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Die Wandernde 7

 

Die Wandernde 7

 

Texte: (C) Dr. Andreas Fischer

Fassung 1.0

 

 

Sämtliche in diesem Buch enthaltene Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichttig.

 

 

E-Books sind urheberrechtlich geschützt und nicht übertragbar. Nachdruck, Kopie oder eine sonstige Verwertung, auch auszugsweise, sind ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors nicht erlaubt.

 

Vorwort

Vor etlichen Jahren geschah es in einer Kleinstadt im schönen, aber meist sehr kalten Schwarzwald, dass sich sieben recht unterschiedliche Personen zu einem Verein zusammentaten, der fortan auf den eigensinnigen Namen »Wandernde 7« hörte. Entgegen seiner Bezeichnung war der Club allerdings weniger mit gesunder Bewegung an der frischen Luft beschäftigt, sondern hatte sich zum Ziel gesetzt, diverse Verbrechen aufzuklären, die sich urplötzlich in der sonnigen Bergstadt ereigneten. Dabei war den Hobbydetektiven oftmals das Glück hold, da ihr eigenes kriminalistisches Gespür nur teilweise ausgeprägt war.

Wie kam es aber zu der sonderbaren Häufung von Straftaten an diesem harmlos erscheinenden Ort? Nun, dafür war ein Schuljunge hauptverantwortlich, der diese Ereignisse damals in zweckentfremdeten Deutschheften niederschrieb und auch dafür sorgte, dass die Mitglieder der »Wandernden 7« sich so verhielten, wie sie es eben taten, nämlich ziemlich kindisch.

Das ist mittlerweile eine geraume Zeit her, doch wie man weiß, ist es nie zu spät, um sich an interessante Begebenheiten zu erinnern. Obwohl der Schuljunge inzwischen schon längst dem Knabenalter entwachsen ist, hat sich die »Wandernde 7« nicht wesentlich verändert, nur ein wenig. Doch ihren eigentümlichen Charme hat sie nicht verloren.

Erleben Sie also jetzt, wie es ist, wenn sich ein Verein aus sonderbaren Menschen nach vier Jahren wiedertrifft, um das Böse in der Bergstadt zu bekämpfen. Ich wünsche Ihnen dabei recht viel Vergnügen.

 

Der Schuljunge von einst

Die Protagonisten

Die Wandernde 7 besteht aus:

 

Prof. Friedrichs

72, Schütze, Gründer des Vereins, Professor für Akustik, im Ruhestand, gelegentlich etwas barsch

 

Frank (Dr. Frank Michel)

32, Widder, Arzt, hat schwarze Locken, fotographiert in seiner Freizeit, isst gerne Karotten

 

Walter Wollank

48, Jungfrau, Chemietechniker, verheiratet mit Uschi (s.u.), gelegentlich etwas unsensibel

 

Uschi Wollank

41, Fisch, Lehrerin für Mathematik, verheiratet mit Walter (s.o.)

 

Leo Lessing

37, Zwilling, Dozent für Literaturwissenschaft, Hobbydichter, etwas exzentrisch

 

Chris (Christina Meynert)

28, Krebs, Konzertpianistin, etwas verträumt

 

Claudia Fernandez

29, Skorpion, CD-Verkäuferin in einem großen Warenhaus, gelegentlich etwas zickig, hat eine Vorliebe für Knäckebrot

 

Die Wandernde 7 kehrt zurück

Nachdem die vielen Türen zugefallen waren, begann der Zug langsam davonzugleiten. Was er von sich zurückließ, waren einige eilige Personen, die entweder schweigend oder miteinander lachend den Treppen entgegengingen, welche vom Bahnsteig herabführten.

Ein Mann in einer etwas altmodischen Lederweste hatte für eine Weile seine schwere Tasche abgestellt, um kurz zum Himmel aufzublicken und festzustellen, dass die vielen Gerüchte über das Wetter in dieser kleinen Stadt nicht alle frei erfunden sein konnten, strahlte heute doch die Sonne, wie er sie während der Wintermonate am Bodensee nur selten zu Gesicht bekam.

»Leo?«, hörte er hinter sich auf einmal eine Frauenstimme, und als er sich verwundert umschaute, wusste er zunächst nicht, ob er seinen Augen trauen sollte.

»Leo, sind Sies wirklich?«, erkundigte sie sich nochmals, da es ihr offenbar ähnlich erging wie ihm.

