Wie in Schweiß gebadet ist er aufgewacht. Er kann spüren, wie sein Herz rast, sein Atem erinnert an ein leises Stöhnen und rasselt wie von einer schweren Anstrengung in seiner Brust.
Im Krug, der neben der Waschschüssel steht, ist noch ausreichend Wasser, das er sich in das erhitzte Gesicht spritzen kann, um vollends wach zu werden und sich aus den Fängen des Traumes zu befreien. 'Was ist nur los mit mir?' Mit einer fast verzweifelten Geste fährt er sich durch das dichte Haar. 'Es war nur ein Traum, ein Traum, ein Traum!', redet er sich selbst ein. Unwillkürlich blickt er zur anderen Seite des Raumes hinüber.
Überdeutlich ist dort im Mondschein sein Bruder zu sehen, der sich gerade im Bett rekelt und dabei ein Bein auf der Bettdecke ausstreckt. Die lange Narbe, die vom Gesäß bis fast zum Knie hinunterreicht, ist als dunkler Schatten zu erkennen und scheint das feste Fleisch auch jetzt noch zu teilen.
Fíli weiß noch, wie sich Kílis Haut unter seinen Fingern anfühlte, als er das zuckende Fleisch nähen musste ...
Niemanden sonst hatte Kíli an sich herangelassen, auch nicht Óin, den er schon seit seiner frühestens Kindheit kannte. Selbst Thorin musste hilflos neben seinem Neffen stehen und zusehen, wie Fíli das Fleisch seines Bruders Schicht um Schicht und Stück für Stück mit blutigen Fingern zusammennähte.
Am Tag danach setzte das Fieber ein.
Kílis Haut schien zu glühen, wie Feuer jagte es durch seinen Körper.
Im Fieberwahn warf sich Kíli unruhig auf seinem Lager hin und her. Die Nähte drohten wieder aufzureißen und nur die körperliche Nähe Fílis schien ihm einen großen Teil der notwendigen Ruhe zu geben. Am ruhigsten wurde er, wenn sein Bruder neben ihm lag, Haut an Haut. Kílis Körper verlangte geradezu danach. Nach der Versicherung Óins, dass Kíli das in seiner Verfassung nicht merke, legte sich Fíli neben ihn.
So vergingen fünf Tage, in denen um das Leben Kílis gerungen wurde und nur Fíli ihm wirklich helfen konnte.
Fíli genoss die Tage, in denen er seinem Bruder so nah sein durfte, wie noch nie zuvor. Er liebte die Berührung ihrer Körper, die Wärme, die sein Bruder ihm gab und die Geborgenheit, die er eigentlich noch nie vermisst hatte und nun mit allen Sinnen verlangte. Wie sie so lagen, hatte nichts erotisches an sich, auch wenn Kíli sich an seinen Bruder schmiegte. Es war eine reine Notwendigkeit – für beide.
Irgendwann änderte es sich, ganz langsam, nach und nach. Doch trotzdem wurde Fíli davon überrascht, als wäre es wie der Einschlag eines Blitzes.
Sie lagen von Angesicht zu Angesicht und so war das Erste, was er sah, das von Krankheit gezeichnete Gesicht seines jüngeren, noch schlafenden Bruders. Es zog ihm die Brust zusammen, ihn so zu sehen und zerriss sein Herz, ihm nicht besser helfen zu können.
In diesem Moment war es ihm bewusst geworden.
„Ich liebe dich!“, flüsterte er in die Stille zwischen ihnen.
Aber er bekam keine Antwort.
~~~~~
Unwillkürlich macht Fíli einen Schritt auf Kílis Bett zu.
Sehnsucht erfüllt ihn und zieht ihn vorwärts.
Schon hat er die Hand erhoben, um die weiche Haut der Narbe mit seinen Fingerspitzen zu berühren, doch zieht er sie mit einem leisen Aufstöhnen zurück.
'Ich darf nicht!', schießt es ihm durch den Kopf.
Was?
Was darf ich nicht? Ihn lieben, weil mein Bruder ist?
Oder darf ich ihn lieben, weil er mein Bruder ist?
Es ist zum verrückt werden!
Liebe ist Liebe, egal welcher Art!
Sie sollte voller Leben sein. Mit allen Sinnen sollte man sich berühren.
Sie ist warm und bereitet ein wohliges Gefühl, dass man es kaum erwarten kann, den Geliebten berühren zu dürfen.
Und gleichzeitig ist sie kalt wie Eis, weil ständig die Angst vor dem Verlust in den Gedanken nagt.
Voller Verzweiflung aufstöhnend will er sich abwenden, doch hält ihn der Anblick gefangen.
~~~~~
In dem Moment hebt Kíli den Kopf und sieht seinen Bruder an. „Komm!“, sagt er einfach und hebt die Decke leicht an, als Einladung.
Fíli zögert kurz, dann wird er von Kílis wohliger Wärme umfangen. Dieser zieht ihn in die Arme und Fíli spürt dessen nackte Brust unter seinen Fingern.
„Ich habe dich vermisst, großer Bruder!“, flüstert Kíli.
Fíli spürt, wie eine Hand vom Rücken hinab zu seinen Hüften gleitet und dort am Bund seiner Leinenhose entlang wandert. Unwillkürlich hält er die Luft an und stößt sie geräuschvoll wieder aus, als sie über Bauch und Brust wieder hinauf wandert. Am Hals, wo der Puls ekstatisch hämmert, bleiben die Fingerspitzen liegen.
„Ich habe dich auch vermisst!“, antwortet Fíli ebenso leise und lässt seine Hand über das vernarbte Bein seines Bruders gleiten, was ihm ein tiefes Stöhnen entlockt ...
Wärme umfängt Fíli, während er langsam aus den Tiefen des Schlafes auftaucht. Ein Traum hält ihn noch warm und weich umfangen, aus dem er nicht erwachen will.
Bis in alle Ewigkeit könnte er hier liegen und sich der Wärme, die scheinbar von allen Seiten auf ihm einströmt, hingeben. Noch nicht einmal die Augen will er öffnen.
Genüsslich streckt er sich in sie hinein und bemerkt nebenbei eine angenehme Schwere über seinen Beine und die Hüfte. Leise seufzend dreht er sich auf die Seite und schmiegt sich mit dem Rücken dichter an die Wärme, um sie noch intensiver zu spüren.
Noch im Halbschlaf versucht er, über die seltsame Situation nachzudenken, doch irgendwie bekommt er den rechten Gedanken wie einen Nebelfetzen nicht zu fassen. Immer wieder driftet er in der wohligen Wärme fort und gleichzeitig versinkt auch Fíli wieder in einem Traum voller Wärme.
Ein Arm umschlingt Fíli von hinten und zieht ihn noch dichter an eine breite Brust, aus der ein zufriedenes Brummen dringt, welches er als leichtes Vibrieren an seinem Rücken spürt. Eine Hand legt sich über seinen Bauch und unwillkürlich will er sich in die Berührung schmiegen.
'Falsch!', schreit es in seinem Kopf. 'Verkehrt, alles …! Falsch!'
Schon fast erschrocken springt er aus dem Bett. „Oh, Mahal!“, entfährt es ihm atemlos. „Das wollte ich nicht!“
„Was?“, hört er seinen Bruder verschlafen murmeln.
Hilflos hebt Fíli die Hände, dabei auf den nackten Körper seines Bruders deutend, den dieser gerade mit der zurückgeworfenen Decke bis zur Brust wieder bedeckt.
„Was willst du nicht?“, fragt Kíli noch einmal. Erwartungsvoll blickt er seinen Bruder an.
Dieser steht vor dem Bett, die Hände noch immer in einer hilflosen Gebärde erhoben, und blickt auf Kíli hinab. Verschiedenste Gedanken rasen durch sein Hirn, allesamt Ausreden, Halbwahrheiten und Wahrheiten, doch nichts davon, kann er richtig in Worte fassen.
Grummelnd wendet sich Kíli zur anderen Seite und zieht sich die Decke bis unter das Kinn. „Wenn du weißt, was du willst, dann sag es oder lass es bleiben. Aber beeile dich! Wenn du weiterhin in der Kälte stehen bleibst, friert dir der Schwanz ab!“
Tatsächlich merkt Fíli erst jetzt, dass es eisig kalt im Raum ist und da in den Schlafzimmern nur selten das kostbare Holz zum Anfeuern der Kamine genutzt wird, strahlen auch die Wände und der Fußboden eine Kälte aus, die selbst von den dichten Teppichen und Wandbehängen kaum abgehalten wird.
Zitternd schlagen seine Zähne aufeinander, aber er weiß nicht, ob dies von der Kälte herrührt oder von der inneren Anspannung. Noch immer sucht er nach den richtigen Worten. Alle, die ihm einfallen kommen ihm falsch vor. Am Ende hat er nur drei kleine Wörter gefunden, welche sich in sein Hirn eingebrannt haben.
Fíli hat sie schon einmal gesagt, aber die Situation war zu dieser Zeit eine andere gewesen. Dieses Mal würde Kíli sie hören und darauf antworten.
Er wird ihn ablehnen für das, was er fühlt.
Er wird ihn verdammen, weil es nicht das ist, was er empfinden soll, wenn er seinen Bruder anblickt.
Er wird ihn hassen … und damit könnte Fíli in keinster Weise umgehen.
Es wäre für ihn ein ganz persönlicher Weltuntergang.
Den Bruder nicht mehr jeden Tag sehen zu können, würde dem Verbot gleichkommen, nicht mehr atmen zu dürfen. Sein Leben wäre beschnitten, es wäre von Enthaltsamkeiten geprägt, zu denen er nicht geboren ist.
Es wäre ein Leben ohne Leben.
Fíli holt tief Luft und stößt sie zischend durch die zusammengebissenen Zähne aus.
Schon beginnen sich seine Wangenmuskeln vor Anstrengung zu verkrampfen. Er weiß, dass er etwas sagen muss und diese drei Worte sind das Einzige, was noch in seinem Kopf dümpelt.
„Ich liebe dich!“, stößt er leise hervor. Auch auf die Gefahr hin, dass all seine Befürchtungen, die Kíli und seine eigene Zukunft betreffen in Erfüllung gehen, kann und will er diese Worte nicht mehr zurückhalten.
Er sieht, wie Kíli sich im Bett halb zu ihm umdreht und ihm einen kurzen Blick über die Schulter zuwirft. „Ich liebe dich auch, Bruder!“, sagt er nur. „Nun komm wieder ins Bett.“
Fíli macht einen Schritt auf das Bett zu. „Nein, nein, du verstehst mich nicht“, beginnt er eindringlich. „Ich liebe dich nicht, wie ich einen Bruder lieben sollte. Ich will dich!“ Die letzten Worte sind nicht mehr als ein Flüstern, doch hängen sie zwischen ihnen, als hätte er sie in den Raum gebrüllt.
Kíli wendet sich seinem Bruder voll zu.
„Wie meinst du das?“ Nun wirkt er überhaupt nicht mehr müde und verschlafen, sondern blickt sein Gegenüber aufmerksam an.
Einmal mehr fährt sich Fíli in einer verzweifelten Geste mit den Hände durchs Haar. „Ich liebe dich nicht wie einen Bruder!“, antwortet er schließlich leise und blickt seinem Bruder dabei fest in die Augen. „Ich weiß, dass ich das nicht darf, aber ich komm nicht dagegen an. Ich habe es versucht und dabei kläglich versagt“, murmelt er.
Kili hat sich aufgerichtet und kniet auf dem Bett. Stumm streckt er eine Hand aus. Als sein Bruder nicht reagiert, flüstert er nur: „Komm her!“
Eiskalte Finger schieben sich in seine warme Hand, welche er mit einem leisen Seufzen um die des Bruders schließt. Mit einer sanften Bewegung zieht er Fíli dicht an das Bett heran, bis dessen Knie dagegen stoßen.
Die eine Hand fest um die eisig kalten des Bruders geschlossen, legt Kíli die andere an Fílis Wange. „Warum?“, flüstert Kíli und blickt dabei in die erstaunt blickenden Augen seines Bruders. „Warum hast du nie etwas gesagt?“ Sanft fährt er mit dem Daumen über Fílis Unterlippe.
Zu keinem klaren Gedanken fähig, schüttelt Fíli nur leicht den Kopf. „Ich konnte nicht. Ich dachte, ich würde dich verlieren!“, flüstert er schließlich. Er fühlt die Berührungen und kann es nicht glauben, in dieser Art seinen Bruder spüren zu dürfen.
'Es ist ein Traum – es muss ein Traum sein!'
Kíli hat sich vor seinem Bruder aufgerichtet und nimmt kaum Notiz davon, dass die Decke vollends von ihm geglitten ist und er nun nackt vor ihm kniet. „Ich liebe dich!“, haucht er gegen die Lippen seines Bruders. „Ich will, dass du mich berührst. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du mich liebst.“
„Wir dürfen nicht! Das ist Inzucht!“, versucht Fíli mit dem letzten Rest an Vernunft einzuwenden. Er spürt den Atem seines Bruders im Gesicht, als dieser mit einem kleinen Schnurren antwortet. „Wenn wir Bruder und Schwester wären … dürfte ich dich nicht berühren.“
Über Fílis Haut jagt ein Schauer, als Kílis Fingerspitzen seine Hüfte entlang nach oben gleiten und kurz an seiner Brust verharren, um über seine Brustwarze zu streichen.
Mit leichtem Zögern legen sich Lippen auf seinen Mundwinkel.
Auch wenn Kíli sich seinem Tun so sicher scheint, ist doch noch ein gewisses Maß an Unsicherheit in ihm. Seine Finger und seine Lippen sprechen unterschiedliche Sprachen. Sie laden den Bruder ein und bitten gleichzeitig um die Zusicherung, dass er keine Ablehnung erfährt.
Fíli muss nur leicht den Kopf wenden, um seinerseits seine Lippen auf die des Bruders legen zu können und ihm, aber auch sich selbst, die Ängste, die Unsicherheiten sowie innere Zerrissenheit zu nehmen.
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Mit kalten Fingern streicht Fíli über Kílis Rücken. Im ersten Moment keucht Kíli in den Kuss hinein, denn zu stark ist der Unterschied der kalten Hand auf seiner heißen Haut. Doch dann entspannt er sich und lehnt sich gegen den kühlen Körper seines Bruders, der sich unter seinen Berührungen schnell erwärmt.
Fíli lächelt seinerseits an den Lippen seines Bruders, als er dessen Reaktion merkt. Er liebt es, wie sich ihre Körper aneinander schmiegen. Als wären sie nie getrennt gewesen. Wie die Teile eines Puzzels, die endlich ihren wahren Platz gefunden haben, bewegen sie sich gegeneinander.
Es fühlt sich richtig und natürlich an.
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Eine Hand hat Kíli in den Nacken seines Bruders geschoben, die andere gleitet über dessen Rücken. Bis hinunter zum festen Fleisch seines Gesäßes gleitet sie, um ihn dort zu berühren und noch dichter an sich heranzuziehen. Überdeutlich kann er das Verlangen seines älteren Bruders an seinem Unterleib spüren.
Heftig lässt es ihn Aufkeuchen, als Fíli beginnt, sich an ihm zu reiben.
Intensive Emotionen überrennen ihn, dass er meint, darin zu versinken.
Bis in seine Knochen kann er die Berührungen seines Bruders spüren. Fingernägel kratzen leicht über die Haut seiner Hüfte. Finger massieren das Fleisch am Rückgrat hinauf, um dann sanft wieder hinabzugleiten.
Stöhnend vergräbt er sein Gesicht an Fílis Hals. Gierig saugt er den Geruch ein und gibt dem Verlangen nach, dessen Haut zu schmecken. Seine Zunge gleitet über die Haut und hinterlässt eine heiße Spur den Hals hinauf bis zum Ohr, um von dort der Linie des Kinnes zu folgen, um endlich Fílis Lippen wieder auf seinen zu spüren. Im nächsten Moment spürt er die Zunge des anderen, die in seinen Mund dringt, ihn herausfordert und atemlos zurücklässt.
Unter seinen Fingern kann er das Stöhnen seines Bruder als leichtes Vibrieren spüren. Es heizt ihn an und bringt sein Blut zum Rauschen. In seinen Ohren dröhnt der Schlag seines Herzens. Wie in einem Fieber gefangen, gleiten seine Hände über Fílis Körper, verharren kurz am Bund der leinernen Hose. Seine Finger finden schließlich das Band, mit dem die Hose geschlossen ist und zerren fast ungeduldig daran.
Ohne, den intensiven Kuss zu unterbrechen, schiebt Fíli die Hände seines Bruders fort. „Noch nicht!“, murmelt er an dessen Lippen und muss unwillkürlich lächeln, als er seine Reaktion auf eine Berührung merkt.
Fíli hat die Hand tiefer über Kílis Bauch gleiten lassen und zieht mit den Fingerspitzen sanfte Kreise in den Lenden. Spontan reckt sich Kíli der Hand seines Bruders entgegen und knurrt fast ungehalten, als dieser ihm die Berührung verwehrt.
Stattdessen lässt Fíli die Finger bis hinunter zu den Schenkeln gleiten, um sie auf ihrem Weg zurück über Kílis Schaft gleiten zu lassen. Mit dem Daumen massiert er kurz die feuchte Spitze, bevor er die Finger um den Schaft schließt. Hart und gleichzeitig samtig weich liegt er in seiner Hand und verlangt danach, gestreichelt und massiert, ganz einfach, geliebt zu werden.
Mit einem leisen Aufschrei hat Kíli den Kopf in den Nacken gelegt. „Oh, Mahal!“, stöhnt er und gibt sich ganz den Emotionen hin, welche sein Bruder in ihm auslöst. Er hatte bereits bei mehreren Frauen gelegen, aber nie war das Gefühl so intensiv, wie jetzt. Er will in ihnen versinken, möchte mit ihnen schweben und gleichzeitig im Feuer vergehen.
Lippen legen sich an seinen zurückgeneigten Hals, Zähne knabbern leicht an der Haut der Halsbeuge, eine Zunge wandert seine Brust hinab, streicht über eine Warze, heiße Fingen streicheln ihn im gleichen Rhythmus, wie Lippen und Zunge ihn berühren.
Nichts kann ihn davon abhalten, sich im gleichen Takt in der Hand seines Bruders zu bewegen. Wie Musik klingt es in ihm.
Nichts und niemand kann ihn davon abhalten, seinen Bruder zu lieben.
Nichts und absolut niemand kann ihn davon abhalten, sich mit einem lauten Stöhnen in die Hand seines Bruders zu ergießen.
Schwer atmend lehnt er die Stirn an Fílis Schulter. „Es tut mir leid!“, flüstert er atemlos.
„Was?“, fragt Fíli mit einem schiefen Grinsen. „Dass du mich bespritzt hast?“
Er merkt, wie Kíli an seiner Schulter den Kopf leicht schüttelt. „Nein, das ich dir nicht das Gleiche geben konnte, wie du mir.“
„Oh, Bruder!“, hört er Fíli leise lachen. „Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, also haben wir noch Zeit – für uns!“
Graues Licht fällt durch das kleine Fenster und kündet unbarmherzig davon, dass ein neuer Tag angebrochen ist.
Ungnädig aufstöhnend legt Kíli einen Arm über die Augen, in der vagen Hoffnung, so noch etwas Schlaf zu erhalten oder zumindest am Rande des Schlafes entlang driften zu können.
Aber es hat keinen Sinn, da er weiß, dass er jetzt keine Ruhe mehr finden wird.
Dwalin hat für den Morgen Schwertübungen angesetzt, an denen er teilnehmen soll. Bestimmt wird der Schwertmeister bereits auf dem Platz sein und versuchen, einer Horde halbwüchsiger Zwerge Zucht und Ordnung einzubläuen. Dabei wird er sicherlich in seiner Wahl der Worte nicht gerade zimperlich sein, wie Kíli aus Erfahrung weiß. Auch bei den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, ist er nie sehr wählerisch gewesen. Hier ein leichter Schlag mit der Breitseite eines Übungsschwertes, dort eine Kopfnuss oder ein Hieb mit der stumpfen Speerspitze. Alles nicht gerade schmerzhaft, aber es rüttelt einen jungen Zwerg wach, da er nur selten Dwalin kommen hört oder sieht. Wenn ein junger Zwerg mit seinen Gedanken in den Wolken hängt, wie soll er dann einen Schatten bemerken, der sich ihm geisterhaft nähert?
Nur Fíli war diesen Strafen entgangen, da er stets rechtzeitig reagieren konnte. Und soweit sich Kíli erinnern kann, war Fíli bisher der einzige Schüler, dem dieses Kunststück überhaupt gelungen war.
Er selbst hatte bereits hinreichend Bekanntschaft mit den aufweckenden Lehrmethoden Dwalins machen müssen, aber diese entschädigten ihn für den Rest des Lebens, einmal das Gesicht des erfahrenen Kriegers zu sehen, der beeindruckt über die Leistung seines jungen Schülers, die Augenbrauen hob.
Doch das ist schon so lange her … aber in der Erinnerung ist es, als wäre es erst gestern gewesen.
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Mit einem unwilligen Ton wendet sich Kíli auf die Seite, dem friedlich schlafenden Fíli zu. Sich auf dem Ellbogen abstützend, blickt er auf seinen Bruder hinab, der bäuchlings neben ihm liegt. Auf den einen Arm hat er den Kopf gebettet, seine Lippen hat er im Schlaf leicht geöffnet. Selbst jetzt ist das kleine Grübchen an seiner Wange zu sehen, wenn auch nur leicht.
Kíli hatte ihn immer um diese Grübchen beneidet. Wenn er lachte, schienen sie sein Gesicht noch anziehender zu machen. Mädchen und junge Frauen blickten ihn an und waren wie verzaubert. Sie schmolzen regelrecht dahin, wenn er sie anlächelte oder mit ihnen lachte.
Selbst er wünschte sich, er möge ihn so ansehen - mit diesem Lachen.
Nun gehört dieses Lachen ihm - ihm allein.
Unwillkürlich neigt er sich seinem Bruder zu. Nur knapp kann er das Verlangen unterdrücken, seine Haut mit den Lippen zu berühren. Stattdessen beobachtet er ihn, als wolle er in seinem Anblick versinken und gleichzeitig wünscht er sich, den Moment für immer festhalten zu können.
Er will seine Finger über die glatte Haut des Rückens gleiten lassen und dabei die Stränge der darunter definierten Muskeln nachzeichnen. Die Hände will er mit den blonden Haaren verflechten und die zarte Haut direkt unter dem Ohr mit der Zunge berühren.
Sehnsucht durchströmt seinen Körper und am liebsten würde er Dwalin einen lieben Zwerg sein lassen und endlich die Lippen berühren. Er möchte sie wieder spüren und schmecken.
