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Knieper, Schafe, Katastrophen oder Helgoland in Sicht

Was macht man, wenn man in Hamburg ist? Nein, nicht den größten Parkfriedhof Europas besuchen, wie der Vorschlag meiner besten Freundin Kathrin lautete. Auch wird kein Spiel des HSV besucht, vor allem nicht, wenn der Gegner Werder Bremen heißt, wie Tim es vorgeschlagen hat. Und es wird sonntags auch nicht der Fischmarkt besucht, selbst wenn mein Mitbewohner, diese Schlafmütze, behauptet, um sechs Uhr aufstehen zu wollen. Am Ende haben wir uns alle aus den Betten gequält, nur einer nicht - mein Mitbewohner, der Ideengeber des verrückten Einfalls. Nein, wenn man in Hamburg ist, sollte man an einem Tag nach Helgoland fahren.

Mit dem Katamaran geht das recht schnell und seekrank wird man auch nicht. Zumindest wird das gesagt. Die Wirklichkeit sieht oft anders aus.

Pünktlich um Viertel nach acht stehen wir vor dem Katamaran und warten, dass wir aufs Schiff dürfen. Um neun Uhr soll die Fahrt losgehen und wir wollen unsere Plätze in aller Ruhe suchen und belegen.

"Dafür musste ich so früh aufstehen?", mault mein Mitbewohner und gähnt schamlos, ohne die Hand vor den Mund zu halten, dass man ihm bis hinten in den Rachen sehen kann. Kein schöner Anblick, aber wenigstens sind seine Zähne nicht durch massenhafte Zementierungen entstellt, wie beim es bei Nora bewundern kann.

"Jetzt stehen wir hier blöd rum und frieren. Ich dachte, wir hätten reservierte Plätze."

"Woher sollte ich ahnen, dass du mal kein Theater machst, wenn du früh aufstehen sollst", sage ich und wundere mich immer noch, wie zeitig er unten bei uns im Frühstücksraum gesessen hat.

"Kannst froh sein, dass ich heute Morgen nicht gestorben bin. Tim hat mir ein nasses Handtuch ins Gesicht geklatscht. Ich hätte einen Herzinfarkt bekommen und tot sein können."

"Das ist auch nicht nett", sagt Kathrin und fasst meinen Mitbewohner kurz an den Arm.

Ihrem Mitgefühl kann er sich sicher sein, aber ob er das haben will? Na ja, wenn er nicht auf Mitleid aus wäre, hätte er es gar nicht erst erwähnt. Durchaus möglich, dass er Tim noch irgendwas heimzahlen will und es deshalb erzählt.

"Was sollte ich machen?", meint Tim achselzuckend. "Rütteln hat nichts gebracht, ihm die Bettdecke klauen ebenso wenig. Den hat nicht mal gestört, dass ich mit einem Bügel einen Rhythmus auf seinem Rücken geklopft habe. Da blieb als letzte Möglichkeit nur das kalte Wasser."

"Ach nee, jetzt weiß ich, wieso mir der Rücken so schmerzt. Das ist Körperverletzung", ereifert sich mein Mitbewohner.

Ich kann wieder einmal nur über Tims verrückte Einfälle schmunzeln, auch wenn ich die Weckmethode mit dem Bügel nicht in Ordnung finde. Da gibt es durchaus humanere Methoden. So hätte er einen Fön an Kopf meines Mitbewohners laufen lassen können. Der Krach hätte ihn sicherlich geweckt.

"Was machen wir eigentlich, wenn wir da sind? Robben beobachten doch wohl nicht?"

Tim sieht von einem zum anderen, als versuche er, uns diese Idee allein durch seinen Blick auszureden.

"Eigentlich wollten wir die Tölpel zählen", sage ich.

"Dich natürlich ausgeschlossen", ergänzt Kathrin.

Verärgert werfe ich einen kurzen Seitenblick auf meine beste Freundin, die nur mit den Schultern zuckt.

Dieser Ausflug fängt gut an. Wir sind noch nicht losgefahren und schon streiten sich alle. Das konnte noch heiter werden.

"Ich hab' gehört, dort soll es auch eine Kolonie von Trotteln geben - dich natürlich nicht mitgerechnet", kontert Tim und verschränkt lässig die Arme vor der Brust, als er sieht, dass Kathrin vor Wut rot anläuft.