»Uschi!«, rief er darauf aus. »Für eine Sekunde wusste ich nicht, ob ich richtig sehe.«

»Leo!«, kam die erfreute Antwort. »Und wie Sie richtig sehen! Sagen Sie, das muss ja eine Ewigkeit her sein.«

»Nun, lassen Sie mich mal nachdenken«, schmunzelte er, »vielleicht waren es vier Jahre.«

»Vier Jahre, ja«, die hochgewachsene Frau mit den kurzen blonden Haaren schien für einen Moment etwas ernster zu werden, doch dann rief sie: »Wie gehts Ihnen?«

»Also, mir gehts ganz gut«, gab er zurück.

»Wissen Sie was«, fiel es ihr plötzlich ein, »warum kommen Sie nicht schnell auf eine Tasse Kaffee vorbei? Ich kann Sie dann auch heimfahren.«

»Das wäre nett. Und außerdem könnten wir noch etwas über die alten Zeiten plaudern.«

»Genau!«, antwortete sie strahlend, worauf sich die beiden in Bewegung setzten.

Unterhalb des Bahnsteigs lag ein Parkplatz, auf dem Uschi sich einem dunkelblauen Wagen zuwandte, welcher es veranlasste, dass Leo zu grinsen begann: »Wie ich sehe, fahren Sie noch immer das gleiche Auto.«

»Ja«, entgegnete sie, »Walter wollte sich mal ein neues kaufen, aber das Geld liegt bei uns eben auch nicht vor dem Hauseingang.«

Die beiden stiegen ein. Der Weg führte sie einen Berg hinauf in ein eher ruhiges Wohnviertel, in welchem Uschi in einer Seitenstraße vor einem Einfamilienhaus anhietl.

»So«, rief sie sichtlich erfreut, nachdem die beiden wieder ins Freie getreten waren, »dann kommen Sie erst mal rein.«

Sie schloss die Tür auf und führte ihn ins Wohnzimmer.

»Machen Sie sichs bequem!«, bat sie ihn, während sie nach nebenan verschwand.

»Sagen Sie«, begann dann Leo seiner Neugier nachzugeben, »was ist denn aus dem Campingbus geworden?«

»Oh«, hörte er sie in der Küche herumfuhrwerken, »den benutzen wir draußen noch als Gartenlaube, nachdem... na ja, Sie wissen schon.«

Jetzt kam sie zurück und die beiden setzten sich an den Tisch.

»Was machen Sie denn so?«, wollte sie wissen.

»Ich bin mittlerweile Dozent für Literaturwissenschaft in Konstanz an der Uni«, erzählte er, während ihm die ersten Fetzen von Kaffeeduft in die Nase stiegen. »Da gibt es immer viel zu tun. Ich wohne aber noch hier. Und wie gehts Ihnen?«

»Ach, ich bin wieder als Lehrerin tätig und versuche, den Kindern Mathe etwas näherzubringen«, meinte sie. »Ansonsten hat sich bei uns seit damals nicht allzu viel verändert, nur Walter hat endlich mal selber ein Chemieheftchen geschrieben.«

»Und, wissen Sie etwas über die Anderen?«, fragte jetzt Leo ein bisschen ernster.

»Über manche mehr, über manche weniger«, kam die Antwort. »Frank, unser Arzt, arbeitet als Assistent in Villingen bei Dr. Hämmerle. sehr renommierte Praxis. Claudia ist auch in Villingen und verkauft CDs. Die beiden haben sich damals aber gestritten und die Verlobung rückgängig gemacht.«

»Was, wieso denn das?«

»Tja«, machte sie nur, »wir waren doch alle nicht besonders erfreut darüber, dass sich der Verein sozusagen aufgelöst hat, denn ich glaube, niemand von uns wollte das so richtig.«

»Wir haben uns alle ganz schön gestritten«, erinnerte sich der Dozent.

»Haben Sie zufällig eine Ahnung, was aus Chris geworden ist?«, erkundigte sich die Frau darauf.

»Ja«, wusste Leo zu berichten, »sie ist Pianistin in Stuttgart in einem Orchester.«

»Gut«, rief Uschi, während sie aufstand, um nach dem Kaffee zu sehen, »das hat sie sich doch immer gewünscht.«

Gleich darauf kam sie mit zwei eingegossenen Tassen zurück.

