Ich konnte nicht fassen, was Britta zu mir in der Kneipe sagte. Stand da wie vom Donner gerührt. Dabei hatte ich mich nur entschuldigen wollen.
Sie saß an der Theke, hatte ein Glas mit diesem Frauendings mit Strohhalm – Aspirin oder Aspartat, nein, Aperol heißt das Zeug wohl – in der Hand, nuckelte daran und starrte auf die Flaschenbatterie an der Wand, wobei die Flaschen ja eigentlich hinter ihr auf den Kneipenstühlen hockten, egal, Platz war auf alle Fälle noch genug, dass sie mich im Spiegel hinter den Flaschen … Herrrschaftszeiten, was fasele ich denn da herum? Jedenfalls ignorierte sie mich völlig. Und als ich sie ansprechen wollte, sagte sie schnippisch, ohne den Kopf zu mir zu drehen:
"Du bist Luft für mich."
"Was?" Mehr fiel mir nicht ein.
"Luft. Lu-huft."
"Wie jetzt, Luft?"
"Hast du was mit den Ohren?"
Ich war völlig perplex. Britta winkte dem Barkeeper, der ein neues Glas mit dem Mafiazeug vor sie hin stellte und mich mit einem warnenden Blick bedachte, der Arsch. Luft hatte sie gesagt. Was für Luft denn? Stadtluft? Landluft? Pressluft?
Ich holte tief … Luft, drehte mich um und eilte aus dem Lokal. Es befand sich nur einen Luftsprung von meiner Wohnung entfernt, und schwuppdiwupp stand ich wieder neben ihr.
"Schau mal her, Schatz", sagte ich, hielt ihr das Buch, das ich geholt hatte, vor die Nase und deutete auf den smarten Typen auf dem Einband. "Das ist der Sven Plöger, mein Schatz, der Wettermann vom Fernsehen, den kennst du ja sicher, und das ist ein Buch von ihm. Er hat es sogar für mich signiert, obwohl es von Druckfehlern strotzt. Fehler des Verlags, des faulen und unfähigen Lektors oder so etwas sei daran schuld, aber egal. Und weißt du, was da drin steht? Weißt du das, Schatz?"
Britta stieß in einer seltsamen Art die Luft aus, als wäre sie genervt.
"Hier, hier", ich blätterte hektisch zur Seite zehn, "hier steht, dass die Luftsäule über dir siebzehn Tonnen wiegt. Siebzehn Tonnen! Kannst du dir das vorstellen? Die Autoren des Buches bezeichnen diese Information zwar als sinnarm, aber wenn du mich als Luft bezeichnest und ich soviel wiege wie vier Elefanten, die auf dir lasten, dann kannst du das doch nicht ignorieren!"
"Sinnarm", sagte sie, "da hat dein Sven wohl recht." Dabei drehte sie den Kopf zu mir und musterte mich mit ihren veilchenblauen Augen. Yeah!, dachte ich, besser, als ignoriert zu werden!
Sie nahm mir das Buch aus der Hand, tippte auf das Cover und fuhr fort: "Hier steht: 'Wie Wind unser Wetter bestimmt'. Wind, nicht Luft. Und Luft ist das, was du von dir gegeben hast, seit wir uns kennen. Nicht mal heiße Luft. Nur … Luft."
Sie knallte das Buch auf den Tresen, was den Barmann noch akribischer an einem schweren Whisky-Tumbler polieren ließ und starrte wieder auf die Flaschen.
Ich war völlig fertig und bestellte mir einen Scotch, damit der Typ endlich mit dem Polieren aufhört und sagte:
"Was ist denn so schlecht an Luft? Schließlich kannst du nicht ohne sie leben!"
"Ja, aber zum Leben gehört außer Luft noch sehr viel anderes dazu, verstehst du?"
MmMmMmm. Meine Gedanken rotierten. Ich dachte an das Buch von Sven Plöger und war irritiert. Es ging um Wind, um Stürme, um Wetter – was hatte ich damit zu tun?
"Was hab ich damit zu tun?", fragte ich in einem Anfall von Agression.
"Mann! Okay, ich versuch's mal. Du hast immer nur laue Lüftchen produziert. Du hast mich machen lassen, egal, was das manchmal für ein Blödsinn war. Du hast nie gegengesteuert. Du hast dein Fähnchen immer nach dem Wind gehängt, das mag zwar lieb gemeint sein, aber es nervt! Ich will keine Windschleppe hinter mir her ziehen wie ein Flugzeug, ich hätte auch ab und zu mal richtig Gegenwind gebraucht, verstehst du? Und jetzt lass mich bitte in Ruhe. Windstille, klar?"
Ich klappte wortlos Sven Plögers Buch zu, kippte den Scotch runter und zog mich an ein Tischchen neben dem Ausgang zurück. Dann bestellte ich bei der Bedienung einen doppelten Brennivin, den 'Schwarzen Tod' aus Island. Das brauchte ich jetzt.
Gegenwind. Hm. Vielleicht wäre das ein guter Ansatz …
Als das hübsche Mädel vom Nachbartisch ihr Glas hob und mich anlächelte schnaubte ich bewusst gegenwindmäßig. Um der Frage vorzubeugen - dieser Gegenwind ging voll in die Hose. Metaphorisch betrachtet natürlich nur.
Ich zahlte und ging.
Ja, ich war ziemlich durch den Wind …
*****
Text: BRieser.14218
Images: BR. unter Verwendung eines Bildes von blitzmaerker / pixelio.de
Publication Date: 02-19-2018
All Rights Reserved