Kíli hatte schon immer geahnt, dass zwischen ihnen eine Art Bindung besteht, welche weit über normale Geschwisterliebe hinausgeht. Oder vielleicht ist es auch nur Geschwisterliebe, die in ihrer Intensität nach kurzer Zeit wieder vergeht?
Aber sollte sie so stark sein, dass sie bis ins Körperliche geht?
Fragen über Fragen, auf die er keine Antworten hat und auch nicht das Verlangen verspürt, diese zu finden. Er weiß, was er fühlt und dieses hat nichts mit einfachem Begehren zu tun.
Auch, wenn das Einzige, nach dem es ihn gerade verlangt und den er spüren will, hier direkt neben ihm liegt, hat er das Gefühl, sein Herz würde von anderen, kaum zu benennenden Emotionen überquellen. Sie machen ihn atemlos und verleihen ihm ein Gefühl der Unfähigkeit, darauf zu reagieren.
Kíli kann die Wärme von Fílis Haut spüren und ahnt, wie dicht sie nebeneinander liegen, ohne sich zu berühren. Nur den kleinen Finger müsste er ausstrecken, um über die Haut seines Bruders streichen zu können. Er bräuchte sich nur leicht vorbeugen, um seine Lippen dem Finger folgen zu lassen.
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Unwillig fährt er sich mit der freien Hand durch die Haare. Die Zeit drängt zum Aufstehen, Dwalin wird ungehalten sein, wenn er zu den Übungen zu spät kommt.
Vorsichtig schlägt er die Decke zurück. Da er keinen anderen Weg sieht, um aufzustehen, muss er über Fíli hinwegsteigen.
Schon beim Aufrichten auf die Knie bemerkt er ein unangenehmes Ziehen im vernarbten Oberschenkel, welches bis in den Rücken hinauf strahlt. 'Mit einem warmen Bad, wird es schon wieder!', redet er sich ein.
Vorsichtig, um Fíli nicht aufzuwecken, schiebt er sich auf Händen und Knien über seinen Bruder hinweg. Dabei ist er peinlich darauf bedacht, die schlafwarme Haut des Bruders nicht zu berühren.
Gerade will er das zweite Bein hinterher ziehen, als ein scharfer Schmerz durch das vernarbte Bein schießt und er aufstöhnend über seinem schlafenden Bruder kurz verharren muss. Für wenige Augenblicke ist ihm übel geworden und mit geschlossenen Augen muss er warten, bis die Übelkeit vergeht. Mehrere Male atmet er tief durch und als er die Augen wieder öffnet, blickt er auf den breiten Rücken seines Bruders hinab.
In gleichmäßigen Bewegungen hebt sich der Brustkorb. Von den Bewegungen und dem sanften Spiel der Muskeln wie angezogen, neigt er den Kopf bis seine Lippen die Haut zwischen den Schulterblättern berühren. Tief atmet er den Duft ein, den Fílis Haut verströmt.
Den Schweiß der vergangen Nacht riecht er und nach ihm, Kíli.
Salz schmeckt er, als seine Zunge eine schmale Bahn zum Nacken hinauf zieht.
Mit einem leisen Stöhnen gibt Kíli dem Verlangen nach, eine Hand in den Locken des Bruders zu versenken und sie zur Seite zu schieben, um die weiche Haut darunter berühren zu können.
Mit den Zähnen fährt er die Schulter entlang, beißt neckend in den Hals und wird gleichfalls mit einem leisen Stöhnen belohnt.
Leicht neigt Fíli den Kopf damit sein Bruder ihn leichter am Hals berühren kann. Noch im Halbschlaf gefangen, reagiert sein Körper heftig auf die Berührungen. Er spürt ihn über sich. Ein Knie schiebt sich zwischen seine Schenkel. Nicht drängend, eher vorsichtig tastend werden seine Beine auseinander geschoben.
Kíli ist wie berauscht vom Duft seines Bruders. Vergessen ist der zuvor erlittene Schmerz, der ihn zum Innehalten gezwungen hatte. Nichts ist mehr wichtig, nur der Körper, der sich unter ihm bewegt, bestimmt sein Tun und Fühlen.
Der noch vom Schlaf warme Körper bewegt sich ihm entgegen und versucht, sich an ihn zu schmiegen. Fieberhaft suchen seine Lippen die des Bruders. Erst als Fíli den Kopf nach hinten neigt, kann er sie erreichen.
Zufrieden aufseufzend, lässt Kíli seine Zunge zwischen die Lippen des Anderen gleiten.
„Dwalin wartet auf mich!“, murmelt er an den Lippen des Bruders, gleichzeitig gleiten seine Finger über dessen Rücken und dem Gesäß hinunter.
Fíli reagiert mit einem lauten Stöhnen, als Kílis Finger ihn endlich berühren. Von hinten umfasst er den Schaft, lässt die Hand bis zur Spitze gleiten, um sie dann wieder zurückzuziehen. Massierend berühren die Fingerspitzen die Hoden, um dann ihren Weg wieder den Rücken hinauf zu finden.
„Dann solltest du ihn nicht warten lassen!“, antwortet Fíli atemlos, obwohl er ihm viel lieber etwas anderes gesagt hätte.
Unwillig trennt sich Kíli schließlich von seinem Bruder und Fíli beobachtet, wie er sich in Hemd und Hose kleidet. Fast erwartungsvoll blickt er ihm entgegen, als Kíli wieder an das Bett herantritt und sich vor ihm auf die Knie niederlässt. „Ich muss gehen“, murmelt er und fährt mit den Fingerspitzen leicht über Fílis Lippen. „Aber am Abend gehörst du wieder mir.“
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Wie jeden Morgen lässt Kíli sich in der Bergküche von einem der Köche eine Mahlzeit richten und verzehrt sie hastig. In der Rüstkammer erwartet ihn bereits einer der Rüstmeister, der ihm in den schweren Lederkoller hilft und mit guten Wünschen für den Tag auf den Übungsplatz entlässt.
Schon von Weitem kann er an der Haltung Dwalins auf dessen Stimmung schließen und diese verheißt nichts Gutes!
Aus einem der hohen Ständer, in denen die hölzernen Übungswaffen stecken, hatte der Krieger ein Schwert von der Größe eines Zweihänders gezogen. Er hat es sich quer über die Schultern gelegt, beidseits die Hände locker an Heft und Blatt gelegt.
Gerade geht er langsam an einer handvoll junger Zwerge entlang, die sich paarweise an verschiedenen Ausfallschritten üben. Einem der Zwerge schiebt er nicht eben sanft, den Hacken seines Stiefels nach außen, wodurch dieser einen festeren Stand erhalten wird - vorausgesetzt, er macht die Übung beim nächsten Mal richtig.
Beim Anblick eines anderen, reißt Dwalin sich das Holzschwert von der Schulter und lässt dem armen Kerl des flache Blatt in die Kniekehle sausen, dass das Knie nachgibt. Der nächste Schlag trifft den Jungen ebenso heftig in der Leiste. Regelrecht zusammengefaltet, hockt er auf dem Platz, das Gesicht vor Schmerz blass.
„Bewege dich, Junge!“, hört Kíli die grummelnde Stimme des alten Schwertmeisters. „Sehe ich dich Wargfutter noch einmal mit steifen Gelenken auf dem Übungsplatz, dann kannst du deinen Traum, als Krieger zu Ehren zu kommen, begraben. Und jetzt – noch einmal das Ganze von vorn!“, weist er die Jungs an.
Kíli versucht erst gar nicht, sein Zuspätkommen zu entschuldigen oder irgendwelche fadenscheinige Ausflüchte dafür zu finden, sondern stellt sich neben Dwalin und sieht den Jungen zu.
Wenn Dwalin in dieser Stimmung ist, sollte man ihm sowieso am besten aus dem Weg gehen oder, wie Kíli es handhabt, einfach ignorieren. Er sieht über die Launen des alten Zwerges hinweg und das scheint diesen an manchen Tagen mehr zu ärgern, als seine miese Laune selbst.
Dwalin löst nur kurz den Blick von den jungen Zwergen, um ihn Kíli zuzuwerfen. „Ach, aus welchem Bett bist du denn dieses Mal gekrochen? War sie so gut, dass du dich nicht trennen konntest oder musstest du so lange warten, bis ihr Gatte gegangen ist?“, fragt er mit einem anzüglichen Grinsen.
Kíli zuckt nur mit einer Schulter. „Gut“, meint er lapidar. Es würde sowieso keinen Sinn machen, wenn er abstreiten würde, mit jemanden das Bett geteilt zu haben. Dafür ist der alte Krieger ein zu guter Beobachter.
Unwillkürlich zieht er die Unterlippe zwischen die Zähne und glaubt, den Geschmack seines Bruders noch zu entdecken. Bei dem Gedanken an Fíli, beginnt die Lippe zu prickeln und ein leichter Schauer rinnt durch seinen Körper.
Das laute Räuspern Dwalins lässt Kíli zusammenfahren und ein kräftiger Schlag auf die Schulter bringt ihn leicht zum Wanken. „Ha! Wenn du so ein Gesicht machst, muss sie ja wirklich gut sein!“, lacht Dwalin. „Sag, kenne ich sie?“
„Da ich nicht weiß, in wessen Betten du dich bisher herum getrieben hast, kann ich dir nicht sagen, ob du sie kennst!“, tut Kíli den Scherz mit einem Zwinkern ab und wendet sich den Übenden wieder zu.
Aus einem nahen Holzgestell holt er sich schließlich ein Schwert, dem Dwalins nicht unähnlich. Er ist zwar ein exzellenter Bogenschütze, aber wenn kein Bogen nicht zur Verfügung steht, greift er gern zum Zweihänder.
Dieser ist für ihn handlicher als eine der schweren Streitäxte, mit denen man den Gegner ohne Raffinesse nur in Stücke hauen kann.
Selbstverständlich kann man mit einem Schwert ebenso hirnlos drauflos schlagen wie mit einer Axt. Aber mit der richtigen Übung kann man einem geschwungenem Schwert eine neue Richtung geben. Es kann wie der verlängerte Arm des Kriegers sein; es schneidet, reißt und sticht in Fleisch.
Es tanzt und pulsiert in der Hand wie etwas Lebendiges … In Gedanken versunken gleiten Kílis Finger über das Heft des Schwertes und umfassen es.
Fast hätte Kíli das Schwert fallen lassen, als ihm der Weg seiner Gedanken bewusst wird.
Kurz schließt er die Augen, um sich zu sammeln. „Wo soll das nur enden?“, murmelt er leise.
Fíli vergräbt das Gesicht im Kissen. Innerlich verflucht er seinen Bruder für die Art und Weise, mit der er ihn aufgeweckt hatte und auch dafür, dass er ihn so verließ.
Er hat das Gefühl, als hätte Kíli ihn mit seinen Berührungen überrannt. Seine Haut reagiert mit einem unangenehmen Kribbeln. Selbst bei dem Hauch seines eigenen Atems richten sich die Härchen an den Armen auf. Der weiche Bezug der Bettdecke scheint auf seiner Haut zu kratzen und gleichzeitig an ihm zu kleben.
Es macht ihm das Fehlen seines Bruders und dessen Berührungen deutlich. Er vermisst ihn und das nicht nur, weil es gerade in seinem Unterleib zieht.
Sein Wesen sehnt er sich wieder herbei.
'Seinen' Kíli, der mit einer Leichtigkeit das Leben zu genießen scheint, an der es ihm selbst fehlt. Wie klares Wasser umspült es ihn und ebenso scheinen Probleme an ihm abzuperlen.
Nach außen bietet er das Bild eines jungen Zwerges, der in seiner draufgängerischen Art und Weise das Leben so nimmt, wie es kommt. Nur selten sieht man ihn mit einem ernsten Blick und wenn doch, dann ist er schnell wieder hinter einer Maske aus Heiterkeit verschwunden.
Er durfte hinter sie sehen, als er dem Tod näher war als dem Leben.
Nur ungern denkt Fíli an die Zeit nach dem Jagdunfall zurück, bei dem ein Eber Kíli das Bein mit seinem Hauer aufgerissen hatte. Er war dazu verdammt worden, das Fleisch wieder zusammen zu fügen, dabei jeden Nadelstich selbst zu spüren. Noch heute fühlt der den Schmerz.
Für eine kurze Zeit hatte Fíli nicht nur in das Körperliche seines Bruders blicken können, sondern tief in ihn hinein. Von seinen Ängste hatte er erfahren müssen, seiner Furcht sowie seiner Sehnsucht nach Nähe. Aber das war nur in der Zeit, als ihn das Fieber fest umschlungen hielt.
Mit einen tiefen Seufzer schlägt Fíli die Decke zurück und schwingt die Beine aus dem Bett. Unwillkürlich zuckt er zusammen, als seine Füße den kalten Boden berühren. Ebenso kalt umfängt ihn die Luft und er wünscht sich, sofort in die Wärme des Bettes wieder verschwinden zu können. Aber Balin wird ihn in der großen Bibliothek erwarten. Vielleicht wird Thorin auch dort sein – und ihn will er bestimmt nicht warten lassen.
Auf dem Boden vor dem Bett liegt seine Hose, in die er schnell schlüpft. Bei den täglichen Handgriffen des Ankleidens schweifen seine Gedanken kurz ab und er hat das Bild von Kíli wieder vor Augen, wie er sich bei ebendiesem Vorgang bewegt hatte. Wie sich seine Muskeln unter der Haut spannten, als er in die Beinkleider stieg, das Zusammenspiel der einzelnen Muskelstränge, als er die Arme hob, um sich die Tunika über den Kopf zu ziehen.
Unwillig stöhnt Fíli über seine Unfähigkeit, seinen Bruder aus dem Kopf zu verbannen. Bereits jetzt macht sich die verräterische Wärme wieder im Unterleib breit und das nur bei dem Gedanken an …
Die Hose wird ihm schon wieder zu eng, aber mit der weiten Tunika wird nichts zu sehen sein, so hofft er.
Bevor Fíli zu Balin eilt, schaut er noch kurz bei seiner Mutter vorbei. Sie muss ihn erwartet haben, denn als er eintritt, stellt sie einen dampfenden Becher sowie einen Korb mit Brot und Wurst auf den Tisch.
Trotz des frühen Morgens prasselt im Kamin bereits ein Feuer und verbreitet seine heimelige Wärme, von der Fíli regelrecht angezogen wird.
Mit einem leichten mitleidigen Lächeln blickt Dís ihren älteren Sohn an, wie er vor dem Kamin steht und die Wärme auf sich einströmen lässt. „Wenn es in euren Gemächern so kalt ist, dass du dich erst hier aufwärmen musst, um zu deinem Tagwerk zu gehen, warum bleibt ihr beiden dann dort?“
Fíli weiß sofort, worauf seine Mutter hinaus will. Zu oft, war das bereits ein Thema zwischen den Brüdern und ihrer Mutter, dass er es nicht mehr zählen mag. Daher schüttelt er nur den Kopf, als Zeichen, dass er darüber nicht mit ihr diskutieren will und wendet sich dem dampfenden Becher in seinen Händen zu.
„Weißt du, ob Onkel schon zu Balin unterwegs ist?“, fragt er Dís nebenbei, während er in den Tee bläst, um ihn abzukühlen.
„Nein“, antwortet Dís. „Er wollte zu Dwalin auf den Platz!“
'Armer Kíli!', schießt es Fíli durch den Kopf. 'Der sollte auf seinen Arsch aufpassen, falls Thorin mit ihm üben will!' Sofort schiebt sich ihm wieder ein Bild vor Augen, was er nicht verhindern kann. 'Schöner Rücken ...!' Unwillkürlich entringt sich ihm ein leiser Seufzer, den er mit einem viel zu großen Schluck des heißen Tees hinunterwürgt.
Dís hat ihren Sohn aufmerksam beobachtet. „Geht es dir nicht gut, Junge? Du siehst aus, als hättest du schlecht geschlafen!“, fragt sie ihn schließlich.
Dieser winkt nur ab und lässt sich auf der Bank nieder, um nach dem bereitgestellten Korb auf dem Tisch zu greifen. Er reißt sich ein Stück vom Brot ab. „Ist nicht weiter schlimm“, tut er ihre Sorge ab und schiebt sich das Stück Kanten in den Mund.
„Kíli? Hat er wieder …?“, beginnt sie und zögert dann.
„Geträumt?“, beendet Fíli den Satz. „Ja, der Eber lässt ihn immer noch nicht ruhen!“, antwortet er auf seine eigene Frage, dankbar für diese Halbwahrheit. Denn schließlich ist er selbst derjenige gewesen, der vergangene Nacht infolge des Unglücks erwacht ist!
Er hört den tiefen Seufzer seiner Mutter und weiß sofort, was sie denkt. „Armer Junge!“, wird es durch ihren noch immer sehr hübschen Zwergenkopf gegangen sein und dabei wird sie nicht wissen, dass sie nicht nur an ihren jüngeren Sohn bedenken sollte.
Innerlich stöhnt Fíli gequält.
Warum muss alle Welt annehmen, dass er, als der 'Vernünftigere' von ihnen, seine Gefühlswelt unter Kontrolle hat? Warum denkt selbst Mutter, dass er der Gefestigte von ihnen sei?
Es ist fast so, als würden alle von Kíli nur als den lieben kleinen Zwergling denken. Er muss nur mit seinen braunen Augen klimpern und ganz Mittelerde liegt ihm zu Füßen. Dummerweise scheint es auch bei ihm zu funktionieren!
Aber niemand von ihnen hat von dem anderen Kíli erfahren müssen, der mit seinen fast nachtschwarzen Augen ihm bis Herz blicken kann und dessen streichelnden Finger genau die Stellen berührten, wo er sie spüren wollte.
Bei der Erinnerung rinnt ihm ein Schauer über den Körper und er glaubt, Kílis Lippen wieder in seinem Nacken zu spüren, wo sich die feinen Härchen aufgerichtet haben.
~~~~~
„Wer ist es?“, hört Fíli seine Mutter fragen. Sie hatte sich ihm gegenüber an den Tisch gesetzt und schaut ihm nun offen ins Gesicht. „Ich sehe dir an, dass du jemanden gefunden hast, den du lieben kannst.“ Fast unsicher, wie sie das Gespräch fortsetzen soll, schiebt sie eine Strähne hinter das Ohr zurück, die sich aus dem strengen Knoten gelöst hatte. Entschuldigend lächelt sie Fíli an: „Du bist nach Thorin der nächste Erbe. Sei dir bewusst, dass es an dir ist, das Erbe fortzuführen.“
Im ersten Moment will Fíli alles abstreiten, will es so hinstellen, dass sie einem Irrtum erliegt, doch dann nickt er nur. „Seit wann weißt du es?“, fragt er stattdessen.
„Geahnt habe ich es schon lange, aber seit dieser Sache mit dem Gesellen des Wanderschmieds war ich mir sicher!“, antwortet sie leise.
Auf seine Frage, ob es Thorin wisse, schüttelt sie nur den Kopf. „Solche Nebensächlichkeiten entgehen ihm!“, entschuldigt sie ihren Bruder mit ihrem kleinen Lächeln. „Außerdem liebe ich dich so, wie du bist und nicht das Bild, dass du anderen zeigst. Wie sollte es mir dann entgehen, wenn sich etwas im Leben meines Erstgeborenen verändert?“
Unangenehm berührt hat Fíli sich an die von seiner Mutter erwähnte Begebenheit erinnert und versucht, dies weit von sich zu schieben. Trotzdem spürt er, wie ihm die Galle hochsteigt, die er mit einem Stück Brot wieder hinunter zwingt.
Andererseits ist er erstaunt über die offenen Worte seiner Mutter. Nie hätte er gedacht, dass sie ihn in dieser Weise akzeptieren und auch unterstützen würde. „Ich danke dir, Mutter!“, sagt er nur und ergreift über den Tisch hinweg ihre Hand.
Dís lächelt und Tränen glitzern dabei in ihren Augen. „Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst! Egal, in welcher Angelegenheit, nur eine Bedingung habe ich, die du einhalten solltest!“ Kurz wartet sie auf das zustimmende Nicken Fílis, bevor sie weiterspricht. „Sei diskret! Du weißt, dass du die Familie hinter dir hast. Wir verstehen und wir lieben dich. Aber Außenstehende könnten deine Neigung leicht zu ihrem Vorteil nutzen und Thorin damit schaden!“
Offen blickt Fíli seiner Mutter in die Augen. „Ich werde versuchen, deine Bedingung einzuhalten!“
Lächelnd langt Dís über den Tisch und berührt ihren Sohn leicht an der Wange. „Und ich werde nichts anderes von dir verlangen.“
Überlegend zieht Fíli die Stirn kraus. „Und Onkel? Wenn er es nicht weiß, soll ich es ihm sagen oder …?“
Seine Hand tätschelnd, unterbricht Dís ihren Sohn. „DAS, mein Lieber, ist dein Problem! Ich habe gesagt, dass ich dich liebe – und nicht, dass ich lebensmüde wäre!“, schließt sie mit einem leisen Lachen, woraufhin Fíli nur unwirsch schnaubt, aber dann doch ihr Lächeln erwidert.
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In der Bibliothek herrscht Ruhe – eigentlich wie immer. Nur das leise Kratzen der Federn auf dem Pergament ist zu hören sowie ab und zu ein leises Scharren oder Seufzen der Kopisten, wenn sie versuchen, bei ihrer anstrengenden Arbeit eine angenehmere Haltung zu finden.
Fíli hat Hochachtung vor den Männern, die sich einer Arbeit verschrieben haben, die scheinbar kein Ende nehmen wird. Weiter hinten in den Bänken steht Ori, die Finger bereits schwarz von der Tinte. Er nickt dem jungen Prinzen nur kurz zu und wendet sich wieder dem Anspitzen der Feder zu.
Da Balin und auch Thorin nirgends zu sehen sind, tritt Fíli an Oris Tisch heran und blickt auf die dicht beschriebenen Seiten, die sich darauf türmen. Manche von ihnen nimmt er in die Hand und bewundert die Gleichmäßigkeit und Genauigkeit, mit der der Zwerg gearbeitet hat.
„Was schreibst du?“, fragt er Ori leise.
Dieser zieht unter mehreren Pergamenten einen Folianten hervor, dessen Einband geschwärzt ist und reicht ihn Fíli. „Sieh selbst“, sagt er nur.
Interessiert greift Fíli nach dem schweren Buch. Auf einem nahen Pult legt er es ab und schlägt die erste Seite auf.