»Vielen Dank«, freute sich Leo, bevor seine Miene wieder etwas betrübter wurde, »und was ist mit dem Professor?«

Uschi nahm erst mal ein paar Schlucke zu sich, bis sie dann begann: »Tja, das ist eine traurige Geschichte: Nachdem wir alle auseinandergegangen waren, fühlte er sich nicht gerade gut. Ich weiß nicht, ob es am Alter lag oder daran, dass sein Club sich aufgelöst hatte, aber auf jeden Fall kam er dann ins Altersheim, wo er auch jetzt noch ist. Allerdings ...«, sie stellte ihre Tasse ab, »... es geht ihm wirklich nicht gut. Er ist irgendwie völlig abwesend. Walter und ich haben ihn mal besucht, aber wir waren uns hinterher gar nicht sicher, ob er uns überhaupt erkannt hat. Auf jeden Fall hat er kein Wort rausgebracht.«

»Und dabei waren wir mal der beste Verein ganz St. Georgens!«, jammerte der Dozent. »Wissen Sie noch das mit Rudolf Schilling? Wie wir den gejagt haben!«

Ein Lächeln kehrte auf Uschis Gesicht zurück: »Oder das mit dem Haus des Dr. Cenobra. Das war vielleicht gruselig!«

»Allerdings«, strahlte Leo, »oder unser Ausflug nach Dallas.«

»Erinnern Sie mich bloß nicht daran!«, mahnte ihn Uschi. »Davon hatte ich genug. Aber wie wir den Klostergang entdeckt haben, das war doch wirklich genial!«

»Ja«, fiel es ihm ein, »der Polizeichef hat mich persönlich zum Kaffee eingeladen, weil mein Bericht so bestechend präzise formuliert war.«

»Aha«, machte sie mit einer wichtigen Miene, »wie steht es denn um Ihre Dichtkunst?«

»Der geht es hervorragend!«, kam die stolze Antwort. »Ich habe sogar einige Werke in einer Literaturzeitschrift veröffentlicht und außerdem einen Sammelband im Selfpublishing.«

»Im was?«

»Selfpublishing«, erklärte er, »da kann man Bücher über das Internet publizieren. Aber bis man alle Formatierungen so hinbekommt, wie es verlangt wird, kann sich das ganz schön in die Länge ziehen.«

»Oh je«, brummte sie nur abwehrend, »mit dem Internet habe ich es nicht so. Ich habe mich mal bei einem sozialen Netzwerk angemeldet, weil meine Klasse immer davon geschnattert hat. Aber kaum war ich da vertreten, haben sich die Schüler alle löschen lassen, wegen Lehrerbefalls, wie sie meinten.«

Sie guckte ihn vielsagend an, ehe sie dann fortfuhr, in Erinnerungen zu schwelgen: »Oder, denken Sie nur daran, wie wir dieses geheimnisvolle Tagebuch benutzt haben, um das Gold von Ottokar Fernandez zu finden!«

»Tja«, fügte Leo etwas nachdenklich hinzu, »die alten Zeiten, wo sind die nur hin?«

 

Der Dozent und Dichter war noch eine ganze Weile bei Uschi geblieben und hatte mit ihr aus dem Nähkästchen geplaudert, was die Wandernde 7, der Verein, den Prof. Friedrichs damals gegründet hatte, so alles erlebt hatte. Obwohl dieser Club eigentlich dazu gedacht war, alle möglichen Ausflüge zu unternehmen, war daraus im Laufe der Zeit so eine Art Detektei geworden, die mal mit Geschick und manchmal auch mit etwas Glück eine ganze Reihe von Fällen aufgeklärt hatte. Nach dem letzten war es allerdings zu einigen Streitereien unter den Clubmitgliedern gekommen, da manche von ihnen die ständigen Ermittlertätigkeiten für zu gefährlich hielten. Daraufhin war der Verein im Unfrieden auseinandergegangen.

Leo machte es sich noch etwas gemütlich, als er zu Hause auf den Abend wartete. Er beschloss, einige seiner alten Gedichte hervorzukramen, die er während der Reisen und detektivischen Aktivitäten der Wandernden 7 niedergeschrieben hatte. Und so verbrachte er den Rest des Tages mit einem Haufen angenehmer Erinnerungen.

 

Am nächsten Morgen holte sich Leo wie üblich die Zeitung an den Frühstückstisch. Er schmökerte gerne etwas neben seinem Kaffee, doch als er heute den Lokalteil aufschlug, fiel ihm sofort eine dicke Überschrift auf, die etwas von einer kriminellen Nacht in der sonnigen Bergstadt berichtete. Leo las, was da stand.

