Die ganze Nacht hatte er keine Minute geschlafen. Jeden Platz auf seinem Bett lernte er in diesen Stunden kennen. Tausende Schafe zählte er. Doch egal, was er versuchte, seine Augen wollten sich nicht schließen – die Aufregung vor dem großen Tag war zu groß.
Kurz nachdem es hell wurde, wurde sein Wunsch erfüllt: Er genoss den Moment der Müdigkeit. Er ahnte, dass er gleich in einen tiefen Schlaf fallen wird. Das Lächeln des Sieges war auf seinem Gesicht. Er schlief so sanft und so ruhig ein. Nach drei Minuten klingelte sein Wecker. Er war erschrocken und wütend. Seine erste Rektion war, den Wecker mit voller Wucht gegen die Wand zu schmeißen. Aber die Wand traf er nicht und der Wecker landete geschont und weiterklingelnd auf eine auf dem Zimmerboden liegende Decke. Nun war ihm endgültig klar: „Ich muss aufstehen und diesen Wecker ausschalten.“
Es war sieben Uhr. An eine Rückkehr zum Bett dachte er nicht mehr. Sein Herz schlug vor Spannung. In einer Stunde geht ein neuer Lebensabschnitt los. In einer Stunde beginnt sein erster Arbeitstag.
Er stand vor dem Spiegel und beobachtete die Ringe seiner Augen, die ihrerseits bei jeder Wasserberührung brannten. Eine Welt brach für ihn zusammen, als er den Schrank aufmachte und feststellte, dass er keine Zahnpasta mehr hat. Er erinnerte sich daran, wie er am Morgen zuvor die leere Packung wegschmiss und anschließend vergaß, eine neue zu kaufen. In der Nacht hatte er die fehlende Zahnpasta nicht bemerkt, da er auf jede Körperpflege verzichtet hatte, um die übrig gebliebene Zeit für den Schlaf auszunutzen.
Dementsprechend war sein Mundduft intensiv. Wie verwirrt rannte er durch das Haus, öffnete jeden Schrank und blieb plötzlich stehen. Eine Idee fiel ihm ein.
Aus der Küche holte er grüne Pfefferminzblätter, etwas Mehl und Wasser. Er zermahlte die Blätter, gab dazu Mehl und Wasser und versuchte, daraus eine feste Mischung zu machen. Die grüne, matschige Flüssigkeit trug er mit der Zahnbürste auf seine Zähne. Er rieb und rieb, bis er blutete. Eine Erleichterung war ihm anzumerken.
Es war halb acht. In spätestens zehn Minuten musste er das Haus verlassen, um rechtzeitig anzukommen. Er zog sich an – ein Hemd, eine Hose und einen Pullover. Seine Haare kämmte er zu einem messerscharfen Linksscheitel. Seinen Lieblingsduft sprühte er auf sein frisch rasiertes Gesicht. Der Tag konnte nun beginnen.
Draußen vor der Haustür, wo seine Schuhe lagen, merkte er, dass er den Hausschlüssel auf seinem Schreibtisch vergaß. Die Zeit, bis er in das zweite Stockwerk braucht und zurück, würde einige Sekunden dauern, die ihm zu viel waren. Er muss schnell wegfahren. „Mein Mitbewohner wird heute Nachmittag sowieso im Haus sein. Den Schlüssel brauche ich nicht“, dachte er sich und schloss die Tür. Als er den rechten Schuh in die Hand nahm, floss ein Wasserfall über seinen Rücken: seine Socken lagen noch im Kleiderschrank. Er atmete schnell, sehr schnell. Sein Herz konnte er hören. Wie gefroren stand er hinter der Haustür – barfuß. Sein Mitbewohner hatte bereits vor Stunden das Haus verlassen.
Der nächste Nachbar ist drei Minuten Gehweg entfernt. Und dieser Nachbar ist eine alte Dame. Männersocken dürfte sie nicht haben, höchstens als Geschenk für ihre Enkel.
Seine Augen bedeckte er mit der linken Hand und dachte nach. Es gab für ihn nur zwei Wege: entweder er zieht die Schuhe an und fährt zur Arbeit oder er bricht in sein eigenes Haus ein. Gegen den ersten sprachen seine Gedanken, die ihn darauf hinwiesen, dass man zwischen den Schuhen und der Hose die Haut sehen könnte.
Seine verbrecherische Geschicklichkeit betrug null und somit fand er keine bessere Möglichkeit, als eines der Fenster mit einem Stein zu zerschlagen und ins Haus zu steigen. Doch nicht einmal das Fenster traf er mit dem ersten Wurf. Beim zweiten Versuch zersplitterte alles. Er ging ins Haus und verletzte sich am linken Fuß. Schnell behandelte er die Wunde, zog seine lang ersehnten Socken an, nagelte eine Decke am Fenster, um es nicht offen zu lassen, und ging nach draußen. Es war inzwischen zehn nach acht.