"Wie es in den Wald schallt, so schallt es wieder hinaus", sage ich mit leiser Stimme, die recht drohend klingt, als ich fortfahre: "Von mir aus könnt ihr euch weiter als Vögel bezeichnen, aber dann tragt eure Kinkerlitzchen woanders aus. Am besten auf einer Boje. Vielleicht habt ihr Glück und irgendein Frachter nimmt euch später auf. Aber wenn ihr euch weiter so benehmt, habe ich so meine Zweifel."

Ich verabscheue solche Machtworte, aber was soll ich machen? Natürlich würde ich die beiden nie auf einer Boje oder einer einsamen Insel aussetzen. Man kann den Fischen nun wirklich nicht zumuten mit Tim und Kathrin Bekanntschaft zu machen. Die Flora und Fauna der einsamen Insel würde auf einen Schlag eingehen.

Und wie soll ich das Kommando über das Schiff bekommen? Bis zur Brücke schaffe ich es nie. Das muss man den beiden allerdings nicht unter die Nase reiben, würden sie nur ausnutzen, dass ich keine ernsthaften Argumente haben, sondern nur leere Wortphrasen.

"Habt ihr genug Geld dabei?", will mein Mitbewohner nach längerem Schweigen wissen.

"Das Geld für 'ne Rolex kriegst du von mir nicht", erwidert Tim. "Das Geld bleibt auf meinem Konto."

"Ich wollte nur wissen, ob ihr genügend Bargeld dabei habt, um eure Einkäufe zu bezahlen. Nicht, dass irgendwann die Steuerfahndung vor eurer Tür steht."

Nun fängt Tim lauthals zu lachen an. Können wir nicht einmal unterwegs sein, ohne die Aufmerksamkeit anderer auf uns zu ziehen? Manchmal kann ich diejenigen verstehen, die sich in der Masse unwohl fühlen. Sobald man die Aufmerksamkeit anderer auf sich gezogen hat, wird man sie nur schwer wieder los.

"Was kann man denn auf Helgoland für Steuern hinterziehen? Zu viele Fischbrötchen essen?"

"Zu viele Zigarettenstangen schmuggeln, sieht man im Fernsehen immer wieder, wie der Zoll auf dem Flughafen das Gepäck der Leute durchsucht und garantiert immer etwas findet."

"Da können sie bei mir lange suchen, ich rauche nicht. Jedenfalls keinen Tabak."

"Anderweitiges wollen wir nicht wissen, sonst musst du eine Haarprobe abgeben", sage ich und hoffe, dass niemand Tims Worte verstanden hat. Ich will gar nicht wissen, was das für ein Licht auf uns wirft.

"Ich rede davon, dass die Steuerfahndung sagen wird, ihr hättet euren Schmuck nicht ordentlich versteuert. Deshalb: Bargeld lacht!"

"Was soll ich denn mit Schmuck?", sagt Tim entrüstet. "Obwohl, so ein Brillantohrstecker soll sehr modisch sein."

Hoffentlich lässt er sich nicht auf der falschen Ohrseite ein Loch stechen. Es könnte für Irritationen sorgen - bei anderen und bei meinem Mitbewohner.

"Kommen die auch, wenn ich mir eine Kamera kaufe?", fragt Kathrin unsicher.

"Das Problem wirst du nicht haben. Soviel Geld hast du gar nicht auf dem Konto, um einen Fotoapparat kaufen zu können", erwidere ich.

Meine beste Freundin mag sparsam leben, indem sie sich von uns aushalten lässt, aber ihre Mutter passt schon auf, dass beinahe jeder Cent zu Hause ankommt, den Kathrin verdient hat. So soll sie zum Auszug bewegt werden, aber Kathrin bleibt trotz aller Querelen im Hotel Mama wohnen. Ihr Sitzfleisch scheint eine ziemliche Ausdauer zu besitzen, obwohl sie sich immer wieder beschwert, wie schäbig sie von ihrer Mutter behandelt werden würde. Wenn man zu Hause alles mit Kartons vollstapelt, wo sich sonst was drin befindet, weil man das gerade für eine obskure Geschäftsidee braucht, kann ich verstehen, warum man die Tochter unbedingt aus dem Haus haben will.

