikerdämmerung).

Undurchsichtig waren die Beziehungen und das Netzwerk der Manager. Angstvoll wurde dieses künstliche Gebilde aus Macht und Geld von den Aussenstehenden als Sumpf bezeichnet. Karl von Münchenstein war verschwunden. Übrig blieben David Reyam, der CEO von SalutemArtis und Kopf des Sumpfes, und sein Neffe, der aktuelle CEO von Chem&Nova. Dieser stand seinem Onkel sowohl nahe als auch ihm in nichts nach - auch er war stets darauf bedacht, sein Netzwerk zu pflegen. Auch er war es gewohnt, über Leichen zu gehen - nein, solche Manager gingen nicht über Leichen. Diese waren schon lange vor ihrem Auftreten von den Mittelsmännern weggeräumt worden. In solchen Managerpositionen machte man sich die Finger nicht schmutzig.

Jens hatte sich über seinen neuen Job informiert. Gerüchten zu Folge sollte er einen Vorgesetzten haben, der als Mensch alles andere als 'easy' sein sollte. Anton war zwar bekannt als genialer Chemiker und Forscher, aber als Mensch war er nicht gerade das, was man sich als Traumkollegen wünschen würde. Zu spät hatte er davon gehört. Schon hatte er unterschreiben müssen, dass er diese Stelle mindestens ein Jahr innehaben müsse. Was hätte er auch anderes machen sollen? Er war auf Bewährung. Wieder hatten ihn die Manager in ihrer Hand. Er wusste, würde er nicht nach der Pfeife des Sumpfes tanzen, würde er zurück ins Gefängnis gehen. Naja, schlimmer als dort konnte es hier ja nicht sein, und mit schwierigen Chemie-Dinosauriern konnte er umgehen. Er hatte schon einige solcher Unikate kennengelernt.

"Steh nicht so dumm rum, komm lieber mal her", tönte es von irgendwo hinter den Regalen. Jens durchschritt das Labor, während er die verschiedenen Fläschchen und Glasapparaturen studierte. Ja, es tat wohl, all diese vertrauten Dinge wieder zu sehen. Reagenzgläser, Rundkolben, Exsikkatoren, Erlenmeyerkolben, Pipetten aller Art und vieles mehr.

"Jetzt komm schon her", blaffte die Stimme ungeduldig.

Jens konnte einen alten Mann in der Ecke sitzen sehen. Er war mit Millimeterpapier und Bleistift beschäftigt. Der Computer stand ausgeschaltet unter dem Schreibtisch und drohte zu verstauben.

"Du bist also mein Gehilfe, wie man mir sagte", murmelte er, ohne aufzusehen, "wie heisst Du?"

"Ich heisse Jens."

Er versuchte seiner Stimme eine gelassene Festigkeit zu geben, konnte aber nicht sagen, ob das ihm wirklich gelungen war.

"Wirf Deine Sachen dort hinten hin und dann erkläre ich Dir, was ich hier mache, falls Du das jemals verstehen solltest. Verdammt! Habe den Idioten hundertmal gesagt, dass ich besser arbeiten kann, wenn ich alleine bin. Also stör mich nicht."

Der alte Chemiker blickte auf und studierte Jens über seine Hornbrille.

"Jens also", brummte er.

Der Neuling, denn so einer war der Betriebschemiker hier, lächelte dem Dinosaurier offen entgegen. So machte er es auch bei fremden Hunden, die ihm nicht ganz geheuer waren. Ein Lächeln hatte etwas Entwaffnetes. Sogar Affen zeigten eine ähnliche Gebärde, um dem Gegner zu zeigen, dass keine Gefahr drohte. Wenn es bei Hunden und Affen funktionierte, dann vielleicht auch bei dieser Gattung 'Homo Chemicalis'.

Er stellte seine Tasche in die angezeigte Ecke und kehrte zum Chemiker zurück. Dieser baute sich vor ihm auf und musterte ihn eindringlich.

"Hast Du schon als Chemiker gearbeitet?"

"10 Jahre Betriebschemiker..."

Der Alte grinste.

"Also eine Schaufel findest Du hier nicht."

"... und 10 Jahre Forschung", ergänzte Jens unbeirrt.

"Welche Forschung", fragte er mit lauernden Blick.

"Plastikadditive."

"Aha, und weil Du mal mit Antioxidantien wie Vitamin E gespielt hast, glauben die Idioten von Manager, dass Du auch in der Pharmazie mitspielen kannst."

“Glaubst Du wirklich, sie kennen den Unterschied zwischen

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 01-29-2019
ISBN: 978-3-7438-9481-5

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