Tiefe, fast undurchdringliche Finsternis umgab sie und Blitze zuckten über den Wolken verhangenen Himmel. Gleich darauf ertönte ein lautes Donnergrollen. Der Himmel schien nur von dunklen Schleiern bedeckt.
Schon seit Tagen hatte man hier kein Licht mehr gesehen und man spürte deutlich, dass etwas in der Luft lag. Doch was, wusste niemand so genau.
Der Herbstwind blies die Blätter fast sturmartig über das Feld und man konnte deutlich spüren, wie kalt es schon war. Das Feld, eine große, ebene Fläche, war kaum bepflanzt. Nur hier und da stand ein kleiner vertrockneter Strauch, der eigentlich schon längst hätte eingegangen sein müssen. Der Boden war rissig und manchmal fehlte sogar ein Stück davon und man konnte in ein schwarzes Loch blicken, dessen Grund man nur erahnen konnte.
Schweigend blickten vier Gestalten hinab auf das verwüstete Feld. Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Überall lagen verwesende Leichname und es stank fürchterlich nach Tod. Es schien keinen einzigen Überlebenden zu geben.
"Es hat schon begonnen, nicht wahr?", zischte die kleine, in einen Mantel gehüllte, Gestalt.
"Ich fürchte schon", sprach eine tiefe, vor Hohn triefende, Stimme.
"Dann sollten wir den Rat einberufen", verlangte die einzige weibliche Person.
"Das sollten wir wohl, bevor es zu spät ist", meinte der Älteste.
Sie schnippten einmal mit den Fingern, dann waren alle vier verschwunden.
Übrig blieb ein übersätes Feld voller Leichen und ein entsetzlicher Gestank. Kein Anblick, dem man jemandem gönnen musste.
Allerdings schien dies der Zeitpunkt für jemand ganz anderen zu sein, sich unter einem Haufen von schlaffen Körpern hervorzukämpfen. Eine schlanke Frau, deren Körper blutüberströmt und voller Verletzungen war. Ob es ihr eigenes Blut oder das ihrer Kameraden war, ließ sich schwer sagen. Dennoch hievte sie sich auf die Beine und überblickte das Schlachtfeld. In der rechten Hand hielt sie eine Sense, die Linke baumelte nutzlos herab. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Über den Anblick, ihre Verletzungen und den Grund für diesen Ausgang des Kampfes.
Um nach Hause zu gelangen, mobilisierte sie noch einmal ihre letzten Kraftreserven, dachte an ihr Zimmer und teleportierte sich fort von diesem grauenvollen Ort.
Kurz darauf landete sie, auf ihren Beinen taumelnd, direkt vor ihrer Zimmertür, gerade als jemand an eben selbige klopfen wollte. Sie spürte schon, wie ihre Kraft schwand und murmelte noch ein `Brauche Arzt`, bevor ihre Sicht gänzlich schwarz und sie bewusstlos wurde.
Schon bevor ich die Augen aufschlug, wusste ich, dass ich nicht allein im Zimmer war und sofort spannte ich all meine Muskeln an. Als ich aber meine beste Freundin erblickte, entspannte ich mich wieder.
"Hey Rea", begrüßte sie mich.
"Hey", krächzte ich nur mit heiserer Stimme.
"Man, du sahst vielleicht schlimm aus. Dein linker Arm war ausgekugelt und ein paar Rippen waren geprellt oder gebrochen. Außerdem hattest du ein Loch in der Brust, sowie im Oberschenkel. Die Ärzte haben eine Weile gebraucht, bis sie diese schließen konnten, aber du hattest Glück, dass deine Selbstheilungskräfte schon angefangen hatten, deine Wunden zu schließen. Ohne sie wärest du wahrscheinlich nicht mehr hier."
"Na vielen Dank, Leila. Genau das will man hören, nachdem man aus der Bewusstlosigkeit erwacht. Wie lange habe ich geschlafen?"
"Fünf Tage. Was ist eigentlich passiert?"
"Man hat mich und andere Dämonen zur Schlacht gerufen."
"Wann? Und zu welcher Schlacht?"
"Vor zwei Wochen. Ich war gerade am trainieren, als mich einer der geflügelten Boten erreichte, um mir eine Nachricht des Fürsten von Chegu zu überbringen. Wie du weißt herrschen schon seit längerem Unruhen über den Ländern und besonders die Dämonen aus Ravelik und Chegu verstanden sich noch nie. Bei den kleinsten Unstimmigkeiten entstand schon eine Prügelei. Tja, und jetzt ist der Bogen wohl überspannt und man hatte mich und die anderen Dämonen aus Chegu zur Schlacht gerufen."
"Als gebürtige Chegu-Dämonin musstest du diesem Ruf natürlich Folge leisten." Dabei sah sie mich ernst an, dennoch konnte ich ihren Sarkasmus erkennen.
Ich nickte und setzte mich auf. Probehalber spannte ich meine Muskeln an, aber ich spürte keinen Schmerz. Mein Körper war wieder vollständig genesen.
"Wo sind meine Sachen?", fragte ich, nachdem ich bemerkt hatte, dass ich so ein langweiliges und typisches Krankenhausnachthemd trug. Glücklicherweise hatte man eine andere Farbe, als die in der Menschenwelt, gewählt. Nämlich schwarz. Trotzdem sah es beschissen aus und fühlte sich auch so an.
Leila deutete neben das Bett an die weiße Wand, an der meine Sense lehnte. Man hatte sie offensichtlich gesäubert, denn das Metall war poliert worden und glänzte leicht. "Deine anderen Klamotten mussten weggeschmissen werden, da sie kaputt waren."
Ein Blick durchs Zimmer versicherte mir, dass sie Recht hatte. In einem Eimer in der Ecke lagen Fetzen, die vor einiger Zeit noch meine Kleidung gewesen waren.
Missmutig schwang ich meine Beine aus dem Bett, schnappte mir meine Sense und marschierte in mein Zimmer. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Leila und ich beide ausgebildete Kriegerinnen waren, die im Hauptquartier der besten Krieger ausgebildet wurden. Das Hauptquartier befand sich in Arjakis, der Hauptstadt der Dämonen. Hier befand sich auch der königliche Palast unseres Oberhauptes, dem König der Dämonen. Auch Satan genannt. Oder wie ich ihn immer nannte: Big Boss.
Wie dem auch sei, bestand das Hauptquartier aus mehreren Bereichen. Der Krankenstation, aus der ich mich gerade selbst entlassen hatte, der Trainingshalle, der Büros unserer Ausbilder und den Wohnräumen der Krieger. Jeder Krieger hatte ein eigenes Zimmer plus Bad und Küche für sich. Mein Zimmer lag im vorderen Teil des Hauptquartiers und demnach musste ich ein ganzes Stück gehen, bevor ich dieses erreichte, denn die Krankenstation lag genau am anderen Ende.
Die Gänge waren breit, die Wände weiß. Zumindest in der Krankenstation. Der Boden bestand aus blanken, sauberen Fließen. In der Decke waren helle Lampen eingearbeitet, die den Weg beleuchteten. Sobald man die Krankenstation verließ, ging der Boden in einfacheres Material über und die Deckenbeleuchtung wurde durch dunklere, in größerem Abstand eingesetzte, Lampen ersetzt.
In meinem Zimmer angekommen duschte ich ausgiebig und zog mir dann eine enge Armeehose, ein Tanktop und Kampfstiefel an. Meine schwarzen Haare flocht ich zu einem Zopf, sodass sie mir bis zur Hälfte meines Rückens reichten. Die Sense ließ ich einfach durch Magie verschwinden. Das war besonders praktisch, da ich sie so wie aus dem Nichts erscheinen und wieder verschwinden lassen konnte. Um es genauer zu erklären, war meine Sense nun in einer Art Paralleluniversum, auf das nur ich zugreifen konnte, niemand sonst. In diesem Paralleluniversum konnte ich nur meine Waffen oder andere für mich wertvolle Gegenstände aufbewahren. Dort waren sie sicher und wurden gut verwahrt.
Leila hatte sich auf mein rotes Sofa geschmissen, zappte durch die Fernsehkanäle und schlürfte an einer Cola. "Bist du fertig?", erkundigte sie sich und schaltete den Fernseher aus, als ich angezogen aus dem Bad kam.
Bevor ich jedoch antworten konnte, hatte sie mich schon an der Hand gepackt und schleifte mich durch die Gänge nach draußen.
"Wo gehen wir hin?", fragte ich Leila.
Wir waren mittlerweile raus aus dem Hauptquartier und gingen durch die gepflasterten Straßen. Viele Dämonen waren unterwegs. Einige zogen Karren, ritten auf Eseln oder Pferden, flogen durch die Lüfte oder gingen einfach zu Fuß. Die Straßen waren breit, sodass genug Platz war und es kein übermäßiges Gedränge gab. Eigentlich war es sogar ziemlich angenehm. Man hatte das Gefühl, auf einem Jahrmarkt zu sein. Überall waren die verschiedensten Stände aufgebaut und Händler priesen laut ihre Waren. Die Häuser sahen etwas altmodisch aus, waren aus meist schwarzem oder dunklem Gestein, doch sie standen alle in einer Reihe nebeneinander, grenzten jedoch nicht unmittelbar aneinander. Ich sag's mal so: Vom Aufbau her war alles genau geplant und konstruiert, doch wenn man die vielen Dämonen und die laute Geräuschkulisse sah, dachte man, dass man sich auf einem Jahrmarkt befand, was eigentlich auch zutraf. In Arjakis herrschte eine ausgelassene Stimmung und hier schien sich eine Art ewiger Markt zu befinden. Es gab keinen Tag, an dem hier keine Stände aufgebaut waren.
"Zum großen Saal. Der Rat will dich sehen."
Der Rat, der seine Sitzungen im großen Saal abhielt, bestand aus zwölf Dämonen unterschiedlicher Stufen und hatte nach dem Teufel und seinem Sohn die größte Macht. Zwar hatte der Teufel noch eine Frau, aber niemand wusste genau, welchen Rang sie bekleidete.
"Nein! Das kannst du so was von vergessen. Dort lasse ich mich in den nächsten hundert Jahren bestimmt nicht blicken", sträubte ich mich gegen Leila.
"Jetzt mach doch nicht so ein Theater. Das ist doch schon Jahre her!"
"Um genau zu sein sind es 80 Jahre."
"Siehst du. Ich bin mir sicher, dass sie sich zusammenreißen werden und du versuchst einfach deine scharfe Zunge im Zaum zu behalten. Während deinem gesamten Gespräch mit dem Rat werde ich ebenfalls anwesend sein."
