Thriller
Michael Bübl
Das Rad der Zeit dreht sich auch ohne Gerechtigkeit weiter
Der Tattoo-Killer
Thriller
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Copyright by Michael Bübl
EU - 2017
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Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Handlung und Personen sind frei erfunden.
1
Es ist fast Mitternacht, als Luigi Vandessen im Stiefelknecht, einer bekannten Schwulenbar an seinem Bier nippt. An der Theke lehnen Männer jeglichen Alters und halten Ausschau. Die einen auf Kundschaft, die anderen auf käufliche Triebbefriedigung. In seinem Kopf schweifen trübe Gedanken. Wie tief kann ein Mensch noch sinken. Finanziell und vor allem moralisch am absolutem Tiefpunkt angelangt. Seit zwei Wochen ist er wieder einmal auf freiem Fuss und hat keine Wohnung und keine Bleibe, ausser dieser WG für Haftentlassene. Dort ist es schlimmer als im Knast selbst. Die Sozialarbeiter mit ihrer passiven Aggression machen den Bewohnern das Leben zur Hölle. Wenn sanfte Worte zur Waffe werden, dann ist das nicht meine Welt, so denkt Luigi. Sein italienischer Vorname hat ihm in seinem Leben nicht viel geholfen, sein echter Abstamm ist etwas verworren. Geboren in Istrien, einst Italien nun Kroatien. Er ist eines dieser sogenannten Vergewaltigungskinder aus dem Jugoslawien-Krieg. Serbischer Soldaten-Vater unbekannt, vor der Geburt bereits zum Verkauf angeboten, jedoch haben sich keine zahlungskräftige Eltern aus Übersee gefunden, die das Kind nehmen wollten, wegen seiner dunklen Augen. Bezahlt wird nur für rein weisse Jungs mit blauen Augen, alle anderen sind Ladenhüter. Bei Mädchen ist der Markt toleranter, aber bei männlicher Ware wird dies verlangt. Rassistisch, widerlich aber so ist die Welt des organisierten Kinderhandels nun mal. So ist als einzige Option eine Adoption zu Pflegeeltern im nahen Wien geblieben. Allzu oft ist er von Mitschülern wegen seiner Herkunft gemobbt und gereizt worden. »Dein Papa hat es deiner Mama also jugoslawisch gemacht«, sind noch die harmlosesten Verspottungen gewesen. Er hat gelernt mit roher Gewalt zu antworten und hat früh Bekanntschaft mit dem Justizsystems des Rechtsstaates gemacht. Erziehungsheim, Jugendknast und Erwachsenenvollzug wechselten sich wie seine Straftaten ab. Körperverletzung, Einbruch bis zum Raub, die Speisekarte von Luigi ist lang und abwechslungsreich. Von Tat zu Tat härter und schwerer.
»Darf ich Platz nehmen?«, fragt ihn ein etwa vierzig Jahre alter, gepflegter Mann im Zweireiher, und wartet die Antwort nicht ab. An der Aussprache und Betonung erkannte man sofort, dass es sich um einen Menschen höherer Bildung handelt.
»Warum setzen Sie sich ausgerechnet zu mir?«
»Weil wir zwei die einzigen hier drin sind, die weder schwul noch Polizisten sind!«
»Oder beides!«, scherzt Luigi und ein Lächeln kommt über seine angestrengte Mine.
»Sie haben, sagen wir es etwas bagatellisiert, einige Problemchen oder einen Engpass, nehme ich an, sonst täten Sie hier nicht auf eine Weihnachtsgans warten?
»Kennen wir uns, was soll das, wenn ich nicht eben erst entlassen worden wäre, hätten Sie bereits eine Narbe mehr!«, entgegnet Luigi sofort aufbrausend, »aber ich habe keine Lust auf Staatsurlaub, nicht schon wieder!«, also hinfort mit dir!
»Das weiss ich doch, sonst wäre ich nicht hier. Sie suchen dringend einen Unterschlupf, und nehmen dabei jeden schwulen Kerl, dem die Wohnung gehört in Kauf, weil Sie bei den Damen keine Chance haben und keinen müden Cent in der Tasche für ein eigenes Nestchen.«
Schon wollte Luigi seinen Tischgast das Nasenbein brechen, da lies der Anzugmann ihn einen Blick auf seine Pistole gewähren.
»Ho Ho, langsam Mister Vandessen, beruhigen Sie sich, ich bin da um Ihnen etwas anzubieten, wenn Sie uns helfen!«
Luigis Hand öffnet sich augenblicklich, der Respekt zur Waffe ist unübersehbar, offensichtlich hatte er in Vergangenheit bereits hin und wieder Kontakt zu Schusswaffen gehabt und weiss bestens Bescheid über deren Überlegenheit.