Er drehte sich um und sah einen Polizeiwagen vor der Haustür. „Was machen Sie da?“ fragte er die Polizisten. „Diebe festnehmen“. „In unserer Gegend?“ fragt er sie. „Ja“ antworteten sie und gingen auf ihn zu. „Bleiben Sie ganz ruhig und ergeben Sie sich“ befahlen sie ihm. „Was? Wovon reden Sie?“ erwiderte er mit einer unwissenden Stimme.
Mit Handschellen brachten sie ihn in den Wagen und fuhren zur Polizeiwache. Während der Fahrt versuchte er mehrmals, ihnen zu erklären, was die Wahrheit war, doch sie antworteten immer wieder: „Sie können sich in der Wache äußern.“
In einem kalten, grauen Saal saß er nun neben Menschen, die entweder müde oder aggressiv aussahen. „Was hat der Kleine denn gemacht?“ schmunzelte einer der Anwesenden. „Nichts, ich wollte nur meine Socken holen“ sagte er mit einem schüchternen Gesicht. „Und du hast nebenbei einen umgebracht, richtig?“ fragte ein anderer Mann. Alle lachten, er saß da und schüttelte seinen Kopf so, als würde er sich denken: ‚was mache ich hier nur?’.
Auf seine Uhr blickte er, als er auf freiem Fuß war. Es war elf Uhr. Er hatte der Polizei alles erklärt. Sie hatten herausgefunden, dass es sein Haus war. Und er hatte erfahren, wer ihn bei der Polizei gemeldet hatte – die alte Dame hatte bei einem morgendlichen Spaziergang das täuschende Verbrechen beobachtet und letztendlich als Zeugin in der Wache für ihn, ihren Nachbarn, ausgesagt.
Er wusste nicht, ob er noch zur Arbeit gehen oder sich auf dem Weg nach Hause machen sollte. „Wie soll ich ihnen alles erklären?“ fragte er sich. „Sie werden mir nicht glauben.“
Als er an der Bürotür seines neuen Arbeitgebers klopfte, sah er eine Katastrophe auf sich kommen. „Da sind Sie ja“ lächelte der Verantwortliche. „Ja, ich komme zu spät. Ich weiß.“ antwortete er. „Sie sehen erschöpft aus“. „Ja, ich werde Ihnen erzählen, was mir heute geschah“.
Er berichtete ihm alles. Vom Verlauf der Nacht bis zu dem Moment, an dem er an seiner Tür klopfte. Der Arbeitgeber brach in Lachen. Er lachte und lachte, bis er Tränen in den Augen hatte. „Du bist trotzdem zu früh hier“ sagte der lachende Mann. „Wie? Ich sollte um acht da sein“. „Nein, ich habe gestern bei euch angerufen und deinem Mitbewohner mitgeteilt, er solle dir ausrichten, dass ich dich heute erst um zwei Uhr nachmittags erwarte. Hat er dir das nicht erzählt? Egal, du kannst auch jetzt anfangen“.
Als er am späten Abend wieder zuhause war, sah er einen Zettel, den ihm sein Mitbewohner neben die Haustür gelegt hatte:
„Lieber Freund,
ich verreise heute und komme erst morgen zurück. Unsere Nachbarin informierte mich über den Vorfall mit dem Fenster. Solche Dummheiten können auch nur dir passieren. Wie kannst du nur deine Socken vergessen? Repariere das Fenster so schnell wie möglich.
Bis morgen.
PS: Gestern rief man mich von deiner Arbeit an und meinte, du sollst heute erst um zwei Uhr hingehen. Das ist jetzt aber sowieso unwichtig. Du wirst es festgestellt haben.“
Er zerknitterte den Zettel, zog seine Schuhe aus und stellte fest, dass sein Hausschlüssel immer noch auf dem Schreibtisch liegt.
Er riss die Decke vom Fenster herunter, ging in das Haus und schlief sehr tief ein.
Am nächsten Morgen baute er ein neues Fenster ein und hinterließ seinem Mitbewohner wenige Worte auf der Rückseite des von diesem verfassten Zettels:
„Lieber Mitbewohner,
ich reparierte das Fenster und aus Angst, dass jemand in unser Haus durch das Fenster gestiegen ist und eine Kopie unseres Hausschlüssels, der auf meinem Schreibtisch lag, gemacht hatte, tauschte ich das Schloss unserer Haustür.
Du kannst also mit dem bisherigen Schlüssel nicht in das Haus. Das ist jetzt aber sowieso unwichtig. Du wirst es selber feststellen.“
Publication Date: 04-01-2009
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