"Wie beruhigend." Der Sarkasmus in meiner Stimme war kaum zu überhören. "Sollten sie mich aber in irgendeiner Weise beleidigen, werde ich auf der Stelle verschwinden."
"Einverstanden."
Wenige Sekunden später hatte Leila uns in den Saal des Rates teleportiert. Normalerweise durfte man erst in den großen Saal wenn man hereingerufen worden war, aber wir hielten uns nie an diese Regel. Wie schon gesagt, war der Saal sehr groß. Die Wände und der Boden bestanden aus purem schwarzen Marmor, der ein wenig glänzte. Wenn man genauer hinsah, konnte man sogar verschlungene Muster erkennen, die leicht hervorgehoben wurden. In der Mitte des Saales standen auf einer hufeisenförmigen Empore drei steinerne Tische, an denen jeweils vier Ratsmitglieder saßen und auf uns herunter starrten.
"Wie immer ein großer Auftritt", sagte Alex, das oberste Ratsmitglied. Mit seinen 190 Jahren war er der Jüngste im Rat und schon ziemlich mächtig.
"Nur das Beste für den Rat", erwiderte ich spöttisch und neigte meinen Kopf. Leila tat es mir gleich und grüßte die Anwesenden kurz und höflich.
"Du bist wieder genesen?", erkundigte er sich sichtlich widerstrebend, doch der Anstand verlangte es.
"Ich bin wieder vollkommen Einsatzfähig. Also, womit kann ich dem Rat dienlich sein?" Der Satz klang vielleicht unterwürfig, doch mein Tonfall war alles andere als das.
"Wieso gab es eine Schlacht zwischen Ravelik und Chegu? Wie kam es dazu?"
"Nun, werter Rat, das ist ziemlich leicht zu erklären. Schon seit geraumer Zeit herrscht Aufruhr unter dem normalen Volk und offensichtlich haben sich ein paar jüngere Dämonen Streiche gespielt, die dann größere Ausmaße annahmen. Ein junger Knirps aus Ravelik hat nämlich mit seinen Freunden das heilige Amulett der Chegu-Dämonen gestohlen und das führte dann zur Schlacht. Wie Ihr natürlich wisst, gab es schon immer Probleme zwischen Ravelik und Chegu. Sonst noch was?"
Ich wusste, dass ich ziemlich unhöflich war. Besonders der letzte Satz, aber ich mochte den Rat nicht. Als ich zwanzig war, hatte ich mich mal mit einem etwas älteren Dämonen geprügelt, weil ich ehrlich war und ihm gesagt hatte, dass er ein eingebildeter und angeberischer Schnösel war. Daraufhin hatte er auf meine damals pinken Haare - ich war in einer wilden Phase - gezeigt und gesagt, wer unbedingt Aufmerksamkeit erregen wolle, sollte es mit einer vorteilhafteren Haarfarbe versuchen. Für mich war es eine klare Du-bist-hässlich-Ansage gewesen und ich hatte mich auf ihn gestürzt. So war die Prügelei entstanden. Damals wusste ich allerdings nicht, dass es der Prinz war, auf den ich da einschlug. Erst später hatte ich von meinem 'Glück' erfahren, doch ich bereute diese Tat auf keinen Fall. Jedenfalls wurde ich vor den Rat zitiert und bekam die alleinige Schuld. Na gut. Ich hatte vielleicht die ein oder andere Bemerkung gemacht und so das eine oder andere Ratsmitglied zur Weißglut gebracht, aber nur weil sie mich wie ein dummes kleines Kind behandelt hatten, was ich damals wahrscheinlich auch war. Trotzdem hatten sie nicht das Recht dazu, mich so zu behandeln, was meine persönliche Meinung war, und seitdem konnte ich den Rat nicht leiden.
"Wieso gibt es außer dir keine anderen Überlebenden?"
Bei der Erinnerung an diese Sache verzog ich mein Gesicht, denn es war nicht allzu schön und definitiv keine Glanzleistung meinerseits. Noch immer verspürte ich einen bitteren Beigeschmack, doch schnell drängte ich die Gefühle beiseite und setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf. "Es fing ganz gewöhnlich an. Beide Seiten ließen ihre Streitkräfte auf das Feld marschieren und standen sich erst stumm gegenüber. Der Himmel war von dunklen Wolken bedeckt und es herrschte eine deutlich spürbare Anspannung. Viel stärker, als es normalerweise üblich war, und ich spreche hier aus Erfahrung. Als wir uns dann aufeinander stürzten, frischte der Wind plötzlich auf und seltsame Kreaturen tauchten auf, die alles zerfleischten, was ihnen in den Weg kam. Sie machten keinen Unterschied zwischen unseren Streitmächten, also gehörten sie wohl keinem von uns an. Aufgrund der neuen Bedrohung vergaßen wir unseren Streit für einen Augenblick und schlossen uns zusammen. Meine Leute und ich kämpften verbissen gegen den neuen Feind, doch etwas schweres schlug mir in den Nacken und ließ mich kurz wegdämmern. Als ich wieder zu mir kam, lag ich unter einem Haufen verwesender Körper und als ich endlich unter diesen hervorkroch, waren die Kreaturen verschwunden und das Schlachtfeld bedeckt von Leichen."
"Eine bemerkenswerte Geschichte. So voller Dramatik", kommentierte einer der anwesenden Dämonen. Langsam wandte ich meinen Kopf in seine Richtung und warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Der Dämon, der gesprochen hatte, war klein und schlaksig, mit einer Glatze und schmalen, hellen Augen, in denen man schon das Gelbliche sehen konnte. Höhnisch sah er auf mich herab und dachte nicht mal daran, sich vor mir zu fürchten, was ich ihm dringend geraten hätte.
"Ich geb dir gleich Dramatik!", explodierte ich aufgrund seiner gleichgültigen und spöttischen Reaktion. Leila legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.
"Genug, Joetun", befahl Alex und sofort verzog Joetun sein Gesicht, im Bemühen eine entschuldigende Miene aufzusetzen, was ihm nicht mal ansatzweise gelang.
"War das alles?", erklang Leilas Stimme daraufhin. Ihr Tonfall war sachlich und neutral.
"Wir werden uns wieder bei euch melden, sollten wir noch etwas wissen wollen."
Sie nickte, schnippte mit den Fingern und schon standen wir vor dem königlichen Palast. Das war eine erstaunliche Leistung für einen Dämon. Obgleich ich selbst mächtig und eine Dämonin der höheren Stufe war, konnte ich höchstens ein Mal pro Tag eine Teleportation durchführen, denn so etwas zerrte an den Kräften. Danach war ich immer geschwächt, meine Sinne nicht mehr ganz so gut und Müdigkeit machte sich in mir breit. Bei anderen Dämonen der höheren Stufe war dies genau so. Doch Leila bildete da eine einzelne Ausnahme. Egal wie oft sie sich oder andere teleportierte, sie zog keinen Nachteil aus dieser Sache. Kein einziger Nebeneffekt.
"Der Palast auch noch?", jammerte ich sehr kindisch und blickte auf das majestätische und große Gebilde. Wie man es erwartete, strahlte er in dunkler Pracht und schien alles Licht aus der Umgebung auf sich zu ziehen. Ein großes, offenes Tor, an deren Seiten mehrere Wachen postiert waren, war vor dem Palast gebaut worden und auch eine dicke Steinmauer sorgte für mehr Sicherheit.
"Big Boss erwartet dich zu einem Gespräch."
Seufzend trabte ich Richtung Tor und rief Leila zu: "Wir treffen uns dann später im Sweet 666."
Das Sweet 666 war eines der besten Clubs hier in der Hauptstadt und das Stammlokal von Leila und mir.
Am Tor wurde ich misstrauisch von den Wachen beäugt, doch sie ließen mich kommentarlos passieren. Im Palast wimmelte es nur so von Wachen, jedenfalls auf dem Weg zum Thronsaal. Jede einzelne Wache beobachtete mich und ich konnte nicht widerstehen, meine Hand in meine Hosentasche zu stecken. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Wachen nach ihren Waffen griffen, als ich meine Hand raus zog und.... einen Lippenstift in der Hand hielt. Nachdem die Wachen dann realisiert hatten, dass ein Lippenstift keine Gefahr darstellte, ließen sie ihre Waffen los und entspannten sich etwas.
Ich verkniff mir ein Grinsen und zog schnell meine Lippen nach. Wofür hatte ich ihn denn sonst rausgeholt?
Der Gang führte nur geradeaus und war von Fackeln gesäumt. Schließlich stand ich vor einer Doppeltür und stieß sie auf.
Big Boss, oder auch Satan genannt, saß auf seinem schwarzen Thron und sah einfach atemberaubend gut aus. Seine Haut war karamellfarben und sein Haar glänzte schwarz. Er war groß und schlank, hatte ein markantes Kinn und hohe Wangenknochen. Als sein Blick aus dunklen und unergründlichen Augen mich traf, verbeugte ich mich kurz, jedoch wesentlich tiefer als beim Rat.
"Mein Lord. Was kann ich für Euch tun?"
"Rea, meine Liebe. Schön, dass du gekommen bist. Warte noch einen Augenblick, bis mein Sohn kommt." Seine Stimme klang genauso attraktiv wie sein Aussehen war.
"Ich bin hier, Vater", erklang die angenehme Stimme seines Sohnes hinter mir.
"Rea."
"Amon", sagte ich ebenfalls kühl und grüßte ihn mit einem angedeuteten Nicken, das er erwiderte.
Ich musterte ihn kurz. Zu meinem Bedauern musste ich gestehen, dass er richtig gut aussah. Sein Haar hatte einen wunderschönen Rotton und seine Augen hatten die Farbe von geschmolzenem Gold. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte er allerdings einen helleren Teint. Neben mir blieb er stehen und wartete auf die Erklärung seines Vaters.
Amon und ich kannten uns schon fast mein ganzes Leben lang und mochten uns auch nicht. Alles hatte mit unserem ersten Treffen begonnen. Da war ich vielleicht siebzehn, kurz bevor ich Leila getroffen hatte, und musste mit ihm ein Referat halten. Wir waren erst neu in den Klassen, da diese jedes Jahr gemischt wurden und deswegen wurden die Paare ausgelost. Ich bekam Amon als Partner. Damals sah er noch niedlich aus, aber nur solange, bis er den Mund aufgemacht hatte. Er hatte mir erklärt, was er und ich machen mussten und die Aufgaben verteilt. Ich hatte zu schweigen und zu gehorchen. Mir war das natürlich gehörig gegen den Strich gegangen und ich hatte ihn zurechtgewiesen. Nachher hatte er mich dann immer wieder versucht zu erniedrigen und dann kam es zur Prügelei, die ich gewann. Seitdem mochten wir uns nicht und unser Verhältnis war merklich angespannt.
