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1. Abreise

>Du verdammte Hure! Na, sag schon, treibst du es mit dem Wichser?!< Daddy schrie so laut, ich konnte fühlen, wie die Wände wackelten.
>Johnathan, du weckst das Kind.< Mummy hielt immer alles geheim.
>Sie soll ruhig wissen, was für eine Schlampe ihre Mutter ist!<
>Nein, du gehst nicht... John, lass sie!< In dem Moment krachte die Zimmertür auf und Daddy kam rein. Er packte meine Schulter. Ganz fest. Es tat weh. Er zog mich aus dem Bett raus. >Sieh mal, Jenna. Deine Mama fickt den Familienhelfer. Dreckiges Luder!< Er schlug Mama so stark, dass sie gegen die Wand fiel und sich den Kopf stieß.
>Daddy, nein!< Ich versuchte ihn von Mama wegzuziehen, aber Papa war so groß und stark.
>Halts Maul!< Und dann traf mich seine Faust ins Gesicht. Ich flog im hohen Bogen auf den Boden zurück und weinte. >Ich werd´s dir schon richtig besorgen. Das ist es doch, was du willst.< Papa schlug weiter auf Mummy ein. Ihre Schreie taten in meinen Ohren weh. Ich wollte das Papa aufhörte. Ich wollte das Mama, Papa und ich glücklich sind. So wie früher. Ich wollte doch nur das alles besser wird.
>Daddy, nein!< Ich streckte meine Hände zu Papa aus. In meinen Innenflächen wurde es warm.

Plötzlich sprühte eine Fontäne aus Feuer aus den Händen des kleinen Mädchens, direkt in das Gesicht ihres entsetzten Vaters. >Was zum...?!<, waren seine letzten verständlichen Worte, bevor sie übergingen in von Schmerz verzerrten Schreien, während die Flammen ihn umfingen und auch den Rest des Raumes erfüllten. Bald gesellte sich zu den Schreien des Vaters, auch die der Mutter. Der Brand schloss alles in sich ein, wahrte aber einen sicheren Abstand zu der Kleinen. Das Mädchen hatte so Angst, dass sie einfach weiter ihre Hände von sich streckte, bis nichts mehr zu hören war, bis auf das Knistern, der brennenden Tapete und dem Niederbrettern der Türleisten.
>M-mummy?<, wimmerte das Mädchen. Vor ihr lagen die verkohlten Überreste ihrer Eltern. Erneut hörte sie Schreie. Dieses Mal von draußen.
>Oh mein Gott!<
>Es brennt!<
>Ist da noch jemand drinnen?!<
>Ruft die Feuerwehr!<
Das Mädchen saß heulend in der Ecke. Umzingelt vom Feuer. Doch sie hatte keine Angst vor dem Feuer. Im Gegenteil, dass Feuer wärmte die Stellen in ihrer Brust die durch den Anblick der Leichen erfroren war.
Es dauerte nicht lange, bis die Sirenen eines Feuerwehr-Wagens das Züngeln der Flammen übertönte. Kurz darauf krachte es laut. >Hallo? Ist hier jemand?<, riefen tiefen Männerstimmen aus dem Wohnzimmer. Die Kleine weinte einfach immer weiter, konnte die Bilder nicht aus ihrem Kopf kriegen. >Hallo?!< Die schweren Schritte kamen ihr näher. >Hey, Süße.< Ein Mann in einem dicken, gelben Anzug und einem dazugehörigen Helm stand in der Tür. >Bob, hier ist ein kleines Mädchen!< Er rannte sofort zu ihr und hob sie hoch und bedeckte sie mit einer feuerfesten Decke. Mehrere Minutenlang blieb sie im Dunkeln. Das Gesicht verdeckt von der Brust des Feuerwehrmannes. Sie weinte immer weiter, während der Mann im Anzug ihr zuflüsterte, dass alles gut werden würde und sie gleich draußen sein würden.
Sie spürte am Temperaturwechsel sofort, dass sie draußen angelangt waren. Die Decke wurde weggezogen und sie bekam freie Sicht auf eine Straße voll mit ihren Nachbarn, Feuerwehr-, Polizei- und Krankenwagen. >Sonst noch jemand?<, fragte der Sanitäter, der das Mädchen an sich nahm und sie auf die Liege im Innenraum des Autos setzte.
>Zwei Personen, wahrscheinlich die Eltern. Meine Jungs sind noch drinnen.< Sie drehten sich um, als das Haus explodierte. Der Feuerwehrmann schrie auf und rannte zurück. >Die Gasleitung! Achtung! Isoliert die anderen Häuser!<, schrie er wie verrückt.
Der Sanitäter wandte sich zu dem anderen uniformierten um. >Funk das Krankenhaus an, wir brauchen hier mehr, als gedacht.< Er tastete ihr Gesicht ab. >Unglaublich. Nicht eine einzige rote Stelle. Es ist ein Wunder, dass du diese Flammen überlebt hast.<
Sie wurde in den Decken umwickelt ins Auto einer der Polizisten gesetzt und sah zu, wie die Reste vierer Personen raus getragen wurden. Ihre Mutter erkannte sie jedoch sofort. Der Stoff ihrer rosa Bluse lugte aus der Trage. Es war ganz verkohlt, aber sie wusste es gehörte ihr. Als nächstes sah sie ihren Vater. Einer der Träger verlor das Gleichgewicht und das Gesicht ihres Dads zeigte sich. Kaum zu erkennen, waren mehr die Züge des einst wütenden Mannes und auch nicht des lachenden Mannes, der ihr Abends von Prinzessinnen und Rittern erzählt hatte. Die rechte Wange war so durchgebrannt, dass man seine Backenzähne blutig hervorblitzen sehen konnte. Und sie hätte schwören können, dass diese sich öffneten und der Klang ihres Namen zu ihr herüber schwebte.

>Ah!< Ich riss aus dem Schlaf. Wie immer in Schweiß und der brennenden Bettwäsche. Fluchend warf ich die Decke von mir auf den Boden und begann darauf zu treten und das Feuer zu löschen. >Scheiße, verdammte!< Ich hob die geblümte Decke auf. Zwei schwarz umrandete Löcher. Genervt sah ich auf den Wecker auf meinem Nachttisch. 20 vor 7Uhr. Es wurde also sowie so langsam Zeit aufzustehen. Nach einer langen ausgedehnten Dusche, zog ich mich in meinem Zimmer um. Schwarze, enge Jeans, ein einfaches Band-T-Shirt und Sportschuhe. Bevor ich mit meinem Rucksack runter in die Küche joggte, schnappte ich mir noch meine braune, übergroße Wolljacke. Unten stand Caroline schon am Herd und ließ ein paar Eier brutzeln. Schweigend schnappte ich mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank.
>Gut geschlafen?<, fragte sie. Mit ihren blonden Schulterlangen Haaren und dem fliederfarbenen Bademantel war sie die typische Hausfrau.
Ich zuckte mit einer Schulter. >Hab´s wieder verbrannt.<, brummte ich und schnappte mir einen Apfel ab aus der Obstschale.
Selbst ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste ich, dass ihre Nasenlöcher sich bewegten und sie auf ihrer Unterlippe knabberte. Das machte sie immer, wenn sie sich unwohl fühlte. >Das... ist kein Problem. Ich wechsel´ es einfach heute aus.<
>Es riecht verbrannt aus deinem Zimmer, Jenna.<, merkte Ralph an, während er ins Wohnzimmer ging und von dort zu uns sah.
>Ich wechsel´ es einfach heute aus.<, wiederholte Caroline nervös.
>Hast du wenigstens versucht, es zurückzuhalten?<, fragte er schlecht gelaunt.
Als ich noch ein Kind war, konnten sie die Unterschiede zwischen mir und anderen noch akzeptieren. Sie verstanden, sie konnten nicht riskieren, mich zu einem Arzt zu bringen. Doch ich war nicht so gut darin, diese Ausbrüche zu kontrollieren. Es passierte, wenn ich einen Gefühlsausbruch hatte.
Manchmal konnte ich aber auch von mir aus eine Flamme entstehen lassen.
>Ralph, ich versuche immer es zurückzuhalten. Also fick dich und geh mir nicht auf die Nerven!<, schnauzte ich und rauschte an ihm vorbei.
Er hielt mich an meiner Schulter fest und riss mich mit voller Wucht zurück. >Jetzt hör mir mal zu, junges Fräulein. Wir füttern dich hier nicht durch, damit du uns die Bude abbrennst, hast du verstanden?< Sein Gesicht war so nah an meinem, ich konnte den Zahnpasta-Geruch direkt einatmen.
Ich stieß ihn von mir. >Ihr füttert mich durch, weil du mit Platzpatronen schießt. Spiel dich gefälligst nicht so auf, klar?< Wütend stürmte ich aus dem Haus und folgte dem steinernen Weg bis an den Bordstein. Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren, ließ Musik laufen und ging in die Schule. Der Weg war nicht besonders lang, weshalb ich nicht den Bus nahm oder mich von Carol oder Ralph fahren ließ. Nachdem ich seinen Hobby-Raum abgefackelt hatte, war Ralph nicht mehr so gut auf mich anzusprechen.
Eigentlich war mir schon von Anfang an klar gewesen, dass er mich nicht leiden konnte. Aber mal im Ernst, wie sehr konnte man ein Kind lieben, dass in jedem Moment wie ein Böller in die Luft ging und alles um sich herum versengte? Es war ja nicht so, als würde ich meinen Außenseiter-Faktor nicht akzeptieren, es kotzte mich halt nur an.
Die High School auf der ich war, war riesig. Fast 3000 Schüler. Ich lief an den Autos auf den Schülerparkplätzen vorbei, die Treppen hoch und trat in den Schulflur. Gott sei Dank, schien die Sonne. Ich hasste kühles Wetter. Wenn es regnete oder schneite, fühlte ich mich irgendwie krank, schwächer.
Ich setzte mich in meinem Klassenzimmer ganz nach hinten und vertiefte mich in dem Roman, den ich gerade las. Mir war noch nicht einmal aufgefallen, dass der Unterricht angefangen hatte, als die Lehrerin mich aufrief.
>Jenna, ich hoffe, wir stören Sie nicht bei ihrem Buchclub.<, sagte sie sarkastisch.
Unbekümmert zuckte ich mit einer Schulter und schob meine Unterlippe vor. >Nö. Alles klar, Mrs. Benner.< Die Schüler lachten.
>Nur damit Sie es wissen, ich möchte, dass Sie an diesem Unterricht beteiligt und aufmerksam sind.< Wieder ließ ich meine Schultern zucken. >Jenna, lösen Sie die Gleichung an der  Tafel. Sofort.< Ich stand auf, legte extra langsam das Lesezeichen ins Buch hinein und stolzierte nach vorne zu der brodelnden Mrs. Benner. Sie reichte mir die Kreide.
Problemlos schrieb ich die Lösung an.
Nein, ich bin kein Superhirn. Nur dachte ich, es wäre besser Ralph nicht noch einen Grund zu geben, mich zu hassen.
>Dachten wohl, Sie hätten mich jetzt, was?< Wortlos sah sie mir auf dem Weg zu meinem Stuhl nach. Die restlichen Stunden schwankte ich zwischen Buch lesen und Fragen im Unterricht beantworten. Abgesehen von Chemie hatte ich überall ein A, was die Sinnlosigkeit meines Lebens nur bestätigte.

>Jenna, Lust auf eine Runde?<, fragte mich einer der hohlen Football-Spieler. Sie mochten es, mit mir zu schlafen, weil das ihr Traum des Rebellen erfüllte. Fickt die, die gegen die Lehrer rebelliert. Ich musste zugeben,  ihre Begierde war tröstend. Sie fanden mich scharf, weil ich Tattoos hatte und weil ich Piercings hatte. Nicht viele, aber genug um hier als Kriminelle durchzugehen. >Wir könnten in die Umkleiden gehen.<, schlug er fuhr. Er mit seinen blonden, kurzen Haaren und dem strahlend weißen Lächeln entsprach den Vorstellungen jeder Schwiegermutter. Ich glaube, er hieß Brad. Ich merkte mir ihre Namen nie länger als eine Woche. Sie waren mir egal.
>Nein, danke.<
>Komm schon, wir waren schon lange nicht mehr...<
Ich drehte ruckartig meinen Kopf in seine Richtung. >Nein.<, sagte ich mit mehr Nachdruck. Er schnalzte mit der Zunge und ging wieder. Das war nicht überraschend. Sobald ich ihnen nicht gab, was sie wollten, war ich wieder Luft. Ich ging raus an den Campus hinter der Schule und holte eine Zigarette aus meiner Hosentasche. Mit meinem Zeigefinger am Ende der Kippe zündete ich sie an. Ein Knistern entstand und plötzlich stieg eine winzige Rauchschwade hoch und ich zog an ihr. Erleichtert ließ ich meinen Kopf in den Nacken fallen und schloss die Augen. Der typische Tabak-Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich hörte die Schritte einer Person.
>Ms. Turner, Sie sind zu jung, um zu rauchen.<
Ich nahm wieder einen Zug und sah zu meinem Sportlehrer. >Sie sind zu alt für Turnschuhe.<, erwiderte ich.
Er lachte trocken. >Da magst du recht haben, aber bei mir werden dabei nicht die Lungen zerstört.< Ich reichte ihm eine Zigarette und sah ihm dabei zu, wie er sie sich selber anzündete. Natürlich mit einem Feuerzeug. >Du bist eine zu gute Sportlerin. Und ich glaube, du hast den unnatürlichen Drang, dir alles zu verbauen.<
>Wer hat das nicht?<
>Alles in Ordnung zu hause?<, fragte er.
Lachend sah ich zu ihm. >Nicht heute. Nicht irgendwann.< Er versuchte immer einen Draht zu mir aufzubauen. Unsere Beziehung zu verinnerlichen. Aber ich konnte diese verbalen Zärtlichkeiten nicht aushalten. Im Gegenteil, sie machten mich verrückt. Ich zertrat meine Zigarette und wandte mich ab.

Nach dem Sportunterricht und den darauf folgenden wütenden Blicken der Cheerleader machte ich mich auf den Weg nachhause. Im Kopf hatte ich immer noch die Szene von heute morgen. Caroline würde mich jetzt wahrscheinlich in den Arm nehmen und mir versichern, dass sie mich liebten und mich gerne um sich hatten. Ralph würde dann nach der Arbeit gezwungen lächeln und sagen, dass ihm das Gesagte leid tat und er sich doch nur wünschte, dass wir miteinander auskamen. Diesen Schwachsinn hörte ich mir schon seit Jahren an, seit ich mit 6 von ihnen adoptiert wurde.
Wie gesagt, zog Carol ihre Show ab und überhäufte mich mit ihrer mütterlichen Liebe.
>Ja, ich hab schon verstanden.< Vorsichtig schob ich sie von mir und hob etwas meine Mundwinkel an. >Ich war auch nicht gerade nett heute. Tut mir leid.<, entschuldigte ich mich.
Sie fuhr mir durchs Haar und nickte. >Ist schon ok, Süße. Wir wissen doch, wie schwer du es hast.< Ich ließ mich noch einmal von ihr in den Arm nehmen.
>Ich mach jetzt meine Hausaufgaben, ja? Rufst du mich zum Abendessen?<
>Natürlich. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du mich rufen.< Ich ignorierte das. Sie wusste ganz genau, dass es das Letzte wäre, was ich tun würde.

Ich machte meine Hausaufgaben und ließ dabei laute Musik laufen. Weshalb ich, als ich sie abschaltete und die lauten Rufe aus dem Esszimmer hörte, erschrak.
>Du weißt ganz genau, dass es so nicht weitergehen kann, Carol! Ich dachte auch, dass wir damit umgehen könnten. Wir haben uns geirrt, Liebling. Das funktioniert nicht mehr! Irgendwann wird sie mit uns das Gleiche tun, wie...!< Er schwieg, denn er erblickte mich.
>Wie mit wem?<, fragte ich.
Seine harter Gesichtsausdruck bröckelte. >Jenna. Deck doch schon mal den Tisch, Kleines.<, bat er versöhnlich.
>Komm mir nicht mit „Kleines“, du versnobtes Stück Scheiße! Wie mit wem?! Wie mit meinen Eltern? Hast du Angst, ich werde dich anzünden? Huh?! Keine Angst, das mache ich nur mit Leuten, die ich liebe!< Ich spürte die Tränen in meinen Augen aufkommen, aber ich wollte, dass er sich unter meinem Blick quälte.
Er streckte seinen Arm zu mir aus. >So habe ich das nicht...<
>Halt´s Maul! Rede nie wieder über meine Eltern! Du wirst niemals wie mein Vater sein, hast du gehört?!< Ich stieß ihn von mir. Spürte schon, wie die Hitze in meinen Handflächen wuchs. >Nimm ihre Namen nicht in den Mund! Denk nicht einmal über sie nach! Nie...!< Der erste Feuerstrahl verfehlte ihn noch. >...mals!< Der zweite aber, traf ihn am Bauch. Carolin schrie laut auf. Ralph krümmte sich in sich selber zusammen und ging zu Boden.
Sie sprang sofort zu ihm und nahm sein Gesicht in ihre Hände. >Ralph! Was hast du nur getan?!<, fragte sie immer noch schreiend.
Ich ging vor ihm in die Knie und hob das durchlöcherte Hemd an. Darunter war die Haut schwarz und gelb verkohlt und an manchen Stellen sogar so abgebrannt, dass man ins Fleisch sehen konnte. Fast die Hälfte seines ganzen Oberkörpers war davon betroffen. >Das wollte ich nicht. Es tut mir leid. Es tut mir leid! Wirklich!<
Mit ihrer Hand schob sie mich weinend weg. >Geh weg! Fass ihn nicht an!<
Entschuldigend stand ich auf und sah mich um, während sie weiter weinte und ihn in ihren Armen hin und her wog. Seine Augen verdrehten sich. Schnell rannte ich zum Telefon in der Küche und wählte die Nummer des  Krankenhauses.
>Vancouver Krankenhaus, was kann ich für Sie tun?<
>Wir sind hier in der Sunset 56. East Avenue 519. Mein... Er hat sich verbrannt. Es ist alles schwarz. Sie müssen schnell kommen.<
>Wie heißen Sie?<
>Jenna.<
>Jenna, der Einsatzwagen ist unterwegs. Sagen Sie mir was passiert ist.<
Ich hielt mir die Stirn und schloss meine Augen. Im Esszimmer konnte ich Carol noch hören. >Er... Wir haben einen Gasherd und haben gekocht. Er hat sich vornüber gebeugt und plötzlich stach die Flamme hoch.<
>Ist er noch ansprechbar?<
Ich ging zurück zu Ralph. >R-ralph? Ralph, hörst du mich?<
Carol streichelte seine Wange. Das offenliegende Fleisch gab einen nur zu eindringlichen Einblick in das Innere von Ralph, der seine Augen nun geschlossen hatte. >Liebling, sag etwas. Hört du mich?< Er murmelte etwas.
>Ja, er ist noch ansprechbar.<
>Gut. Wie tief ist die Wunde?<
>Man kann alles sehen. Es ist...< Ich wusste nicht, mit welchen Worten ich es beschreiben sollte.
>Bleiben Sie ruhig, Jenna. Reden Sie mit ihm, halten Sie ihn wach. Der Wagen wird sofort da sein.<
Ralphs Arme erschlafften. >Er... er bewegt sich nicht mehr. Seine Augen sind zu...<
>Keine Sorgen, Jenna. Es sind die Schmerzen, die ihn außer Gefecht setzten. Die Sanitäter werden ihn retten können.< Sie sprach weiter auf mich ein. Zitternd sah ich Ralph dabei zu, wie er immer schwächer wurde und Caroline verzweifelter. In mir wuchs eine unendliche Schuld. Wir kamen schon seit längerem nicht mehr gut miteinander aus. Und ich wollte ihm oft schon einmal eine verpassen, aber niemals hatte ich je in Gedanken gehabt, ihn so zu verletzten. Nicht annähernd. Wenn ich so darüber nachdachte, konnte ich ihn sogar leiden. Ich erinnerte mich oft daran, wie er mir als kleines Kind die Welt erklärt hatte. Selbst ein langweiliges Museum wurde mit ihm spannend.

>So groß!<, rief ich laut. Mein Kopf lag im Nacken. Vor mir erstreckte sich das riesige Skelett eines Tyrannosaurus Rex.
Ralph trat hinter mich und hob mich auf seine Schultern. >Ja, Baby. Willst du seinen Namen wissen?< Ich streckte meine Arme zu den scharfen Zähnen aus und kicherte. >Rex. Ein riesiges Tier oder?< Er warf mich um, sodass ich mit dem Bauch auf seinen Schultern war. >Und er hat einen riiiiiiiiesigen Hunger. Genauso wie ich.< Damit schlang er seine Arme um mich und tat so, als würde er mich fressen.
Mein Lachen wurde lauter. Es war so schön, nicht einmal der Museumsleiter war in der Lage, dem Einhalt zu gebieten. >Ralphii!<, schrie ich. >Daddy!< Ich verschluckte mich an meinem Lachen und hüstelte.
Vorsichtig setzte er mich auf dem Boden ab und klopfte mir zärtlichen auf den Rücken. Sobald das Husten aufgehört hatte, gab er mir einen Schluck von seiner Wasserflasche und tätschelte meinen Kopf. >Alles gut?< Ich nickte und ließ mich wieder von ihm hochheben. Er legte meine Beine um seine Taille und trug mich zu Caroline, die an einem Stand ein Eis kaufte in Form eines Dinosauriers. Grinsend bekam ich es in die Hände gereicht. Ich mochte eigentlich kein Eis, aber sie kauften mir dennoch immer wieder welches.
Sie war so schön. Ich war so glücklich. Alles war wunderschön gewesen, aber die Worte meines Vaters hatten nie meine Gedanken verlassen. Wie er mich immer angeschrien hatte. Meine Mutter und mich. So oft wurde ich geschlagen und fragte mich, warum. Und irgendwann war ich so überzeugt von diesen Erinnerungen, dass ich sie auf Ralph übertrug. Ich wusste das. Ich wusste das ganz genau, aber ich konnte nichts daran ändern, dass ich ihm gegenüber so hart war, auch wenn er mir doch so viel gegeben hatte.

Es wurde laut an die Tür geklopft. Beide schreckten wir zusammen. Ich öffnete sie und legte wortlos am Hörer auf. Die Sanitäter folgten mir ins Esszimmer und machten sich dort sofort an die Arbeit.
Caroline ließ sich von mir zur Seite ziehen und sah mit mir zusammen zu, wie sie Ralph stabilisierten. Sobald sie das geschafft hatten, bugsierten sie ihn auf einer Liege in den Krankenwagen. Bilder des Abends vor 12 Jahren blitzten hinter meiner Stirn auf. Das Gesicht meines Vaters verschwamm mit dem von Ralph. >Es tut mir so leid. Es tut mir so leid.<, flüsterte ich immer wieder, aber Caroline sah mich nicht mehr. Nur noch Ralph.
>Wir werden ihn ins Krankenhaus bringen. Die Verletzung ist tief, aber wir werden ihn kurieren können. Folgen Sie uns in Ihrem Auto.<, sagte der Sanitäter, der vorne ab die Liege hielt. Wir standen im Flur und nickten überfordert. Sobald sie das Haus verlassen hatten und losfuhren, waren wir ihnen auf den Fersen. Carol vergaß jedes Verkehrsgesetz.
>Du musst wissen, es tut mir leid. Wirklich. Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Das weißt du doch, Caroline, oder? Es tut mir Leid.<
>Sei ruhig!<, brüllte sie. Ich fuhr zusammen. Sie hatte ihre Stimme mir gegenüber noch nie erhoben. >Sei einfach ruhig. Ich will nichts hören.< Eingeschüchtert lehnte ich mich in den Sitz zurück und starrte auf meine Hände in meinem Schoss.
Sie raste so schnell sie konnte durch die Straßen Vancouvers bis wir im Krankenhaus ankamen. Dort forderte sie die Schwester an der Rezeption auf so ungehobelte Weise dazu auf, ihr zu sagen, wo Ralph sei, dass es mir die Sprache verschlug. Der Arzt erklärte uns, dass er Haut-Transplantationen bräuchte und das die Wunde, so tief sie war, sehr ungewöhnlich war für einen Gasherd-Unfall. Natürlich wussten wir das beide schon, aber es nochmal hören zu müssen, trieb mir die Gänsehaut über die Arme.
Im Flur wartend, betete ich inständig, dass Ralph überleben würde. Wir saßen mehrere Stunden auf dem Boden und starrten die Tür an, durch die der Arzt kommen würde. Aber er kam nicht. Ich brachte Carol Kaffee über Kaffee und hielt mit ihr durch.
Ewigkeiten später kam der Arzt dann endlich raus. Es war schon fast wieder Zeit für die Schule aufzustehen. >Mrs. Turner?<
Wir standen sofort auf. >Geht es ihm gut?<
>Wir haben die Haut ersetzt und ihn stabilisiert. Er wird es schaffen.< Wir atmeten beide hörbar durch. >Die Wunde war außerordentlich tief. Der Hauptteil seiner Haut an seinem Bauch war vollkommen abgebrannt. Seine Nervenzellen waren so dermaßen zerstört, dass kein Gefühl mehr in diesen Teilen seines Körpers ist. Doch die werden mit der Zeit nachwachsen. Er wird es schaffen.<, wiederholte er.
Caroline warf ihre Arme um mich. >Gott sei Dank. Oh, Gott sei Dank.<, schluchzte sie bitter.
>Können wir zu ihm?<, fragte ich.
Der Arzt schüttelte den Kopf. Auf dem Schild an seiner Brust las ich Dr. Rupert Miller. Er hatte ihn gerettet. >Noch nicht. Er braucht Ruhe. Ich rate ihnen beide nachhause zugehen und sich selber auszuruhen. Er wird seine Zeit brauchen, bis er wieder zu Bewusstsein kommt.< Tröstend legte er seine Hand an Carols Schulter. >Ruhen Sie sich etwas aus und kommen Sie morgen...< Er sah auf seine Armbanduhr. >... heute Mittag oder Nachmittag wieder. Bis dahin dürften Sie zu ihm gehen dürfen.<
Dankend nickten wir. Widerwillig verließ sie das Krankenhaus und fuhr mit mir wieder nachhause. Sie war vollkommen übermüdet und fertig, machte mir aber trotzdem Frühstück. Dennoch war der Unterschied von gestern morgen und heute mit Händen zu fassen. Die Augenringe, die schlaffen Mundwinkel und der traurige Blick waren kaum auszuhalten.
>Carol, es tut mir leid. Bitte. Du weißt doch, ich kann es nicht kontrollieren. Ich war wütend. Verstehst du? Es war keine Absicht und ich...<
Sie hob die Hand. >Jenna, nur für ein einziges Mal. Sei leise. Ich habe es verstanden.< Mehrere Minutenlang blieb es still. >Wir müssen einen Weg finden, wie wir das unter Kontrolle kriegen. Und zwar so schnell wie möglich.< Ich gab ein zustimmendes Brummen von mir. >Vielleicht... brauchst du eine professionelle Hilfe, Jenna.< Aufmerksam sah ich auf. Sie hatte mir immer noch ihren Rücken zugewandt. >Vielleicht.<, seufzte sie und fuhr sich durchs Haar. >Ich mache dir Abendessen und stelle es dir in den Kühlschrank, dann kannst du es dir warm machen.<
>Nein, ich möchte mitkommen. Ich möchte ihn...<
>Es wäre besser, wenn du hier bleibst. Er wird wahrscheinlich sowie so nicht wach sein.<, murmelte sie und wandte sich mit verschränkten Armen zu mir um. >Viel Spaß in der Schule.< Damit ging sie und ließ mich allein.

Ich war den ganzen Tag wortkarg. Gab den Lehrern knappe Antworten und legte mich mit niemanden an. Mein Kopf war zu sehr gefüllt mit den Gedanken an Ralph und an Carol.
Ich zog meinen Slip hoch und tastete auf dem Boden nach meiner Hose. Toby, glaube ich, knöpfte sich seine Jeans zu und lachte heiser. >Das war echt gut. Wir sollten das unbedingt wiederholen.< Den letzten Teil konnte ich nur noch erahnen, weil ich mit meinen Schuhen in der Hand aus dem Klo stürmte. Vor dem Jungsklo am Boden lag meine Tasche. Mit ihr geschultert kam ich zuhause an. Wie versprochen, hatte Carol Essen gemacht. Eine ganze Schüssel voll Lasagne stand im Ofen. Ich nahm sie heraus, machte sie in der Mikrowelle warm und verzog mich mit ihr im Zimmer. Während ich teilweise versuchte meine Hausaufgaben zu machen und teilweise meinen Kopf frei zu kriegen. Mit mathematischen Formeln, historischen Ereignissen und englischen Gedichten funktionierte es nicht. Carol kam nicht. Für ein paar Sekunden dachte ich, sie würde nicht mehr kommen.

>Das kann nicht wahr sein! Ich habe doch gesagt, du sollst hier nicht rein! Du...!< Carol musste ihn an den Schultern festhalten. Wir standen vor den rauchenden Möbeln in Ralphs Hobbyraum.
>Es tut mir leid, Daddy! Wirklich. Ich habe versucht...<
Er durchbrach die letzte Barriere zwischen uns, Carol, und schlug mich. Ich landete auf dem Boden und hielt mir die pulsierende Wange. >Nie wieder. Du wirst nie wieder in die Nähe von Feuer kommen. Du wirst nie wieder in diesen Raum kommen. Und du wirst mich nie wieder „Daddy“ nennen. Du verwöhnte Göre, ich weiß, warum du das getan hast.< Ich weinte salzige Tränen. >Ich bin nicht dein vercrackter Vater! Mich zündest du nicht an!<, brüllte er. Mit den Jahren ist Ralph immer leichter zu aufregen geworden. Er war fast immer launisch. Das begann mit meinem älter werden und den sich wiederholenden Feuerausbrüchen, die ab und zu einfach passierten. Manchmal nur eine Gardine, ein Baum, der Saum eines Pullovers. Etwas musste immer daran glauben und Ralphs Geduld schrumpfte mit allem das ich verbrannte.
>Ralph, sie hat das nicht mit Absicht gemacht. Bitte, beruhige dich.< Sie stellte sich erneut zwischen uns. Mit meinen jungen 8 Jahren kam ich noch nicht einmal bis zu ihrer Taille. >Bitte.<, bat sie.
Ich umfing ihre Hüfte und sah mit tränennassen Augen zu Ralph hoch. In seinem Gesicht war die selbe Wut, die mein Vater immer getragen hatte. Meine Wange brannte, so wie sie gebrannt hatte, als er mich geschlagen hatte. >Es tut mir leid, Da... Es tut mir Leid.<, wimmerte ich.
>Du kommst hier nicht wieder rein.< Er ging vor mir in die Hocke. Ängstlich zuckte ich zurück. Seine Hand legte sich an meine Hüfte und zog mich zu sich. >Du musst das stoppen, Baby. Das ist so nicht richtig, verstehst du?<
>Es tut mir leid. Ich versuche es immer.<
Er streichelte meine Wange. >Jede Krankheit kann heilen, Süße. Auch deine.< Ich nickte und kuschelte mich an ihn ran. >Benimm´ dich ab jetzt. Ich will so etwas nicht wieder sehen. Ich will dich nicht bestrafen müssen.<, flüsterte er und nahm mich in den Arm.

Ich saß im Schneidersitz auf dem Bett. In je einer Hand eine kleine Flamme. Meine Augen lagen auf der Wand mir gegenüber. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich fühlen wie die Wärme des Feuers meinen ganzen Körper durchflutete. Ich konnte spüren, wie mein Herzschlag sich verlangsamte und alles in mir sich beruhigte. Das machte ich manchmal. Wenn es mir nicht gut ging. Obwohl das Feuer alles kaputt machte, half es mir auch, mein Inneres ins Gleichgewicht zu bringen.
In dem Augenblick öffnete sich unten die Haustür. Ich joggte die Treppen zu ihr runter. >Und?<
Leblos entgegnete sie meinem Blick. >Wie gesagt, er... war nicht wach. Es wird mehrere Wochen dauern, bis er nachhause kann. Die Hauttransplantation verbinden sich mit seinem Fleisch. Es sieht gut aus.< Lächelnd nickte ich. >Hast du gegessen?<
>Ja, danke dafür.<
>Mhm.< Sie ging an mir vorbei und setzte sich auf das Sofa.
Unwohl trat ich von einem Fuß auf den anderen. >Caroline, was meintest du mit „professioneller Hilfe“ heute morgen?<, fragte ich und knetete meine Finger.
Sie kaute auf der Unterlippe herum. >Du hast ihn verbrannt.<
>Es war keine Absicht.<
>Du hast ihn verbrannt!<, schrie sie. >Du hast ihn verbrannt. Nach allem, was wir für dich getan haben.< Ich senkte meinen Kopf. >Verstehst du eigentlich, in was für einer Lage wir sind? Als wir dich adoptiert hatten, warst du dieses süße kleine Mädchen, dass einfach nur schlecht behandelt wurde. Du brauchtest nur etwas Extra-Liebe. Das wussten wir und wir wussten, dass wir dir ein schönes Leben schenken könnten. Und dann plötzlich hast du das Brokkoli auf deinem Teller verbrannt, weil du es nicht essen wolltest. Da erst wurde uns klar, dass etwas nicht mit dir stimmte. Aber wir hatten dich so ins Herz geschlossen, wir dachten „Wir werden auch das schaffen.“ Du hast noch nicht einmal versucht diese... Missbildung, was auch immer das ist, zu unterdrücken. Ich war es, die immer wieder zu Ralph gesagt hat, „Gib ihr Zeit. Gib ihr Zeit, sie wird es schaffen.“. Das war ich! Aber du wirst es niemals schaffen. Also was sollen wir tun? Was können wir anderes tun, als dich weg zu schicken?!< Sie schleuderte mir die Fragen entgegen und sah mich aus geröteten Augen an.
Missbildung.
>Ich benehme mich. Wirklich. Ich werde das schon schaffen. Versprochen. Ich... kann im Garten schlafen. Da wird uns schon nichts weg brennen.<
Sie schüttelte nur den Kopf und hob beschwichtigend die Hand. >Ich gehe jetzt schlafen.<

Die nächsten Tage lief es genauso ab. Carol machte mir Frühstück und stellte das Abendessen fertig in den Ofen. Sie sprach kaum ein Wort mit mir und kam immer sehr spät nachhause. Über Ralph sagte sie mir nichts. Ich war fast nur noch in meinem Zimmer. Mit aller Kraft versuchte ich die nächtlichen Albträume aus meinem Kopf zu schaffen, damit ich nicht wieder und wieder in verbrannter Bettwäsche aufwachte, doch genauso war es. Jeden Morgen. Als würden die Eindrücke und die Geräusche jener Nacht mich umzingeln oder sich wie Ketten um meinen Hals legen.
In der Schule warf ich mich um die Hälse der Football-Spieler und ließ sie machen, was sie wollten, nur damit ich den Körper, die Begierde, einer anderen Person spürte. Ich wollte etwas von dieser fälschlichen Liebe haben. Nur ein wenig, damit das Rumoren in meiner Brust endlich Ruhe gab.

Ralph lag fast einen Monat lang im Krankenhaus und war auch danach noch nicht völlig im Stande dazu sich normal in den Alltag zu integrieren. Stattdessen baute sich zwischen mir und meinen Adoptiveltern eine größer und größer werdende Strecke. Es war fast so, als würden wir nicht mehr in der selben Welt leben. Als wären wir in zwei verschiedenen. In zwei verschiedenen Dimensionen. Ralph ignorierte mich gnadenlos. Ging nicht auf meine Entschuldigungen ein und reagierte auch sonst auf nichts, dass ich sagte. Dennoch spürte ich seine wütenden Blicke in meinem Rücken. Er hasste mich. Ich meine, ich wusste, er hatte mich auch schon zuvor gehasst, aber jetzt war ich mir nicht mehr sicher, ob ich noch ein zu Hause hatte.
Carol war da etwas toleranter. Sie schien mich noch zu sehen und reagierte auch auf meine Fragen. Sie machte mir Essen und half mir sogar manchmal bei meinen Hausaufgaben, wobei wir beide wussten, dass ich das nur machte, damit es in unseren Fluren nicht so still war.

In meinen Albträumen tauchten statt den Gesichtern meiner Eltern ab und zu auch die von Ralph und Caroline auf. Es war erschreckend.

Es war Samstagmorgen. Ich saß im Schneidersitz auf meinem Bett. Vor mir lag auf der dunkelgrünen Bettwäsche ein Foto von mir und meinen Eltern. Meine Mutter trug einen Jeansrock und eine Bluse und hielt mich grinsend auf ihren Armen. Daddy drückte uns mit der einen Hand fest an sich ran. Er hatte das Foto geschossen und immer in seinem Geldbeutel dabei gehabt. Deswegen war es etwas zerknittert und faltig.

