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Lynette

 

Ich hatte mich tatsächlich dazu hinreißen lassen, die Bedeutung ihres Namens zu googlen. Lynette – die Sanfte, die Freundliche, die Milde. Schön, wenn es so gewesen wäre. Sie besaß jedoch keines dieser aufgezählten Attribute. Vielleicht hatte ihr das Leben heftige Schläge zugefügt und aus ihr dieses „Monster“ gemacht. Aber vielleicht war sie auch einfach nur böse – so von Grund auf – und sie trug ihren Namen zu Unrecht … denn

… Lynette war mein persönlicher Albtraum … vom ersten Augenblick an.

Der erste Tag in meiner neuen Arbeitsstelle stand schon unter einem denkbar schlechten Stern. Ich bin nicht besonders abergläubisch. Nur manchmal. Ich habe nichts gegen schwarze Katzen von links oder rechts. Ich gehe ohne Bedenken unter Leitern hindurch. Aber ich glaube, dass bestimmte Kleidungsstücke eine schlechte Aura besitzen. Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, dass sie Unglück bringen können. Man sollte, wenn man etwas Neues anfängt, bewährte Kleidung tragen. Warum hatte ich das nur vergessen, denn an diesem besagten, für mich so außerordentlich wichtigen Tag, trug ich ein neues Kleid im Schlangendruck. Dabei war ich gar nicht der Typ für Animalprint. Eine pfiffige Verkäuferin hatte es mir aufgeschwatzt. Wie schön es meine Figur zur Geltung brachte und all solche Sachen, die warm und weich in mein Ohr tropften. Verzaubert von der wunderbaren Wortwahl und einem Spiegel, der mir vorgaukelte, was ich gar nicht war, stolzierte ich mit dem Teil zur Kasse. Ich war voller Vorfreude auf den kommenden Tag.

 

***

Lynette nahm mich in Empfang. Sie war die Abteilungsleiterin der Damenoberbekleidung des Kaufhauses.

„Ich bin Lynette Hauser, ihre direkte Vorgesetzte“, sagte sie kühl und taxierte mich ungeniert von oben bis unten.

Ihr Blick sprach Bände. Durchgefallen! Das lag am Kleid. Da war ich mir sicher. Wie ein Fremdkörper hing es plötzlich an meinem Leib, brannte wie Feuer auf der Haut. Ich fing augenblicklich an zu schwitzen und spürte eine peinliche Röte in die Wangen steigen.

„Valentina Knorre“, unsicher streckte ich ihr meine Hand entgegen, die sie einfach übersah und dadurch eine erneute Hitzewelle in mir auslöste, die sich heiß in meinen Ohren staute.

Es bedurfte keinerlei Worte – die Fronten waren geklärt. Sie mochte mich nicht.

„Dann zeige ich Ihnen mal Ihren Schrank, Fräulein Knorre.“, sagte sie, drehte sich um und wackelte aufreizend mit dem Hintern, während sie vor mir her stöckelte.

Hatte sie gerade Fräulein zu mir gesagt? Ziemlich altmodisch und eigentlich nicht schlimm. Aber so wie sie es sagte, klang es nicht besonders charmant.

„Sie fangen erst einmal im Lager an.“, bestimmte sie und lächelte böse.

Was sollte ich denn im Lager. Ich wollte Kunden beraten. Gut und ehrlich. Das hatte ich schließlich gelernt.

„Ich dachte …“, piepste meine Stimme viel zu hoch und viel zu leise. Kein Wunder, dass sie mir sofort ins Wort fiel.

„Sie sollen nicht denken, sondern machen.“, blaffte sie mich an.

Dann war ich allein. Ich sollte die eingetroffene Ware auspacken und in die dafür vorgesehenen Körbe sortieren. Vielleicht war es so eine Art Bewährungsprobe. Die wollte ich auf jeden Fall bestehen. Nach dem miesen Start konnte es nur besser werden. Davon war ich überzeugt. Also machte ich mich mit Eifer an die Arbeit. Die Zeit verging wie im Flug, denn wie aus dem Nichts stand Lynette wieder da. Es war schon Mittag. Mit kalten Augen ließ sie ihren Blick über die gefüllten Körbe schweifen.