"Amon, Rea, ich schicke euch beide mit einem Geheimauftrag durch alle Städte der Hölle. Ihr sollt diejenigen finden, die versuchen die Macht an sich zu reißen durch solch profane Methoden, wie die Hilfe von diesen Kreaturen anzunehmen, die du bereits gesehen hast, Rea. Damals verbannte ich diese Wesen in die hintersten Winkel der Hölle und ließ sie nie wieder daraus hervorkriechen. Doch wie es scheint, hat jemand das Siegel gebrochen und sie befreit."
Nachdenklich betrachtete Amon mich. "Bist du sicher, dass sie dafür geeignet ist, Vater?"
Ich fasste es nicht! Dachte er etwa, ich wäre taub?
"Mein Lord, seid Ihr Euch sicher, dass Ihr Sohn mich nicht behindern wird, sollte es zu einem Kampf kommen?"
Mit Genugtuung sah ich, wie er die Zähne zusammen biss. Natürlich wusste er, dass ich auf unsere kleine Prügelei anspielte. Damals war er deutlich im Nachteil gewesen und hatte mehr Verletzungen davon getragen als ich.
"Warum testet ihr nicht gegenseitig eure Fähigkeiten und tretet jetzt gegeneinander an?", schlug Big Boss vor.
Herausfordernd blickte ich zu Amon, der zustimmend nickte.
Schweigend stellten wir uns in die Mitte des Raumes und beschworen unsere Waffen. Ich meine heißgeliebte Sense und Amon sein Schwert.
"Ohne Flügel und keine Magie", stellte ich die Regeln auf.
Dann warteten wir. Warteten auf den Befehl, der nur wenige Sekunden später den Kampf eröffnete.
Plötzlich war Amon direkt hinter mir. Blitzschnell drehte ich mich und parierte seinen Schwerthieb mit meiner Sense. Doch schon war er wieder weg und ich biss meine Zähne zusammen. Wo hatte dieser Mistkerl das gelernt?
Nur ein Luftzug warnte mich, bevor ich Amons Schwert von der Seite auf mich herabsausen sah. Mit einem Sprung war ich über der Klinge und schwang nun meinerseits die Sense. Amon wich mit einem Seitensprung aus und schlug mit seinem Schwert zu. Diesmal ließ ich mich auf den Boden fallen und streckte ein Bein aus, womit ich ihm seine Beine wegfegte. Er fiel rückwärts und sofort war ich über ihm. Scheinbar war er doch schneller als gedacht, denn urplötzlich hatte er mir meine Beine ebenfalls weggetreten. Ich strauchelte, fiel jedoch nicht, aber die Zeit reichte, um Amon wieder aufstehen zu lassen. Ich schwang meine Sense nach ihm und er parierte. Ein Kräftemessen entstand, in dem ich leider im Nachteil war.
Offensichtlich hatte er fleißig trainiert, denn man konnte deutlich die angespannten Muskeln seiner Arme sehen.
Um nicht doch zu verlieren tat ich das Einzige, was mir einfiel. Ich verhakte unsere Waffen miteinander und mit einem kräftigen Zug flogen sie schon durch die Luft und landeten klirrend außerhalb unserer Reichweite. Noch während unsere Waffen in der Luft waren, hatte ich mich schon auf Amon gestürzt und würgte ihn von hinten. Durch den Schwung landeten wir auf dem Boden, doch ich lockerte meinen Griff nicht. Er bäumte sich auf und ließ sich dann mit so viel Kraft nach hinten fallen, dass mir kurzzeitig die Luft wegblieb und ich meinen Griff lockerte. So konnte er sich befreien und hielt mich mit seinem Gewicht unten. Ich wand mich unter ihm, bis ich etwas kaltes an meinem Hals spürte. Er hielt sein Schwert in der Hand und drückte leicht zu, sodass ein Blutstropfen hervorquoll.
"Genug jetzt! Dieser Sieg geht an meinen Sohn", donnerte die Stimme von Big Boss durch den Raum.
Amon lag noch immer auf mir drauf und ich spürte seinen warmen Atem in meinem Gesicht. Schließlich stand er auf und reichte mir seine Hand.
"Gut gekämpft", gab ich zu.
"Du auch", erwiderte er und zog mich hoch.
Gleich danach ließ ich ihn sofort los und wandte mich um. Ich konzentrierte mich, streckte meinen Arm aus und schon flog meine Sense in meine Hand. Das alles geschah nur in Sekundenbruchteilen und ich ließ sie schnell wieder verschwinden.
"Ich habe Amon bereits eine Liste gegeben, auf der die Namen derer stehen, die euch begleiten werden. Ihr müsst sie nur finden. Deshalb schlage ich vor, dass ihr euch sofort auf den Weg begebt", verkündete Big Boss und ich verkniff mir ein leises seufzen.
"Natürlich, mein Lord", verbeugte ich mich wieder und ging, gefolgt von Amon, aus dem Palast.
Nachdem wir schließlich draußen waren, sah ich Amon wieder an. "Also, wer steht denn jetzt auf dieser Liste?"
Amon grinste spitzbübisch und zog eine Papierrolle aus seiner Jackentasche. "Wie's aussieht, müssen wir wohl oder übel zusammenarbeiten, was?", meinte er.
"Was du nicht sagst", murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart. "Also?"
"An erster Stelle steht Alex, das oberste Ratsmitglied." Ich verkniff mir nur mühsam ein Stöhnen. Der auch noch? "Es besteht zwar der Verdacht, dass wir Verräter im Rat haben, doch mein Vater ist sich sicher, dass Alex nicht zu ihnen gehört."
"Dann mal los."
Ich ergriff seine Hand, schnippte mit den Fingern und schon standen wir im großen Saal. Natürlich ließ ich seine Hand sofort los, nachdem wir angekommen waren.
Der Rat hatte sich bereits aufgelöst und nur ein paar Dämonen saßen noch herum und unterhielten sich. Alex war, wie ich vermutet hatte, ebenfalls anwesend.
"Mein Herr, dürften wir kurz mit Euch reden. Nur mit Euch", fügte ich nach einem Blick auf die anderen Dämonen hinzu. Amon, der schweigend neben mich getreten war, warf mir einen leicht verärgerten Blick zu. Ihm schien es nicht zu passen, dass ich mit Alex redete.
"Natürlich", meinte er, erst nachdem er Amon erblickt hatte und stand auf. "Folgt mir bitte."
Er führte uns aus dem Saal raus in seine privaten Gemächer, die jedes Ratsmitglied besaß. Mit einer Handbewegung wies er uns an, auf den Sesseln Platz zu nehmen. Der Raum war nicht sonderlich groß, aber gemütlich. Ein Kaminfeuer loderte an der rechten Seite und spendete Wärme. Den Boden zierte ein dicker Teppich, aus dunklem Rot und die Wände waren aus dunklem Gestein. Welches es war, konnte ich nicht sagen, dafür hatte ich zu wenig Kenntnis von all den verschieden Arten. Amon und ich saßen auf den einzigen Sesseln, doch Alex hatte sich auf das Sofa gesetzt.
"Um was geht es?", erkundigte er sich neugierig.
Sein dunkles Haar glänzte im Schein des Kaminfeuers und warf Schatten auf sein scharf geschnittenes Kinn. Blaue Augen funkelten mich und Amon fragend an.
"Nun, du bist der mächtigste Dämon des Rates und einer der besten Strategen, die wir haben. Und auch wenn wir wissen, dass sich Verräter im Rat aufhalten müssen, so ist sich mein Vater dennoch sicher, dass du nicht zu ihnen gehörst", fing Amon an zu erzählen.
"Es gibt also tatsächlich Verräter im Rat?", unterbrach Alex ihn ein wenig hastig. "Ich hatte zwar schon selbst ein paar Vermutungen, doch wie ist das möglich?"
"Das ist eine sehr gute Frage, die wir uns bereits selbst gestellt haben und die wir aber trotzdem nicht beantworten können. Allerdings wissen wir nicht genau, wer diese Verräter sind. Bei dir sind wir uns jedoch sicher, dass du nicht zu ihnen gehörst. Deswegen vertraut mein Vater darauf, dass du uns bei unserer Geheimmission helfen wirst."
"Was für einer Geheimmission?"
"Die Geheimmission, bei der wir die eigentlichen Drahtzieher ausfindig machen müssen und dann zu meinem Vater bringen. Er wird ihnen dann ihre gerechte Strafe zukommen lassen. Diese seltsamen Kreaturen, die bei der Schlacht zwischen Ravelik und Chegu ganz plötzlich auftauchten, sind eigentlich von meinem Vater versiegelte Dämonen und offensichtlich hat sie jemand befreit. Und dieser Jemand hat es ganz klar auf den Thron abgesehen. Deshalb müssen wir ihn und seine Mitstreiter aufhalten. Die Herrschaft meines Vaters darf nicht angezweifelt werden. Wirst du dich uns also anschließen?"
Ohne zu zögern nickte Alex. Sein Gesichtsausdruck war ernst und entschlossen, als er verkündete: "Selbstverständlich werde ich euch helfen. Ihr könnt auf mich zählen. Wann brechen wir auf?"
Amon und ich tauschten kurz einen Blick miteinander und fieberhaft überlegte ich, wo man sich unbemerkt treffen könnte. "Wie wäre es mit morgen früh, bei Sonnenaufgang vor den Toren der Stadt?" Etwas unsicher sah ich beide an und wartete auf eine Antwort.
"Ich werde da sein", erhob sich Alex aus seinem Sessel.
"Gut. Wir sehen uns dann", verabschiedete sich Amon und winkte, als er zur Tür hinaus schritt. Ich ging ihm schnell hinterher.
"Und wer ist der nächste, Amon?"
"Die Nächste. Eine Spionin. Ihr Name ist Izzy und sie verbringt ihre Zeit meistens in der Menschenwelt. Doch sie ist eine der besten Spione. Sie führt einen Auftrag immer aus und ist sehr zuverlässig, erzählt niemandem von ihren Aufträgen. Bei ihr ist man gut aufgehoben, wenn man anonym bleiben will. Zurzeit hält sie sich im königlichen Palast auf."
"Warum ist sie im Palast?" Meine Frage war durchaus berechtigt. Schließlich wusste fast jeder, dass sie ihr Dasein lieber in der Menschenwelt fristete und nur gelegentlich, zu Aufträgen oder Veranstaltungen in ihre Heimat zurückkehrte.
"Weil mein Vater sie eingeladen hat. Eigentlich weiß sie schon über die Mission Bescheid, allerdings müssen wir ihr noch unseren Treffpunkt und die abgemachte Zeit mitteilen. Ursprünglich ist sie genau wegen dieser Sache wieder zurück in die Dämonenwelt gekommen. Vater hat schon mit ihr geredet und sie ist einverstanden."