>Kenny, ich werd´s deiner Mama sagen!<
Die Nachbarsjungen hatten die Streichhölzer ihrer Eltern gefunden und wollten nun wie im Fernsehen einen Haufen vertrockneter Äste und Laubblätter anzünden. Sie warfen fast die ganze Schachtel in den Haufen hinein, doch nichts passierte. Erst beim 19. stach eine Flamme hervor, die so groß war, wie Kenny selber. Die Jungen sprangen zurück und kuschten. Das Feuer wirkte in der nachmittäglichen Dämmerung wie eine wärmende Kerze. Nur eben größer. Es schien so, als würde die Wärme auf mich übergreifen und mich umarmen. Wie hypnotisiert ging ich ihr entgegen. Hinter mir konnte ich ganz entfernt hören, wie die Jungs mich warnten, doch das Feuer war so einladend wie mein eigenes Heim. Wenn nicht noch mehr. Es kam mir fast so vor, als würde es mich rufen. Ich stand nur noch einen halben Meter von der Flamme entfernt und spürte deutlich die Hitze. Wie von selber streckten meine Arme sich aus und tauchten in das Feuer ab, doch anstatt meine Haut zu versengen umschmeichelte es sie lediglich. Verwundert legte ich meinen Kopf schief und beugte mich tiefer rein, als hinter mir plötzlich jemand schrie. Wie aus einer Trance schreckte ich zurück. Es war meine Mutter. Sie stand am Straßenrand und starrte mich aus großen Augen an. Mit einem entsetzten Gesichtsausdruck stürzte sie zu mir und riss mich aus der Wärme. Außerhalb kam es mir plötzlich kalt vor. Fast zitterte ich vor Kälte.
>Baby, was tust du nur?<, heulte sie und drückte mich fest an sich. Ihre Umarmung fühlte sich auf einmal nicht halb so herzlich an, wie es mir vor dem Feuer vorgekommen war. Suchend tastete sie mich ab. >Du standst mittendrin. Was ist passiert? Warum...?< Sie sah mich ungläubig an und drückte mich fester an sich.

Ich hielt meine Handflächen in Richtung meines Gesichtes und sah sie mir genauer an. Sie sahen aus wie ganz normale Hände. Alle meine Konzentration lag im Zentrum meiner Innenflächen. Mehrere Minutenlang saß ich reglos da und versuchte meine Energie zu lenken. Eine Stichflamme ging aus ihr hervor, direkt auf meine Augen zu. Und so wie ich es gewohnt war, umfingen sie mich. Streichelten mich und sagten mir, dass alles wieder gut werden würde. Es schien so, als würden sie mir meine Sorgen nehmen.
Die Türklingel ertönte. Keuchend ließ ich das Feuer verschwinden und blickte zur Zimmertür. Ich war vollkommen außer Atem. Es kostete mich Unmengen an Kraft und spendete sie mir gleichzeitig.
>Danke, dass Sie kommen konnten. Wir sind wirklich dankbar für Ihre Hilfe.<, hörte ich Ralph unten sprechen.
>Kein Problem. Wir danken Ihnen, dass Sie sich bei uns zurück gemeldet haben... Ihre Verletzung. Geht es Ihnen besser?< Das war eine fremde Stimme. Ich erhob mich, schob das Foto in meine Hosentasche und ging in den Flur. Vom Treppenabsatz aus konnte ich direkt zur Haustür sehen, wo Caroline ihren Gästen ins Wohnzimmer folgte. Den Geräuschen zufolge, ging Ralph voran. Sie sah mich, lief aber weiter.
>Es ist kein Zuckerschlecken, aber die Wunden sind teilweise fast verheilt.<, erwiderte er. >Liebling, bringst du uns etwas zu Trinken?<
Ich joggte die Treppen runter in die Küche, wo ich fast mit Carol zusammenstieß. Sie atmete tief ein und ging an den Kühlschrank. >Wer ist das?<, fragte ich argwöhnisch.
>Wir können so nicht weitermachen, das wissen sowohl wir als auch du. Deswegen haben wir diese Leute eingeladen.< Sie machte Kaffee und schenkte etwas Milch in eine kleine Kanne ein.
Im Wohnzimmer sprachen sie weiter über irgendwelche uninteressanten alltäglichen Dinge. >Wer sind diese Leute?<, fragte ich drängender.
>Sie sagen, sie könnten mit deiner Krankheit umgehen. Das du nicht die Einzige bist und das es Wege gibt, es besser zu kontrollieren und sie die dir zeigen können.<, sagte sie nur.
>Ihr schickt mich also einfach weg?< Sie schwieg. >Ich habe doch gesagt, es tut mir leid. Nie wieder Feuer. Versprochen, Carol.< Ich nahm ihre Hand in meine und zwang sie dazu mich anzusehen. >Bitte.<
>Wenn du wissen willst, was sie anbieten, kannst du mit ins Wohnzimmer kommen.< Ihre Stimme war vollkommen erfroren. Seufzend stand ich in der Küche und lehnte mich an die Theke. >Bitteschön. Ich habe noch nichts reingemacht.< Jetzt konnte ich wieder ein Lächeln in ihren Worten hören.
Ich stellte mich an die Wand und hörte zu. >Seit wann haben sie Jenna?<
>Seit sie sechs ist. Davor lebte sie bei ihren Eltern und kurze Zeit im Heim.<
>Was ist passiert?<
>... Jenna, komm her.< Das war das erste Mal seit über einem Monat, dass er wieder mit mir sprach. Ich zögerte. >Sofort.< Ich stieß mich von der Wand ab und ging ins Wohnzimmer. Auf dem hellen Sofa mit dem Rücken zu mir, saßen Caroline und Ralph, die sich beide zu mir gedreht hatten. Das Sofa an der Fensterseite war besetzt von den Besuchern.
Der eine trug seine blonden Haare in dem typischen Ken-Stil. Ein permanentes Lächeln lag auf seinen Lippen. Unter seinem Lacoste-T-Shirt zeichneten sich Muskeln ab, die aber leider unter gingen in dem Stoff. >Hi, Jenna. Mein Name ist Kevin Robinson. Ich bin Rektor des White Pine Internats. Würdest du...?<
>Internat? Werden da nicht immer die Schüler vergewaltigt?<
>Jenna!<, warnte Caroline.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Ken, so habe ich ihn getauft, lachte trocken. >Bei uns nicht. Keine Sorge. Das hier neben mir ist unser stellvertretender Rektor Isaac Conner.< Mein Blick fiel auf den Mann neben ihm und ich stutzte. Sie waren das exakte Gegenteil voneinander. Er trug ein dunkelblau-schwarz kariertes Flanellhemd offen, sodass darunter das weiße Tanktop hervorblitzte. Jeans und Chucks. Er sah aus wie ein Jamaikaner, nicht nur die wärmende Bräune, sondern auch die  Dreadlocks, die über seine Schultern reichten, und der Drei-Tage-Bart. Sie standen ihm verdammt nochmal gut. Seine Augen hatten diese braun-grüne Verfärbung, die wie Sterne aus seinem Gesicht blitzten. Aus seinem schönen Gesicht, mit den kantigen Zügen.
>Der sieht nicht aus wie ein Rektor.<
>Der ist aber ein Rektor.<, erwiderte Typ mit den Dreadlocks. Gott, seine Stimme war so tief. Sie ging mir direkt unter die Haut. >Setz dich doch, dann können wir reden.< Widerwillig ließ ich mich neben Carol fallen. >Wir haben gehört, dass es zwischen dir und anderen Jugendlichen gewisse Unterschiede gibt.< Ralph schnaubte. Isaacs Augen wurden für eine Sekunde zu Schlitzen und trafen Ralph, bevor sie wieder zu mir wanderten. >Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Du bist nicht die einzige, mit solchen Fähigkeiten. Und wir haben selber schon vielen anderen Jugendlichen geholfen, mit ihnen umgehen zu können.< Mit jedem seiner Worte wurde das Lächeln in seinem Gesicht größer. Wie heiß durfte man sein?
Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah ich ihn genauer an. Es war nicht sein Aussehen, dass mich an sich zog. Nicht hauptsächlich zu mindestens. Irgendwas in mir sagte mir, dass ich ihm vertrauen konnte. Er fühlte sich wie ein Freund an. Nein, mehr. Wie ein Seelenverwandter. Als wäre unser Inneres miteinander verbunden. Ich wusste, er würde mich nicht im Stich lassen. Niemals. Wir würden uns gegenseitig beschützen.
In diesem Momente nickte er unmerklich, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich hielt die Luft an. >Wir können dir helfen.<
Ich musste schlucken. Fast überrumpelte mich die Welle von Verbundenheit und Verständnis, die mich überkam. >Sie braucht keine Hilfe. Sie muss diese... Krankheit nicht unter Kontrolle bekommen. Wir müssen sie los werden. Gibt es kein Heilmittel?<, fragte Ralph und entriss mich der Wärme Isaacs.
Der wollte schon etwas entgegnen, als Kevin ihm zuvor kam. >Sie müssen verstehen, dass Jenna nicht krank ist. Sie ist nur unkontrolliert. Wir wollen sie nicht befreien...<
>Warten Sie mal.< Caroline legte beschwichtigend eine Hand auf Ralphs Oberschenkel. >Sie wollen mir sagen, dass sie ihre eigenen Eltern bei lebendigem Leibe verbrannt hat und das fast bei mir wiederholt hat, gesund ist? Es ist also gesund, dass sie Nachts aufwacht und ihr halbes Bett in Flammen steht?<, fragte er ungläubig.
Aus irgendeinem Grund fand ich das furchtbar peinlich und erniedrigend. >Das ist nur ein einziges Mal passiert.<
>Ein mal ist mehr als genug.<
Ich wandte mein Gesicht ab. >Mr. Turner, würden Sie es nicht als ein physikalisches Wunder bezeichnen, dass Jenna aus ihrer bloßen Hand Feuer aufsteigen lassen kann? Ich kann Ihnen eine Reihe von Göttern aufzählen, die in Sagen mit genau diesen Fähigkeiten beschrieben werden.<
Ken sah Isaac warnend an. >Damit wollen wir nur sagen, dass Jenna, so wie sie ist, genau richtig ist und nichts an ihr geändert werden muss.< Ken lächelte wieder. >Und abgesehen davon, unterrichten wir unsere Schüler in jedem Fach, in dem sie auch in öffentlichen Schulen unterrichtet werden würden. Es wird ihr an nichts fehlen und sie können sie besuchen kommen, wann immer sie wollen. Und sie kann in den Ferien, wenn sie mag nachhause fahren. Auch über die Wochenenden. Nur unter den Wochentagen, muss sie zuhause bleiben. Ich verspreche ihnen, sie werden keine bessere Schule für ihre Tochter finden.<
>Ich bin nicht ihre Tochter.<, murmelte ich.
Alle sahen sich zu mir um. >Es wird ihr gut gehen.<, bestärkte Isaac und fing wieder meinen Blick auf. Sofort tauchte ich ein in dieses Gefühl von Leichtigkeit. Seine Augen bestrahlten mich wie das Licht der Sonne, es war unglaublich.
Caroline nickte. >Das ist gut, wir wollen sie nur in Sicherheit haben. Was denkst du, Jenna?< Sie sah mich noch nicht einmal an.
Ich fuhr mir durchs Haar. >Es... hört sich gut an.<
Isaac grinste breit, wobei zwei perfekte Reihen weißer Zähne erstrahlten. >Wann können Sie sie holen?<, fragte Ralph. Ich hätte fast aufgelacht, stattdessen senkte ich wieder meinen Blick und hielt die Luft an.
>Sobald Jenna dazu in der Lage ist.<
Ich sprach ihre Gedanken, aus bevor sie es konnten. >Ich brauche knapp eine Stunde.<, sagte ich nur und stand auf.
>Wie...? Jetzt sofort?<, hörte ich Ken hinter mir.
Ohne weiter auf ihn zu achten, joggte ich die Treppen hoch in mein Zimmer, schnappte mir zwei große Taschen, die unter meinem Bett waren und begann zu packen. Während immer mehr des Inhalts meines Schrankes in den Taschen verschwand, löste auch meine Existenz in diesem Haus sich immer mehr aus. Ich schien mit jedem Kleidungsstück an Konsistenz zu verlieren. Ich konnte es kaum abwarten, hier raus zu sein. Gleichzeitig fürchtete ich mich zu Tode. Mir wurde schlecht, wenn ich daran dachte, allein unter einer Horde fremder Gesichter zu sein. Was sollte ich tun, wenn...
Nein, hier gab es einen Unterschied. Auf dieser Schule waren die Leute wie ich. Sie wussten, wie ich mich fühlte, weil sie selber dadurch gegangen waren. Ich könnte mich verbessern. Vielleicht würde ich sogar Freunde finden. Ein Traum, der unterdrückt wurde, von meinen Albträumen.

Ich stand eine Stunde später mit zwei prall gefüllten Taschen und einem bis oben hin vollen Karton an der Tür. Ken und Isaac waren nun etwas unsicherer. >Bist du dir sicher, dass du schon jetzt gehen willst? Willst du dich nicht erst von allen verabschieden oder... ?<
>Es gibt niemanden.<

2. Ankunft

Ich warf mir meine Tasche um und ging durch die Haustür. Ralph und Caroline standen betreten im Flur. Bevor ich mir die zweite Tasche auch noch überwarf, packte diese sich Isaac. Ken nahm den Karton und ging voraus.
>Wir laden das Gepäck ein und du verabschiedest dich.< Isaac nahm sich auch meine andere Tasche und folgte Ken.
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. >Mir ist klar, ihr werdet mich sowie so nicht besuchen kommen. Es tut mir wirklich leid, was ich getan habe. Wir werden uns wahrscheinlich ziemlich lange nicht mehr sehen, deswegen... Als ich zu euch gekommen bin, war ich das glücklichste Mädchen auf der Welt. Einfach weil ihr mich geliebt habt, obwohl ich das Baby eines Drogenabhängigen und einer Psychopathin war. Ich bin dankbar für die Zeit, die ich hier verbringen durfte.< Räuspernd drehte ich mich weg, zögerte aber an der Schwelle. >Es tut mir wirklich leid.<, flüsterte ich erneut und schloss dann die Tür hinter mir.
Am Straßenrand parkte ein schwarzer Geländewagen. Der Kofferraum war offen und die beiden räumten das Gepäck ein. >Fertig?<, fragte Ken. Ich nickte schweigend.
>Gut, dann steig ein. Es dauert etwa eine Stunde, bis wir da sind.< Ken öffnete mir die Tür und lief um den Wagen herum zur Fahrerseite.
Mein Blick fiel wieder auf Isaac, der sich die Ärmel hochkrempelte, dabei entdeckte ich die Tattoos an seinen Unterarmen. Es waren wild durcheinander gemischte Zeichen und Worte, die sogar seine Handrücken bedeckten, wie ich gerade bemerkte. Eine Rose prangte auf der Rechten. Ich stieg ins Auto ein und schnallte mich an. Ken öffnete das Fenster und startete den Motor. Wir fuhren los, weg von meinem Zuhause, weg von der Schule, weg von den Leuten, die ich kannte, weg von den Spielern, denen ich meinen Körper schenkte, weg von dem, was mal als Krankheit bezeichnet wurde. Nun war es keine Krankheit, sondern eine Fähigkeit. Eine Kraft.  Ich sah im Rückspiegel, wie einer der beide immer mal wieder zu mir nach hinten sah. Wahrscheinlich versicherten sie sich nur, dass ich nicht heulte oder so was. Geweint hatte ich schon lange nicht mehr.
Ich sah aus dem Fenster und stellte mir vor wie diese Schule aussehen würde. Was bedeutete dieses „es unter Kontrolle kriegen“? Was hieß das?
>Darf ich eine rauchen?<
Isaac schüttelte den Kopf, aber Ken nickte. >Solange du das Fenster aufmachst.< Ich nickte und ließ es herunterfahren. Aus meiner Umhängetasche schnappte ich mir die Packung Zigaretten und steckte sie mir in den Mund. Mit der Spitze meines Zeigefingers zündete ich sie an. Ich bemerkte wieder Isaacs beobachtenden Blick. Ich schloss meine Augen und stieß den Rauch aus meinem Mund. >Seid ihr wirklich Rektoren? Also Lehrer? Jetzt mal im Ernst, ihr seht nicht mal annähernd so aus.<, fragte ich nach einer Weile.
Ken lachte. >Wir sind wirklich Rektoren. Wir unterrichten Schüler.<
Isaac schnaubte und sah aus dem Fenster. Über den Seitenspiegel konnte ich sehen, wie die Sonne sich in seinen Augen spiegelte. Sie hatten einen goldenen Schimmer. >Unsere Schule unterscheidet sich sehr stark von den anderen, Jenna. Wir sind zwar Lehrer, aber wir versuchen das nicht allzu sehr in den Vordergrund zu stellen.< Er band seine Haare zu einem Zopf zusammen. >Du wirst das verstehen, wenn wir ankommen.<
Ken fuhr nach einer halben Stunde etwa zu einer Tankstelle und stieg aus, um was zu trinken zu holen, während Isaac tankte. Erst sah ich ihn einfach nur an.
Wahrscheinlich war das nur irgendeine dumme Schwärmerei von mir. Er sah ja doch ziemlich gut aus. Aber ich wusste, dass es nicht nur das war. Das konnte es nicht sein. Ich vertraute Menschen nicht. Das war einer meiner Grundsätze.
Vertraue niemandem, aber Isaac und Ken? Ich fühlte diese Verbundenheit mit ihnen. Besonders mit Isaac.
Meine Augen folgten seinen Bewegungen. Als könnte ich seine Körperwärme fühlen.
Was war nur mit mir los?
Ich rutschte zu ihm rüber und lehnte mich aus dem Fenster. >Was ist das? Spürst du das...?< Er schnipste mit den Fingern. Und für einen kurzen Moment erschien eine Flamme über seinen Fingerspitzen. Ich verstummte und starrte auf seine Hand, während er sich wieder dem Tanken zu wendete. >Hast du...?< Ich stieg aus, musste schlucken. Sie hatten zwar davon gesprochen, aber das es wirklich stimmte. >Ich...< Mein Herz klopfte laut und stark. Ich wusste es. Ich wusste es. Da war was bei uns. Meine Finger schoben sich zwischen seine. >Ich bin kein Freak.<, lachte ich. Er hielt inne und sah mich an. >Ich bin kein... Monster oder? Du machst das auch, also... dann bin ich kein...<
Er schüttelte den Kopf und beugte sich etwas zu mir vor, sodass wir auf Augenhöhe waren. >Natürlich nicht, Jenna.< Ich nickte, spürte wie meine Atmung sich steigerte. Dieses Ding in mir, war nichts monströses. Mein ganzes Leben lang hatte ich gedacht,... und jetzt war ich doch nicht... Isaac drückte meine Hand etwas. >Wir sind nichts schlechtes.< Er strich über meine Schulter. >Egal, was deine Adoptiveltern dir je erzählt haben Jenna, du bist kein Monster, kein Freak. Nichts derartiges.< Ich sah ihm in seine Augen. >Und das was du spürst, ist das was uns verbindet. Nicht wahr?< Wir blickten gleichzeitig auf unsere Hände runter. Zwischen ihnen wurde es warm. >Es gibt viele von uns. Feuer, Wasser, Erde Luft. Jenna, du bist nicht allein.<
Nach einer Weile erreichten wir einen tiefen Wald. Ken folgte einem Weg, gerade breit genug für das Auto. 15Min lang fuhren wir noch bis der Weg sich öffnete. Ein riesiges Gelände legte sich frei, umrahmt von hohen Wänden. Ken fuhr an ein Tor, haushoch, und drückte auf den Knopf  an der Sprechanlage. Ein Zahlenfeld drehte sich aus dem glänzenden Silber hervor. Er sah sich zu mir um. Verlegen drehte ich mich weg und hörte das Piepsen. Zehn Zahlen gab er ein. Das Tor öffnete sich und Ken fuhr hinein. Das Gebäude vor uns war abartig groß. In Form eines eckigen U´s umzingelte es uns. Aber drum herum konnte man noch mehrere Häuser sehen. Es war eine richtige Stadt.
Ken parkte neben den vielen anderen Wagen die vor dem Eingang standen und stieg aus. Er hielt mir die Tür auf. Mit meinem Gepäck in den Armen traten wir in das Gebäude vor uns ein. Sofort erfasste uns eine Geräuschkulisse wie in einem endlosen Speisesaal. Gelächter, Gerede, ein paar aufgeregte Schreie. Ungläubig drehte ich mich im Kreis. Die Decke war so hoch wie der Himmel selbst. Kronleuchter hingen von ihr herab und erleuchteten die weiten Flure. Überall waren Menschen. Jugendliche liefen hin und her. Es gab ein paar Pärchen, die Händchen hielten. Mädchen die sich lachend gegenseitig ansahen. Ein Traum. Und sie waren alle so unterschiedlich. Manche hatten ganz bunte Haare. Einen Haufen Piercings im Gesicht. Gedehnte Ohren. Lange Haare bis zum Hintern. Glatzen. Alles mögliche. Bei ein paar der Leuten, die an mir vorbeiliefen, spürte ich eine ähnliche Verbindung, wie zu Isaac. Waren das alle Leute, so wie ich? So viele?
>Hey, Isaac. Wieder zurück?< Ein Junge mit pechschwarzen Haaren stieß zu uns. Er sah kurz zu mir nach hinten.
>Ja, wir bringen unsere neue Schülerin auf ihr Zimmer.< Wieder ein Seitenblick. >Sag einer der Schwestern Bescheid, dass sie sich für eine Untersuchung vorbereiten muss.< Der Junge verschwand wieder, lächelte mich davor aber einmal aufmunternd an.
Ich beschleunigte meinen Gang etwas, sodass ich zwischen Ken und Isaac lief. >Was für eine Untersuchung?<, fragte ich.
Ken legte seinen Arm um meine Schulter. Verblüfft hob ich meine Brauen. >Eine Art Analyse. Eine Standarduntersuchung.< Wir betraten eine ausladende Treppen. Von unten nach oben wurde sie schmaler. Der rote Teppich war wunderschön und passte zu dem vergoldeten Geländer. Wie in Hollywood-Filmen. Viele der Jugendlichen und Erwachsen sahen innehaltend auf und lächelten oder nickten den Beiden zu. Sie alle schienen so ehrfürchtig und bewundernd. Respektvoll sahen sie Ken und Isaac an.
>Auf den obersten Stockwerken sind die Zimmer. Die oberen zwei. Dann kommen sozusagen die Aufenthaltsräume. Speisesaal, Wohnzimmer und auch die Räume mit den Instrumenten. Alles mögliche. Wir verwöhnen diese kleinen Schweine wirklich.< Das letzte rief er ganz laut in die Halle.
>Selber!<, riefen die meisten zurück.
Ich musste grinsen. >Was muss ich bei dieser Untersuchung machen?<
>Eine ganz normale Grunduntersuchung. Die Schwester wird dir alles erklären.< Ich nickte. Ken wurde gerufen. >Was ist denn?<, fragte er.
>Einer von euch beiden muss uns bei dem Essen helfen. Die Lieferungen sind...<
Ken hob die Hand. >Schon gut. Ich komm ja. Hey, du. Broderick. Nimm mal die Tasche. Trag sie ins Zimmer.< Der Junge im Baseball-T-Shirt formte mit seinem Mund fassungslos ein „O“. >Los jetzt. Ich hab zu tun.< Er warf ihm die Tasche zu. Nickte mir noch zu und tauchte dann ab in der Menge. Nun fielen mir auch die vielen Blicke auf, die mir zugeworfen wurden.
Natürlich, ich war die Neue.
>Hi, ich bin Brody.<
>Also, ich habe einen Broderick in Erinnerung. Nicht Brody.< Isaac kicherte leise neben mir.
>Und dein Name? Brunhilde?<
>Nein, meine Eltern konnten mich leiden.< Isaacs Lachen wurde lauter. >Sorry. Jenna.< Er nickte. >Und was machst du...?< Ein stürmischer Windstoß verwirbelte mir mein Haar. Es nahm mir die Luft. Hüstelnd beugte ich mich vor. >Du hättest es mir auch einfach sagen können.<, krächzte ich aus trockenem Hals.
Er klopfte mir auf meine Schulter. >Ein seichtes Lüftchen wird dir schon nichts ausmachen.<
Isaac lief voran immer weiter hoch, wo wir dann in etwas ruhigere Flure kamen. >Hier sind die Zimmer. Wir haben dir schon ein Zimmer zugeteilt. Das Wichtigste ist nur, dass Mädchen und Jungen getrennt sind. Rechts die Mädchen. Links die Jungen. So, du kannst jetzt gehen.<
>Was?<
>Kein Junge im Zimmer eines Mädchens. Nicht Mal in dem Flügel. Das weißt du. Geh.<
Brody seufzte genervt und wollte mir die Taschen reichen, aber Isaac nahm sie. >Ich muss dich sowie so noch einmal umlegen, Isaac.<, rief Brody noch beim Gehen.
>Ja, natürlich. Die Hoffnung stirbt zu Letzt.< Er lief voran. Mir gefiel die Bewegung seiner Schultern. Jedes Mal, wenn ich ihn ansah, brannte es lichterloh in mir. Als würde ich in mitten eines riesengroßen Feuers stehen. Ich wollte mich an ihn werfen, ihn in meine Arme ziehen und mich so eng an ihn kuscheln, dass ich in ihm versank.
… wow.
>Jenna, hörst du mir zu?< Ich löste meinen Blick von seinem Hintern und sah hoch. >Es gibt Einzel- und Doppelzimmer. Sie sind voll eingerichtet und du kannst sie so einrichten, wie du willst, solange du nicht die Wände beschädigst.< Er sprach weiter, während ich schon einen Plan austüftelte, wie ich ihn dazu brachte auf mich zu stehen. Das hatte ich schon vorher geschafft. Die Football-Spieler waren auch verrückt nach mir. Da würde er kein Problem sein.
Ich lief neben ihm. >Wo schlafen die Lehrer?<, fragte ich lächelnd.
Isaac schmunzelte. >Wir haben unseren Platz.< Er wich mir aus. Plötzlich öffnete er eine Tür. >Hier, dein Zimmer.< Ich trat ein. Die Wände waren in weiß gestrichen. Ein Beige Teppich lag auf dem hellen Laminat. Vor uns unter dem Fenster an der Wand erstreckte sich ein Doppelbett mit dunkelroter Bettwäsche. Auf jeder Seite befand sich ein Nachtkästchen. Rechts von dem Bett stand ein Schreibtisch mit dem passenden Bürostuhl und Regal dazu. Direkt daneben war die Tür ins Badezimmer. Isaac setzte meine beiden Taschen auf dem Boden ab und den Karton auf dem Schreibtisch. >Ab 23Uhr ist Nachtruhe. Da du 17 bist, darfst du bis Mitternacht draußen bleiben. Du bist noch keine 21, deswegen kein Alkohol. Wir ziehen jetzt erst einmal die Untersuchung durch, dann führe ich dich herum und zeig dir wo die... Jenna, hörst du mir zu?<
Scheiße, seine Lippen waren schön.
>Ja, natürlich. Du führst mich herum und weiter?<
Er nickte. >Du kriegst dann deine Bücher. Danach kannst du dich frei bewegen.< Ich ging ins Badezimmer. Alles war in strahlendem Weiß. >Gut, dann gehen wir, in Ordnung?< Wir gingen wieder raus. >Wir haben fünf Stockwerke. In dem Dritten befindet sich die Krankenstation, wo wir jetzt hingehen.< Ich fuhr mir durchs Haar. Dieses Mal fuhren wir mit Aufzug runter. Zwei Mädchen stiegen ein. Sie begrüßten Isaac kichernd und linsten immer wieder verlegen zu ihm rüber.
Ich fühlte zu keiner von den beiden eine besondere Bindung. Die hatten bestimmt nichts mit Feuer zu tun. >Wo ist eigentlich Edward? Tanja hat gesagt, wir würden am Montag eine Vertretung bekommen.<, fragte die Blonde. Irgendwas an ihr, sagte mir, sie wäre Wasser. Als konnte ich die Wellen in ihrer Stimme rauschen hören.
>Ich werde ihn vertreten. Er musste zu seiner Familie. Ich hoffe, dass macht euch nichts aus.< Die beiden begannen wieder wild zu kichern.
Sobald wir ausgestiegen sind, atmete ich durch. >Schrecklich.< Issac sah zu mir und schmunzelte etwas. Wir liefen an Wohnzimmern vorbei, einer Terrasse, die Blick auf eine riesige Wiese gab und die Fortsetzung des Gebäudes. >Wir haben einen Trainingsraum?<, fragte ich ungläubig.
>Ja, wir haben unten verschiedene Turnhallen, Trainingsräume und so was. Die sind besser ausgerüstet. Aber die werden Abends abgeschlossen und deshalb haben wir den Schülern eine Standardausrüstung zur Verfügung gestellt. Die ist 24h lang geöffnet. Natürlich kannst du auch Joggen, wir haben genug freie Fläche.< Es waren wirklich mehrere Schüler in dem Trainingsraum drin. Meine Fresse, hatten die Körper.
Ich sah zu ihm hoch. >Mich wirst du auf jeden Fall nicht auf einem Laufband sehen.<
>Ja, das sagen sie alle.< Wir liefen bis ans Ende des Flures, wo wir die Krankenstation erreichten. Es war ein ganzes Abteil, mit richtigen Räumen und Krankenbetten darin. Ein paar waren sogar gefüllt. Manche mit Brandwunden, blauen Flecken und gebrochenen Armen. >Es gibt Unfälle. Genügend. Das Training ist nicht einfach. Ganz und gar nicht. Und um es dir gleich zu sagen, ich bin der wahrscheinlich unbeliebteste Lehrer.<
>Dann weißt du nicht, was das hier...< Ich zeigte auf sein Gesicht. >.. mit jungen Mädchen macht.<
Er zog die rechte Braue an. >Ich meinte, weil ich... sehr streng bin. Mehr als nur streng. Ich erwarte von jedem Schüler das höchste Maß an Disziplin und Stärke.< Wir kamen in einen Raum, in dem eine Schwester schon auf uns wartete. Sie trug die typische weiße Uniform und sah richtig niedlich darin aus. Wie ein kleiner Engel. >Guten Tag, Schwester Mary. Das ist Jenna Turner...<
>Young.<
>Was?<
>Jenna Young, hi.< Ich schüttelte ihre Hand und lächelte. >Turner sind meine Adoptiveltern. Was muss ich machen?<, fragte ich und versuchte dabei zu erkennen, ob sie auch irgendeine Kraft besaß.
>Hi, Jenna… Isaac, es wäre gut, wenn du draußen wartest. Jenna, ziehst du dich aus?<
Ich zuckte zusammen. >Ausziehen? Vor Ihnen?<
>Ja, das gehört dazu. Einfach nur um zu sehen...<
>Ich kenne Sie doch gar nicht.<
>Willst du eine andere Schwester?<, fragte Isaac.
>Ich will gar keine Schwester. Ich kenne die doch gar nicht. Ich ziehe mich nie vor Frauen aus.< Zu spät, bemerkte ich, wie das sich anhörte.
Als würde der Eindruck, den dieser Satz machte, nicht der Wahrheit entsprechen.
Isaac blickte mich für einen kurzen Moment fragend an. >Ok. Stehen männliche Schwestern oder Ärzte zur Verfügung?< Die Frau verneinte. >Dann übernehme ich das. Danke.< Argwöhnisch sah Schwester Mary zu mir zurück, bevor sie die Tür öffnete und raus trat. >Warum... ?<
>Ich mag das einfach nicht. Tu nicht so, als wäre ich in Unterwäsche das schlimmste, dass du dir vorstellen kannst.<, schnauzte ich und knöpfte meine Jeans auf.

>Mama, ich will das nicht machen.<, schluchzend krallte ich mich an meinem Nachthemd fest.
Sie streichelte mein Haar. >Baby.< Zärtlich ließ sie ihre Hand über meine Schulter gleiten. Meine Mutter hatte multiple Persönlichkeiten. Sie war meine Mutter, sie war Katharina, die furchtbar suizidal war, sie war mein Vater, ein Abklatsch von ihm, der pädophile Anzeichen hatte, und sie war Leila, sie sprach nie und weinte einfach nur die ganze Zeit. Oft genug saß ich in meinem Zimmer und hörte dabei zu, wie mein Vater meine Mutter davon abhielt sich selber umzubringen. Ich brauchte lange, bis ich verstand, was mit ihr stimmte. Erst bei Caroline und Ralph wurde mir mitgeteilt, das meine Mutter regelmäßig zu einem Psychologen ging und Medikamente nahm. Diese wurden aber hauptsächlich von meinem Vater konsumiert.
>Baby, deine Mum ist nicht hier. Daddy wird sich um dich kümmern. Zieh es einfach aus.< Ihre Finger verschwanden unter meinem Hemdchen und hoben es an.
Sie hatte mich nie vergewaltigt. Nur ausgezogen und beobachtet, fotografiert oder gebadet.
Der Strahl der Stehlampe blendete meine Augen. Sie lehnte sich in dem Stuhl zurück und lächelte mich an.
Heulend stand ich in meiner Unterhose vor ihr und rieb mir die verweinten Augen. >Mummy.<
>Bleib einfach da stehen, Baby.< Sie legte ihren Kopf schief und hielt sich das Kinn, so wie mein Vater es immer machte.
So stand ich dann eine Weile lang da, weinte bis keine Tränen mehr kamen und stand, bis meine Beine nicht mehr stehen konnten. Plötzlich zuckte sie zusammen. >Was zum Teufel tust du da?<, schrie sie. >Zieh dich an, geh ins Bett.<
>Mummy, du hast doch gesagt, ich soll mich ausziehen.<
>Das habe ich nicht. Was soll das heißen? Ich...< Sie hielt inne. Wahrscheinlich hatte sie in dem Moment verstanden, was passiert war. >Es tut mir leid, Liebes. Kleines. Es tut mir so leid.< Sie weinte und nahm mich in ihre Arme. >Bitte, verzeih mir. Ich... bring dich ins Bett, ja?< Ich nickte und ließ mich von ihr ins Bett bringen. Sie deckte mich zu, küsste mich kurz auf die Stirn und stürzte dann aus dem Zimmer.
Noch stundenlang hörte ich sie weinen und mit sich selber reden. Sie beleidigte sich selber und ich wusste, sie verletzte sich auch. Dann kam mein Vater rein. Er war berauscht und schlug auf sie ein. Ich konnte es nicht leiden mich vor Frauen auszuziehen, weil ihre Blicke dreckig und widerlich sind und ich das Gefühl einfach nicht ausstehen konnte.