»Chancen bei den Damen habe ich schon, aber das ist anstrengend. Bei den Tunten ist es einfacher und geht schneller. Aber Sie haben Pech, ich mach derzeit keine krummen Sachen, zumindest nicht die nächsten Monate. Und wieso kennst du meinen Namen?«
»Ich bitte Sie, glauben Sie ich bin zufällig hier? Sie sind ein Mann, der vieles hinter sich hat und wenig vor sich. Hören Sie sich wenigstens an, was ich Ihnen vorschlage, Nein sagen können Sie auch in 5 Minuten. Sie können Horvath zu mir sagen.«
»Raus mit der Sprache, die paar Minuten opfere ich gerne, ich habe heute noch Schlimmeres zu tun, als mir deinen Quatsch anzuhören«, meinte Luigi sichtlich angeekelt von seinem späteren Programm, lacht dann doch ein wenig aufgrund des Namens seines Gegenübers. »Horvath, ha ha, ich glaub’s glatt!«
»Mein Auftraggeber zahlt 5000 Euro für eine Kleinigkeit für einen Mann deiner Sorte. Für einen Mann ohne Moral und ohne jegliche Werte.«
»5000?«, erschrickt Luigi, er hat nicht mit soviel gerechnet. Wider allen Besserwissens des Bürgertums, geht es in der Halbwelt meist um kleine Beträge. Kaum ein Krimineller kann von seinen Taten leben, geschweige denn reich werden. Wie recht der Zahlende hat, der gebürtige Jugo ist in der Tat ein Mensch, dem sämtliche Werte abhanden gekommen waren. Er ist lediglich eine brutale und skrupellose Hülle auf der Suche nach Nahrung und Quartier.
»Kennen Sie Markus „Bike“ Tresser?«, fragt Horvath.
»Nein, ist das schlimm?«
»Markus „Bike“ Tresser ist Profi Mountainbiker und vor einigen Wochen bei einem Rennen verunglückt. Er hat sich das Köpfchen angeschlagen und liegt nun in der Intensiven, wird aber bald zu seinem Schöpfer abberufen.«
»Interessante Geschichte, soll ich mitschreiben? Soll ich ihm Blumen bringen oder seiner Mama Trost spenden?«, witzelt Luigi.
»Du sollst mir seinen rechten Arm bringen!«
Luigi verschluckt sich lautstark. Mit solch einem Auftrag rechnet nicht mal ein Gewaltverbrecher. Er war auf vieles gefasst, aber damit sichtlich nicht. Er steht augenblicklich auf und will verschwinden. Zum Abschied ruft er Horvath noch zu:
»Ich denke, du bist nicht ganz dicht! Da angle ich mir lieber eine warme Ader hier in diesem Etablissement!«
Horvath greift demonstrativ in seine Anzugtasche und holt ein Bündel grüner Euroscheine hervor. »5000, die Hälfte jetzt und hier, die andere bei Lieferung. Wie Sie wollen, Sie können aber auch dem knallharten Lehrertypen mit der Hornbrille dort an der Bar morgen um 8 ein Frühstück ans Bett bringen. Es liegt an Ihnen!«
Der Anblick des Geldes bremst Vandessens Rückzug und er nimmt erneut Platz am kleinen runden Tisch. 5000 Euro ist in diesen Kreisen üblicherweise der Preis für einen Mord und nicht für eine Verstümmelung. Die gibt es bereits um 1000. Dieser Tatsache ist sich der Unterweltler bewusst und weiss, dass wenn er es nicht tut, dann der Mann vom Nebentisch. Gescheiterte Existenzen, die alles für ein paar Kröten tun, die gibt es mehr als Spiesser. Die tun zwar das selbe, nur legal, aber um keinen Deut besser.
»Soll ich den ganzen Kerl bringen, oder eben nur den Arm?«
Horvath sieht Luigi aufgrund seiner Begriffsstutzigkeit etwas mitleidig an. Er meinte, er hätte sich klar genug ausgedrückt. Was kann man an der Aussage »Bring mir seinen rechten Arm« nicht verstehen. Trotzdem überreicht er Luigi 2500 Euro und macht ein todernstes Gesicht, wie ein Wallstreetanwalt bei einer Anhörung vorm Kongress. Vandessen läuft es trotz der Hitze im Lokal plötzlich eiskalt den Rücken hinunter. Er ist sich mit einem Mal völlig bewusst, dass er einen verbindlichen Vertrag eingegangen ist, und das ohne Rücktrittsrecht. In den geweiteten Pupillen des Herrn Horvarth ist der gesamte Vertragstext zu lesen und darin steht eindeutig, liefern oder leiden! Vandessen weiss erst in diesem Moment auf welchen Wahnsinn er sich eingelassen hat, denn trotz seiner kriminellen Vorgeschichte ist dies Neuland. Einen Menschen die Hand abzutrennen, das ist krank, selbst für einen Verbrecher, wie er es ist. Wie abartig muss der Typ wohl sein, der hinter diesem Anliegen steckt? Horvath ist nur der Unterhändler, aber der Mann dahinter ist an Perversion nicht zu übertreffen. Was macht man mit einem Arm eines Radfahrers, noch dazu eines todgeweihten? Tausend Fragen und keine Antworten für Vandessen.