"Big Boss hat sie gerufen?" Überrascht sah ich ihn an und der Spitzname seines Vaters rutschte mir über die Lippen.
"Big Boss, ja?" Fragend zog er eine Augenbraue in die Höhe und grinste schelmisch.
Ich winkte ab.
Er zuckte mit den Schultern. "Ja, er hat sie gerufen."
Während unseres Gespräches schlenderten wir die Straße entlang und gelangten so zum königlichen Palast. Der große Saal lag unmittelbar neben dem Palast und so war es eine relativ kurze Strecke, die wir über die Straße schlenderten, bevor wir durch das Tor und dann ins Innere des Palastes traten. Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte ich also die Ehre, dieses Bauwerk zu betreten. Wenn ich ehrlich war, hatte ich eigentlich nicht das Bedürfnis, hier zu sein. Versteht mich nicht falsch, ich respektiere und verehre Big Boss wirklich, aber wenn ich hier war, überkam mich immer ein Gefühl der Schuldigkeit. Es war so, als hätte ich als kleines Kind etwas Schlimmes angestellt und musste nun vor meine Mutter treten und ihr alles beichten. Deswegen fühlte mich immer nicht so gut, wenn ich hier war.
Amon führte mich durch die vielen schlicht gehaltenen Gänge, die ebenfalls mit Fackeln ausgeleuchtet waren und ab und zu von Landschaftsbildern geschmückt wurden, ein paar Treppen hinauf und schließlich hielt er vor einer hellen Eichenholztür. "Das hier ist Izzys Zimmer."
"Ach, wirklich? Darauf wäre ich ja nie gekommen." Immerhin gab es hier nur ein Zimmer.
Also öffnete ich die Tür und wurde fast von einem Churiken, das auf mein Gesicht gezielt war, getroffen. Dank meiner guten Reflexe konnte ich schnell mit einem Sprung zur Seite ins Zimmer ausweichen. Als ich wieder spürte, wie etwas auf mich geworfen wurde, machte ich einen Flick Flack. Noch während ich aufstand, hatte ich schon meine Sense in der Hand und drehte mich in die Richtung, aus der die Wurfgeschosse kamen. Dort, in einer Ecke des Zimmers, stand Izzy, in jeder Hand ein Sai Gabel. Herausfordernd musterte sie mich mit ihren moosgrünen Augen. Ihr braunes Haar fiel ihr gewellt über den Rücken. Stumm erwiderte ich ihren Blick und stürzte mich auf sie. Das heißt, ich wollte mich auf sie stürzen, als zwei Arme sich von hinten um mich schlangen und an eine Brust zogen.
"Halt. Wir wollen doch keinen Kampf", ging Amon dazwischen.
"Sie ist doch einfach so in mein Zimmer geplatzt! Sie hätte auch ein Feind sein können", rechtfertigte Izzy sich.
"Ein Feind? Hier, im königlichen Palast?", spottete ich.
"Alte Gewohnheit", murmelte sie und steckte ihre Waffen weg. "Was kann ich denn für euch tun?" Dabei sah sie größtenteils zu Amon und ignorierte mich.
"Wir sind hier, um dich über die Einzelheiten der Geheimmission aufzuklären", klärte ich sie auf, immer noch in Amons Armen. Nachdem ich ihm ziemlich ruppig meinen Ellenbogen in die Rippen stieß, nahm er seine Hände wieder zu sich und ließ mich los.
"Und?" Sie wandte ihren Kopf mir zu und sah mich an.
"Morgen früh. Bei Sonnenaufgang treffen wir uns vor den Toren der Stadt."
"Kein Problem für mich. Ich bin bereit."
"Sehr gut. Wir lassen dich dann wieder alleine", verabschiedete ich mich gespielt höflich und zog Amon hinter mir her.
Gleich als wir draußen waren, verpasste ich ihm noch einen Stoß in die Seite und kassierte einen wenig wütenden, dafür aber verwirrten Blick. Mit hoch gezogener Augenbraue musterte er mich. "Wofür war das denn?"
"Fass mich nie wieder ohne meine Erlaubnis an", zischte ich ihm zu.
Er zuckte lediglich mit den Schultern, warf einen Blick auf die Liste und erstarrte mitten in der Bewegung. Stirnrunzelnd starrte er auf die Papierrolle. "Das kann doch nicht stimmen", hörte ich ihn dabei murmeln, bevor er meine Hand packte.
Eine Sekunde später standen wir auf einer trostlosen Ebene der Hölle. Dieser Ort war so gut wie ausgestorben, da alles kahl war. Es war schwül und stickig. Überall gab es Berge und Hügel, in denen sich Höhlen befanden. Ein perfekter Ort um sich zu verstecken.
"Wer ist es?", richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Amon.
"Damon."
Sofort weiteten sich meine Augen. "Damon? Der abtrünnige Dämon?"
"Genau der." Amons Blick war düster und seine Haltung abwertend. Laut rief er: "Komm raus, Damon! Ich weiß, dass du hier bist. Komm und zeig dich!"
Gleich darauf schoss ein Speer auf Amon zu.
Geschickt wich dieser aus, nur ein paar Zentimeter zur Seite, sodass der Pfeil ihn gerade so verfehlte und schleuderte eine geballte Ladung Magie in die Richtung des Angreifers. Der kam aus seiner Deckung geflogen. Richtig, er schwebte dank seiner schwarzen Flügel ein paar Zentimeter über dem Boden und blickte arrogant auf Amon herab. "Amon. Was für eine Überraschung", bemerkte er gelangweilt.
Amons Blick verfinsterte sich noch mehr, wenn das denn noch möglich war. Ich hielt mich zurück, war aber bereit zum Kampf, falls es zu einem kommen sollte. Als Amons Flügel wuchsen, sprang ich schnell zurück, bevor er sich auf Damon stürzte. Der begegnete ihm auf halbem Weg und eine Stoßwelle entstand. Ich wurde ein paar Meter durch die Luft geschleudert, bevor ich mich rückwärts abrollte und wieder auf die Beine kam. So schlug ich nicht mehr so hart auf und konnte gleich weiter das Geschehen verfolgen.
Mittlerweile waren Amon und Damon in einen Faustkampf übergegangen, den sie in der Luft austrugen.
Sollte ich eingreifen oder nicht? Ich entschied mich vorerst dagegen und hielt mich im Hintergrund, während ich die Beiden im Auge behielt.
Gerade schleuderte Damon Amon mit angeblicher Leichtigkeit, so sah es zumindest aus, von sich gegen den nächstbesten Steinhügel. Amon schlug hart auf, hatte sich im nächsten Moment aber schon aufgerappelt und hielt sein Schwert in der Hand.
"Ah, du willst also aufs Ganze gehen", sprach Damon und hielt seinen Speer wieder in der Hand. Jedes Mal wenn die Waffen aufeinander trafen, hörte man ein leises oder lautes klirren, ganz abhängig von der Wucht und der Stärke, die die Beiden benutzten. Dennoch musste ich bewundern, wie beide sich mit einer Geschmeidigkeit bewegten, die nicht bei jedem zu finden war und die auch nicht jeder beherrschte. Bei ihnen sah das so natürlich aus, als wenn sie sich schon immer so bewegt hätten. Aber ich wusste aus eigenen Quellen, dass das bei Amon zumindest nicht zutraf. Als kleiner Junge war er hochnäsig an uns vorbei stolziert. Da war nichts von angeblicher Geschmeidigkeit.
Doch Damon, der bewegte sich so anmutig und elegant, wich geschickt Amons Schwerthieben aus, parierte sie oder schlug selber zu. In einem ständigen Wechsel schlugen sie zu. Das war kein Kampf mehr. Das sah aus wie ein Tanz. Ein fürchterlicher, leicht aggressiver, aber dennoch wunderschöner Tanz.
Als sie nach einer gefühlten halben Stunde immer noch nicht aufhörten zu kämpfen, beschloss ich schließlich einzugreifen, obwohl ich eigentlich die Letzte war, die etwas gegen einen guten Kampf sagen würde. Allerdings erwartete Big Boss, dass wir seinen Befehlen folge leisteten und das ging schlecht, wenn Amon am Kämpfen war. Aber er kämpfte ja nicht mit irgendeinem, sondern mit Damon, einem potenziellen Mitglied unserer geheimen Truppe.
Kurzentschlossen ließ ich beide mit einer Magiewelle auseinander stoßen und krallte mir Amon. Ich boxte ihm auf die Brust und knurrte: "Halt dich zurück. Wir sind nicht hier, damit du mit Damon kämpfen kannst. Wir sind hier, um ihn über unsere Geheimmission aufzuklären und ihn dafür zu gewinnen. Kämpfen könnt ihr ein andermal."
Damit verpasste ich ihm noch mal einen festen Hieb gegen die Brust und wandte mich Damon zu. "Der Lord hat eine Aufgabe für dich. Er benötigt deine Hilfe bei einer geheimen Mission, deren Mitglieder das Ziel haben, aufbegehrende Dämonen ausfindig zu machen und dem Lord auszuliefern."
"Luzifer braucht meine Hilfe?", erkundigte Damon sich spöttisch. "Ich glaube dir kein Wort, kleines Mädchen."
"Wie hast du mich genannt?" Langsam verlor ich die Geduld. Ich war schließlich nicht hier, um mich beleidigen zu lassen. Tief holte ich Luft, um mich zu beruhigen und besann mich auf meine Ausbildung als Kriegerin. Mit ausdrucksloser Miene sah ich in an, blickte ihm tief in die Augen.
"Kleines Mädchen."
"Hör mal, Damon." Dabei betonte ich seinen Namen extra. "Du kannst dich gerne selbst von der Wahrheit meiner Worte überzeugen, indem du deinen Hintern zum königlichen Palast bewegst und mit dem Lord redest. Ansonsten musst du mit seinem Siegel auf diesem Papier vorlieb nehmen." Ich entriss dem verärgerten Amon, wie ich aus dem Augenwinkel bemerkte, die Liste und hielt sie Damon direkt vor die Nase. Der betrachtete ruhig die Papierrolle.
"Ich glaube dir, kleines Mädchen. Und dennoch bestehe ich auf einer Belohnung." Dabei sah er zu Amon und schien sich sichtlich über den überrumpelten Ausdruck, der kurz über dessen Gesicht huschte, zu amüsieren. "Also, was bekomme ich dafür, wenn ich euch helfe?"
"Wie wär´s mit keiner Faust in deinem Gesicht?", machte ich Damon wieder auf mich aufmerksam.
Er verzog seine Lippen zu einem arroganten Lächeln. "Dazu müsstest du erst mal in die Nähe meines Gesichtes kommen."