>Stell dich auf die Waage.< Dessen roter Zeiger schnellte zur Zahl 56 und sprang dann zu dem Strich zwischen der Zahl 55 und 54. >Das ist wenig, für deine Größe. Isst du normal?< Er trug alles in ein Formular in einem Klemmbrett ein. Als nächstes musste ich mich an das Lineal an der Wand stellen. Isaac stellte sich neben mich und las die Zahl ab, dabei konnte ich seinen Geruch einatmen. Er roch nach Sonne und Lagerfeuer und der Wärme einer hausgemachten Mahlzeit. >1,74m. Du bist wirklich sehr dünn. Wie isst du?<, fragte er.
Ich versuchte mich davon abzuhalten, weiter an ihm zu schnüffeln wie ein Hund. >Normal. Viel zu viel eigentlich. Kennst du diese ganz großen Hamburger mit zweimal Fleisch drauf?< Er nickte lächelnd. >Das. Beste. Auf. Der. Welt.<, sagte ich bestärkend. >Und davon verdrücke ich locker zwei oder drei auf einmal.<
>Am Essen liegt es also nicht.< Da hätte ich mir auch gleich „Fettie“ auf die Stirn schreiben können. Das ich hier halbnackt vor ihm stand ließ die Gänsehaut nicht verschwinden, die sich langsam auf den Armen und in meinem Nacken bildete. >Ich sehe zwei Tattoos. Sonst noch welche?< Das eine war eine Motte auf meinem rechten Schulterblatt die, wenn man genauer hinsah, aus vielen kleinen Motten bestand. An einem Flügel entlang stand „Mother.“ (Moth: engl. Motte). Das zweite war das Lenkrad eines Schiffes das groß, unter meinem Arm, meine Seite prägte.
Ich schüttelte den Kopf. >Piercings? Außer dem Nasenpiercing, meine ich.<
>Willst du es sehen?<
Ich machte Anstalten mein Höschen auszuziehen, was Isaac erst ins Stutzen brachte und dann unweigerlich dazu, sich wegzudrehen. >Schon in Ordnung. Ich verstehe. Gottes... willen...<, seufzte er überfordert.
Ich hatte mir mein Intim-Piercing mit 16 stechen lasse, Ralph und Caroline hatten natürlich keine Ahnung. Sowohl von meinen Piercing als auch von meinen Tattoos. Ich hatte sie selber finanziert.
>Das ist wirklich interessant.< Er schmunzelte und sah über den Rand des Klemmbretts zu mir. Ich erwiderte seinen Blick. >Du kannst dich übrigens wieder anziehen.<
Ich beugte mich runter zu meiner Hose und entdeckte dabei wie er mich unmerklich taxierte. >Ha!< Ruckartig stellte ich mich auf und zeigte mit dem Finger auf ihn. >Ich hab´s gewusst.<
>Was ist?<
>Du findest mich hübsch. Ich hab es gesehen.< Grinsend stieg ich in meine Hose und schloss die Knöpfe.
Er schrieb weiter etwas auf das Formular. >Das ist jetzt nicht wirklich eine Überraschung, oder?< Ein Kompliment. Davon überrumpelt starrte ich ihn wie einen Fisch an. Ich wusste, ich war nicht die Einzige, die die aufkommende Elektrizität zwischen uns vernahm. Doch er wandte sich nur räuspernd ab. Wieder. >Blaue Augen und dunkelbraune hüftlange Haare. Die restlichen Sachen kann ich so einfügen. Wir können gehen. Ich warte draußen.< Enttäuscht sah ich ihm dabei zu wie er ging.
Ich würde ihn noch kriegen.
Angezogen kam ich wieder zu ihm raus, wo er mit Schwester Mary sprach. Als er mich entdeckte, nickte er mich hinter sich her und lief los.
Ich konnte nur schwer mit ihm mithalten. Er versuchte es mir schwer zu machen, aber das war schon in Ordnung so. Sonst wäre es ja langweilig. >Sag mal, was machen die Lehrer und die Schüler abgesehen vom Unterricht so gemeinsam?< Wir wussten beide, dass mich was ganz anderes interessierte. Er schwieg eine Weile. >Ich meine, die Altersunterschiede zwischen Lehrer und Schüler hier sind nicht allzu groß. Da konnte es doch passieren dass.... Na ja, was passiert.<, murmelte ich.
>Eine romantische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist verboten.<
>Ich dachte jetzt auch nicht an eine romantische Beziehung. Ist ja auch echt viel zu kompliziert. Aber eine rein sexuelle Beziehung, ist doch...<
>Jenna!<, warnte Isaac.
Lachend hob ich die Schultern. >Was denn? Ich informiere mich nur.<, bestärkte ich wenig ernstzunehmend.
>Es ist verboten.<
>Du hast mich angesehen.<
>Ja und?<
>Du findest mich heiß.<
Er lachte leise. >Vorher war es noch hübsch.<
>Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht stimmen würde.<
Er blieb still, bis wir nach draußen gingen. Da sah ich das, das U eigentlich ein H war. Auf der Wiese saßen sowohl Lehrer als auch Schüler und lachten miteinander. Dieses Gefühl, dass ich mit Isaac teilte, wiederholte sich auch hier wieder, aber es war nicht so stark und intensiv und auch nicht so schön. >Der asphaltierte Platz dahinten ist für das Training mit Feuer. Wir rollen auch immer wieder Wasserkanister raus zum Üben. Und dort hinten dieses Loch ist für Erde.<, erklärte er und zeigt nach hinten, wo wirklich ein Platz, so groß wie ein halbes Fußballfeld aus dunklem Asphalt war und etwas weiter vorne war ein fast genauso großes, aber nicht allzu tiefes Loch im Boden. Ein Mädchen rannte darauf zu und sprang hinein. Doch statt auf der Erde stehen zu bleiben, verschwand sie darin.
Ich sog scharf Luft ein. >Was...?<
>Erde.<
Entsetzt sah ich ihn an. >Sie verschwindet im Boden und du sagst einfach nur „Erde“? Das ist ja unglaublich. Weiß die Außenwelt davon?<, fragte ich ungläubig und erschrak, denn sie kam im nächsten Moment aus dem Boden geschleudert und landete 10m weiter mit festen Beinen wieder auf der Wiese und klatschte sich lachend bei einem Jungen ab. >Sie ist fantastisch.<, hauchte ich und beobachtete sie, während sie ihre Hände hob und sich aus dem Loch ein riesiges Stück Erde erhob. Mit lautem Knall schlug es wieder auf den Boden. Die beiden Jungs neben ihr machten weiter. Sie warf ihr Haar zurück und entdeckte dabei uns. Ich war immer noch baff.
>Hi!<, schrie sie lachend und winkte überschwänglich. Die Leute um sie herum sahen in unsere Richtung.
Betreten winkte ich zurück. >Unglaublich, was für eine Kraft sie hat.<
Isaac nickte. >Ja, aber du bist genauso stark. Vielleicht sogar stärker.<
Mehrere der Jungen ließen ihre Augen länger auf mir liegen. >Ihr habt hier echt eine schöne Aussicht.<, murmelte ich und lächelte mein Lächeln, dass die Kerle mit denen ich in der Schule geschlafen hatte als „Das Sex-Lächeln“ bezeichneten. Mir war schon immer klar, dass ich gut aussah. Keine Überschätzung, einfach nur eine Feststellung. Ich war sehr dünn, gleichzeitig aber auch gut bestückt, wobei meine Wespentaille sehr gut kam. Nie hatte ich Probleme damit gehabt Gesellschaft zu finden, wenn ich sie gerade brauchte.
>Los, lauf weiter.< Isaac schob mich wieder zurück. >Du bist nicht dafür hier, Jenna. Es gibt andere, wichtigere Dinge.<
>Hat dich nicht davon abgehalten, mich abzuchecken.<
Er lief voran. >Du interpretierst zu viel hinein.<, wehrte er ab.
Ich ließ Luft zwischen meinen Lippen durch flattern. >Hast du eine Freundin?<
>Nein.<
>Eine Frau?<
>Nein.<
>Hast du nicht meinen Hintern angesehen?<
>Nei...< Er drehte sich zu mir um und sah mich anklagend an. Dann mussten wir beide lachen. >Ich zeige dir die unteren Klassenzimmer. Das vorrangige Fach hier ist Sport, wobei es bei uns als drei verschiedene Fächer zugegen ist. Einmal Kampfkunst, Bändigen und dann das ganz Normale. Alle typischen Fächer sind hier vertreten, plus unserer Geschichte, unserer Religion und der Biologie unserer Rasse.<
Ich lief wieder neben ihm, während wir ganz unten in die Schulflure gingen. >Was heißt unsere Geschichte, Biologie oder Rasse?<
>Du bist kein normaler Mensch, Jenna.<, begann er.
>Ach was.<, erwiderte ich sarkastisch.
>Nein, ich meine, du bist kein Mensch. Wir sind nur fundamental menschlich. Wir haben noch nicht mal eine menschliche Blutgruppe. Wir beide haben BX+, weil wir Feuer sind. Das ist bei jedem so. Wasser, BX-. Erde, AX+. Luft, AX-. Du wirst mehr im Unterricht erfahren und ich rate dir, wirklich aufzupassen. Diese Informationen sind nicht nur aus Spaß im Lernplan drin. Sie können dir das Leben retten.< Er bedachte mich eines ernsten Blickes. >Wir haben eine umfangreiche Bücherei, die ist ständig zugängig. Dort sind auch unsere Computer. Der Rest ist abgeschlossen.< Wir gingen in die Bücherei zu einem Lager dahinter, wo viele gleiche Bücher standen. Die Schulbücher. >Das ist Biologie. Einmal die der Menschen und deine.< Er reichte mir zwei Wälzer. >Geschichte.< Noch einmal zwei. >Religion.< Die restlichen Bücher danach waren dünner. Mathe, Englisch, Französisch und so weiter.
>Kann ich dich was fragen?<
Er nahm mir mehr als die Hälfte der Bücher ab. >Klar.<
>Hast du mal jemanden verletzt, weil du es nicht wusstest?<
Aufmunternd erwiderte er meinen Blick. >So etwas passiert einfach. Dafür kann niemand etwas.<, erklärte er und lächelte etwas.
>Hast du sie auch umgebracht?<
Er stellte die Bücher wieder ab und kam zu mir zurück. >Du bist nicht Schuld. Du konntest es nicht wissen.<
>Ich habe meine Eltern verbrannt.<
>Du warst ein kleines Kind.< Ich sah zu Boden. >Jenna.<
>Weißt du was? Vergiss es. Wenn du willst kannst du gehen. Ich schaff das alleine.< Er ließ es mich nicht alleine machen. Wir fuhren mit dem Aufzug wieder hoch. Dieses Mal aber schweigend. In meinem Zimmer angekommen, räumte ich die Bücher in das Regal. Währenddessen blieb er an der Tür stehen. >Du hast doch bestimmt irgendwas Rektor-mäßiges zu machen oder?< Hinter mir konnte ich hören wie er auf mich zukam.
Mit jedem Schritt wurde seine Wirkung auf mich intensiver. >Wenn du reden willst, ist das kein Problem.<
Ich drehte mich zu ihm um. >Schon gut. Wirklich. Ich meine, ich habe nicht erst gestern erfahren, dass ich im Kindergartenalter schon eine Mörderin war.<, lachte ich trocken.
>Das ist nicht...<
>Ich wäre jetzt gerne alleine.<
Auf seinem Gesicht bildete sich ein hilfloser Ausdruck. >In Ordnung. Bis bald. Soll ich dich Montag morgen in dein Klassenzimmer bringen?<
>Ich werde es schon finden. Danke.<
Er nickte und ging.
Bis zum Abend hin verstaute ich meine Sachen im Kleiderschrank. Die Sachen aus dem Karton kamen auf meinen Schreibtisch und in meinen Bücherregal. Ich traute mich nicht aus dem Zimmer, weshalb ich mich einfach auf mein Bett setzte und wie früher heute morgen mit Flammen in meinem Gesicht das Bild vor mir ansah. Irgendwann hörte ich jemand an der Tür klopfen. Sofort steckte ich das Bild in meine Hosentasche. Ich dachte schon es wäre Isaac. >Hab doch gesagt, ich will alleine sein.<, erinnerte ich ihn.
>Oh, soll ich wieder gehen?< Das war nicht Isaac. Es war das Erde-Mädchen von vorher. >Ich wollte nur mal sehen, was du so machst.<
Räuspernd fuhr ich mir durchs Haar und nickte. >Kein Problem. Komm rein.< Ich machte eine Bewegung ins Zimmer und trat zur Seite.
>Danke. Ich heiße übrigens Beth.< Sie setzte sich an den Schreibtisch und lächelte wieder. Ihre Haare waren hellbraun und gingen ihr bis fast zu den Schultern. Anders als meine waren sie sehr glatt und gingen gleichmäßig über zu ihrer Sonnen gebräunten Haut und ihren hellbraunen Augen. Sie war so hübsch. >Du siehst aus wie eine Puppe. Nur viiiiiiel schärfer. Die Jungs hier werden dich lieben, das sage ich dir jetzt schon.< Ich musste lachen. Das hatte ich so oft gehört. Wegen meiner hellen Haut und meinen natürlich roten Lippen. Meine Augen waren in einem hellen Blau-Grau gehalten und meine Haare so dunkel wie Ebenholz. Anfangs hatte ich mich noch gefreut über so was, mittlerweile war es mir egal. >Hast du Lust mit ein paar Freunden in die Stadt zu fahren?<
Ich fuhr mir durchs Haar. Zuhause hatte ich kaum zu tun mit den anderen Mädchen, außer wenn sie mich anzickten, weil ihre Männer mir auf den Hintern gesehen und ich zurück gelächelt hatte. >Mit mir? Ich weiß nicht, ich meine...<
>Merkst du es nicht?< Fragend blickte ich sie an. >Ist es nicht offensichtlich, dass wir beste Freunde werden?< Ich musste grinsen. >Komm mit. Wir trinken was und kommen dann wieder zurück.< Kurz dachte ich nach. >Ich gebe dir auch einen aus.< Ich nickte ging ins Bad, um mich umzuziehen. >Du schämst dich vor mir?<, rief sie von draußen.
>Ich ziehe mich nur ungern vor Mädchen aus.<
Sie musste lachen. >Ja, Jungs sind mir da auch lieber.< Mit meinen Schuhen in der Hand folgte ich ihr aus dem Zimmer. >Wie alt bist du?<
>17. Ach ja, und ich heiße Jenna.<
>Cool, ich auch. Also, ich heiße nicht Jenna, aber ich bin 17. Die anderen sind auch so in unserem Alter. Die sind echt nett. Du wirst die bestimmt mögen. Wir dürfen vom Gelände, aber nur mit Oberschülern zusammen.< An der Treppe, die ich heute Mittag mit Ken und Isaac hochgelaufen war, stand eine Gruppe. >Hey, Leute. Das ist Jenna. Sie ist Feuer.<
>Woher wusstest du das?<, fragte ich sie.
Sie zuckte mit der Schulter. >Das merkt man einfach. Die Lehrer werden dir das schon erklären. Das ist Jack, Paul, Kyle, Penny, Anny, und Andria.< Jeder nickte mir einmal lächelnd zu. >Hast du das Auto?<, fragte Beth und joggte schon die Treppe runter.
Jack hob die Hand mit dem Schlüssel in der Hand. >Ich fahr euch wohin ihr wollt.<, verkündete er feierlich.
Ich musste lächeln, als ich sah wie Alex, Paul und Kyle gleichzeitig ihr Augenmerk auf mich legten. Kyle war Feuer. Ich spürte es. Und gleichzeitig spürte ich auch sein Interesse an mir. >Ich hab gehört, es gibt eine Party bei den Menschen.<, sagte Anny und sprang auf den Rücken von Paul.
Den Menschen.
Beth öffnete die Tür nach draußen. >Dann schneien wir da mal rein.< Jack drückte auf den Knopf am Schlüssel. Die Scheinwerfer eines Autos begannen zu blinken. Wir stiegen alle ein. Da nicht genug Platz war, mussten wir auf den Schössen voneinander sitzen. Ich setzte mich auf Beth´ Schoss. Jack fuhr los.
>Bist du seid heute da, Jenna?<, fragte Kyle.
Ich nickte. >Wie lange seid ihr schon da?<
Er schob Penny auf seinem Schoss hin und her. >Seid 2 Monaten. Es wird dir gefallen hier.<
>Also ich bin schon seid `nem Jahr hier. Es ist fast schon peinlich, dass ich mit diesen kleinen Scheißern rumhänge. Oh, warte du bist genauso alt wie sie.< Paul neben ihm lachte. Wir fuhren an das Tor und es öffnete sich von selber. >Du bist also Feuer, huh?<
>Ja, was bist du?<
Plötzlich fuhren wir über eine Bodenwelle. >Verdammt, Jack. Lass das!<, klagte Alex neben mir mit Andria auf dem Schoss.
>Ich bin Erde.<
Ich drehte mich um und sah gerade noch wie die angehobene Stelle im Boden wieder zurückfuhr. Anny navigierte Jack zu dieser Party. Es war eine Garten-Party. Es dauerte erst, bis wir aus dem Auto geschlüpft waren und unsere Beine wieder fühlen konnten. Dieses Alle-quetschen-sich-in-einen-Wagen-rein war echt nicht mein Ding. Beth legte ihren Arm um meine Schulter. Ich mochte sie. >Irgendwas bei dir ist anders, als bei den anderen Bändigern hier.< Wir liefen um das Haus herum. Argwöhnisch verzog ich das Gesicht.
Anny lief voran und umarmte eine der Mädchen. Sie zeigte auf uns und winkte uns dann zu sich. >Lasst uns feiern!< Mit den Händen hoch zum Himmel gestreckt tänzelte sie sich durch die Menge. Eine Anlage stand an der Wand des Hauses und dröhnte uns voll mit House-Musik.
>Was ist bei mir anders?<
Beth ließ sich von Jack einen Becher voll mit Wodka-Cola reichen. Er wollte mir auch einen geben, aber ich verneinte und nahm mir eine Flasche Cola aus der Tiefkühltruhe. >Irgendwas bei dir. Ich kann es dir nicht sagen. Als wärst du nicht wirklich eine Bändigerin.< Ich sah zu einer Gruppe von Mädchen die eine Betrunkene stützten. >Nein, kein Mensch. Mehr. Keine Ahnung. Ich bin erst seid 3 Monaten hier. Ich verstehe das noch immer nicht ganz.< Unbefriedigt nickte ich. Kann ja wohl nicht wahr sein, dass ich es sogar unter Erde-bändigenden Nicht-Menschen schaffte ein Freak zu sein. >Warum trinkst du keinen Alkohol? Willst du was?< Sie hob mir ihren Becher entgegen, aber ich lehnte wieder ab.
>Ich weiß, was es mit Menschen machen kann.<, antwortete ich knapp.
Sie verstand sofort. >Tut mir leid.< Ich zuckte mit einer Schulter. >Dann lass uns umso besser feiern, ja?<

Und das machten wir auch. Wir tanzten, grölten die Lieder mit, tranken, wobei  ich immer bei Cola blieb, rauchten und lachten, als hätten wir unseren Verstand verloren. Jack und ich waren die einzigen, die auf der Heimfahrt nüchtern waren. Ich war mir aber nicht ganz sicher, ob er nichts getrunken hatte, denn ein kleines Lallen schwang dann doch in seiner Stimme mit und er lachte ein wenig zu viel. Dieses Mal saß Beth auf meinem Schoss und ihre Knochen stachen mir schrecklich in den Oberschenkel und Kyle hatte seinen Kopf an meine Schulter gelehnt und der ganze Wagen stank nach Alkohol, Rauch und Gras, aber ich war glücklich. Wann hatte ich des letzte Mal etwas mit Freunden gemacht? Bei meiner leiblichen Mutter, als ich ins Feuer gelaufen war? Ich erinnerte mich nicht mehr. Ich hatte vergessen, wie schön es war.
Beth musste von mir fast getragen werden, so stark torkelte sie. Kyle trug Penny auf seinen Armen. Sie waren den ganzen Abend schon beieinander gewesen, aber ein Paar schienen sie nicht zu sein. Jetzt, wo ich daran dachte, sie sahen sich doch ziemlich ähnlich. Beide hatten sie schwarze Haare, graue Augen und auch den selben hellen Hautton. >Hey, ist das deine Schwester?<, fragte ich ihn und blickte zu der schlafenden Penny in seinen Armen, die sich fest an ihn kuschelte.
Er nickte lächelnd und verdrehte die Augen. >Die hat noch nie viel gepackt.<
Lachend schob ich die Tür auf. Auf den Treppen lief Beth wieder alleine, was Paul dann nutzte, um sich an mich zu hängen. >Wie wär´s, wenn ich mit zu dir komme?<
>Paul, du bist betrunken und du müffelst.<
>Wir könnten zusammen duschen gehen.<
Er sah schon ziemlich gut aus. Ich wusste ja, ich war ein Flittchen, aber ich sprang nicht einfach so mit jedem in die Kiste. >Vielleicht wann anders. Schlaf erst mal deinen Rausch aus. < Ich schob ihn in Richtung des Jungenflügels und stützte wieder Beth.
>Mann, mir ist so schlecht.<, nuschelte sie. >Kann ich bei dir schlafen?< Ich nickte und brachte sie in mein Zimmer. Danach half ich den anderen Dreien ins Zimmer und deckte sie zu. Bei mir wieder angekommen, lagen überall auf dem Boden verteilt Kleidungsstücke. Sogar ihr BH.
Ich hob alles auf und legte es auf den Stuhl an meinem Schreibtisch. >Kann es sein, dass du nur in deinem Schlüpfer in meinem Bett liegst?<, fragte ich.
>Ich steh auf Schwänze.<, kam es kratzig vom Bett. Ich zog mir im Bad Stoffshorts und ein T-Shirt an und legte mich zu ihr. >Deine Eltern haben dich also hierher geschickt?<
>Meine Adoptiveltern.<
Sie nickte. >Was ist mit deinen Eltern?< Ich zog die Decke hoch bis an mein Kinn. Darüber wollte ich nicht mit ihr reden. >Ich habe meinem Vater fast das Sprachzentrum im Gehirn zerschmettert, als ich ihn aus Wut mit einem Stein am Kopf getroffen habe.< Meine Augen wurden groß. >Wenn jemand dich verstehen kann, dann sind das die Leute hier. Es gibt natürlich immer Idioten, aber wir waren fast alle in der Lage, in der du warst oder bist.<, murmelte sie.
Ich drehte mich auf den Rücken. >Ehm... ich habe meine Eltern beide verbrannt, da war ich fünf.<
>Scheiße.< Ich nickte. >Verdammte scheiße.< Ich nickte wieder. >Es tut mir leid.<
>Ist schon lange her.<
Sie sah mich weiter an, bis auch ich meinen Kopf zu ihr drehte. >Irgendetwas ist anders bei dir. Ich kann echt nicht sagen, was es ist, aber du bist so stark. So lebendig.< Meine Brauen zogen sich zusammen. >Als würde ich das Feuer in dir, in mir spüren. Ich habe das Gefühl, als könnte ich selber Feuer bändigen. Es ist unglaublich. Ich habe es schon den ganzen Abend über gespürt und die anderen auch und alle Schüler auch. Die Lehrer bestimmt auch schon.< Isaac hatte nichts gesagt. Ken auch nicht. >Du bist das Besondere im Besonderen.<
>Bist du dir sicher, dass Schwänze dein Ding sind?<
Sie lachte. >Ja, keine Angst.< Ich schloss meine Augen. >Gute Nacht.<
>Schlaf gut.<, flüsterte ich und spürte zum ersten Mal heute, wie müde ich war.

3. Die Götter

Ich war vor Beth wach, kurz nachdem ich aus der Dusche gestiegen kam, saß sie aber schon wach auf dem Bett und zog sich gerade ihr Oberteil über den Kopf. Gott sei Dank, hatte ich mich schon drinnen angezogen. >Ich geh schnell bei mir duschen und dann gehen wir zusammen unten essen, ja?< Ich nickte. Sie ging und ich hatte noch genügend Zeit, um meine Haare zu kämmen bis sie trocken waren. Genau zum rechten Zeitpunkt holte mich Beth wieder ab und wir gingen die Treppen runter. >Ich habe echt Kopfschmerzen.<, maulte sie. >Ich habe doch gestern von diesen Idioten geredet, erinnerst du dich?< Argwöhnisch nickte ich. >Das sind diese konservativen Vollpfosten die meinten, dass Gegensätze nicht miteinander verkehren sollten.<
>Wie meinst du das?<
>Feuer, Wasser. Erde, Luft. Die Gegensätze. Die legen sich immer miteinander an. Halt dich am Besten da raus. Es ist nämlich vollkommener Schwachsinn.<
Der Speisesaal war gut gefüllt. Die ganze Einrichtung wirkte altmodisch, aber dennoch stilvoll. Lange Tische reihten sich auf. Gegenüber von der Tür, aus der ich kam bestand die halbe Wand aus der Essensausgabe. Der Rest gehörte zu einer Art Bühne mit Podium. Die Fenster waren groß und umrahmt von schweren Gardinen in dunklem Rot. Alles wirkte so edel und wertvoll. Und alle möglichen Menschen saßen hier und aßen genüsslich. Und offensichtlich etwas gutes. Die ganze Halle war voll von Gerüchen typischer Frühstücksgerichte. Ein Junge mit strahlend roten Haaren und schwarzen Spitzen rief meinen Namen. Erschrocken sah ich auf. >Meint der mich?< Beth hob eine Schulter. Ich lief auf ihn zu, versuchte die Unsicherheit aus meinem Gesicht zu halten. >Hi.<
>Du bist also Jenna. Hi, ich bin Godrick.< Er war Feuer. Deshalb bestimmt auch die Haare. Ich spürte seine Wärme. >Paul und die anderen haben den ganzen Morgen nur von dir gesprochen.<, klärte er mich auf. >Du hast ziemlich viele Kerle an deinem Arsch hängen. Nur eine Warnung.< Ich nickte und schürzte die Lippen.
Beth schnaubte. >Hab´s ja gesagt. Die werden dich lieben.<
>Super, dann brauche ich mir auch keine Mühe zu machen für ein Nümmerchen, was?< Wir liefen weiter. Godrick zählte deutlich zu den Kerlen, die an meinem Arsch hingen. Davon überzeugte ich mich, nachdem ich mich kurz zu ihm umgesehen hatte. Mein Blick wanderte über die Massen. Nicht falsch verstehen, meiner Meinung nach, gibt es keine hässlichen Menschen. Aber keiner hier in dieser Halle und auch niemand, den ich gestern gesehen hatte, war nicht heiß, scharf, schön, süß oder hübsch. Auch die Lehrer. Sie sahen nicht im geringsten spießig aus. Selbst die älteren Lehrer trugen diese verführerische Weisheit in sich, aber es gab sowie so kaum ältere als 40. >Hier gibt es nur...<
>... richtig heiße Snacks.<, vervollständigte Beth meinen Satz.
Ich lachte. >Ein Automat oder ein All-You-Can-Eat-Buffet.< Sie schubste mich zu dem Ständer mit den Tabletts. Ich hörte eine bekannte Stimme. Es war Isaac. Zwei Reihen weiter saß er gegenüber von Ken. Auf jeder Seite einen Bewunderer. Sowohl weiblich, als auch männlich. Er nahm seine Tasse Kaffee in die Hand. Sofort begann sie wieder zu dampfen.
>Schlag dir den aus dem Kopf. Er sieht heiß aus, aber erstens, sind die Lehrer tabu und zweitens, wirst du ihn nach deinem ersten Training mit ihm hassen. Er ist furchtbar streng.< Sie füllte ihre Tasse mit frisch aufgebrühtem Kamillen Tee und stellte ihn mit vier Päckchen Zucker auf ihr Tablett. >Dafür sind auch alle Schüler, die mit ihm trainieren wirklich Elite.< Ich nahm mir ein Glas Orangensaft, trank daraus und holte mir zwei hartgekochte Eier. Beth genehmigte sich einen Früchtesalat. Ich schnappte mir sechs Pfannkuchen und goss Schokolade drüber. Sie nahm sich als nächstes ein Brötchen belegt mit Käse und das war´s für sie. Ich hingegen nahm mir noch zwei Brötchen mit Salami und vier Speckstreifen. >Isst du immer so?<
Verlegen nickte ich. >Mein Stoffwechsel ist ziemlich ausgeprägt.<
>Glückspilz.< Wir setzten uns an einen Tisch.
Da bemerkte ich nicht nur Isaac´s Blick. Ich hielt ihm mein Tablett hin und grinste von einem Ohr zum anderen. Er lachte.
Beth drehte sich zu ihm um. >Er lacht nicht oft.<
Ich trank vom Saft. >Ist er echt so mies?<
Sie zuckte mit ihren Schultern und wollte etwas sagen, davor setzte sich Jack aber neben mich und schwang seinen Arm um meine Schulter. Paul rutschte zu Beth und biss von ihrem Brötchen ab. >Jenna, ist das alles nur für dich?<, fragte er und klaute einen Speckstreifen von mir.
>Hey! Ja, das gehört mir. Gib es zurück.< Ich versuchte es ihm wieder wegzunehmen, doch es war schon in seinem Mund verschwunden.
>Ich bin ein Freund. Freunde kriegen Speckstreifen.< Er nahm sich einen weiteren Streifen und biss rein.
>Du Arsch! Hol mir jetzt wieder welche.<, verlangte ich. Er knutschte meine Wange und stand auf. >Deine Lippen sind fettig!<, rief ich ihm nach und bekam einen Mittelfinger entgegengestreckt. Ich wischte mir mit der Serviette auf meinem Tablett über die Wange und schob dann Paul meinen Teller hin. Er sah so hungrig darauf. Dabei entdeckte ich wieder Isaac. Und er folgte Jack mit den Augen zusammengekniffen. Dieser kam mit einem Teller voller Speckstreifen zurück. >Danke. Sehr nett.< Während wir so aßen, gesellten sich immer mehr Leute zu uns. Ein paar von gestern und auch komplett fremde, die sich mir aber sofort vorstellten und total nett waren.
Meine Teller waren leer, aber ich hatte immer noch Hunger. Ich verließ lächelnd den lauten Tisch und überflog das Buffet. >Du hast also nicht gelogen mit dem Big Mac.< Isaac. Seine Energie fuhr unter meine Haut.
>Niemals würde ich Witze über McDonalds machen.<
Er stellte sich lachend neben mich und holte sich erneut eine Tasse Kaffee. >Geht es dir gut?<, fragte er und lehnte sich neben mir an.
Ich nahm ein Croissant in die Hand und biss ab. >Lecker. Willst du?< Er schüttelte den Kopf. Ich nahm ein belegtes Brötchen, biss ab und hielt es ihm hin. Wieder verneinte er. Als nächstes einen Apfel, doch den lehnte er auch ab.
>Jenna, rede mit mir. Du hast gesagt, du fühlst diese Verbindung zwischen uns. Dann nutze sie doch auch.<
>Lädst du mich zum Essen ein bei McDonalds?< Er sagte nichts. >Es geht mir gut. Danke.< Ich biss ins Brötchen.
Er nickte, stahl mir den Apfel und biss, mit den Augen auf mir liegend, ab.
Noch nie hatte es mich so angemacht, jemanden von einem Apfel abbeißen zu sehen. Seine Augen waren wir fackeln im Dunkel. Ich konnte mich einfach nicht von ihnen losreißen. Als sahen sie direkt in mein Inneres.
>Kann es sein, dass ich Jack an deiner Wange hängen gesehen habe?<, fragte er lächelnd und nickte zu unserem Tisch.
Ich brauchte ein wenig Zeit,  bis ich die Verbindung zu meinem Sprachzentrum wieder aufgenommen hatte. >Er hat mir meine Speckstreifen weggenommen.<, murmelte ich kleinlaut.
>Wenn man dir dein Essen klaut, darf man dich auf die Wange küssen?< Ich hob herausfordernd das Kinn. Was war nur los mit ihm? Er musste doch wissen, was das für eine Wirkung hatte. >Das werde ich mir merken.< Er gab mir den Apfel wieder zurück.
>Das nennt man flirten, Isaac!<, zischte ich. Er lächelte und ging. >Und du gibst mir einen halben Apfel?< Auf seinem Hintern konnte man Spiegeleier braten.
Ich setzte mich wieder zu Beth. Sie warf mir einen prüfenden Blick zu. Ich aß den Apfel genüsslich und ignorierte sie gezielt.
>Nur damit du es weißt, die Jungs hingen an deinem Hintern, als wäre es das Licht der Mutter Ignis (=lat. Feuer).<
Ich zuckte zusammen. Ein kurzes Bild von brennender Kohle zappte hinter meinem Auge. >Was?< Der Name durchspülte meinen Kopf wie ein Monsun.
>Das ist eine unserer Göttinnen. Das lernst du alles schon noch.<
Ich wollte gerade mit den anderen raus in den Garten, da fing mich Ken ab. >Jenna, warte kurz. Wir brauchen noch ein paar Informationen.<
>Klar. Wir sehen uns später.< Ich verabschiedete mich von Beth und ging mit Ken mit. >Was braucht ihr denn noch? Habe ich mit Isaac gestern nicht schon alles gemacht?<, fragte ich. Wir liefen wohl in eine Art Sekretariat, denn wir kamen an einer Rezeption vorbei in ein Büro.
>Dort ist das Lehrerzimmer. Die Schüler haben die vorderen zwei Flügel und die zwei ganzen Stockwerke. Dieses Stockwerk und dieser Flügel ist Sekretariat, Lehrerzimmer und Rektorenbüro.< Er hielt mir die Tür auf und ließ mich eintreten. >Wir brauchen nur ein paar Antworten.<
Ich nickte und setzte mich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Ken nahm den dahinter. >Gibt es irgendein Problem?<, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. >Nein, keine Sorge. Seit wann lebst du nicht mehr mit deiner leiblichen Familie zusammen?<
>Seid ich 6 bin.<
>Warum wurdest du zur Adoption freigegeben?<
Ich verstand nicht, warum er mir all diese Fragen stellte. Hatte er das nicht schon alles von Ralph und Caroline gehört? Etwas gereizt rieb ich mir die Stirn und seufzte. >Weil ich sie umgebracht habe. Ich habe sie verbrannt.<
Er nickte und notierte sich etwas. >Wann hast du deine Kräfte entdeckt?<
Nachdenklich fuhr ich mir durchs Haar. >Ich war vielleicht 3 oder 4 Jahre alt.<, antwortete ich. >Ich bin in Feuer gelaufen und mir ist nichts passiert.<
>Vor uns hast du noch nie irgendwelche Bändiger getroffen? Hast nichts von uns gewusst?< Ich bejahte. >Hast du jemals deine Geburtsurkunde gesehen?<
Ich schüttelte den Kopf. >Kannst du mir erklären, worum es hier geht?<
>Keine Sorge, Liebes. Wir sind eine spezielle Schule. Wir benötigen etwas mehr Informationen über unsere Schüler. Okay. Das war´s erst einmal.< Es würde also noch mehr Fragen geben. Fest presste ich meine Lippen zusammen. Hieß das, ich war wieder der Außenseiter?
>Gestern hat Beth etwas komisches gesagt.<, murmelte ich. Ken spickte zu mir rüber. >Sie meinte, sie fühlt, dass ich anders bin als die anderen. Das sie manchmal das Gefühl hat, sie wäre selber Feuer, nur weil sie neben mir steht. Was bedeutet das?<
Für einen Moment war da Argwohn in seinen Augen, dann lächelte er wieder. >Du bist anders als die anderen. Ich bin mir nur noch nicht sicher, was genau bei dir anders ist.< Ich seufzte. >Nicht schlecht-anders, Jenna. Einfach nur anders. Ich würde sogar eher auf gut-anders tippen.<
>Danke.< Ich wollte aufstehen und gehen, da hielt er mich zurück und reichte mir ein Blatt. >Mein Stundenplan?< An jedem verdammten Tag stand da Sport, Kampfkunst oder Bändigen an. Das waren wohl die Hauptfächer hier, da Sport jeweils zwei Mal am Tag vertreten war. Nicht dass ich unsportlich war. Im Sportunterricht bekam ich stets gute Noten, aber hier war das ja was ganz anderes und wahrscheinlich fand das auch in einem viel höheren Niveau statt.
>Ja, ich habe dich zusammen mit Beth in eine Klasse getan. Zu Beginn hast du aber nur einmal am Tag Sport. Ich hoffe, dass ist in Ordnung.<
>Kein Problem. Wirst du mir etwas sagen, wenn du mehr über dieses gut-anders herausfindest?<, fragte ich.
Er lächelte. >Na, klar. Du bist übrigens im Sportunterricht mit Isaac untergebracht.< Ich verzog das Gesicht. >Nicht gut?<
>Ich habe gehört, er soll streng sein.<
Lachend stand er auf und lief um den Schreibtisch herum. >Dann hast du falsch gehört.< Gott sei Dank. Kein Muskelkater. >Er ist das höchste Maß an übertriebener Strenge.< Anklagend blickte ich ihn an. War das sein Ernst? >Aber glaub mir, Isaacs Schüler sind die Besten. Er ist ein wirklich sehr guter Lehrer.< Wenig beeindruckt rümpfte ich die Nase und verließ das Büro. >Übrigens, deine Eltern schicken dir am Montag noch deine restlichen Sachen.<, rief er mir nach.
Ich nickte. >Meine Adoptiveltern, Ken... Kevin, meine ich. Sorry.<
Beschwichtigend hob er die Hand. >Kein Problem. Mit „Ken“ kann ich mich arrangieren.< Wir verabschiedeten uns voneinander und ich ging wieder hoch in mein Zimmer.
Auf dem Weg dorthin kam mir eine Gruppe von Blondinen entgegen. Und als hätte es nicht klischeehafter sein können, warfen die mir alle giftige Blicke zu. >Gibt´s was?<
>Du stinkst nach Asche.<
>Etwas besseres fällt dir nicht ein?<
Ein ihrer Freundin verschränkte die Arme vor der Brust und kam auf mich zu stolziert. >Sag schon, ist es nicht so, dass jeder in deiner Umgebung verbrennt wie trockene Blätter in einem Lagerfeuer?< Meine Augen wurden zu Schlitzen. >Oh, habe ich da etwa einen Nerv getroffen? Du bist doch genauso ein lahmes Flämmchen wie alle anderen hier. Und noch eine Kleinigkeit, halt deine Beine geschlossen, Vielfraß.<, zischte sie noch.
Jetzt trat ich einen Schritt auf sie zu und erwischte sie damit eiskalt. >Sperr die Lauscher auf, Blondie. Nur weil du bei jedem Salatblatt 2Kilo zunimmst und du dir jeden Abend den Finger in den Hals stecken musst, brauche ich das noch lange nicht auch zu machen. Und für wen ich meine Beine spreize, geht dich einen Scheißdreck an. Wobei... sag mal, Süße, hast du einen Freund? Vielleicht besuche ich ihn mal.< In mir loderte ein Sturm aus Feuer und Rauch und alles richtete sich auf dieses Miststück vor mir. Ich wusste, ich war stärker als sie, denn das Rauschen in ihrer Stimme, ihre innere Stärke war nur sehr mickrig. Andererseits war sie sicherlich trainierter, als ich. >Geh mir aus dem Weg.< Ich stieß sie zur Seite und ging den Flur weiter, bis  zu meinem Zimmer. Immer das Gleiche. Überall das verdammte Gleiche. Warum konnte man mich nicht einfach in Ruhe lassen? Weshalb geriet ich immer ins Kreuzfeuer? >Trottel.<, fluchte ich und hängte meinen Stundenplan über meinen Schreibtisch an die Wand. Unter dem Plan standen verschiedene Anordnungen. Jeder Schüler war dazu verpflichtet morgens mindestens 1h 30min zu Joggen oder Bahnen zu schwimmen. Das Gleiche galt für Abends. Es gab also auch ein Schwimmbad hier.
Ich erschrak, als hinter mir die Tür aufging und sich wieder schloss. Es war Paul. Ich atmete durch. >´tschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.<
>Jungs sind im Mädchenflügel nicht erlaubt.<, erinnerte ich ihn. Er machte eine wegwerfende Bewegung und lief weiter auf mich zu. >Was willst du hier?<
>Gestern hast du gesagt, wann anders.< Paul war ein hübscher Rotschopf. Er sah Prinz Harry furchtbar ähnlich und war offensichtlich genauso keck.
Ich schmunzelte. >Paul, ich bin noch nicht einmal einen ganzen Tag hier. Lass mir doch erst ein bisschen Zeit mich einzuleben.< Er stellte sich zu mir und legte seine Arme um meine Hüfte. >Ach, Paul.< Fest zog er mich an sich ran. >Warte.< Ich hielt ihn auf Abstand. >Nicht jetzt.< Ungeduldig seufzte er. >Aber irgendwann.< Meine Arme legten sich um seinen Nacken. >Vielleicht.< Ich lehnte mich zu ihm vor, hielt aber knapp vor seinen Lippen inne. >Vielleicht irgendwann.<, flüsterte ich wieder. Hungrig blickte er auf mich herab. Ich liebte dieses Gefühl. Er wollte mich. In diesem Moment war ich das Zentrum seiner Begierde.
Es gab nichts besseres, als gewollt zu werden.
>Lass aber niemand anderen an dich ran.<
>Das kann ich dir nicht versprechen.<
Er lachte leise. >Du hast das Gesicht eines Engels, aber das war´s auch.< Seine Hand legte sich um mein Kinn. >Irgendetwas an dir ist anders.<
Langsam kotzte mich das an.
>Das habe ich schon gehört. Geh, bevor jemand kommt und wir beide Ärger kriegen.< Widerwillig ging er und ließ mich in Frieden eine am Fenster rauchen.
„Irgendetwas an dir ist anders.“ Wieso schaffte ich es nicht dazuzugehören? War das irgendeine Strafe? Ich lehnte das Bild von meinen Eltern und mir an den Fensterrahmen und sah es mir an. >Auf dem Bild seht ihr richtig normal aus.<, murmelte ich und stieß den Rauch der Zigarette aus. Ich erinnerte mich genau an den Tag. Mein Vater war überglücklich gewesen. Und das lag nicht gänzlich an meinem Geburtstag. Teilweise war auch das weiße Pulver, dass er sich am morgen in die Nase gezogen hatte, daran schuld. Meine Mutter war vollkommen benebelt von den Medikamenten. Und ich kleines Ding grinste ahnungslos in die Kamera.
Ich setzte mich auf den Nachttisch und schloss meine Augen. >Irgendwas stimmt nicht mit mir, Mum.< Ich strich mir auf beiden Seiten die Haare hinter die Ohren und nahm noch einen Zug. >Kann es sein, dass ihr beide high wart, als ihr mich gezeugt habt?<, fragte ich in die Stille. >Hast du deine Medikamente auch schon während der Schwangerschaft genommen?<
Ich rauchte die Zigarette zu Ende und zündete mir gleich die nächste an. Nach der ging ich raus in den Flur und ein Stockwerk runter. Von dort aus lief ich nach draußen. Kyle und Penny saßen auf der Wiese. >Hey, wisst ihr wo Beth ist?<, fragte ich und setzte mich zu ihnen.
>Die ist joggen. Sollte hier irgendwo unterwegs sein.< Ich legte mich auf den Rücken und schloss meine Augen.
Da klingelte ein Handy. >Kyle, es ist Mum. Geh du ran.<
Er gähnte. Am Rascheln des Grases konnte ich erahnen, dass er sich neben mich legte. Ich öffnete meine Augen. Er lag auch auf dem Rücken, den Kopf aber zu Penny gedreht. >Sie ruft doch eh nur an, um mit dir zu sprechen.<
Die Sonne war herrlich. Ihre Kraft floss durch meine Hautporen in mich. Mein ganzer Körper atmete unter ihrem Licht auf. Ich sah direkt in ihre Mitte und erblickte ihren Kern. Sie war so schön. Am liebsten wäre ich in ihrem Innern versunken und hätte mich mein Leben lang von ihr wärmen lassen. Die Sonne war schon immer meine engste Freundin gewesen. Ich konnte ihren Herzschlag hören, wenn ich nur lange genug still war.
Bubumm.
Da war es auch schon.
Bubumm. Bubumm.
So weich wie die Federn eines Vogels.
Bubumm. Bubumm. Bubumm.
>Jenna.<
Ich zuckte zusammen und setzte mich auf. >Was?<
Penny war am Telefon und sprach mit ihrer Mutter. Kyle döste vor sich hin. >Alles klar?<, fragte mich Penny.
>Ja.< Ich legte mich wieder auf den Rücken und faltete die Hände hinter meinem Kopf. An meinem Bauch konnte ich den zarten Windstoß spüren, der über uns wehte. Ich drehte meinen Kopf nach rechts. Von da kam er. Brody lief die Treppen runter und hob kurz seine Hand. >Hi.< Er ließ sich neben mir fallen. Ein erneutes Lüftchen umspielte mein Gesicht. Ich lächelte ihn an und musterte ihn. Er  besaß eine gewisse Leichtigkeit. >Ist es schwer, dass zu lernen?<, fragte ich ihn.
Er schloss seine Hände zu einem Ball, als sie sich öffneten wirbelte ein kleiner Tornado darin. >Übungssache.< Beeindruckt sah ich dem Tornado zu wie er aus seiner Hand gen Himmel stieg und sich dort langsam verflüchtigte. >Du kannst doch bestimmt auch etwas mit deinem Feuer machen oder?<
Ich zuckte mit einer Schulter. >Zigaretten anzünden.<
>Das wird schon, versprochen.<
>Wann hast du es herausgefunden?<
Er schürzte seine Lippen. >Ich weiß nicht so genau. Irgendwann konnte ich es einfach. Für mich war es nicht sonderlich schwer, meine Kräfte unter Kontrolle zu bekommen. Anders als viele hier, hatte ich kaum Probleme.< Ich setzte mich auf und zog meine Beine an. >Weißt du in welcher Klasse du bist?<
>12b.<
Gedankenverloren zupfte er Grashalme vom Boden. >Du bist bei Isaac oder?< Ich nickte. >Dann werden wir uns da sehen. Die meisten wissen nicht genau, ob sie sich in seinen Unterricht prügeln oder sich so fern wie möglich von ihm halten sollen.<, lachte er.
>Ich sag´s dir, ich bin überglücklich, dass ich bei Tanja bin. Beth heult jedes Mal wegen ihren Schmerzen.<, schnaubte Penny.
Broderick pflückte eine der Gänseblümchen und drehte sie zwischen seinen Fingern. >Vater Ær  (=lat. Luft, wird gesprochen „Er“ - Betonung liegt auf „R“) steht mir bei.<, witzelte er. Ein Mann erschien in meinem Kopf. Sein Haar war weiß, genauso wie seine Haut. So weiß, dass das stählerne Silber seiner Augen furchtbar heraustrat. Sein Gesicht hatte asiatische Züge. Solch eine Anmut. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen.
>Der Gott der Luft.<, flüsterte ich.
Brody nickte. >Ja.< Gedankenverloren begann ich mit meinen Fingern durch mein Haar zu fahren. War noch immer mit diesem Man beschäftigt, da steckte Brody sich das Blümchen ins Haar. >Wollen wir morgen zusammen joggen gehen?<, fragte er.
Ach ja, die Morgenregelung. Meine Muskeln wehrten sich schon jetzt gegen den Frühsport. >In Ordnung. Um wie viel Uhr geht’s los, Süße?<
Er lachte und strich sich unsichtbares Haar über die Schulter. >Um 5Uhr. Dann hast du noch genug Zeit, um danach zu duschen.<