»Kriminelle Nacht in der sonnigen Bergstadt - In der vergangenen Nacht ereigneten sich in St. Georgen gleich zwei Verbrechen - sensationeller Bankraub und amateurhafter Ladeneinbruch.

St. Georgen. In der letzten Nacht gab es für die hiesigen Ordnungshüter eine Menge Arbeit. Zunächst wurde gegen 0.30 Uhr ein Bekleidungsgeschäft am Bärenplatz von ungebetenen Gästen heimgesucht. Die Täter verhielten sich jedoch alles andere als professionell. Sie schlugen ein Schaufenster ein und entwendeten aus dem Inneren des Geschäftes die Kasse mit ungefähr 3000 Euro Bargeld sowie Dekorationsgegenstände im Wert von 1500 Euro.

Mit einer weitaus größeren Beute kamen andere Täter davon, die zwischen 1.00 und 2.00 Uhr die Hauptfiliale der ansässigen Sparbüchse ausplünderten. Hier bewiesen die Kriminellen allerdings wesentlich mehr Geschick. So wurde die komplette Alarmanlage der Bank lahmgelegt, sodass es den Einbrechern mühelos gelang, sämtliche Tresorräume auszuplündern, die insgesamt 1,5 Millionen Euro enthielten. Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen, hofft aber auf Hilfe aus der Bevölkerung, die möglicherweise etwas gehört oder gesehen hat.«

Leo war baff. So einen sensationellen Bankraub hatte es in der Geschichte der Bergstadt noch nie gegeben.

 

Heute hatte Leo noch einiges zu tun. Er musste noch ein paar Hausarbeiten quengelnder Studenten durchlesen und das konnte - je nach Thema und Kompetenz des Verfassers - sehr lange dauern. Bis zum frühen Nachmittag hatte er sich auch ganz gut rangehalten, doch dann musste er feststellen, dass er unaufhörlich an etwas Anderes dachte. Der Bankraub - der ließ ihn nun nicht mehr los. Er fand es irgendwie amüsant, dass so etwas auch mal in der Bergstadt passierte, die ja sonst als eher verschlafen galt, aber ... da war auch noch ein anderer Gedanke mit im Spiel. Er wusste nur nicht genau, was für einer.

Schließlich fiel es ihm dann ein: Er wollte mit Walter und Uschi darüber reden.

»Leo!!!«, brüllte Walter außer sich vor Überraschung, als der Dozent und Dichter vor der Tür des Chemietechnikers stand. »Kommen Sie rein! Uschi hat mir gestern Abend schon erzählt, dass sie Sie getroffen hat.« Walter war kaum noch zu bremsen. »Mann, wenn ich mir überlege, wie viel Spaß wir damals miteinander hatten!«

»Der alten Zeiten wegen«, begann Leo, »auf ein Wort.«

»Aber immer doch!«, grinste Walter, worauf auch Uschi hinzukam.

»In den letzten vier Jahren habe ich alles Mögliche gemacht«, erzählte der Dozent und Dichter. »Allerdings eines nicht, und zwar knifflige Fälle gelöst.«

»Lassen Sie mich raten«, nuschelte der Chemietechniker geheimnisvoll, »es geht um den Bankraub, nicht wahr?«

»Genau«, kam die Antwort.

Walter, der ebenso hoch aufgeschossen war wie seine Gattin, legte wieder los: »Wissen Sie, ich habe mir da auch schon so meine Gedanken gemacht. In der Zeitung stand, dass die ganze Alarmanlage außer Funktion war. Das gibt mir zu denken. Da müssen die absoluten Profis am Werk gewesen sein.«

»Es könnte doch aber auch sein«, fügte Leo hinzu, »dass Angestellte der Sparbüchse selber darin verwickelt waren.«

»Aber würde nicht der Hauptverdacht auf sie fallen?«, wollte jetzt Uschi wissen.

»Das ist doch so oder so der Fall, wenn die Alarmanlage irgendwie ausgeschaltet wird«, meinte ihr Mann.

»Sehen Sie«, rief Leo, »da haben wir das erste Rätsel: Ist die Alarmanlage abgeschaltet oder lahmgelegt worden? Das macht doch einen beträchtlichen Unterschied.«

»Ja«, entgegnete Walter, »aber in beiden Fällen können die Bankangestellten auch selber am Werk gewesen sein.«

Die drei schwiegen.