"Lass das mal meine Sorge sein."
Kurz sahen wir uns herausfordernd an, dann wandte Damon seinen Blick zu Amon, der diesen seinerseits kühl anblickte. "Nun, Amon. Was könnt ihr beide mir als Gegenleistung für meine Dienste anbieten?"
Sichtlich widerstrebend holte Amon einen Briefumschlag, der mit Wachs versiegelt war und das Zeichen des Big Bosses trug, aus seiner Jackentasche und reichte ihn Damon, der den Brief sofort in Augenschein nahm. "Einen Wunsch. Du hast einen Wunsch frei, Damon."
Nach ein paar Minuten des Schweigens und stillen Lesens sagte Damon nur ein Wort: "Einverstanden."
"Wir erwarten dich dann bei Sonnenaufgang vor den Toren der Stadt."
Er nickte nur und erhob sich in die Lüfte. Nur kurze Zeit später verschwand er aus unserem Blickfeld.
Nachdem Amon nach geschätzten fünf Minuten immer noch wütend in die Luft starrte, gab ich ihm einen Klaps gegen seinen Arm, woraufhin er mich wütend anstarrte. Ich ignorierte es. "Ich weiß zwar nicht, woher ihr beiden euch kennt und das ist mir im Moment auch völlig egal, aber ich habe eine Mission und die werde ich auch zu Ende bringen. Und du wirst mir leider dabei helfen müssen. Also, wer steht als nächstes auf der Liste?"
"Niemand. Wir haben alle."
"Sicher?" Ich entriss ihm die Pergamentrolle und warf selber einen Blick auf die Namen. Eindeutig, mehr Namen standen nicht darauf. "Na schön, und was machen wir jetzt? Haben wir noch irgendwelche anderen Sachen, die wir erledigen müssen?"
"Nein", fauchte er mich gereizt an und nahm die Rolle wieder an sich. "Du kannst gehen. Für dich gilt das gleiche, wie für die Anderen. Bei Sonnenaufgang treffen wir uns vor den Toren der Stadt. Sei pünktlich." Mit diesen Worten teleportierte er sich davon und ließ mich sprachlos zurück. Diese Aktion hatte mir einfach die Sprache verschlagen, hatte er mich doch gerade ziemlich schroff abserviert.
Mit leichtem Unmut teleportierte ich mich wieder in meine bescheidene Behausung und legte mich gleich schlafen. Eine Teleportation zerrte ganz schön an meinen Kräften, pro Tag konnte ich höchstens zwei durchführen. Und heute hatte ich definitiv genug Teleportationen hinter mir. Trotzdem musste ich mich fertig machen, denn ich hatte mich ja mit Leila in diesem Club verabredet. Und was ich sage, halte ich auch.
Also machte ich mich später wieder auf den Weg, verließ das Hauptquartier und stapfte durch die Straßen. Es war später Abend und Leila garantiert schon dort anzutreffen.
Die Straßen waren nicht weniger voll als normalerweise und es herrschte nur ab und zu mal ein wenig Gedränge. Vor besagtem Club, dem Sweet 666, standen bereits ein paar Dämonen Schlange. Einige prügelnde Kerle wurden gerade aus dem Club geschmissen und zwar wortwörtlich. Ein paar Andere nörgelten lautstark und sturzbetrunken rum und zettelten eine Prügelei an, doch die Türsteher bekamen schnell alles in den Griff und der normale Betrieb kehrte ein. Da man mich hier kannte, wurde ich gleich durchgewinkt. Das Sweet 666 gehörte zu den beliebtesten und besten Clubs in dieser Gegend. Laute, dröhnende Musik schallt mir entgegen und ich konnte den Beat in meinem Körper spüren. Es roch nach den verschiedensten Parfümen, Schweiß, abgestandener Luft und Lust. Ja, es roch auch eindeutig nach Lust.
Wenn man reinkam, musste man erst eine Treppe hinauf gehen, um zum eigentlichen Club zu gelangen und stand dann auf einem Geländer, von dem man die gesamte Tanzfläche überblicken konnte. Hinten befanden sich die gemütlichen Sesselecken, wo man dann mal etwas Ruhe hatte und es gab auch einzelne Räume, in die man sich zurückziehen konnte, wenn man das Bedürfnis dazu hatte. Leila hatte sich direkt vor die Bar gesetzt, hielt ein Bier in der Hand und prostete mir jetzt zu. Ich grinste und setzte mich bereits in Bewegung, um mich zu ihr auf die linke Seite durch zu drängen. Leicht bewegte ich mich im Rhythmus des Liedes und siehe da, ich konnte meinen Weg leichter fortsetzen, als wenn ich versucht hätte, mich mit roher Gewalt durch zu quetschen. Bei Leila angekommen, ließ ich mich neben ihr auf einem der Hocker nieder und bestellte mir einen Drink, der ein paar Sekunden später schon vor mir stand.
"Cheers", prosteten wir uns zu und ich nahm einen großen Schluck.
"Und? Erzähl mir alles, Rea."
Ich grinste und zuckte mit den Schultern. "Tja, Amon und ich scheinen jetzt gezwungenermaßen zusammen arbeiten zu müssen. Unser Team besteht aus den unterschiedlichsten Leuten. Izzy, eine Spionin, Alex, das oberste Ratsmitglied, Damon, der abtrünnige Dämon, dessen Geschichte mich sehr interessieren würde, Amon, der Prinz und zu guter Letzt wäre da dann noch ich, Rea, die Kriegerin."
"Hört sich ja sehr viel versprechend an."
"Finde ich auch. Auf jeden Fall habe ich so das Gefühl, dass noch eine Menge Dinge auf uns zukommen werden."
"Sei vorsichtig, Rea. Du darfst das auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen."
"Das habe ich auch nicht vor, Leila. Du kennst mich und du weißt, wie gut ich bin."
"Deswegen weiß ich auch, wie instinktiv du manchmal handeln kannst. Auf dieser Mission darfst du dir keine Fehler leisten, denn schon der kleinste Fehler hätte fatale Folgen."
"Denkst du, das wüsste ich nicht?" Meine Stimme hatte einen ernsten, harten Ton angenommen.
"Doch, aber ich will doch nur -"
"Keine Sorge, Leila. Ich werde vorsichtig sein", unterbrach ich sie und schenkte ihr ein warmes lächeln. Natürlich machte sie sich Sorgen um mich, doch ich würde dasselbe tun, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Wir waren einfach die besten Freundinnen seit Kindesbeinen an.
"In Ordnung. Dann lass uns jetzt darauf anstoßen."
Warum wir über solch wichtige Themen an einem öffentlichen Ort diskutierten? Ganz einfach. Weil niemand auf die Idee kommen würde, dass wir das täten. Außerdem verstand man kaum etwas, wenn man nicht unmittelbar neben dem Anderen saß. Niemand würde uns belauschen können und je von diesem Gespräch erfahren.
Wieder prosteten wir uns lautstark zu, verdrängten die Mission für kurze Zeit aus unseren Gedanken und verbrachten noch eine knappe Stunde auf der Tanzfläche. Dort wurden wir das ein oder andere Mal von wildfremden Typen angesprochen, zu einem Drink eingeladen oder zu einem Tanz aufgefordert. Dankend lehnten wir immer wieder ab, veranstalteten nur einen kleinen Tanzwettbewerb zwischen uns, den ich verlor. Leila war einfach eine fantastische Tänzerin, die ich nie besiegen könnte, egal wie gut ich wäre. Und ich war keine schlechte Tänzerin. Aber diese Siege gönnte ich ihr, so wie sie auch mir meine Siege gönnte, wenn ich sie in einem Kampftraining besiegte.
Ein wenig verschwitzt und mit guter Laune machten wir uns auf den Weg zurück ins Hauptquartier. Unsere Zimmer lagen in verschiedenen Gängen, weshalb wir uns auch schon bald verabschieden mussten, als wir das Quartier betreten hatten. Dennoch würden wir uns morgen garantiert noch sehen, und wenn es auch nur kurz war.
Eine Hand griff nach meiner Schulter und rüttelte an dieser, um mich wach zu kriegen. Noch halb im Schlaf reagierte ich ganz automatisch, indem ich meinen vermeintlichen 'Angreifer' ohne groß zu überlegen in den Schwitzkasten nahm, bis ich Leila erkannte. Leila kannte solche Übergriffe von mir schon, weshalb sie nicht sonderlich überrascht war und mir nur in die Wange kniff. "Du warst auch schon mal schneller", war ihr einziger Kommentar dazu.
Elegant erhob ich mich und reichte ihr meine Hand, damit ich ihr aufhelfen konnte.
"Also, weshalb hast du mich geweckt?" Interessiert beäugte ich sie, während ich mich streckte und meine morgendlichen Übungen, darunter auch Liegestütze und Sit-Ups, verrichtete. Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte mich in meinem Verdacht. Es war erst vier Uhr morgens, weshalb ich noch ungefähr eine Stunde Zeit hatte, um mich fertig zu machen. Die Sonne, die man hier unmöglich so bezeichnen konnte, da sie nur wenig Licht abstrahlte, würde erst gegen sechs Uhr aufgehen. Da wir hier in der Dämonenwelt waren und wir eher düstere und dunklere Farben bevorzugten, hatten wir Zwielicht, wenn es Tag war und tiefste Schwärze, wenn es Nacht war.
"Ich bin hier, um dir eine Botschaft zu überbringen. Der Lord hält Botendämonen für zu gefährlich und deshalb wurde ich ausgewählt. Nur ich und der jeweilige Empfänger werden die Botschaften jemals erfahren. Sollte man herausfinden, dass ich die Botin bin, so wisst ihr, dass nicht ein Wort meine Lippen verlassen wird."
Mit ernstem Ausdruck nickte ich und hörte schweigend zu, was sie mir zu sagen hatte.
"Der Lord will dich heute noch einmal treffen, bevor du zur Mission aufbrichst."
"In Ordnung. Ich werde zu ihm gehen."
"Ich richte es ihm aus." Nachdem Leila verschwunden war, beendete ich mein Training und stellte mich erst unter den kalten Strahl der Dusche, bevor ich auf lauwarm umschaltete. Ein kurzer Schock am Morgen belebte die Sinne.
Nach der kurzen Dusche trocknete ich mich ab und schlüpfte in meine schwarze Unterwäsche. Dann rubbelte ich meine Haare trocken, legte mir das Handtuch um die Schultern und wühlte in meinem Schrank nach Kleidung. Überlegend fuhr ich mir durchs Haar und tippte mit dem nackten Fuß auf den kalten Steinboden. Schließlich entschied ich mich für ein langes schwarzes Kleid, das vorne eine rote Korsage, die ich nicht sehr fest zuschnürte, hatte und bis zum Boden reichte. Immerhin musste ich noch atmen können. Dazu noch ein paar Stiefel und mein Haar steckte ich zu einem einfachen Knoten am Hinterkopf fest. Ein paar andere Sachen packte ich in einen kleinen Rucksack, schließlich brauchte ich auch etwas zum Wechseln. Es durften nur nicht zu viele Sachen sein.