>Erinner´ mich daran, nie wieder mit dir joggen zu gehen.<, keuchte ich, auf dem Weg zurück in unsere Zimmer. Während wir im Wald unterwegs gewesen waren, hatte mir Brody das mit dem Ausgang erklärt. Die ältesten Schüler bekamen eine Karte. Sie durften unter der Woche frei das Gelände verlassen und nachdem sie die Erlaubnis von einem Lehrer bekommen hatten, auch mit jüngeren Schülern zusammen. Die hatte Jack Samstagnacht benutzt. Sie hielt für 10h, bevor sie sich von selber abschaltete.
>Ach, so schlimm war es gar nicht.< Ich bewarf ihn mit meiner Flasche. Lachend fing er sie auf und trank selber daraus.
Ich streckte meine Arme und rollte meinen Kopf auf meinen Schultern. Es war unglaublich, was für eine Geschwindigkeit Broderick gehalten hatte. Beth und die anderen waren genauso abartig schnell gewesen. Natürlich konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen und versuchte deshalb unbedingt mit ihnen mitzuhalten. Das hatte ich dann auch geschafft, mit der Wirkung, dass ich röchelte wie verrückt. >Du kannst mich mal. Ihr rennt wie die Affen durch den Wald. Tut mir leid, ich nehme keine Steroide.<, warf ich ihm entgegen und versuchte den Krampf aus meinen Oberschenkel zu massieren.
>Soll ich?<, fragte er mit den Augen auf meinen Händen.
>Ihr seid, ohne Witz, schlimmer als die Typen aus meiner Schule.<, lachte ich und lief an ihm vorbei die Treppen hoch. >Wir sehen uns im Unterricht, ja?< Er nickte unten an der letzten Stufe.
In meinem Zimmer angekommen, zog ich mich gleich aus und stieg unter die Dusche. Nur kurz wusch ich den Schweiß von meinem Körper und schlüpfte anschließend schnell in Kleidung. Mein Herz begann tatsächlich laut zu schlagen. Ich las die Stunden von meinem Plan ab und packte dementsprechend Bücher in meinen Rucksack. Beth holte mich ab, um mir den Weg ins Klassenzimmer zu zeigen. >Falls du Mal zu mir willst, mein Zimmer ist die Nummer 531.<
Ich nickte gähnend. >Frühstücken wir nicht?<
>Dann musst du früher aufstehen.<
>Mann, ich hab so Hunger.<, maulte ich.
Sie sah mich anklagend an und schüttelte lächelnd den Kopf. >Du bist unersättlich, ernsthaft. Wenn du schnell bist, kannst du dir was aus dem Speisesaal holen. Ich warte auf dich.< Dankend klopfte ich ihr auf die Schulter. Im dritten Stock angekommen, rannte ich sofort los, sprintete an den letzten Schülern vorbei, die am Tisch aßen, und schnappte mir zwei Pfannkuchen. Ich rollte sie zusammen und stieß im Flur wieder zu Beth. Mit aller Mühe schaffte ich es die beiden mit einer Flamme aus meiner Hand wieder aufzuwärmen. >Wenn ich deinen Körper hätte, würde ich auch so essen.< Sie nahm den Stoff meines Pullovers und zog ihn ein kleines wenig runter, sodass meine rechte Schulter frei lag und schob mein Haar komplett auf die linke Seite. >Besser.<
>Wir haben jetzt Religion.<, stellte ich mit dem letzten Pfannkuchen in der Hand fest, doch der verschwand leider genauso schnell wie der erste.
>Ja, unsere Religion. Es wird dir gefallen. Unglaublich interessant.< Ganz unten angekommen liefen wir durch ein Wirrwarr an Fluren, bis wir dann in ein Klassenzimmer kamen mit locker 50 Sitzen. Ich und Beth setzten uns nach vorne zu Kyle und Penny. Ausgelaugt lehnte sie mit dem Kopf gegen die Schulter ihres Bruders. Die beiden waren wirklich eng miteinander.
Es dauerte nicht lange, bis jeder Sitz gefüllt war. Die Lehrerin trat ein, eine hübsche Frau mit rotblonden Haaren. Sie hatte einen Hüftschwung, wie eine Bauchtänzerin. Verständlich, dass man ihr da nachsah. Sobald sie den Raum betreten hatte, schwiegen alle. >Das ist Tanja. Sie ist wirklich gut.<, flüsterte Beth.
Ich nickte. >Hier läuft das nicht so mit Nachnamen, was?<
Sie zuckte mit der Schulter. >Das kann jeder sich aussuchen, aber bis jetzt habe ich noch keinen gesehen, der das gemacht hat.<
>Guten Morgen, Schüler. Wir beginnen mit dem Unterricht.< Sie hatte eine schöne, weiche Stimme. >Gut, öffnet euer Buch auf Seite 134. Zählt mir die Namen unserer Götter auf.<
Schockiert fuhr ich mir durchs Haar. Ich kannte die Namen. >Die Göttinnen Terra (=lat. Erde) und Ignis. Und die Götter Ær und Aqua (=lat. Wasser).< , murmelte ich.
>Da hat jemand gestern Abend noch gelernt.<
Ich hatte das Gefühl vor Ermüdung zu schmelzen. Mein Körper rutschte vom Stuhl herunter. Meine Sicht verdunkelte sich, bis zur kompletten Schwärze.
Plötzlich wurde es hell, doch nun war ich nicht mehr im Klassenzimmer, sondern stand mit drei anderen Personen im Kreis. Wieder war da dieser weißhaarige Mann, neben ihm stand eine Frau. Sie hatte eine dunkle Haut und buschige Haare, die mit einem hellbraunen Tuch nach hinten gebunden waren. Sie waren das direkte Gegensatz zueinander. Neben mir, ein Mann mit blonden, lockigen Haaren, die ihm bis fast zu den Schultern reichten. Seine Augen leuchteten in einem strahlenden Blau. Ein Blau , wie ich es noch nie gesehen hatte. Sein Lächeln erinnerte mich an das Wasser, wenn Sonnenlicht darauf traf. Ich spürte in mir eine tiefe Zuneigung ihm gegenüber. So tief, dass es in mir vibrierte. Wir hielten alle unsere Hände. Gleichzeitig sahen sie alle in die Dunkelheit, die über uns schwebte. Wir öffneten alle unseren Mund. In mir erhob sich ein Feuerwerk. Jeder Zentimeter meiner Haut begann zu ziehen und zu kitzeln. Fast hätte ich gelacht, aber ich war so konzentriert und so angestrengt, dass ich nur dieses Feuer in mir fühlte. In unserer Mitte entstand eine Kugel bestehend aus Licht. Sie wurde immer größer, bis sie nur noch ganz knapp in unseren Ring passte. Das Licht blendete enorm, sodass wir alle blinzeln mussten, aber nicht aufhörten unsere Energie zu sammeln. In meinem Kopf rief ich mir zu „Weiter!Weiter!“ Die Kugel wurde größer, verschluckte uns gnadenlos, während sie weiter wuchs und die Leere um uns herum von ihrer Dunkelheit erlöste. Das Licht fühlte sich so an, als würde es mich zerreißen. An den Schreien der anderen konnte ich hören, dass sie genauso fühlten wie ich. Der Schmerz wurde immer unerträglicher. Und dann hatten wir es endlich geschafft und das Licht explodierte. Noch ein letztes Mal, riss es an unseren Muskeln und zwang uns in die Knie, bevor über uns eine riesige Implosion ausartete. Das Licht schwand und gab freie Sicht auf das Universum. Über uns hing das Sonnensystem.  Wir atmeten alle erleichtert auf und sahen uns gegenseitig stolz an.
Ein Gedanke bildete sich hinter meiner Stirn, die sich in den Gesichtern der anderen spiegelten. „Uta bini luntas pere planes orbis quo anima ducere.“ (erfundene Sprache: Unsere Kinder werden auf Planet Erde ihr Leben führen.)

4. Sport

>Jenna?< Ich schreckte auf. >Was schwafelst du da? War heute morgen ein bisschen zu viel für dich oder?< Fragend sah ich mich zu Beth um. Mein Kopf schien zu platzen.
Tanja vorne entdeckte uns beim Reden. >Ihr beiden. Es wäre besser ihr passt im Unterricht auf.< Sofort hielten wir den Mund.
Ich bedeckte meine Stirn mit der Hand und atmete durch. >Mann, ich hab so Kopfschmerzen.<, seufzte ich atemlos.
Beth legte ihre Hand an meinen Rücken und tätschelte mich sanft. >Was ist denn los?< Ich schloss kurz meine Augen und warf meinen Kopf nach vorne. >Sollen wir raus?<
>Nein, geht schon wieder.<
>Für welche Aspekte der Erde stehen unsere Götter?<, fragte sie und drehte sich von der Tafel weg. Wann hatte sie das alles da drauf geschrieben?
Die Blondine von gestern wurde ran genommen. >Aqua steht für das Lebendige im Leben und in der Erde. Terra für die Erde selbst und Mutter Natur. Ær ist die Luft, die wir atmen. Ignis ist der Erdkern und die Sonne, die uns blühen lässt.<, antwortete sie professionell und lächelte breit, als Tanja nickte und weiter an die Tafel schrieb.
>Nach der Religion der menschlichen Rasse... Dem christlichen Glauben zufolge gibt es nur einen Gott, der die ganze Welt alleine geschaffen hat. Das in sieben Tagen, aber bei dieser Zeitangabe kann man sich nicht so ganz sicher sein. Bevor ich weiter rede, möchte ich, dass ihr versteht, es geht nicht darum, welche Religion, welche Rasse besser ist. Ihr sollt nur eure eigene Rasse akzeptieren und verstehen können. Wir sind genauso wie die Menschen entstanden. Wir haben uns weiterentwickelt. Der einzige Unterschied ist, dass wir die Brut unserer Götter sind, sie aber die Brut ihres Gottes. Unsere Schule steht nicht für Hass, sondern für Verständnis.< Sie lächelte uns an und nickte mir unmerklich zu. Das war wohl mein Willkommen. >Also weiter. Es gibt die Sage, dass unsere Göttin Ignis eine tiefe Beziehung zu Auqa hatte, genauso wie Terra zu  Ær.< Mehrere missbilligende Laute kamen aus den Reihen der Schüler. Sie lachte leise und setzte sich auf den Schreibtisch vor der Tafel. >Ja, ich weiß, ein paar von euch können sich mit diesem Gedanken nicht einigen, aber so steht es geschrieben. Dieser Gegensätze-Quatsch ist nämlich...< Sie zuckte mit den Schultern. >... Quatsch. Wir sind eine Gemeinschaft. So ist es von unseren geistlichen Eltern gewollt.< Ich sah mich um und erkannte in vielen Gesichtern Unstimmigkeit. Rassisten-Bändiger, war das zu glauben? Ich musste mein Lachen mit meiner Hand dämpfen.
Beth und Kyle sahen mich fragend an, sagten aber nichts weiter.
Wir hatten danach Mathe, wo es nicht wirklich einen Unterschied gab zu dem Unterricht in der Schule. Während der Schulstunde stellte sich heraus, dass Kyle ein verdammtes Mathegenie war. Er berechnete unendlich lange Gleichungen im Kopf, als wäre es nichts. Im menschlichen Biologieunterricht sahnte hingegen Penny ab. Sie zählte doch wirklich die Namen der Knochen des Menschen auf, sowohl die englischen, als auch die lateinischen. Danach erklärte sie mir, dass sie vorhatte Ärztin zu werden.
Interessant wurde es dann im Unterricht zu unserer Biologie.
Ein Mann mit abrasierten Haaren, einem Kopftattoo und mindestens zu 30mm gedehnten Ohrlöchern stand im Raum, ließ die Herzen der Mädels höher schlagen und redete auf so charismatische Weise, dass wirklich jeder an seinen Lippen hing. >Es gibt Mönche in den verstecktesten Tälern, die es von selber schaffen ihren Heilungsprozess zu beschleunigen, die es schaffen in ihrem Innern eine solche Energie aufzubauen, die es ihnen ermöglicht die Grenzen der Menschen zu erweitern, um vieles. Was denkt ihr, wie sie es schaffen Massivholz mit ihrer Stirn zu brechen und danach noch aus dem Stand einen Salto zu machen. Und wir... wir können das auch. Effektiver als die Menschen. Unser Blut besteht nicht nur aus weißen und roten Blutkörperchen, sondern auch aus blauen, die unser Immunsystem um vieles stärken. Ein Wasser-Bändiger kann es Stundenlang bei Minusgraden aushalten und wird sich wohl fühlen. Feuer-Bändiger, sagt mir, habt ihr euch je verbrannt? Bei dem Gedanken in einem Vulkan zu sitzen, würdet ihr euch da nicht heimisch fühlen? Wisst ihr warum? Weil ihr noch mehr Feuer in euch selber habt, als dieser Vulkan je ausspucken könnte.< Er grinste breit und lehnte sich zurück. >Ihr werdet in eurem Unterricht noch lernen, wie ihr euch selber heilt und wie ihr andere Menschen heilen könnt.< Er nahm eine Fernbedienung und schaltete den Beamer an. Das Bild eines Menschen wurde an die weiße Wand uns gegenüber projiziert. Alle Organe wurden gezeigt. Oliver, unser Lehrer, nahm einen Zeigestock vom Tisch und zeigte auf die Lungenflügel. >Die Lungen eines Luft-Bändigers sind um 3,5% größer, als die eines normalen Menschen. Warum?<
Ich blickte auf das aufgeschlagene Buch vor mir. Dort waren zwei Bilder angezeigt, einmal das Röntgenbild eines Menschen und einmal das eines Luft-Bändigers. Und wirklich, mit dem bloßen Auge war zu erkennen, wie viel größer das Organ war. >Weil ein Luft-Bändiger mehr Sauerstoff braucht.<
>Warum?<, fragte Oliver wieder.
Hinter uns rief einer rein. >Luft-Bändiger ersticken schneller.<
Oliver lief zwischen den Sitzreihen. Er blickte kurz mich an. >Das ist nicht der richtige Ausdruck, aber in gewisser Weise stimmt das. Ein Ær-Bändiger schafft es nicht länger als 30 Sekunden lang die Luft anzuhalten. Es funktioniert einfach nicht. Er wäre schon nach so kurzer Zeit vollkommen außer Atem. Andererseits kann ein Luft-Bändiger Luft viel besser verarbeiten. Er kann zum Beispiel länger rennen oder singen oder schreien, was auch immer. Seine Atmung ist weitaus ausgeprägter als die eines normalen Menschen oder eines Bändigers eines anderen Elements.<
>Loser.<, lachte der Junge vor uns und klatschte dem Nebensitzer in die ausgestreckte Hand.
>David, warum isst du kein Eis?<
Der Typ vor uns zuckte mit den Schulter. >Weil es widerlich ist.<
>Weil du anfängst zu bibbern wie ein kleines Baby, sobald es einen Temperaturabstieg von 5 Grad gibt, deshalb isst du kein Eis. In meinem Klassenzimmer macht man sich nicht über die anderen lustig, verstanden?< Er klopfte ihm mit dem Zeigestock gegen den Hinterkopf. >Beth, wo hast du gelebt, bevor du hierher gekommen bist?< Neugierig drehte ich mich zu ihr um.
Sie zuckte mit einer Schulter. >Auf dem Bauernhof meiner Großeltern in Texas.<
>Wo lebten deine Eltern zu der Zeit?<
Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. >New York.<
>Warum hast du nicht bei deinen Eltern gelebt?<
>Es gab kaum Natur. Überall nur Hochhäuser. Ich habe mich da einfach nicht wohlgefühlt.<, erklärte sie verlegen.
Oliver nickte. >Es ist bewiesen, das Erd-Bändiger nicht in einer Stadt leben können ohne Zugang zur Natur. Wenn ich mich recht erinnere, war es in den 70ern, als Wissenschaftler Babys testeten. Sie vollkommen abschotteten. Und sie starben. Habt ihr davon schon gehört?< Die meisten nickten. >Nun ja, genau das Gleiche passiert mit einem Erd-Bändigern. Sie brauchen die Natur, um zu überleben.< Wirklich? Ich hob fragend eine Augenbraue an. Beth nickte und zeigte dann zu Oliver. >Was ist mit Wasser-Bändigern?<
Die Blondine hob wieder ihre Hand und wurde dran genommen. >Wir tragen 5% mehr Wasser in uns, als der durchschnittliche Mensch. Noch dazu trinken wir bis zu 6 Liter und mehr Wasser am Tag.<
Er hob die Arme und sah sich um. Er war Wasser. Während er darüber sprach blühte er richtig auf. >6 Liter. Das ist das Dreifache von der durchschnittlichen Wassereinnahme eines Menschen. Und das ist nötig, denn anders als andere pinkeln wir das getrunkene Wasser nicht komplett wieder aus.< Wir lachten. >Nein, unser Körper braucht das Wasser. Ohne Wasser sind wir müde, gestresst, aggressiv, nervös, krank und noch vieles anderes. Ein Wasser-Bändiger ohne Wasser ist der schlimmste Albtraum, den man sich vorstellen kann.< Lächelnd ließ er sich auf dem Tisch von einem Schüler nieder. >Wie viele Kilometer kannst du laufen, ohne Wasser zu trinken?<, fragte er ihn.
>Bestimmt 2.<
Er nickte und zeigte auf eine andere. >Und du?<
>Keinen.<
>Jenna, könntest du dir ein Leben in Alaska vorstellen?< Ich schüttelte den Kopf. >Ein Feuer-Bändiger erleidet schon bei -5 Grad Erfrierungen. Der Winter ist das schlimmste. Deswegen leben die meisten auch in den wärmeren Klimazonen.<
Das war wirklich interessant. Oliver erklärte alles so verständlich und klar. Es war vollkommen logisch.

Als nächstes hatten wir Sport. Ich war ziemlich erleichtert, denn Beth hörte nicht auf davon zu reden, wie unmenschlich Kampfsport und Bändigen waren und was für schlimmen Muskelkater man davon immer bekam.
Ich ließ mich von Brody in die Turnhalle tragen, während Beth sich noch umzog. Isaac stand in Sporthose und T-Shirt an einem Balken, den er gerade mit einem Schüler aufbaute. Er beugte sich runter und ging dann in die Hocke. >Jenna, geht es vielleicht noch offensichtlicher?<, kam es von Beth hinter mir und ich schloss meinen Mund wieder.
Lachend klopfte ich Broderick auf die Schulter. >Zu den Bänken, bitte, Pferdchen.<
Brody gehorchte grinsend und stellte mich auf der Bank ab. Ich richtete mein Oberteil und band mir mein Haar zu einem Zopf zusammen.
>Gut, wir beginnen heute mit Leichtathletik. Davor möchte ich von euch 20 Runden sehen. 50 Sit-Ups und 30 Liegestütze.< Meine Kinnlade klappte runter. Isaac sah das und musste sein Lachen zurückhalten. >Los!<, rief er und die Schüler begannen ihre Runden zu laufen. >Jetzt wünscht du dir doch auf dem Laufband gewesen zu sein, was?<, fragte er, als ich an ihm vorbei joggte. Ich zog eine Grimasse. >Nicht sofort auf Hochtouren laufen, Brody. Steiger´ dich langsam, sonst kannst du am Ende nicht mehr.< Ich verdrehte meine Augen. >Jenna, du kannst doch bestimmt mehr.<
Ich konnte in seiner Stimme ein Lächeln heraushören. >Du kannst mich bestimmt mal.<, brummte ich vor mich hin.
>Wie war das?<
>Nichts, Isaac.<, rief ich, was ihn zum Lachen brachte.
Das Aufwärmtraining war hart. Ich humpelte danach nur noch, was die anderen amüsiert beobachteten. Sie alle waren so furchtbar konditioniert. Man merkte ihnen nichts an. Stattdessen wirkten sie unfassbar entspannt und bereit dazu, die nächste Aufgabe anzugehen.
Isaac hatte kein Problem damit, diesem Verlangen nachzugehen.
>Baut Matten-Bahnen auf. Rollt die Ringe aus und dann möchte ich Räder, Handstände, Saltos etc. sehen.< Wir bauten alles auf und reihten uns dann an den jeweiligen Stationen auf. >Wenn du willst, kann ich dir am Anfang helfen.<, bot Isaac mir an.
Ich schnaubte. >Du machst wohl Witze.< In dem Moment kam ich dran, machte einen Anlauf und begann. Erst mit einem Rad, dann eine Schraube, ein doppelter Salto und 4 Flickflacks. Mit angehobenen Augenbrauen sah ich zu Isaac, der beeindruckt die Lippen schürzte. >Ich konnte das schon, da saßt du noch in deinen Windeln.<, säuselte ich beim Vorbeilaufen.
Er runzelte die Stirn. >Ich bin älter, als du.<
>Umso peinlicher.<
Wie schon erwartet, war das Niveau unglaublich hoch. Danach fühlte ich mich einfach nur kaputt. Kaputt, durstig und hungrig. Alles tat mir weh, doch Isaac blieb gnadenlos. Wir mussten erst noch mal das Doppelte von den Aufwärmübungen machen und dann alles abbauen. Mein Körper fühlte sich an wie Blei. >Dieser verdammte... Ich spüre meine Arme nicht mehr!<, klagte ich in der Umkleide und machte mich schwerfällig daran meine Schuhe auszuziehen.
Mit meiner Kleidung in der Hand ging ich raus und suchte die Toilette.
>Du ziehst dich immer noch nicht vor deinen weiblichen Genossinnen um?<
Ich hielt den Türhenkel zur Toilette in meiner Hand. >So ist es.<
>Geht es dir gut?<
Seufzend verschränkte ich die Arme vor der Brust. >Wirst du mich das jetzt jedes Mal fragen, wenn wir uns sehen?< Er hob eine Schulter. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand. >Das Frühstück war etwas knapp und ich sterbe gerade vor Hunger.< Ich legte meine Hand auf meinen knurrenden Magen.
Isaac kam einen Schritt auf mich zu. Auch er hatte seine Haare zu einem Zopf gebunden. Natürlich war er genauso atemberaubend wie eh und je. >Geht es dir wirklich gut? Du weißt, du kannst mit mir reden. Wirklich. Ich...<
>Ist das dein Anmachspruch? Isaac, ich dachte, du hättest mehr auf Lager.<
>Das war beeindruckend im Unterricht. Ich habe das nicht erwartet. Es wird dir nicht schwer fallen deine Kräfte unter Kontrolle zu kriegen.<, wechselte er das Thema.
Ich fuhr mir durchs Haar und sah zu Boden. >Danke.< Betreten standen wir da. >Haben meine Eltern schon meine Kleidung geschickt?<
>Ja, die Sachen stehen schon in deinem Zimmer.< Er kam noch einen Schritt auf mich zu und beugte sich zu mir runter. >Ich meine es ernst, Jenna. Es gibt nichts, dass du mir nicht sagen könntest.<
Argwöhnisch blickte ich ihn an. >Willst du auf irgendetwas hinaus?<
Er schüttelte den Kopf, sah mich aber doch etwas zu lange an. >Nein. Schon gut.<
Wortlos öffnete ich die Tür und verschwand im Klo.
Beth und Brody traf ich auf dem Weg nach draußen an. Ich konnte jeden Muskel in meinem Körper spüren. >Gott, ich würde heulen, wenn ich nicht alles Wasser aus geschwitzt hätte.<
>Das ist sexy.<, murmelte Brody sarkastisch. Ich stieß ihn mit meinem Ellenbogen an. Er legte seinen Arm um mich. >Nichts wogegen eine heiße Dusche und eine warme Mahlzeit nicht helfen könnten.< Mir fiel erst jetzt auf, dass er grau-grüne Augen hatte. Seine waren jedoch um vieles dunkler als meine. In dem Moment, in dem er auf meine Lippen runter sah, drehte ich mich wieder weg und lief zu Beth.
>Was machen wir so im Kampfsport Unterricht?<, fragte ich sie.
>Das ist wirklich interessant. Wir lernen die Arten, um...<
Brody quetschte sich zwischen uns und zog uns beide fest an sich ran. >Hey, ich bin in Spendier-Laune. Ich lade euch zum Essen ein, ja?<
Wir gingen also duschen und wurden dann von Brody dazu eingeladen Essen zu gehen. Ein kleines Restaurant auf dem Schulgelände. Mehrere andere Schüler und auch Lehrer saßen an den Tischen.
>Wissen die Leute außerhalb überhaupt darüber Bescheid? Was hier drin los ist?<, fragte ich, nachdem wir unsere Getränke bekamen.
Beth nickte dem Kellner dankend zu, als er ihr Essen vor ihr abstellte. Als nächstes kam meines und dann Brodys. >Nein, für die ist das nur ein einfaches Internat. Niemand weiß davon. Nicht mal alle Eltern wissen darüber Bescheid. Das ist wichtig, damit wir nicht gestört werden.<, antwortete Beth und begann zu essen.
>Gibt es einen Grund, weshalb alle so gutaussehend sind?<
Brody lachte. >Vielen Dank, Jenna. Du bist auch zuckersüß.< Ich grinste ironisch. >Oliver zufolge ist das eine Art Tarnung. Gutaussehende Menschen werden eher gemocht. Unsere Götter wussten, dass die Menschen unsere Art nicht akzeptieren können würden, deshalb beschenkten sie uns mit dem Schönen. Zum Schutz.< Ich aß und musste schockiert feststellen, dass sogar das wehtat. >Aber um ehrlich zu sein, bist du zu hübsch.<, fügte er hinzu.
>Was?<
Beth nickte zustimmend. >Das ist mir auch aufgefallen. Sie ist irgendwie nicht einfach hübsch. Irgendwie leuchtet sie.< Verwirrt sah ich zwischen den beiden hin und her. Sie schienen das wirklich ernst zu meinen. >Du bist anders als wir.<
Bitte nicht.
>Es würde vielleicht nicht ganz so stören, dass alle das immer sagen, wenn ich wüsste, was ihr meintet.<, knurrte ich genervt. Warum sahen mich alle so verwundert an? Wie konnte ich unter Erd- und Feuer-Bändigern verwunderlich sein?
>Du bist zwar noch nicht so lange da, aber du spürst doch die Unterschiede zwischen den Elementen oder?< Ich trank aus meinem Glas. >Es ist dieses Gefühl, manchmal das Geräusch. Du hörst doch, während ich rede, diese Winde oder hast das Gefühl zu spüren, ein Wind würde wehen.< So war es. >Nun, wenn man um dich herum ist, ist es so, als würde man mitten im Feuer stehen. So stelle ich es mir zu Mindestens vor, wenn ihr in Flammen steht.< Ich aß nachdenklich weiter. >Und dein Aussehen ist... hypnotisierend.<
>Jetzt übertreib´ mal nicht.<, schnaubte ich und wandte verlegen meinen Blick ab. So etwas hatte noch nie jemand gesagt. „Jenna, du bist heiß.“ „Total scharf.“ Das aus dem Mund von betrunkenen oder rebellierenden High Schoolern zu hören, war akzeptabel. Aber das mein Aussehen hypnotisierend war... Das war etwas komplett anderes.
Beth kicherte. >Guck mal, Jenna wird rot.<
>Halt die Klappe.<, schnauzte ich.
Wir aßen, bis wir voll waren und spazierten danach noch eine Weile herum. Mir fiel auf, dass Brody von wirklich vielen Mädchen belächelt wurde. Die flogen alle total auf ihn und nach einer Weile wurde es wirklich nervig. Wobei es verständlich war. Seine Haare waren hellbraun. Er war groß und hatte eine muskulöse Statur. Wie ein Schwimmer. Und er hatte diesen Charme, der einen wohl anzog. Tat er, aber das hier war dann doch etwas zu viel.
>Broderick, könntest du bitte dein Gesicht unter einer Tüte verstecken. Langsam ist es echt nicht mehr witzig.<, beschwerte ich mich und fing an zu lachen, als er mich von hinten schubste.
Nach dem Essen gingen wir noch etwas spazieren. Mir fiel plötzlich auf, dass Beth immer größer wurde. Erschrocken sah ich mich zu ihr um. Brody schmunzelte nur, während ich wie ein Idiot glotzte. Beth ließ aus dem Boden Stufen aufsteigen, die immer höher gingen. >Angeberin.<, brummte Brody neben mir. Ich trat weiter zurück, denn desto höher ich sehen musste, umso mehr blendete mich die Sonne. Sie war nun fast 10m hoch und stieg immer weiter.
>Das ist unglaublich.<
Brody warf mir seine Jacke zu, rieb seine Hände aneinander und klatschte sie dann laut zusammen. Das Gras um ihn begann wie verrückt zu tanzen. Ein unnatürlicher Wind stieg von unten an ihm herauf und auf einmal schoss er hoch in die Luft. Beth kreischte laut auf, als er sie von ihren selbst erbauten Treppen riss. Dieses Bild, dass sich hier vor mir ergab, wirkte wie ein Ausschnitt aus einem Superhelden-Comic. Brody landete auf dem Boden, Beth aber verschwand in einem Erdloch, dass sich direkt hinter ihr schloss. >Jenna, willst du auch mal?<, fragte er und zeigte auf die höchste Stufe ganz oben.
>Ja, ganz sicher.<, erwiderte ich sarkastisch und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück.
>Komm schon. Ich passe auf dich auf.<
Neben mir tauchte auf einmal Beth auf. Erschrocken schrie ich auf. >Wir passen auf. Los, geh hoch. Es wird dir nichts passieren.< Ich ging an die Treppen und sah hoch. Es waren 20 Stufen und sie gingen steil nach oben. Brody schwebte auf diese gruselige Weise auf die Stufe vor mir und streckte mir seine Hand zu.
>Komm mit.< Ich ergriff sie und ließ mich von ihm hochziehen. Eigentlich hatte ich keine Höhenangst, aber hier gab es kein Geländer. Ich stand hier buchstäblich in der Luft. Meine Knie wurden von Sekunde zu Sekunde weicher. >Jenna, schneller.< Es war offensichtlich, dass er die Situation gerade ausnutzte, denn er legte als nächstes seinen Arm um meine Taille und zerrte mich hinter sich her.
>Ich will wieder runter.<, klagte ich und schon schwang er mich auf seine Arme. Mit einem erneuten Aufschrei, schwebte ich mit ihm über die Treppen. Er sprang an der letzten Stufe ab. Ich versteckte mein Gesicht an seiner Brust. Der Wind hielt still und ich öffnete langsam die Augen. >Sind wir wieder am Boden?< Brody über mir nickte und ließ mich wieder runter.
>Gott, was für ein Aufreiße.<, bemerkte Beth gespielt missbilligend.
Ich stützte mich noch kurz ab, bevor ich wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Dann schlug ich auf Brody ein. >Du Arschloch!< Lachend hielt er sich schützend die Arme vor die Brust. >Ich hab mir fast in die Hose gemacht.< Beth brach in Gelächter aus und rannte vor mir weg. >Ihr seid so mies.<, rief ich, musste nun aber auch lachen.