„Sehr weit sind wir ja nicht gekommen, Fräulein Knorre. Das muss flotter gehen.“, zischte sie.

Ich überlegte, ob es nicht an der Zeit wäre, sich zu wehren, entschied mich aber dagegen. Es war schließlich mein erster Tag und ich hatte dieses schreckliche Schlangenkleid an. Das würde sicher kein gutes Ende nehmen. Morgen sollte alles besser werden, tröstete ich mich.

Doch der nächste Tag war weder anders noch besser. Statt eines Gutenmorgen-Grußes bugsierte mich Lynette in ein Hinterzimmer neben den Kunden-Umkleidekabinen.

„Das hier …“ sie deutete zuerst auf das Bügelbrett und dann auf den Berg Blusen und Kleider, die ich gestern in die Körbe sortiert hatte und die vom Transport ziemlich zerdrückt waren. „muss alles geglättet werden und kommt dann auf Bügel … bis heute Mittag ist das fertig.“ Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen. Das wirkte sehr bedrohlich und mein Herzschlag beschleunigte sich. Sofort fing ich mit der Arbeit an, es musste doch möglich sein, Lynette zufriedenzustellen.

Aber es gelang mir nicht. An jedem neuen Tag wurde mir meine Unfähigkeit vor Augen geführt. Irgendwann hatte ich begriffen, dass das nicht an dem Schlangendruckkleid lag. Es hatte auch nichts mit mir zu tun. Meine Chefin gehörte einfach zu der Sorte Mensch, denen es Freude bereitete, andere zu demütigen und ich war ein dankbares Opfer. Sagte man dankbar? Eine seltsame Redewendung … und ein schrecklicher Charakterzug.

Und doch kam der Moment, an dem ich mich auf meine Arbeit freute. Unvorstellbar! Denn plötzlich gab es Henry in meinem Leben. Auch er war ein „Opfer“ Lynettes. Das sagte er jedenfalls. Henry arbeitete in einer anderen Abteilung und ich fragte mich insgeheim, wie weit Lynettes Macht reichte. Ja, Henry war mein Salbei. Er glättete mit zarter Hand und liebevollem Blick meine zerzauste Seele. Die Luft um mich herum duftete plötzlich rosarot. Ein bisschen wie Zuckerwatte. So herrlich süß, dass mir davon schwindelig wurde. Henry hatte eine wunderbare sanfte Art. Er war fürsorglich und verständnisvoll und er erweckte mit seinen Küssen eine nie gekannte Leidenschaft in mir. Mit anderen Worten – er war mein Traummann und das Beste was mir jemals passiert war.

„Ach, Valentina, du tust mir so gut.“, stöhnte er atemlos, wenn wir in der Mittagspause in einem der Aufzüge den Halteknopf drückten und für eine halbe Stunde die Zeit stillstehen ließen. Ich hätte mir unser erstes „richtiges“ Zusammensein schon etwas anders vorgestellt. Nicht auf dem harten, mit einer dünnen Schicht Filz ausgelegten Boden eines Aufzugs. Irgendwie romantischer. Aber es hatte auch etwas Aufregendes. In mir schlummerte wohl mehr, als ich vermutet hätte. Also fieberte ich den Mittagspausen entgegen, um in Henrys Armen Zeit und Raum zu vergessen. Bis mich eines Tages meine Chefin mit einem diabolischen Grinsen in die raue Wirklichkeit schubste.

„Fräulein Knorre, ich beobachte sie nun schon eine ganze Weile. Ich weiß nicht ob sie wissen …“ sie benetzte genüsslich mit ihrer Zungenspitze die Lippen und ihre Augen hatten einen sehr zufriedenen Ausdruck angenommen. Ich fragte mich, mit welcher Gemeinheit sie mir jetzt wieder den Tag verderben wollte. „… Henry Krause ist verheiratet und Vater dreier Kinder.“