»Darf ich etwas fragen, Herr Horvath?«
»Nein, dürfen Sie nicht! Sie haben eine Woche Zeit!«, bekommt er als unfreundliche aber eindeutige Antwort. Sodann greift er in seine Anzugtasche und überreicht ihm ein brandneues Mobiltelefon. »Es ist eine einzige Nummer eingespeichert. Wenn Sie das Objekt haben, dann senden Sie eine SMS an diese Nummer ohne Inhalt. Wir rufen zurück!«
»Warum bist du die ganze Zeit per Sie mit mir?«, möchte Luigi wissen.
»Mit dem Du ist das Arschloch nicht weit!«
»Ich brauche trotzdem noch einige ähhh Instruktionen«, unterbricht Luigi.
»In welchem Krankenhaus liegt dieser Markus und braucht ihr nur die Hand oder ab dem Ellenbogen, oder wie oder was, alltäglich ist so was ja doch nicht?«
»Für uns schon! Markus „Bike“ Tresser liegt im AKH und wir benötigen den Arm ab der Schulter. Den ganzen Arm, ab der Kugel. Da darf kein Stück fehlen. Pissen können Sie aber schon selber? Oder soll ich Ihnen Ihren Balkanpimmel halten?«
Vandessen wird knallrot aufgrund der rassistischen Beleidigung, reisst sich jedoch zusammen. Er weiss von seiner Unterlegenheit gegenüber dem Mafioso.
»Schon gut, ich habe verstanden. Ich warte bis der Pedalritter abdankt, dann entledige ich ihm seiner Pranke. Und was mach ich, wenn der Typ nicht abtritt?«
»Ihr Problem! Sie haben einen Vertrag, halten Sie sich dran. Hier haben Sie noch 100 Euro von mir persönlich, nehmen Sie sich ein Hotel. Ihr Vorhaben eine Tunte aufzureissen ist ekelig, ich muss gleich kotzen.«
Das sind die letzten Worte Horvaths. Er steht auf zahlt sein Mineralwasser und die zwei Bier seines Vertragspartners und verschwindet so unscheinbar, wie er gekommen war. Vandessen zählt sein Geld zum dritten Mal und bestellt sich einen doppelten Wodka, den er bitter notwendig hat. Er kann nicht fassen, in welchen Dreck er sich aus Geldgier reingeritten hat. Nach dem ersten Schluck Wodka relativiert er sein Urteil über sich selbst und schiebt der Not die Schuld zu, nicht der Gier. Für ihn ein grosser Unterschied, für den Weltmeister im Mountainbiken, keiner. Dem jungen Burschen wird der Grund egal sein.
Vandessen beherzigt den Rat und mietet im Hotel Donauwalzer das billigste Zimmer. Die Räume sind dreckig und heiss, um 25 Euro gibt es nun mal keinen Waldorf Astoria Standard. Dennoch besser als der Schlafplatz in der WG mit 12 anderen Knackis und den sadistischen Sozialtypen. Besser als die Nacht mit dem Lehrer. Vier Nächte hat ihm dieser Kauz Horvath spendiert. Bis zum Morgengrauen liegt Vandessen am Rücken in seinem Bett und raucht eine Zigarette nach der anderen. In seinem Kopf rotiert bloss ein Gedanke, wieso hat er sich auf so schweres Ding eingelassen. Bei seinen Vorstrafen gibt es dafür 5 Jahre, wenn er den Typen abmurksen muss, dann den Frack, also lebenslang. Jetzt hat er sich schon mal drauf eingelassen, ein zurück gibt es nicht mehr. Mit Mitgliedern der Mafia kann man rückwirkend nicht verhandeln. Wenn er verschwindet und sich das Geld krallt, dann werden sie ihn finden und dann ist sein Arm dran, und ein Auge dazu. Das sind die Zinsen. Gegen zwei hat er die letzte Zigarette ausgedrückt und begibt sich durch den notdürftig grünlich beleuchteten Gang zur Rezeption. Das klebrige Linoleum zieht ihm bei jedem Schritt fast die Schuhe aus. Luigi ist in den dreckigsten Gefängnissen in halb Europa eingesessen, dieses Hotel schlägt jedoch alle. In einer Ecke liegt ein Penner, dessen Kohle nicht fürs Zimmer gereicht hat und drei Meter vorm Pult des Nachtportiers ein riesen Kotzhaufen, den seit Wochen keiner weggewischt hat.
