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Ich hatte es geschafft, beim net-Verlag einige meiner Kurzgeschichten in drei Anthologien unterzubringen. Das fand ich schön und erfreulich. An eine Lesung hatte ich da noch nicht gedacht. Wie sollte es auch zu einer Lesung kommen? Eigeniniative ist nicht so mein Ding, außerdem war ich davon ausgegangen, dass Lesungen immer von Verlagen initiiert werden. Dass man da als Autor auch selbst tätig werden darf, und kann, ist mir erst heute klar. Ist auch gut, das man dafür nicht unbedingt durch einen Verlag legitimiert werden muss.
Jedenfalls flatterte mir eines Tages vom net-Verlag eine E-Mail ins Haus, in der angefragt wurde, ob ich denn Interesse hätte an einer Lesung in der Stadtbibliothek Kronberg im Taunus teilzunehmen. Eine junge Autorin, die es auch in eine Anthologie des Verlages geschafft hatte, war dabei diese Lesung zu organisieren. Wie ich später von der Autorin erfuhr, hatte sie in der Bibliothek ein Praktikum gemacht und hatte also die entsprechenden Beziehungen. Die Verlegerin des net-Verlages würde auch an dieser Lesung teilnehmen, die Arbeit des Verlages vorstellen und natürlich einige Bücher des Verlages zum Kauf anbieten.
Tja, was nun? Ich hatte mir schon mal Gedanken gemacht, wie es denn mit einer Lesung aussehen könnte, hatte diesen Gedanken aber nicht weiter gesponnen, da nicht ersichtlich war, dass es je dazu kommen würde.
Im ersten Moment war ich zwar Feuer und Flamme, doch nur zwei Gedankensprünge weiter erlosch diese Glut, bei der Vorstellung, vor Publikum zu lesen.
In meiner Eigenschaft als Ergotherapeut hatte ich einige Vorträge über die Arbeit mit Demenzkranken und über die Hilfsmittelversorgung verschiedener neurologischer Erkrankungen gehalten. Nach diesen Vorträgen stand für mich fest: nie wieder! Das Lampenfieber vor diesen Vorträgen hatte mich fast

Ich lese aus "Der Zauberer und sein Geselle".