Brody fuhr uns wieder zurück, wo ich mit Beth zusammen meine Sachen im Zimmer einräumte, die mir von meinen Adoptiveltern geschickt wurden. >Du hast echt viele Fotoalben.<
Ich nickte. >Die meisten sind von meinen Eltern.<, erklärte ich.
Sie sah mich wehmütig an. >Ist echt scheiße.< Lächelnd bejahte ich erneut. >Du bist nicht Schuld, weißt du?<
Sie war nicht dabei. Sie wusste nicht, wie es abgelaufen war.
>Schon klar, ich hab ja eigentlich keine Ahnung.< Schnaubend füllte sie die Etagen meines Regals mit Alben und Büchern auf. >Aber so ist es. Du hast keine Schuld. Es ist gar nicht möglich, dass du Schuld daran hast. Du warst ein Baby. Babys sind keine Monster. Du...<
>Machst du eigentlich auch Sport unten?<, fragte ich sie.
Sie verstand, dass ich nicht reden wollte.
Seufzend zuckte sie mit einer Schulter. >Ich gehe lieber raus, aber manchmal schon.<
>Hm... wir haben morgen Kampfsport, vielleicht sollte ich das mal probieren.<
Penny gesellte sich vor dem Abendessen noch zu uns und half bei dem letzten Bisschen, bevor wir runter in den Speisesaal gingen. Ich schlug mir wieder einen Teller voll und setzte mich zu Brody und den anderen. >Unglaublich, wie dünn du bist.<, merkte Kyle an und sah dabei zu wie ich mir ein Stück vom Steak in den Mund schob.
Grinsend nickte ich. >Gene, mein Freund.<, prahlte ich, wobei Penny mir mit ihrem Salat die Zunge herausstreckte. >Dieses Grünzeug ist echt die Pest.<
>War ja klar, das BigMac-Mädchen hasst Gemüse.<, säuselte jemand hinter mir.
Ich drehte mich um und erblickte Isaac, der, gefolgt von Ken, an unserer Tischreihe vorbei spazierte. >Aber Äpfel mögen wir beide oder?< Schmunzelnd lief er weiter.
Da bemerkte ich die entrüsteten Blicke meiner Nebensitzer. >Was denn?<
>Was war das grade?<, fragte Jack.
>Er ist echt heiß.<
Penny setzte ihre Gabel ab. >Das sind hier alle Lehrer, die sind tabu. Jeder. Hast du eine Ahnung, was für einen Stress du bekommen kannst, wenn du dich mit einem von denen hier einlässt?<, stieß sie aus.
Ich verdrehte die Augen. >Die sind doch kaum älter, als die Schüler aus den Oberstufen. Würde ja niemanden zum Pädophilen machen.<, murmelte ich.
>Die Gesetze der Menschen gelten hier nicht. Unsere Lehrer sind unsere Legata.< Fragend hob ich eine Augenbraue.
Brody schaltete sich ein. >Unsere Botschafter. Unser geistiges Bindeglied zu dem Wissen unserer Rasse.<
>Ja und?<
>Es gibt Legatas, die gezeichnet worden sind. Als Schänder an unserem Glaube.<
Ungläubig sah ich am Kopf von Kyle vorbei zu Isaac, der mit angestrengtem Gesichtsausdruck Ken zuhörte. Offensichtlich sprachen sie über etwas wichtiges. Er erblickte mich, wich mir aber sofort wieder aus. >Das ist mieser Scheißdreck. Wer entscheidet das?< Nun schwiegen sie alle. >Jetzt habt ihr „A“ gesagt, nun müsst ihr auch „B“ sagen.< Sie sagten immer noch nichts. >Beth?<
Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. >Wir haben Königsfamilien. Sie bestehen aus den Ältesten. Jeder Lehrer muss beim Adel seines Elements eine Ausbildung absolvieren. Deswegen Botschafter. Sie bekommen das Wissen Unsereins überreicht, um es dann an uns weiterzugeben. Sie sind unsere geistigen Väter, verstehst du? Das geht einfach nicht, Jenna.<
>Und warum überreichen die das „Wissen Unsereins“?<, fragte ich als nächstes.
>Im christlichen und muslimischen Glauben ist nicht klar, wer die Bibel oder den Koran geschrieben hat. Bei uns schon.< Meine Augen weiteten sich. >Sie waren von Anfang an da. Bilder, Texte und Aufnahmen. Alle Unterlagen über den Beginn bis jetzt wurde von ihnen festgehalten. Alles. Es gibt sogar grobe Zeichnungen von unseren Göttern selber. Handfeste Beweise, die ihre Existenz bestätigen. Deshalb. Schlag dir Isaac aus dem Kopf. Mach ihn ruhig an, aber lass die Finger von ihm.< Schmollend biss ich vom Brot ab.
Brody stieß mich mit seiner Schulter an. >Du hast ja noch mich.< Ich grinste ihn an und schob ihn von mir, als er Anstalten machte mich abzuknutschen.

Nach dem Essen überredete er mich dazu wieder joggen zu gehen, aber anders wie die anderen blieben wir im Trainingsraum auf der mittleren Etage. >Ach, du heilige Scheiße!< Er schob mich zu einem Laufband. >Ich will eigentlich nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich wieder Hunger.<
>Jenna, beweg dich. Wir machen auch eine niedrige Stufe.< Das Laufband bewegte sich und ich begann zu joggen.
Brody suchte sich derweil eine Hantelbank und legte los, dass mir Hören und Sehen verging. Diese ganzen Gewichte schienen Nichts für ihn zu sein. Doch er war nicht der Einzige. Alle hier waren super in Form. Broderick war fast brutaler als Isaac, denn er steigerte die Geschwindigkeit des Laufbands stetig und verlangte von mir, danach noch unter seinen anspornenden Worten Gewichte zu heben. >Brodyyyyyy!<, klagte ich laut.
Er schüttelte den Kopf. >Mach jetzt noch die Liegestütze. Und hör auf immer deinen Hintern in die Luft zu strecken.<
Ich lachte. >Und das ist ja auch so eine Qual.<
>Ok, weil das auch eine Show für mich ist. Musst du nur noch 20 Liegestütze machen.<
>Was!?<
>Ich hole dir was aus dem Speisesaal.< Grinsend machte ich die letzten Liegestütze und kam auf wackligen Knien wieder auf die Beine. >Na komm, altes Weib.< Er legte meinen Arm um seine Schultern und stützte mich zum Speisesaal. Wir setzten uns mit etwas zu trinken und einem Sandwich an einen Tisch. Ich lehnte mich zurück und gähnte. Dieses Training war einfach abnormal, aber... na ja... Die Leute hier waren ja auch nicht wirklich normal oder?
>Wenn du keine Muskeln aufbaust, bist du in einer Woche tot. Wir haben jeden Tag Sport und das mit Isaac. Das ist kein Zuckerschlecken.< Und dann machte er auf Mr. Universum und spannte seinen Bizeps an. >Irgendwann wirst du dann so groß und stark wie ich. Fühl´ mal.<
Ich lachte, tippte aber mit dem Zeigefinger gegen die gespannten Muskeln an seinem Oberarm. >Ich bin echt neidisch.<
Er trank aus der Flasche und sah mich lächelnd an. >Waren deine Eltern auch Bändiger?<, fragte er und stützte seinen Kopf in seine Hand. Ich schüttelte den Kopf. >Sicher? Deine Aura ist unglaublich stark.<
>Aura? Hast du gerade wirklich Aura gesagt?< Ich lachte los und hielt mir den Bauch, bereute es aber gleich darauf. >Also an den Quatsch glaubt ihr auch noch?<
Er nahm meine Hand in seine. >Heb sie direkt über meine.< Ich folgte. >Das ist unglaublich. Es ist so, als würde deine Haut Blitze auf mich abfeuern.<, murmelte er verwundert. Ich spürte eine gewisse Wärme zwischen unseren Händen. Fast ein Herzklopfen war zu erahnen. >Du hast das bestimmt schon bemerkt, dass du zu Feuer-Bändigern eher eine Bindung fühlst, als zu anderen.< Ich nickte. >Bei dir hat man das gleiche Gefühl. Als würde man…< Er blickte mir in die Augen. >… zusammen gehören.<
Ich nahm schnell meine Hand wieder zu mir, rieb die Innenfläche, die nun kribbelte, an meinem Oberschenkel. >Ist das bei jedem so?<
>Was?<
>Dieses Gefühl zwischen den Bändigern des gleichen Elements.<
>Ja. Das ist abgestuft. Zu allgemein jedem Bändiger fühlst du eine Bindung, zu deinen Elementen ist sie stärker und dann sozusagen ultimativ zu deinem Liebhaber.< Meine eine Braue schoss in die Höhe. Er schmunzelte. >Das ist wirklich so. Es ist fast schon vorbestimmt, mit wem du zusammen kommst. Ich kann nicht beschreiben, wie es sich anfühlt, aber aus Büchern heißt es, dass alles sich um die Person dreht und  man eine unwirkliche Anziehungskraft zu ihm oder ihr spürt. Und es beruht auf Gegenseitigkeit. Du wirst also nicht sitzen gelassen.< Er zwinkerte mir zu.
Ich sah auf den Rand meiner Flasche. >Läuft das nur mit anderen Bändigern oder auch mit Menschen?<
>Das ist willkürlich.< Natürlich musste mir Isaac in die Gedanken kommen. Es wäre so schön, wenn er mich wollen würde. Mir seine Zuneigung zeigen würde. Es… >Jenna, Paul hat erzählt, dass du und er…< Er räusperte sich. >Du weißt schon.<
Kopf schüttelnd beugte ich mich zu Brody vor. >Er hat sich nur mal kurz in mein Zimmer geschlichen und ein bisschen auf großen Chef gemacht.<
>Sag mal, du wolltest doch nicht wirklich was mit Isaac anfangen oder?<
>Ich finde da bestimmt noch andere gute Angebote.<
Für eine Sekunde weiteten sich seine Augen, bevor er anfing zu lächeln und aufstand. >Na los, gehen wir.< Ich hakte mich bei ihm ein und ließ mich von ihm nach oben führen. >Ehm.... kannst du mir vielleicht in Bio helfen?<, fragte er und stieg mit mir in den Aufzug. Noch zwei andere waren bei uns. Beide Erde.
>In Bio? Klar. Aber lass mich erst einmal duschen, ja?<
Er nickte. >Kein Problem.<
>Soll ich zu dir kommen?<
Er stutzte. >Zu mir, aber...<
Ich löste mich von ihm und ging zum Mädchenflügel. >Werd´ mich schon nicht erwischen lassen.< Ich zwinkerte ihm zu und verschwand in meinem Zimmer. In der Dusche dachte ich darüber nach, wie ich mich jetzt gegenüber Brody verhalten sollte. Ich wusste, es wäre nicht schwer, ihn zu verführen, aber wollte ich das? Er war nett. Ein Freund. Ich hatte noch nie wirklich Freunde. Aber.... Isaac wollte mich nicht. Wahrscheinlich hatte ich mir das nur eingebildet, dass er...
Ich war so billig.
Ich saß auf dem Bett und hatte meinen Kopf in meinen Händen. Diese Momente konnte ich echt nicht leiden. Diese Existenzkrisen. Wer bin ich? Was bezwecke ich?
>Oh Gott.< Ich packte meine Biologie-Sachen und stürmte aus dem Zimmer raus zum Jungsflügel. Dabei stieß ich fast mit Isaac zusammen. >Oh, hey. Hi. Alles klar?< Ich wollte weiter gehen, doch er hielt mich am Ellenbogen fest und zog mich zurück.
>Jenna, geht’s dir gut?<, fragte er. Ich sah ihn anklagend an. >Tut mir leid. Aber... geht es dir gut?<
Ich kratzte mich an der Stirn und sah ihn leidend an. Er war so schön. Sein Geruch, seine Statur, seine Stimme. Alles an ihm erweckte diesen schmerzhaften Hunger in mir, in seinen Armen zu versinken. Seinen Herzschlag an meinem Ohr hören, seinen Atem an meiner Haut. Und als konnte er meine Gedanken hören, wurde der Griff um meinen Ellenbogen sanfter. Ich stand in Flammen. Ich konnte sprichwörtlich fühlen, wie die Hitze meine Armhaare weg brannte. Seine Finger strichen von meinem Ellenbogen runter zu meinem Handrücken. Warum tat er das?
>Ich muss dich etwas fragen. Schon wieder.< Er nickte, ließ seine Hand aber an Ort und Stelle. >Hast du mich an meinem ersten Tag angesehen, weil ich es war oder einfach weil jemand in Unterwäsche vor dir stand?< Und sofort beendete er jeglichen Hautkontakt zwischen uns. Ich sah zu Boden. >Weißt du, Beth hat mir das erklärt mit Legata und so. Das verstehe ich. Aber ich verstehe...< Ich zeigte auf seine große Gestalt. >.... das nicht. Du verwirrst mich total und das ist nicht mein Ding. Also...< Er schwieg. Bevor es peinlich wurde, trat ich einen Schritt zurück. >Na gut. Dann nicht. Wir sehen uns morgen im Unterricht.< Die Enttäuschung riss mich geradezu durch den Boden. Ich schlürfte durch den Flügel, bis ich bei Brody angekommen war. Wie er mich angesehen hatte, als hätte ich ihn zum Tode verurteilt.
>Scheiße.<, fluchte ich und klopfte an Brodys Tür.
Er ließ mich sofort rein. >So machst du dir bestimmt keine Freunde unter den Lehrern.<, grinste er und schloss hinter mir wieder die Tür. 
Ich lächelte. >Schon ok.< Ich setzte mich vor seinem Bett auf den Boden und winkte ihn zu mir. >Wollen wir loslegen?<
Er nickte, nahm die Sachen und warf sich neben mich. >Also von da... bis da.... Habe ich keinen blassen Schimmer, worum es geht.<
Lachend sah ich mir die Kapitel an. Das war Viren und Bakterien und Impfung. Ich mochte das Thema. Problemlos begann ich zu erzählen, benutzte die Bilder als Beispiele und fragte ihn danach ab. >Eigentlich ist das ganz logisch. Man muss es nur einmal verstehen. Guck.<
Angestrengt las er sich den Absatz durch, den wir gerade gelesen hatten und nickte. >Ich glaube ich raffe es. Ein bisschen.<
Ich sah ihn mir genauer an. Warum sollte ich meine Zeit mit Isaac verschwenden? Er wollte mich nicht. Brodys Gesicht war jünger, trug aber dennoch eine gewisse Männlichkeit in sich. Die markanten Wangenknochen und das harte Kiefer. Eine gerade Nase, die glatt überging zu seiner hohen Stirn.
Schnell wandte ich meinen Blick ab und rieb mir die Stirn, die nun zu pochen begann. Mir wurde wieder klar, warum ich keine Freunde hatte. Viel zu anstrengend. Viel zu viel zu beachten. An die Gefühle einer anderen Person zu denken, war so schwer.
>Ist was?<, fragte Brody.
Ich drehte meinen Kopf zu ihm. >Ich bin mies drauf. Und wenn ich mies drauf bin, neige ich dazu unsittlich zu werden.< Ich klappte mein Buch zu. >Und bevor du denkst, „Jackpot!“, hau ich ab. Wenn du noch Probleme hast, kannst du mich ja morgen fragen. Wir sehen uns dann.< Ich stand auf und ging zur Tür.
>Jenna, ich hab es nicht darauf abgesehen. Echt nicht. So bin ich nicht.<, hörte ich ihn hinter mir sagen.
>Wäre aber wahrscheinlich besser.<, murmelte ich und verließ den Raum. In den Fluren waren die Lichter angeschaltet. Durch die Gardinen an den großen Fenstern konnte ich das Mondlicht durchschimmern sehen. In meinem Zimmer angekommen setzte ich mich auf mein Bett im Schneidersitz, legte das Bild vor mir ab und begann Flammen aus meinen Händen steigen zu lassen. Hinter meinen Augen schienen Dämme langsam brechen zu wollen, doch ich hielt sie zurück. Nagelte sie mit Brettern zu. Klebte sie ab und warf alles mögliche davor, damit kein Tropfen entwischte.
Wie konnte mir ein verdammter Kerl den Kopf verdrehen? So etwas war mir noch nie passiert. Keine Schwärmereien oder so was. Fand ich schon immer bescheuert, doch nun... Nur der Gedanke an seine schönen Augen, ließ mich schaudern.
>Jenna, hör mir zu.<
Ich fuhr zusammen, sah mich um. Der Raum lag im Dunkeln, wurde lediglich von dem Feuer in meinen Händen erleuchtet. Langsam stand ich auf und leuchtete ins Bad. Leer. Ein Echo lag noch immer in meinen Ohren.
Misstrauisch legte ich mich ins Bett, zog die Decke über meinen Körper. Ich brauchte etwas Zeit, bis ich wagte meine Augen zu schließen und einzuschlafen.

5. Was stimmt nicht mit mir?

Das Gesicht meines Vaters riss mich aus meinem Schlaf. Ich schrie laut auf und krallte meine Finger in die Bettdecke, … diese brannte. Genauso wie der Boden und die Seite des Regals. >Fuck!< Ich warf die Decke auf den Boden und trat darauf. Das Feuer stach hoch. >Verdammte...<
Die Tür ging auf und Beth stand darin. >Was zum Teufel ist hier los? Mach das Feuer aus.<
>Das versuche ich doch!<, entgegnete ich ihr aufgebracht und knüllte die Decke zusammen.
>Du musst sie doch ausmachen können, Jenna. Du hast sie angemacht!< Sie kam mir zu Hilfe, doch die Flammen schossen hoch, sobald sie ihnen zu nahe kam. >Gottes Willen! Wasser! Los, geh ins Bad!< Das Feuer breitete sich aus und umzingelte mich sprichwörtlich. Ich nahm die Decke mit ins Bad und warf sie gleich in die Wanne und schaltete das Wasser an. Da explodierte die Decke und riss mich aus dem Zimmer raus.
>Was ist hier los?< Eine Frau mit feuerroten langen Haaren drängelte sich an Beth vorbei ins Zimmer. >Jenna, was soll das...< Verwundert sah sie sich um. >Sie gehen nicht aus.<
Ich rappelte mich auf. Der Geruch von Asche und verbranntem Holz stieg uns in die Nase. Der Rauch wurde immer stärker. >Ach was?! Ich habe keine Ahnung...<
Isaac tauchte auf und sah sich entsetzt um. >Raus! Kommt raus!< Er packte mich und die Frau und zog uns beide aus dem Zimmer raus. >Was hast du gemacht?<, knurrte er mich an und warf mir einen wütenden Blick zu.
>Ich... Keine Ahnung. Ich bin aufgewacht und auf einmal stand das ganze Scheiß Zimmer in Flammen!<
>Sie gehen nicht aus. Wieso...?!< Ungläubig trat er ein, hob seine Hände und sank sie langsam. Um uns hatte sich schon eine Traube an Schülern gebildet, die die ganze Szenerie mitansahen.
Beth zog mich von meinem Zimmer zurück. Ich schüttelte sie ab. >Lass mich. Was ist da los?< Ein lautes Zischen erklang.
Isaac trat aus dem rauchenden Raum und wedelte hüstelnd vor seinem Gesicht. >Das war... fremdes Feuer.< , krächzte er und schloss die Tür. >Geh und lass das Zimmer durchlüften.< Die Frau mit den roten Haaren nickte und quetschte sich an den Schülern vorbei. >Geht in eure Zimmer. Jetzt.< Die Menge löste sich augenblicklich auf.
Meine Lungen in meiner Brust kratzten fürchterlich. Ich atmete noch immer hastig. An meiner Haut klebte ein dünner Schweißfilm und hinter meiner Stirn pochten Kopfschmerzen, die augenscheinlich die Wände wackeln ließen. Plötzlich schreckte ich zurück, denn Isaac legte seinen Arm an meine Schulter. >Was ist passiert?<, fragte er und beugte sich zu mir runter. Seine Augen trugen einen bemitleidenswerten Ausdruck in sich.
>Fass mich nicht an. Lass mich in Ruhe.< Ich stieß ihn weg. >Es geht schon.<, brummte ich und rutschte an der Wand runter zum Boden. >Was bedeutet „fremdes Feuer“?<
>Feuer, dass man selber nicht beeinflussen kann oder nur sehr schwer.<
Ich nickte und lehnte meine Stirn an meine Knie. >Natürlich. Die Neue zieht natürlich diesen „Fremde Feuer“-Scheiß ab.<, murmelte ich.
>Soll ich mit dir...<
>Nein, geh... Bitte.<, fügte ich in einem netteren Tonfall hinzu.
Er ging vor mir in die Hocke, umfing mein Kinn und hob es an. >Was ist passiert?<, fragte er liebevoll.
>Nichts, nur ein Albtraum. Den hab ich öfters. Nur dachte ich, hier brenn´ ich nicht gleich das ganze Zimmer ab.<, lachte ich ironisch und schob seine Hand von meinem Gesicht.
>Eigentlich ist auf allen Möbeln ein schützendes Serum drauf, damit sie nicht so schnell anbrennen können. Normalerweise zünden die Schüler auch kein Feuer in ihrem Zimmer an.<, grinste er. >Was für ein Albtraum?<
Schulterzuckend senkte ich meinen Blick wieder. >Weißt du, es ist ziemlich peinlich, mit dem Typen zu reden, der einen versetzt hat.<
Isaac nahm eine lose Strähne in die Hand und sah sie sich gedankenverloren an. >Ich habe dich nicht versetzt.< Ich schob seine Hand von meinem Haar und blickte ihn verstört an. Räuspernd rückte er von mir weg. >Hast du das öfters? Das du mitten im Feuer aufwachst?< Immer noch verwirrt nickte ich. Er wich gezielt meinem Blick aus.
>Isaac, du kannst gehen. Ich kümmer´ mich darum.< Ken. Sein Gesicht erinnerte kaum mehr, an das strahlende Lächeln, dass er sonst immer trug. >Du bist doch keine 16 mehr oder?<, hörte ich ihn knurren, als Isaac an ihm vorbeilief. >Hey, Jenna.< Er half mir auf die Beine. >Wir bringen dich in einen anderen Raum. Heute nach dem Unterricht kannst du deine Sachen aus deinem Zimmer holen. Hier.< Er zog seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern. Ich war ja noch im Pyjama. >Zimmer 513. Hier ist der Schlüssel.< Einer seiner Mundwinkel hob sich ein wenig an. >Hast du schon einmal fremdes Feuer gelegt?<, fragte er. Ich verneinte. >Die Problematik darin ist, dass nur wenige Leute es schaffen fremdes Feuer wieder auszumachen. Nur solche Bändiger wie Isaac, die schon eine gewisse Erfahrung gesammelt haben, können es ausmachen. Und eigentlich... können auch nur diese Bändiger dieses Feuer erst entfachen.<
Ich sah ihn erschrocken an. >Was soll das heißen?<
>Jenna, irgendwas ist bei dir anders und wir müssen herausfinden, was es ist.<
>Wow, ein Freak unter den Freaks. Ist das zu fassen.< Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
Er schnaubte. >Hier ist niemand ein Freak.< Er sah auf seine Uhr. >Kommst du nach dem Unterricht zur Krankenstation runter? Wir werden noch ein paar Dinge klären müssen.< Ich nickte nur. Er öffnete die Tür. Ein seichter Schleier lag noch im Raum, doch die Luft war nicht mehr ganz so kratzig. >Ich habe gesagt, dass bringt nichts.<, murmelte er und klopfte an die Tür nebenan. Ein Mädchen mit blonden Haaren kam raus. >Das Zimmer, bitte.< Ken wies auf meines.
Sie lächelte tadelnd, zog eine Grimasse, als sie den Rauch sah, holte tief Luft ein und trat ein. Nachdem sie das Fenster geöffnet hatte, machte sie eine ausschweifende Bewegung mit ihren Händen nach draußen. Sofort verzog sich der graue Film und ein sanfter Wind wehte. Sie schloss das Fenster und kam wieder raus. >Guten morgen, übrigens.<
Ken nickte. >Stimmt, sorry.<, entschuldigte er sich und schob mich in das Zimmer mit den zerstörten Möbeln. >Also,erklärst du mir bitte, was passiert ist?< Er setzte sich auf das Bett und sah sich um.
Schulterzuckend lehnte ich gegen meinen Schrank. >Ein Albtraum, sonst nichts.<
>Was träumst du?<
>Nichts Spektakuläres.<
>Jenna, du hast mein Eigentum beschädigt und das hast du schon bei deinen Adoptiveltern gemacht. Ich denke, ich verdiene eine Erklärung, denkst du nicht?< Er stand auf, strich sich sein Haar zurück und stellte sich vor mich. >Du bist hier sicher. Niemand verurteilt dich. Wir haben alle unsere Vergangenheit.<
Ich blickte zum Boden. >Ich träume jede Nacht davon, wie ich meine Eltern verbrannt habe. Und wache dann immer auf, wenn sie von den Sanitätern raus getragen werden.<, antwortete ich kleinlaut.
Er atmete lautstark durch. >Das tut mir leid.< Ich nickte stumm. >Ok. Lass dir alle Zeit. Sobald der Unterricht fertig ist, meldest du dich einfach unten.< Er drückte noch meine Schulter und lächelte mir aufmunternd zu, bevor er ging und mich alleine ließ. Ich hätte im Boden versinken können. In meinen Knochen steckte noch immer der Schreck von meinem Traum. Dieses verbrannte Gesicht. Ich wusste, dieses Bild würde niemals meinen Kopf verlassen. Und ich hatte das scheiß Zimmer angezündet!
Schnell duschte ich mich, zog mich um und ging direkt runter, wo ich auf Paul traf. Er begleitete mich zu dem heutigen Klassenzimmer und war mir dabei aufdringlich nahe. >Hey, kann ich heute bei dir vorbeikommen?<, fragte er und grinste frech.
Ich versuchte verführerisch zu lächeln. >Nicht heute, Hübscher.<, sagte ich nur und ging in mein Klassenzimmer. Heute war einfach nicht mein Tag und ich hatte keine Hoffnung, dass er besser wurde.
Beth hatte mir einen Platz freigehalten und winkte mich nun zu sich. >Ist mit deinem Zimmer alles wieder in Ordnung?< Im Augenwinkel erkannte ich Schüler, die vorher noch im Flur gestanden hatten und mein Bücherregal brennen gesehen hatten. Was für ein Start in den Tag.
>Ja, ich kann nach der Schule um räumen. Von meinen Sachen ist nichts verbrannt, leider aber die halbe Schule.<

>Streckt und dehnt euch. Ihr wärmt euch selber auf. Wenn ihr morgen einen Muskelkater habt, bin ich nicht daran schuld. Danach in Pärchen aufteilen, Matten raus und kämpfen.<, rief Isaac laut und klatschte in die Hände.
Beth zeigte mir, wie ich am besten einen Krampf vermied.
>Danke, übrigens, dass du unsere Zimmer in Ruhe gelassen hast.<, kicherte eine von den Wasser-Blondinen und lächelte mich selbstgefällig an.
>Nächstes Mal, finde ich dafür bestimmt auch noch Zeit.<, erwiderte ich und hob meinen Mittelfinger.
Sie schnalzte mit der Zunge und zog mit ihrem Gefolge ab.
>Die ist wirklich kaputt. Bei ihr ist alles ein Konkurrenzkampf.< Beth und ich holten uns eine Mappe und legten sofort los. >Weißt du, wie man kämpft?<, fragte sie.
Ich zuckte mit einer Schulter. >Ich hab mich schon geprügelt, aber das kann man nicht wirklich kämpfen nennen.<
Sie streckte ihre Arme. >Es geht bei uns hauptsächlich um Beweglichkeit. Versuch auszuweichen. Ich mach langsam und dann immer schneller.< Und schon legte sie los. Ihre Fäuste waren schon zu Beginn rasend schnell, doch ich schaffte es ihnen zu entkommen. >Beweg dich, Jenna.< Da traf mich der erste Schlag an der Schulter.
>Autsch!< Beth lachte auf. Ihre Kraft bezog sich nicht nur auf ihre Bändigerkräfte. >Das hat wehgetan.< Ich stieß sie weg von mir, lächelte aber.
>Los weiter. Wir legen jetzt richtig los.< Sie hielt ihr Wort. Ihre Hiebe, ihre Kicks waren präzise und gezielt. Dennoch traf sie mich nicht. Ich duckte mich, wich nach rechts oder links aus, warf mich zu Boden oder wehrte ihren Schlag sogar ab. >Hey, das ist gut. Richtig gut.< Sie atmete schwer, trainierte aber weiter mit mir. Wir wechselten die Partner. Ich landete bei einem Kerl, der echt riesig war und auch anschauliche Muskeln hatte. Bevor wir loslegten, schmunzelte er erst einmal so dreckig, dass ich ihn boxen musste.
>Alles hat seine Grenzen, Freundchen.<, warnte ich ihn nur. Während ich mit Mr. Muskelpaket übte, hielt Isaac sich von uns fern. Blieb stetig bei den anderen Schülern, doch ich spürte, dass er uns beobachtete. Es kränkte mich umso mehr, weshalb es mir auch nichts ausmachte, als mein muskulöser Kumpel mir aus der Turnhalle folgte, nachdem ich mich zur Toilette entschuldigte. Ich konnte sehen, dass Isaac dies beobachtete, und freute mich ins Geheim ein wenig. >Du musst also auch auf´s Klo?< Lediglich ein zustimmendes Brummen ertönte von hinten. >Ich heiße Jenna und du?< Ich öffnete die Tür zu den Mädchenkabinen, wurde plötzlich hochgehoben und rein getragen. Kichernd ließ ich mich von ihm auf das Waschbecken heben. Er drängte sich zwischen meine Beine und begann mich stürmisch zu küssen. Ich schlang meinen Arm um seinen Nacken und erwiderte seinen Kuss. Genau das brauchte ich. Das Gefühl von jemandem gewollt zu werden. Und er hier wollte mich. Seine Hände schlüpften unter mein Oberteil und drückten meine Brust. Stöhnend streckte ich mich ihm entgegen. >Feuer.< Er nickte und riss mit einem Mal mein Oberteil auf. Grob umfasste er meinen Nacken und zog es zurück, damit er mit seinen Lippen über meinen Hals hinab zu meinem BH wandern konnte.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. >Raus!<, wurde nur geknurrt. Wir erstarrten beide. Der Muskelprotz drehte sich um. >Sofort.< Die Stimme war abartig verzerrt. Mr. Muskelpaket setzte mich wieder auf den Boden und wollte mit mir raus, da hielt Isaac mich an der Schulter fest. >Nicht du.< Ich blieb also alleine vor dem zornigen Isaac. >Was soll das?<
Ich zuckte mit einer Schulter und wendete beschämt den Blick ab. >Muss ich dir das echt noch erklären?<
Er raufte sich das Haar. >Nach heute morgen schmeißt du dich also einfach an den nächstbesten Schüler? Jenna, du...<
>Warum darf ich mich nicht an den nächstbesten Kerl werfen? Gibt doch genug Freiwillige.<, brummte ich, wagte es aber immer noch nicht, ihm in die Augen zu sehen. Ich kam mir so vor, als hätte ich ihn hintergangen. Er drehte sich um und wollte gehen, da rief ich ihn zurück. >Kannst du mir ein Oberteil geben?<, bat ich. Er linste zu meiner freiliegenden Brust runter und nickte dann. Ich bekam sein T-Shirt gereicht, darunter trug er ein Tank-Top. Ich konnte die Tattoos sehen, die über seine Arme zu seiner Brust wanderten. Er war so schön, es schmerzte in den Augen. Er war groß und muskulös. Aus jeder Pore strömte Stärke.
>Jenna, hör auf damit.<
>Mann, tut mir leid. Zieh dir doch was an.<
Er schnaubte. >Du hast mein T-Shirt.<, erinnerte er mich.
Ich musste lachen. >Achtung, alter Mann. Busen-Alarm.<, warnte ich ihn und zog mein Oberteil aus. Isaac drehte sich weg und schloss die Tür hinter sich. Ich wechselte in sein Oberteil, es war mir deutlich zu groß, aber es roch fantastisch. Fanatisch hielt ich mir den Kragen an die Nase. >Oh Gott.<, seufzte ich und fasste mir an die Stirn. Was war in den letzten Tagen nur passiert, dass ich zu einem besessenen Stalker geworden war. Mit hängendem Kopf kam ich aus dem Klo und wieder zurück in die Turnhalle.
>Was war denn?<
>Wie heißt der?<, fragte ich sie und zeigte auf Muskelmann.
>James.<
>James steht auf Rummachen auf dem Waschbecken.< Mit weit aufgerissenem Mund sah sie mich an und lachte los.

Zum Mittagessen schlug ich mir den Magen mächtig voll und lehnte danach satt an Beth´ Schulter. Isaac hatte mir vorgeschlagen, mir täglich Zusatzunterricht zu geben. Dabei nahm er es sich nicht mir einen warnenden Blick zu zuwerfen.
Da drückte jemand meinen Oberarm. Es war James. >Ja?<
Er stützte seine Arme auf je einer Seite von mir an dem Tisch ab, bis sein Mund an meinem Ohr war. >Wollen wir das von vorher später fortsetzen?<
Nach Isaacs Ansage fühlte ich mich schäbig. Was machte ich hier eigentlich? >Ehm... klar.< Er stand auf und ging.
Beth grinste. >Der ist scharf.<, murmelte sie. Ich zuckte mit der Schulter und sah ihm nach. Sie hatte recht, er war ein richtig hübscher. Nicht so hübsch wie Isaac, aber...
Jetzt reicht´s echt. Vergiss den Idioten.
>Ich geh schon einmal vor.< Ich räumte schnell mein Tablett ab und ging zur Krankenstation, wo mich Schwester Mary und Ken schon erwarteten. >Hey.<
>Hi. Können wir loslegen?< Ich nickte und setzte mich auf die Liege. Die Schwester entnahm mir Blut und reichte es Ken. Der verschwand damit sofort. Sie legte mir eine Manschette an den Arm und maß meinen Blutdruck und danach auch meine Temperatur. Sie nahm sich ein Klemmbrett und schrieb etwas hinein. >Temperatur und Blutdruck höher als der Durchschnitt.<, murmelte sie dabei.
Ken kam eine Viertelstunde später wieder zurück. Mund und Augen aufgerissen und mich anstarrend. Schwester Mary und ich sahen ihn verwirrt an. >Was ist los?<, fragte ich ihn.
>Mary, würdest du?< Sie nickte und verließ den Raum. Ich strich mir mein Haar hinters Ohr und hob erwartungsvoll die Brauen. Ken verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Miene hatte er nun mehr unter Kontrolle. >Du... bist ein Mensch.<

