Er nutzte die Wohnung nicht. Eigentlich war sie ja schön, aber sie lief immer noch auf den Namen seiner besten Freundin. Außerdem fehlte ihr das gewisse Etwas – Hundehaare. Er strich seinem Schäferhund durchs Fell. Ohne Hund war für ihn eine Wohnung seltsam leer – auch wenn sie voll gerammelt war. Es hatte ihn viel Zeit gekostet Lisas Wohnung zu entmüllen, als sie sie ihm, nach ihrem Umzug nach Paris, praktisch geschenkt hatte. Sie war unglaublich schusselig und so hatte es ihn fast ein Jahr gekostet sie bewohnbar zu machen und gemütlich einzurichten. Es war unglaublich, wie viel er in diesem Durcheinander gefunden hatte. Eine Erstausgabe von Alice im Wunderland, die nun in seinem Bücherregal einen Ehrenplatz bekommen hatte, einige alte Halloween Kostüme, unter ihnen ein Drache, ein Geist, ein Pirat und ein Skelett. Lisa hatte gemeint, dass sie sie aufheben würde, wenn sie mal eigene Kinder hatte. Bis zu diesem Tag war es aber bis jetzt nicht gekommen. Nach Absprache mit ihr hatte er sie mit einer Menge anderer Dinge entsorgt. Alles was sie an Möbeln zurückgelassen hatte ebenfalls. Sie waren viel zu dreckig, um es verdient zu haben länger aufgehoben zu werden.
Durch Zufall hatte er den perfekten Zweck für die Wohnung gefunden und sie deshalb bewohnbar gemacht. Das Nachbarmädchen, das von ihrem Vater regelmäßig verprügelt wurde, hatte sie dankbar genutzt, bis sie sich zwei Monate später für volljährig erklären lassen hat und somit aus diesem grauenvollen Leben flüchten konnte.
Erst zwei Wochen später war eine Mutter mit zwei kleinen Kindern dort vorübergehend eingezogen, um aus der Ehekrise, die oft in Gewalt endete, zu entkommen. Es hatte bei ihnen fast ein halbes Jahr, eine Scheidung und eine einstweilige Verfügung gebraucht, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Es hatte ihn nicht gestört. Für ihn war es keine Schwierigkeit sie dort wohnen zu lassen. Es war eine Eigentumswohnung auf Lisas Namen, aber schon festgehalten, dass er der eigentliche Eigentümer war. Strom und Wasser waren billig – außerdem benutzten Menschen, die dort praktisch gratis lebten, sowieso so wenig wie möglich davon, um nicht noch mehr zu Last zu fallen, wie sie es immer formulierten.
Nach ihr war eine Frau mit aggressivem und besitzergreifenden Freund für einige Tage geblieben. Seitdem stand die Wohnung leer. Nun nutzte er sie, um mehreren Menschen auf einmal helfen zu können. Nun war sie eher eine Art Notrufzentrale. Sie half ihm anonym zu bleiben. Er legte sich hier mit mächtigen Menschen an und da wollte er besser nicht, dass sie seinen Namen kannten.
Menschen helfen war nun das, was er tat. Es erfüllte ihn mehr als sein Job bei der Putzfirma – obwohl er bei diesem Job auch sehr viel mitbekam, was private Probleme anging. Er warf einen Blick auf das letzte dieser Probleme. Dieses musste er noch lösen. Er raffte sich auf und schlüpfte in seine Jacke. „Höchste Zeit die Welt ein bisschen besser zu machen“, sagte er zu seinem treuen Hund und streichelte ihn, bevor er die Wohnung verließ.
Er träumte mal wieder von einer heilen Welt, das war ihm bewusst.Heilwar sie zwarnicht, aber er gab sich Mühe, dass sie vielleicht einmal zu einer werden würde. Dass er dazu beitrug sie besser zu machen. Das war es, was er im Leben wirklich wollte.
Cover: Anthea Rainel
Publication Date: 01-04-2022
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