»Hast du Marlboro?«, fragt er den pockennarbigen Schwerstalkoholiker hinterm Tresen dessen Kopf seitlich auf der Holzplatte liegt und dessen Mund weit offen steht. Ohne Aufzuschauen und ohne die Position zu ändern legt er eine Schachtel gefälschte polnische Marlboro auf neben sich auf den Pult. »5«, lallt er.
Zurück am Zimmer raucht und denkt Vandessen weiter, nach stundenlangen Hirnzermartern ist er sich sicher. Es bleibt im nur eine einzige Möglichkeit. Er muss dem Radler den Arm abhacken und sich auf keinen Fall erwischen lassen. Schnappen ihn die Bullen, so fährt er in den Knast ein und dort hat er die Killertruppe der Mafia zusätzlich am Hals. Das sind keine Freunde und werden ihn für immer Schweigen lassen, obwohl er sowieso nie gesungen hätte. Die Laufburschen gehen lieber auf Nummer sicher. Nach wenigen Stunden Schlaf, maximal zwei, verlässt er um Neun Uhr das Hotel und meldet dem diensthabenden Concierge seine abendliche Wiederkehr. Bezahlt hat er bereits im Voraus, in diesen Absteigen üblich. Aufgedunsenes, glänzendes und leberbraunes Gesicht, tiefrote Schweinsaugen, die fettig nassen Haare einfach über den Kopf nach hinten gelegt, so steht der Mittfünfziger in seiner Kanzel und presst mit heiserer Raucherstimme ein »Aha« hervor. In seinem Gekrächzte liegt totales Desinteresse, oder eher Unverständnis, wozu der Gast ihn über dies informiert. Als ob dieses Zimmer belegt werden würde. Der Nachtportier liegt einstweilen seitlich auf einem braunen Sofa aus den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts im hinteren Bereich der Loge und schnarcht fürchterlich. Ein Hauch von Glücksgefühl streift Vandessen beim Anblick dieser menschlichen Totalwracks, möglicher Weise hat er durch seinen neuen Freund Horvath eine Restchance erhalten einem solchen Ende zu entgehen. Seine winzigen moralischen Bedenken sind wie weggeblasen, ein Toter braucht keine Arme. Wenn jemand 5000 dafür zahlt, dann am besten mir.
Als er auf die Strasse tritt, trifft ihn die stehende Luft wie eine warme Wand. Es herrscht bereits eine gewaltige Hitze, trotzdem fröstelt es Luigi. Er macht sich auf den Weg ins AKH, vom Hotel nicht gerade weit. Nach einigen Meter auf der heissen Strasse schwindet die innere Kälte und sein Hemd klebt an seinem Körper. Einen ersten Überblick will er sich verschaffen. Vorher besorgt er sich eine billige Perücke, eine dicke Hornbrille und einen Aufklebebart als spontane Tarnung. Sieht zwar lächerlich aus, aber für seinen Zweck völlig ausreichend. Klatschnass betritt der die Halle des Spitals und an der Empfangsstelle stellt er sich als Martin Tresser, der Bruder von Markus vor, um zu erfahren in welcher Station sein Opfer liegt. Ebene 4, Chirurgie – Intensivstation erfährt er bereitwillig. Verdammt ruhig hier, denkt er als aus dem Fahrstuhl die Abteilung betritt. Er begibt sich den Gang weiter hin zu einer gigantischen Stahltüre mit der Aufschrift »Zutritt nur für Berechtigte«. Einige Personen, Ärzte, Pfleger und auch Schwestern kommen ihm entgegen, manche grüssen rein mechanisch, manche gar nicht. »Gut so, hier passt kein Mensch auf«, denkt Vandessen und öffnet die verbotene Tür. Mintgrüne Wände und ein monotones Piepen von medizinischen Geräten verraten ihm, hier muss die »Intensive« sein. Einige Gangfenster gewähren Einblick in die einzelnen Zimmer, die mehr an ein Rechenzentrum als an ein Krankenzimmer erinnern. Er geht langsam weiter in der Hoffnung ein Namensschild zu erblicken, bis er von einem Pfleger angesprochen wird, ob er Hilfe benötigt.