6. Kampf

Ich lachte auf. >Ihr seid doch zu mir gekommen und habt mir gesagt, ich sei nicht menschlich.<
>Das dachte ich mir auch. Das...< Er ließ seine Hände hängen. >Du bist ein Mensch. Deine Blutgruppe ist 0. Immer noch sehr selten, aber menschlich. Du müsstest BX + haben, da du Feuer bist, aber du hast es nicht. Ich verstehe das nicht.< Er betrachtete mich konzentriert. Auf seiner Stirn trat eine Ader hervor.
>Und was heißt das jetzt?<
>Du bist ein Mensch, der Feuer bändigen kann. Das ist... nicht möglich.< Er kratzte sich frustriert das Kinn. Seine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut heraus. Ich versuchte aus seiner Miene schlau zu werden, doch sie ließ es nicht zu. Während ich ihn so beobachtete, bildete sich eine Gänsehaut auf meiner Haut.
Erneut war ich der Freak. Erneut fühlte ich mich wie der Außenseiter. Ein Ausgestoßener. Wie konnte das sein? Wie konnte das schon wieder sein? In dieser Situation? Was stimmte nicht mit mir?
Mein Kopf tat wieder weh und ich wandte mein Gesicht ab.
Was für eine Scheiße.
Ein Seufzer entkam Ken letztendlich. >Du kannst gehen. Ich habe noch zu tun. Ich... werde dich rufen, wenn wir noch etwas brauchen.< Er warf mir einen letzten Blick zu und verschwand aus dem Zimmer.
Perplex rutschte ich von der Liege. Mary kam wieder rein. >Ist etwas passiert?<, fragte sie mich. Ich zuckte mit der Schulter. >Gut, du kannst dann jetzt gehen.< Ich nickte und ging. Bis zum frühen Abend hin räumte ich meine Sachen von einem Zimmer zum Anderen. Dabei halfen mir Penny, Anny und Beth. Danach machten wir zusammen Hausaufgaben. Es machte wirklich Spaß mit anderen Leuten Zeit zu verbringen. Zu lachen und zu reden, wie Freunde es eben taten.
Dennoch war es irgendwie ungewohnt. In manchen Momenten überforderten mich die Nähe und die Lautstärke der anderen, aber es war schön. Schön, die Zuneigung von den anderen zu fühlen.
Ich musste mich danach umziehen und los zum Training. Isaac hatte eine Matte aufgebaut und auch eine Reckstange. Da gerade entdeckte er mich. >Komm.< Er winkte mich zu sich und band seine Dreads zu einem Zopf zusammen.
>Hier dein T-Shirt.< Ich reichte es ihm. >Danke.<
>Schon gut.< Er klopfte auf die Stange und nickte hoch. >Los, häng dich mit den Beinen ran und dann fangen wir an.< Ich hielt mich mit beiden Händen an der Stange fest und hangelte meine Beine hoch. Isaac hielt meine Beine fest und forderte mich dazu auf Sit ups zu machen. Nach den ersten 5 war ich schon am Ende, doch er ließ mich nicht in Ruhe. >Weiter, Jenna. Noch mindestens 20.< Ich atmete durch und gab mir mehr Mühe. Und er war sogar zufrieden, doch aus den 20 wurden dann 40. Darauf folgten dann noch ein endlos scheinende Reihe an Klimmzügen. Es war insgesamt ein verdammt auslaugendes Warm-Up. >Du kannst runter.< Ich drehte mich von der Stange runter und hielt mir den Bauch. >Geht´s?< Er streckte seine Hand zu mir. >Du musst Muskeln aufbauen, um den Unterricht zu überleben. Und das schnell.< Ich sah auf seine Finger, die mir Halt geben wollten, und ihm dann ins Gesicht. Er zog sie zurück. >Heute im Unterricht hast du dich auf Verteidigung beschränkt. Die Angriffe abgewehrt oder bist ihnen ausgewichen.<, erklärte er und lief mit mir zu der Matte. >Jetzt lernst du, selber in den Angriff zu gehen.< Und los ging es. Ich kam mir wie Jackie Chan vor, denn es machte wirklich Spaß und... ich war gar nicht mal so schlecht. >Gut, sehr gut. Ich bin beeindruckt. Jetzt schneller.< Ich wiederholte die Schlag- und Kickkombination. Isaac nickte. >Du lernst schnell, Jenna, aber es muss noch schneller gehen.<
>Für was kämpfen wir eigentlich?<, fragte ich ihn.
Er sah sich zu mir um. >Das erfährst du im Unterricht.<
>Wenn ich es im Unterricht sowie so erfahre, kannst du es mir doch auch jetzt sagen.<
Ich nahm die Flasche entgegen, die er mir zuwarf und trank daraus. >Es... gibt Dinge, von denen du nicht weißt, in dieser Welt.<
>Was soll das heißen?<
>Das soll heißen, dass es mehr gibt, als du weißt.<
Ich stellte mich vor ihn und sah ihn auffordernd an. >Was ist das hier wirklich? Rede mit mir.< Er drehte sich zu mir um und seufzte müde. >Isaac.<
Er erwiderte meinen Blick. >Wir sind nicht die einzigen übernatürlichen Wesen.<
>Werwölfe? Einhörner? <
Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. >Es sind Menschen, die sich über die Jahrhunderte hinweg Kräfte angeeignet haben, die selbst uns gefährlich werden können.<
>Ich habe eine Vorahnung und ich bin mir nicht sicher, wie ich das finden soll.<, murmelte ich nachdenklich.
>Sie sind der Meinung, wir wären nicht dazu bestimmt, diese Kräfte zu haben. Stattdessen versuchen sie uns auszurotten und dadurch selber stärker zu werden.<
>Sie können uns unsere Kräfte nehmen?< Er nickte. >Wer oder was sind sie?<
>Du kennst sie wahrscheinlich unter dem Namen Hexer.<
Ich lachte. >Verarschst du mich?<
>Ich wünschte, es wäre so.< Er meinte das ernst? >Für heute machen wir Schluss.<
>Wie lange weißt du schon von diesem Bändiger-Zeug?<
>Mein ganzes Leben lang. Meine Eltern sind Soldaten beim Adel.< Er löste seinen Zopf und begann mit mir zusammen die aufgestellten Geräte aufzuräumen. Wieder verlor ich mich dabei in seinen Bewegung. In dem Spiel seiner Muskeln. Seine Eltern waren beim Adel. Weiß Gott, wo der war. Und er arbeitete hier als Lehrer.
Ich ließ meine Schultern kreisen, als wir aus der Halle traten. >Willst du das auch mal machen?<
Er schüttelte den Kopf. >Der Adel interessiert mich nicht wirklich. Ich bin lieber hier und höre Jugendlichen bei ihren Teenie-Dramen zu.< Ich stieß ihn an. >Morgen hast du das erste Mal Bändigen, nicht wahr?< Ich nickte. >Es wird dir gefallen. Du hast natürlich den besten Lehrer von allen, weshalb du den Luxus an Unterricht bekommst.< Er grinste und zwinkerte mir zu.
>Das Einzige, dass ich machen kann, ist...< Ich ließ die vertraute, kleine Flamme aus meiner Hand steigen.
Isaac zuckte mit der Schulter. >Nächste Woche wirst du ein Feuer, so groß wie ich zu Stande bringen können. Versprochen.<
>Echt jetzt?<
Wir stiegen in den Aufzug und fuhren hoch. >Ich gehe davon aus, du gehst heute noch joggen.< Ich senkte meinen Kopf und nickte. >Was ist?<
>Beth hat mir das mit dem Legata-Ding erklärt. Ich versteh das schon. Du brauchst dir also keine Sorgen machen wegen sexueller Belästigung von mir aus.<
>Jenna, es geht nicht...< Er hielt inne und sah mich an. >Weil Beth dir erklärt hat, dass Lehrer tabu sind, hast du dich auf James eingelassen?<, fragte er ungläubig.
Ich wich vor seinem Gesichtsausdruck zurück. >James ist mir nachgekommen...<
>... und dann lässt du dir das Oberteil aufreißen und präsentierst dich ihm auf dem Silbertablett?<
Ich verdrehte die Augen. >Und warum zum Teufel geht das dich etwas an, Legata?< Ich stellte mich vor ihn, als gerade die Türen aufgingen. Wir stierten uns schweigend an, bis er wegsah.
>Du hast Recht.<
Was?
>Es tut mir leid.< Er trat aus dem Aufzug und ließ mich mit offenem Mund stehen.
Wütend stürmte ich raus und den Flur entlang in mein Zimmer. Dieser verdammte Schlappschwanz. Gott, es schien mir im Blut zu stecken, mich an feige Idioten zu hängen! Verdammt!
Ich schlug die Tür hinter mir zu und fuhr mir durchs Haar. >Tut mir leid.<, äffte ich ihn nach. >Gott, verdammte scheiße. Ich werde ihm zeigen, wie leid es ihm tut.< Ich duschte kurz, schlüpfte in Sportsachen und ging runter in den Trainingsraum. Ich wusste, James war noch nicht da, aber ich war so erzürnt, dass ich erst einmal für mich sein musste.
Wie verzweifelt musste man sein, um sich freiwillig auf ein Laufband zu stellen?
Ich blieb jedoch nicht lange allein. James tauchte dann doch früher als erwartet auf, schmiss die zwei anderen raus und schloss die Tür ab. >Hast du mich vermisst?<, fragte er hinter mir und zog sein Oberteil aus.
Ich folgte seinem Beispiel und schlüpfte dabei auch aus meinen Sportschuhen. >Ich hatte genug zu tun.<, erwiderte ich. Ja, es war schäbig, aber so war ich nun mal. Was interessierte mich ein daher gelaufener Isaac, der mir irgendwas von Werten erzählen wollte? Ich war nun mal, wer ich war und daran... daran wollte ich nichts ändern.
James grinste breit und öffnete das Bändel an meinen Jogginghosen. Ich schlüpfte ganz aus ihnen heraus, sodass ich nur noch in Unterwäsche vor ihm stand.
Er griff mir in den Nacken und zog mich an seine Lippen. Sofort hob er mich auf seine Arme und machte sich an die Arbeit.

>Machst du mal zu?< Ich warf mein Haar zur Seite. James schloss meinen BH und stieg danach in seine Hose. Nachdem ich wieder angezogen war, küsste er mich noch einmal überschwänglich und ließ mich dann endlich gehen. Ich fuhr mit meinem Handrücken über die noch feuchten Lippen. Das waren die schlimmsten, die Anhänglichen.
Beim Rausgehen stieß ich fast mit Brody zusammen.
>Hey, wohin so schnell?<, fragte er lächelnd.
>Ins... Zimmer.<
James lief an uns vorbei. Den Blick, den er mir zuwarf, war so offensichtlich, er hätte auch ein riesiges Leuchtschild über seinem Kopf tragen können. Brody sah mich an. >Oh, bitte nicht. Sag mir nicht, du hast dich von diesem Volltrottel flachlegen lassen. Warum tust du dir das an?<, fragte er mich entrüstet.
Ich stöhnte genervt auf. >Ich wüsste nicht, was dich das interessieren sollte. Oder sonst wen.<
Als ich weitergehen wollte, begann er mir hinterher zulaufen. >Jenna, ist es das, was du willst, dich von Tür zu Tür dieses scheiß Internats vögeln?<
Ich blieb sofort stehen und starrte ihn an. >Ich schwöre, noch ein Wort und meine Faust landet in deinem Gesicht.<
>Ich will nur...<
>Tu doch nicht so, als hättest du es nicht auch auf meinen Arsch abgesehen, du scheinheiliger Mistkerl! Was habe ich denn für eine andere Wahl?<, fragte ich ihn. Das wollte ich eigentlich nicht sagen. >Ich bin doch nicht mehr als ein hübsches Gesicht auf einer kaputten Hülle.<, wimmerte ich. Er kam einen Schritt auf mich zu. >Ich brauche Liebe. Das...< Er nahm mich in den Arm. >Anders schaff ich es nicht.< Seine Hand strich mir zärtlich durch mein Haar und drückte mich fester an sich. Ich schloss meine Augen und sah nur Isaac wie er mich beinahe schon angeekelt ansah. Er würde sich niemals mit mir abgeben. Warum auch? Ich war so weit unter seinem Niveau. Ich war nicht einmal annähernd in seiner Liga. Brody hatte Recht. Ich war widerwärtig.
Brody brachte mich hoch, sogar zu meinem Zimmer und legte mich ins Bett. Er strich mir lose Strähnen aus dem Gesicht und lächelte. >Gute Nacht.< Er betrachtete mich einen kurzen Moment wortlos, bevor er meine Hand leicht drückte. >Schlaf gut.<
Bevor er ging hielt ich ihn am Arm fest. >Tut mir leid, dass ich dich beleidigt habe. Das wollte ich nicht.<, murmelte ich.
Er lachte auf. >Du kannst ja richtig süß sein.<, meinte er. >Keine Sorge, das halte ich schon aus.< Er tätschelte mein Bein beim Vorbeigehen und ging. >Bis morgen.< Ich nickte und schloss meine Augen.
>Was machst du hier?< Das war ein Lehrer.
>Es ging ihr nicht gut. Ich habe sie nur ins Zimmer gebracht.<, erklärte Brody.
>Ja, klar. Hau ab.< Kurz darauf ging die Tür auf. >Jenna, alles klar bei dir?< Ich hob meinen Daumen. >Melde dich einfach, wenn irgendwas ist.<
Ich sah mich in meinem neuen Zimmer um. Es war eigentlich fast genauso möbliert wie das Letzte. Gerade heute hatte ich geschafft, alle Sachen umzuräumen. Ich rollte mich auf den Rücken.
Verdammt!
 Stattdessen lernte ich die ganze Nacht. Ich arbeitete wie eine Verrückte durch die Kapitel  und hatte am Morgen fast meinen halben Block vollgeschrieben.
>Ich bin hier. Jenna.<
Ich sah mich um.
>...Hallo?< Keine Antwort. Ich stand auf. Es war wieder diese Frauenstimme gewesen. So weich und zart, es trieb mir Gänsehaut über die Arme.
>Jenna.<
Ich ging ins Bad, doch es war, wie erwartet, leer. Die Stimme war verstummt. Ich horchte angestrengt nach ihr, doch es blieb ruhig. Noch mehrere Minutenlang stand ich da und wartete, aber es passierte nichts. >Dreh jetzt nicht ab.<, brummte ich nur und ging in die Dusche, denn es war wieder Zeit, um in die Schule zu gehen.

Der Unterricht war ein Klacks. Ich konnte alles, aber der Stoff war auch furchtbar interessant. Zum Beispiel wurde uns erklärt, dass selbst in der Bibel Beweise vorliegen, dass Gott nicht eine einzelne Person war, sondern mehrere. Erzählungen und Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass Wesen, die eine höhere Entwicklungsreife hinter sich hatten, den Menschen auf der Erde ihr Wissen überreichten und ihren Geist auf sie abwälzten, die Bändiger-Kräfte. Auch das ist in der Bibel vertreten.
>Du bist ja ein richtiger Streber.<, merkte Beth grinsend an, während wir nach unten zu den Umkleiden runtergingen.
Ich gähnte. >Ne, hab nur nicht schlafen können.<
>Das ist nicht gut. Ich sag´s dir, du wirst das bereuen Schlaf ist das A und O an dieser Schule. Ohne überlebst du das hier nicht.<
Wir zogen uns um und warteten dann in der Sporthalle. Mit der Zeit fanden sich immer mehr Schüler ein und setzten sich. Irgendwann traf dann auch Isaac ein, dieses Mal mit drei anderen Lehrern, darunter Ken. Er nickte uns kurz allen zu und zog sich dann mit den anderen zurück, um irgendwas zu besprechen. Brody kam zu uns gerannt. Atemlos blieb er vor uns stehen. >Viel zu viele Treppen.<
>Es gibt Aufzüge.<
Er schüttelte den Kopf. >Jetzt fahren gerade alle runter zum Sport. Ist total voll da drin.< Als nächstes sah er mich eindringlich an. >Alles wieder klar?< Ich stützte meinen Kopf an seine Brust. Er war wirklich nett. >Jenna-Baby.<, säuselte er.
>Danke nochmal.<, flüsterte ich. Er nahm mich wieder in den Arm. Brody war einfach ein guter Mensch. Durch und durch gut.
>Sollte ich etwas wissen?<, fragte Beth.
Er gluckste. >Wir sind beide so scharf, dass wir die Finger nicht voneinander lassen können.<, scherzte er.
>Nur nicht so bescheiden.<
>Also, wir fangen an.<, rief Isaac. Seine Augen trafen auf mich, als ich mich gerade wieder von Brody löste. In dem Moment kam auch James vorbei und nickte mir unmerklich zu. Ich lächelte nur. Isaacs Kiefer wurde steinhart. >Wir beginnen den Unterricht.< Er wandte sich ab. >Ihr geht zu eurem zuständigen Lehrer und dann fangen wir an. Erde und Luft finden sich draußen zusammen. Wasser und Feuer, wir gehen in Halle 3. Wir werden heute Wasserkanister einrollen.< Er klatschte in die Hände. >Los.<
Beth und Brody verabschiedeten sich von mir, Penny ging raus und Kyle trennte sich von ihr und kam zu mir. >Der Unterricht wird dir gefallen.< Wir mussten eine weitere Etage nach unten und folgten einem langen, engen Flur.
>Wo gehen wir hin?<
>Es gibt 4 Hallen. Die sind riesig, wirklich riesig. Es ist eigentlich nur ein fensterloses Rechteck aus Beton, der innen hohl ist. Er ist gerade erst wieder neu renoviert worden, also die verkohlten Stellen abgehauen und dann neu beschichtet. Da, wir sind da.< Isaac, ganz vorne, öffnete eine große, schwere Tür und ließ uns alle rein. An ihm vorbeizulaufen, war wie unter einem heißen Scheinwerfer zu laufen, es war geradezu schmerzvoll.
>Es wäre besser, wenn du dich zu Beginn etwas zurückhältst. Wir werden den Schülern sagen, dass sie Abstand zu dir halten sollen, damit du dir das alles ansehen kannst.<, passte er mich ab.
>Nein, lass sie mitmachen. Kämpfen kann sie ja schon. Feuer kann ihr nichts anhaben und das bisschen Wasser wird ihr auch nicht schaden.<, widersprach Ken und zuckte dabei mit einer Schulter. >Geh ruhig rein.<
>Sie ist ein Mensch...<, zischte Isaac leise.
>..., der Feuer-bändigen kann. Ich sag´s dir, dass wird eine Show.<
Großer. Gott. Wo haben die denn das Teil hier versteckt? Hier war eine Halle in der problemlos 50.000 Leute Platz hatten. Und die hätten wahrscheinlich jeweils auch noch Platz für ein ausschweifendes Picknick. Ungläubig sah ich mich um. Feuer und Wasser teilten sich in der Halle auf. Auf einer Seite war ein großes Tor, welches Ken mit einem kräftigen Ruck aufschob. Es standen zwei Kanister auf Rollen, die mindestens doppelt so hoch waren wie ich. Er drehte sich um und lief in die Mitte des Raumes. Die Kanister folgten ihm gleitend. Ich zog die Brauen zusammen. >Da ist Wasser drinnen.<, erklärte Kyle.
>Und er bewegt das ganze Wasser darin alleine?<, fragte ich fassungslos. Er nickte nur.
>Weil Isaac und ich die unschlagbaren Könige sind....< Widerworte kamen aus den Reihen der Schüler. Beide lachten sie. >... werden wir die Ziele sein. Wir dürfen uns nicht bewegen, bis ihr den innersten Halbkreis überschritten habt.< Dabei zeigte er auf eine rote gestrichelte Linie. Sie war die, die am nächsten zum „Tor“ stand. Darüber waren noch eine blaue und eine gelbe Linie. Letztere reichte bis zu einem Drittel der Halle. >Natürlich, erwarten wir von euch, dass niemand in die Krankenstation muss, das ist mein ernst. Feuer und Wasser, sind beides gefährliche Waffen und wir möchten, dass ihr euch kontrollieren könnt.< Er ließ die Kanister zur hinteren Wand fahren. >Und keine Einzelkämpfer. Wir sind ein Team. Fangen wir an.< Jeweils einer von beiden setzte sich an eine Wand. Gegenüber von einander.
>Die davon abhalten, an Isaac ran zu kommen. Und wir müssen es schaffen Ken einmal zu berühren.< Ich nickte und schob meine Ärmel hoch.
Plötzlich lag vollkommene Stille in der Halle. Unglaublich, was für eine Wirkung das auf einen hatte. Und von einem Moment auf den anderen hin, rannten die Schüler los
>Hier ist Wasser nicht einfach Wasser, Jenna, klar? Weich aus.< Ich nickte nur wieder und rannte weiter. Da kam der erste Wasserschwall auf uns zu. Ich rutschte unter ihm hindurch, sah mich um und erschreckte mich, denn das Wasser schlug wie eine Bombe ein und verwandelte sich als nächstes zu vielen großen Eispfeilen die genau den gleichen Weg zurückgeflogen kamen, den sie gekommen waren. Kyle riss mich auf den Boden. Eins der Pfeile traf mich dennoch am Arm, doch ich hatte so viel Adrenalin im Blut, es war kein Schmerz zu spüren. Ich merkte auch, dass die Pfeilspitzen abgerundet waren. Mehr als ein blauer Fleck war damit nicht möglich.
>Verdammt!<, schrie ich. Rechts von uns zerriss eine Explosion den Raum, zwei von den Blondinen flogen durch die Luft. Jemand tauchte in einem der Kanister ein und kam mit Erweiterungen an den Armen, bestehend aus Wasser, wieder heraus und spielte mit den Feuer-Bändigern Flugzeug. Das alles war so absurd, ich konnte nicht anders, als begeistert dazu stehen und dieses ganze Spektakel einfach nur zu beobachten. Die Schüler trugen diese ganze Kraft in sich. Sie wirkten so konzentriert und in ihrem Element. Buchstäblich. Es war wie in einem Film. Alles war so unwirklich.
Ich hatte mich so lange einsam und verlassen gefühlt und gleichzeitig lief das hier die ganze Zeit ab?
>Jenna!<, brüllte Isaac. Ich drehte mich um und entdeckte dabei einen Wasser-Bändiger. Dem folgte eine Flut an Wasser. Meine Augen weiteten sich. Kyle war damit beschäftigt eine Gruppe von Bändigern davon abzuhalten, sich Isaac zu nähern und war sprichwörtlich am Brennen. Angriff, erinnerte ich mich und rannte auf den Typen zu. Er wollte mich von den Beinen reißen, weshalb das Wasser tief lief. Ich sprang also drüber, landete links von ihm und riss nun ihn von den Beinen, als ich mich am Boden mit ausgestrecktem Bein drehte. Atemlos rannte ich weiter und kam nun Kyle zu Hilfe, soweit ich konnte. Auch wenn ich nur beschränkt dazu in der Lage war, wirklich in dem Kampf mitzuwirken, war es doch ein unglaubliches Erlebnis. Auch war es unfassbar, wie knallhart und gnadenlos die Schüler kämpften. Es war wirklich Krieg und soweit ich das verstand, waren blaue Flecken und oberflächliche Kratzer erlaubt, aber nicht mehr.
Ich arbeitete mir meinen Weg nach vorne und kam dann sogar bei Ken an, nun musste ich irgendwie an ihn ran kommen. Er saß arrogant im Schneidersitz und lächelte mich herausfordernd an. >Na, komm, Kleines.<
Ich stürmte auf ihn zu, bis mich ein Wasserfall traf, so kalt, dass ich sofort begann zu zittern. >Heilige Scheiße.<, flüsterte ich zitternd. Hinter mir hörte ich schon die Schritte der Bändiger, unter mir wurde das Wasser zu Eis und ich schlitterte.
>Ich helfe dir.<
Da war sie wieder. Diese Frau. Es fühlte sich so an, als wäre sie in mir drin. Ich sah mich suchend um und dann kam es mir. Ich zog meine Schuhe aus, das Eis unter meinen Füßen schmolz und ich rannte wieder los. Kens Mund stand offen. Das war mein Moment. Wie gelenkt von unsichtbaren Händen setzte ich mich Kens Verteidigungsversuchen entgegen.
Er hob beide Arme und aus den Kanistern zu je einer Seite von ihm erhob sich ein Ball aus Wasser. Er führte seine Hände zu einander und die Bälle klatschten zusammen. Ich dazwischen. Die Kälte drang bis in mein Inneres.
>... nicht allein.<
Ich schloss meine Augen und konnte eine Flut von der Wärme, der Sonne, durch mich durch brennen fühlen. Um mich herum zerriss das Wasser zu einer riesigen Dampfwolke. Ich schoss hervor zu Ken. Nun waren seine Augen komplett aufgerissen, weshalb ich es einfach hatte ihn zu berühren. Vollkommen außer Atem sah ich ihn an und lächelte etwas. Es war kein Ton zu hören. Ich drehte mich um. Jede einzige Person starrte mich ungläubig an.
>Habt ihr das auch gespürt?<, fragte einer.
>Ich hab total Gänsehaut.<, war eine andere zu hören.
>Was bist du?< Das nun, war Kevin.
Verwirrt blickte ich ihn wieder an. >Was.... meinst du?<
>Der Unterricht ist beendet. Ihr könnt gehen.<, rief Isaac alle wieder in die Realität zurück.
>Als hätte ein Feuer in mir gebrannt, aber... irgendwie ein gutes.<, sprach ein Mädchen von Wasser und fasste sich an die Brust. Sie warf mir einen verwunderten Blick zu, bevor sie aus der Halle trat. Den bekam ich noch von einer Menge zugeworfen, James, Kyle, den Blondinen von allen.
>Kevin, das war riskant. Sie hätte sich verletzten können.<, meinte Isaac.
Ken schüttelte den Kopf. >Das hast du doch auch.... Diese Stärke. Stärker als wir, Isaac.< Er sah mich an, beugte sich etwas zu mir runter und umfing mein Kinn. Prüfend drehte er es und inspizierte mein Gesicht. >Mal ganz abgesehen davon, dass sie das schönste Wesen ist, dass ich je gesehen habe. Ist sie auch stärker, als jeder Bändiger, den ich je gesehen habe. Und sie ist ein Mensch. Sie ist ein Mensch, Isaac. Hast du die Schüler gesehen? Sie waren voll von ihr.<, sprach er bewundernd und stellte sich auf. Meine Wangen färbten sich rot. Isaac blickte kurz mich an. >Und dann kommt noch ihre offensichtliche Wirkung auf... die Leute hier.< Ken hob eine Braue und bedachte Isaac eines ernsten Blickes, der wandte sich seufzend ab und ging. >Ich habe die Königsfamilien schon informiert. Wir behalten sie unter Beobachtung und holen dann jemanden, der sie begutachten soll.<, rief Ken.
>Jenna, wir sehen uns später zum Training.<
Überfordert blickte ich hin und her. >Ich verstehe nicht.<
Ken legte seinen Arm um meine Schulter und führte mich raus. >Keine Angst, du bist einfach nur das Weltwunder, dass wir gesucht haben.< Er bemerkte meine Hilflosigkeit. >Du wirst uns reformieren. Ich schwöre dir, das ist der Beginn einer Revolution.<, predigte er feierlich.
>Aber warum?<
>Ich war schon immer davon überzeugt, dass unsere Götter uns nicht einfach alleine gelassen haben, damit wir hier auf Magier machen. Ich wusste, sie würden uns jemanden schicken, der uns unseren Weg weist.<
>Und du denkst, ich wäre das? Nein, niemals. Auf keinen Fall.< Ich löste mich von ihm und schüttelte den Kopf.
Er tätschelte beschwichtigend meine Schulter. >Keine Angst. Es ist nur so, die Zeichen sprechen für sich. Du bist ein noch nie gesehenes Wunder. Ein... Es ist nicht mit Worten zu beschreiben.<
>Und was war das mit dem begutachten?<
>Ich habe mich in Kontakt gesetzt mit unseren Königsfamilien und sie werden jemanden zu uns schicken, der dich erneut untersuchen wird und dann werden sie entscheiden, wie wir weiter mit dir vorgehen werden.<

7. Summe Legata

Ich zog mich in den Umkleiden um und ging dann hoch. Die anderen waren früher fertig, weshalb ich die anderen erst sah, als ich zum Mittagessen in den Speisesaal ging. Sofort richteten sich alle Blicke auf mich. Oh nein. >Das ganze Internat redet nur von dir. Unglaublich, du hast Kevin geschlagen. Das hat noch nie jemand geschafft, außer er hat es zugelassen. Das ist unglaublich.< Beth klopfte neben sich auf den freien Platz. Auf dem Tisch davor stand ein Tablett voll mit Essen. >Ich bin richtig stolz auf meine Süße.<, grinste sie und strich mir durchs Haar, als wäre ich ein Hund. >Alle erzählen davon, wie stark du bist und was für eine Wirkung du hast...<
>... und jeder will dich ins Bett kriegen, aber das war ja davor schon so.<, fügte Jack hinzu. Paul zwinkerte mir zu.
Jemand setzte sich neben mich. Es war Brody. >Ich darf doch.< Er spießte mit der Gabel eine Bratkartoffel auf und schob sie sich in den Mund. >Unglaublich, ich sitze hier neben unserem Superstar.< Als nächstes nahm er mein Glas und trank daraus. >Du hast hier alle ziemlich beeindruckt.<
Ich fuhr mir durchs Haar. >Ich verstehe eigentlich gar nicht wirklich, worum es geht.< Ich aß weiter, während Brody sich nicht scheute, weiter von meinem Teller zu essen.

Ich kam, nachdem ich meine Hausaufgaben gemacht hatte, in die Sporthalle runter. Isaac war noch nicht da, weshalb ich selber einfach anfing aufzubauen.
Gerade als ich die Matten aufgestellt hatte, tauchte er auf. >Tut mir leid, Jenna. Wir legen gleich los.< Er band sich hastig einen Zopf.
Ich zuckte mit der Schulter. >Schon gut.<
>Du warst heute gut. Hast dich... gut angestellt.< Er lächelte leicht. >Hast du dich schon aufgewärmt?< Ich schüttelte den Kopf. >20 Liegestütze, 30 Sit ups...<
>Wetten ich schaffe mehr Liegestütze als du?< Herausfordernd grinste ich ihn an.
Seine Augenbrauen hoben sich an. >Ist das dein Ernst?<
>Was? Hast du etwa Schiss?<, fragte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern. >Was kriege ich, nachdem ich gewonnen habe?<
Ich lachte. >Mach dir nicht unnötig Hoffnung. Sobald ich gewonnen habe, trägst du mich auf dem Rücken einmal ganz hoch und wieder runter, während der Mittagspause.< Er schlug in meine Hand ein und nickte. Wir gingen zu Boden und legten gleich los. Die ersten 15 gingen noch. Ab 20 brannten meine Arme.
>Jenna, ich kann in deinem Gesicht lesen, wie weh deine Arme tun.<, stichelte Isaac.
>Halt deinen Mund.< 30, 35. Ich konnte nicht mehr. >Gib auf.<
>Wieso? Kannst du nicht mehr?<
Keuchend stemmte ich mich weiter vom Boden ab. >Bist du kitzlig?< Bevor er sich versah, kitzelte ich ihn.
>Das ist mies.<, lachte er und versuchte meine Hand wegzuschlagen. >Du machst gar keine Liegestützte mehr....< Seine Arme gaben nach und er fiel lachend auf die Matte.
>Gewonnen!<, rief ich und hob die Arme. >Gott sei Dank, ich hätte es nicht mehr lange gemacht.<, krächzte ich atemlos.
>Du hast nicht gewonnen. Du hast betrogen.<, beschwerte sich Isaac und richtete sich auf.
Ich grinste. >Meine Hand ist abgerutscht. Kann ich doch nichts dafür, dass du genau an der Stelle kitzlig bist.< Er half mir auf die Beine. >Dafür machst du mich jetzt beim Kämpfen fertig. Die Gerechtigkeit greift durch.<, sagte ich feierlich.
Er nickte. >Stimmt.<
Isaac kämpfte ganze zwei Stunden lang gnadenlos gegen mich. Mehrere Schläge musste ich leider in Kauf nehmen, doch ich hielt mich gut. >Weiter so! Bleib immer in Bewegung.<, spornte Isaac mich an. Die ganze Aufregung, die in dem Kampf heute Vormittag in mir aufgewallt war, wiederholte sich wieder in meinem Innern. Isaac war zwar ein unschlagbarer Gegner. Er schien nicht an Kraft zu verlieren, doch ich konnte mich ihm gegenüber halten. Ich erfasste seine Bewegungen so rasend schnell, dass es kein Problem für mich war, ihm entgegen zu treten.
Ich machte einen Rückwärtssalto, weichte damit seinem Schlag aus. Versuchte ihn gegen die Brust zu treten, doch er wandte sich ab, weshalb ich mich auf ihn warf. Auf dem Boden angekommen, drehte er uns und fixierte mich an meiner Kehle. >Scheiße.<, fluchte ich.
>Nein, das war gut. Unglaublich gut.< Er half mir wieder hoch und klopfte mich auf die Schulter. >Du darfst nicht mit Ego kämpfen.<, murmelte er. >Ich bin schwerer als du und, rein von der Muskelkraft, stärker. Du bist sehr leicht und deshalb schlank. Dein Vorteil ist die Bewegung.< Ich nickte. Die Spannung zwischen uns war mit den Händen zu fassen. Diese Kämpfe fachten alles in mir an. Millionen kleine Nadelspitzen piekten mich in die Haut. Alles kribbelte und zuckte. Es fühlte sich an, als fiele ich durch einen brennenden Schacht. >Noch einmal und dann... machen wir Feuer.< Ich ging in Kampfhaltung. >Los.< Eine blitzschnelle Schlagkombination. Ich erwischte ihn in der Magengrube und rammte mein Knie als nächstes hinter her. Er drehte sich, bis er hinter mir stand und legte seinen Arm um meinen Hals. Ich krallte mich in seine Hände und wandte mich aus seinem Griff. Erschrocken sog er scharf Luft ein. Er drehte sich zu mir um und wurde von meinen Fausthieben begrüßt. Ich schlug auf ihn ein, um ihm so wenige Möglichkeiten wie möglich zu geben, mich zu überwältigen. Doch egal wie viel Mühe ich mir gab, er war einfach stärker.
So passierte es, dass ich erneut verloren hatte und gegen die Wand gedrückt würde. >Ich kann... nicht mehr.< Ich rutschte runter und setzte mich.
Isaac streckte seine Arme. >Du lernst schnell. Das ist gut. Hoch, wir machen weiter.< Er winkte mich hinter sich her. Wir gingen durch eine Tür in einen feuerfesten Raum. Im Boden war der silberne Grundriss eines Vierecks eingelassen ins Silber, wie bei einem Gitter waren mehrere kleine Löcher darin. Isaac setzte sich in die Mitte, legte seine Hand auf das Gitter. Einen Moment später schossen Flammen aus dem Viereck und umzingelten uns. Ich sah mich um. >Du wirst sehen, zu was du in der Lage bist.< Er lächelte mir aufmunternd zu und zog seine Beine zum Schneidersitz an. Aus seinen Handflächen, die auf seinen Knien liegend zur Decke zeigten, entstand Feuer. Erst nur sehr klein, doch es wuchs immer weiter. >Ich gebe es an dich weiter, ja?<
>Nein, ich bin noch nicht so weit. Mach du...< Er winkte mich zu sich. Ich rutschte an ihn heran. >Isaac, können wir das nicht morgen....<
>Nachdem, was ich heute gesehen habe, bist du mehr als nur bereit dafür.< Er ließ die Flammen aus dem Viereck steigen und zu einer Kuppel wachsen. Ich sah nach oben. Die Wärme war wie Balsam auf meiner Seele. Ich atmete tief durch. Der Geruch von Feuer stieg mir in die Nase und breitete sich in meinen Lungen aus. >Es ist schön, nicht?<, fragte er. Ich nickte und sah ihn an. Seine Augen lagen auf mir. Sie leuchteten im Schein des Feuers. Das Gefühl unserer Verbundenheit erfasste mich wie ein Windsturm. Sein Feuer fühlte sich so vertraulich an. Es hatte sein eigenes Geräusch, seine eigene ganz spezielle Wärme. Es war gerade zu hypnotisierend. >Mach Feuer. Egal wie groß.< Er legte seinen Kopf leicht schief. >Augen zu.< Ich schloss meine Augen und meine Hände wurden heiß. Ich wusste, sie waren jetzt bedeckt von Feuer. >Gut so. Du spürst es in dir oder?< Ich nickte. Meine Augen waren geschlossen, doch ich sah das Feuer durch meine Lider. Es war wunderschön. Noch schöner, weil ich diesen Moment mit Isaac teilte. >Lass es größer werden. Nicht das Feuer in deinen Händen, aber das Feuer in dir.< Ich stellte mir mein Herz als ein mickriges Lagerfeuer vor. Klein und schwach. Isaac warf Holzspaten in die Flammen. Es wurde größer. Sein Gesicht wirkte unwirklich. Überirdisch. Die südländischen Züge wurden durch die Schatten und Licht-Reflektionen nur hervorgehoben, was eine überirdische Wirkung hatte. Das Feuer wurde größer und größer. >Jenna, mach die Augen auf.<, hörte ich ihn raunen. Meine Augen öffneten sich. Aus meinen Händen schossen Fontänen. Sie umschlossen uns wie eine Decke und streichelten uns. >Wenn du nur wüsstest, was dein Feuer mit einem macht.< Er streckte seine Finger nach oben und strich über die Flammen. Sobald er es berührte schloss er seine Augen und atmete tief durch. >Es ist anders, als das der anderen.< Ich beobachtete ihn. Er trug ein zartes Lächeln auf den Lippen. Auf seinen Lippen. >Voller Leben.<, flüsterte er, als versuche er das Knistern des Feuers nicht zu übertönen. Seine Augen fielen auf mich. Und wir dachten das Gleiche. Wir dachten das exakt Gleiche. Es brannte in seinen Pupillen. Ich wusste, er wollte mich. In diesem Moment wollte er mich. Hier unter meinem Feuer. Doch er senkte seinen Blick und trennte uns.
>Mach das nicht.< Das Feuer ging aus. Mir wurde sofort kalt.
Er schüttelte den Kopf. >Wir machen Schluss für heute.< Ohne mich noch einmal anzusehen, stand er auf und ging.
Ich blieb noch sitzen und wartete. >So ein Scheißdreck.< Voll geschwitzt, stinkend und allein. Wie könnte es einem besser gehen? Ich setzte mich auf und sah auf meine Hände. Mit dem Gedanken an seinem Gesicht im Licht der Flammen, schaffte ich es erneut Feuer steigen zu lassen. Es war nicht so groß wie vorher, da brauchte ich wohl noch etwas Unterstützung, aber es war größer als ich es je zuvor alleine geschafft hatte.
Zufrieden lächelnd verließ ich den Raum und die Halle.

Die Wochen vergingen. Ich erfuhr immer mehr über unsere Rasse über alles. Auch im Kämpfen und Bändigen wurde ich immer besser. Und das war nicht alles. Ich verbrachte fast gänzlich meine Zeit damit zu trainieren. Morgens und abends Krafttraining. Und meistens hatte ich keine Lust einzuschlafen, weshalb ich mich dann oft dazu entschied draußen im Garten weiter zu trainieren. Die Konsequenzen: 24h-Muskelkater. Es war erschreckend schmerzhaft. Dafür stieg ich zum Streber auf und durch meinen Auftritt in Halle 3 war ich Thema Nr. 1 im Internat. Noch dazu kamen die ganzen Kerle, die immer wieder versuchten an meine Wäsche zu kommen. Doch ich ließ sie nicht ran, denn ich machte mir Hoffnungen, dass Isaac sich unsterblich in mich verliebte und wir zusammen in den Sonnenuntergang ritten. Er hielt jedoch Abstand von mir. Sah mich nie zu lange an, berührte mich kaum, weshalb er beim Kämpfen fast nur auswich, er ließ sogar den Nachhilfeunterricht kürzer ausfallen, um mich von sich fern zu halten. Brody hingegen tat alles, um immer in meiner Nähe zu bleiben. Und ich mochte es. Sehr. Manchmal saßen wir auf der Wiese, nach dem Essen oder dem Joggen und redeten stundenlang miteinander oder schwiegen und hingen dabei unseren eigenen Gedanken nach. Genauso war es mit Beth. Sie wuchs mir mit jedem Tag mehr ans Herz. Und sie hatte recht gehabt, wir waren beste Freundinnen. Wir verbrachten so viel wie möglich Zeit miteinander, es war schrecklich, wenn sie nicht bei mir war. Ich war mir nur nicht sicher, ob diese wachesende Abhängigkeit gut oder schlecht war. Ich hatte noch nie Freunde, es fiel mir also schwer, einzuschätzen, was richtig war und was falsch.

