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Rosenduft

 

„Ich bereue zutiefst.“, denke ich und vergebe mir. Ein Anspruch an mich selbst. Unerfüllbar. Und doch. Was passiert ist, ist passiert. So ist das Leben. Aufmunternd nicke ich meinem Gewissen zu. Es scheint zufrieden zu sein. Für einen Moment. Ich nicht. Ich vermisse Suna. Ich vermisse die Wärme und die Fürsorge, ihr Lachen, das einem tristen Tag ein sonniges Kleid anzog. Es folgt eine weitere schlaflose Nacht, in der die Sehnsucht keine Ruhe findet. Ich stehe auf und setze mich im Garten unter den Rosenbusch, atme den zarten Duft der Blüten und bin Suna unendlich nahe. Vielleicht ist es nicht so einfach, sich selbst zu vergeben. Vergeben und vergessen. Zwei kleine Worte, die tief in mein Inneres greifen und mich von aller Schuld befreien sollen. Für heute, morgen und vielleicht für alle Zeit. Doch wem nutzt es, wenn ich wieder gut mit mir wäre. Suna sicher nicht.

 

Was geschehen ist? Etwas, das mich im Sturzflug Richtung Boden steuert. Ich warte auf den Aufprall. Hart und erbarmungslos. Wie sagte meine Mutter immer „Hochmut kommt vor dem Fall.

Schon damals ging sie mir damit auf die Nerven. Ständig musste ich mich bei meinen kindlichen, äußerst wichtigen Mitteilungen hintenanstellen. „Der Esel nennt sich immer zuerst“ oder „Eigenlob stinkt“, dabei streckte sie ihre Nase rümpfend in die Luft, den modrigen Geruch meiner Erzählungen einatmend, um dann meine Worte mit einem angeekelten „Pfui Teufel“ scheinbar auf den Boden zu spucken. Ein Gebaren, das ich, je älter ich wurde, albern fand.

 

Was lag da näher, sich anders ausprobieren zu wollen. Sich entgegengesetzt zu entwickeln. Ich hatte genug davon, mein Licht ständig unter den Scheffel zu stellen. Alle Welt sollte meine Einzigartigkeit erkennen und somit ihre eigenen Unzulänglichkeiten. War ich doch perfekt. Ich hatte mir diesen wunderbaren Blick angeeignet, der voller Arroganz über alle hinwegschauen konnte. Der sie klein machte und mich in schwindelnde Höhen hob. Ich wollte mehr davon und so wurde es ein Teil von mir oder besser gesagt ich wurde zu diesem Teil, den Mutter von mir fernhalten wollte, den sie sogar als Sünde bezeichnete. Sie wusste nicht was sie versäumte. Sie wusste nicht, wie gut es sich anfühlte.

 

Zum Glück war ich mit genügend Verstand ausgestattet, hatte die nötige Prise Rücksichtslosigkeit und besaß Ellenbogenstärke, um mich an die Spitze eines Unternehmens zu boxen. Ich wurde Chef der Personalabteilung. Arroganz und Hochmut waren da sehr hilfreich. Bis heute verstehe ich Mutters Intention nicht, mich klein und demütig geformt haben zu wollen. Ich kann klar von mir sagen „ich bin gut. Nein! Falsch! Ich bin der Beste … für diese Firma und für Suna.“

 

Suna. Eine hübsche Blondine. Zierlich von Gestalt und zart in der Seele. Zerbrechlich eben. Meiner nicht ebenbürtig, jedoch ein überaus schmückendes Beiwerk. Das war anfangs mein Eindruck von diesem fast durchsichtigen Wesen. Aber unsere Beziehung gestaltete sich anstrengend und manchmal nervtötend. Ihre ständigen Versuche, sich mit mir zu messen, wehrte ich erfolgreich ab. Sie war schließlich nur ein „Püppchen“ und konnte nicht annähernd so gut sein wie ich, geschweige denn besser. Und wenn sie das endlich begriffen hatte, gäbe es Frieden. Bis dahin musste ich diese Kämpfe aushalten. Warum? Es verwunderte mich selbst. Sie bekam von mir viel zu viel Aufmerksamkeit für ihr skandalöses Benehmen. Das war nicht meine Art. Ich stand schließlich über allem und jedem. Immer und überall. Dass ich Suna vermissen würde, war mir dann doch völlig unverständlich und ich würde es auch nicht geglaubt haben. Es zuzugeben und sei es nur vor mir selbst, wäre der Anfang vom Ende.

War ich am Ende? Am Ende meines Sturzfluges angelangt? Ich glaube nicht. Wieder und wieder steigt die Erinnerung in mir empor und rüttelt grob an meiner Seele. Die Erinnerung an diesen Tag, der alles veränderte. Auch mich.

 

„Ansgar, ich habe es satt.“ In Sunas graugrünen Augen blitzte es gefährlich auf.

 

Jetzt musste ich auf der Hut sein. Sie war der Teufel in Elfengestalt. Mein arrogantes Gehabe beeindruckte sie nicht. Wenn ich recht überlege, hatte es sie noch nie beeindruckt. Ihr Blick ließ mich klein und demütig werden. Das machte mich wütend. Jedes Mal ein bisschen mehr. Sie musste mich bewundern. Ich wollte über sie hinweg schauen. Sie sollte um meine Gunst buhlen, die ich ihr dann ab und an gewähren würde. Aber sie funktionierte nicht. Ganz und gar nicht. Ich hatte fast den Eindruck, dass sie den Spieß umdrehte. Ja, das machte mich wütend. Zornig. Ich geriet in eine Art Ausnahmezustand, der mich selbst erschreckte. Also atmete ich tief durch und versuchte Ruhe zu bewahren. Vorsichtig tätschelte ich ihre Hand, um sie milde zu stimmen. Bei der ersten Berührung zog sie jedoch ihren Arm ruckartig zurück.