»Ja, das wäre nett, ich will meinen Bruder besuchen, Markus „Bike“ Tresser, er hat eine Kopfverletzung. Ich war in Frankreich und habe erst vor zwei Tagen von seinem Unfall erfahren, da bin ich sofort hergekommen. Ich bin die ganze Nacht durchgefahren.«
Vandessen lügt wie gedruckt, der Pfleger wirft einen misstrauischen Blick auf Luigis Maskerade, schluckt die Lüge aber trotzdem.
»Kommen Sie, ich führe Sie zum Zimmer, es ist das dritte hier vorn! Die Eltern des Patienten haben uns gar nichts von Ihnen erzählt.«
Beide stehen vor dem getönten Glasfenster durch das man so gut wie nichts sehen kann.
»Familienzwist, Sie wissen ja wie das so ist. Darf ich kurz zu ihm?«
Nun ist dem Pfleger der Grund für die laienhafte Verkleidung klar.
»Eigentlich nicht, aber ok, Dr. Rosenblatt ist auf Besprechung, 5 Minuten, mehr nicht.«
»Herr Pfleger, wie sieht es aus, ehrlich bitte, Mam und Paps sprechen nicht mit mir.«
»Noch ist nichts offiziell aber vermutlich werden wir am Freitag die Maschinen abschalten, Notar und Pfarrer sind informiert. Gehirn ist zu 99 Prozent zerstört, es tut mir leid!«
Vandessen markiert den Betroffen, fast rollt ihm eine Träne die Wange runter und huscht ins Krankenzimmer, um sich weiter umzusehen. Tausend Geräte und Bildschirme, welche Pieptöne und helle Lichter von sich geben. Von Markus „Bike“ Tresser ist so gut wie nichts zu sehen, ausser ein winziger Ausschnitt seines Gesichts. Alles andere ist verdeckt. Leicht wird diese Arbeit nicht, aber mit etwas Glück wird der Typ in zwei Tagen hochgeschickt, das ist schon mal ein Anhaltspunkt. Vandessen weiss noch nicht, wo und vor allem wie er die Gliedmasse abtrennen kann, ohne die gesamte Polizei am Hals zu haben. Schliesslich ist er kein Metzger. Es wird jedoch nicht so schwierig sein, mit einem scharfen Jagdmesser und notfalls mit einem Beil wird das zu schaffen sein. Ihm fällt ein, dass er mal in Mailand einem Widersacher ein Messer in die Rippen gerammt hat und das war ein ganz schöner Kraftakt, aber irgendwie wird es schon gehen. Im Krankenzimmer wird sein Vorhaben nicht gelingen, soviel ist schon mal klar. Am besten, dort wo man die Leichen hinbringt, in der Pathologie oder am Weg dorthin. In der Path sind wahrscheinlich wieder einige Ärzte und Helfer, die sich seit hundert Jahren kennen, da fällt jeder Fremde auf. Ziemlich abgeschieden die Räume.
»Sie müssen jetzt gehen«, mahnt ihn der nette Pfleger, der ihm den Kurzbesuch gewährt hat, »der Herr Doktor kommt jeden Moment!«
Vandessen erschrickt ein wenig, »Ja natürlich, vielen Dank! Ich werde Freitag da sein, um wie viel Uhr passiert--- ähhhh Sie wissen schon.«
»Um 11, immer um 11.«
Bevor Vandessen das Krankenhaus verlässt bringt er noch in den Namen des Vorstands der Pathologie in Erfahrung, es wir ihm nützlich sein.