Und dann tauchte wirklich dieser Begutachter auf, von dem Ken erzählt hatte. Er holte mich Freitag nach dem Unterricht ab und führte mich in einen Raum. Ähnlich wie der, in dem ich mit Isaac gewesen war, nur ohne das Gitter im Boden. Darin warteten er und ein Mann im Sakko, darunter eine Weste. Er sah aus wie der typische Engländer. Eine goldene Kette, die bestimmt zu einer Uhr gehörte, führte zu seiner Tasche. Alles an ihm strahlte Perfektion und Adel aus. Das begann bei seinen streng nach hinten gegelten Haaren und hörte bei seinen polierten Schuhen auf. Er musterte mich ernst. >Ihr habt recht. Sie ist stark.< Er lächelte. >Guten Tag, Ms. Young. Ich habe schon viel von dir gehört.< Das Klemmbrett in seiner Hand reichte er an Isaac weiter und kam auf mich zu. >Mr. Robinson.<, begrüßte er Ken.
Dieser senkte seinen Kopf. >Summe Legata.<, erwiderte er.
Er schüttelte meine Hand. >Wir werden ein paar Tests durchführen. Deine Rektoren erzählten mir, dass du Abweichungen von den anderen Schülern aufzeigst.< Ich nickte und linste zu Isaac, der hob einen Mundwinkel an. >Weißt du, welchem Element ich angehöre?< Er roch nach gar nichts. Oder vielleicht so, wie ich es mir an der Spitze eines Berges vorstellte. Fast erwartete ich einen kühlen Windstoß, der mir die Haar zerzauste.
>Luft.<
Er nickte. >So ist es, Liebes. Nun, wie du wahrscheinlich schon weißt, sind wir nur augenscheinlich Menschen. Wir haben jedoch gleichzeitig Attribute, die uns fast gänzlich von ihnen unterscheiden. Aber das weißt du bestimm. Tatsache ist...< Er stellte mich in die Mitte des Raumes. >... du bist ein Mensch. Das ist in der Geschichte der Bändiger noch nie passiert. Du verstehst also, weshalb das Ganze so skurril ist.< Ich nickte nur wieder. >Beginnen wir.< Er bekam ein Glas gereicht. >Darf ich darum bitten?< Ich sah auf das Glas, konzentrierte mich auf den Innenraum. Eine Flamme bildete sich darin. Er schloss das Glas luftdicht und nahm aus seiner Jackentasche, die erwartete Uhr heraus. Das Feuer blieb im Glas. Gespannt sahen wir alle vier hinein. Ich hielt das Feuer gedanklich weiter intakt. >2 Minuten. 2 Minuten und das Feuer ist noch immer an.<, merkte er an und sah mich an. >In dem Glas ist keine Luft mehr, aber das Feuer ist an.< Für eine Sekunde trat Ratlosigkeit in sein Gesicht. >Ihr meintet, dass sie fremdes Feuer gelegt hat?<, fragte er mit dem Blick immer noch auf das Glas gerichtet.
>Es war kaum möglich, es zu löschen. Das stärkste, dass ich je gesehen habe.<, kam es von Isaac.
>Spürt ihr auch diese... ?<
>Ja, Summe Legata. Ihre Wirkung geht durch die ganze Schule.< Das war Ken.
Er schnaubte. >Gut, ihr könnt gehen. Den Rest schaffe ich alleine.< Isaac und Ken gingen zur Tür und verließen den Raum. >Mir fällt gerade auf, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt habe. Meine Name ist Austin Brighton. Ich bin höchster Berater der Ær-Familie. Könnte ich deine Hände bekommen?< Ich legte sie auf seine, die er mit der Innenfläche nach oben vor sich streckte. >Ich werde dich... sozusagen durchleuchten. Es wird nicht wehtun. Einfach entspannen.< Er schloss seine Augen und atmete durch, ließ dabei seinen Kopf in den Nacken fallen. Argwöhnisch beobachtete ich ihn. >Entspann dich.< Ich sah auf unsere Hände runter. Zwischen ihnen wurde es warm. Ich spürte das Element in Austin, wie sehr er es liebte und wie tief er mit ihm verbunden war. Er sog scharf Luft ein. Es war fast so, als würde er suchend in mein Inneres greifen. Meine Schultern waren so verkrampft, es tat schon weh. So wie er es gesagt hatte, entspannte ich mich. Plötzlich erwachte zwischen unseren Händen ein Licht, welches uns wie eine Blase umfing. Austin entriss mir seine Hände und starrte mich an, als wäre ich ein Alien.
>Was ist? Irgendwas gesehen?<
Er schüttelte den Kopf. >Mr. Robinson!< Ken kam rein. >Bringt sie in den Unterricht.< Isaac umfasste meinen Ellenbogen und führte mich raus aus dem Zimmer.
>War's das schon? Was kam raus?<, fragte ich noch, aber Isaac blieb gnadenlos und schloss die Tür hinter mir. >Da war plötzlich Licht und dann.... dann hat er mich losgelassen und.... Er hat total komisch geguckt. Hab ich was falsch gemacht? Weißt du, ich habe richtig gefühlt, wie er gesucht hat.<, plapperte ich endlos.
Er brachte mich runter in den Matheunterricht. >Mr. Brighton wird uns das sicherlich bald erklären. Mach dir keine Sorgen.<, sagte er und schob mich ins Klassenzimmer. >Wir sehen uns zum Training. Sei pünktlich und fit. Letztes Mal, hast du ein wenig geschleift.<, sagte er im Weggehen.
>Du hast geschleift.< Ich hörte ihn lachen und trat in die Klasse.
Beth hatte mir wie immer einen Platz freigehalten. >Und was kam raus?<, flüsterte sie.
Ich zuckte mit der Schulter. >Keine Ahnung. Der hat total verrückt gespielt und mich weggeschickt.< Sie zog eine Grimasse.
Nach dem Unterricht gingen wir zusammen im Speisesaal essen. >Hoffen wir, dass es dem Freak gut geht, was?< Das waren wieder die blonden Wasser-Prinzessinnen.
>Stimmt denn etwas nicht mit dir?< Ich klaute ihr eine Handvoll Pommes frites und schob mir welche in den Mund.
>Was? Nur weil meine Beine sich nicht bei jedem Kerl automatisch spreizen, bin ich krank?<, konterte das eine Blondchen.
>Komm lass uns...< Beth zog mich mit sich.
>Hey, Jenna.< Jemand hielt mich am Arm fest. Ich sah mich um. >Kannst du mir bei... Mathe helfen?< Den Kerl kannte ich kaum. Ich denke, er hieß Jesse. Er war ein richtiger Schönling. Mein Blick fiel auf die Blonden. Ihre Augen wurden zu Schlitzen. Oh, dann stand wohl jemand auf Jesse. Warte, er sieht der einen ziemlich ähnlich. Geschwister? Oh, die würden sehen, was passierte, wenn man sich mit mir anlegte.
Ich lächelte ihn an. >Klar. Im Aufenthaltsraum um 18Uhr?<, schlug ich vor. Er nickte und ließ seine Augen wandern, bevor ich Beth und Brody aufholte.
Mit gefüllten Tabletts setzten wir uns zu Kyle und den anderen an den Tisch.
>War das jetzt echt nötig? Jesse ist ein Vollidiot.<
>Sein IQ interessiert mich, um ehrlich zu sein, nicht so sehr.<, erklärte ich und schob mir eine volle Gabel von dem Salat in den Mund. Ja, ich hielt sogar meinen Hunger zurück. Obwohl der Burger, auf Brodys Teller wirklich lecker aussah.
Er schnaubte und hielt ihn mir hin. >Du kannst abbeißen, wenn du magst.<
>Ich bin stärker, als mein Fleisch.< Ich wandte mich ab und sah missbilligend auf den Salat runter. 
Nach dem Mittagsunterricht machte ich mit Beth Hausaufgaben. Wobei wir weniger Hausaufgaben machten, als auf dem Rücken liegend über alles Mögliche zu reden. Hauptthema: Kerle.
>Ich denke, Brody steht auf dich.<, merkte sie an und drehte sich auf den Bauch. Sie verschränkte ihre Arme unter ihrem Kinn und grinste breit.
Lachend biss ich von der roten Lakritze ab. Eine volle Tüte lag zwischen uns auf dem Boden. >Ich hatte noch nie männliche Freunde.< Ich schloss meine Augen. >Eigentlich hatte ich noch nie Freunde.< Ich öffnete wieder meine Augen und drehte meinen Kopf zu Beth. >Ich kann ein ziemliches Ekel sein. Bin... ein ziemliches Ekel.<, murmelte ich. >Das war schon immer so. Es ist seltsam, aber ich kann das irgendwie nicht abstellen. Es gibt doch immer diese Momente, in denen man einfach wild drauflos redet oder irgendetwas tut, ohne über die Folgen nachgedacht zu haben.< Sie nickte. >Tja, dass mache ich die ganze Zeit. Pausenlos.<
Beth ergriff meine Hand und drückte sie leicht. >Keine Sorge, Liebling. Ich lass dich schon nicht alleine.< Ich lachte. >Und ich bin auch echt nicht sauer, dass du mir meine ganze Lakritze wegfrisst.< Ich verschluckte mich und setzte mich lachend auf. Beth klopfte mir auf den Rücken. >Ich würde sagen, bevor du noch erstickst, machen wir mit den Hausaufgaben weiter.< Nach der Hausaufgaben-Session musste ich zum Training. Es blieb ziemlich ruhig. Ich wusste, er würde mir nicht sagen, was bei den Tests heute rauskam. Wir sprachen kaum miteinander, aber ab und zu bemerkte ich, wie er mich beobachtete. Verwirrt und streng nachdenkend.
Mir gefiel nicht, wie sich das Ganze hier entwickelte. Unbehagen bildete sich langsam, wo ich doch dachte, dass ich mich hier wohlfühlen konnte.

Als ich den Aufenthaltsraum erreichte, saß Jesse schon darin. Er schaltete auf dem Fernseher gerade auf einen anderen Kanal. Auf den anderen Sofas saßen noch andere, die redeten, lachten oder ihren Aufgaben nachkamen. Ich setzte mich hinter Jesse und verdeckte seine Augen. >Wer bin ich?< Ich hörte ihn lachen.
>Ich hoffe doch Jenna.< Er sah sich zu mir um und grinste ein Star-Lächeln. Ich rutschte neben ihn auf das Sofa. >Na, was wollen wir machen, Jenna?< Unschuldig zuckte ich mit den Schultern und klimperte mit meinen Wimpern. >Komm mit.< Er umfing meine Hand und zog mich hinter sich her in den Flur, dabei stießen wir fast mit Isaac zusammen. >Oh, hey, Isaac.< Ich versteckte mich hinter Jesse und fluchte gedanklich. Es war doch immer dasselbe.
>Wo wollt ihr denn hin?<
>Einfach nur spazieren. Wir...<
Ich schob Jesse an Isaac vorbei. >Er lügt. Wir gehen rumknutschen. Irgendwelche Einwände? Ich denke nicht. Bis dann.< Mit diesen Worten hauten wir ab.
>Ich kann nicht glauben, dass du das gerade zu Isaac Conner gesagt hast.<
>So toll ist er nicht.<
>Er ist ein Held.<
Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer und schloss sie direkt hinter uns. >Es gibt bestimmt interessantere Dinge, die du mit deinem Mund machen kannst, als sprechen oder?< Nun begann er zu grinsen und kam auf mich zu. Er hielt meine Hände hinter meinem Rücken gefangen und küsste mich. Meine Beine schlangen sich um seine Hüfte.
>Du bist so heiß.< Jesse war Luft. Er war ein totaler Musterschüler. Also, wenn es um Sport ging. Wirklich ein genialer Kämpfer. Ich hatte ihn schon ein paar Mal in Aktion gesehen. Er war echt stark.
Er umfing meinen Hintern und schob mich höher, bis er mit seinen Lippen an mein Dekolleté konnte. >Es ist so, als würdest du in mir brennen.<, keuchte er.
Was?
Er küsste mich, wie ein Besessener. So hatte mich noch nie jemand geküsst. Als bekäme er keine Luft. Seine Finger bohrten sich fast schmerzhaft in mein Fleisch.
Mich weiter knutschend, trug er mich auf eins der Sofas und begann mir mein Oberteil auszuziehen.
>Nur damit du es weißt, wir werden nicht vögeln.<, erklärte ich ihm atemlos. Es schien, als höre er meine Worte nicht. Sobald meine Brust freilag wanderte er mit seinen Lippen zu meinem Nabel. >Jesse, hast du gehört?< Er knöpfte meine Hose auf und wollte diese und meinen Schlüpfer runterziehen. Ich hielt seine Hände fest. >He! Ich habe noch nicht einmal ein Kondom dabei. Du etwa?<
Verwundert blickte er mich an. >Lass es uns einfach tun. Du bist so schön. Wirklich.< Er zog mich an sich ran und küsste mich wieder. Mir wurde heiß. Es war seine Körperwärme. Sie war einengend und widerlich. Seine Brust presste sich fest an mich. Drückte mir die Atemwege ab.
Ich schüttelte den Kopf. >Nein.< Seine Finger schlüpften unter meinen Hosenbund. >Nein, verdammt.< Ich stieß ihn von mir.
Er lehnte sich zu mir vor. >Was? Warum?< Ich verzog argwöhnisch das Gesicht. Was war zum Teufel mit ihm los?
>Ich will keinen Sex. Nicht jetzt. Nicht hier.<
Sekundenlang schwieg er. Der Schein kehrte in seine Augen zurück und er blinzelte etwas. >In Ordnung.<, murmelte er und fiel erneut über mich her.

8. Hexer

Nach der mehr als erschreckenden Knutschrunde mit Jesse, rannte ich schnell hoch in mein Zimmer, zog mich um und rannte wieder runter in den Trainingsraum. Isaac saß auf dem Boden und blätterte durch ein Buch. >Sorry. Tut mir echt leid. Ich brauch kein Aufwärmtraining, Rennen war echt schon genug. Wir können also sofort loslegen.<
Isaac zeigte auf eine Tür. >Da drinnen sind Gewichte. Bring 10kg, 20kg, und 30kg raus. 20 Mal jeweils.<, sagte er, seine Augen immer noch im Buch versunken.
>Ernsthaft? Isaac, hab Erbarmen.<
>30 Mal jeweils.<
>Was?<, stieß ich ungläubig aus. Er durchbohrte mich wütend mit seinem Blick. Sein ganzes Gesicht hatte seine Weichheit verloren. Hier vor mir war Isaac Conner, der Unschlagbare. Ich hatte ihn jedoch nie wirklich in Aktion gesehen. Nur bei diesen Übungskämpfen mit mir. Wie stellte er sich wohl bei ernsthaften Kämpfen an? >Ich mach ja schon.< Ich ging in den Raum und begann die Gewichte raus zutragen. Verdammt waren die schwer. Nachdem ich sie draußen abgestellt hatte, begann ich sie zu stemmen. Erst die 10kg. >Dieses Legata-Ding habe ich langsam echt verstanden, aber hier sind ja auch Lehrer. Und die Frauen hier sind echt nicht ohne. Das wäre doch kein Problem oder?<, fragte ich und nahm tief Luft.
>Nein, mit den Lehrerinnen wäre es kein Problem.<

Ich nickte. >Und?<
Genervt seufzte er und stützte sein Kinn in seine Hand. >Was und?<
>Sag schon, läuft da was? Du bist bestimmt total gefragt oder?<, fragte ich grinsend.
Er schüttelte den Kopf. >Das Leben dreht sich nicht darum, wie viele Personen man ins Bett kriegt, Jenna. Um ehrlich zu sein, ist das ein ziemlich erbärmlicher Lebenssinn.<, murmelte er und las weiter. Mir fiel das Gewicht aus der Hand. Er sah erschrocken zu mir auf. Es musste mir im Gesicht stehen, wie sehr seine Worte mich verletzt hatten. >Es...< Er stand auf und kam auf mich zu. >Es... tut mir leid. Ich habe einfach nur...<
Schulterzuckend sah ich zu Boden. Meine Augen begannen zu brennen. >Kein Problem. Du hast ja recht. Les´ weiter.< Ich hob die Gewichte auf und begann sie zu stemmen.
Isaac stellte sich vor mich. >Ich hatte nicht die Erlaubnis, dass zu sagen. Es tut mir leid.<
Ich hob die Gewichte und irgendwann wandte Isaac sich wieder ab. Er band seine Haare zu einem Zopf zusammen. Nachdem ich meine Übung beendet hatte, stellten wir uns zum Kampf in einem feuerfesten Raum auf. In seinem Gesicht lag immer noch die Entschuldigung. Ich wusste, es tat ihm leid. Eigentlich tat es auch nur weh, weil seine Worte stimmten.
Ach, scheiß drauf.
Ich rannte auf Isaac los und bildete eine Feuerwand vor uns. Anstatt auf ihn drauf zu springen, rutschte ich jedoch zwischen seinen Beinen hindurch. Er packte mich an meinen Armen und schleuderte mich gegen die Wand. Gerade rechtzeitig schaffte ich es, richtig auf ihr zu landen, um mich gleich darauf von ihr abzudrücken und auf Isaac zu zusteuern. Dieses Mal direkt auf seine Mitte. So schnell ich konnte, feuerte ich Fausthiebe auf ihn ab, doch er blockte sie alle problemlos ab. >Schneller.<, forderte er mich auf. Ich sprang hoch und traf ihn mit einem Doppelkick an der Brust. Er packte mein Bein und riss mich zu Boden. Schnell rollte ich mich ab, bevor seine Fäuste mich trafen.
So ging es weiter. Wie erwartet, verlor ich und lag am Ende atemlos und mit schmerzenden Muskeln auf dem Boden. Isaac streckte mir seine Hand zu. Ihn hatte der Kampf völlig kalt gelassen. >Gut gemacht. Du hast dich wirklich gesteigert.<, lobte er mich. Ich schob seine Hand weg und stellte mich selber auf. Das Lächeln auf seinem Gesicht schwand.
>Sind wir fertig?<, fragte ich und rieb mir meinen Oberarm. Das würde einen blauen Fleck geben.
Isaac sah auf die Uhr. Es war schon Abend. Wir hatten länger gebraucht, als sonst. >Natürlich. Du kannst gehen.< Ich ging zur Tür und wollte gerade gehen, da rief er mich zurück. >Jenna,...< Ich sah ihn an und wollte schon ansetzten, ihn vom Entschuldigen abzuhalten. Er schüttelte den Kopf. >Schon gut. Bis morgen.<
Ich drehte mich um und ging.

Ich lag im Bett auf dem Rücken und starrte zur Decke hinauf. So begannen diese Nächte voll Selbstmitleid. Ich schlief in letzter Zeit kaum mehr als 4h pro Nacht. Mit dem Training zusammen, war das wirklich eine gefährlich Mischung. Nun war ich aber so erschöpft, dass ich es nicht mehr schaffte, genügend Kraft aufzuwenden, um meinen Traum zu träumen.
Es klopfte an der Tür. Beth öffnete sie. >Wollen wir in die Stadt?< Ich sah auf die Uhr. Es war Viertel vor 22 Uhr. >Brody fährt uns und die anderen kommen auch noch mit. Sie haben schon die Schlüssel. Musst dich nur noch umziehen. So kannst du nicht raus.< Schmunzelnd sah ich an mir runter. In meinen Jogginghosen und dem Schlabbershirt, war ich wirklich keine Augenweide. Schnell schlüpfte ich in Jeans und einen dünnen Pullover.
Unten am Eingang erwartete uns Brody. >Die anderen sind schon vorgegangen. Es gibt da einen Club, der soll cool sein.< Er legte seine Arme um uns beide. >Spürt ihr das auch?<, fragte er, als wir nach draußen traten. >Es wird immer wärmer. Wann sehe ich euch eigentlich mal im Bikini?<
Beth verdrehte die Augen und klaute Brody den Schlüssel zum Wagen. Lachend folgte ich ihr und stieg vorne ein. Ein Lied erklang hinter mir. >Hallo?<, sprach Beth in ihr Handy.
Brody stieg auf der Fahrerseite ein und fuhr los. >Heute sind ziemlich viele unterwegs. Das Wochenende ist bei uns immer die heiße Phase, das ist dir bestimmt schon aufgefallen.<, scherzte Brody.
>Ja, wir fahren gerade hin. Geh ins Sekretariat, da sind noch Lehrer...<
>Wie lief es mit Jesse?<, fragte Brody.
Ich zuckte mit den Schultern und sah zu ihm rüber. >Was interessiert dich das immer, was ich mit anderen Kerlen mache?<, lächelte ich.
Seine Augen liefen runter zu meinen Lippen. >Einfach so.<
>Sieh auf die Straße.<, forderte ich ihn auf und drehte seinen Kopf.
Wir fuhren zu diesem Club. Es war wirklich nicht das Feinste, aber die Musik war laut genug und die Aussicht ganz ok. Ich zog Beth sofort mit mir auf die Tanzfläche und wir legten los. Dort tanzten wir erst einmal eine Runde. Penny fand uns glücklicherweise in dem Getümmel. Nach ihrem ständigen Gekicher zu urteilen und dem starken Alkoholgeruch, hatte sie wohl schon ein paar Gläser gekippt.
>Hey, da ist so ein Kerl an der Bar, der spendiert wirklich jeder mit einem Ausschnitt einen Drink.<, kicherte sie. Beth klatschte begeistert in die Hände und tänzelte zur Bar. >Schwarze Haare und Goldkette!<, rief Penny und streckte dann ihre Arme zu ihrem Bruder aus. >Komm her, Kylie Minouge!< Er hielt in seiner Hand ein Glas gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit und grinste sie breit an. Die rötliche Verfärbung auf seiner Nase bewies seinen Promille-Wert. Zusammen begannen sie den Ententanz zu machen, was ich zum Schreien komisch fand.
Sie zogen mich in ihren Kreis und feuerten mich an, mit zu tanzen. Um meinen Hals legten sich zwei Arme. Ich drehte mich zum Fremden um und lächelte, denn es war Brody. Er hielt mir ein Glas hin. >Was ist das?<, fragte ich.
>Keine Sorge, Cola. Nur Cola.< Argwöhnisch hob ich eine Braue an. Er schnaubte und drückte es mir in die Hand. >Ich würde dich doch niemals betrunken machen, damit ich danach mit auf dein Zimmer kann und du dann in Unterwäsche vor mir tanzt... Das würde ich niemals tun.<, sagte er, trank von seinem Glas und sah gespielt nervös von Seite zu Seite.
Ich klopfte ihm tadelnd auf die Brust und lächelte. >Vielen Dank, mein Freund.< Beth gesellte sich mit einem Drink in der Hand zu uns. Ihr Oberteil hatte sie soweit runter gezogen, dass man die Ansätze ihres pinken BH´s sehen konnte. Wir tanzten die ganze Nacht durch. Brody war wie mein Leibwächter. Er hielt alle Kerle von mir fern, Kyle, Jack und Paul mit eingeschlossen. Beth lächelte, was ich demonstrativ ignorierte. Mir fiel dabei immer wieder dieser Kerl von der Bar auf. Es war wahrscheinlich der Typ, von dem Penny und Beth ihre Drinks bekommen hatten. Er hatte, wie erwähnt, schwarze Haare. Sie reichten ihm bis zu den Schultern. Seine Augen erinnerten an die einer Raubkatze. Die Art und Weise, wie er die Tanzfläche analysierte, seine Mundwinkel hoch zucken ließ und genüsslich an seinem Drink nippte. Er saß schon eine ganze Weile dort und trank auch eine Menge, doch von seiner Eleganz schwand nichts. Und dann war da das noch mit seiner Haut. Sie war furchtbar bleich, hatte aber gleichzeitig einen grünlichen Stich. Er schimmerte schon fast reptilienartig. Von ihm ging etwas aus.
Er erblickte mich. Seine Augen wurden zu Schlitzen. >Alles klar, Jenna?<
Der Kerl starrte mich weiter an. >Siehst du den? Mit dem ist doch was nicht richtig oder?<, fragte ich Brody.
Er folgte meinem Blick. >Ja, er ist... Warte mal.< Er umfing meine Taille, während seine Augen sich weiteten. Sein Griff wurde fester. >Leute, wir gehen!<, brüllte er über die Musik hinweg zu den anderen. >Scheiße, die beiden Idioten sind so dicht, die hätten noch nicht einmal einen Bären vor ihrer Nase erkannt.<, knurrte er.
>Was ist denn?<
>Sieh ihn nicht an.<, flüsterte er mir ins Ohr und sah sich zu unseren Freunden um. >Würdet ihr euch verdammt nochmal bewegen?! Paul, ich hoffe, du hast nichts getrunken!< Brody schob mich weiter zum Ausgang und linste zu dem Typen an der Bar, der uns immer noch beobachtete. >Sagt den anderen Bescheid, wir müssen hier weg!<, rief er zurück. Wir erreichten den Parkplatz und steuerten direkt auf unseren Wagen zu.
Schnell stiegen wir ein. Beth quetschte sich zu Penny, Kyle und den anderen auf die Hinterbank. >Was war los, verdammt?<, fluchte Paul und lehnte seinen Kopf auf die Rückenlehne. Brody fuhr los. Und wie. Die Häuser auf beiden Seiten verschwammen zu einem einzigen Film.
>Wenn die zwei Süßen hinter uns nicht so viele Gläser gekippt hätten, hätten die vielleicht den Hexer gesehen.<
Ungläubig sah Paul sich um. Seine blauen Augen wurden riesig. >Scheiße, wirklich?<
>Wir müssen hier schnell weg und das melden. Habt ihr den anderen Bescheid gegeben?<, fragte er.
>Ja. Die sind los. Wir.... Brody, stop!< Paul zeigte vor uns. Dort stand der Typ aus der Bar.
>Scheiße.<, zischte Brody. Er stand einfach da. Von wo kam er her? >Jenna, fahr du weiter.<
>Was? He, was hast du vor?< Er stieg aus und schloss die Tür.
Paul schob das Mädchen von seinem Schoss. Ich erinnerte mich nicht mehr an ihren Namen. >Ruf in der Schule an und pass auf die Schnapsdrosseln auf.<, sagte er noch, bevor er ausstieg. Beth und Penny schliefen hinten gemütlich, während Brody und Paul sich in der Mitte der Straße aufstellten. Und dann plötzlich ging es los. Es war schwer es mit dem Auge zu verfolgen. Paul errichtete ein Loch im Boden, worin der Hexer verschwand. Von einem Moment auf den anderen hin wurde der zu schwarzem Rauch. Brody bewegte seine Hände wild vor sich und senkte die lebendige Rauchwolke in das Loch zurück. Paul sprintete los und sprang über das Loch, dabei zog er eine dicke Decke aus Asphalt hinter sich her und versuchte dieses zu schließen, doch gleich darauf entlud sich unter ihm eine Explosion und er schleuderte zurück. >Fahrt los!<, rief Brody. Die Autos der anderen Schüler erreichten uns. Wir fuhren los und rasten an ihnen vorbei. Hinter uns explodierte es auf einmal.
Ich sah mich um und wollte zurück. Mein Blick fiel auf Beth und Penny, die vollkommen außer Gefecht waren. >Scheiße, scheiße, scheiße.< Ein lauter Schrei. Brody? Ich lenkte an den Straßenrand und drückte auf die Bremse. >Beth.< Ich stieg zu ihr nach hinten und schüttelte sie.
>W-was?<, murmelte sie und öffnete flatternd ihre Lider.
>Hier, ruf Isaac an. Mach schnell. Hier ist ein Hexer und wir schaffen das nicht.< Hätte ein Psychologe mich sprechen gehört, hätte er mich wahrscheinlich sofort eingewiesen. Verständlich.
Es riss Beth aus ihrer Trance. >Hexer? Wo? Verdammt, wir müssen hier weg.<, keuchte sie.
Ich schüttelte den Kopf. >Nein, ruf an.< Drängend drückte ich ihr mein Handy an die Brust. Ich stieg aus und joggte zurück.
>Jenna, was läuft da?< Das war James. Er saß in dem Auto.
>Ein Hexer!<, rief ich und rannte weiter auf Brody und Paul los. Der Kerl packte jeden an der Kehle und hob sie hoch, als wären sie nichts. Sie beide bluteten und keuchten schmerzerfüllt. Ich wich zurück. Gott sei Dank war das ein Landweg. Hätten Menschen das gesehen, wäre keine Sekunde vergangen, bis die Polizei hier gewesen wäre.
Die Autos auf der Straße hielten an und weitere Schüler stiegen aus. Ich war verblüfft, welch eisernen Ausdruck sie im Gesicht trugen.
Der Hexer warf die beiden zu Boden und lächelte mich an. Eine schlangenartige Zunge fuhr über seine Unterlippe. >Riecht ihr das?< Der modrige Geruch, der von ihm ausging nistete sich in meiner Nase ein. Er kam auf uns zu geschlendert, seine fast gelben Augen immer noch auf mir liegend. Und dann sprang er uns an. Er steuerte direkt auf mich zu und ich dummes Ding, wusste nicht mich besser zu verteidigen, als meine Arme schützend vor mein Gesicht zu halten. Doch es kam zu keinem Zusammenstoß. Vor mir baute sich eine Wand aus Bändigern auf. Sie hoben ihre Arme. Feuer, Wasser, Luft und Erde schossen auf den Hexer. Unglaublich, was für eine Kraft sie hatten, doch der Hexer hatte für alles eine Parole. Ich riss meine Faust über sein Gesicht und ließ einen Kick folgen. Der Hexer flog auf den Asphalt, woraufhin sich James auf ihn stürzte und mit einer von Feuer umhüllten Faust dessen Kiefer bearbeitete.
Ein Mädchen mit grünen Haaren sammelte aus dem Strauch am Straßenrand das Wasser und formte einen Dolch daraus. Mit dem in beiden Händen wollte sie auf die Brust des Hexers einstechen, doch der rollte sich ab, schleuderte James in die eine Richtung und das Mädchen in die andere. Sein Gesicht war zu einer verzerrten Fratze verzogen. Kaum mehr was zu erkennen von dem Mann zuvor.
Wieder versuchte er auf mich los zu gehen. Gerade setzte ich zum Schlag aus, da tauchte Brody auf und zog den Hexer in einen Wirbelsturm hinein. Wütend versuchte er aus dem Trichter zu flüchten, doch er schien nicht stark genug zu sein, entkommen zu können. >Hier.< Er reichte mir ein Taschenmesser. Blut tropfte aus seinem Mundwinkel. >Das Herz.<
Ich sah auf das silberne Funkeln in meiner Hand und dann auf den Teil von Brodys Gesicht, den ich aus dem Winkel sehen konnte. >O-ok.< Bevor mich mein Mut verließ sprang ich vor ihn und rannte direkt auf den Hexer zu. Überrascht von diesem Frontalangriff, bekam ich meine Chance. Mit aller Wucht, die ich aufnehmen konnte, packte ich das Messer und rammte es dem Hexer in die Brust. Mein Herz hielt für eine Sekunde inne und dann verschwand ich...

9. Schwindel

Nicht mal eine Sekunde später saß ich auf einem Körper, dieser war enthauptet und in seiner Brust klaffte eine riesige Wunde. Der Kopf des Hexers lag ungefähr 4m weiter auf dem Boden und blutete schleimiges, schwarzes Blut. Die Augen waren weitaufgerissen und auf mich gerichtet. Ich schrie auf und rutschte von der Leiche weg. >Oh mein Gott! Oh mein Gott!< An meinen Händen lief das Blut von ihm runter bis zu meinen Ellenbogen. Es stank, brannte und klebte auf widerliche Weise. Keuchend sah ich mich um. Die Schüler standen fassungslos im Kreis um mich herum. Ich wischte mit meinen Händen über den Bordstein, bis der raue Stein mir meine Innenflächen aufschürfte.
>Jenna. Jenna, schon gut. Komm her.< Brody half mir auf die Beine.
>Ich... erinnere mich nicht. Ich habe das nicht... gemacht...< Isaac und Ken standen unter den Schülern, die sich immer noch nicht vom Fleck rührten.
>In Ordnung. Steigt in die Autos und fahrt zurück. Die Lehrer erwarten euch und meldet euch bei der Krankenstation, bevor ihr auf eure Zimmer geht.< Ken ging zur Leiche. >Wir müssen sie verbrennen. Los, ab in den Wagen mit ihr.< Sie trugen die Leiche in den Laderaum des Transporters.
Brody humpelte etwas. Ich sah zu ihm hoch und versuchte ihn zu stützen, doch ich war selber viel zu schwach, weswegen meine Stütze dürftig ausfiel. >Geht... geht es dir gut?< Er lächelte mich zärtlich an und nickte. >Was habe ich getan? Ich erinnere...< Meine Hände begannen schrecklich zu zittern.
Brody umfing sie und drückte sie vorsichtig. Ihn interessierte das Blut nicht. >Schon gut, Jenna. Wir gehen nachhause und holen uns dort eine Mütze Schlaf.< Er setzte mich in das Auto. Die anderen Lehrer, die außer den Rektoren noch anwesend waren, brachten die restlichen Schüler dazu, in ihre Autos zu steigen und endlich loszufahren.
Beth zog mich sofort in ihre Arme. >Gott, verdammt. Was war nur los? Das...< Ihre Augen waren rotunterlaufen und glasig. Sie war noch ordentlich betrunken, doch der Schock hatte sie etwas ausgenüchtert.
Ich zitterte in ihren Armen und versteckte mein Gesicht an ihrer Brust. >Ich hab keine Ahnung. Es ist...< Ich gab auf, das Geschehene in Worte zu fassen und krallte mich einfach in ihrem Oberteil fest. Keine Tränen, aber scheiße viel Angst.
Im Internat angekommen, steuerten wir sofort die Krankenstation an. Dort herrschte heller Aufruhr. Leute riefen umher. Ich erblickte James. Ihm wurde ein Verband um die Brust gewickelt. Purpurne Flecken bedeckten seine Seite. >Ich... dachte, irgendein Idiot von der Bar... Ich konnte nicht wissen, dass es ein Hexer...< Sobald er mich erblickte, starrte er mich mit offenem Mund an. Mehrere Schüler taten es ihm nah. Nur noch die Befehle der Ärzte und Schwestern waren zu hören. Sie bedachten mich lediglich eines kurzen Blickes und machten dann professionell weiter.
Brody setzte mich auf eine Liege und bekam sofort von einer Frau die Wunden im Gesicht desinfiziert. Alles war auf einmal weit weg. Ich hörte die Stimmen der anderen nur noch von ganz fern. Als wäre ich unter Wasser. Kaltem Wasser. Kaltes Wasser ist scheiße.
Mir wurde Licht in die Augen geleuchtet. Überall Blut. Sie legten mir etwas um den Arm und säuberte meine Arme. Dieses dunkle schwarze Blut.
Ein kalter Kreis legte sich an meine Brust.
Es klebte auf meiner Haut und es stank bestialisch.
Am Tonfall konnte ich hören, dass mir eine Menge Fragen gestellt wurden. Ich sah auf in die grauen Augen des Arztes. Er machte ein mitleidiges Gesicht und sah sich nach hinten um. Um ihn herum war überall helles Licht, als wäre er ein Engel. Er drückte mir einen Kegel mit einer abgeflachten Spitze in die Hand. Er sagte mir etwas, doch ich verstand nicht was.
Beth brachte mich hoch. >Los, leg dich hin.< Ich hörte. Für einen Moment verschwand sie im Bad. >Hier, trink das.< Sie reichte mir einen durchsichtigen gelben Becher. Er war mit Wasser gefüllt. >Der Doktor hat dir Tabletten verabreicht. Schlaftabletten.<
Ich sah die Tabletten an. >Ich will nicht schlafen.<, murmelte ich und kratzte mir die Stirn.
>Du brauchst Schlaf.<
>Ich kann nicht schlafen.<
>Ja, das sieht man dir an. Du hast Glück, dass du so hübsch bist. Jeder andere würde mittlerweile wie ein Zombie aussehen.< Sie tätschelte meine Schulter und gab mir die Tabletten. >Nimm sie, bitte.< Widerwillig nahm ich die Medikamente ein und trank das Wasser. >Das war verrückt. Ich weiß wirklich nicht...< Sie fuhr sich durchs Haar. >Geht es dir gut?<, fragte sie und drückte meine Hand. Ich schüttelte den Kopf. Sie verstand. >In Ordnung. Soll ich bleiben?< Ich verneinte. >Bist du dir sicher?< Ich nickte. >Es würde mir nichts ausmachen,...<
>Bitte geh, Beth. Ich möchte alleine sein.<
Sie nickte. >In Ordnung. Schlaf gut.<
>Danke, Beth.<
>Kein Problem, Schätzchen. Schlaf jetzt.< Nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, kuschelte ich mich tief unter die Decke.
Ich schloss meine Augen. Dieser... Der Hexer. Ich verstand nicht, was passiert war. Ich konnte mich nicht erinnern. Plötzlich war ich einfach weg. Einfach weg, verdammt. Wie war das möglich? Sein Kopf lag abgetrennt neben seinem Körper. Das schwarze Blut war überall gewesen. Überall.
Wie erwartete träumte ich vom Tod meiner Eltern. Doch nun wurden nicht nur die Leichen von ihnen und den Feuerwehrmännern rausgetragen, sondern auch die des Hexers. Stand dem Geruch von brennender Tapete, Möbeln und dem Rest des Hauses, umschloss mich der verwesende Gestank des Hexers und seines Blutes. Die Träger der Leichen verzogen keine Miene. Neben dem Schmerz wegen des Vorfalls, echote auch die emotionslose Professionalität im Hintergrund ihrer Gesichtszüge. Ich konnte die Stiefel des Hexers hervor lugen sehen. Gleichdarauf verschob sich das Laken und sein Kopf viel von der Trage.
Schreiend setzte ich mich auf.
Mir wurde sofort schwindlig und ich hielt mich am Nachttisch fest. Mein Kopf schmerzte so sehr. Ich atmete langsam durch und stieg vom Bett. Erst trank ich aus dem Becher und taumelte ins Bad, trank erneut aus dem Wasserhahn und wusch mir das Gesicht. >Reiß dich endlich zusammen.< Ich band meine Haare zu einem Zopf zusammen und sah mich im Spiegel an. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich entschied mich also dazu zu lernen und den ganzen Sonntag in meiner Decke eingewickelt auf dem Bett zu verbringen. Ich war müde und genervt und wollte niemanden bei mir haben. Gut, dass ich ein Kotzbrocken und Mörderin war. So hielt ich mir die Menschen sicher fern.