»Also, wir drehen uns nur im Kreis«, klagte die Frau des Chemietechnikers darauf.

»Richtig«, meinte ihr Gatte, »wenn Frank und der Professor jetzt hier wären, dann wüssten wir schon längst, was wir tun sollten.«

Wieder schwiegen die drei.

»Dann holen wir sie doch einfach her!«, fiel es Uschi plötzlich ein. »Zumindest Frank. Ihn wird es doch sicher in den Fingern kribbeln, wenn er nur an den Bankraub denkt.«

»Prima Idee!«, rief Walter nach kurzem Zögern und eilte davon.

»Was hast du vor?«, wollte seine Frau wissen.

»Ich ruf bei ihm in der Praxis an«, schallte die Antwort aus dem Flur, wo sich das Telefon befand.

Uschi und Leo standen auf und gesellten sich zum Chemietechniker, der schon damit beschäftigt war, die Gelben Seiten durchzublättern.

Plötzlich sah er auf. »Ich weiß, was wir machen«, sagte er dann. »Wir melden einen von uns als Patienten an.«

»Lass den Quatsch!«, entgegnete Uschi, doch ihr Gatte hatte bereits nach dem Hörer gegriffen und die Nummer gewählt, worauf er lauschte.

»Schönen Tag, Walter Wollank hier«, sprach er dann in den Apparat. »Ich bräuchte einen Termin, aber sehr dringend. ... Der Assistenzarzt? Ist das nicht Dr. Frank Michel? ... Ja, das geht natürlich auch, wenn er genauso viel weiß wie der Chef. ... Morgen um halb elf, alles klar!«

Er legte erfreut auf.

»Wenn das Ihre Krankenkasse erfährt, werden Sie rausgeschmissen«, kommentierte Leo zynisch.

»Ach«, gab der Chemietechniker zurück, »die werden doch kein Mitglied der Wandernden 7 rausschmeißen, das gerade in Aktion ist.«

Alle schwiegen wieder. Der letzte Satz hatte ganz offensichtlich etwas bewirkt, eine Art Geist freigelassen, der die vergangenen vier Jahre in einer Flasche irgendwo im Keller geschlummert hatte.

»Schatz«, schnurrte Uschi, »ich glaube, wir könnten uns mal wieder ein paar neue CDs anschaffen.«

 

Die oberste Etage des Kaufhauses war voller Menschen, die sich zwischen den Regalen gegenseitig auf die Füße traten, CD- und DVD-Hüllen fallen ließen und nach Titeln verlangten, die sie selber kaum richtig aussprechen konnten. Das Personal dieser Abteilung, darunter auch eine strohblonde, junge Frau, war eindeutig überfordert.

»Schatz«, Walter wurde plötzlich unsicher, »was für CDs wollen wir eigentlich?«

»Dir fällt doch sonst immer was ein«, nörgelte die Angetraute.

»Hey«, rief jetzt ein Jüngling an der Kasse unflätig, »wo habt ihr denn Hellraiser 4D, das geilste Game auf Erden?«

»Na bei PC-Spielen, da hinten rechts«, erklärte Claudia, die gerade irgendwelche Preise einzutippen versuchte.

»Such Dir doch einfach was Schönes raus, und dann bezahlen wir das bei ihr«, meinte Uschi.

»Was denn Schönes«, wollte Walter jedoch wissen, »hier gibts doch nur Bummbummmusik!«

»Also wirklich«, kritisierte Leo, »Sie müssen das gut finden, wenn Sie ewig jung bleiben wollen!«

Gesagt, getan, und Leo begab sich zum Regal mit Dancefloor und Techno, wo ihn alsbald ein kleiner Schuljunge ansprach: »He Onkel, wie findsch du Lady Lala?«

»Sehr gut, mein Kleiner«, kam die Antwort des Dichters.

»Frau Fernandez«, hörten die drei jetzt eine Stimme, die von einem etwas älteren Herrn kam, bei dem es sich wohl um den Abteilungsleiter handeln musste, »bringen Sie mal diese ganzen Hüllen wieder an ihren korrekten Platz!«

Sichtlich gestresst griff Claudia nach der Ware und begab sich auf den Weg.

»Also, so kommen wir nie zu nem Ende«, brummte Walter und ging schnurstracks auf Claudia zu.