Vor der letzten Haft hat Luigi einen ehemaligen Zellengenossen einige seiner Sachen anvertraut, darunter ein brauchbares Messer. Dies könnte er jetzt abholen. Er entscheidet sich jedoch dagegen. Heinz war schon im Knast ein mieser kleiner Wamser, er könnte ihn erpressen oder verraten, wenn am Samstag die Zeitungen voll sind. Einen Tag hat er Zeit, um sich eine Pflegeruniform und eine neue Perücke, eine bessere, zu besorgen. Er muss sich tarnen wegen der penetranten Kameraüberwachung. Aus verständlichen Gründen liegt eine Wiedererkennung nicht in seinem Sinn. Als er sich einige Brötchen beim Diskonter holt, entdeckt er eine Akku-Stichsäge im Abverkaufskorb. 19,90 Euro, das ist ok, lächelt er in sich hinein. »Erspart viel Arbeit!« Ein paar Kleinigkeiten fehlen ihm noch, wie Müllsäcke aus Plastik, weisse Sportschuhe, Regenmantel, Einweghandschuhe und Klebeband. Daran wird es nicht scheitern. Im dreckigen Hotelzimmer, welches garantiert nicht Videoüberwacht ist, geht er sein Vorhaben nochmals durch, für ausreichenden Schlaf ist er viel zu nervös. Die Nacht vergeht dennoch und Freitag gegen 10 betritt Vandessen wieder das Krankenhaus bereits mit neuer blonder Perücke und modernerer Brille verkleidet. Er begibt sich in eine Toilette und klebt die Stichsäge an seinen Körper. Er hat im Gefängnis Schmuggeln gelernt, diese Fertigkeit kann er auch in Freiheit gebrauchen. Über seine zivile Strassenkleidung streift er die Spitalsuniform über und schlüpft in die Latexhandschuhe. Den Regenmantel stopft er in eine seiner Aussentaschen, zwei 110 Litersäcke in die andere. Er sieht nun wie ein etwas übergewichtiger Angestellter aus. Nun kann er sich nahezu im ganzen Haus bewegen, es wird kein Verdacht auf ihn fallen. Einige Minuten vor Elf fährt er in den vierten Stock um das Szenario nicht zu verpassen. Drei Minuten nach Punkt vernimmt er einen grellen Aufschrei hinter der grossen Glastür. »Aha«, denkt er sich. »Das war die Mama, der Stecker wurde gezogen.«
Wenige Augenblicke schwingt die Tür auf und einige Menschen treten heraus. Darunter eine lauthals schluchzende Frau, die von zwei Männern gestützt wird. Es klingt, als habe ihr eben der Teufel persönlich das Herz aus der Brust gerissen. Vandessen hatte Recht, die Mutti des Bikers!
»Muss echt schlimm sein«, so sein Eindruck. Von ihm nimmt in der Aufregung kein Mensch Notiz. Er begibt sich in den abgetrennten Bereich und wartet einige Sekunden ab, bis er angesprochen wird.
»Wer sind eigentlich Sie und was tun Sie hier?«, fragt ein missgelaunter grauhaariger Mann im bodenlangen weissen Mantel.
»Doktor Plassek von der Path schickt mich. Ich soll den Mann runter bringen. Er hat heute noch viel zu tun und will anfangen!«
»Runter?«
»Ich bin neu, das ist meine erste Woche, ich meinte rauf!«, korrigiert sich Luigi.
»Denke ich mir«, meint der Arzt im langen Mantel, »habe Sie noch nie gesehen. Koglovits gehen Sie mit, sonst verirrt sich unser wertvoller Neuzugang!«
Im Ton des Arztes liegt Spott. Vandessen ist zu abgebrüht um sich aufzuregen, hat er doch ein anderes Ziel, als auf die beleidigenden Worte des Doktors einzugehen. Er macht sich mehr Sorgen über die nicht gewollte Begleitung, die er sich keinesfalls wünscht. In seinem Kopf kreist der Wunsch die störende Schwester loszuwerden. Vorerst erkennt er seinen Vorteil, denn er hat keinerlei Ahnung wo sich die Lastenaufzüge befinden. Ein weiterer Irrtum würde ihn möglicher Weise auffliegen lassen. Schwester Koglovits löst die Bremse des Bettes und schiebt es vorsichtig aus dem Raum. Erst als die Richtung feststeht greift Vandessen unterstützend ein. Zwei Mal links und das Team steht vor einer unscheinbaren Türe aus weisslackiertem Blech ohne jegliche Aufschrift. Luigi öffnet die Tür und als das Bett im Lift steht keift er die Schwester förmlich nieder. »Danke Tourgide! Den Rest schaffe ich selber, du darfst zurück zu deinem Herrli!«
Das hat gesessen! Über die Lippen der Pflegerin huscht ein leises »Leck mich!« Das wars. Sie dreht sich um und lässt ihn allein mit dem Toten. Die Tür schliesst sich und Vandessen ist sich bewusst, dass ihm nur wenige Minuten für sein widerliches Vorhaben bleiben. Er lässt den Lift anfahren und drückt unmittelbar danach auf Halt. Er reisst die Stichsäge aus der Klebeverankerung, greift in seine Taschen und zieht raschest den hauchdünnen Regenmantel über. Blitzschnell schlägt er die Bettlacken zurück und zuckt ein wenig zurück. Der junge Mann ist von Kopf bis Fuss tätowiert, so was sieht man nicht einmal im Knast. Dann zieht den rechten Arm des Toten vom Körper weg. Die Stichsäge beginnt zum Schnurren und die Luigi drückt das scharfe Sägeblatt in die Schulter der Leiche. »Besser zuviel, als zuwenig abschneiden«, schmunzelt er »sonst regt sich Horvath wieder höllisch auf.«
Blut spritzt in grossen Mengen an die Wände und Decke des Aufzugs und färbt die ganze Kabine rot.