Ich hatte mit allem Möglichen gerechnet. Aber nicht mit so etwas. Alles sträubte sich in mir. Ich wollte dem eben Gehörten keinen Glauben schenken. Aber wenn es tatsächlich stimmte? Warum hatte Henry vergessen mir das zu sagen? Wie dumm war ich gewesen. Schon eine ganze Weile wünschte ich mir eine Veränderung. Eine Beziehung sollte schließlich wachsen. Sie musste sich weiterentwickeln. Aber unser Zusammensein beschränkte sich ausschließlich auf den Aufzug. Abendliche Einladungen oder Wochenendunternehmungen meinerseits lehnte Henry stets mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden ab. Ehrlich gesagt nistete sich schon seit geraumer Zeit eine ordentliche Portion Misstrauen in der hintersten Ecke meines Herzens ein. Natürlich hatte ich dafür gesorgt, dass die Zweifel nicht wirklich die Oberfläche meines Denkens erreichten. Ich wollte, dass es anders war. Henry war schließlich mein Traummann.

Trotzdem ahnte ich, dass Lynette die Wahrheit sagte. Meine Fragen bezüglich einer gemeinsamen Zukunft, die Henry größten Teils ignorierte, fanden endlich eine Antwort. Und so plumpste ich von einer Sekunde auf die andere von meiner rosaroten Wolke. Ich hoffte nur, dass ich meine Gesichtszüge einigermaßen unter Kontrolle hatte. Ich wollte Lynette auf keinen Fall eine neue Plattform für ihre Bosheiten schaffen.

„Doch, das wusste ich.“, antwortete ich schnippisch.

Eins jedoch war klar. Mit Henry und mir war es vorbei.

Ich fand, dass das Leben gerade nicht besonders sorgsam mit mir umging. Es war an der Zeit etwas zu ändern.

Ich brauchte dringend frische Luft, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Ziellos schlenderte ich durch die Fußgängerzone … oder war es das Schicksal, das meine Schritte genau vor diese Boutique lenkte? Interessiert las ich den Aushang.

… Verkäuferin gesucht -

Beherzt betrat ich das kleine Geschäft und was soll ich sagen – ich hatte Glück. Ohne große Formalitäten bekam ich den Job. Erst einmal zur Probe … aber mit der Aussicht auf die Filialleitung. Als ich wieder auf die Straße hinaustrat, war es als wären mir Flügel gewachsen. Es hatte nur ein wenig Mut bedurft. Endlich hatte ich meinem Namen Genüge getan. Valentina, die Starke, die Mutige.

Ja, man sollte immer das Beste aus einer Situation machen. Aus der Beziehung mit Henry würde ich jedoch keine Limonade mehr brauen können.

Ich kaufte einen wunderschönen Blumenstrauß und wartete auf die Mittagspause.

Henry stand schon bei „unserem“ Aufzug und strahlte mir in froher Erwartung entgegen.

„Der ist für deine Frau. Damit kannst du dein Gewissen ein bisschen reinwaschen - wenn du überhaupt eins hast.“, sagte ich mit zuckersüßer Stimme, drehte mich um und verschwand für immer aus der „Aufzugsnummer“ und natürlich auch aus seinem Leben.

Ein cooler Abgang. Ich war stolz auf mich. Jetzt war ich richtig in Fahrt gekommen. Mein Blut pulste wild durch meine Adern. Der richtige Moment für Lynette.

„Ich kündige fristlos.“, sagte ich mit fester Stimme und ehe Lynette auch nur den Sinn meiner Worte erfassen konnte marschierte ich Richtung Rolltreppe. Es war als schlüpfte ich endlich aus einer Haut, die mir schon so lange viel zu eng geworden war. Was für ein herrliches Gefühl.

Trotzdem brauchte ich Wochen und Monate, bis ich Henry mit unendlich vielen Tränen aus meinem Herz gespült hatte. Der neue Job war da sehr hilfreich. So viel Neues stürmte auf mich ein, was verarbeitet werden musste.

Und eines Morgens erschien mir die Sonne tatsächlich strahlender und das Gras grüner. Ich hatte es geschafft und das Beste aus allem gemacht. Das Beste für mich. Ich hatte geändert, was zu ändern war. Es war endlich Zeit für meine wohlverdiente Limonade – für eine sehr süße Limonade.

Mein Herz hüpfte in freudiger Erwartung dem neuen Tag entgegen und ich war gespannt was er für mich bereithielt …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Imprint

Text: Karin Hufnagel
Images: Karin Hufnagel
Cover: Karin Hufnagel
Publication Date: 05-06-2020

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