Ori ist neben ihn getreten und blickt ebenfalls auf die offenen Seiten. „Es ist eines der wenigen Bücher, die aus dem Erebor gerettet werden konnten“, erklärt er leise. „Es ist das Buch deiner Familie.“
„Ich wusste nicht, das es noch existiert!“, antwortet Fíli. „Und du sollst es abschreiben?“
Ori nickt. „Ja, kopieren. Das braucht seine Zeit.“ Fast liebevoll lässt er seine Finger über das Pergament gleiten. „Ich würde gern selbst solch ein Buch schreiben.“
„Und über was willst du schreiben? Von deiner Arbeit als Kopist und Bibliothekar?“
„Nah!“, energisch schüttelt Ori den Kopf. „Nicht so etwas! Ein Bericht über eine lange Reise würde ich gern schreiben oder an einer Chronik mitarbeiten. Das sind Dinge, die für die Ewigkeit geschaffen sind!“
Als Thorin und Balin den Raum betreten, reicht Fíli den Folianten an Ori zurück, um sich seinem Onkel und seinem Lehrer zuzuwenden. Böses ahnend, blickt er den beiden entgegen, die mehrere der alten Schriftrollen auf den Armen tragen, wie sie von den Zwergen Khazad-dûms genutzt worden sind.
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Der Nachmittag ist bereits weit fortgeschritten, als Fíli aus dem großen Tor zu Thorins Hallen tritt. Die Sonne neigt sich schon dem westlichen Horizont zu, doch steht sie noch so hoch, dass sie ihn blendet. Kurz muss er die Augen schließen und genießt dabei die Wärme auf seinem Gesicht.
Die Geräusche von Zwergen dringen zu ihm, die sich in den Waffen üben. Unwillkürlich lenkt er seine Schritte in diese Richtung.
Schon von weitem sieht er Dwalin, der in der Mitte des Sandplatzes steht und sechs sehr verschwitzte Zwerglinge bei dem Üben von Ausfallschritten beobachtet und immer wieder Anweisungen gibt und Korrekturen vornimmt.
Da der Übungsplatz nicht nur von Dwalin genutzt wird, sondern auch vom Stallmeister für die Ausbildung der Ponys, ist er von einem einfachen hölzernen Zaun umgeben. Auf diesen lehnt sich Fíli, um Dwalin bei dessen Arbeit zu beobachten. Bei dem gedanklichen Vergleich, dass die Ponys ebenso stur, aufmüpfig und lernunwillig sein können wie ein junger Zwerg, muss er schmunzeln.
„Na, was gibt’s zum Lachen, wenn du Dwalin beobachtest?“, hört Fíli die Stimme seines Bruders, der gerade über den Platz auf ihn zukommt.
„Eigentlich wollte ich sehen, wie du dich gegen ihn schlägst“, erwidert er und blickt Kíli erwartungsvoll entgegen. „Ich hörte, dass Thorin heute hier war? Bist du gegen ihn angetreten?“
Kíli bleibt schließlich vor seinem Bruder stehen. „Ah, ja“, sagt er gedehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. „Wolltest nachschauen, ob von mir noch etwas übrig geblieben ist und mich wieder zusammenflicken?“
Fíli versucht, auf die lockere Art Kílis einzugehen, doch verursachen die leicht dahin gesagten Worte, ein unangenehmes Gefühl. „Vielleicht, aber wie es ausschaut, werde ich wohl nicht gebraucht.“
Ein leises Knurren aus Kílis Richtung, lässt ihn aufblicken. „Rede nicht so, als würdest du dich mir jetzt anbieten. Ich bekomme dich den ganzen Tag schon nicht aus dem Kopf und nun sagst du auch noch solche Worte!“ Scheinbar beleidigt schüttelt Kíli den Kopf.
Dabei hat sich ein Schweißtropfen gelöst, der nun langsam Kílis Hals hinabrinnt. Er hebt die Hand, um das störende Gefühl fortzuwischen, doch wird er durch eine Handbewegung seines Bruders davon abgehalten.
„Stell dir vor, ich würde dich jetzt so berühren“, flüstert Fíli und beobachtet dabei sein Gegenüber. Unwillkürlich hat Kíli die Augen halb geschlossen und ein weiteres leises Knurren entringt sich ihm.
Fasziniert beobachtet Fíli die Reaktion des Anderen auf seine wenigen Worte. Gleichzeitig kribbelt es ihm in den Fingerspitzen, tatsächlich der Spur des Tropfens zu folgen. Gerade versickert dieser im Hemdkragen und Kíli scheint aus der Starre zu erwachen.
„Tu mir das nicht noch einmal an, wenn ich dich nicht berühren kann!“, knurrt er Fíli an, der in dessen dunklen Augen versinken möchte. Trotzdem kann er ein Grinsen nicht unterdrücken und wie nebenbei fährt er sich über den Schritt.
Zufrieden nimmt er Kílis Ausdruck zur Kenntnis, dessen Gesicht eine heftige Röte ziert.
„Seid ihr endlich fertig?“, schallt Dwalins Stimme über den Hof.
Dwalin plaudert auch gern. Selbst auf dem Übungsplatz hält er ab und an gern mal ein gemütliches Gespräch soweit es auf einem weiten, offenen und zugigen Platz, auf dem sich verschwitzte und vor Anstrengung stöhnende Zwerge gegenseitig quälen, gemütlich sein kann.
Aber das, was Kíli gerade macht, ärgert ihn. Mächtig, sogar!
Als Helfer in der Ausbildung der jungen Zwerge, soll Kíli ein Vorbild sein, jemand, über den man sagen kann: „Nehmt ihn als Beispiel. So wie er sollt ihr werden!“ Und was macht dieses Idol der aufstrebenden Jugend? Er plauscht bereits seit einiger Zeit mit seinem Bruder, als hätten sie nichts Besseres zu tun!
Grummelnd wendet sich Dwalin seinen Zöglingen wieder zu. Diese sind bereits so abgekämpft, dass sie selbst die leichteren Holzschwerter kaum noch richtig erheben, geschweige denn, noch damit aufeinander eindreschen können. Er weiß, dass er die Jungs heute hart gefordert hat, aber sie wollen es so. Oder zumindest ihre Familien wünschen es, weil sie der Ansicht sind, dass nur im Kriegerhandwerk Ehre zu gewinnen sei. Dabei vergessen sie häufig, dass Kriege nur selten geführt werden. Wenn, dann sind es diese kleinen Zwischenfälle, Scharmützel, manchmal nicht mehr als eine Kneipenschlägerei, die oft genug den Tod eines wahren und erfahrenen Kämpfers zur Folge haben.
Gerade geht einer der jungen Zwerge in die Knie, weil er versucht hat, mit einer leichten Drehung seines Körpers einen Schlag auf seine Hüfte abzuwehren und sich dabei nicht mehr rechtzeitig abfangen konnte.
Wäre Kíli jetzt hier, um seinen Pflichten nachkommen zu können, würde er ihn und die Jungs in die Rüstkammer und schließlich in die Bäder entlassen. Aber dem ist halt nicht so …
Ärger kocht in Dwalin über diese Rücksichtslosigkeit hoch. „Seid ihr endlich fertig?“, brüllt er aus diesem Grund über den Platz, dass es selbst im hintersten Winkel von Thorins Hallen zu hören sein muss.
Die beiden Angesprochenen wenden sich ihm zu. Fíli hebt grüßend die Hand, was Dwalin mit einem leichten Nicken erwidert. Sein Bruder blickt kurz über die Schulter und sagt daraufhin etwas zu seinem Gegenüber. Dieser schüttelt nur lachend den Kopf und wendet sich in Richtung des großen Tores. „Das bleibt abzuwarten!“, klingt Fílis klare Stimme bis zu Dwalin, voller unterdrücktem Lachen.
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Kíli versucht, so unbefangen wie es ihm möglich ist, auf Dwalin zuzugehen.
In Gedanken ist er noch bei dem soeben beendeten Gespräch, mit dessen Verlauf er äußerst unzufrieden ist.
Weil er sich für wenige Augenblicke fast machtlos den Worten seines Bruders ausgeliefert fühlte, hatte er ihm etwas gesagt, von dem er nun nicht mehr so sicher ist, ob es für ihn möglich wäre oder machbar ist. Sein Hirn hinkte mal wieder seinem losen Mundwerk meilenweit hinterher, wie Dwalin oft andeutete.
„Heute Abend gehörst du mir!“, hatte er Fíli gesagt. Und es waren fast die gleichen Worte, wie er am Morgen benutzt hatte. Aber da war er noch warm, heiß. Das Gefühl der Berührungen war noch frisch, der Duft Fílis hatte sein Herz hämmern lassen.
Jetzt ist die Erinnerung daran das Einzige, das ihn mit der vergangenen Nacht verbindet. Das und dieses unbestimmte Gefühl, welches mehr eine Mischung aus Vorfreude, Unglaube, Erwartung sowie auch in geringem Maße Angst ist.
Vor sich selbst kann er es ruhig zugeben, dass er unsicher ist. Er weiß nicht genau, wie er mit der momentanen Situation umgehen soll. Einerseits sehnt er sich nach den Berührungen, wie er sie in der vergangenen Nacht erfahren hat, andererseits weiß er nicht, wohin ihn dies führen wird.
Egal, was er zu seinem Bruder gesagt hatte, es ist und bleibt Inzest. Davor kann er die Augen nicht verschließen.
Nun sieht er es klarer. Jetzt, wo sein Blut nach dem kurzen verbalen Angriff Fílis wieder abgekühlt ist, sieht er klar.
Es darf nicht sein …
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„Na, was heckt ihr Beiden mal wieder aus?“, wird Kíli von Dwalin unwirsch empfangen und reißt diesen damit aus seinen Gedanken.
Der Krieger wartet eine Antwort erst gar nicht ab, sondern drückt dem dunkelhaarigen Zwerg das hölzerne Langschwert in die Hand. „Hier, kümmere dich!“, sagt er mürrisch und nickt in Richtung der Zwerglinge, die nun mehr nur den Anschein erwecken, ihre Übungen zu absolvieren, als dies wirklich zu schaffen. „Und um sie auch. Wir hätten schon seit einer Weile vom Platz sein können, wenn sich ein gewisser Herr von seinem heißgeliebten Bruder hätte trennen können!“
Kíli geht auf die ironische Bemerkung des Kriegers nicht ein, doch im ersten Moment lässt ihm der Schreck das Blut heiß durch die Adern schießen.
'Ahnt er etwas?'
Während er sich dem nahezu leeren Gestell für die Übungswaffen zuwendet, blickt er kurz zu Dwalin. Doch dieser scheucht seine Schützlinge soeben über den Platz, die genutzten Holzwaffen einzusammeln und Kíli zu übergeben.
Erst jetzt merkt er, dass er den Atem angehalten hat.
Unter Kílis Aufsicht wird das Gestell von den Zwerglingen wieder ordentlich befüllt und muss dann zur Rüstkammer gebracht werden, wo auch die einzelnen Rüstungsteile und Koller zurückgegeben werden.
Meistens geschieht dies mit vielen Witzeleien und Knuffen unter den Jungs, doch heute sind sie selbst dafür zu abgekämpft. Fast wirkt es, als würde Kíli einen Trauerzug beaufsichtigen, der in die Hallen zurückkehrt. Mit einem erleichterten Gefühl, entlässt er schließlich die Jungs in den wohlverdienten Feierabend.
~~~~~
In den Bädern ist es ruhig, aber bald wird es sich ändern.
Noch in dieser Stunde ist Schichtwechsel in den Schächten der Ered Luin und viele der Bergarbeiter werden sich hier einfinden, um in den warmen Quellen den Steinstaub fortzuspülen.
Aber noch ist es still.
Zufrieden lässt sich Kíli in dem warmen Wasser zurücksinken. Immer tiefer lässt er sich gleiten.
Das Wasser schafft eine durchscheinende Wand, durch die er die andere Welt nur verschwommen erkennen kann. Er hat das Gefühl, dass nichts zu ihm dringen kann. Selbst das Licht der ruhig brennenden Öllampen wird von der Wand blockiert. Und er liegt in der Dunkelheit, versunken in ihr, umgeben von ihrer Wärme, die ihn durchdringt.
Langsam hebt er die Hand. Mit dem Finger will er die Wasserscheide berühren. Durch seine Bewegung bilden sich leichte Wellenkreise. Es erinnert ihn an einen Tag im Sommer. Er hatte Steinchen über das Wasser eines Sees springen lassen …
Heftig nach Luft ringend, richtet sich Kíli auf. Mit beiden Händen wischt er sich das Haar aus dem Gesicht.
„Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr auftauchen!“, hört er eine dunkle Stimme hinter sich.
„Wäre manchmal keine schlechte Idee“, murmelt Kíli und blickt zum Bader auf.
Dieser legt gerade einen großen Stapel Tücher auf eine nahe Bank. „So schlimm?“, fragt er mitfühlend.
Kurz überlegt Kíli, während er sich im warmen Wasser wieder zurücksinken lässt. „Nein, eigentlich nicht. Vielleicht sehe ich alles nur zu kompliziert!“
Daraufhin lacht der andere: „Du bist jung! Genieße es, so lange du kannst!“
Kíli stutzt. „Es? Was meinst du damit?“
Der Bader, bereits im Begriff, sich mit einem weiteren Stapel Tücher wieder zu entfernen, wendet sich noch einmal um. „Das Leben, mein Junge, das Leben!“
~~~~~
Fíli war nach seinem Besuch bei Kíli wieder in die Bibliothek zurückgekehrt, wo er bereits von Balin mit einem Stapel Schriftrollen erwartet wurde.
Den Rest des Tages verbrachte er über diese alten, halb zerfallenen Pergamente, die beim Ausrollen mit äußerster Vorsicht behandelt werden mussten, damit sie sich nicht komplett auflösten.
Er mochte diese Arbeit überhaupt nicht, da sie ihm eher wie eine Bestrafung erschien und er glaubte auch nicht, dass es etwas Langweiligeres gäbe als die Gesetzestexte von Khazadûm. Aber andererseits, wenn man Glück hat, stößt man auf kleine Schätze, die womöglich seit Jahrhunderten von niemandem in Händen gehalten wurde. Doch heute sollte ihm dieses Glück nicht hold sein.
Wie eine Erlösung erschien ihm der Glockenschlag, der die Bergarbeiter zur nächsten Schicht in den Berg rief und für ihn selbst das Ende seiner eigenen.
Nun eilt er die langen Flure entlang, ein noch warmes Brot unter dem einen Arm und in der Hand einen Korb mit Äpfeln und Würsten. Manchmal hat es seinen Vorteil, wenn man der Erbe Thorins ist – und sei es auch nur, um sich in der Bergküche mit Lebensmitteln einzudecken …
Fíli hat kaum die Chance, die Tür zu schließen, als er auch schon mit dem Rücken gegen sie gedrückt wird. Harte Lippen pressen sich auf seine. Von der Wucht des Angriffs vorangetrieben, schlagen die Zähne aufeinander, dass ein leises Summen im Kiefer zurückbleibt.
Den Angreifer abwehrend, hebt er die Hände, ungeachtet dessen, dass Brot und Korb herabfallen und zu seinen Füßen liegen bleiben.
Seine Finger krallen sich in den weichen Stoff von Kílis Tunika. Er will ihn von sich schieben und gleichzeitig an sich ziehen.
Die Hände seines Bruders halten ihn fest, wie an das Holz hinter ihm genagelt. Ein Bein schiebt sich zwischen seine Schenkel und zwingt sie auseinander, reibt fast schmerzhaft über ihn.
Auch wenn er gewollt hätte, fühlt er sich zu keiner Bewegung fähig. Er kann es nur geschehen lassen.
Eine Zunge dringt in seinen Mund. Berührt ihn fordernd, streicht an seiner entlang und zieht sich wieder zurück. Lockt ihn, auf die Berührungen einzugehen.
Er folgt der Verführung und schabt mit den Zähnen über die Unterlippe des anderen. Ein Stöhnen bekommt er zur Antwort, die er unter seinen Händen spürt.
Der Griff an seinen Schultern lockert sich. Eine Hand schiebt sich in seinen Nacken, während sich die andere auf seine Hüfte legt.
Fíli hat den Kopf geneigt, um den Kuss wieder zu vertiefen. Er lässt die Zunge in den Mund des anderen gleiten und kann es nicht verhindern, dass er sich im gleichen Rhythmus gegen ihn bewegt. Seine Hände zerren an Kílis Tunika und schieben sie hoch. Gierig gleiten seine Finger über die entblößte Haut. Ein fast zufriedenes Lachen entringt sich ihm, als Kíli die Arme hebt, um das störende Hemd fortzuwischen.
Lippen gleiten über Kílis Haut und lassen ihn erschauern. Er wüsste nicht, wann er jemals auf die Berührung einer Frau so intensiv reagiert hätte.
Das Blut rauscht in seinen Ohren, er glaubt, den Schlag seines Herzens darin zu hören.
Nichts wünscht er sich mehr, als die Haut seines Bruders zu berühren. Seine Hände gleiten unter dessen Hemd, schieben es zur Seite. Fingerspitzen schieben sich unter den Bund dessen Hose, zerren daran, um an das Fleisch darunter zu gelangen.
Fíli kann fühlen, wie das Band des Beinkleides fast schmerzhaft in seinen Rücken drückt und dann nachgibt. Lippen verziehen sich zu einem leisen Lachen an seinem Mund.
Unwillkürlich stockt Fíli der Atem, als sein Bruder ihn umfasst. Seine warmen Finger schließen sich perfekt um ihn. Mit dem Daumen reibt er über die feuchte Spitze, was Fíli ein leichtes Keuchen entringt.
Während er seinen Bruder berührt, beobachtet Kíli dessen Gesicht. Fíli hat die Augen geschlossen. Die Lippen sind leicht geöffnet und in einem dunklen rosa. Ein leises Stöhnen ist zu hören, das ihn magisch anzieht, bis er sie wieder mit seinen berührt.
Fíli weiß nicht, wie er es geschafft hat, sich aus seinen Beinkleidern zu befreien, doch er kann ein Bein um Kíli schlingen. Er spürt Kílis Härte an seinem Bauch, wie sie gegen ihn drückt und gleichzeitig dessen Hand, die ihn streichelt und massiert.
Die andere Hand seines Bruders nehmend, führt er sie sein Bein entlang zu seiner Mitte. Erstaunt blickt Kíli seinen älteren Bruder an.
„Ich will dich in mir!“, flüstert Fíli an dessen Lippen und seufzt, als ein Finger in ihn gleitet.
„Wie?“, fragt Kíli zögernd.
„Mit Öl!“, kommt die leise lachende Antwort. „Ich weiß, dass du welches wegen deinem Bein benötigst!“
Den kleinen Bruder leicht von sich schiebend, blickt Fíli zu ihm auf. „Wenn es dir zu schnell geht oder zu viel wird, dann sag es! Ich verstehe es!“
Kíli schüttelt leicht den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Ich habe nur nicht gedacht, dass es so einfach ist, dich zu lieben.“
Ihn wieder in einen intensiven Kuss ziehend, schiebt Fíli ihn gleichzeitig in Richtung des zunächst stehenden Bettes. Es ist Kílis, noch zerwühlt vom Morgen.
Er bindet ihm die Hose auf und lässt sie herabrutschen, während er mit der anderen Hand Kíli auf die Matratze drückt. Auf einen deutenden Blick Kílis hin, holt er aus einem kleinen Schränkchen eine kleine irdene Flasche, die er in Reichweite auf die Nachtkonsole stellt.
Fíli gleitet über seinen Bruder und zieht ihn wieder in einen intensiven Kuss. Er spürt das Aufstöhnen, als er Kíli umfasst und seine Hand über ihn gleiten lässt.
Gleichzeitig fühlt er wie die Hände seines Bruders zuerst noch zögernd über ihn gleiten. Je fordernder der Kuss wird, um so zielgerichteter werden auch seine Berührungen. Bis sich Fíli rittlings auf Kílis Schoß niederlässt.
Fíli greift nach der kleinen Flasche und lässt eine großzügige Menge in seine Hand laufen, die er anschließend in den Händen verreibt.
Mit den eingeölten Fingern umfasst er den Schaft seines Bruders. Er fühlt die weiche Haut unter seinen Fingerspitzen und glaubt, das Pulsieren in ihm zu spüren.
Kíli zieht den Bruder zu sich herab. „Ich will dich!“, flüstert er an dessen Lippen.
„Ich will dich auch!“, erhält er eine ebenso leise Antwort.
Fíli löst sich kurz von seinem Bruder, um ihn schließlich in sich aufzunehmen.
Es ist ein seltsames Gefühl ihn in sich zu spüren. Es schmerzt und gleichzeitig ist es ein machtvolles Gefühl. Er gehört ihm, ihm allein.
Er spürt ihn in sich. Endlich.
Im ersten Moment kann Fíli ein Aufkeuchen kaum unterdrücken, zu schmerzhaft ist die plötzliche Dehnung. Aber er hat es so gewollt. So und nicht anders hat er es sich ersehnt.
In dieser Art hat er es sich gewünscht: Der Bruder in ihm, ein Teil von ihm.
Eins sein - eine Einheit, untrennbar verbunden.
Der Schmerz vergeht und nur ein einziges köstliches Gefühl bleibt in ihm zurück.
Wärme breitet sich in ihm aus und lässt das Blut in seinen Ohren rauschen.
Wie in einem Fieber gefangen, will er sich über seinem Bruder bewegen, dessen Gleiten in sich spüren. Sein Atmen, Keuchen und Stöhnen will er hören, seinen ihm eigenen Duft einatmen, ihn aufsagen, ihn schmecken. Fühlen.
Fíli lässt seine Finger über Kílis Brust wandern, sie kämmen durch das dichte gelockte Haar. Kurz reizen seine Fingernägel die Brustwarzen, was Kíli ein leises Stöhnen entlockt.
Zufrieden lächelnd neigt sich Fíli hinunter und berührt mit den Lippen die heiße Haut. Zu gern würde er mit den Zähnen über die empfindlichen Knospen fahren, doch dazu müsste er seinen Bruder aus sich herausgleiten lassen. Und das will er unter keinen Umständen - noch nicht. Schon jetzt, während er sich seinem Bruder zuneigt, fühlt er, wie Kíli ihn zu verlassen droht.
Doch bevor er endgültig aus ihm herausgleiten kann, spürt er, dass Kíli sein Becken hebt und ihm in der Bewegung versucht, zu folgen. Seine Hände legen sich an Fílis Hüften und halten ihn auf sich fest. Ein zufriedenes Stöhnen entringt sich Fíli, als er seinen Bruder wieder tief in sich spürt.
Auch Kíli keucht leise auf. Ein feiner Schweißfilm hat sich auf seiner Haut gebildet, über die nun Fílis Lippen gleiten. Sie ziehen eine prickelnde Spur bis hin zum Schlüsselbein, folgen dessen Verlauf und dann weiter zum Hals hinauf. Seine Zunge tanzt über die Haut, unter der die Schlagader pulsiert und wird mit einem weiteren leisen Stöhnen belohnt.
Er saugt die zarte Haut zwischen seine Lippen und lässt die Zähne darüber kratzen. Unter seinen Händen kann er das Erschauern von Kílis Körper wie eine Erschütterung spüren und fühlt gleichzeitig in sich ein leises Lachen aufkeimen.