 

„Ich bin es leid. Deine unglaubliche Rücksichtslosigkeit, deine verletzende Arroganz allem und jedem gegenüber tötet jede Liebe.“, erklärte sie und verschwand im Schlafzimmer.

 

Mit zusammen gekniffenen Augen verfolgte ich ihr Tun. Was hatte sie vor. Ich musste nicht lange auf die Antwort warten. Da stand sie mit einem Koffer. Traurig sah sie aus. Mein Herz hämmerte wild in der Brust. Es war doch immer nur ein Spiel gewesen. Zwischen uns. Nur ein Spiel. Waren wir am Ende? Wer trug den Sieg davon. Was war der Preis? Suna schien es nicht zu sein. Sie hatte wohl andere Pläne.

 

„Wo willst du hin?“ Meine Stimme klang rau.

 

„Weg. Weg von dir.“ Sie drehte sich zur Tür und griff nach der Klinke.

 

Sie durfte nicht gehen. Ich wurde nicht verlassen. Wenn, dann war ich derjenige, der ging. Das alles machte mich fassungslos und brachte meine ganze Lebenseinstellung ins Wanken. Vielleicht war unsere Liebe tatsächlich gestorben. Irgendwann. Vielleicht konnte ich auch gar nicht lieben, weil der Fokus ständig auf mir lag und es keinen Platz gab. Für irgendwas oder irgendjemand. Auch nicht für Suna. Vielleicht hatte ich mich getäuscht und ihr Kampf war nicht gegen mich – sondern um mich. Und jetzt war sie müde. Erschöpft ob der Ausweglosigkeit. Eine Erkenntnis, die mich verwirrte. Für einen Moment vergaß ich wer ich war und wünschte, ein anderer gewesen zu sein. Oder der, der ich vielleicht wirklich war. Tief in mir drin. Für uns. Für Suna und mich.

Ich konnte nichts tun. Ihr Blick verriet Entschlossenheit. So ist das Leben. Es hatte mich oft gewinnen lassen, nun musste ich eine Niederlage einstecken. Vielleicht die größte überhaupt. Viele Gedanken und noch mehr Gefühle fluteten Körper und Geist. Ich erkannte meine Machtlosigkeit und eine unbändige Wut stieg in mir auf.

 

Es war nur ein kleiner Schubs. Eine leichte Berührung. Fast wie ein Unfall. Sie knallte mit dem Kopf gegen die Tür. Lautlos sackte sie in sich zusammen. Das Blut stockte in meinen Adern. Zum Teufel mit den ausufernden Gefühlen. Zum Teufel mit Wut, Zorn, Neid und Hass. Zum Teufel mit mir.

Und doch - ich hätte sie nicht gehen lassen können. Niemals. Besitzergreifend drückte ich ihr Gesicht gegen meine Brust. Fest und immer fester – wie im Wahn. Sie wehrte sich nicht. Meine Hand ließ nicht locker, gewaltsam umspannte sie noch immer ihren Hinterkopf. Ich weiß nicht, wann sie aufgehört hatte zu atmen. Irgendwann löste ich den Druck. Ich weiß nicht, wie lange ich da saß - auf dem Boden, im Flur, ihre leblose, zarte Gestalt in meinen Armen.

Ich vermisse sie. Ich vermisse ihre Wärme und Fürsorge. Ich vermisse ihr Lachen. Ich kann nicht mehr schlafen – finde keine Ruhe. Vielleicht eine Strafe, der ich für den Rest meines Lebens ausgeliefert sein werde. Die Gedanken lassen nicht los. Sie umschlingen Suna, wie ein Oktopus. Ein Oktopus mit viel zu vielen Armen. Vergeben und vergessen. Leere Worte, weil es anders ist. Egal was ich meinem Gewissen einsuggeriere, ich kann mir nicht vergeben und ich werde Suna nicht vergessen können.

 

Ich weiß wohl, was ich in meiner Unbeherrschtheit getan habe. Im Zorn. Ich warte darauf, dass sie mich holen. Heute, morgen - irgendwann. Und selbst wenn es nicht so wäre, es würde nichts geändert haben. Schuld bleibt für immer. Trotzdem. Warum nur wollte sie gehen? Es gab keine Alternative für mich. Ich musste handeln. Nun ist es wie es ist. Sie wird bei mir bleiben müssen. Draußen im Garten. Unter dem Rosenbusch. Jede Nacht sitze ich bei ihr und atme den zarten Duft der Blüten und fühle mich ihr so unendlich nahe. Ich lasse sie wiederauferstehen. Jedes Mal. Dann höre ich ihr Lachen und sehe den Glanz ihrer Augen. Ich spüre ihren zarten Körper in meinen Armen und für einen Moment bin ich glücklich – und für einen Moment bin ich der, der ich hätte sein können. Der, den sie so lange in mir gesucht hat. Mit dem Handrücken wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht …

 

 

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Imprint

Text: Karin Hufnagel
Images: Ursula Hägele
Cover: Karin Hufnagel
Publication Date: 04-30-2021

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