Zufrieden mit mir und meiner Erscheinung, nachdem ich mir die Augen noch schwarz umrandet hatte, verließ ich mein Zimmer und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg zum Palast. Natürlich war ich nicht die Einzige, die schon auf den Straßen unterwegs war, dennoch herrschte wenig Lärm und auch sonst begegneten mir nicht sehr viele. Es war ziemlich ruhig und ich genoss diese Ruhe für einen Augenblick, bevor ich den Palast betrat. Die Wachen hatten mich kommentarlos passieren lassen, nachdem ich ihnen gestern schon begegnet war und sie ein kleines bisschen geärgert hatte. Ich erinnere da nur an die Sache mit dem Lippenstift.
Diesmal blieb ich jedoch brav und wartete sogar etwas, bevor ich in den Saal des Big Bosses eintrat. Dieser lächelte mir knapp zu und ich unterdrückte ein seufzen. Er war aber auch einfach zu heiß! Wieder einmal schien sein Blick mich zum Schmelzen zu bringen, dennoch blickte ich ihm weiterhin in die Augen.
„Mein Lord“, verbeugte ich mich vor ihm.
„Rea. Schön, dass du noch etwas Zeit gefunden hast, bevor ihr aufbrechen werdet. Ich hoffe, ihr hattet gestern keine weiteren Probleme.“
„Nein.“
„Gut. Ich nehme an, Leila hat dir alles erzählt?“
„Das hat sie.“
„Dann steht euch nichts mehr im Wege. Du weißt, wie du sie rufen kannst, deshalb berichtet mir von euren Fortschritten. Schickt sie her, damit sie mich über jeden noch so kleinen Hinweis unterrichten kann.“
„Das werden wir, mein Lord.“
„Dann bist du jetzt entlassen. Nimm meinen Segen mit dir.“
„Ich danke Euch.“
Damit erhob ich mich und blickte ein letztes Mal zu dem Lord, bevor ich den Palast verließ und zum Stadttor marschierte. Immer noch waren sehr wenige unterwegs, was uns nur zum Vorteil dienen konnte.
„Guten Morgen“, ertönte eine aalglatte und dunkle Stimme hinter mir.
Wäre ich nicht darauf trainiert gewesen, wäre ich jetzt bestimmt zusammengezuckt, doch so ging ich normal weiter, als auf einmal Amon hinter mir erschien.
„Ich wüsste nicht, warum dieser Morgen gut sein sollte, jetzt, wo ich dich gesehen habe“, konterte ich direkt, ohne auf seine Begrüßung einzugehen.
„So früh am Morgen schon so bissig.“
Das ignorierte ich einfach und betrachtete schweigend seine Kleidung. Er trug ein kostbares Hemd aus hellen Leinen, das er locker in seine schwarze Hose gesteckt hatte. An der Seite baumelte sein Schwert in einer Scheide und seine Füße steckten in edlen Schuhen.
Ziemlich passend zu meinen Gedanken. Da wir ja auch die ganzen Fürsten aufsuchen werden, sollten wir uns auch dem Adel entsprechend kleiden, wobei Amon eigentlich sowieso dem hohen Adel angehörte. Dennoch besaß auch ich einige dieser mittelalterlichen Kleider, die man dort bevorzugte.
Vor dem Haupttor warteten bereits Alex, der eigentlich wie immer aussah, schließlich gehörte er ja zum Rat, Izzy, die ein weißes Kleid, das vorne in der Mitte rot war und wie meins ebenfalls gebunden wurde, mit Kapuze trug, die weißen Ärmel weit. Ihr braunes Haar lugte unter der Kapuze hervor und ihre moosgrünen Augen funkelten abenteuerlustig.
„Wo ist Damon?“, fragte Izzy nach einem Blick in die Runde. Ich zuckte die Schultern, während Amon nur lässig abwinkte.
„Ich bin hier.“ Wir alle drehten uns um, als wir Damons Stimme hörten. Er hatte sich einen schwarzen Mantel umgebunden und sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
„Dann lasst uns schnell gehen.“
„Wartet!“ Leila tauchte vor uns auf und schnappte sich unsere Hände. "Es gibt noch eine Sache, die wir besprechen müssen.
„Und die wäre?“ Damon warf einen zweifelnden Blick auf Leila, die sich nicht die Mühe machte, ihn zu beachten.
„Sollte einer von uns etwas herausfinden, wird er es den anderen umgehend erzählen. Wir werden uns nichts verschweigen, was von Wichtigkeit für die Mission sein könnte und wir lügen auch nicht.“
Einen Moment lang zögerte ich, dann fuhr ich mir mit einem Nagel über meine rechte Hand, sodass sie anfing zu bluten und legte sie in die Mitte. „Ich schwöre“, sagten Izzy und ich gleichzeitig und funkelten uns gegenseitig an.
„Bei unserer Ehre“, verkündeten Alex und Amon.
Zum Schluss ließ auch Damon seine Hand kurz auf unseren liegen und versprach: „Ich schwöre.“
Genau in dem Augenblick leuchtete dort, wo wir alle uns berührten, alles grell auf und ich schloss kurzzeitig meine Augen. Als ich sie wenige Sekunden später wieder öffnete, war der Lichtblitz vorbei. Dafür entdeckte ich auf Amons Oberarm ein verschlungenes Tattoo, das vorher noch nicht da gewesen war. Sofort blickte ich an mir selbst hinab und bemerkte das gleiche Tattoo, nur etwas kleiner, auf meinem Unterarm. Verblüfft überprüfte ich auch die anderen, entdeckte bei ihnen jedoch nichts. Wahrscheinlich hatten sie das Tattoo dann an einer anderen Stelle. Das so ein Tattoo bei uns erschienen war, war etwas Besonderes. So etwas geschah wirklich selten. Ich hatte zwar schon davon gehört, es jedoch nie selbst erlebt, dass man bei wichtigen und weitläufigen Schwüren ein solches Tattoo bekam. Von Schwur zu Schwur soll es anders aussehen, doch man ist an ihn gebunden. Ein Verstoß dagegen soll sehr schwerwiegend, wenn nicht sogar tödlich sein.
Wie es aussah, würde diese Mission also alles andere als leicht werden.
Damon riss seine Hand sofort los und funkelte Leila wütend an.
Wir anderen nahmen unsere Hände auch weg, aber nicht so voreilig wie Damon.
„Viel Glück“, flüsterte Leila und verschwand dann.
Das ging ja schnell.
„Wer war das Mädchen?“, erkundigte sich Izzy. „Scheint, als würde sie auf einen Auftritt stehen.“
Ich grinste. Ja, da waren Leila und ich uns wirklich ähnlich. „Das war Leila, meine beste Freundin.“
„Du hast eine Freundin? Wer hält es denn mit dir aus?“, mischte sich Amon ein.
„Immerhin habe ich eine Freundin. Ich habe noch nie davon gehört, dass du einen Freund hättest.“
Zerknirscht wandte er sich ab und ich lächelte ihm zuckersüß hinterher. Mit mir legte man sich eben nicht an.
„Unser erstes Ziel ist der Schlosshof in Chegu", ging Amon in die autoritäre Rolle über. "Dort werden wir bereits erwartet und auch meine Kutsche steht schon bereit. Offiziell langweile ich mich Zuhause und möchte ein wenig durch die anderen Länder der Hölle reisen. Ihr seid mein bescheidenes Gefolge, das mich begleiten darf. Alex, du bist mein Berater. Izzy, du bist die Anstandsdame, meine Zofe. Damon, du fungierst als Stratege und Beschützer. Und du Rea, wirst einfach eine gute Freundin sein, die mich begleitet. Mein Vater hält das für die beste Tarnung.“
Wir nickten alle.
„Kommt mit“, befahl Amon und marschierte auf eine große Kutsche zu, die von Pferden gezogen wurde. Natürlich von schwarzen Hengsten, deren Augen blutunterlaufen waren und aus dessen Hufen kleine Funken sprangen, wenn sie den Boden berührten.
Neben der Kutsche standen noch drei weitere Hengste, die bereits gesattelt waren und nur darauf warteten los zu galoppieren.
Als ich die Zügel von einem der Hengste ergriff, packte Amon mich am Arm und hinderte mich daran, mich inden Sattel zu schwingen. „Was wird das denn?“
„Ich steige auf das Pferd?“
Grimmig blickte er mich an und schüttelte den Kopf. „Sag mal, hast du mir eben etwa nicht zugehört? Du bist eine gute Freundin von mir, das heißt, dass du bei mir in der Kutsche mitfahren wirst.“ Dabei redete er langsam, damit ich auch jedes Wort verstand.
„Schon gut. Ich habe es ja schon verstanden.“ Ich riss meinen Arm los und stieg in die Kutsche. Amon folgte mir, während die anderen sich in die Sättel schwangen.
„Dann wollen wir mal“, murmelte Amon. „Fahren Sie los, Kutscher.“
Ehrlich gesagt war ich nicht sehr begeistert, mit Amon in der Kutsche sitzen zu müssen. Ich meine, das war Amon.
Da man sich auf beide Seiten setzen konnte, ließ ich mich gegenüber von Amon auf die weichen Polster gleiten und genoss eine Weile die Aussicht aus dem Fenster der Kutsche.
Flaches Land, das in voller Blüte stand, umgab uns. Man munkelte, dass die Frau des Big Bosses dafür verantwortlich sei. Sie sorge dafür, dass die Hölle trotz aller vorbehalte auch strahlen könne. Jedenfalls von außen. Das innere der Stadt zählte hierbei nicht, denn da sah alles ganz anders aus.
Verschiedene Sorten von Blumen säumten den Straßenrand und Bäume breiteten ihre langen Äste über diesen, sodass man eigentlich durch eine Art Allee fuhr. Jetzt zumindest. Wenn man diesen ungefähr siebzig Fuß langen Weg hinter sich gebracht hatte, befand man sich in der nicht ganz so prachtvollen Gegend der Hölle. Man hatte die Stadt verlassen, jetzt kamen einfache Wiesen, ohne große liebevolle Arbeit. Niemand kümmerte sich um diesen Bereich. Dennoch sah es noch hübsch aus, doch jeder der Arjakis besuchte, schwärmte von der wunderschönen Allee, die die Stadt umgab, egal von welcher Seite man kam. Vier Straßen führten nämlich hinein und auch wieder hinaus aus der Stadt.