Er ist davon fasziniert erleben zu dürfen, wie sein Bruder auf jede einzelne Berührung reagiert. Es erstaunt ihn ebenso, wie es ihn atemlos macht. Es entzückt ihn geradezu und lässt ihn nach mehr verlangen.
Nur mühsam kann er sich zurückhalten, seinem Bruder und sich selbst das zu geben, was ihre überhitzten Körper verlangen. Das Blut rauscht in seinen Ohren und er glaubt, es im schnellen Takt seines Herzschlags durch seinen Körper pumpen zu fühlen.
Die Stirn an Kílis Schulter gelehnt, ringt er um wenigstens einen klaren Gedanken sowie ein nicht geringes Maß an Zurückhaltung. Dabei fächert sein Atem über Kílis Brust und er kann unter seinen Händen spüren, wie auch sein Bruder um Beherrschung ringt. Ein Zittern wie unter einer großen Anstrengung rinnt durch dessen Körper und er kann den angestrengt klingenden Atem in seinem Haar spüren. Arme schlingen sich um den großen Bruder, Finger fahren die Linie des Rückgrats entlang, zeichnen Kreise auf der Haut, was Fíli leicht erschauern lässt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sie so verbunden verharren, hebt Fíli den Kopf und schaut seinen Bruder lächelnd an. „Was hast du heute Morgen gesagt?“, fragt er neckend und gibt den Anschein, als müsste er angestrengt überlegen. „Ach ja! Du sagtest: Heute Abend gehörst du mir!“
Fíli senkt den Kopf und lässt die Zunge an Kílis Ohr entlanggleiten. „Nun sag mir Bruder“, flüstert er. „Wer gehört hier wem?“ Er drückt sich in Kílis Schoß und lässt gleichzeitig die Zunge über dessen Mundwinkel gleiten.
Kíli reagiert prompt und lässt seinen Bruder ein. Mit einem Seufzen saugt er ihn ein und spürt, dass sich ihm ein zufriedenes Stöhnen entringt, als ihre Zungen aufeinander treffen. Heftig bewegen sie sich gegeneinander und Fíli spürt, wie sein Bruder ihm seine Hüften entgegen hebt.
Heftig treffen ihre Zungen aufeinander und beginnen sich in einem Rhythmus zu bewegen, der sich durch ihrer beiden Körper fortzusetzen scheint.
Schließlich trennt sich Fíli von den Lippen seines Bruders und setzt sich auf. Genüsslich lässt er den Kopf zurücksinken, als er Kíli tief in sich spürt.
Dieser streicht mit den Händen über Fílis glatte Haut, massiert das feste Fleisch an dessen Schenkeln und lässt die Finger über den flachen Bauch gleiten. Fasziniert beobachtet er seinen Bruder, spürt die Bewegungen seines Körpers unter seinen Fingern ebenso wie die Anspannung der Muskeln unter dessen Haut. Er blickt in seine dunklen Augen und glaubt, in ihnen zu versinken.
Seine Hand schließt sich um Fílis Erektion, gleitet mit dem Daumen massierend über die nasse Spitze und verteilt die Feuchtigkeit. Sein Keuchen lässt ihn erschauern und nach mehr verlangen.
Die andere Hand windet sich in Fílis langes Haar, zieht ihn fast schmerzhaft zu sich herunter und sucht verzweifelt nach dessen Lippen.
Die Fersen fest in die Matratze gepresst, hebt sich Kíli den gleitenden Bewegungen Fílis entgegen, bewegt sich heftig gegen ihn. Seine Berührungen werden fahrig.
Kaum ist noch zu unterscheiden, wessen Keuchen und Stöhnen lauter in seinen Ohren klingt. Seine Zunge taucht im gleichen atemlosen Rhythmus in den Mund seines Bruders, wie er sich immer wieder in ihn versenkt, wie er das harte Fleisch dessen gleitend massiert, sich die Finger in die Haut des anderes pressen.
Mit einem lauten Stöhnen, das er an den Lippen seines Bruders erstickt, ergießt er sich in ihn. Fast gleichzeitig spürt er, wie sich Feuchtigkeit über seine Hand und auf seinem Bauch verteilt. Das Fleisch seines Bruders bewegt sich pulsierend in seiner Hand und ebenso ziehen sich die Muskeln fast schmerzhaft um ihn selbst zusammen.
Sämtliche Energie scheint aus Kíli heraus gesogen zu sein und seinem Bruder scheint es nicht besser zu ergehen. Seine Arme, mit denen er sich über Kíli abstützt, zittern leicht. Trotzdem huscht bereits wieder ein Lächeln über sein Gesicht. „Na, nun sag es mir!“
Kíli zieht kurz überlegend die Stirn kraus. Mit einem schalkhaften Grinsen schiebt er die Hand, die zuvor über den Rücken seines Bruders geglitten ist, in dessen Nacken und zieht ihn zu sich herab. „Wie war die Frage?“, murmelt er, bevor er mit der Zunge zwischen dessen Lippen gleitet und ihn in einen intensiven Kuss verwickelt.
„Du spielst unfair, mein Lieber!“, antwortet Fíli nach einer Weile und bewegt sich leicht in der Hüfte. Schon jetzt kann er die Härte seines Bruders wieder in sich spüren. Dieser lacht nur leise mit rauer Stimme: „Wer hat etwas von irgendwelchen Spielen gesagt?“ Fíli fest an der Hüfte halten, zieht er ihn auf sich herab. Zufrieden nimmt er zur Kenntnis, dass der über ihm Sitzende ihn erstaunt anblickt. Sich mit einem Arm abstützend, drückt sich Kíli nach oben. „Ich will dich!“, murmelt er, während seine Lippen über Fílis Brust wandern.
„Ja“, hört er ein gedehntes Lachen. „Das merke ich überdeutlich!“ Zischend zieht er die Luft zwischen die Zähne, als Kílis Finger kurz über seinen Bauch streichen und dabei an seinem Penis entlangfahren. Dieser scheint unter der leichten Berührung zuckend zum Leben zu erwachen, was Kíli ein leichtes Schmunzeln entlockt. „Du gehörst aber auch nicht gerade zu den langsamen!“
Fíli zuckt nur kurz mit den Schultern, was Kíli selbst bis in seinen Schoß merkt. „Wenn es mich nach etwas verlangt, dann setze ich alles daran, es zu bekommen!“
„Das heißt, dass du mich willst?“, fragt sein Bruder leise nach und fährt mit der Zunge über eine der Brustwarzen, was ihm ein leises Keuchen entlockt.
„Ja!“, kommt es noch einmal gedehnt von Fíli. Die Hände um das Gesicht seines jüngeren Bruders gelegt, neigt er sich zu ihn hinab. Dieser hält ganz still, als die Lippen über seine gleiten und sich Zähne leicht in seine Unterlippe graben. Der leichte Schmerz lässt ihn aufstöhnen und die Zunge, die den Schmerz fortnimmt, lässt ihn erbeben.
Langsam lässt Kíli seinen Bruder nach hinten gleiten, ohne die Verbindung zwischen ihnen zu lösen. Noch immer sind sie miteinander verbunden. Fíli kann ihn überdeutlich in sich spüren. Durch die veränderte Haltung streicht Kílis Fleisch über eine Stelle in Fíli, die ihn gleichwohl Sterne sehen lässt. Sofort schlingt er die Beine um die Hüften seines Bruders, um ihn in dieser Position zu halten. Einladend bewegt er das Becken an der Haut des anderen, spürt, wie seine eigene Härte fest gegen den Körper gepresst wird. Wie im Fieber reiben sie sich aneinander, beide darauf bedacht, noch einmal Erlösung zu finden.
Die Beine seines Bruders haltend, stößt Kíli hart in dessen Körper, keucht, als sich Fíli unter ihm windet und sich selbst berührt. Schauer rinnen über seine Haut, als würden Fílis Finger ihn berühren und nicht sich selbst. Ein Grollen entringt sich ihm, als sich Fílis Hand um den eigenen Schaft schließt und ihn pumpend massiert.
Mit einem leisen Aufschrei ergießt sich Fíli über die eigene Hand. Kíli versenkt sich noch einmal in die pulsierende Enge seines Bruders, bevor auch er endlich Erlösung findet.
Erschöpft lässt sich Kíli neben seinen Bruder auf das Bett sinken.
„Wie war die Frage gewesen?“, fragt er mit einem leichten Augenzwinkern.
Fíli zieht die Stirn kraus, aber ein Lachen zupft an seinen Mundwinkeln. „An deinem Alter kann es nicht liegen, dass du so vergesslich bist!“
Sich auf einen Ellenbogen abstützend, blickt Kíli auf seinen Bruder hinab. Mit den Fingerspitzen der anderen Hand zieht er kleine Kreise über dessen Haut vom Arm bis zur Schulter hinauf, streicht die Gänsehaut wieder fort, die sich unter seiner Hand gebildet hat. „Das werden wohl andere Ursachen haben, dass ich nichts in meinem Kopf behalten kann!“ Sich vorbeugend haucht er einen Kuss auf Fílis Schulter.
Dieser lacht nur leise. „Willst du mir jetzt die Schuld zuschieben?“
„Ich sag nur die Wahrheit!“, beschwörend hebt Kíli die Hand. „Mir wird niemals eine Lüge über die Lippen kommen!“
Fíli fängt die erhobene Hand ein und nimmt sie in seine. Ernst blickt er dabei zu seinen kleinen Bruder auf. „Auch wenn es jetzt als Scherz gemeint war, bitte ich dich, dich niemals über solche Dinge lustig zu machen!“
Verstehend nickt Kíli und sprachlos von der Eindringlichkeit, mit der Fíli die Bitte geäußert hat, zieht er nur seine Hand an seine Lippen.
„Hattest du nicht vorhin etwas zum Essen mitgebracht?“ Suchend blickt Kíli zum Tisch hinüber. Doch Fíli deutet zur Tür, vor der das Brot sowie der umgekippte Korb mit den herausgefallenen Äpfeln, Kuchen und Würsten.
„Oh, das ist gut! Ich habe einen riesigen Hunger!“ Kíli springt fast leichtfüßig aus dem Bett und bleibt nur an der Waschschüssel stehen, um sich zu reinigen. Kurz wirft er einen Blick zu seinen Bruder. Mit dem feuchten Lappen in der Hand nähert er sich wieder dem Bett und blickt ihn fragend an. Dieser hat die Hände im Nacken verschränkt. Fast herausfordernd schaut er zu Kíli auf.
Mit einem leisen „Flatsch!“ landet das feuchtkalte Etwas auf dem mit Sperma verschmierten Bauch. Mit einem erschreckten Juchzen, das beide zum lauten Lachen reizt, setzt sich Fíli auf und blickt Kíli empört an.
Doch dieser hat sich bereits abgewandt und sammelt den Inhalt in den Korb. „Wasch dich, sonst gibt’s nichts zu Essen für dich!“, meint er nur lachend und wirft einen kurzen Blick über die Schulter in das immer noch empörte Gesicht seines Bruders.
Das Brot unter dem Arm geklemmt, in der einen Hand den Korb und in der anderen einen Apfel, in den er herzhaft hinein beißt, lässt sich Kíli wieder auf das Bett nieder.
Fíli hangelt nach dem Korb und hebt ein Küchlein hervor, in das er voller Appetit hineinbeißt. „Was war das eigentlich vorhin an der Tür? Ein Überfall?“, fragt er schließlich, nachdem er hinunter gekaut hat.
Er glaubt schon, dass das Schulterzucken von Kíli die einzige Antwort wäre, die er dazu bekommt. „Es war ein teilweise schwieriger Tag gewesen und über manches hatte ich nachzudenken“, beginnt Kíli leise, auf seine Hände hinabblickend, in denen er den angebissenen Apfel dreht. „Ich wollte dich und gleichzeitig hatte ich Angst vor diesem Gefühl.“ Zögernd blickt er seinen großen Bruder an. „Verstehst du mich?“
Fíli blickt nachdenklich den dunkelhaarigen Mann an, der mit dem Rücken gegen einen der Bettpfosten lehnt. Den Blick hat er wieder auf den Apfel in seiner Hand gesenkt, als wären dort alle Weisheiten des Universum verborgen. „Ist es dir peinlich?“, fragt er schließlich.
Sofort ruckt Kílis Kopf hoch und gleichermaßen Schrecken und Entsetzen spiegeln sich auf seinem Gesicht wider. „Nein, Bruder, nein!“, widerspricht er sofort. „Wie kannst du das nur annehmen?“ Er beugt sich vor, als würde er die Entfernung zu seinem Bruder überwinden wollen, verharrt aber und blickt ihm nur fest in die Augen. „Du weißt ebenso gut wie ich, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben werden. Du bist der Erbe. Auch wenn es dir nicht gefallen sollte, so bist du doch derjenige, der für die Nachfolge zu sorgen hat. Es wird von dir erwartet!"
Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickt Fíli den jüngeren an. „Was erzählst du hier von Nachfolge? Es ist bei Weitem noch lange nicht an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen! Onkel ist in den besten Jahren, er könnte sich ein Weib nehmen und Kinder zeugen. Außerdem hörst du dich fast wie Mutter an; sie fand es passend, mich auch darauf hinzuweisen." Kurz zögert er, bevor er weiterspricht. „Wenn du das, was gerade zwischen uns geschehen ist, nicht willst, dann sage es jetzt offen. Noch haben wir die Möglichkeit, es zu beenden."
Kíli lehnt sich zurück, als benötige er Abstand zwischen sich und Fílis Worten. Unglaube spiegelt sich auf seinem Gesicht wider. „Möglichkeiten, es zu beenden?", fragt er, als hätte er sich verhört oder könne das Gehörte nicht begreifen. „Glaubst du allen Ernstes, dass ich das möchte? Meinst du, ich könnte nicht für mich selbst entscheiden, mit wem ich zusammen sein möchte? Dann kennst du mich aber mehr als schlecht, Bruder!"
„Wenn das nicht der Grund ist, was ist es dann?“, braust Fíli auf. „Rede endlich, damit ich dich verstehe!“
Kílis Mund fühlt sich trocken an. „Du bist mein Bruder und ich hab immer gedacht, dass das, was ich fühle, normal ist, dass Geschwisterkinder immer so empfinden.“ Seine Stimme ist leise, wie ein Schatten seines Seins wirkt sie. „Aber das ist nicht das, was an mir selbst zweifeln lässt! Ich habe immer Frauen geliebt. Und nun fällt mir allein schon die Vorstellung schwer, noch einmal bei einer Zwergin zu liegen.“ Mit dunklen Augen blickt er Fíli an. „Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber ich sehe dich an meiner Seite und hoffe, dass es sich nicht mehr ändern wird!“
„... und doch werden wir keine gemeinsame Zukunft haben!“, wiederholt Fíli die Worte seines jüngeren Bruders, die er erst vor so kurzer Zeit gesagt hatte. Ein Hauch Traurigkeit schwingt in dessen Stimme mit.
Ein Schmunzeln huscht über Kílis Gesicht, zupft an seinen Mundwinkeln und lässt die Ernsthaftigkeit aus seinen Augen verschwinden. „Ich hatte heute einen kleinen und äußerst interessanten Wortwechsel mit einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Hallen und er gab mir den guten Rat, das Leben zu genießen.“ Er neigt sich seinem Bruder wieder zu und grinst ihn verschmitzt an. „Ich habe mir selbst geschworen, diesen Rat zu beherzigen!“ Auf Händen und Knien schiebt er sich über Fíli, der nur mühsam eine ernste Miene bewahren kann. Häufig ist es für diesen schwierig mit dem schnellen Wechsel von Kílis Gefühlen zurecht zu kommen, doch in diesem Fall will er es so nehmen, wie es kommt.
„Ach, so ist das! Und wer verteilt solch hervorragende Ratschläge?“, fragt Fíli und keucht leise, als Lippen sich um eine Brustwarze schließen und Zähne sanft daran knabbern.
„Der Bader“, murmelt Kíli, bevor er sich der anderen Brust zuwendet und seinem Bruder ein Stöhnen entlockt.
„Also wirst du dich in Zukunft immer an ihn wenden, wenn du Probleme hast?“, fragt Fíli und lacht leise.
Kurz zuckt Kíli mit einer Schulter. „Kommt darauf an, was es für welche wären. Aber bisher waren seine Ratschläge gut!“ Wieder gleiten seine Lippen über die Haut seines Bruders, nur, um sich noch einmal von ihm zu lösen und ihn mit dunklen Augen anzusehen. „Oder willst du es bestreiten?“ Herausfordernd zupft er am Brusthaar des Blonden, woraufhin dieser endgültig in Lachen ausbricht. „Oh, Mahal! Das wäre wohl das Letzte, wo ich Widerworte finden würde!“ Hände vergraben sich in Kílis dunkler Mähne, ziehen seinen Kopf herab, bis sich beider Lippen fast berühren. „Er sollte dafür königlich belohnt werden, dass er sogar dir so viel Einsicht und Weisheit beibringen konnte!“
Im nächsten Moment spürt Kíli, wie eine Zungenspitze seine Lippen berührt. Unwillkürlich öffnet er den Mund, will die Lippen des anderen erobern, doch wird er von dessen festem Griff in seinem Haar auf Abstand gehalten. Er stöhnt leise, ohnmächtig zur Bewegungsunfähigkeit verdammt.
„Ich wollte schon immer wissen, wie deine Haut schmeckt“, hört er seinen Bruder flüstern und spürt dabei jedes einzelne Wort als Lufthauch über seine Lippen streichen. „Nun bin ich süchtig danach.“ Fíli zieht ihn endlich an sich, lässt die Berührung zu.
Atemlos löst sich Kíli schließlich aus dem Kuss und blickt in die Augen des Älteren. Zu anderen Zeiten erinnern sie ihn an die von Thorin. Doch nun sind sie dunkel. Nicht der kleinste Funke des klaren Blaus kann er finden. In dem perfektesten Obsidian erscheinen sie ihm, ziehen ihn in die Tiefe, dass er sich wünscht, darin zu ertrinken.
Wie am Morgen kann er den warmen Körper unter sich spüren und möchte in dessen Wärme versinken. Sie vermittelt ihm ein Gefühl von Geborgenheit, gibt ihm das Versprechen, hier Sicherheit zu finden, wenn er sie benötigt.
Mit einem fast schon zufriedenen Seufzen lässt er sich auf Fíli sinken und schlingt die Arme so gut es ihm möglich ist um dessen Körper. Befriedigung durchströmt ihn.
Arme schlingen sich um seine Schultern, ziehen ihn noch fester an den anderen Körper, geben ihm Halt.
Kíli genießt es, so gehalten zu werden. Das Ohr an die warme Haut Fílis gepresst, hört er den kräftigen und gleichmäßigen Schlag dessen Herzens. Er glaubt zu hören, wie das Blut durch seinen Körper pulsiert und gleichzeitig weiß er, dass es nicht mehr als Einbildung sein kann.
Unwillkürlich presst er sein Gesicht an die Brust des Älteren. Er saugt dessen ihm eigenen Duft ein, wie um sich zu versichern, dass dies nicht seiner Phantasie entsprungen ist. Tief zieht er ihn in seine Lungen und kann ihn selbst auf der Zunge schmecken.
Seit frühester Kindheit ist ihm der Geruch ebenso vertraut, wie der eigene. Und nun scheint er ihm direkt in seinen Leib zu fahren. Er strömt als Prickeln durch seine Glieder, bringt sein Blut in Wallung und gleichzeitig verbreitet es eine angenehme Schwere, die es nicht zulässt, dass er sich auch nur einen Zoll von Fíli entfernen möchte.
Eine leichte Berührung an seinem Scheitel lässt Kíli aufblicken. Zufrieden lächelnd blickt er zu seinem Bruder auf.
„Du wirst langsam schwer, kleiner Bruder!“, murmelt er entschuldigend, obwohl es ihm leid tut, dieses Gefühl der Zweisamkeit zu beenden.
Ohne weitere Umstände lässt sich Kíli zur Seite gleiten. Noch den Schenkel über Fílis Beine gelegt sowie den Arm um dessen Brust geschlungen, schmiegt er sich sofort wieder an die warme Haut.
„Ich muss demnächst unbedingt mit Mutter sprechen“, beginnt Fíli zu sprechen, der auf das entspannte Gesicht seines Bruders hinabblickt.
Verständnislos blickt Kíli auf. „Warum?“, fragt er und sofort geht er die Liste von Verfehlungen durch, die Dís interessieren könnten – und eine steht an erster Stelle. „Du willst ihr …?“
Das leise Lachen Fílis unterbricht das Stottern des Jüngeren. „Nein, selbstverständlich nicht!“ Überlegend zieht er die Stirn kraus. „Oder eher: Jetzt noch nicht! Aber irgendwann werden wir es ihr sagen müssen. Besser so, als dass sie es selbst herausfindet.“ Seine Finger malen Linien und Kreise auf Kílis Arm bis zur Schulter hinauf und entlocken diesem einen Laut, der dem eines Schnurrens nicht unähnlich ist. „Ich will sie fragen, ob aus dir mal ein Kater werden sollte.“
Augenblicklich ruckt Kílis Kopf hoch. „Warum? Wie kommst du denn darauf?“
Fíli muss über den erstaunten Blick seines Bruders wieder lachen. „Ich habe dich noch nie so … wie soll ich sagen?“, anscheinend sucht Fíli nach den richtigen Worten. „So ... anschmiegsam erlebt, wie eine Katze. Und sogar Schnurren kannst du“, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.
„Ach, hattest du heute Kichererbsen zum Frühstück serviert bekommen?“ Leicht verärgert blickt Kíli seinen Bruder an, jedoch verfliegt der Ärger sofort, als er dessen lachendes Gesicht sieht.
Als geringe Wiedergutmachung für den Scherz lässt er seine Finger über Fílis Seite gleiten. Er weiß, wie empfindlich und auch kitzlig er an manchen Stellen ist und wird auch nicht enttäuscht. Fast augenblicklich springt er aus dem Bett und funkelt seinen Bruder nun seinerseits verärgert an. „Lass das! Du weißt, dass ich das nicht mag!“, faucht er ihn an.
Kíli kann das Lachen kaum unterdrücken, ja krümmt sich schon fast vor Lachen. „Oh, du kannst noch immer so schnell springen, wie ...“ Er stockt unwillkürlich. Sein Blick ist auf das Laken gerichtet, auf die Stelle, auf der Fíli noch vor wenigen Augenblicken gelegen hatte. Fast entsetzt blickt er zu seinem Bruder hin, der unbekleidet nur wenige Schritte entfernt steht.
„Was ist das?“ Kíli deutet auf einen Fleck, der auf dem hellen Stoff des Lakens kaum auszumachen ist. Und doch ist dort etwas zu sehen, was sich als dunkler dünner Faden in der milchigen Flüssigkeit abhebt. „Blut?“, fragt er ihn schließlich.