»Verdammt, wieso blutet der Kerl so stark, der ist doch schon tot – Gute Idee mit dem Regenponcho, sonst hätte ich alles abgekriegt.«
Nach nichtmal einer Minute ist die Säge durch Knochen, Gelenk und Sehnen marschiert und in der Achsel wieder ins Freie getreten.
»So! Ein paar Hautfetzen noch wegschnipseln, das wars!«
Vandessen reisst am Arm an und hat die lose Gliedmasse in der Hand. Er schmeisst sie sofort in den Müllsack, schlüpft aus dem Poncho und stopft ihn mitsamt der Stichsäge dazu. Dann drückt er E – wie Erdgeschoss und streift die Plastiktüten von seinen Schuhen, er hat an alles gedacht. Trotzdem schlägt sein Herz wie verrückt und der Adrenalinspiegel ist in bedenkliche Höhe geschnellt. Er fühlt sich jedoch nicht schäbig, er hat Angst vor Entdeckung und vor der daraus resultierenden Strafe. Moral und Anstand kennt er nicht, das hat ein für alle Mal bewiesen, am meisten sich selbst. Ein kurzer Blick, der Gang ist menschenleer. Vandessen schickt den blutverschmierten Lift in den 18ten Stock und macht sich mit dem Plastiksack auf den Weg ins Freie. Im nächsten öffentlichen U-Bahn-WC, entledigt er sich von der Pflegeruniform und stopft sie in den Sack. Etwas dumm, das ganze Zeugs im selben Sack zu transportieren, aber zum Sortieren war keine Zeit und keine Muse. In Zivilkleidung mit dem Müllsack in der Hand verlässt er die Toilette in Richtung Hotel. Er legt 25 Euro aufs Pult und erhält den Schlüssel. Der Portier wirft keinen müden Blick auf ihn. Vandessen könnte mit einer nackten Leiche auf der Schulter zur Tür reinspazieren, der versoffene Typ würde es nicht bemerken. Oder es ist ihm völlig gleichgültig. Der Mann hat in 20 Jahren Dienst in diesem Hotel gelernt über Kleinigkeiten hinwegzusehen und war noch nie vor Gericht als Zeuge. Er sieht und hört nichts, deswegen lebt er noch, trotz seines Jobs in der Huren- und Verbrecherabsteige Nummer 1. Im Zimmer legt Luigi den Sack in die vor Dreck strotzende Duschtasse und füllt den Inhalt in zwei neue Beutel um. Vandessen wirft einen Blick auf den abgesägten Arm und ist beeindruckt von den kunstvollen Tattoos. In einen Beutel kommt der Arm, in den anderen die Säge. Die Kleidung zerschneidet er zu winzig kleinen Fetzen und verbrennt sie auf der Fensterbank sitzend stückweise im blechernen Aschenbecher. Beim erbärmlichen Gestank der Ostblockzigaretten und dem herrschenden Verkehr an der stark befahren Verkehrshölle fällt der Geruch niemanden auf. Er ist schnell, 20 Minuten später sind die Hälfte der Beweise bereits vernichtet. Gegen 14 Uhr setzt der die verlangte SMS ab und wenige Sekunden später erreicht ihm der Rückruf. Das kurze Gespräch verläuft ohne Gruss und ohne Floskel.
»In einer Stunde vorm Göthe Denkmal!«, und aufgelegt. Ideal für Vandessen, in der Zwischenzeit kann er noch die Säge verschwinden lassen. Er sticht einige Löcher in den Plastiksack und wirft sie in den Donaukanal. Selbst, wenn man das Werkzeug findet, der Fluss hat sämtliche Blut- und andere Spuren weggewaschen. Den Arm hat er in eine helle Segeltasche gepackt und ist mit der U-Bahn unterwegs zum Treffpunkt. Obwohl Vandessen ein sogenannter harter Bursche ist und abgebrühter nicht mehr sein kann, schlägt sein Herz bis in den Hals. Auch ein Gewaltverbrecher ist nicht täglich mit einem abgetrennten Arm eines Weltmeisters unterwegs. Am Weg von der U-Bahn Station zum Denkmal Göthes kreuzt plötzlich wie aus dem Nichts Horvath seinen Weg. Ohne Worte übernimmt er die Tasche und drückt Vandessen eine weisse Plastiktüte in die Hand. Das war es auch schon. Horvath verschwindet ebenso schnell wie er erschienen ist. Mehr als 3 Sekunden hat der Austausch nicht gedauert. In der Tüte befinden sich 2700, ein neues Wertkartenhandy, und ein kleiner Zettel mit Aufschrift »200 für Spesen«. Vandessen freut sich über seine Bezahlung und er ist nicht dumm. Das alte Handy muss er vernichten.