»Schönen Tag!«, rief er.

Sie riss die Augen auf und ließ vor Erstaunen die Last in ihren Händen scheppernd auf den Boden fallen: »Walter, na so eine Überraschung.«

Jetzt gesellten sich auch die anderen beiden hinzu.

»Uschi und Leo!«, freute sich die strohblonde, junge Frau. »Ich hätte nie gedacht, Sie noch mal nebeneinander im gleichen Raum zu sehen.«

»Frau Fernandez, so nicht!«, empörte sich nun allerdings ihr Vorgesetzter. »Wenn auch nur eine Hülle zu Schaden gekommen ist, ziehe ich das von Ihrem Gehalt ab!«

Erschrocken bückte sie sich, um alles wieder aufzusammeln. Die anderen drei kamen ihr zu Hilfe.

»Wir sind wegen der alten Zeiten hier«, nuschelte ihr Leo unter den gestrengen Blicken des Abteilungsleiters zu. »Der Bankraub lässt uns keine Ruhe mehr.«

»Wenn Sie etwas mehr Zeit haben, rufen Sie mal bei uns an«, ergänzte Walter. »Wir treffen uns dann alle.«

»Hellraiser 4D!«, hörten sie jetzt einen Schrei, und der unflätige Jüngling kam wieder zur Kasse, sich nach den Aufsammelnden umblickend. »Endlich hab ichs gefunden. Und was macht ihr da unten Schönes? Kaffeefahrt vom Altersheim, oder was?«

 

Später waren Walter, Uschi und Leo zum Dichter nach Hause gefahren, da dieser noch irgendwo die Telefonnummer von Chris aufgeschrieben hatte.

»Kaffeefahrt vom Altersheim!«, regte sich der Chemietechniker auf, während Leo wählte. »Für wie alt hält der mich denn?! Und wieso eigentlich alt???«

»Jetzt beruhig dich doch, Schatz!«, meinte Uschi. »Wir werden schließlich alle nicht jünger.«

»Hallo Chris«, sprach Leo nun, »hier ist Ihr alter Freund Leo und neben diesem stehen Walter und Uschi.«

»Wieso "alter" Freund«, zischte der Chemietechniker verärgert, »ich hab heute schon mal gesagt, dass ich nicht alt bin, jedenfalls noch nicht sehr ...«

»Eben diejenigen würden sich sehr freuen, Sie recht bald wieder in ihrer Mitte begrüßen zu dürfen«, fuhr der Dichter fort, »der alten Zeiten wegen. Gewisse andere Personen wurden bereits ebenfalls kontaktiert. Rufen Sie einen von ihnen, dessen Nummer Sie ja kennen, so bald als möglich an. In freudiger Erwartung, Ihr Leo!«

Der Dichter legte auf.

»Warum haben Sie sie denn nicht zu Wort kommen lassen?«, wollte Walter wissen.

Uschi klopfte ihm auf die Schulter und grinste: »Das war doch der Anrufbeantworter, du Dummerchen.«

 

Erst am nächsten Morgen ging es weiter. Die drei hatten die Zeitung studiert, um vielleicht noch Hinweise über den Bankraub zu erhalten. Es hatte jedoch nichts Neues gegeben. Also fuhren Walter und Leo nach Villingen zur Praxis Hämmerle, um ihren Termin wahrzunehmen. Uschi blieb zu Hause, da Claudia Bescheid gegeben hatte, dass sie noch vorbeikommen wollte.

Im Wartezimmer herrschte reger Betrieb. Kinder warfen mit Bauklötzen aus der Spielecke um sich, Eltern mit Zeitungen und alle anderen Besucher sahen grinsend zu. Schließlich wurde Walter aufgerufen und begab sich alsbald ins Sprechzimmer. Es dauerte aber noch eine Weile, bis Frank für ihn Zeit hatte. Der junge Arzt mit den schwarzen Locken und der recht sportlichen Gestalt gönnte sich noch eine kurze Verschnaufpause, bevor er nach der Patientenkartei griff und diese überflog.

»Wollank«, grübelte er, »Wollank, den Namen kenne ich doch. Sabine«, wandte er sich dann an eine der Sprechstundenhilfen, von denen einige gerade ins Wartezimmer eilten, »wer ist das denn, dieser Herr Wollank?«

»Hab ich hier noch nie gesehen«, antwortete diese gelangweilt hinter ihrem Computer hervor. »Klang ziemlich frech am Telefon. Klagt über extreme Bauchschmerzen und Stuhlbeschwerden.«

»Na guten Appetit!«, kommentierte Frank mit einem Schuss Galgenhumor und betrat endlich das Sprechzimmer.