Obwohl er weiß, was sich auf dem Laken abzeichnet, ist Fíli näher getreten, wirft nur einen kurzen Blick auf das Laken und rümpft die gerade Nase. „Es ist nichts!“, sagt er und zuckt mit einer Schulter. „Kann geschehen!“
Sofort ist Kíli aus dem Bett gesprungen, steht nun vor seinem Bruder. Die Arme hat er erhoben, als würde er Fíli umarmen und ihn vielleicht sogar trösten wollen, jedoch scheint ihn die Möglichkeit davon abzuhalten, ihm noch einmal Schmerzen zuzufügen.
Fíli macht einen Schritt auf den Dunkelhaarigen zu und nimmt dessen Gesicht in beide Hände. Fest blickt er ihm in die dunklen Augen. „Es ist nichts! So etwas kann geschehen!“, versichert er ihm mit fast schon harter Stimme. Doch er sieht, dass er den Zweifel in Kílis Augen nicht vertreiben kann.
„Du hast geblutet. Du hattest Schmerzen!“, wendet er auch sofort ein.
Am liebsten würde Fíli den Jüngeren schütteln. Er kann geradezu sehen, wie es hinter seiner hübschen Stirn arbeitet. Und er kann sicher sein, dass die Gedanken, die sich Kíli macht, ihm nicht gefallen werden.
„Kíli!“, beginnt Fíli mit ernster Stimme, die Hände noch immer an dessen Gesicht, blickt er ihm eindringlich in die Augen. „Kíli, höre auf, dir darüber Gedanken zu machen! Ich habe es ebenso gewollt wie du! Wenn jemandem die Schuld zugesprochen werden sollte, dann doch wohl mir! Denn ich hätte es verhindern können. Aber ich wollte es nicht.“ Langsam scheinen die Worte zu Kíli durch zu dringen und doch ist noch immer eine gewisse Unsicherheit in seinen Augen zu finden.
Fili kann es sehen, spürt es in der Anspannung im Körper des Anderen. Es ist, als hätte Kíli eine unsichtbare Mauer um sich errichtet. Aber zu wessen Schutz? Für sich selbst oder für ihn, Fíli? Er weiß es nicht.
Das Einzige, dessen er sich bewusst ist, dass er seinen Bruder aus diesem Strudel aus widerstreitenden Gefühlen sowie unsinnigen Gedanken und Ängsten, in den er sich selbst hineingebracht hatte, heraus holen muss. Und das versucht er auf die für ihn einfachste Art und Weise, um seinem Gegenüber sein Wohlergehen zu beweisen: Er zieht ihn in einen Kuss, mit dem er hofft, alle Zweifel ausräumen zu können.
Fíli kann spüren, wie sich Kíli zum Beginn noch gegen die Berührung innerlich sträubt. Seine Lippen sind fest sowie Schultern und Nacken unter seinen Fingern verspannt und steif. Doch nach wenigen Augenblicken kann er fühlen, wie sich der jüngere Zwerg in den Kuss sinken lässt. Er schlingt die Arme um Fíli, zieht ihn an sich. Seine Finger streichen nach kurzer Zeit fast gierig über die festen Muskelstränge auf Fílis Rücken.
Schließlich löst sich Kíli aus den Armen des anderen. Er weiß, dass er zu viel in diesen einen kleinen Faden hellen Blutes hinein gedacht hat und doch kann er nicht gegen dieses spontane Gefühl des Entsetzens ankommen. Es verunsichert ihn wesentlich mehr, als es eine heftig blutende Wunde gekonnt hätte.
„Ich werde daran nicht sterben!“, hört er seinen Bruder sagen, in dessen Stimme wieder das leise Lachen mitklingt.
Kíli weiß, dass dies nicht geschehen wird und doch ist da dieser kleine Zweifel, ob er ihm beim nächsten Mal nicht wieder Schmerzen bereiten könnte.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtet er, dass Fíli sich ankleidet. „Wo willst du hin?“, fragt er und merkt selbst, wie falsch sich die Worte anhören. Und dabei wollte er doch wirklich nur das Warum wissen! Innerlich stöhnt er. Denkt Fíli jetzt, dass er ihn kontrollieren will?
Der Blonde hält in seinen Bewegungen inne und blickt erstaunt Kíli an. „Abort“, sagt er nur in einem Ton, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt und würde sämtliche Fragen beantworten. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Du könntest uns einen Krug vom Roten aus dem Bergkeller holen. Es sei denn, du willst mich begleiten!“ Dabei lässt er kurz die Fingerspitzen über den flachen Bauch seines Bruders gleiten.
Kurz zuckt Kíli unter dem Gefühl der kühlen Finger zusammen und neigt sich dann vor, um das kleine Grübchen in Fílis Wange mit den Lippen zu berühren. „Ich liebe dein Lachen!“, murmelt er an dessen Haut. „Und, ja, ich gehe in den Keller!“
Als Kíli zurück kehrt muss er feststellen, dass sein Bruder bereits eingeschlafen ist. Es hat doch wesentlich länger gedauert, den Kellermeister zu finden, als angenommen. Und so stellt er den Weinkrug zu dem Korb, den Fíli auf den Tisch gestellt hat.
Eilig entledigt er sich seiner Tunika und schlüpft zu seinem Bruder unter die Decke. Dieser murrt nur leise, als sich kühle Haut an seinen warmen Rücken schmiegt und sich Arme um ihn schlingen.
Kíli vergräbt die Nase in Fílis Haar. Der warme Duft umfängt ihn und endlich auch die Müdigkeit. Eine angenehme Schwere macht sich in seinen Gliedern breit und lässt ihn langsam im Schlaf davon driften.
Fíli ist frustriert.
Anders würde er es nicht beschreiben können, wie es gerade in ihm aussieht. Seit ganzen drei Tagen hockt er nun schon in der Bibliothek und schreibt die alten Schriftrollen, welche ihm von Balin übergeben worden sind, ab. Dabei handelt es sich ausschließlich um alte Gesetzestexte, deren Rechtsgültigkeit heutzutage mehr als fraglich ist. Auf irgendwelchen verschlungenen Wegen sind sie aus den tiefen Höhlen von Moria in Thorins Hallen gelangt, nur um wahrscheinlich zum ersten Mal seit Jahrhunderten von Zwergenhänden entrollt zu werden.
Jedoch scheint jede einzelne dieser Rollen so schlecht erhalten zu sein, dass er eher das Gefühl hat, er würde Ori als Kopist Konkurrenz machen können, als sich seiner eigenen Arbeit zu widmen. Sie wirken, als würden sie bei der leichtesten Berührung zerfallen wollen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich seine Arbeit.
„Nur, was ein Zwerg mit eigenen Händen berührt hat, wird ihm auf ewig im Gedächtnis bleiben!“, hatte ihm Balin am ersten Tag erklärt und Papier und Feder zurechtgeschoben, während Thorin neben dem weißhaarigen Zwerg stand und bestätigend nickte.
„Und Nichts hilft besser beim Lernen, als diese Texte abzuschreiben!“, hatte er noch in seiner brummigen Art hinzugefügt.
Leise und gleichmäßig kratzen die Federn der Schreiber über Pergament. Papier raschelt und wispert, wenn es bewegt wird. Insgesamt sehr ermüdende Geräusche, welche nur hin und wieder von einem Seufzer sowie dem Rascheln und Scharren unterbrochen werden, wenn sich die Zwerge bewegen.
Des Öfteren hat Fíli schon gedacht, dass in dieser Stille selbst das Herabfallen einer Feder wie die Erschütterung der Welt erklingen müsste. Welche verheerende Auswirkung hätte dann ein lauter Nieser? Bestimmt wären umgekippte Tintenfässchen, verrutsche Buchstaben und überlange Federstriche die Folge. Eventuell müsste auch die eine oder andere Seite deswegen von Neuem geschrieben werden. Also insgesamt sehr unbefriedigende Folgen. Selbst die Gesichter der aufgebrachten Zwerge über die Kleinigkeit eines zu laut zugeschlagenen Buches würden die langwierige Arbeit, welche einem solch geringen Spaß unweigerlich folgen würden, nicht rechtfertigen.
'Wie lang hocke ich schon wieder hier?', fragt sich der junge Zwerg und streicht sich müde eine Strähne aus der Stirn. 'Ist doch alles zwecklos! Was Balin verlangt, werde ich niemals in meinem Leben schaffen!' Unwillkürlich wandert sein Blick zu den hohen Fenstern. Das hereinfallende Licht zeugt davon, dass die Sonne den Zenit bereits überschritten hat. Wie schön und angenehm muss es sein, sie jetzt spüren zu können? Mit ihren Strahlen würde sie das Gefühl der Verzweiflung aus seinem Herzen brennen und es mit Zufriedenheit füllen. Wärme würde sie durch seinen Körper strömen lassen und der kühle Wind wäre … wie ein Atemhauch, der über seine Haut streicht.
Ein Schauer rinnt über Fílis Rücken, ruft Erinnerungen von einer Nacht hervor, die wie aus einem anderen Leben zu sein scheint. Wie ein Traum ist sie ihm im Gedächtnis verblieben und nach drei Tagen erinnert nichts mehr daran, was geschehen ist. Die Laken sind inzwischen gewechselt und somit das Zeugnis ihres Tuns beseitigt. Trotzdem kann er noch das Gefühl der Befriedigung in sich nachspüren und das Sehnen danach erfüllt ihn von Neuem. Hitze durchströmt ihn, raubt ihm den Atem und somit auch die Möglichkeit, sich weiterhin auf seine Arbeit konzentrieren zu können.
Verärgert über die eigene Unfähigkeit, sich gedanklich von seinen Gefühlen trennen zu können, wirft Fíli die Feder auf das Pult, wo sie mit einem unbefriedigend leisen Wispern nieder fällt. Dass sie dabei Tintenflecke auf dem dicht beschriebenen Papier hinterlässt, interessiert ihn nicht. Verzweifelt vergräbt er das Gesicht in den Händen.
'Wohin soll das nur führen?', fragt er sich zum wiederholten Mal. Nur ein Gespräch mit Kíli kann ihm Gewissheit verschaffen, wohin es ihn oder auch sie beide bringen wird. Aber alle Welt scheint, ihn von seinem Bruder fernhalten zu wollen!
Seit jener Nacht hat er keine einzige Gelegenheit gefunden, mit ihm zu sprechen. Wenn er abends die gemeinsame Kammer betrat, schlief Kíli bereits, oder es ergab sich, dass ihm selbst die Augen frühzeitig zufielen. Und am Morgen war die Situation ähnlich: Der eine kam bereits seinen Pflichten nach, während der andere noch schlief.
Insgesamt sind die vergangenen Tage für den jungen Zwerg sehr nervenaufreibend gewesen, weil er das Gefühl hatte, in allen Belangen seines Lebens auf der Stelle zu treten. Dass er von Balin eine solch langwierige und zudem eintönige Arbeit aufgehalst bekommen hatte, hat ihm in keinster Weise geholfen, sich zumindest etwas von den Erinnerungen abzulenken.
Die Zeit scheint vor den bleiverglasten Fenstern wie im Wirbelsturm vorbei zu fliegen, während sie in der großen Bibliothek leise dahin tröpfelt. Nur in den Augenblicken, in denen Fílis Gedanken zu Kíli abschweifen, jagt sie voran. Wenn er dann am Abend auf sein Tagwerk blickt, muss er feststellen, wie wenig er geschaffen hat.
Auf Oris mitfühlenden Worte „Mit der Zeit wird es besser!“ hat er nur die Lippen zusammen gepresst, weil er befürchtete, eine unfreundliche Bemerkung könnte ihnen entschlüpfen. Aber das hätte der Zwerg nicht verdient, dessen ganzes Wesen nichts anderes als Freundlichkeit zu kennen scheint. Woher hätte er auch wissen können, dass der blonde Zwerg nicht nur mit den Schreibarbeiten zu kämpfen hat?
Die gesamte Situation bringt Fíli geradezu zur Verzweiflung: In der einen Angelegenheit muss und will er eine Klärung so sehr herbei führen, dass er kaum in der Lage ist, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Und mit anderen Dingen muss er sich herum schlagen, an die er in keinster Weise einen Gedanken verschwenden will!
„Geht es dir nicht gut?“ Die leise und besorgt klingende Stimme Oris lässt Fíli erschrocken aufblicken.
„Ja, doch“, stottert Fíli im ersten Moment, bevor er sich fassen kann. „Ich bin wohl nur diese Tätigkeit nicht gewohnt.“
Ori wirft einen Blick auf das Schreibpult. Die Tintenflecken werden ihm nicht verborgen geblieben sein, trotzdem geht er darauf nicht ein. Mitfühlend legt er stattdessen Fíli nur die Hand auf die Schulter. „Mach eine Pause und du wirst sehen, danach wird dir die Arbeit leichter fallen.“
Warm berührt die Sonne das Gesicht, gerade in einer Intensität, wie Fíli es sich vorgestellt hat.
Eine leichte Brise streicht kühl über die von der Sonne erwärmten Haut und erinnert ihn an eine sanfte Berührung.
Noch vor wenigen Minuten hat er davon mit offenen Augen geträumt, sich vorgestellt, wie es sich anfühlen könnte und nun steht er vor dem Tor und hebt das Gesicht der Wärme entgegen. Fast ist es ihm zum Ritual geworden, die Sonne in dieser Art zu begrüßen.
„Wie kann ein Zwerg es nur verkraften, ständig in der Dunkelheit zu hocken?“, murmelt er und muss unwillkürlich an die vielen Zwerge denken, die tief in den Bergen nach kostbaren Steinen und Metallen graben. Er selbst kennt einige Bergarbeiter, die sich dessen rühmen, seit zwei oder gar fünf ganzen Jahren die Höhlen der Ered Luin nicht verlassen zu haben. Auch Ori scheint zu den vielen Zwergen zu gehören, die sich lieber in den Schatten jenseits der Sonne aufhalten. Bestimmt wird er sich bereits wieder den Büchern und Schriftrollen zugewandt haben, die augenscheinlich sein momentaner Lebensinhalt bedeuten.
'Oder bin ich aus der Art geschlagen, weil ich das Licht ebenso benötige wie die Dunkelheit?' Kurz zuckt Fíli mit der Schulter. 'Was soll's?', sagt er sich. 'Es ist ja nicht das Einzige, was mich von anderen Zwergen unterscheidet.'
Stimmen werden laut und reißen Fíli aus seine Gedanken. In dem Augenblick kommt eine Gruppe junger Zwerge hinter dem Stallgebäude hervor, ihnen folgt Dwalin, welcher sie mit harschen Worten zur Eile antreibt.
Der blonde Zwerg versucht, ein Schmunzeln zu unterdrücken, als die seltsame Gruppe sich nähert: Jeder der Jungs ist in ein schweres Koller gekleidet, dessen steife Schürze bis zu den Knien reicht. Zudem ist jeder Einzelne von ihnen mit einer schweren Streitaxt sowie Sperr und Schwert beladen. Insgesamt selbst für geübte Krieger wie Dwalin unhandliche Gegenstände, wenn man versucht, sie im Bündel ohne Gehänge zu tragen. Um so mehr haben die Jungs damit zu kämpfen, dass ihnen nichts den Händen entgleitet. Dwalin treibt sie voran und trägt außer einem zufriedenen Gesichtsausdruck nichts weiter in den Händen.
Grüßend nickt er Fíli zu. „Hat es dich von den Schreibfedern und dem staubigen Papier fortgetrieben?“
„Glaub mir“, antwortet Fíli voller Inbrunst, „ich würde mich sehr viel lieber im Staub des Platzes wälzen und mir blaue Flecken von dir einhandeln, als noch eine weitere Stunde in der Bibliothek verbringen zu müssen!“
Dwalin lacht nur gutmütig auf und zuckt kurz mit den Schultern, als würde ihn das Thema nicht interessieren. „Ich habe vollstes Verständnis für dich. Auch ich kann Büchern nicht sehr viel abgewinnen, außer, dass man sie gut zum Feuer entfachen nutzen kann. Aber du bist der Erbe Thorins und das bringt nun mal einige äußerst unangenehme Pflichten mit sich.“
„Ja, ich weiß!“, seufzt Fíli. „Aber sehr hilfreich ist solche Gewissheit nicht, wenn man dort drin sitzt.“ Mit einer Kopfbewegung deutet er auf das Tor, das den Zugang zu Thorins Hallen darstellt.
Beunruhigt blickt Dwalin der kleinen Zwergengruppe hinterher, welche sich gerade scheppernd und polternd durch dieses zwängt. „Entschuldige, Fíli. Die Jungs versuchen gerade, die Waffen mit Gewalt zu verbiegen. Das ist etwas, was sie bisher noch nicht geschafft haben und außerhalb des Platzes sollen sie damit auch nicht beginnen.“ Eilig wendet er sich gerade zum Gehen, als ihm noch etwas in den Sinn kommt und er in der Bewegung kurz verharrt. „Wenn du etwas anderes machen willst, als nur schreiben und lesen, dann steht dir der Platz zur Verfügung. Dein Bruder ist noch dort und ich denke, dass ein kleines Kräftemessen unter Brüdern euch beiden helfen kann.“
Fíli spürt, wie ihm die Röte ins Gesicht schießt. Doch hat sich Dwalin bereits endgültig den Zwerglingen zugewandt.
Fíli nimmt die Abkürzung durch den Ponystall, in dessen Stille seine Schritte hohl und gedämpft klingen. Da das Volk der Zwerge keines von Reitern ist, sind viele der Boxen leer. Vorwiegend im vorderen Bereich, welcher den Hallen am nächsten gelegen ist, stehen die meisten Tiere, welche den Kurieren und auch Kriegern zur Verfügung stehen. Neugierig wenden die zotteligen Ponys ihre Köpfe und manche geben ein enttäuschtes Schnauben von sich, als der blonde Zwerg vorbei eilt, ohne ihnen einen Apfel oder Möhren hinzureichen.
Eine irrationale Vorfreude hat sich in Fílis Bauch ausgebreitet. Noch vor kurzem hat er sich gewünscht, endlich mit Kíli sprechen zu können und nun hat sich so ganz aus heiterem Himmel eine solch günstige Gelegenheit ergeben! Dwalins Vorschlag, mit seinem Bruder das Schwert zu kreuzen hat etwas für sich.
Unwillkürlich muss er grinsen. Welch zweideutigen Worte er mit dem Krieger gewechselt hat, ohne, dass es diesem bewusst war! Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist groß und doch würde er um Nichts in dieser Welt dieses Gefühl eintauschen wollen. Zu berauschend ist es, hat einen bittersüßen Beigeschmack und lässt die Haut kribbeln wie von tausenden Ameisen.
Sein Schritt hat sich beschleunigt, ebenso wie der Schlag seines Herzens, welches ihm die Brust zu sprengen scheint. Hitze breitet sich in ihm aus – oder ist es nur, weil er es eilig hat, Kíli von den Geschehnissen zu berichten?
Gerade will Fíli die hintere Stalltür aufstoßen, als er heftig zur Seite gerissen wird. Hart prallt er mit der Schulter gegen die Bretterwand und wird im nächsten Moment von einem kräftigen Arm gegen diese gedrückt. Das feste Leder eines Kollers presst sich gegen seinen Leib, während sich eine Hand in seinen Schritt schiebt. Geradezu gierig wird sein Fleisch gestreichelt und gereizt. Selbst durch die Stofflagen seiner Beinkleider und des Untergewandes kann er die Hitze spüren, die sich scheinbar ungehindert ausbreitet.
Harte Lippen legen sich an seinen Hals und ziehen eine feuchte Spur zu seinem Mund hinauf, wo sie kurz verharren. „Du ahnst nicht, wie sehr ich dich vermisst habe!“, hört Fíli den Bruder grollen, bevor er ihn erobert.
Heftig drückt der Blonde gegen die Brust Kílis. „Was soll schon wieder dieser Angriff?“, faucht er den jüngeren an, als dieser sich schließlich zurücknimmt. „Muss ich nun darauf achten, dass du mich nicht aus irgendwelchen dunklen Ecken anspringst?“
Betreten lässt Kíli die Arme sinken, mit denen er den anderen noch immer an der Wand gehalten hat und blickt ihn aus dunklen Augen an. “Entschuldige“, murmelt er schließlich betreten. „Ich habe nicht darüber nachgedacht, sondern nur diese abgrundtiefe Sehnsucht danach verspürt, dich wieder fühlen zu dürfen.“
Fílis Fingerspitzen berühren die Lippen des jüngeren. „Denkst du, dass es mir anders ergehen würde? Keineswegs!“, antwortet er mit einem traurig wirkendem Lächeln. „Ich bin kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, weil du ständig in meinem Hirn herum spukst!“
Leise lacht Kíli. „Einer der Zwerglinge hätte mich heute fast um den Kopf gebracht, weil ich mal wieder an dich dachte. Daraufhin hätte mir Dwalin am liebsten eigenhändig das Hirn ausgeprügelt.“
„Ah, Dwalin“, macht der Blonde. „Er denkt wohl, du wärst nicht ausgelastet und hat mir vorgeschlagen, dass wir unsere Kräfte messen sollen.“
„Hat er auch gesagt, in welcher Disziplin?“, fragt Kíli, dem das schelmische Grinsen seines Bruders nicht entgangen ist.
Dieser schüttelt den Kopf. „Nein, hat er nicht. Dann wäre wohl die Wahl der Waffen uns überlassen.“
Kíli lehnt sich vor. Fast berühren seine Lippen, die des anderen. „Da du wohl von Ori zurück erwartest wirst, würde ich vorschlagen, dass wir den Waffengang auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und stattdessen die Zeit nutzen, um die Schwerter zu schärfen.“
Laut keucht Fíli auf, als sich die heiße Hand wieder in seinen Schritt legt. „Dein Vorschlag hat etwas für sich“, flüstert er gegen Kílis Haut. „Tatsächlich muss ich wieder zurück ...“
„Thorin!“, tönt Dwalins raue Stimme durch die Halle, kaum dass er die schwere Tür aufgestoßen hat und mit gewohnt energischem Schritt auf den König zukommt. „Ich muss mit dir reden!“
Erstaunt blickt der Schwarzhaarige von den Papieren auf und deutet auf den Stuhl, welcher neben dem Tisch steht. Doch der Krieger schüttelt kurz den Kopf, deutet stattdessen auf die hohen schmalen Fenster, durch welche der Sonnenschein gleißende Lichtspeere wirft. „Lass uns hinaus auf den Wehrgang gehen“, erklärt er in seiner brummigen Art. „Ich weiß sowieso nicht, wie du den ganzen Tag hier drin hocken kannst. Bei Ori kann ich es verstehen, denn schließlich könnte Sonne die Tinte ausbleichen und Regentropfen sie verlaufen lassen. Aber bei dir ... hätte ich es mir nie vorstellen können!“, mitleidig schüttelt er ein weiteres Mal den Kopf.