"Mein Konto ist ausreichend gedeckt, aber ich kann mir meine Geheimnummer nicht merken. Da es immer heißt, man solle die Zahlen nicht aufschreiben, sondern im Kopf haben. Deshalb kann ich nicht per Karte zahlen."

"Also kannst du ganz beruhigt sein, dass die Steuerfahndung dein Konto nicht pfänden wird", sagt Tim.

"Es muss auch gar nichts passieren, wenn ihr mit Karte bezahlt", lenkt mein Mitbewohner ein, "aber besser ist, wenn ihr eure Einkäufe bar bezahlt."

"Jawohl, waschen wir unser Schwarzgeld rein. Wie gut, dass ich gerade in der Schweiz gewesen bin."

Resigniert schließe ich die Augen und wünsche mich ganz weit weg. Was müssen die Leute um uns herum nur von uns oder speziell vom Tim denken? Ein kiffender Steuerflüchtling will sein Schwarzgeld in wertsteigernde Objekte investieren? Nein, ich möchte es nicht wissen.

"Sind die Cayman Islands nicht besser geeignet? Ich dachte, die Schweiz gibt Daten heraus", meint Kathrin.

"Dann eben die gute alte Matratze, Hauptsache der Staat kann seine Finger nicht draufhalten."

Aus irgendeinem Grund fällt mir ein Spruch ein, den ein Kommilitone gesagt hat: Geld hat man zu haben - egal aus welcher Quelle. Genauso scheint es Tim zu halten. Ehrlich gesagt weiß man bei ihm auch nie so genau, woher er sein Geld eigentlich hat. Manchmal scheint er kaum etwas auf der Naht zu haben und lädt sich bei uns andauernd zum Frühstück und Abendessen ein. Dann ist er überaus großzügig und schmeißt mit seinem Geld nur so um sich, als hätte er eine unerschöpfliche Quelle gefunden.

Die Warterei ist immer noch nicht vorbei, aber es tut sich bereits etwas. Hinter uns werden hohe leere Metallkästen von Bord gebracht. Die Dinger ähneln diesen Gestellen, wo Waren mit transportiert werden. Allerdings haben die nur an zwei Seiten angebrachte Stahlgitter, hier gehen sie einmal rundherum, als wolle man sichergehen, dass nichts herausfällt. Bei schwerer See könnte das durchaus möglich sein, deshalb muss alles gesichert sein.

"Wer die Gangway nicht hochkommt, wird so aufs Schiff transportiert. Da kriege ich irgendwie Angst."

"Kauf nicht so viel Bier ein, dass du einen Gutteil davon erst versaufen musst, um durch den Zoll zu kommen. Nicht, dass du uns noch ins Wasser fällst."

"Ich spring dir auch nicht hinterher", pflichtet Kathrin mir bei.

Glücklicherweise macht sie es nicht, sonst müssten gleich zwei Personen gerettet werden. Die Schwimmkünste meiner besten Freundin haben bereits in der Schule zu wünschen übrig gelassen. Angeblich habe sie sich am Wasser verschluckt, sagte sie immer, wenn sie mal wieder am absaufen war. Wenn man bald ertrinkt, schluckt man vor lauter Panik Wasser. Also hatte sie in gewisser Weise recht.

"Bier kann ich zu Hause kaufen. Nee, ich hab' schon 'ne Liste, was ich haben will. Und das bringt ihr mir durch den Zoll."

"Wieso denn das?", will ich wissen.

"Ihr seht so seriös aus, da würde niemand draufkommen, dass ihr zu viel gekauft habt."

Ich bin sprachlos und muss erst einmal tief durchatmen.

Hat man das gehört? Da hat Tim doch wirklich bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, wie er billig an Alkoholika kommt. Soll ich ihn wirklich noch mitnehmen oder besser auf dem Festland lassen? Nicht, dass wir am Ende alle als Steuersünder gelten. So was macht sich gar nicht gut im Lebenslauf.

"Ich pass schon auf, dass er nicht die halbe Insel leerkauft", versucht mich mein Mitbewohner zu beruhigen.

Wieso nur glaube ich nicht daran?