Arjakis lag ziemlich zentral in der Hölle. Sie war die Hauptstadt, der Sitz des obersten Lords und bildete den Mittelpunkt. Hier fand man fast alles. Nirgendwo gab es so viel Auswahl und Treiben wie hier. Und auch nicht so viele verschiedene Dämonen auf einen Haufen. Unterschiedliche Dämonen jeder Spezies fand man nur hier, wenn auch nicht immer friedvoll vereint. Kämpfe und Prügeleien gab es hier zu Hauf, wie auch Kneipen, Bars und Clubs. Jeder wollte hier sein Glück versuchen.
Doch Chegu, mein atemberaubendes Heimatland, war anderweitig bekannt. In Chegu wurden die besten Krieger geschaffen, was wir bis heute schon oft bewiesen hatten. Alle Chegu-Dämonen waren stolz auf diesen Ruf und verteidigten ihn auch angemessen. Ich bildete da keine Ausnahme.
Chegu war umgeben von Hügeln, auch das Schloss unseres Fürsten lag auf einem Hügel.
Ich liebte meine Heimat einfach.
"Wann werden wir ankommen?", unterbrach ich erstmals das Schweigen und blickte zu Amon, der sich schräg gegenüber von mir befand. Er hatte die Ärmel seines Hemdes bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt und seine muskulösen Arme vor der Brust verschränkt, die Beine ausgestreckt.
"Etwas mehr als eine Woche."
"Hm. Weißt du, was uns erwarten wird?"
Er schwieg einen Augenblick. "Das weiß ich nicht."
Ich verkniff mir ein Grinsen und behielt meine ernste Miene bei. Es gab also doch etwas, was er nicht wusste. Trotzdem konnte ich einen kleinen Seitenhieb nicht verhindern. "Ah, du weißt es nicht."
"Nein, tue ich nicht." Er klang ein wenig verärgert.
Kurz überlegte ich, ob ich das Gespräch in Gang halten sollte, als von draußen jemand gegen die Kutsche hämmerte. Ich lehnte mich aus dem Fenster und blickte nach vorne. Damon ritt dicht neben uns und hatte seine Hand erhoben, um erneut gegen die Außenwand der Kutsche zu hämmern, als er mich sah. "Wir erreichen bald das Gebiet der Banditen."
"In Ordnung. Haltet die Augen offen."
Wieder im Inneren berichtete ich Amon von der neuesten Lage und streckte mich dann auf der ganzen Liege aus. "Kein Wort. Ich muss mich ausruhen."
"Tu dir keinen Zwang an."
"Werde ich auch nicht." Ich schloss meine Augen, blieb aber weiterhin aufmerksam, meine Ohren gespitzt. Das Rattern und leichte Schaukeln der Kutsche, das Getrappel und kurzzeitige Wiehern der Hengste, das Schlagen der Peitsche. Ich hörte alles. Auch Amons gleichmäßige Atmen. Er schien relativ entspannt zu sein. Äußerlich jedenfalls. Wie es in ihm drin aussah, wusste ich nicht. Dafür kannte ich ihn nicht gut genug. Vielleicht würde sich das noch ändern. Schließlich mussten wir ja ab heue viel Zeit miteinander verbringen.
Während die Kutsche also weiter rollte, döste ich vor mich hin, bis die Kutsche plötzlich hielt und ich mit Schwung runterfiel. Oder eher auf Amon rollte.
Dieser sah nicht sehr begeistert aus, als ich mich aufsetzte und so auf seinem Schoß saß.
Schnell stand ich auf und sprang aus der Kutsche, die Beine leicht gespreizt und etwas gebeugt, bereit für den Kampf gegen die Banditen.
Doch da waren keine. Weit und breit nur kalte Erde, kahle Bäume und Gestrüpp.
"Warum halten wir?", fragte ich den Kutscher mühsam beherrscht.
"Weil wir nicht weiter können."
"Was soll das heißen?" Jetzt wurde ich wirklich wütend.
"Seht selbst." Er deutete mit seiner knochigen Hand nach vorne, wo eine ganze Gruppe an verschiedenen, abartig aussehenden Dämonen stand. Krummsäbel, Degen oder Dolche in den Händen und Helme auf dem Kopf. Ihre Kleidung bestand nur aus irgendwelchen Fetzen und sie trugen keine Schuhe. Die gebleckten Zähne bestanden nur aus gelben Stücken oder waren erst gar nicht vorhanden.
Sie hatten ihre Körper genau vor unseren Weg geschoben und hinderten uns so daran, die Straße zu passieren. Mindestens drei Dutzend, schätzte ich.
"Scheiße!", fluchten ich und Izzy gleichzeitig, um uns danach einen giftigen Blick zuzuwerfen.
Amon, der neben mich getreten war, hob nur eine Augenbraue. "Ihr wollt wirklich mich, den Prinzen, überfallen?"
Ein abfälliges Geräusch und höhnisches Lachen war die Antwort.
"Das wird ein Kinderspiel", murmelte er und beschwor sein Schwert herauf.
"Wir werden reich, Männer", brüllte der anscheinende Anführer - er war größer, besaß ein richtiges Schwert und hatte mehr Zähne im Mund - seinen Männern zu und rannte auf uns zu.
Ich hatte während des Gespräches schon meine Sense in der Hand und auch Izzys Hände waren von Kunais und Churiken übersät. Wie viele von diesen Dingern hatte sie eigentlich?
Damon war der erste, der zuschlug. Sein Speer fuhr durch die Stirn des Anführers, als dieser nur wenige Schritte entfernt war, die Spitze kam hinten wieder raus.
In diesem Augenblick zögerten die Banditen kurz, war ihr Anführer doch getötet worden und genau das nutzten wir aus, um die ersten von ihnen auszuschalten.
Izzy warf nur so von ihrem Hengst aus ihre Churiken und trampelte mit dem Hengst auf einigen am Boden liegenden herum, was Alex ebenfalls tat.
Doch im Gegensatz zu uns anderen bediente er sich keiner materiellen Waffe, sondern der Magie. Er war darauf spezialisiert mit Magie umzugehen und das merkte man auch. Ich hatte zwar immer davon gehört, doch jetzt sah ich es mit eigenen Augen. Bemerkenswert. Ich will nicht in der Haut von denen stecken, der seiner Magie zum Opfer fielen.
Da ich Abgelenkt war wurde ich von einem Säbel an der Wange getroffen, die dank meiner schnellen Reaktion nur gestreift wurde. Demjenigen, der dies gewagt hatte, fehlte eine Sekunde später der Kopf.
Der nächste, den ich fixierte, hatte mir den Rücken zugewandt und mit einem Sprung wollte ich ihn schön überraschen, doch da stolperte ich nach vorne, weil Amon von hinten gegen mich rannte. Wütend wollte ich ihn anfahren, aber er befand sich in einem Zweikampf mit einem der Banditen und hatte keinen Blick für mich übrig. Mit Schwung warf ich also meine Sense und trennte dem Banditen und anderen, hinter ihm stehenden die Gliedmaßen ab. Dabei sprang ich ihr hinterher, über die Köpfe der Banditen und verpasste ihnen Tritte, Faustschläge und Wunden mit einem Dolch, den ich aus der Schnalle an meinem Oberschenkel nahm.
Die Sense kam surrend wieder zurück und ich fing sie mit einem Salto auf, landete und kämpfte weiter, als wäre nichts gewesen.
Da kam Amon mir wieder in den Weg, ließ mich schlitternd ausweichen, weil er auf einmal in meine Bahn geriet, von Banditen umzingelt.
Ich schlitterte unter seinem Arm durch, zog dabei ein paar die Beine weg und schlug präzise auf Dämonen ein.
"Geh mir aus dem Weg, verdammt!", rief Amon, der auf mich zu lief. Ich sah ihn leider zu spät kommen, da ich selbst kämpfte und so gab es einen Knall, als wir gegeneinander stießen und den Abhang hinabrollten. Dabei rissen wir einige der Banditen mit uns, wobei sie wahrscheinlich nicht so glimpflich davonkamen wie Amon und ich.
Der Aufprall war nicht so hart wie ich dachte, was vermutlich auch daran lag, dass ich etwas von Amons Körper gehalten wurde, der seitlich unter mit lag.
Die Banditen, die dies verfolgt hatten, brachen fast in Tränen aus vor lauter Heiterkeit, die mich wütend machte. Niemand machte sich über mich lustig.
Mit einem Knurren war ich wieder bei ihnen und erledigte die letzten von ihnen, die noch nicht Opfer von Alex, Damon oder Izzy geworden waren, die die Zeit der Freude ausgenutzt und sie dezimiert hatten.
Ein wenig außer Atem standen wir am Ende da und beäugten die Leichen, die die Straße säumten.
Mit einem Schwenken seines Handgelenks machte Alex die Straße frei und nickte dem Kutscher zu. "Wir können weiter."
Dieser betrachtete Amon schweigend, mit angespanntem Blick.
Amon schüttelte nur kurz seufzend den Kopf, blickte ein letztes Mal auf die Banditen und stieg dann in die Kutsche. "Fahren wir."
Ich folgte ihm. "Hättest du nicht aufpassen können, wo du hinläufst? Du hast mich bei meinen Kämpfen behindert", warf ich ihm gleich vor und funkelte ihn wütend an.
"Du hast mich behindert, nicht ich dich. Du könntest auch mal auf deine Umgebung achten."
"Das tue ich bereits und du standest mir im Weg." Beherrscht hielt ich meine Stimme gesenkt und bemühte mich, ruhig zu bleiben.
"Natürlich war es klar, dass du die Schuld nur mir zu schiebst. Was anderes kannst du gar nicht." Amon klang auch genervt.
"Willst du damit etwa sagen, dass ich diejenige bin, die anderen immer die Schuld zuschiebt?"
"Sagte ich das nicht bereits?"
"Wer ist denn der arrogante Prinz, der anderen immer Befehle erteilen muss? Du sagst mir doch immer, was ich zu tun oder zu lassen hätte!"
"Gerade eben hast du aber damit begonnen, mir Vorwürfe zu machen!"
"Weil das die Wahrheit ist!"
"Von wegen! Ich habe dich ja gewarnt, bevor ich angriff!"
"Das hat ja so viel gebracht!"
Beide starrten wir uns an, unsere Gesichter nur Millimeter voneinander entfernt. Unsere Atmung ging schnell und wir hatten uns aufgebracht angeschrien.
Auch wenn meine türkisen Augen hell strahlten, konnte ich viele damit einschüchtern. Bei Amon funktionierte das nicht. Seine Augen, die einen warmen Goldton hatten, hatten einen unnachgiebigen, abweisenden und wütenden Glanz angenommen. Doch ich war nicht minder aufgeregt.