»Das gibts nicht«, zweifelte er dann an seiner Sehkraft und schloss die Tür. »Walter, was machen denn Sie hier?« Doch dann fiel ihm natürlich wieder ein, dass er der Arzt war, der seinem Patienten helfen musste. »Walter, gehts Ihnen nicht gut?«

»Doch, außerordentlich«, rief dieser aus, »wir haben nur ein kleines Problem mit einem Bankraub.«

Frank setzte sich an den Tisch. »Ich dachte mit dem Stuhl«, fragte er durcheinander.

»Was um Gottes willen reden Sie da?«, nörgelte sich der Chemietechniker. »Der Bankraub, das ist doch wie in alten Zeiten. Wir klären den Fall auf, na?«

»Soll das etwa heißen«, fragte der Mann mit den schwarzen Locken weiter, »dass Sie den Verein wieder zusammenrufen?«

»Genau das«, kam die Antwort. »Leider haben wir noch nicht alle beieinander und dem Professor gehts nicht so gut.«

»Also ich bin dabei!«, rief Frank fast schon jubelnd. »Sagen Sir mir nur, wann es losgehen soll!«

»Sobald Sie Zeit haben«, meinte der Chemietechniker.

»Alles klar«, bestätigte der Arzt, worauf seine Miene wieder ernst wurde und er sagte: »So, Herr Wollank, dann erzählen Sie mal, was Ihr Bauch so macht!«

 

Als Walter und Leo wieder beim Chemietechniker zu Hause ankamen, warteten Uschi und Claudia bereits auf sie.

»Also, ich kann das gar nicht fassen, dass wir uns alle wieder so wie früher treffen wollen«, meinte die strohblonde, junge Frau.

»Tja«, brummte der Dichter nun nachdenklich, »einem haben wir allerdings noch nicht Bescheid gesagt.«

Alle wussten, wen er meinte.

»Das dürfte etwas schwierig werden«, bemerkte Uschi.

»Aber doch nicht für uns«, gab Claudia zurück. »Und schon gar nicht dann, wenn wir wieder zusammenkommen.«

Das war ein wahres Wort. Sodann machten sich nunmehr vier der ehemals sieben auf den Weg ins städtische Altersheim. Und schließlich wurden sie von einer Schwester in das Zimmer des Professors geführt.

Dieser jedoch saß apathisch in seinem Bett und starrte an die Wand.

»Hallo Herr Professor«, grüßte Uschi so freundlich wie nur möglich in einer Situation wie der diesen. »Wir sinds mal wieder. Diesmal haben wir noch Besuch mitgebracht.«

Die vier nahmen um den Heimbewohner herum Platz. Walter kramte eine Zeitung aus der Jacke.

»Hier«, rief er, »deshalb sind wir hier.« Er zeigte dem alten Mann den Artikel über den Bankraub. »Ohne Sie kommen wir da nicht weiter.«

»Sie wissen doch«, fügte Leo noch hinzu, »die alten Zeiten.«

Prof. Friedrichs schaute nur kurz das ihm dargebotene Papier an, aber dann wandte sich sein Blick wieder der Wand zu.

»Wir haben uns schon überlegt«, fuhr der Chemietechniker fort, »ob es nicht vielleicht die Bankangestellten selber waren. Aber wir sind uns da nicht sicher.«

»Außerdem wissen wir nicht genau, wo wir anfangen sollen«, ergänzte Claudia.

Jetzt regte sich Prof. Friedrichs wieder. Es schien, als würde er die vier Besucher mustern, dann jedoch verfiel er wieder in seine Apathie.

 

Am Nachmittag kam schließlich auch Frank ins Haus des Chemietechnikers. Während des Besuchs im Altersheim hatte sich auch Chris gemeldet und die Nachricht hinterlassen, dass sie zur Zeit nur selten einmal Gelegenheit hatte, nach St. Georgen zu fahren, aber auf jeden Fall bereit war, wieder bei den Detektivarbeiten mitzumachen.