umgebracht. Ich wollte so etwas wirklich nie mehr tun müssen!
Doch einen Text vor Publikum vorlesen war etwas anderes als einen Vortrag in freier Rede halten zu müssen, in dem jede Information trotzdem geordnet vorgebracht und ihren Platz haben musste.
Also Vorlesen traute ich mir dann doch zu. Außerdem wollte ich auch wissen, wie das ist: Den eigenen Text vor einem fremden Publikum vortragen. Ich bin Gründungsinitiator einer kleinen Autorengruppe in meiner Heimatstadt. In dieser Gruppe habe ich natürlich schon Texte vorgetragen. In dieser Gruppe sind wenige, dazu noch mittlerweile sehr bekannte Personen, die mir wohlgesonnen sind (vermute ich). Da ist es keine Kunst, einen Text vorzulesen, obwohl auch dort nicht mit Kritik gespart wird.
Doch lange Rede, kurzer Sinn. Zu der Lesung in Kronberg sagte ich nun per Mail jedenfalls zu. Einige Tage später kam dann eine Info-Mail der Leiterin der Stadtbibliothek zurück. Wir würden mit insgesamt vier Autoren lesen, jeder hätte 15 – 20 Minuten Zeit seine Texte vorzutragen. Natürlich seien Texte aus den Anthologien des net-Verlages auszuwählen. Da dies ja eh schon klar war, ging es jetzt bei mir darum die entsprechende Geschichte auszuwählen. Ich tendierte zu „Der Geisterbär“ einer kleinen Fantasy-Geschichte, die meine erste war, die vom net-Verlag veröffentlicht worden war. Leider war ich mit der schon nach sieben Minuten lesen durch, die anderen beiden Geschichten, die mir zur Verfügung standen, waren dann zu lang, um sie in der vorgegebenen Zeit noch vorzutragen. Also nahm ich mir „Der Zauberer und sein Geselle“ vor, eine Schelmengeschichte, die auch im Fantasy-Bereich angesiedelt ist. Mit der kam ich auf 15 Minuten Lesezeit, war also genau das Richtige.
Bis zur Lesung hatte ich noch einige Zeit vor mir. Sie sollte Mitte Mai stattfinden, ich hatte also noch zwei Monate um meine Geschichte zigmal rauf und runter zu lesen. Das tat ich dann auch. Ich veränderte sogar einige Textstellen, die ich mir dann mit Bleistift zwischen die Zeilen im Buch schrieb. Einzelne, wie ich jetzt beim Lesen feststellte, unnötige Passagen, strich ich ganz. Dies machte den Text besser. Allein dies war schon eine positive Erfahrung, die ich machen durfte, bevor die Lesung überhaupt stattgefunden hatte. Eigentlich super.
So ging die Zeit dahin, bis es zwei Wochen vor Lesungsbeginn war.
Da bekam ich einen Schub einer chronischen Darmerkrankung, an der ich seit vier Jahren leide. Sie ist zwar durch Medikamente gut eingedämmt, verschafft sich aber ab und zu doch Gehör. Gehör deshalb, weil diese Erkrankung mit manchmal lautstarken Flatulenzen einhergeht. Leider auch mit schmerzhaften Darmkrämpfen und blutigem Durchfall.
Ich wurde von meinem Hausarzt krankgeschrieben und verbrachte die darauffolgende Zeit mit auf dem Bauch positionierter Wärmflasche auf dem Sofa. Oder ohne Wärmflasche auf der Toilette. Gefühlt war ich natürlich mehr auf der Toilette als auf dem Sofa.
Also: Arbeiten war nicht, was war aber nun mit meiner Lesung? Da wollte ich mittlerweile unbedingt hin, auch wenn meine Bauchschmerzen nicht besser wurden,

Wir Autoren und die Verlegerin Maria Weise



wenn ich daran dachte. Oder sollte etwa die bevorstehende Lesung der Auslöser für den Schub meiner Krankheit sein? Bitte nicht konnte ich da nur denken. Ich musste erstmal abwarten.
Drei Tage vor der Lesung war mein Zustand so, dass der blutige Durchfall beendet war. Krämpfe hatte ich noch, doch nicht mehr so schmerzhaft. Und die Flatulenzen? Naja, im Lauf der letzten Jahre hatte ich die entsprechende Körperbeherrschung erlangt, um dies etwas steuern zu können. Sagen wir mal so: Flatulenzen sind eine Sache, die sich für kurze Zeit verschieben lassen.

Am Tag der Lesung hatte ich kaum noch Krämpfe und keine Schmerzen mehr. Es ging also aufwärts.
Die Lesung sollte um neunzehn Uhr dreißig beginnen, wir Autoren sollten eine halbe Stunde vorher erscheinen, um die Details abzusprechen.
Meine Frau, mein Stiefsohn und ich fuhren um ungefähr fünf Uhr los, für die Fahrt nach Kronberg würden wir zwei Stunden benötigen. Meine Nervosität, die sich im Laufe des Tages eingestellt hatte, erreichte so langsam ihren Höhepunkt, sodass die Schützenhilfe durch meine beiden Begleiter schon gut war.
Wir erreichten Kronberg ohne Probleme, die Stadtbibliothek selbst war auch schnell gefunden. Einer der Autoren hatte kurzfristig abgesagt, die beiden anderen Autorinnen waren schon da. Natürlich auch mit Begleitschutz. Die Verlegerin des net-Verlag stellte sich vor. Sie entpuppte sich als eine nette, sympathische Frau. Das Besondere an ihr war natürlich die Tatsache, dass sie die Person war, die meine Geschichten veröffentlicht hatte. Kein Wunder also, dass ich sie sympathisch fand.
Die Stimmung war wohltuend entspannt. Es wurde kurz abgesprochen, wie die Reihenfolge von uns Autoren für die Lesung sein sollte, ein Pressefoto wurde gemacht (Kronberger Anzeiger) und ich konnte noch bevor es losging auf die Toilette verschwinden und „Luft“ ablassen.
Eine der Autorinnen war vor mir an der Reihe, ich hatte den mittleren Part. Als dann meine „Vorleserin“ dann vor dem Lesepult saß, ging es also richtig los. Ich hatte sofort den totalen Realitätseinbruch und dachte das schaffst du nie, konnte aber nun nichts mehr machen, die Angelegenheit lief. Von der Geschichte meiner „Vorleserin“ bekam ich nicht ein Wort mit. Meine Wahrnehmung schien leicht getrübt. An dem aufbrandenden Applaus merkte ich aber, dass sie fertig vorgelesen hatte.
Die Lesungen wurden durch einen eigens engagierten Musiker mit Gitarrenmusik untermalt, das heißt, er spielte zwischen den einzelnen Lesungen. Als ich dachte es sei nun an der Zeit für mich, unterbrach ich sein Spiel und machte mich mit wackligen Beinen auf den Weg zum Lesepult. Es hielt mich niemand auf, ich schien bisher also alles richtig gemacht zu haben. Als ich am Lesepult war, merkte ich, dass ich mein Glas mit Wasser vergessen hatte, welches ich aber dringend benötigte, da mein Mund