"Ach, guck mal, die Käfige sind nicht für fußkranke Passagiere, sondern fürs Gepäck", sagt Kathrin und lenkt unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Gitterkästen.

"Hätte ich gleich sagen können", meint Tim großspurig, obwohl er selbst keine Ahnung gehabt hatte, wofür die Metallkästen seien.

"Das nächste Mal wirst du in einem Kofferkasten transportiert und erst rausgeholt, wenn wir am Ziel angekommen sind."

"Der Koffer darf nicht mehr als zwanzig Kilo wiegen, sonst zahlst du mehr fürs Übergepäck als eine Fahrkarte kostet."

"Das ist es mir allemal wert, um von deinen wirren Reden verschont zu bleiben, die für uns negativ ausfallen könnten. Außerdem wäre es nicht nur mein Koffer, sondern auch der von Kathrin und deinem besten Freund."

"Ich wiege aber nicht sechzig Kilo."

"Fünf Kilo mehr kann ich verschmerzen. Du darfst am Tag zuvor natürlich dem Bier nicht frönen."

"Ich krieg immer, was ich will. Und ich will jetzt da rein!"

"In einem Kastenkoffer wärst du längst auf dem Schiff", erwidere ich kühl.

Solange die Koffer noch verladen werden, müssen die Passagiere eben warten. Egal wie kalt das nun sein mag. Ehrlich gesagt, will ich jetzt auch langsam auf den Katamaran. Meine Füße sind halbe Eisklumpen und bis die wieder aufgetaut sind, ist Abend. Wahrscheinlich werde ich mich nur noch wie ein Zombie fortbewegen können. Den Weg auf dem Oberland werde ich mit tauben Füßen nie schaffen.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee, hier so früh aufzukreuzen, sich die Beine in den Bauch zu stehen und eingefrorene Füße zu bekommen. Aber zugeben, dass ich einen Fehler begangen hatte? Niemals!

"Ich fall' um vor Hunger", stöhnt Kathrin.

"Ich hab dir gesagt, dass Hundefutter-Cornflakes ein Loch in den Magen reißen", sagt Tim.

"Quatsch, du warst nur sauer, weil du keine mehr abbekommen hast. Du wolltest mir die ausreden, um dann meine Reste zu essen."

"Seh ich so verzweifelt aus? Du hast die ganze Schüssel leergemacht. Wahrscheinlich hast du keinen Hunger, sondern dich überfressen."

"Oder einen Zuckerschock", meint mein Mitbewohner.

Die beiden wissen nicht, wie viel Kathrin vertragen kann. Die hätte das ganze Büffet abräumen können, wenn sie gewollt hätte. Allerdings mag sie weder Fisch noch Rohmilchkäse.

"Kotz mir bloß nicht auf die Hose", mahnt Tim. "Deinen Magen kannst du sonst wo entleeren, aber nicht auf meiner Hose. Die ist erst vor kurzem gewaschen worden."

"Sind drei Monate schon wieder rum?", will mein Mitbewohner wissen. "War dein großer Waschtag nicht an Ostern?"

Entsetzen spiegelt sich auf Kathrins Gesicht wieder. Wahrscheinlich gucke ich nicht anders. Dass Tim ein wenig schludrig ist, weiß ich seit längerem, aber dass er seine Sachen nur alle drei Monate wäscht? Also wirklich! Habe ich mir das Müffeln nicht eingebildet. Ich bin kein Sauberkeitsfanatiker und wasche nicht jeden Tag, aber nach spätestens zwei oder drei Wochen sollte er wirklich mal seine Hose waschen.

"Das war vor bald zwei Monaten!", sagt Kathrin und geht auf Distanz zu Tim. Fast scheint es mir, als versuche sie zu erschnuppern, ob man die ungewaschene Hose riechen könne. Angewidert verzieht sie das Gesicht, nachdem sie zuvor ihre Nase gekräuselt hatte. Von irgendwoher schwappt gerade eine große Dosis Dieselgestank zu uns herüber.

"Seine restliche Kleidung wäscht Tim regelmäßig", springt mein Mitbewohner seinem Freund bei, als er merkt, was er mit seiner Bemerkung angerichtet hat.

"Wasser ist zur äußeren Reinigung da. Für die innere tut es auch Whisky."