Er konnte mich einfach von jetzt auf gleich auf die Palme bringen. Das konnte nicht jeder.
"Meinen Respekt. Du schaffst es wirklich immer, mich zu einem aggressiven Miststück zu machen. Fühl dich geehrt." Ich lehnte mich zurück, atmete tief durch und sah ihn dann wieder stur an. "Dennoch bin ich der Meinung, dass du die Schuld trägst."
Spöttisch grinste er mich an. "Keine Sorge. Du bist immer aggressiv und nur auf den Kampf fixiert. Ein Miststück kannst du also nicht sein, weil dich keiner anrühren würde."
Ich verengte meine Augen zu Schlitzen. Wie war das? Reduzierte er mich gerade auf die Kriegerin, die ich war, und erkannte meine Weiblichkeit nicht an? Hatte er mir gerade gesagt, dass ich keine Anziehungskraft auf männliche Wesen besaß?
Das war ja unterste Schublade! Das ging definitiv unter die Gürtellinie. Dem würde ich es schon noch zeigen. Nur nicht jetzt. Also schenkte ich ihm ein zuckersüßes und hinterhältiges Lächeln. "Wenn du meinst."
Misstrauen blitzte in seinen Augen auf, doch er sagte nichts, lehnte sich nur zurück und schloss die Augen. Bemüht atmete er tief ein, sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Scheint doch wütender zu sein, als ich dachte.
Amons Sicht:
Ein. Aus. Ein. Aus. Ich zwang mich, betont ruhig weiter zu atmen und meine Wut im Zaum zu halten. Ich durfte nicht zeigen, wie sehr sie mich reizte. Das würde mich noch angreifbarer werden lassen und als Krieger hatte ich gelernt, mich nicht von Gefühlen leiten zu lassen. Ja, diese Frau war verantwortlich dafür, dass ich die härteste Ausbildung meines Lebens hinter mir hatte. Ihretwegen musste ich die Schmach ertragen, besiegt worden zu sein, weil ich als junger Dämon schwach war. Ich gabs ja zu, gegen Rea konnte ich mich nicht wehren. Aber das war damals. Nachdem mein Vater dies natürlich erfuhr, schickte er nach dem besten Trainer, den es gab. Damon.
Damon war damals noch kein abtrünniger Dämon, sondern braver Bürger der Hölle, auch wenn er schon immer so einen grässlichen Charakter vorzuweisen hatte. Er hatte mich sofort in die Mangel genommen und mich tagtäglich mit verschiedenen Überraschungen konfrontiert. Zum einen wäre da sein Anschleichen, was er immer tat und mir damit dann einen riesen Schrecken einjagte, wenn er auf einmal hinter mir stand. Dann wäre da noch seine zweifelhafte, aber wirkungsvolle Methode, mir das fliegen bei zu bringen. Er schmiss mich eine Klippe hinab. Zum Schluss gäbe es noch die wirklich glanzvolle Idee, mich jeden Morgen früh aus dem Bett zu klingeln, damit er mich warm machen ließ und das den ganzen Tag lang, bis ich spät abends immer völlig erschöpft ins Bett fiel. Für mich war das die Hölle. Zumal er mir dann auch noch Privatunterricht gab. Für jeden Fehler, ob beim Training oder beim Lernen, bekam ich Extraaufgaben oder Strafarbeit, was auch bei Ungehorsam und Widerwillen folgte. Dem öffentlichen Schulleben blieb ich bis auf weiteres fern und lernte die Etikette.
Die ersten Monate, besser gesagt das erste Jahr, war grauenhaft. Mein Körper schmerzte immer und Damon ließ mir dennoch keine Verschnaufpause.
Doch jetzt danke ich ihm sogar dafür. Ohne ihn wäre ich nicht der, der ich heute war. Einer der besten Krieger und mehr als fähig, gegen Rea anzutreten. Ich war stärker, besser, klüger, geduldiger und reifer geworden.
Durch das Training mit Damon hatte ich gemerkt, dass ich das Kämpfen mochte und ein Naturtalent auf diesem Gebiet war. Ich lernte schnell.
Das würde auch Rea noch merken, wenn sie das nächste Mal gegen mich antreten sollte. Ich hatte schon ein wenig ihres Kampfstiles gesehen. Sie war präzise, doch wenn ich sie wütend machte, was ich wirklich gerne tat und auch gut konnte, achtete sie nicht mehr ganz so penibel auf ihre Verteidigung. Dann wurde sie zur impulsiven und temperamentvollen Kriegerin, die sie eigentlich auch war, aber gerne unterdrückte.
Ihre Augen von diesem hellen Türkis scheinen dann immer Blitze abzufeuern, ihre vollen Lippen zucken, als ob sie etwas sagen wolle und ihr schwarzes Haar wird von dunklem Glanz umgeben.
Also, warum sollte ich sie nicht wütend machen, wenn sie dann doch viel schöner ist?
Gut, ich konnte sie nicht leiden, ehrlich nicht, aber ich hatte nie gesagt, dass sie hässlich war. Ich fand sie sogar sehr hübsch, auch wenn ich es nie zugeben würde.
Dafür konnte sie aber eine richtige Zicke sein, wenn sie wollte. Wie lange würde ich es mit ihr aushalten? Wie lange, wenn sie jetzt schon meine Nerven strapazierte?
"Wie lange werden wir in Chegu bleiben?", unterbrach Rea meine Gedankengänge und ließ mich meinen Blick auf sie richten.
"Mindestens eine Woche. Das ist so Brauch bei den Adeligen. Wenn ich früher gehen würde, wäre es unhöflich. Außerdem muss ich wahrscheinlich an mehreren Festen, Bällen oder was auch immer zu meiner Ehre teilnehmen."
"Kompliziert."
"Nur für die, die keine Ahnung von dem ganzen haben." Ein Seitenhieb meinerseits, um sie zu ärgern. Und es funktionierte. Ihr Blick verfinsterte sich und sie schnaubte empört.
"Nur weil du der Prinz bist, musst du dich nicht so aufspielen. Außerdem werde ich dich definitiv nicht anders behandeln, als andere."
Das hatte ich auch schon gemerkt. Sicher, Damon war mein ehemaliger Lehrer und ist immer noch mächtiger als ich, weshalb er mich behandeln durfte, wie er es auch tat, was aber nicht hieß, dass ich das guthieß. Andere Dämonen respektierten mich und taten nichts, um mich auf sie aufmerksam zu machen. Jedenfalls nicht im negativen Sinne. Positiv auffallen wollten sie alle, buhlten um meine Gunst und versuchten mich zu beeindrucken. Nur leider schafften das herzlich wenige. Ich hatte schon ein paar getroffen, die ich mochte, dennoch konnte ich es mir als Krieger nicht leisten, leichtfertig zu sein. Als Prinz so wie so nicht.
"Das habe ich schon gemerkt. Durch und durch Kriegerin, wie ich bereits gesagt habe."
Sie knurrte und schlug mir mit der geballten Faust gegen den Oberarm.
"Und brutal ist sie auch noch", fügte ich mit einem offenen Auge hinzu, während ich das andere geschlossen hatte. Mehr reagierte ich nicht.
Danach herrschte vollkommene Stille. War sie jetzt etwa beleidigt? Oder sogar verletzt? Nein, bestimmt nicht. Rea konnte einiges verkraften.
Noch einmal blickte ich kurz zu ihr, doch sie starrte stur aus dem Fenster. Vielleicht sogar beleidigt. In ihren Kopf konnte keiner rein sehen. Diese Kriegerin war einfach zu kompliziert.
Genau wie viele andere auch. Andere Frauen zumindest.
Polly, eine meiner One-Night-Stands, war richtig vernarrt in mich gewesen. Sie war richtig attraktiv gewesen. Langes blondes Haar, braune Augen und super Körper. Ich konnte ihr nicht widerstehen, schließlich war ich auch nur ein Mann. Und nur weil ich mich einmal auf sie eingelassen hatte, dachte sie gleich, dass ich ihre ganz große Liebe wäre. Entschuldigung mal, ich hatte sie niemals liebevoll oder so behandelt sondern meine Absichten von Anfang an klar gestellt. Einmal ficken und dann auf Wiedersehen. Eine Beziehung fehlte mir da gerade noch, wo ich mitten in Damons verschissener Ausbildung steckte.
Doch Polly wollte einfach nicht locker lassen, hatte mich wochenlang verfolgt, mir Avancen gemacht und mich keine Sekunde in Ruhe gelassen, bis mir der Kragen platzte und ich sie vor meinem Vater - er hatte mich zu sich gerufen und Polly war mir wie selbstverständlich gefolgt - zur Schnecke gemacht und zum Weinen gebracht hatte. Danach verpasste sie mir eine Ohrfeige - okay, sie versuchte es, aber ich hielt ihren Arm auf - und verschwand spurlos aus meinem Leben.
Mein Vater, der einen guten Sinn für Humor besaß, hatte ihr wortwörtlich Feuer unter dem Hintern gemacht und sie so aus dem Palast gescheucht. Mit einer Flamme. Noch heute musste ich grinsen, wenn ich daran dachte.
Danach hatte er sich mit mir über die wohl kompliziertesten Wesen der Welt unterhalten: Frauen. Wir waren in sein Wohnzimmer gegangen und hatten es uns gemütlich gemacht, während er über alte Geschichten seinerseits sprach. Was er für Erfahrungen mit Frauen gemacht hatte. Manche waren echt zum Todlachen, andere beinhalteten eine düstere Vergangenheit. Es war alles dabei.
Er nahm es mir nicht mal übel, dass ich Polly eiskalt abserviert hatte, da er das selber tat. Jedenfalls bis er meine Mutter kennengelernt hatte. Die hatte ihn richtig gezähmt, seine Krallen gestutzt. Keine andere Frau hatte nach ihr eine Chance oder eine Gelegenheit, sich an den Teufel ranzumachen.
Gegen Feinde war er genauso grausam vorgegangen wie eh und je. Engel wurden zu Fall gebracht, sobald sich nur der kleinste Hinweis ergab und bei Verhandlungen war er knallhart.
Nach dem Vorfall mit Polly achtete ich also verstärkt darauf, den Frauen von Anfang an alles klar zu machen und ihnen keinen einzigen winzigen Grund zur Hoffnung zu geben. Nach ihr passierte mir so etwas nie wieder und ich hatte meine Ruhe. Bis jetzt.
Jetzt hatte ich Rea - unfreiwillig - an der Backe und die Spionin Izzy, mit der ich aber nicht gemeinsam in einer Kutsche sitzen musste.
Publication Date: 07-30-2013
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