Maria Weise stellt ihren Verlag vor



und meine Kehle plötzlich so trocken wie die Wüste Sahara waren. Ich befürchtete schon, kein Wort herausbringen zu können. Irgendeine gute Fee muss es ihr eingegeben haben, denn eine Frau aus dem Publikum stellte mir ein Glas mit Wasser auf das Pult. Oder sollte es eine Mitarbeiterin der Bibliothek gewesen sein? Keine Ahnung.
Ich nahm einen Schluck Wasser und begann zu lesen. Das Wasser hatte keine Wirkung, trotz der Wüste im Mund musste ich lesen. Aber siehe da! Es funktionierte trotzdem. Ich las und las. Ich weiß zwar nicht, was ich las, jedenfalls nicht in diesem Moment, doch hatte ich den Eindruck, dass die Zuhörer genau an den richtigen Stellen lachten und an den Stellen, an denen Betroffenheit gefragt war, auch betroffen waren.
Der laute Applaus zeigte mir, dass ich meinen Text zu Ende gelesen hatte und ich blieb einen Moment ruhig stehen, um den Beifall zu genießen. Und dies gelang. Und das war toll! Machte mir Lust gleich noch was zu lesen. Aber das ging ja nun nicht.
Ich setzte mich zu meinen Angehörigen und lauschte nun der Autorin, die die Lesung organisiert hatte und nun ihren Lesepart hatte. Ich konnte sie gut verstehen

Buchverkauf



und ihrem Text folgen. Entspannt und gelöst, wie ich nun war, war dies kein Problem.
Die Geschichte von ihr hatte ich schon gelesen. Eine Liebesgeschichte aus der Anthologie „Herzensangelegenheiten“, in der ich auch mit einem Text vertreten war. Als ich ihre Geschichte gelesen hatte, kam sie mir ein bisschen langweilig vor. War sie jetzt aber überhaupt nicht. So, wie die Autorin ihren Text vorlas, wurde mir die Lebendigkeit der Erzählung erst richtig deutlich. Tja, es kommt eben auch darauf an, wie man einen Text liest.
Nachdem nun die letzte Autorin ihre Geschichte zum Besten gegeben hatte, gab es erstmal ein bisschen Gebäck, bisschen Small-Talk und dann stellte die Verlegerin des net-Verlages das Konzept und die Arbeit ihres Verlages vor. Danach gab es noch eine Runde, ihn der wir Autoren Fragen aus dem Publikum beantworten konnten, der net-Verlag konnte noch ein paar Bücher an den Mann beziehungsweise an die Frau bringen und die Lesung war gelaufen.
Auf der Rückfahrt war ich ziemlich aufgedreht und freute mich schon auf meine nächste Lesung, die irgendwo in den Sternen stand.

Imprint

Text: R. Güllich
Publication Date: 11-04-2012

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