»Hui«, machte Uschi anerkennend, als der Arzt ins Wohnzimmer trat, »Sie haben sich ja kaum verändert.«

»Nun ja, ich halte mich ja auch fit mit guter Ernährung«, erklärte er wichtig, »morgens und abends jeweils ein paar Karotten, das wirkt.« Er nahm Platz und erkundigte sich dann bei den Anderen: »Apropos fit, was hat der Professor denn gesagt?«

»Tja, nichts«, antwortete Leo nur. »Ich weiß nicht einmal, ob er uns überhaupt verstanden hat.«

»Auf jeden Fall war es eine gute Idee von Ihnen, den Club wieder zusammenzurufen«, meinte Frank dann. »Dieser Bankraub ist ja wirklich faszinierend.«

»Allerdings haben wir keine Ahnung, wo wir anfangen sollen«, klagte Uschi. »Es gibt keinerlei Hinweise über die Täter. Sogar die Polizei ist völlig ratlos.«

»Wir haben uns schon überlegt, ob es nicht vielleicht die Bankangestellten selber getan haben könnten«, erzählte der Chemietechniker voller Elan.

»Das haben Sie schon dem Professor gesagt«, erinnerte sich Claudia. »Aber wie kommen Sie darauf?«

»In der Zeitung stand doch«, erklärte Walter, »dass die Alarmanlage lahmgelegt worden ist. Jetzt überlegen Sie sich doch mal, wie kompliziert solche Alarmanlagen heutzutage sind. Und ein professioneller Gangster wird nicht unbedingt in eine Kleinstadtbank einbrechen, wenn er schon weiß, wie man so eine Anlage abschaltet, sondern wird irgendwo einbrechen, wo es noch viel mehr zu holen gibt. Also sind die nächsten Verdächtigen doch die Angestellten, da sie auf jeden Fall wissen, wie die Anlage abgeschaltet wird.«

»Ich würde daher vorschlagen«, meinte Frank, »dass wir uns ein paar der Banker mal vornehmen.«

»Und wie?«, wollte Leo wissen.

»Ganz einfach«, entgegnete der Arzt, »wir tun so, als hätten wir viel Geld und wollten es günstig anlegen. Dabei fragen wir die Angestellten ein bisschen zu dem Bankraub und den Sicherheitsvorkehrungen.«

 

Also begaben sich nunmehr fünf der ehemals sieben zum Tatort. Claudia hatte sich extra zu diesem Zweck eine Sonnenbrille aufgesetzt, um noch etwas echter zu wirken, was auch immer sie sich darunter vorstellte. Frank und Leo sollten so tun, als hätten sie Wertgegenstände, die in einem der Tresorräume aufbewahrt werden sollten, während die anderen drei sich um ihre übervollen Konten kümmern sollten.

Frank und Leo wurden alsbald einem gewissen Herrn Jost vorgestellt, der die beiden dann in das unterste Stockwerk des Institutes führte, wo sich die Tresorräume befanden.

»Nun, meine Herren«, erkundigte er sich höflich, »was sind es denn für Gegenstände?«

»Hauptsächlich Dokumente«, antwortete Frank.

»Dokumente?«, wiederholte der Banker verwundert.

»Ja«, rief der Arzt mit den schwarzen Locken, »Baupläne firmeneigener Entwicklungen. Daneben gibt es noch einige Bilanzberichte, die nicht in die falschen Hände geraten sollten, wenn Sie verstehen.«

»Ich verstehe«, sagte Herr Jost schluckend. »Und für wie lange sollen wir sie aufbewahren?«

»Für sehr lange«, meinte Frank.

»Nun, wir könnten diese Dokumente auch problemlos in unserem Firmensafe aufbewahren«, fuhr Leo fort, »allerdings ist uns zu Ohren gekommen, dass Ihr Sicherheitssystem um einiges effektiver sein soll als unseres.«

»Wobei wir doch annehmen«, fügte Frank hinzu, »dass Sie nach diesem Vorfall neulich noch etwas mehr Wert auf Diskretion legen als davor.«

»Aber selbstverständlich«, entgegnete Herr Jost.

»Nun, Ihre Zustimmung freut uns«, sagte der Dichter weiter, »doch ein paar Fakten würden uns da eher überzeugen.«

»Schließlich investieren wir gutes Geld in die

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: (C) 2014 Dr. Andreas Fischer
Images: Cover: Caro Sodar unter Verwendung eigener Bilder sowie solcher von 123rf.com (Nr. 18917893, 5330218 und 14779660)
Publication Date: 04-22-2014
ISBN: 978-3-7368-0331-2

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