„Ich mir ebenso wenig“, stimmt Thorin zu und erhebt sich vom Stuhl. „Dain sitzt mir im Nacken und die Händlergilde versucht mich übers Ohr zu hauen.“ Kurz dehnt er sich und Dwalin glaubt, die Gelenke knacken zu hören, doch wird es hoffentlich nur das Holz im Kamin gewesen sein, an welchem die Feuerzungen gierig lecken.
Nur Minuten später stehen sie auf dem Wehrgang, welcher kaum mehr als eine ausgebaute Mauerkrone über dem großen Tor zu Thorins Hallen ist, jedoch bei Gefahr schnell zu besetzen ist. Doch glücklicherweise war dies bisher noch nicht notwendig gewesen, denn Horden von Orks sind hier nur vereinzelt gesichtet worden und dann in solch geringer Größe, dass sie es nicht wagten, die Zwergenfestung anzugreifen. Auch auf das vorgelagerte Dorf, welches vor wenigen Jahren nicht mehr als eine kleine Handelsniederlassung der Menschen war, war bisher von solcherart Übergriffen verschont geblieben.
Kurz lässt Thorin den Blick über den Platz vor dem Tor schweifen, ebenso über das Stallgebäude und das angrenzende umzäunte Gelände.
„Was willst du mit mir besprechen?“, beginnt er schließlich und wendet sich Dwalin zu. Dieser hat die Hände auf die steinerne Brüstung gelegt und scheint nicht nur mit den Augen der Straße zu folgen, die nicht mehr als ein ausgefahrener Sandweg ist und sich von diesem Ort aus hinab durch das kleine Dorf und den dichten Wald dahinter schlängelt. Immer weiter ...
Geradezu schuldbewusst wirkt Dwalins Blick, als er den Kopf seinem Freund zuwendet. Nur kurz, dann blickt er wieder auf die Umgebung hinaus.
„Entbinde mich von meiner Pflicht“, fordert der Krieger nach weiteren Momenten der Stille mit leiser Stimme. „Nur weil mein Bruder ein geborener Lehrmeister ist, muss es nicht auch in meinem Blut stecken. Ich bin nicht dafür geschaffen, mich tagein und tagaus mit kichernden Knäblein abzugeben, die nach einer ganzen Woche noch nicht wissen, wo das spitze Ende des Schwerts ist.“
Thorin folgt Dwalins sehnsuchtsvollem Blick. Fast hat er den Eindruck, dass dieser lieber heute als morgen seine Sachen packen und hinaus auf die staubige Straße stürmen würde. „Du hast immer gute Arbeit geleistet“, hält Thorin schließlich gegen Dwalins Worte. „Nicht umsonst sendet selbst Dain uns diese Knäbchen, um aus ihnen schlagkräftige Kämpfer zu machen.“
„Ha!“, macht Dwalin mit rauer Stimme, wendet sich nun Thorin zu und lehnt mit dem Rücken gegen die Steinbrüstung. „Wargfutter sind sie, nicht mehr! Auch wenn sie es schaffen sollten, einen Orkangriff zu überstehen, so kann ich sie trotzdem nicht mit ruhigem Gewissen in solch einen Kampf ziehen lassen, wie wir ihn in Azanulbizar erleben mussten.“
„Du wärst ein schlechter Lehrer, wenn du dir um deine Schüler keine Gedanken machen solltest!“, antwortet Thorin mit ehrlicher Sorge. „Jedoch bist nicht du es, der sie in den Krieg entsendet, sondern jeder einzelne selbst. Du weißt genauso gut wie ich, dass man keinen Zwerg in eine Auseinandersetzung jagen kann, der es nicht will - und ebenso wenig kann man ihn davon zurückhalten.“ Aus einem Impuls heraus legt er dem hochgewachsenen Krieger eine Hand in den Nacken, zieht ihn zu sich heran, bis er die Stirn des anderen an seiner spürt. „Wenn es dein Wunsch ist, entbinde ich dich aus deiner Pflicht dem Clan gegenüber“, flüstert er, „doch nicht mir und meiner Familie gegenüber.“
Wie zur Bestätigung schließt Dwalin die Augen und löst sich dann aus Thorins Griff. „Ich habe nichts Anderes von dir erwartet“, bestätigt der Krieger. „Denn schließlich bin ich daran Schuld, dass dein Vater ...“ Ein heftiger Schmerz am Arm hält ihn von weiteren Worten ab.
„Ich will nichts dazu von dir hören!“ Eindringlich blickt Thorin Dwalin an und zieht schließlich seine Hand zurück, mit der er ihn hart am Arm ergriffen hatte. „Doch will ich dir Eines sagen: Ja, du hast deine geschworene Pflicht gegenüber dem Hause Durins vernachlässigt, denn schließlich warst du Angehöriger der Wache Thrains und hast ihn nicht beschützen können. Es waren jedoch die Umstände seines Verschwindens, die dir die Erfüllung deiner Aufgabe geradezu unmöglich gemacht haben. Nur allein aufgrund der Spuren konntet ihr feststellen, dass es eine geplante Entführung war und ihr wohl betäubt worden ward. Nun mag dir manch Heuchler noch heute vorwerfen, dass Orks nur selten Gefangene machen und dass es noch unwahrscheinlicher wäre, dass sie Gift verwenden, anstatt einfach zum Dolch zu greifen. Aber ich vertrete die Meinung, dass ich, als Sohn Thrains, der Einzige bin, der solche Anschuldigungen vorbringen darf. Das werde ich jedoch nicht und werde es nie, denn ich sehe, wie sehr du nach all den Jahren darunter leidest und warum soll ich noch mehr Salz in eine offene Wunde streuen?“
Wieder ist Dwalins Blick in die Ferne gewandert, als würde er den besorgten und fragenden Augen Thorins ausweichen wollen. „Ich stehe tief in deiner Schuld. Das weißt du, Thorin!“ Wieder spricht er mit leiser Stimme und gleichzeitig scheint sie zu vibrieren, als wäre sie übervoll an Gefühlen. „Glaub mir! Ich mache mir schon ausreichend Vorwürfe, so dass es für mehr als ein Leben reichen könnte.“ Ein schweres Seufzen entringt sich seiner Brust und er fährt sich in einer müden Geste über die Stirn. „Ich fühle mich nicht mehr in der Lage, Kinder für einen Krieg auszubilden und gleichzeitig zu wissen, dass es nicht mehr als einen feigen Hinterhalt bedarf, um deren Leben zu beenden.“
„Im Stillen hatte ich die Hoffnung ...“, beginnt Thorin, verstummt dann jedoch. In einer unwirschen Bewegung schüttelt er den Kopf, als würde er sich von Gedanken befreien, sie von sich abgleiten lassen wie einen schweren Mantel. „Was sagt Balin dazu?“, fragt er schließlich.
„Er befürwortet meine Entscheidung, meint, dass ein Ortswechsel mir guttun würde“, antwortet Dwalin mit einem leichten Schulterzucken. „Was von auf-andere-Gedanken-kommen hat er noch gefaselt.“
„Und Ori?“, hakt der König nach und zieht erstaunt eine Augenbraue hoch, als vom anderen nur ein dunkles Brummen zu hören ist.
„Ich hab mit ihm noch nicht gesprochen“, erklärt Dwalin schlussendlich, noch immer abwehrend grummelnd. „Ich wollte erst alles andere geklärt haben.“
Unwillkürlich zuckt es um Thorins Lippen. „Du hast Angst vor ihm“, sagt er ihm auf den Kopf zu und erhält daraufhin einen bitterbösen Blick.
„Das geht dich absolut nichts an, Thorin!“, antwortet Dwalin mit gekränkter Stimme.
„Das geht mich sehr wohl etwas an“, gibt ihm der König bescheid. „Schließlich ist auch er ein guter Freund meiner Familie und zudem ein wichtiges Mitglied meines Hauses.“
„Er ist aber mein Gefährte!“ Mit verschränkten Armen baut sich Dwalin vor Thorin auf und blickt ihn herausfordernd an. „Daher ist es mir selbst überlassen, wann ich es ihm sage!“
Der Schwarzhaarige winkt nur kurz ab. „Es ist dein Haussegen, der schief hängt, wenn Ori von deiner Entscheidung als letzter erfahren sollte. Schließlich wird er es sein, der hier hockt und dazu verdonnert ist, nicht mitgehen zu können - egal, wohin auch immer!“
„Was ihn betrifft, lass meine Sorge sein“, erklärt Dwalin. „Ich bin sicher, dass er mich verstehen wird.“
Über diese Sturköpfigkeit und Sicht der eigenen Dinge kann Thorin nur leicht den Kopf schütteln und zuckt schlussendlich mit den Schultern. Es hat doch keinen Sinn, dem hochgewachsenen Zwerg in persönliche Belange dreinreden zu wollen. Trotzdem wurmt es ihn sehr, dass der junge Zwerg durch Dwalins Handeln verletzt werden könnte, doch kann und will er sich nicht in diese Angelegenheit einmischen. Schließlich sind es erwachsene Männer, auch wenn Ori neben Dwalin immer wie ein Hänfling aussehen wird.
Thorin wendet sich wieder um, lässt den Blick ein weiteres Mal über die Umgebung schweifen. „Ich muss mit Balin sprechen. Wenn er meinem Gedanken zustimmen sollte, könnte ich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen“, murmelt er nachdenklich und zwinkert Dwalin gleich darauf kurz zu. „Und du wirst eine davon sein.“
Dieser verdreht über den Scherz die Augen, lehnt sich dann wieder gegen die Brüstung. „Wie machen sich eigentlich Fíli und Kíli?“, wird er im nächsten Moment gefragt und folgt Thorins Blick auf den Platz hinab. Dort stehen die Brüder und scheinen sich zu unterhalten.
Dwalin zuckt mit einer Schulter. „Gut machen sie sich, wie es sich für deine Erben gehört!“, murmelt er. Die dichten Augenbrauen zusammengezogen beobachtet er die Zwerge. „Fílis Umgang mit den Waffen kann man nicht anders als perfekt bezeichnen. Egal, ob du ihm ein Schwert, eine Lanze oder eine mehrschneidige Axt in die Hand drückst - er kommt mit allem zurecht, ohne sich selbst ein Ohr oder die Nase abzusäbeln.“ Überlegend reibt er sich das bärtige Kinn, bevor er weiterspricht. „Kíli ist ein anderes Kaliber. Seine Aktionen sind zu manchen Zeiten unüberlegt und erfolgen aus einem Impuls heraus, wodurch es geschehen kann, dass er sich selbst im Weg steht. Trotzdem überwiegen die Zeiten, in denen er ebenso rational reagiert wie sein Bruder. Du könntest sie aneinander binden und sie würden sich gegenseitig in jeder Bewegung perfekt ergänzen.“ In einer nachdenklichen Geste fährt er sich über den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich noch mit ihm machen soll, damit er in jeder Gelegenheit solche Leistungen bringt“, murmelt er schließlich, auf die beiden jungen Männer hinabblickend.
„Ich möchte ihn zu Dain entsenden“, antwortet Thorin. „Es wird Zeit, dass er das heimatliche Nest verlässt. Zudem bin ich der Meinung, dass es hilfreich für ihn ist, wenn er sieht, in welchen Verhältnissen die anderen Clans leben.“
Wie abwesend nickt Dwalin, während er sich weiter über die Brüstung beugt. Unzufrieden hat er die Augenbrauen zusammengezogen. „Sieh dir die beiden an! Sie hängen zusammen wie Pech und Schwefel!“ Auch Thorin lehnt sich weiter vor.
„Was hecken die beiden schon wieder aus?“, murmelt er und sieht gerade, wie Kíli seine Hand an den Mund hebt. Deutlich können die beiden Männer vom Wehrgang über ihnen sehen, dass gleich darauf seine Zunge über die Handfläche gleitet als wäre sie mit Honig benetzt.
Unzufrieden stöhnt Thorin. „Der Anblick beschert mir ein böses Bauchgrimmen, Dwalin. Irgendwas haben die beiden angestellt.“
„Da ist der Gedanke, dass du sie voneinander Trennen willst, äußerst angebracht“, murmelt Dwalin zustimmend. „Es wäre nur sehr hilfreich zu wissen, was sie verbrochen haben, um Schlimmeres zu verhindern.“
„Ja, das wäre es!“, nickt Thorin und wendet sich seinem Freund zu. Verschmitzt grinst er ihn an. „Deine letzte Amtshandlung wird sein, dass du es herausfindest!“
„Ich?“, fragt Dwalin gedehnt und voller Unglauben. Abwehrend hebt er die Hände. Doch in dem Moment werden Stimmen laut, welche durch die angelehnte Ausfalltür zu ihnen dringen. Gleich darauf wird diese aufgestoßen und Balin tritt zu ihnen hinaus. „Thorin, ich muss unbedingt mit dir reden!“, beginnt er und nimmt nur durch ein grüßendes Nicken zur Kenntnis, dass sein Bruder neben dem König steht. Aufregung hat die Wangen des weißhaarigen Zwergen rot gefärbt und lässt die Augen unwirklich glänzen. „Ori hat den Auftrag, das Buch deiner Linie zu kopieren und ist dabei auf einige Absätze gestoßen, die dich interessieren könnten.“
„Um was geht es denn?“, erkundigt sich Thorin und tatsächlich spürt er Neugierde auf etwas, was den alten Zwerg in eine solch aufgeregte und freudige Stimmung bringen kann.
Im Arbeitszimmer Thorins werden sie bereits von Ori erwartet, welcher auf dem Tisch ein dickes Buch abgelegt hat und sich in einer nervösen Geste durch das rotblonde Haar streicht.
„Balin sagt, dass du etwas von Interesse in dem Buch gefunden hättest?“, fragt Thorin im Nähertreten.
Ori nickt begeistert und schlägt den Folianten auf, dessen lederner Einband schwarz wie Ruß und rissig ist. „Ich habe es zuerst auf das Alter geschoben, weil es dann ab und an geschehen kann, dass manchmal vereinzelte Seiten aneinanderkleben. Doch dies hier ist mir bisher noch nie untergekommen!“, erklärt der Zwerg und verhält das Blättern an einer Stelle, an welcher mehrere Seiten einen festen Verbund zu bilden scheinen. Bevor Thorin etwas fragen kann, sagt er mit fester Stimme: „Sie sind mit Absicht zusammen geklebt worden!“
„Kann man sie voneinander lösen?“, erkundigt sich Dwalin und kommt damit Thorins Frage zuvor.
Zögernd nickt Ori. „Ja, ich denke schon“, murmelt er. „Ich habe es noch nicht versucht, weil ich erst eine Entscheidung Thorins abwarten wollte, bevor ich es wagen darf. Möglicherweise werde ich dessen Inhalt zerstören und es wird unlesbar. Und dies wollte ich nicht ohne entsprechende Mitteilung an euch machen!“
„Wenn diese Seiten mit Absicht zusammen geklebt wurden, könnten sie ein Geheimnis verbergen!“, sinniert Thorin.
„Wäre es da nicht einfacher gewesen, die Seiten einfach zu entfernen?“, wirft Dwalin ein und erhält daraufhin ein empörtes Schnauben von Ori. „Kein vernünftiger Bibliothekar wird ein oder zwei Seiten aus einem Buch entfernen, weil sich sonst dessen Bindung auflösen könnte. Da würde er eher das ganze Buch verbrennen, als nur einige wenige Seiten. Nein, nein, so wie die Seiten miteinander verleimt sind, könnte tatsächlich etwas Wichtiges zwischen ihnen verborgen sein, was nicht jeder lesen soll.“
Thorin beugt sich über das Buch, begutachtet den Schnitt der Seiten und blickt dann den jungen Ori an. „Ich wünsche, dass du versuchst, die Seiten voneinander zu lösen. Sollten sie dabei zerstört werden, so ist es Schicksal und lässt sich kaum vermeiden. Doch wäre es schön, wenn wir dieses kleine Rätsel lösen könnten“, fügt er mit einem Lächeln hinzu.
Hohl klingen Fílis Schritte, als er durch den langen Flur eilt, der selbst für Zwergenaugen nur unzureichend beleuchtet ist. Noch immer spuken ihm die Gedanken an Kíli durch den Kopf, das Geschehene der vergangenen Stunde. Nein, mehr Zeit wird inzwischen nicht verronnen sein! Und dann die wenigen Augenblicke unten vor dem Tor, als sich jeder seinen eigenen Pflichten wieder zuwenden musste.
Im Nachhinein weiß Fíli nicht mehr, was ihn dazu bewogen hat, seinen Bruder herausfordernd anzublicken. „Am Abend sehen wir uns!“, hatte er zu ihm gesagt, keine Frage, sondern eine Feststellung mit der Gewissheit, dass es wirklich so geschehen wird.
Dieser hatte ihn nur ernst angeblickt bevor ein schelmisches Lächeln um seine Lippen zuckte und er die Hand an seine Lippen hob. Eben jene Hand, mit der er noch kurz zuvor das Fleisch Fílis umschlossen, dieses massiert und gestreichelt hatte bis sich dessen Samen über sie ergoss. Lachend hatte der Dunkelhaarige sie danach im Stroh abgewischt, während Fíli noch immer atemlos gegen die Bretterwand lehnte.
Nun jedoch fuhr er mit der Zunge über die Handfläche bis zu den Fingerspitzen hinauf und löste währenddessen seinen Blick nicht von seinem Bruder. „Ich werde anwesend sein!“ hatte er mit rauer Stimme gemurmelt, „Und will dich schmecken, den Schweiß von deiner Haut lecken und dich winseln hören, weil du mehr willst!“
Zischend hatte Fíli die Luft durch die Zähne eingesogen, weil allein das Versprechen ihm das Blut wieder heiß durch den Körper trieb. Trotzdem versuchte er dem Bruder in gleicher Münze zu antworten, doch hatte dieser bereits das Tor zum Stall geöffnet und blickte breit grinsend zu ihm zurück, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.
Fíli benötigte einige Augenblicke, um das soeben Gesehene zu verdauen. Vorfreude auf den Abend hatte sich in seinen Eingeweiden ausgebreitet und dieses Gefühl lässt ihn nun zur Bibliothek zurückeilen und mit Schwung die Tür zur Bibliothek aufstoßen. Gleich darauf zuckt er zusammen, weil sie mit zu lautem Knall gegen die Wand schlägt. Mehrfaches Echo tönt dumpf durch den langen Flur und schallt durch die Halle, doch wird es von ungewohnten Geräuschen übertönt. Und dies in einer Lautstärke, welche jeden nach Ruhe und Stille strebenden Gelehrten zum Bersten gebracht hätte.
Mit überaus erstauntem Blick tritt der blonde Zwerg zu den Schreibern, welche in einer größeren Gruppe beieinander stehen, hört ihre aufgeregten Stimmen. Auf seine Frage, was denn geschehen sei, reden sogleich zwei Zwerge in einer ungewohnten Eile auf ihn ein, welche äußerst befremdlich für eine sonst so ruhige Umgebung ist.
Verständnislos zieht Fíli die Stirn kraus. „Ori hat etwas Außergewöhnliches entdeckt?“, hakt er nach und erhält gleich von mehreren Schreibern ein heftiges Kopfnicken zur Antwort.
„Ja, stell dir nur vor!“, berichtet ein weißhaariger Zwerg, der wohl schon seinen dreihundertsten Sommer gesehen haben mag, mit aufgeregter Stimme. Nun leuchten seine Augen wie im jugendlichen Überschwang sowie voller Begeisterung. Auch seine Bewegungen erinnern in keinster Weise an die stoische Ruhe eines Bibliothekars und Schreibers: „Er hat in dem dicken Wälzer einige Seiten gefunden, die zusammengeklebt waren!“
Fíli zieht nur eine Augenbraue hoch. Noch kann er dem Auslöser der allgemeinen Aufregung nicht die gleiche Begeisterung zuteil werden lassen, denn schließlich sind verklebte Seiten nichts außergewöhnliches - insbesondere wenn sein Bruder dieses Buch in den Fingern hatte. Ab und an kann es dann geschehen, dass Seiten im Nachhinein gefunden werden, die von Fettflecken umsäumt sind. Seltener jedoch sind einige von ihnen mit Honig oder süßem Sirup bekleckert und heften daher aneinander. Nur erscheint es Fíli doch sehr unwahrscheinlich, dass sich Kíli freiwillig in die Bibliothek der Ered Luin begeben und auch noch eines der in Leder gebundenen Folianten in die Hand genommen hat. Aber bekanntlich sollen ja immer wieder Wunder geschehen.
Doch über das aufgeregte Gehabe der Schreiber kann der blonde Zwerg im Moment nur den Kopf schütteln. Ja, wenn es eine Schatzkarte oder einfach nur Hinweise wären, wie man Smaug aus dem Einsamen Berg vertreiben könnte oder das Geheimnis der elbischen Schwertschmieden ... „Was war denn auf den Seiten zu lesen gewesen?“, fragt er denn auch mit einem leisen Hauch Hoffnung in der Stimme.
Ein unbestimmtes Schulterzucken erhält er zur Antwort, was der Begeisterung des angesprochenen Zwergs einen leichten Dämpfer verpasst. „Ori ist mit dem Buch zu Thorin. Noch ist über dessen Inhalt nichts bekannt!“
Wieder rutscht Fílis Augenbraue nach oben weil ihm gerade in den Sinn kommt, woran der rothaarige Zwerg in den vergangenen Tagen gearbeitet hatte. „In Durins Buch?“, fragt er, obwohl er die Antwort bereits erahnt und dies ihm aus unerfindlichen Gründen einen unangenehmen Schauer über den Rücken rinnen lässt.
„So ist es“, bestätigt dann auch der Alte und in einem Ton, als hätte er selbst die Entdeckung gemacht. „In der Chronik des Hauses Durin! Deswegen wollte Ori auch erst mit Herrn Thorin sprechen, bevor er die Seiten voneinander trennt.“
Zustimmend nickt Fíli. Ja, das ist eine verständliche Vorgehensweise. Doch warum beschleicht ihn ein Gefühl der Unruhe, je mehr er darüber nachdenkt? „Ich werde mal nachschauen, ob ich etwas in Erfahrung bringen kann“, sagt er nach kurzem Überlegen, was mit freudigem Murmeln der Zwerge begrüßt wird.
Bevor Fíli die Tür erreicht, wird diese bereits geöffnet. Balin tritt ein, gefolgt von Ori, der das in schwarzes Leder gebundene Buch in Händen hält.
Wo bis vor wenigen Augenblicken noch Aufregung herrschte, ist nun erwartungsvolle Stille. Aufmerksam wird beobachtet, wie Ori seine Last auf seinen Arbeitsplatz legt und den schwarzen Buchdeckel öffnet. Mit geübten Fingern blättert er die Seiten um, bis er an eine Stelle im hinteren Teil gelangt. Dort legt er die flache Hand auf das Buch und blickt die ihn umstehenden Zwerge an. Ein leichtes und zufrieden wirkendes Lächeln umspielt seine schmalen Lippen und Fíli kann in den klaren Augen das gleiche Funkeln entdecken wie in jenen der anderen Zwerge. Anscheinend hat ein Fieber jene gepackt, von welchem augenscheinlich nur Balin und er selbst verschont geblieben sind.