Nein, dieses Thema will ich wirklich nicht vertiefen und bin äußerst dankbar, als wir Passagiere endlich ins Innere des Katamarans dürfen.

"Jeder von euch nimmt sich eine Karte", sage ich, hole die Bordkarten aus meiner Jackentasche und verteile sie an meine drei Begleiter.

"Ich heiße aber nicht Kathrin", mault mein Mitbewohner herum.

"Das ist doch völlig egal. Solange da nicht Erwin Koslowski draufsteht, brauchst du dir keine Sorgen machen", sage ich.

"Was?!", sagt Tim bestürzt. "Der Erwin fährt auch mit? Wieso rückst du erst jetzt damit heraus?"

Hektisch ruckt sein Kopf hin und her, als suche er jemanden unter den Wartenden.

"Das war nur ein Beispiel."

"Wirklich?" Tims Blick wirkt gehetzt.

Wer das wohl sein mag, vor dem er sich dermaßen fürchtet? Mir jedenfalls ist niemand mit diesem Namen bekannt. Ich benutze Erwin Koslowski, wenn ich irgendeinen Namen brauche. Bisher habe ich nie erlebt, dass jemand auf diesen Namen reagiert. Tim ist immer für eine Überraschung gut. Nur wieso fürchtet er sich so vor dem angeblichen Erwin Koslowski? Schuldet er ihm noch Geld oder hat er was anderes angestellt? Will ich gar nicht wissen. Je weniger ich weiß, desto besser.

Die Bordkarten werden schnell untereinander getauscht, bevor wir kontrolliert werden und den Katamaran betreten. Unsere Plätze im Oberdeck finden wir recht schnell. Allerdings ist Kathrin mit den Plätzen äußerst unzufrieden.

"Ich hab gedacht, wir sitzen am Fenster. Hier kann ich doch gar nichts sehen", mault sie enttäuscht.

"Dafür wirst du hier nicht seekrank", erwidert mein Mitbewohner. "In der Mitte eines Schiffs liegt der Ruhepol, weil das der Mittelpunkt ist, wo das Schiff am wenigstens hin und her schaukelt."

"Nicht hinten? Wieso ist denn da die Aussichtsplattform?"

"Damit du nicht vom Kahn fliegst, wenn der übers Meer rast. Sonst müsstest du eine Schwimmweste tragen und dich draußen wie ein Bergsteiger festmachen. Wahrscheinlich würdest du trotzdem im Wasser landen."

"Wenigstens kann ich schwimmen", entgegnet meine beste Freundin.

Ich verdrehe nur die Augen und schweige, denn ich erinnere mich immer noch gut an den leidigen Schwimmunterricht. Wenn Kathrin nicht gerade am Absaufen war, weil sie angeblich Chlorwasser geschluckt hatte, brannten ihr vom Tauchen die Augen. Das einzige, was sie wirklich beherrschte, war das Rückenschwimmen. Da flitzte sie so durchs Wasser, dass sie nicht die Richtung beibehielt, sondern einmal quer durchs Becken schwamm. Andere Schwimmer mussten sich vor ihr retten, wenn sie nicht umgewommen werden wollten.

Das Schwimmbecken war eine begrenzte Größe. Jetzt auf dem Meer dürfte weniger passieren. Womit sollte sie hier schon zusammenstoßen? Mit einer Möwe? Na gut, ab und an könnte ein Schiff vorbeikommen. Aber solange sie nicht in der Fahrrinne schwämme, kann da nicht viel passieren.

"Gibt's hier auch was zu essen oder muss ich warten bis wir am Ziel sind?"

"Du hast doch gefrühstückt", sagt Kathrin.

"Tatsächlich?", fragt Tim. "Kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, wie sich jemand das ganze Müsli auf den Teller geschüttet hat. Da blieb für mich nichts übrig."

"Schale, wir wollen bei der Wahrheit bleiben. Außerdem habe ich nicht alles genommen", protestiert meine beste Freundin.

"Nein, natürlich nicht", höhnt Tim. "Die zwei Kringel, um bei der Wahrheit zu bleiben, waren nicht einmal ein Anstandsrest. Ich bin völlig aushungert."

"Hättest die Zimtdinger nehmen können. Davon war noch genug da."

"Von denen kriege ich Kopfschmerzen, außerdem schmecken die nicht."