2
Horvath inspiziert seinen Erwerb und ist im Grossen und Ganzen zufrieden mit seinem Söldner. Ein sauberer Ablauf einer dreckigen Arbeit. Immerhin sind es zwei Fliegen mit einem Schlag. Ein Tattoo des berühmten Tätowierers Ben Zocyl aus Portugal zu ergattern auf der Haut eines Weltmeisters, das gelingt nicht jeden Tag und vor allem nicht so einfach.
»Der Chef wird sich freuen«, denkt er und seine Mundwinkel verziehen sich zu einem zufriedenen Lächeln. Gespannt verfolgt er die neuesten Nachrichten im Radio und Fernsehen. Nichts, keine Erwähnung dieser verachtenswerten Tat! Das ist gut, mit etwas Glück wird alles vertuscht und Leute erfahren nichts davon. Auf die österreichische Polizei ist Verlass, wenn es um Verschweigen und Zurückhaltung geht. Sie berufen sich auf ermittlungstaktische Gründe, in Wahrheit ist es Überforderung und Ahnungslosigkeit.
»Wir haben das Objekt, Herr Doktor«, spricht er ins Telefon nachdem er die Nummer und die Vorwahl +41 gewählt hat. Sein Gegenüber, Doktor Brunner nimmt dies mit kleinwenig Freude zur Kenntnis. Für die grosse Freude ist es noch zu früh. Doktor Brunner ist ein grosser schlanker Mann mit stahlgrauen Augen. Er ist in der Schweiz geboren, sein Vater Alois Brunner war ein wichtiger Mann in den dunklen Jahren des Deutschen Reichs. Nach 1945 musste er seine Heimat Wien verlassen und floh Hals über Kopf in die Schweiz, um anschliessend über den Rattenpfad nach Syrien zu gelangen. Wie lange sich Brunner in der Schweiz aufgehalten hat, das weiss nur er. Eines steht fest, lange genug um einen unehelichen Sohn zu zeugen, welcher in St. Gallen blieb, als sein Vater nach Damaskus weiterzog. Mit einem Teil des gigantischen Vermögens des Nazis war es ein Leichtes für Brunners Liebschaft die wahre Identität des weltweit gesuchten Vaters zu verschleiern und für eine adäquate Ausbildung des Sprosses zu sorgen. Im Erwachsenenalter beteiligte sich Horst Brunner an einer Bank und stieg rasch in den Vorstand auf. Geld aus den Verbrechen seines Vaters war noch immer in ausreichender Menge vorhanden. Seinen Namen hatte er nie geändert, denn auch seine Mutter hiess Brunner. Zufall oder nicht, wer fragt danach. Horst Brunner studierte neben Bankwesen noch Kunstgeschichte und begann, wie alle passionierten Kunstkenner zu sammeln. Vorerst war er begeisterter Käufer zeitgenössischer Kunst, und war gern gesehener Gast auf Auktionen und Vernissagen, bis er ergriffen war von den alten Meistern, in diesen Etagen wurde die Luft bereits dünner und die Klientel reicher und »erlesener«. Eines Tages hatte Horst Brunner jedoch ein Schlüsselerlebnis. Es berührte ihn tiefer, als er gewollt und geahnt hatte und veränderte seine Persönlichkeit und seine Jagdleidenschaft auf aussergewöhnliche Kunstobjekte für immer. Auslöser und Grundstein seiner pervertierten Sammlung war ein besonderes Erbstück seines skrupellosen Vaters. Alois Brunner war über viele Jahre befreundet mit Ilse Koch, »Die Hexe aus Buchenwald« und unterhielt wahrscheinlich auch eine Liebesbeziehung mit ihr. Ilse Koch beschenkte Alois Brunner mit einer besonderen Aufmerksamkeit, mit einer Tischlampe aus tätowierter Menschenhaut. Sie wurde gefertigt aus der Haut der ermordeten KZ-Häftlinge. Dieser Gegenstand wurde über Jahrzehnte von führenden Historikern gesucht, jedoch nie gefunden. Dieses unvorstellbare widerwärtige Artefakt und Beweismaterial menschlicher Grausamkeit steht bei Horst Brunner in einem geheimen Tresorraum, von dessen Existenz nur er und seine verstorbene Mutter weiss. Horst war Anfangs angeekelt von dieser Menschenlampe, diesem Auswuchs, und wollte im Grunde nie mehr in Zusammenhang gebracht werden mit seinem Vater. Schon wollte er die Lampe vernichten, aber es erging ihm wie vor ihm Millionen Opfern des deutschen Diktators mit
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Publication Date: 08-30-2017
ISBN: 978-3-7438-3073-8
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