Leise räuspert sich Ori. „Ich habe die Aufgabe von Thorin erhalten, mich der verklebten Seiten anzunehmen“, beginnt er schließlich mit seiner für ihn typischen leisen Stimme. Doch fehlt ihr die Unsicherheit, die der rothaarige Zwerg sonst häufig an den Tag legt. Es ist für Fíli deutlich zu spüren, dass sich sein Gegenüber auf ihm vertrauten Boden befindet, auf welchem er selbst sich stolpern fühlt, so wie der andere auf dem Übungsplatz mit Schwert oder Streitaxt. „Wir sollen das Rätsel aufdecken, wenn sich eines ergeben sollte.“ Wieder lächelt er, als erstauntes Murmeln laut wird.
„Wünscht Thorin nicht das Rätsel selbst zu lösen?“, wird Ori dann auch gleich darauf gefragt.
„Nein, dafür fehlt ihm die Zeit, wie er sagte“, erklärt der Gefragte und blickt sich suchend um. Fíli spürt, wie dessen Blick an ihm hängen bleibt. „Er hat aber einige Anweisungen gegeben, die ich mit demjenigen besprechen werde.“
Auch den anderen Zwergen ist der Blick Oris aufgefallen und Balins beifälliges Nicken. „Verständlich, dass ein Mitglied des Königshauses am Untersuchen und Lösen des Rätsels beteiligt sein soll“, bestätigt der alte weißhaarige Zwerg, mit dem Fíli kurz zuvor gesprochen hatte. „Und es freut mich sehr, dass es in diesen Räumen hier geschehen wird!“ Zustimmendes Murmeln wird wieder laut und auch die zuvor niedergedrückte Begeisterung flammt von Neuem auf.
„Freunde!“, meldet sich Balin zu Wort und hebt begütigend die Hände. „Es ist möglicherweise ein Rätsel, welches auf diesen Seiten versteckt ist. Genauso gut - und was auch wahrscheinlicher ist - können die Seiten nur aus Versehen miteinander verklebt sein. Ich bitte euch, dass ihr nicht zu viel in dem Geschehen seht, weil ihr sonst enttäuscht sein könntet.“
„Herr Balin, lasst uns bitte unsere Träume“, antwortet der alte Zwerg unter zustimmenden Nicken und Murmeln. „Es gibt in den ganzen Ered Luin wohl kaum eine trocknere Tätigkeit, als die des Kopierens. Diese kleine Aufregung tut unserem Herzen und unserem Gemüt gut. Zudem sind wir uns sehr wohl bewusst, dass dort auf diesen Seiten kaum mehr als eine Einkaufsliste verborgen sein kann. Lasst uns den Spaß, mittelbar daran beteiligt zu sein.“
„Ich bin der Letzte, der etwas gegen etwas Aufregung sagt. Doch möchte ich nicht, dass ihr zu enttäuscht sein könntet, weil eure Träume von Flüchen und geheimen Botschaften erzählen“, wendet Balin ein, wird jedoch von einer Handbewegung unterbrochen.
„Wir wissen sehr wohl, dass Flüche nur Hader und Leid bringen. Viel interessanter jedoch sind die kleinen alltäglichen Dinge, die zu Durins Zeiten das Leben bestimmten. So würde eine simple Einkaufsliste erzählen können, was Durin gern aß und zu welchen Preisen es seinerzeit gehandelt wurde!“
Unwillkürlich zuckt ein Lachen um Balins Lippen. „Wie ich sehe, habt ihr euch alles gut überlegt, meine Freunde. Ich weiß, dass ihr unter Oris Anweisungen stets gute Arbeit leistet. Auch in dieser Angelegenheit überlasse ich die Aufgabe guten Gewissens in äußerst fähige Hände. Die einzige Bitte, die Thorin geäußert hat ist jene, dass er wissen möchte, was auf diesen Seiten steht und er selbst entscheidet, ob sie an die Öffentlichkeit getragen werden darf. Daher ist dies ein Geheimnis, von dem nur ein kleiner Kreis um den König Kenntnis hat.“ Ernst blickt Balin die anwesenden Zwerge der Reihe nach an und ein jeder von ihnen nickt zustimmend. Zufrieden nimmt Balin dies zur Kenntnis: „Ich werde Thorin mitteilen, dass er nur vertrauensvolle Schreiber in seinen Diensten hat.“
Kaum hat sich die Tür hinter Balin geschlossen, als schon wieder aufgeregtes Gemurmel die große Bibliothek erfüllt. Begeistert wird das Lob aus Balins Mund ausgewertet. Welch ein großer Tag!
Fíli ist an Ori herangetreten, der geradezu liebevoll auf die wesentlich älteren Zwerge blickt, gerade so, als würde eine Mutter auf ihre Kinder blicken. Unwillkürlich muss sich der blonde Zwerg auf die Zunge beißen, um nicht eine Bemerkung über diese zu machen, die doch am Ende Ori nur verletzen könnten. Stattdessen deutet er auf das aufgeschlagene Buch. „Erkläre mir, in welcher Art und Weise ich dir bei dieser Aufgabe helfen kann.“
Überlegend zieht Ori die Stirn kraus. „Die Texte vor und nach diesen verklebten Seiten sind noch nicht kopiert und untersucht worden. Da ich befürchte, dass sie durch unsere Handlungen beschädigt werden könnten, müssten sie abgeschrieben werden und achte auch auf Unstimmigkeiten, die dir auffallen könnten.“ Am liebsten hätte Fíli tief und vernehmlich geseufzt. War ja sehr wahrscheinlich, dass er eine solche Aufgabe erhält!
„Ich werde in der Zwischenzeit überlegen, wie man den Leim lösen kann, ohne zu viel Schaden anzurichten!“, erklärt Ori weiter, dabei eine Ecke des Papiers zwischen den Fingerspitzen reibend.
„Also willst du sie noch nicht voneinander lösen?“
Mit einem geradezu schelmischen Grinsen blickt der Rothaarige sein Gegenüber an. „Nein, das heben wir uns für morgen auf!“
Seufzend lässt sich Fíli bäuchlings auf sein Bett sinken, schließt die Augen. Nur für einen Moment ruhen und die Stille genießen.
„War es in der Bibliothek so schlimm wie du aussiehst?“, hört er gleich darauf Kílis Stimme und nur Augenblicke später spürt er eine Berührung an der Schulter.
Ohne sich zum anderen umzudrehen, nickt Fíli. „Du ahnst nicht, wie anstrengend es sein kann, den ganzen Tag irgendwelche alten Texte abzuschreiben“, murmelt er in das Kissen. „Bei Aule! Wie bin ich froh, dass ich das nicht ständig machen muss! Allein von den vergangenen Tagen sind meine Schultern so verkrampft und starr geworden, als hätte ich Jahrzehnte in der Schreibstube verbracht! Und das Schlimmste ist, dass Ori ein schrecklicherer Lehrmeister als Dwalin ist!“ Eine Berührung am Hals lässt ihn sich nun doch umwenden, um in das mitleidig lächelnde Gesicht seines Bruders blicken zu können. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, schaut er zu ihm auf. „Stell dir nur vor, dass Dwalin Ori zum Abendessen holen musste, weil er zum wiederholten Mal die Zeit vergessen hat. Seine langjährigen Schreiber schleichen sich aus der Stube, wenn er so wie heute nicht auf die Zeit achtet, weil er in seiner Arbeit versunken ist!“
Kíli lacht leise über den abgrundtiefen Seufzer, der sich der Brust seines Bruders entringt. „Mutter muss wohl so etwas geahnt haben, denn sie hat dir kaltes Fleisch und Brot bringen lassen.“
„Habe keinen Hunger“, grummelt Fíli während er sich aufsetzt. Sich mit den Händen nach hinten abstützend, blickt er Kíli an. Den Kopf hat er leicht schräg gelegt und ein herausforderndes Lächeln zuckt um seine Lippen. „Zumindest nicht diesen!“
In gespieltem Nachdenken zieht der Dunkelhaarige die Augenbrauen zusammen, kann es jedoch kaum verhindern, dass er sich dem anderen entgegen neigt. „Auf was hat denn der Herr Hunger?“
„Wohl eher einen richtigen Heißhunger!“, bekommt er gleich darauf zur Antwort. „Vergiss nicht, was du mir heute versprochen hast!“ Fíli kann es kaum verhindern, dass in seiner Stimme ein Schnurren mitklingt.
Der Morgen ist bereits weit vorangeschritten, als Fíli endlich die Tür zur Bibliothek öffnet. Nur kurz blicken einige der Schreiber auf, um zu sehen, wer sie aufsucht, doch senken sie schnell wieder den Blick und wenden sich umgehend ihrer Arbeit zu.
Fíli blickt sich kurz um, kann jedoch Ori nirgends entdecken. Weder an seinem Schreibpult noch an dem breiten Tisch, welcher am gestrigen Tag dem besseren Lichts wegen dichter an eines der Fenster geschoben worden war, kann er ihn nicht entdecken.
„Wenn du Ori suchen solltest, muss ich dir sagen, dass du ihn knapp verpasst hast“, erklärt ihm der weißhaarige Schreiber. „Wenn du von Herrn Thorin kommst, müsste er dir begegnet sein.“
Fíli verzieht kurz die Lippen. Dass er nicht aus dieser Richtung kommt, muss er dem Mann nicht auf die knollige Nase binden. Schließlich ist es seine eigene Angelegenheit, dass er am Morgen verschlafen hat - ebenso wie sein Bruder.
Überlegend kaut der blonde Zwerg auf seiner Unterlippe. Schlussendlich tritt er auf den Flur hinaus und wendet sich Thorins Räumen zu. Kurz verharrt er vor dessen Tür und lauscht den Stimmen, die ungewöhnlich laut und hektisch durch das dicke Holz zu ihm dringen. Ohne anzuklopfen drückt er die Tür auf und tritt ein.
Kurz blicken die Anwesenden auf, als er eintritt. Nur Thorin nickt ihm grüßend zu und wendet sich Balin und Ori zu, die bei ihm am Tisch stehen. Im Nähertreten kann Fíli erkennen, dass sie über das Buch gebeugt sind, an welchem er gestern gearbeitet hatte. Jedoch sind Seiten aufgeschlagen, die ihm unbekannt sind und deren Rand leicht zerfressen aussehen. Eine Ahnung kommt ihm, um welche es sich hier handeln könnte und das Gefühl der unbestimmten Unruhe erfasst ihn wieder.
„Du hast die Seiten voneinander lösen können?“, fragt er leise Ori, als sich Balin und Thorin über den Tisch hinweg unterhalten.
Ori nickt. „Es hat mir einfach keine Ruhe gelassen und schließlich sind Rätsel da, um sie zu lösen.“
„Und was ist nun des Rätsels Lösung?“, erkundigt sich Fíli leise, jedoch in einer geradezu greifbaren Stille, da sich sowohl Balin als auch Thorin den beiden jungen Zwergen zugewandt haben.
Mit steifem Finger deutet Thorin auf die aufgeschlagenen Seiten. „Nicht genug, dass Durins Fluch in Khaza dum haust, tut sich hier nun ein weiterer Fluch für unsere Linie auf. Doch ist es einer, der niemals zum Tragen kommen wird!“
Unwillkürlich folgt Fílis Blick der Geste seines Onkels und fühlt sich kaum noch in der Lage, dessen Worten zu folgen. Wie gefangen ist er von den Bildern, die sich ihm darbieten. Wunderschön gezeichnet und wohl auch mit den edelsten Farben, die es seinerzeit zu erstehen gab, doch schrecklich in der Darstellung des Inhalts.
Unter Aufbietung aller Kraft, ringt er sich ein zustimmendes Nicken ab. „So Aule will, wird es nie geschehen!“
Wie am Tag zuvor tritt Fíli aus dem Tor auf den Platz hinaus. Nur kurz nimmt er sich die Zeit, sich suchend umzublicken, um dann seinen Schritt zu den Ställen und dem dahinter liegenden Übungsplatz zu lenken. Noch bevor er um das Gebäude tritt, kann er Dwalins befehlsgewohnte Stimme hören, die zu ihm dringt und gleich darauf das Aufeinandertreffen von Holz auf Holz.
Tatsächlich hat der hochgewachsene Krieger zwei junge Zwerge unter seine Fittiche genommen, die nun unter seiner Anweisung mit Holzschwert und Schild aufeinander losgehen müssen. Mit harschen Worten treibt er sie zu mehr Heftigkeit an und will ihnen gerade weitere Schmerzen androhen, als er von Fíli unterbrochen wird. „Wo ist mein Bruder?“, ruft ihm der Blonde im Näherkommen entgegen. „Ich such ihn in einer dringenden Angelegenheit!“
Gereizt stößt Dwalin die Luft aus und deutet mit der Hand zur anderen Seite des Platzes hin, in Richtung des Waldrandes. „Ich hoffe, dass er mit diesen nichtsnutzigen Bälgern Schießübungen veranstaltet! Sie sind kaum in der Lage, Schwert und Schild gleichzeitig zu heben und ein einziger leichter Schwung der Streitaxt oder eines Morgensterns reißt sie schon von den Füßen. Dann bleibt nur noch der Umgang mit Pfeil und Bogen als einzige Art der Verteidigung, die man sie noch lehren könnte, um sie nicht als ganz unnütze Zwerge nach hause schicken zu müssen!“
Ohne auf die Worte Dwalins einzugehen, hebt Fíli in einer dankenden Geste die Hand und eilt in die angegebene Richtung. Seinen Bruder findet er schnell, denn seine Wortwahl steht der des kahlköpfigen Kriegers in nichts nach und wird nur gering durch den dichten Baumbestand gedämpft. Im ersten Moment reagiert Kíli ebenso unwirsch auf die Störung wie Dwalin, doch wird seine Miene schnell weicher, als er seinen Bruder aus dem Unterholz treten sieht.
„Ich muss mit dir reden!“, beginnt Fíli ohne Umschweife und wirft einen kurzen Blick auf die drei Zwerge, die sich verzweifelt abmühen, die Zielscheibe zu treffen, welche an einem Baum befestigt ist. Von ihren Anstrengungen zeugen jedoch nur wenige Pfeile, aber um so mehr jene, welche den Stamm selbst zieren sowie den Boden um den Baum herum. „Allein, ohne fremde Ohren!“, setzt Fíli eindringlich hinzu.
Im ersten Moment will Kíli den Bruder auf den Abend vertrösten, doch dann nickt er. „Gib mir etwas Zeit, damit wir hier alles zusammenpacken und aufräumen können. Wenn die Jungs alles zurück bringen, können wir reden.“
Nach außen hin wirkt Fíli gewohnt ruhig, während er darauf wartet, dass die Zwerglinge die Lichtung verlassen. Innerlich hat er jedoch das Gefühl, dass jeder einzelne Herzschlag Ewigkeiten dauere.
Kaum ist der letzte Zwerg im Unterholz nicht mehr zu sehen, wendet sich Kíli seinem Bruder mit fragendem Blick zu.
„Wir hängen ganz tief mit dem Arsch in der Scheiße!“, erklärt Fíli ohne lange Vorrede und überdeutlich kann Kíli Gefühle in der Stimme mitschwingen hören, die er nicht anders als Angst und Verzweiflung benennen würde. Mit wenigen Schritten ist er bei dem Bruder, legt ihm die Hände an das Gesicht und zwingt ihn so, ihm in die Augen zu blicken. „Erzähle, was geschehen ist“, fordert er schlicht. „Erzähle der Reihe nach und lasse nichts aus!“
Fíli nickt kurz unter der Berührung. Zuerst zögernd, dann immer sicherer berichtet er von dem Geschehen und dem, was Ori entdeckt hat. „Es ist ein Fluch, Kíli!“, schließt er mit leiser Stimme. „Ein Fluch, der uns betrifft, der uns beide ereilen wird! Die Bilder zeigen eindeutig, was mit uns geschehen wird!“
Unzufrieden zieht der Dunkelhaarige die Augenbrauen zusammen. „Du hast noch nicht gesagt, was sie darstellen und was nun dieser Fluch ist?“, hakt er ungeduldig nach, hebt dann jedoch gleich darauf die Hand. „Vielleicht will ich es doch nicht wissen“, murmelt er, fährt sich in einer unruhigen Geste durch den gestutzten Bart. „Aber Nichtwissen macht es auch nicht besser!“ Auffordernd Blickt er seinen Bruder an. „Sag an, warum gerade wir verflucht sein sollen!“
Als müsse er seinen ganzen Mut zusammennehmen, schließt Fíli die Augen, als würde er es nicht wagen, seinen Bruder anzublicken. „Erben Durins, vom gleichen Geschlecht, beieinander gelegen wie Weib und Mann, möge die Schmach ereilen zu werden, als was sie nicht geboren warn.“
Mit einem leisen Zischen lässt Kíli die Luft entweichen, die er unbewusst angehalten hat. „Erben Durins, vom gleichen Geschlecht ...“, wiederholt er leise, grübelnd. „Und die Bilder?“
In einer unangenehm berührten Geste hebt Fíli die Schultern. „Auf dem einen sind zwei Zwerge zu sehen, in eindeutiger Stellung. Und auf dem anderen Bild sind die gleichen Zwerge. Gleiche Stellung, alles ist identisch bis darauf, dass sie nun wie Zwerginnen gebaut sind.“ Auf den fragenden Blick seines Bruders hin, deutet er mit beiden Händen die Oberweite einer gut gebauten Zwergin an.
Kíli spürt, wie die Beschreibung ihn erbleichen lässt. „Das ist wahrlich keine schöne Vorstellung, die du mir da beschreibst!“, murmelt er. „Ich habe nichts gegen einen hübschen Busen, aber doch nicht bei mir selbst!“ Schwer lehnt er sich mit dem Rücken gegen einen Baum, nur um sich im nächsten Moment wieder von ihm zu lösen. In einer Geste der Verzweiflung und des Unglaubens fährt er sich immer wieder mit den Händen durch das dichte Haar. „Ich kann es nicht glauben! Das kann nicht wahr sein und so Aule will, wird es auch nicht geschehen!“
Fíli kann nur zustimmend Nicken. „Das ist auch meine Meinung. Doch wie soll man etwas verhindern, von dem wir noch nicht einmal wissen, ob es wirklich geschehen wird?“
Überlegend nagt Kíli an seiner Unterlippe, gleich darauf hellt sich seine Miene auf. „Ori und Dwalin! Sie sind auch Durins und leben schon seit Jahren zusammen! Sie erscheinen mir unverändert, also scheint der Fluch nichts weiter als ein hässliches Gedicht zu sein!“ Er macht eine erfreute Geste, als sei damit die Angelegenheit für ihn erledigt.
„Daran haben wir auch gedacht, ebenso wie Ori selbst“, wirft Fíli mit einem resigniertem Kopfschütteln ein. „Es wird wohl daran liegen, dass sie keine Erben aus dem Königshaus sind und somit würde der Fluch sie nicht treffen!“
Unwillkürlich schwindet Kílis Freude, alle Energie scheint ihm wie entzogen und er wirkt wie um Jahre gealtert. „Und nun?“, fragt er nach einigen Momenten der Stille. „Was werden wir jetzt machen? Abwarten, was sich ergibt? Ob sich was tut? Ob wir uns ... in Zwerginnen verwandeln?“
„Wir könnten es Onkel sagen!“
Ungläubig blickt Kíli den Älteren an. „Du weißt, dass er uns den Kopf abreißen wird, egal, ob mit oder ohne Fluch! Es wäre sehr wahrscheinlich, dass er zumindest mir was abschneiden wird, über was ich bis zu meinem Lebensende sehr gern selbst verfügen würde und was mir weder auf die eine noch die andere Weise genommen werden soll!“
„Sag mir, was wir sonst tun könnten!“, fordert Fíli nun mit leiser Stimme. „Egal, was wir machen oder unterlassen. Es wird nichts daran ändern, dass etwas geschehen wird! Sollten wir uns verändern, wird er es erfahren und dann kann uns nur noch Aule vor seinem Zorn bewahren!“
„Sollte!“, wirft der Dunkelhaarige selbstsicher ein und tritt wieder dicht an seinen Bruder heran. „Wir warten ab, Fíli. Denke daran, dass wir uns vor einigen Tagen geliebt haben. Und es ist bisher nichts passiert. Du hast dich nicht verwandelt und ich ebenso wenig. Also können wir wohl davon ausgehen, dass dieser Fluch keiner ist.“
„Ja, oder, dass er Zeit benötigt, um sich zu zeigen“, nimmt ihm Fíli den Wind aus den Segeln. „Das Vernünftigste ist, wenn wir es ihm sagen!“
„Vernünftig!“, spuckt Kíli aus. „Seit wann sind wir vernünftig, Bruder? Seit wir uns fürchten?“
„Ich gestehe, dass ich vor Thorins Reaktion Angst habe“, gibt Fíli ruhig zu und er kann die gleiche Gefühlsregung im Gesicht seines Bruders erkennen. „Ich liebe ihn wie meinen Vater und zu wissen, dass ich ihn enttäuscht habe, schmerzt mich.“
„Du bist zu gut für diese Welt“, hört er gleich darauf Kíli flüstern, seine Berührung an der Wange und Lippen, die sich nur leicht und in einer tröstenden Geste auf seine Haut legen.
Unwillkürlich greift er nach dem nahen Körper, schlingt die Arme um Kílis Hüfte und lehnt seufzend die Stirn an dessen Schulter. „Sei ehrlich, Brüderchen! Du fühlst genauso! Es ist dir deutlich anzusehen.“
„Warum soll ich nicht ehrlich sein oder es gar abstreiten wollen?“, antwortet der Dunkelhaarige leise. „Ich fühle wie du, Fíli. Aber du bist mir näher, dich liebe ich mehr!“
Stille breitet sich auf der Lichtung aus, in welcher sich Fíli gegen den anderen lehnt. Er fühlt, wie sich Ruhe in ihm ausbreitet, sein Herz den gewohnt ruhigen Rhythmus findet und warm in seiner Brust glüht. „Ich wünschte, dass wir hier bis in alle Ewigkeiten stehen könnten“, fasst er schließlich seine Gedanken in Worte. Gleich darauf spürt er Kílis zustimmendes Nicken und dessen Arme, die sich fester um seinen Körper schlingen, als würden sie ihn vom Fortgehen abhalten wollen. „Ich wünschte, dass ich dich bis zum Ende aller Tage so halten dürfte.“
Ein leises Lachen erschüttert Fílis Brust. „Leider werden nur selten Wünsche wahr!“
Geradezu amüsiert klingt das Schnauben, das Kíli von sich gibt. „Wenn Flüche sich erfüllen, warum dann nicht auch Wünsche?“
Der Blonde löst sich von seinem Bruder, blickt in die dunklen Augen. „Wie ich sehe, hast du deine gewohnte Zuversicht zurückerlangt.“
„Das nun bei Weitem nicht!“, lehnt Kíli mit schiefem Grinsen ab. „Ich würde es wohl eher als die Zuversicht eines zum Tode Verurteilten bezeichnen. Mit einem Lachen ist das alles leichter zu ertragen.“ Im nächsten Moment wird sein Gesicht wieder ernst und ungewohnte Sorgenfalten zeigen sich auf seiner sonst glatten Stirn. „Nun wissen wir aber immer noch nicht, was wir machen“, stellt er schließlich mit einem tiefen Seufzen fest.
