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Zeitpunkt

 

 

In dunklen Ecken versteckt sich das größte Projekt meines Lebens und wächst seit Jahren, wie der Schimmel auf einer alten Sonntags-Semmel im Plastikbeutel. Der Titel projiziert sich Nacht für Nacht an meine Zimmerdecke. Ein stumm geschalteter Laserwecker. Nur, wenn ich nicht hinschaue, blinkt er und macht die Wände nervös. Unendlich viele Worte, geformt zu Sätzen, gebündelt zu einer alles aufwühlenden und schließlich heilenden Geschichte. Sie ist zum Greifen nah, liegt mir auf der Zunge, sitzt mir im Nacken. Doch dann rutscht sie mir den Buckel runter und wird mit dem ersten Kaffee fortgespült. So geht das, Tag ein, Tag aus. Ich kann solange etwas anderes machen. Malen oder Musizieren. Aufräumen oder die Haare bleichen. Der Zeitpunkt wird von ganz alleine kommen, nicht wahr? Der Zeitpunkt. Ich stelle fest, ich bin 43. Und ich muss raus. Ungestörte Zeit am Strang gibt's geschenkt. Nur der Zeitpunkt. Wo hab ich ihn hingelegt? War der nicht da? Jetzt gerade. Zu dumm, verpasst. Ich hänge ihm noch eine Weile nach. Mein Magen knurrt mich an, weil ich kein genießbares Brot im Haus habe. Ich werde ins Pub runter gehen. Bunte Turnschuhe, zerknautschtes T-Shirt und Jogginghose reichen vollkommen, um bekleidet zu wirken. Ich fahre mir durch die kurzen Haare, als würde ich überprüfen, ob der Rasen über Nacht gewachsen ist. Ein bisschen Maskara, dann sieht keiner, wie müde ich bin.

Imprint

Text: Hugo Ross
Publication Date: 04-28-2015

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