"Dann kann ich dir auch nicht helfen. Lass dir gesagt sein: einseitige Ernährung ist ungesund."

"Ich hätte ja was anderes gegessen, aber Lachs und Mozzarella hatte man mir auch schon weggefressen."

Beim Lachs fühle ich mich ertappt. Wobei da nur vier Scheiben lagen. Die brauchte ich allerdings alle, um mein Brötchen zu belegen. Was beschwert Tim sich eigentlich? Wenn er nicht erst zwei Tassen Kaffee getrunken hätte, wäre er nicht immer zu spät gekommen. Tim hat selber schuld, denn es ist allgemein bekannt, dass derjenige bestraft wird, der zu spät kommt.

Es war reichlich von allem da. Nur eben nicht mehr, nachdem wir das Büffet gestürmt hatten. Vielleicht lernt Tim fürs nächste Mal. Wahrscheinlich ist das nicht der Fall. Auf den letzten Reisen hat er auch schon rumgemotzt, wir hätten ihm nichts übriggelassen. Das ist wie ein nicht enden wollender Teufelskreis. Alle drehen sich im Kreis, weil einer nichts dazulernt.

Wir fahren an Blohm & Voss vorbei Richtung Cuxhaven. Denn wir haben einen Tag erwischt, wo wir kurz nach Hamburg nicht noch einen kleinen Zwischenstopp einlegen. Hatte gar nicht gewusst, dass es das gibt, aber so ist es viel besser, weil wir dadurch mehr Landaufenthalt haben werden.

"Wieso schleicht der denn so? Ist der Motor kaputt?"

"Auf dem Meer wird der Katamaran garantiert aus dem Vollen schöpfen. Aber jetzt sind wir noch in einem Bereich, wo man rücksichtsvoll fahren muss", versucht mein Mitbewohner seinem Kumpel zu erklären.

"Ist das nicht der Bereich, der so verschlammt ist, dass Schiffe im Morast hängenbleiben, wenn sie zu schnell fahren?"

"Bei Geschwindigkeit wird Staub aufgewirbelt, da bleibt man nicht hängen", sagt Tim. "Der Katamaran könnte darüber hinwegschaben."

"Ist das nicht die Stelle, wo Hamburg von den Umweltschützern verklagt wurde, weil sie den Schlamm nicht mehr ausbuddeln sollen?", fragt mein Mitbewohner.

Dunkel erinnere ich mich, so was gelesen zu haben. Aber was einen nicht selbst betrifft, vergisst man schnell.

"Diese Ökofritzen sollen sich lieber darum kümmern, dass keine Windräder gebaut werden. Guckt euch an, wie das die Gegend verschandelt", sagt Tim und weist nach draußen. Schön sieht das wirklich nicht aus, aber auch nicht ganz so schlimm wie die Solarfelder.

"Und woher soll unser Strom kommen?", will Kathrin wissen. "Sollen wir alle unsere Fahrräder umbauen und den Strom selbst produzieren?"

"Wieso nicht? Dann würden die Arbeitslosen auch mal was leisten."

"Mit dem Stromerzeugen verdienen sie sich ihre monatlichen Leistungen."

"Genau. Was glaubst du, wie schnell die wieder arbeiten können."

Jetzt schert Tim wieder alle über einen Kamm. Ich glaube kaum, dass man die Arbeitsscheuen mit den wirklich Arbeitssuchenden vergleichen kann. Natürlich mag es noch die geben, die resigniert haben, aber selbst das ist eine andere Gruppe.

"Sollten die vor kurzem nicht die Solarpaneele in der Sahara putzen?", frage ich, da Tim davon gesprochen hatte.

"Das war eine Idee, die hingehauen hätte. Mit einem Mal hätte es Vollbeschäftigung gegeben. Nur leider bin ich der Realität wieder um Jahrzehnte voraus. Die sind nicht einmal fähig, die richtigen Stromleitungen zu bauen. Aber Gas aus Sibirien beziehen", meint Tim.

"Gas und Strom sind doch völlig verschieden", merkt mein Mitbewohner vorsichtig an. Er weiß, wie empfindlich

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Helen Hoffmann
Images: Helen Hoffmann
Publication Date: 08-04-2016
ISBN: 978-3-7396-6746-1

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