„Egal, ob es nun einen Fluch gibt oder nicht, so befreit es uns doch nicht davon, dass wir früher oder später mit Onkel sprechen müssen“, fasst Fíli das Unausweichliche in simplen Worten zusammen. „Auch wenn wir es nicht wollen, sollte es so bald wie möglich sein!“
Kíli nickt zustimmend. „Morgen“, murmelt er ergeben. „Morgen früh, gleich nach dem Morgenmahl!“
Unwillkürlich muss der Blonde lachen. „Willst du den Magen gefüllt haben, wenn Thorin dich aus seine Hallen jagt?“
„Warum nur mich?“, kommt auch prompt die lachende Antwort. „Du bist ebenso beteiligt gewesen, wie ich und du schienst in keiner Weise abgeneigt.“ Hände ergreifen Fílis Arme, ziehen ihn an eine Brust, die von unterdrückter Heiterkeit bebt und trotzdem ist die Stimme warm, die gleich darauf nahe seinem Ohr flüstert. „Gewähre uns nur noch diese eine Nacht, liebster Bruder.“
„Du willst Abschied nehmen“, murmelt Fíli. Keine Frage, nur eine Feststellung.
„Wir wissen nicht, was der morgige Tag uns bringt und die Zukunft liegt für uns in noch tieferer Dunkelheit als in den Höhlen Morias zu finden wäre.“ Eindringlich blickt Kíli seinen Bruder an und gleichzeitig liegt eine Bitte in seinen Augen. „Bevor ich dich nie mehr berühren darf, will ich ein letztes Mal bei dir liegen.“
„Wie ein Mann bei seinem Weib“, wiederholt Fíli die Worte des Fluchs.
Finger graben sich ungewöhnlich fest in seine Arme. „Nein, nicht so“, antwortet Kíli. „Eher wie Liebende, die sich nicht mehr berühren dürfen!“
Ein leichtes Lächeln huscht um Fílis Lippen. „Ich habe fast den Eindruck, als würdest du darum betteln.“
Zutiefst erleichtert, dass der Bruder auf seine teils lockere Art eingeht, atmet Kíli auf und grinst Fíli gleich darauf verschmitzt an. „Auf Knien würde ich vor dir rutschen, wenn du mir diesen einen Wunsch verweigern würdest.“
Den Kopf leicht schräg gelegt, blickt Fíli den dunkelhaarigen herausfordernd an. „Das wäre etwas, worüber ich nachdenken muss. Die Vorstellung, dich auf Knien zu meinen Füßen zu sehen, hat etwas, was zu bedenken wäre.“
Ein Grollen entringt sich Kílis Brust. „Heute Abend!“, verspricht er mit rauer Stimme. „Heute Abend werde ich dich auf Knien anbeten und dein Entgegenkommen preisen“, und lacht leise, als sein Bruder nun seinerseits mit einem Ton wie ein Knurren antwortet.
Nur widerwillig trennt sich Fíli von seinem Bruder, doch dringt das Geräusch von eiligen Schritten zu ihnen und treibt sie auseinander. Gerade rechtzeitig, denn nur wenige Augenblicke später tritt Dwalin auf die Lichtung hinaus. In seiner ruppigen Art verlangt er sofort zu erfahren, warum Kíli die Zwerglinge in den Berg zurück geschickt habe, ohne zuvor mit ihm darüber zu sprechen.
„Verdammt!“, flucht der Krieger herzhaft und eilt mit langen Schritten auf den dunkelhaarigen Zwerg zu. Fíli würdigt er keines Blickes. „Du weißt, dass sie zu ihrem jetzigen Stand nicht mehr als Wargfutter sind! Wie kannst du es dann wagen, ihre Übungsstunden zu streichen, ohne von mir dazu angewiesen zu sein?“ Die buschigen Augenbrauen zusammengezogen, blickt er Kíli zornig an. Doch dann wendet er sich dem anderen zu und kurz wandert sein Blick zwischen den Brüdern hin und her. „Oder hattet ihr so wichtige Dinge zu bereden, die fremde Ohren nicht hören sollten?“
„Ja, so ist es!“, antwortet Kíli, nimmt unwillkürlich eine heraufordernde Haltung ein, die der Dwalins nicht unähnlich ist.
Fíli beschließt, dass dies der richtige Moment ist, um den Rückzug anzutreten, auch wenn ihn das Gefühl bedrückt, den Bruder bei dieser Auseinandersetzung im Stich zu lassen. Doch andererseits ist er sehr gut selbst in der Lage, sich gegen den Krieger zu behaupten. Trotzdem blickt Fíli den Bruder entschuldigend an, der ihm seinerseits nur ein verstehendes Nicken schenkt. „Wir reden am Abend weiter!“, erklärt er mit einem leichten Lächeln, dass um seine Lippen zuckt, als wie zur Antwort darauf ein abwertendes Schnauben von Dwalin erklingt. „Reden!“, spuckt der Kahlköpfige aus. „Zwerge sind nicht zum Reden geschaffen!“
Im Weggehen dringt das dunkle Lachen Kílis zu ihm. „Ganz wie Ihr meint, Herr Dwalin! Doch warum wollt Ihr mir jetzt eine Ansprache halten, wo Ihr mir auf dem Platz die Leviten lesen könnt?“ Und unwillkürlich muss er über die Beredsamkeit seines kleinen Bruders lachen.
Den Rest des Tages verbringt Fíli wieder an seinem Schreibpult, an welchem er sich redlich abmüht, die Gedanken bei dem Papier zu halten, welches er gerade vor sich zu liegen hat. Selbstverständlich ist es eine Seite aus den Gesetzestexten, die ihm Balin gegeben hatte. Ermüdender kann eine Arbeit wirklich nicht sein, als jene, jeden einzelnen Strich, Punkt und Bogen fein säuberlich abzuzeichnen. Zudem ist die Laune mancher Schreiber nicht sonderlich die beste, da sie sich um ein „Abenteuer“ betrogen fühlen. Obwohl Fíli nur insoweit damit zu tun hat, dass das gefundene Geheimnis mit seiner Familie zusammenhängt, lassen sie ihm dies durchaus spüren.
Insbesondere der weißhaarige Schreiber, welcher am Tag zuvor als Wortführer fungiert hatte, ist bestrebt aus ihm herauszubringen, welcher Art das Geheimnis sei. Doch hat er bisher damit keinen Erfolg und auch Ori, der ja die Seiten geöffnet hatte, hat nichts verlauten lassen. Da Letzterer jedoch noch immer bei Thorin und Balin weilt oder in einer anderen Angelegenheit unterwegs ist, bekommt nun Fíli hin und wieder von besagtem Zwerg böse Blicke zugeworfen.
Zu guter Letzt und allem Überfluss hat dieser es gewagt, den Blonden derart zu stoßen, dass dessen Schreibhand heftig verrutscht und die Feder ein Loch in das Papier reißt. Die Entschuldigung, welche Fíli daraufhin zu hören bekommt, trieft geradezu vor Häme. Am liebsten hätte er nach seinem Schwert gegriffen oder dem anderen die Faust ins Gesicht geschmettert, um seinen Ärger Luft zu machen.
„Eure Entschuldigung ist keinen Pfifferling wert, Herr Zwerg, und auch nicht den Atem, den Ihr damit vergeudet! Ihr wisst sehr gut, dass es mit voller Absicht geschehen ist“, antwortet Fíli stattdessen ruhig. „Ich verlange für den Schaden und Eure unehrlichen Worte Genugtuung von Euch!“
Mit einem leichten Gefühl der Befriedigung sieht Fíli den anderen erbleichen, bevor ihm die Schamesröte in die Wangen schießt und das Gesicht unter dem weißen Haar und Bart erglühen lässt.
Laut schnauft der Alte wie um Fassung ringend. „Mein Herr! Ich kann Euch keine Genugtuung geben, da ich kein Kämpfer bin wie Ihr!“
Dicht tritt Fíli an den alten Schreiber heran, blickt ihn herausfordernd an. Säuerlich riechender Atem schlägt ihm entgegen und am liebsten hätte er einen Schritt zurück gemacht. „Wie wollt Ihr den angerichteten Schaden dann abgelten, Herr Schreiber?“, fragt er nun und deutet auf das beschädigte Papier. „Bei einem Versehen und einiger ehrlicher Worte hätte ich mich selbst ein weiteres Mal an die Arbeit gemacht und die Seite kopiert. Nun jedoch ...“ Als würde er überlegen, lässt er das Ende offen und hofft zugunsten des Alten, dass dieser selbst auf die Lösung des Problems kommt. „Nun? Wie werdet Ihr den Schaden wieder gut machen?“, muss er trotzdem nach einigen Momenten nachhaken, in denen vom Weißhaarigen keine Reaktion kommt.
Ein kurzes, zögerndes Nicken erhält Fíli schließlich zur Antwort und ebenso weicht der andere nun seinem Blick aus. „Verzeiht meine Ungeschicklichkeit, Herr Fíli“, murmelt er schließlich dumpf und dieser glaubt zu hören, dass die Worte nun ehrlich gemeint sind. „Selbstverständlich werde ich mich der Seite annehmen und auch weiteren, die Ihr mir nennen werdet.“ Zustimmend nickt der blonde Zwerg und macht aufatmend einen Schritt vom anderen fort.
In der Bewegung fällt sein Blick auf Balin, welcher unbemerkt der Situation gefolgt ist und nun näher tritt. Kurz wirft er Fíli einen nachdenklichen Blick zu, bevor er sich den anderen Zwergen zuwendet. „Wie ich sehe, haben sich hier die Gemüter etwas erhitzt“, stellt er mit leichtem Schmunzeln fest. „Doch ist leider unser kleines Rätsel bereits gelöst und es ist nicht so spektakulär, wie wir alle gehofft hatten. Herr Thorin lässt euch seinen Dank aussprechen und ich darf euch mitteilen, dass er sich bei ähnlich gelagerten Geheimnissen wieder an euch wenden.“ Gleich darauf ist erfreutes und zustimmendes Gemurmel zu hören.
Mit einem sanft hallenden Ton schließt Balin die Tür hinter Fíli und ein zufrieden klingendes Seufzen entringt sich ihm. „Ich liebe die alten Bücher und Schriften“, erklärt er dem jüngeren Zwerg mit eindringlicher Stimme, dem sich sogleich ein genervtes Schnauben anschließt. „Aber ich kann diese verschrobenen Bücherwälzer nicht ausstehen, die glauben, dass ihr Wissen, welches sie sich aus verstaubten Texten angeeignet haben, wichtiger wäre als das reale Leben, welches vor der eigenen Tür zu finden ist.“
„Und deswegen holst du mich aus der Bibliothek?“, fragt Fíli mit erstaunt gehobenen Augenbrauen.
„Nein, nicht nur deswegen! Aber in erster Linie hat mich die hochtrabende Art dieses Kerls verärgert.“ Balin winkt kurz ab und bedeutet Fíli, ihm den langen Flur hinab zu begleiten. „Ich bin der Meinung, dass du in der vergangenen Zeit gute Arbeit geleistet hast und auch Ori lobt sie sehr. Da sehe ich es als gegeben, dass du dir einige freie Stunden verdient hast.“
Für Fíli ist es fast greifbar, dass da noch mehr ist, was Balin ihm nicht sagt, ihm verheimlicht, nicht sagen darf oder will. Er hat den nachdenklichen Blick bemerkt, mit welchem Balin ihn gemustert hatte und ihn nun mit dieser fadenscheinigen Ausrede von der ungeliebten Arbeit fortzuholen, bestätigt nur um so mehr seine Vermutung. Überlegend blickt er kurz zu den neben ihm schreitenden Zwerg. „Was ist es?“, entfährt es ihm schlussendlich. „Du holst mich nicht wegen meiner guten Arbeit von einer Tätigkeit weg, die Onkel und du erst vor Kurzem verzweifelt versucht habt mir schmackhaft zu machen.“
Aufmerksam blickt sich Balin um und schiebt Fíli wenige Augenblicke später in einen nahen Raum, dessen Tür nur angelehnt war und nun hinter den beiden Zwergen mit leisem Quietschen ins Schloss fällt. „Du stellst zu viele Fragen, Junge“, erklärt Balin ungnädig brummend und erinnert Fíli unwillkürlich an Dwalin, den hochgewachsenen Zwerg und ungleichen Bruder Balins. „Ich kann und werde dir keine Antworten geben. Dies wird dein Onkel selbst übernehmen und ich hoffe, dass dir diese Aussage reichen wird, weil du mehr von mir nicht erfahren wirst!“
„Du weißt, dass dies meine Neugierde nur noch mehr anstacheln wird“, antwortet Fíli, mit ebensolchem Ernst in der Stimme. In seinem Körper spürt er überdeutlich die Angst um die eigene Entdeckung, welche das Blut durch seinen Körper jagt und den Herzschlag in den Ohren dröhnen lässt. Nervös leckt er sich über die Lippen, die sich trocken und spröde anfühlen, als hätte er seit Tagen nichts mehr getrunken. Furcht will ihn vorantreiben, den anderen Zwerg schütteln, auf dass er ihm sagt, was ihm von Thorin noch mitgeteilt werden soll. Doch kann er sich zügeln und nur die geballten Hände, welche er fest gegen die Seiten presst, zeugen von dem Maß an Überwindung, die es ihn kostet, Balin nicht zu berühren. Aber darf er es wagen kann, Balin stärker zu bedrängen?
„Es erscheint mir sehr geheimnisvoll, ebenso wie zuvor die verborgenen Bilder. Daher glaube ich, dass es wohl ebenso unerfreulich sein wird!“, versucht er schließlich einen weiteren Vorstoß und blickt bittend den anderen an. „Ich glaube kaum, dass mir die gegebene freie Zeit hilfreich ist, um mich auszuruhen, solange ich nicht weiß, um was es geht! Thorin hat mich noch nicht zu sich rufen lassen und ich fürchte, dass er dies erst morgen machen wird. Soll ich etwa so lange mit Ungewissheit leben müssen?“
„Ich kann es dir nicht sagen, Junge!“, antwortet Balin eindringlich und legt dem anderen begütigend die Hand auf die Schulter. „Ich darf dir aber so viel verraten, dass es nichts Schlimmes ist.“
Ergeben nickt Fíli und ringt sich ein leichtes Lächeln ab. „Ich danke dir, alter Freund!“, murmelt er Erleichterung durchströmt, dass seine Angst unbegründet ist. „Ich danke dir!“, bekräftigt er nochmals und nickt Balin zu, der sich zum Gehen abwendet.
Unruhig trommelt Thorin mit den Fingerspitzen auf dem dunklen Holz der Tischplatte. Dís, die neben ihm Platz genommen hat, lächelt ihn nur nachsichtig an, kennt sie doch seine Ungeduld zur Genüge. „Wo bleiben sie nur?“, brummt er unwirsch.
Mitleidig tätschelt Dís kurz Thorins nervös zuckenden Finger, bevor sie sich erhebt, um im Kamin zum wiederholten Male das Feuer zu schüren.
„Du hast Bedienstete, Schwester“, knurrt Thorin, der ihren Bewegungen mit den Augen gefolgt ist. „Sie sind dafür da, für dich solche Kleinigkeiten zu erledigen, denn schließlich bist du die Schwester des Königs!“
Dís macht eine abwehrende Handbewegung, unterbricht jedoch nur für einen kurzen Moment die Tätigkeit, um Thorin einen abschätzenden Blick zuzuwerfen. „Du weißt, wie ich dazu stehe, Herr König! Für einen Titel kann man sich nichts kaufen. Er wärmt nicht das Haus und nicht das Herz. Würde ich so handeln, wie du sagst, wäre mein Hintern bald so feist, dass ich mich kaum noch bewegen könnte!“
„Und das wollen wir uns ganz bestimmt nicht antun!“, erklingt gleich darauf die tiefe und lachende Stimme Dwalins von der Tür her. Gleich darauf schiebt sich Balin an den Krieger vorbei, grummelt leise vor sich her.
„Egal, wie du aussehen würdest, meine liebe Dís, wir würden dich trotzdem lieben!“, erklärt er mit einem spitzbübischen Lächeln, um gleich darauf die Zwergin in die Arme zu schließen.
„Charmant wie immer, Herr Balin!“ Lachend erwidert sie die Umarmung. „Ihr beide wurdet jedoch bereits sehnsüchtig erwartet.“
„Ich hoffe doch sehr, dass du mich vermisst hast“, antwortet Dwalin, der seinen Bruder zur Seite geschoben hat und nun die Arme kurz um Dís schlingt.
„Was wird nur Ori dazu sagen, wenn er solch anmaßenden Worte hören sollte?“, will sie mit einem Zwinkern wissen, deutet dann jedoch zum Tisch hin, an welchem Thorin sitzt und schweigend die Begrüßung beobachtet hat. „Setzt euch“, fordert Dís die Ankömmlinge nun mit ernster Stimme auf. „Ich möchte diesen Familienrat endlich hinter mich bringen!“
Kurzzeitig herrscht Stille am Tisch, welche nur vom Knacken und Zischen des brennenden Holzes unterbrochen wird.
Mit einer geradezu zögernd wirkenden Bewegung zieht Torin ein gefaltetes Papier aus der Innentasche seiner Weste hervor, faltet es auseinander und streicht es sorgfältig glatt. „Ich habe ein Schreiben von Daín erhalten, in welchem er mich an eine alte Vereinbarung erinnert, die noch aus besseren Zeiten herrührt.“ Mit einem nachdenklichen Blick schiebt er die Seite zu Balin hin, der sie interessiert überfliegt.
„Ich weiß, dass ihr von dieser Absprache wisst und ich gestehe, dass ich nach all den Jahren nicht mehr an deren Einhaltung gedacht habe“, erklärt Thorin an Dís und Dwalin gewandt. „Wie es einst vereinbart wurde, besteht Eisenfuß darauf, dass ein Mitglied meines Hauses für ungefähr zehn Jahre in seinem leben wird.“ Kurz blickt er seine Schwester an, deren Hände ineinander verschlungen sind, so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortreten.
„Welchen meiner Söhne willst du wegschicken?“ Hart klingt ihr Flüstern in der Stille, beschert den anwesenden Männern eine schmerzhafte Gänsehaut.
„Zornig funkeln Thorins Augen, als er sie nun anblickt und anklagend erhebt er die Stimme. „Du wusstest von dem alten Vertrag und auch, was in ihm festgehalten wurde. Ich bin der Letzte, der wünscht, dass einer der Jungs die Hallen verlassen muss. Nichts wäre mir lieber, als sie bis zu meinem Lebensende bei mir zu haben. Doch sie werden erwachsen und auf eigenen Füßen stehen müssen.“ Seufzend senkt er den Blick auf seine Finger. „Du wirst sie nicht bis in alle Ewigkeiten betutteln können.“
„Wenn eine Mutter es will, dann schafft sie es!“, gibt ihm Dís mit einem abfälligen und gleichzeitig herausfordernden Schnauben Bescheid.
„Ja, das glaube ich auch“, wirft Dwalin lachend ein, wird jedoch durch einen Blick Thorins zur Ruhe gezwungen.
„Warum hast du uns herbestellt?“ Wie immer klingt Balins Stimme ruhig und treffend sind seine Fragen, wofür Thorin ihm einen dankbaren Blick zuwirft.
„Ich weiß, wen ich zu Daín senden würde, doch möchte ich eure Meinungen dazu hören.“
Unsicher breitet Dwalin die Hände aus, die zuvor ruhig auf dem Tisch ruhten. „Was willst du hören, Thorin? Sollen wir denjenigen vorschlagen, der unserer Meinung nach in den Eisenbergen besser aufgehoben ist, um ihm dort die Flausen aus dem Kopf zu prügeln?“
Nachdenklich zieht Thorin die Augenbrauen zusammen. „Du würdest Kíli zu Daín schicken?“
Auf Dwalins zustimmendes Schnauben hin kichert Balin leise. „Du bist leicht zu durchschauen, Bruder!“, lacht er leise und wendet sich dem König zu. „Ich gestehe, dass ich mich wie Dwalin entscheiden würde. Die Zeit bei Daín wird dem Hitzkopf gut tun. Fíli würde zwar eine gewisse Zeit bei ihm auch guttun, doch denke ich, dass ich hier seine Ausbildung besser vervollkommnen kann.“
„Ich gestehe, dass ich eher Fíli zu Daín senden würde, damit ich Kíli hier unter Kontrolle hätte“, erklärt Thorin seine eigene Überlegung. „Aber eure Worte haben etwas für sich.“
„Lass meinen Kíli gehen“, murmelt Dís in die Stille, welcher Thorins Worten folgte. „Er wird sich schnell zurechtfinden und gewiss wird er unsere Sippe gebührend vertreten. Ich wünsche aber, dass ihn jemand begleitet, dem ich ebenso vertraue wie du, Bruder.“
Thorin nickt zustimmend und unwillkürlich suchen seine Augen die Dwalins. „Hast du mit Ori bereits gesprochen? Wenn nicht, dann solltest du es schleunigst tun!“
Unangenehm berührt bewegt der Krieger die Schultern und fast wirkt es, als würde er sich kleiner machen wollen. Betreten schüttelt er den Kopf. „Es fehlte mir die Gelegenheit, ihm meine Absichten mitzuteilen.“
„Du willst uns verlassen, Dwalin?“, fragt nun Dís erstaunt, schüttelt gleich darauf jedoch mitleidig den Kopf. „Ori wird dir den Kopf dafür abreißen, dass du nicht mit ihm darüber gesprochen hast.“
In einer verzweifelt wirkenden Geste birgt der Krieger den Kopf in den Händen. „Warum weiß alle Welt, was für mich das Beste ist?“, fragt er an niemand besonderen gerichtet.
Die Hände schwer auf die Tischplatte gestützt, hat sich Dís erhoben und blickt ihren Bruder fest an. „Du wirst es Kíli sagen, Thorin. Übernimm für diese Entscheidung die Verantwortung, wie es sich für einen Herrscher geziemt!“ Eine einzelne Träne hat sich aus ihren Augen gelöst, rollt die Wange bis zum Kinn hinab, wo sie auf den Tisch hinab tropft und dort zerspringt.
Text: AnnSophie
Publication Date: 04-06-2016
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