Vor allen anderen saß ich am Montag geduscht, angezogen und wach im Speisesaal und frühstückte. Wobei es lediglich aus einer Tasse Kaffee und einem kleinen Früchtesalat bestand. Beth setzte sich vorsichtig neben mich. >Morgen.< Ich nickte und aß weiter. Vor mir lag ein Buch aus der Bibliothek. Es ging um Hexen und wie man sie bekämpfen konnte. >Willst du nicht lieber mehr essen?<
>Ich hab nicht so Hunger.<, erwiderte ich und lächelte. >Aber du solltest dir was besorgen. Du siehst fertig aus.< Erleichtert lachte sie und stieß mich an. Sie stand auf und holte sich mit den anderen etwas zu essen. Ich spürte die Blicke der anderen deutlich in meinem Rücken, doch ich ignorierte sie und kaute auf dem Stück Ananas herum. Mir war schlecht und das Obst war so süß, dass mein ganzer Mund sich zusammenzog.
Arme legten sich um meinen Nacken. Ich zuckte zusammen. >Guten Morgen. Geht es dir gut?< Die Stimme erkannte ich sofort. Es war Brody. Ich drehte mich zu ihm um und zuckte erneut zusammen. Auf seinem Hals war der Abdruck von der Hand des Hexers. Ein blaues Auge reichte bis über seine Wange. Unter seinem T-Shirt erkannte ich einen Verband. Vorsichtig strich ich über die Blutergüsse in seinem Gesicht. Er machte eine wegwerfende Bewegung. >Es sieht schlimmer aus, als es eigentlich ist. Wirklich.< Er griff nach meiner Hand und fuhr mit dem Daumen über meinen Handrücken. >Wie geht es dir?<
>Gut, aber mir ist ja auch nichts passiert. Ich hätte früher kommen sollen. Wir alle hätten...<
Er schüttelte den Kopf. >Wir haben versucht was wir konnten. Wenigstens wissen wir jetzt, dass es scheiße nochmal zu früh für uns ist.< Er machte sich auch noch lustig darüber.
>Er hätte dich umbringen können.<, hauchte ich.
Lächelnd legte er seinen Kopf schief. >Oh, bedeute ich dir so viel?<
>Das ist nicht witzig.< Ich entzog ihm meine Hand und drehte mich wieder zum Tisch.
Er setzte sich neben mich. >Tut mir leid. Konntest du schlafen?< Ich zuckte mit einer Schulter. Die anderen setzten sich zu uns und begannen zu essen. Gezielt sprachen sie nicht über den gestrigen Vorfall und versuchten so gut wie möglich über positive Dinge zu sprechen, beziehungsweise normal zu wirken. >Sag mal, Jenna, wie war es den Hexer abzumurksen? Unglaublich, Mann. Weißt du schon, ob du ein Tattoo bekommen wirst?<, fragte ein Schüler hinter mir aufgeregt.
>Was für ein Tattoo zum Teufel?<
Als nächstes ein Mädchen mit blonden Haaren. >Komm schon. Jetzt sei nicht so zickig. Du kannst es schon erzählen. Wie war es, huh?<
Ich stand auf. >Ich kann´s an dir vorführen.< Und sie fuhr doch wirklich zurück, als hätte ich irgendeine ansteckende Krankheit.
>Ja, wäre gut, du haust ab.< Brody baute sich neben mir auf.
Ungläubig blickte sie zwischen mir und Brody hin und her. >Was soll das? Seit ihr jetzt das Killer-Pärchen oder was?<, scherzte sie und ging weiter.
Ich räumte mein Tablett ab und stürmte aus dem Speisesaal. Ignorierte dabei die Fragen meiner Mitschüler und ging direkt in mein Zimmer.

Die Fragerei in dem Speisesaal ging im Unterricht weiter. Die Lehrer schafften es kaum die Schüler davon abzuhalten, ihren Mund zu halten. Und als sie die dann zur Ruhe gebracht hatten, fragten sie die Lehrer.
>Oliver, kann Jenna nicht davon erzählen, wie sie den Hexer geköpft hat?<, fragte einer. Die anderen stimmten ihm lautstark zu.
Oliver schmunzelte. >Soweit ich weiß, bin ich der Lehrer. Und solange ich nicht sage, dass Jenna den Unterricht führt, wird das auch nicht passieren.<
>Hast du schon mal einen Hexer umgebracht?<
>Darum geht es nicht. Noch einmal, wenn ihr über das Töten von Hexern sprechen wollt, geht ihr in den Unterricht von dem dementsprechenden Lehrer, verstanden?<
>Klar, hat er. Siehst du nicht die Tattoos?<
Schon wieder diese Tattoos. Was war das mit diesen scheiß Tattoos?
>So. Der nächste, der das Thema anspricht fliegt raus und geht ab zu den Rektoren. Noch ein Wort?< Niemand sagte mehr was. >Gut, dann können wir ja endlich weitermachen.<
Durch diese Diskussion mussten wir bei jedem Lehrer durch und bei jedem Mal wurde mein Geduldsfaden kürzer.

Genervt tauchte ich beim Training nach dem Unterricht auf. Es war nichts aufgebaut. Isaac lehnte an der Wand. >Trainieren wir nicht?<, fragte ich.
Er stellte sich auf. >Doch, wir trainieren. Wir werden laufen gehen.< Erst dachte ich, er würde versuchen mich zu schonen, doch das war nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Wir verließen das Grundstück der Schule und begannen unseren Lauf. Isaacs Geschwindigkeit war kaum zu übertreffen. Und er machte auch keine Pause, drosselte nicht einmal das Tempo und sprach auch kein Wort.
Jedoch entspannte das Laufen ungemein. Und es war eine Erleichterung, dass Isaac mich nicht ausfragte. Die frische Luft war hypnotisierend. Das Gras, die Erde, die Bäume... Es war eine wirkliche Wohltat.
Meine Augen tanzten zwischen dem Wald um uns und Isaac hin und her. Er passte perfekt in diese Umgebung hinein. Und man sah ihm an, dass er es liebte mit seinen Turnschuhen auf dem weichen Pfad aufzutreten und das Geräusch vom Wind in den Blättern.
Wir rannten nun schon über 2h durch. Meine Lunge glich einer Wüste, meine Arme und Beine waren schwer wie Blei und ich war mir sicher, dass ich auch nicht mehr ganz schweißfrei war. Ich blieb stehen, stützte mich auf meinen Knien ab und rang nach Luft. Entfernt konnte ich hören wie Isaacs Schritte verstummten. >Ich... kann nicht... mehr.<, keuchte ich.
Seine Schuhe traten in meinen Blickwinkel. >Wir können wohl eine kurze Pause machen. Dort ist ein...< Ich ließ mich auf den Boden fallen. >Oder du setzt dich hier hin.<
Ich öffnete meinen Zopf und fuhr mit meinen Händen über meine Kopfhaut. >Hast ja keine Ahnung, wie unangenehm so ein Pferdeschwanz sein kann.<, murmelte ich. >Oh, warte. Doch, weißt du.<
>Wenn du alleine trainierst, kannst du sie ja offen lassen.<
Seufzend lehnte ich meine Stirn an meine Knie. >Willst du nicht wissen, wie es mir wegen des Vorfalls gestern geht?<, fragte ich mit trotzigem Unterton. Er war noch nicht einmal außer Atem.
>Willst du denn, dass ich es weiß?<
>Was sind das eigentlich für Tattoos von denen alle reden?<
>Es ist bei uns Tradition, dass man tätowiert wird als Zeichen für die Befreiung unsereins von Hexen.<, erklärte er monoton und ließ seinen Blick über die Bäume gleiten.
Ich sah zu ihm hoch. >Für die Befreiung unsereins von Hexen? Für jeden einzelnen bekommt man ein Tattoo?<
Er schüttelte den Kopf. >Nein. Es gibt ein Zeichen, das jeder, der je einen Hexer getötet hat, bekommt. Bändiger, die sich dann dazu entscheiden ihr Leben dem Schutz der Königsfamilien zu widmen, bekommen dann Zeichen tätowiert, die zeigen, welchem Rang er angehört.<
Ich nickte nur. >Werde ich jetzt auch so eins bekommen?<
>Wir sind uns noch nicht sicher. Normalerweise bekommt man erst ein Zeichen dafür, dass man eingewiesen wurde in unsere Geschichte. Sozusagen als Schulabschluss und erst ab da... kann man dieses Tattoo bekommen. Ich denke aber, es wäre nur fair, dir auch eins zu geben.<
>Du hast auch eins oder?< Er nickte. >Darf ich es sehen?<
Er betrachtete mich abschätzend, bevor er sich umdrehte und seinen Zopf anhob. Auf seinem Nacken war die Viersäftelehre Aristoteles' aufgezeichnet. Ich kannte das Zeichen, weil  ich es mir tätowieren wollte. Schon vorher. Nie wusste ich, warum. Das Zeichen sprach mich einfach an. Verrückt, dass er mir nun wieder begegnete. Es war ein Kreis, der sozusagen aus einem Knoten bestand und zu vier Seiten ausschlug.
Bevor ich mich versah streckte ich meine Hand zu ihm aus und fuhr vorsichtig mit meinen zitternden Fingern über die gezeichnete Haut. Warm. Darunter konnte ich deutlich seine Muskeln spüren. Und... seinen rasenden Puls. >Es ist sehr schön.<, flüsterte ich leise, beendete den Kontakt zu ihm aber nicht.
>Es ist nicht dazu gedacht, schön zu sein.<, murmelte er. Er hatte die Luft angehalten.
Ich fuhr weiter über seinen Nacken zu seiner rechten Schulter. >Die Viersäftelehre von Aristoteles.< Er nickte, drehte sich noch nicht um, genauso wenig wie ich aufhörte über das Tattoo zu streichen. >Gefallen dir meine Tattoos?< Was für eine dumme, kindische Frage.
Er schwieg lange. Langsam drehte er seinen Kopf zu mir. Wir waren uns so nahe, dass ich seinen Atem auf meinen Wangen spüren konnte. >Sie sind sehr schön.<, hörte ich ihn sagen. Seine Augen hielten mich gefangen. Wie konnte er das hier leugnen? Dieses Gefühl, das sich in meiner Brust ausweitete, schien den ganzen Wald in Gefangenschaft zu nehmen. Ich spürte, wie mein Herz größer wurde und ich spürte auch, dass ihn das nicht kalt ließ. Er streckte seinerseits seine Hand zu mir aus und umfing zärtlich meine rechte Gesichtshälfte. >Du... bist... sehr schön.<
Alles hielt still.
Hatte er das tatsächlich gesagt oder wurde ich endgültig wahnsinnig? Was wenn dieser ganze Humbug nur ein dummer Traum war und ich eigentlich noch bei Carol und Ralph war? Alles in mir sträubte sich gegen diesen Gedanken. Der Boden unter meinen Füßen, die Luft, die um meine Nase herum wehte und der Geruch vom Wald waren real. Nein, ich war wach und auch in keiner Trance. Isaac und ich saßen hier und wir spürten das Gleiche. Nichts hier war erfunden oder unecht
Er rückte kaum merklich näher und wischte damit alle meine Gedanken mit einem Schlag weg. Mein Herz blieb stehen. Würde er mich küssen?
Oh, bitte, tu es.
Er beugte sich langsam zu mir vor. Jetzt. Bitte. Da plötzlich hielt er inne und weitete seine Augen. Erschrocken richtete er sich auf und schüttelte den Kopf.
Was... ?
>Was ist los?<
Er schnaubte. >Du musst das begreifen. Es darf einfach nicht sein. Es darf nicht sein. Niemals und nirgendwo.<
Wow, dass tat echt weh.
Endlose Sekunden lang starrte ich ihn noch an.
War das sein Ernst? Was für eine Gewalt hatte der Mann über sich? Ich war drauf und dran gewesen, ihn anzuspringen, und nun konnte ich ihn nur sabbernd angaffen.
Mit den Zähnen knirschend fasste ich in die Tasche meiner Jogginghose und holte eine Packung Zigaretten hervor. >Ich hoffe, es macht dir nichts aus.< Er sah mir dabei zu, wie ich sie mit meinem Finger anzündete und dann an meinen Mund legte, um einen tiefen Zug zu nehmen. >Zweimal versetzt werden nimmt man nicht so leichtfertig hin.< Ich wandte mein Gesicht ab. Da schlich sich das verräterische Brennen in meine Augen. Eine Weile schwiegen wir einfach nur. Niemand hatte etwas zu sagen. Ich wusste, dass er es wollte. War er also genauso frustriert wie ich? Ich meine, er wollte mich gerade eben noch küssen und durfte es jetzt nicht. Er musste von unserer Situation genervt sein. Das wäre jeder an seiner Stelle. Und das er genervt oder frustriert war konnte doch nur bedeuten, dass er etwas für mich fühlte nicht wahr? Dieser Gedanke entspannte mich etwas, genauso wie er mich aufregte.
Plötzlich wurde mir meine Zigarette entwendet. >Hey!<
Isaac nahm sie selber in den Mund und sog an ihr. Er sah wirklich gut aus beim Rauchen. >Meine letzte Zigarette ist lange her.<, bemerkte er und nahm noch einen Zug.
Ich verfluchte mein Klein-Mädchen-Gewissen, das sich über diesen indirekten Kuss freute. >Ist komisch dich so zu sehen.<
Mit angehobener Braue blickte er mich an. >Wieso?<
>Weil du immer so diszipliniert und makellos bist. Dich jetzt rauchen zu sehen ist...< Ich zuckte schmunzelnd mit den Schultern.
Er lächelte, rauchte die Kippe noch etwas weiter und zertrat sie anschließend. >Der Schein trügt. Los, wir gehen weiter.< Ich nickte und ließ mich von ihm hochziehen. Wir joggten eine weitere Stunde, bis wir wieder zurück in die Schule kamen.
>Wann hast du das erste Mal...?<
>Ich war 15.<
Ungläubig sah ich ihn an. >15?<
>Ich wurde am Königshof ausgebildet. Mein Vater leitete eine Exkursion zu einem naheliegenden Lager, das angeblich zu Hexern gehörte und wir sollten dieses untersuchen. Ich war dabei und... es stellte sich heraus, dass es tatsächlich so war und...< Er zuckte mit den Schultern.
>Wann hast du dein Tattoo bekommen?<
Er begann breit zu grinsen. >Ich bin der Allererste und Einzige, der sein Tattoo vor dem Schulabschluss bekommen hat.< Ich nickte beeindruckt und klatschte ihm Beifall. >Wobei du deines bestimmt auch bald bekommst.<
Ich schürzte die Unterlippe. >Tut mir leid. Ist das jetzt der Beginn eines Konkurrenzkampfes zwischen uns? Weil, wenn ich ehrlich bin,... Isaac, ich denke, dass wäre ziemlich aussichtslos für dich...< Er lachte laut. Wir blieben vor meinem Zimmer stehen und er machte Anstalten sich zu verabschieden, da sprach ich die erste Idee aus, die mir kam. >Hey, ehm... wollen wir zusammen essen gehen?< Sein Mund öffnete und schloss sich wieder. >Ich meine, also... im Speisesaal, weißt du?<
Er nickte. >Natürlich. Natürlich. Gerne. Du...< Ich musste über ihn lächeln. Hilflos seufzte er. >Du machst dich über mich lustig. Du solltest dich nicht über deinen Lehrer lustig machen.<, sagte er.
Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer. >Kannst du vor dem Speisesaal auf mich warten?<
>Kann ich. Bis gleich,... Jenna.< Damit drehte er sich um und ging den Flur entlang.
>Hör auf dich so dumm zu verhalten. Du isst theoretisch jeden Tag mit ihm zusammen.<, versuchte ich meine Vorfreude einzudämmen. Ich war doch wirklich nervös. Doch obwohl ich noch gekränkt war, sprudelte in mir Aufregung.
Ich zog mich im Badezimmer aus, stieg unter die Dusche und schloss meine Augen. Das Wasser war kalt, wurde aber warm sobald es meinen Körper traf.
Das Grinsen konnte ich nicht aus meinem Gesicht halten. Nicht während ich mich abtrocknete oder sonst was. Beim Haare Föhnen konnte ich mich dann entspannen. Die heiße Luft beruhigte mich.
Ich zog mir Jeans und Pullover an, schlüpfte in Sportschuhe und ging runter zum Speisesaal. Dieser Gang war auf seltsame Weise nervenaufreibend, bis ich dann vor ihm stand und ihn ansah. Wir begannen beide zu lachen und gingen rein.
>Seit wann isst du so wenig?<
Ich hatte auf meinem Tablett einen Salat und ein belegtes Brot. >Keine Ahnung, einfach so... Hab nicht so... Hey!< Er stellte einen Teller mit Steak, Bratkartoffeln und -soße und Brokkoli drauf. Es duftete richtig gut und ich hatte scheiße Hunger, aber eigentlich versuchte ich ja, meine Diät durchzuhalten. >Das ist echt unfair...<
Er stellte noch Pudding dazu. >Jetzt bin ich zufrieden. Kann doch nicht sein, dass das BigMac-Mädchen jetzt auf Vegetarierin macht.< Schmunzelnd folgte ich ihm an einen Tisch. Wir saßen uns gegenüber.
>Wenn dich eine Lehrerin hier...?<
>Wie kommst du mit dem Unterricht klar?< Ich presste meine Lippen fest aufeinander, um nicht lachen zu machen. Er begann mit angehobenen Mundwinkeln zu essen.
>Gut. Ich wollte aber eigentlich fragen, ob du was mit einer...?<
Er zeigte auf den Pudding. >Du solltest den probieren, der ist echt...<
>Isaac, hör auf damit.< Er schnitt lächelnd sein Fleisch an. Ok, er wollte nicht darüber reden. >Wie war das? Mit dem... Hexer?< Seine Mundwinkel sanken. >Ich meine, das war bestimmt nicht einfach.<
>Ich habe nur gemacht, was von mir erwartet wurde.< Ich sah auf mein Essen. >Es war nicht leicht, aber das wusste ich. Ich mache mir eher Sorgen um dich.< Schweigend schob ich mir ein Stück des Fleisches in den Mund. Es schmeckte echt gut. >Mir ist klar, dass dich diese Frage nervt, aber... wie geht es dir?< Ich hatte keine Lust darüber zu sprechen. Gänsehaut kroch über meinen Rücken, nur wenn ich daran dachte. Diese Bilder versuchte ich doch aus meinem Gedächtnis zu radieren. >Jenna.<
Ich trank vom Wasser. >Ich kann mich gar nicht einmal daran erinnern. Also, was soll's?<
>Du bist plötzlich...<
>Es wurde auf einmal alles Schwarz und dann saß ich auf dem... Hexer und sein Kopf sagte abgetrennt von seinem Körper:„Hi.“.< Mein Herz begann schneller zu schlagen. Die Konsistenz des Blutes, der Geruch und... >Ich hab davon geträumt und...< Ich räusperte mich. >Das macht mir echt Angst und... irgendwie... Tut mir leid, das ist bescheuert. Es geht mir gut. Wirklich. Es hat mich erschreckt, aber es geht wieder.<
Er lehnte sich zu mir vor. >Du musst akzeptieren, was passiert ist.< Ich erwiderte seinen Blick. >Du bist stark, Jenna. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich weiß, du bist noch nicht so lange hier und es braucht Zeit, dass alles zu verstehen und verdauen zu können, aber ich kann dir versichern, dass du richtig gehandelt hast.<
>Aber...<
>Du hast deine Mitschüler beschützt.< Ich nickte stumm. >Du hast dich beschützt. Ich bin stolz auf dich.<
Machte er das absichtlich? Wie konnte er nicht nachvollziehen, dass, wenn er mich so anlächelte und solche Worte sagte, ich anfing mich wie ein hysterisches Mädchen zu fühlen? Wie konnte er mir das antun?
>Danke. Jetzt iss dein Steak, bevor ich das auch noch verschlinge.< Ich unterdrückte die weiteren Bilder, die versuchten aufzukommen.
Er hatte Recht. Dieser... Hexer hatte uns angegriffen. Er hatte Brody verletzt. Er hätte mit Sicherheit noch mehr getan. Es musste gehandelt werden. Selbst wenn ich mich nicht bewusst dazu entschieden hatte, den Hexer zu köpfen, war es doch gut.
Isaac und ich blieben noch lange sitzen. Selbst nachdem wir gegessen hatten. Er erzählte mir von den Königsfamilien und dem gesamten Hof.
>Aber erfüllen sie irgendeinen Zweck?<
Er nickte. >Sie entscheiden über alles. Wer wo was wie warum macht. Alles.<
>Ich... weiß nicht, ob das gut ist.<
>Tatsache ist, dass sie uns bereichern im Sinne des Informationszuflusses. Sie haben Kontakte zur Regierung, die uns die Geheimhaltung gegenüber der Menschheit um vieles erleichtern.< Sein Gesicht wurde hart.
Ich trank vom Wasser. >Hast du sie getroffen?<
>Zu Versammlungen, ja.<
>Soll ich sie mir wie die englische Queen vorstellen?<
Kopfschüttelnd lächelte er. >Nein, nein. Die aktiven Mitglieder der Königsfamilie sind, soweit ich mich erinnere, maximal 40.<, erklärte er. Seine Augen wanderten zu meinen Fingern, die auf dem Glas tanzten.
>Können nur Familienmitglieder...?<
Er schüttelte wieder den Kopf. >Es kann eingeheiratet werden und falls die Kinder sich dazu entscheiden, nicht in die Fußstapfen der Eltern zu treten, können Summe Legata gewählt werden.<
>Wie dieser Luft-Bändiger?< Er bejahte abwesend. Seine Augen folgten den Zügen meines Gesichts. >Was denkst du gerade, Isaac?< Ich betonte seinen Namen extra.
Er biss sich süffisant auf die Unterlippe und blickte wieder auf sein Glas, das er in den Händen hielt. >Ich frage mich gerade, ob du noch etwas zu trinken haben willst.<
>Nein, das fragst du dich nicht. Warum warst du so sauer, wegen den Jungs?<
>Jenna, ich habe mich nicht zu dir gesetzt, um mit dir über solche Dinge...<
>Hier in der Nähe gibt es doch einen See oder? Können wir mal zusammen dahin gehen?<, fragte ich und stützte mein Kinn in meine Hände.
Die Luft wurde warm und ich wusste, dass es an ihm lag. >Ich denke nicht, dass wir das...< Ich legte meine Hände zu einer Mulde zusammen und ließ eine Flamme darüber entstehen. >Nicht im Speisesaal.<
>Ich bin besser geworden. Danke.<
>Das ist nett, aber das hast du nicht mir zu verdanken, sondern dir.<
Die Flamme wurde größer. Es wurde heißer. Die Luft um uns herum knisterte beinahe. >Gibt es Unterschiede im Feuer verschiedener Bändiger?<
Er nickte. >Ja, aber das können nur Feuer-Bändiger sehen, spüren und riechen.<
>Ich mag dein Feuer. Das hört sich dumm an, aber... seit ich deines gespürt habe erscheint mir all das Feuer, dass ich zuvor gespürt habe kalt und leblos.<
>Nein, ist es nicht. Das ist es nicht. Freut mich, dass ich dir das Einleben hier leichter mache, Jenna.< Ich nickte und stand auf. Er tat es mir gleich und folgte mir, nachdem wir unser Geschirr abgegeben hatten, aus dem Speisesaal.
>Müsst ihr Lehrer eigentlich auch Sport machen?<
>Ja, warum fragst du?<
Was für eine dumme Idee. >Ehm... weil ich mir dachte, vielleicht schwimmen zu gehen...<
Er schnaubte. >Wie gesagt. Keine so gute Idee, Jenna. Aber keine Sorge, ich mache meinen Sport schon.<
 Es war einen Versuch wert. >Gut, dann bis morgen.< Ich zweigte ab in den Mädchenflügel.
>Jenna.< Fragend sah ich mich zu ihm um. >Oliver ist nicht zugegen. Morgen werde ich ihn bei euch vertreten.<
Ich grinste. >Wirklich? Biologie?<
Überrascht hoben sich seine Augenbrauen an. >Was, sehe ich nicht aus, wie jemand der Biologie unterrichten könnte?< Ich lachte auf und drehte mich schulterzuckend wieder um. >Bis morgen.<, sagte er mit einem Lächeln in der Stimme.
>Klar, Herr Lehrer.< Ich hörte ihn noch lachen, als ich in mein Zimmer ging. Von Wange zu Wange grinste ich. Den halben Tag hatte ich heute mit ihm verbracht. Ich hatte keine Lust mehr auf Sport. Stattdessen legte ich mich mit dem Biologie-Buch ins Bett und begann zu lesen und zu lernen.
Oh ja, das kleine Mädchen wollte beeindrucken.
    
>Du hast gestern mit Isaac gegessen...< Ich nickte. Sie nahm meine Hand in ihre, was ich etwas überrumpelt vernahm, und lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter. >War das wegen Samstag?<
>Ja, wir haben darüber geredet und er hat mir davon erzählt, wie das bei ihm war und so weiter...<, erzählte ich und setzte mich mit ihr zusammen an einen Platz. Ich war müde und mein Kopf schmerzte wieder.
Diese Migräne kam in letzter Zeit immer öfter. Ich versuchte mir einzureden, dass es am Schlafmangel lag, aber ich hatte schon vor dem Internat nicht allzu viel geschlafen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich weniger aß. Wer wusste das schon?
Beth winkte Brody zu uns, als er ins Zimmer kam. Er ließ sich neben mich auf den Stuhl fallen. Die blauen Flecken in seinem Gesicht wichen ins Gelbliche. Auch sein Hals sah nicht mehr so schlimm aus. >Morgen.< In seinen Haaren glänzten noch Wassertropfen. Wahrscheinlich kam er direkt aus der Dusche. >Ich bin echt müde.<
>Deine Haare sind nass.<, bemerkte ich. Irgendwie war seine Stimme zu laut.
Er fuhr mit seinen Fingern einmal durch die Haare und sie waren trocken. >Jetzt gut?< Ich lächelte ihn an und nickte. >Alles klar?<
>Ja, bin nur müde.< Meine Sicht schien zu verschwimmen.
>Ok, setzt euch bitte. Wir beginnen mit dem Unterricht.< Isaac trat ins Klassenzimmer. Er legte Ordner und Buch auf dem Tisch vorne ab und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Tisch.
>Wo ist Oliver, Mr. Conner?<, fragte einer mit zuckersüßer Stimme.
Isaac lächelte und drehte den Monitor des Computers zu sich. >Ich vertrete heute Oliver, weil er gesagt hat, dass...< Er zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm. >... du ihm so dermaßen auf die Nerven gehst, dass er eine Pause von dir braucht.< Die Schüler begannen zu lachen und sahen sich zu dem Typen um, der das gesagt hat. >Nein, keine Sorge. Er musste an den Hof und wird spätestens morgen früh wieder da sein. Schlagt euer Buch auf. Beginnen wir mit den Hausaufgaben, die ihr auf hattet.<
Kein Problem. Ich hatte sie gemacht, aber ich konnte meinen Aufschrieb kaum sehen. Alles verschwamm.
Ich hörte wie Isaac von etwas erzählte, wie die anderen auf Fragen antwortete, aber mir fiel es immer schwerer aufzupassen. Unangenehme Hitze, so was kannte ich nicht. Das Atmen fiel mir schwerer, mit jeder Minute.
>Jenna.<
Oh Gott. Bitte nicht. Nicht diese Stimme. Wurde ich jetzt wirklich verrückt?
>Hör mir zu.<
Ich hatte das Gefühl, als würde mein Gesicht zerlaufen. Mein ganzer Körper bebte unter meinem Herzschlag, der zu versuchen schien mich dem Erdboden gleich zu machen.
>Jenna?<
>Verdammt, hör auf mit mir zu reden.<, zischte ich. Beth' Hand strich über meine Schulter. Ich sah sie an. >Oh, sorry.< Alles brannte. Ich bekam keine Luft mehr. Bzw. die Luft, die ich zu Einatmen versuchte, war wie Rauch aus einem verdammten Schornstein.
>Jenna! HÖR MIR ZU!<
Ich hielt mir meinen Kopf und schloss meine Augen. >Isaac?<
>Ja?<
Seufzend rieb ich meine brodelnde Stirn. Meine Lippen wurden taub. >Darf ich bitte kurz auf die Toilette gehen?<
>Natürlich, geh ruhig.<
>Danke.<, flüsterte ich und stand schwankend auf. Das Gefühl meiner Beine schwand immer mehr.
>Jenna, soll ich mitkommen?<, hörte ich Beth fragen. 
Ich schüttelte den Kopf, stützte mich an allem ab, bis ich draußen war. Hier war es kühler. Erleichtert atmete ich durch und ging weiter zu den Toiletten. Ich schlug mir kühles Wasser ins Gesicht und versuchte langsam durch zu atmen. Das Weiß der Kacheln blendete mich. Es brannte überall.
>Jenna, hör mir zu! DU MUSST MIR ZUHÖREN!<
Ich sah in den Spiegel und das letzte, was ich von mir sah, … war wie mein Gesicht erschlaffte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kleines P.S.: Das Tattoo ist nur ein Modell, also nicht die tatsächlich Veranschauung der Viersäftelehre Aristoteles'. Ich hab ein Bisschen gebraucht, bis ich es gefunden habe, aber ich habe hier den Link, kann ihn nur leider nicht richtig einfügen, deshalb lass ich ihn einmal hier und ihr habt ihn nochmal in der Rundmail.

Hoffe, es hat euch gefallen :)

 

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/55/4-Elemente-Eigenschaften.jpg

10. Ausgangssperre

Schwarz.
>Jenna. Jenna, ich bin hier.<
Eine kleine Flamme leuchtete vor mir auf. Warmes oranges Licht erhellte Dunkelheit.
>Jenna, ich werde dich niemals alleine lassen. Ich bin für dich da.<
Die Flamme wurde größer. Das Knistern des Feuers war wie Musik in meinen Ohren. Es tat so gut. Alle Schmerzen waren verschwunden.
>Du bist meine Tochter, Jenna. Ich werde dich beschützen.<
Das Feuer wurde riesig. Es kam mir näher. Ich spürte das Knistern in meiner Brust. Was für ein Gefühl. Was für ein Geruch. So kraftvoll und intensiv. Eine mütterliche Wärme, konnte man sagen. Ich wollte mich in dieses Feuer legen. Es hatte etwas Tröstendes, Liebevolles, Zärtliches.
>Jenna, du bist ich und ich bin du.<
Ich spürte die Gegenwart einer anderen Person. Sie beobachtete mich. Ich suchte sie, aber fand sie nicht. Panik erwachte in mir. Fast krankhaft suchte ich nach ihr.
Ihr?
Eine Frau?
>Du wirst mich finden, denn ich suche dich.<
Die schöne weiche Stimme umschmeichelte mich. Nicht einmal zu Isaac fühlte  ich diese  Verbundenheit. Ich spürte wie ich weinte, aber ich wusste, dass ich nicht weinte.
Ein Bild meiner Eltern zappte vor mir auf. Doch das Gesicht meiner Mutter war verschwommen. Nicht wieder zu erkennen. Wer war meine Mutter?
>Ich. Bin. Du.<
Ich suchte nach Armen, die mich umarmten. Die mich wiegten und mir versicherten, dass..
>... du nicht alleine bist.<
Die Zungen des Brands krochen an mir hinauf.
>Jetzt, Jenna.<
In meinem Innern platzte etwas. Es wurde warm. Wärmer. Heiß.
>Du bist ich und ich bin du.<
Durch die Wand des Feuers konnte ich eine Gestalt sehen. Helle Haut. Ich konnte nichts erkennen. Das Feuer versperrte mir die Sicht.
>Jenna?<
Das Wesen vor mir wurde schwächer…
>Jenna, hörst du mich?<
Kälte umschloss mich. Das Knistern des Feuers wurde leiser. Die Dunkelheit verschluckte sie. Sie verschwand. Stattdessen durchbrach Helligkeit meine Festung aus Flammen und Schwärze.

Ich lag auf einem Krankenbett. In der Krankenstation.
>Jenna, kannst du mich hören?< Ich nickte. Beth und Brody saßen neben dem Bett. Hinter ihnen konnte ich Isaac und Ken an der Tür stehen sehen. Sie lächelten mich alle an. Direkt vor mir stand eine Ärztin. Sie lächelte auch. >Wir sind auf der Krankenstation.<
Weiß ich.
>Du hast auf der Mädchentoilette dein Bewusstsein verloren.<
Schwerfällig setzte ich mich auf. Brody kam mir sofort zur Hilfe. >Danke.<
Die Ärztin ließ sich auf dem Rand des Bettes nieder und faltete ihre Hände im Schoss. >Deine Symptome waren einer Grippe sehr ähnlich,  nur sehr viel extremer. Du schienst in einer Art Trance gewesen zu sein.< Ich runzelte die Stirn und sah zu Ken und Isaac. Sie beobachteten mich.
>Ich kann mich nicht erinnern.<
>Das ist kein Problem. Es geht nur darum, dass es dir gut geht. Mal sehen,...< Sie hob eine kleine Taschenlampe in mein Gesicht. Leuchtete in je ein Auge und bewegte das Licht von rechts nach links. Sie hörte noch meinen Herzschlag ab und prüfte den Tropf. >Kannst du mir sagen, wann das angefangen hat? Irgendwelche Anzeichen?<, fragte sie und nahm ein Klemmbrett vom Beistelltisch.
Ich linste zu Beth. Sie lächelte aufmunternd. >Ehm... nein. Es ging und geht mir gut.< Ich sah zu dem Schlauch, der in meinem Arm steckte. >Kann ich gehen?<
>Ich würde dich gerne noch für ein bis zwei Stunden hier behalten, nur um sicherzugehen.< Ihre dunkelblonden Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden. Sie hatte ein hübsches Gesicht. >Wie hat es angefangen?<
Ich fühlte mich verlassen. Mir war so kalt. Kränklich. Das war das Wort, das ich suchte. Ich fühlte mich krank. Wo war sie? Sie hatte gesagt, sie würde mich suchen. Ich würde sie finden. Doch wo und wer war sie? >Ehm...< Ich räusperte mich. >... mir ist etwas schlecht. Kann ich vielleicht...? Kann ich mich hinlegen?< Dr. Jester, wie ich es ihrem Namensschild entnahm, blickte zu den Rektoren.
>In Ordnung.<, sagte Ken. >Wir lassen dich in Ruhe.< Er zwinkerte mir zu und ging mit den anderen raus.
Ich schnappte Brodys Arm und zog ihn zu mir zurück. >Weißt du, wo mein Rucksack ist?<, fragte ich flüsternd.
>Ja, er ist draußen. Soll ich ihn dir bringen?<
>Nein, nur... In der Vordertasche ist ein Bild. Kannst du mir das bitte bringen?< Er strich mit seiner Hand über mein Haar und nickte. Damit drehte er sich um und ging aus dem Zimmer. Ich bekam einen kurzen Blick auf Isaac. Er sah Brody nach und dann zu mir. Seine Mundwinkel zuckten.
Ich drehte mich auf die Seite. Mit dem Gesicht zur Wand.
Die Mütter, die ich bis jetzt in meinem Leben gehabt hatte, rückten in den Hintergrund. Diese Stimme und die Wärme. Dieses Feuer war stark gewesen. Es hatte mich gefesselt. Nicht einmal Isaacs Feuer war so stark. Nicht annähernd.
>Hey.< Eine Hand legte sich an meinen Oberschenkel. >Hier.< Das Bild meiner Eltern tauchte auf. Ich hatte fast vergessen, wie sie aussahen. Wer waren diese Menschen auf dem Bild? Ich hatte ihre Gesichter hier vor mir und spürte nichts. Wenn ich nur an die helle Gestalt durch die Feuerzungen sah, erfüllte mich Wärme und Freude.
>Danke schön.< Ich zog seine Hand in meine. >Kannst du vielleicht ein bisschen hier bleiben?< Er setzte sich. >Ich hab wahrscheinlich nur meine Tage.< Ich hörte ihn lachen und lachte mit.
Seine Stirn legte sich an meine Schulter.>Dann wissen wir wenigstens, dass ich nicht Vater werde.< Ich drehte mich auf den Rücken und schlug ihm auf den Hinterkopf. >Au!< Er sah zu mir auf. >Du kannst mit mir reden oder... Ich kann Beth holen, wenn du...<
>Nein, nein. Es ist nichts. Ich hab in letzter Zeit wenig gegessen und geschlafen. Vielleicht lag es daran.< Er sah mich an. Er glaubte mir nicht. Ich würde mir auch nicht glauben.
Die Tür öffnete sich. >Jenna? Könnte ich vielleicht mit dir reden?< Es war Isaac.
Brody stand auf. >Bis später.< Er drückte meine Hand und lächelte mich an. >Gott sei Dank, bist du nicht schwanger.<, sagte er auf dem Weg nach draußen. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf.
Isaac atmete durch und schloss hinter sich die Tür. >Jenna, ich kann mir vorstellen, dass du erschöpft bist, aber es wäre uns sehr wichtig zu wissen, was passiert ist. Feuer-Bändiger bekommen keinen Fieber. Bändiger werden nicht krank, verstehst du?<
Ich rieb das Foto zwischen meinen Fingern. >Es geht mir gut. Wirklich. Du hast selber gesagt, dass ich weniger esse und... deshalb... So was passiert manchmal nun mal.<
>Nicht bei Bändigern. Wir werden nicht krank. Wir kippen nicht um.<, wiederholte er, als wäre es ein auswendig gelerntes Gebet. Er setzte sich auf den Stuhl, auf dem zuvor Beth gesessen hatte. >Du hast,... während du bewusstlos warst, auf Initium (lat. Anfang) gesprochen.<, murmelte er leise.
>Was ist Initium?<, fragte ich argwöhnisch.
Er nickte. >Ja, ich dachte mir schon, dass du das nicht kennst. Initium ist unsere Muttersprache. Eine sehr alte Sprache, die im Lateinischen verwurzelt ist. Und du hast diese Sprache gesprochen, obwohl du, wie ich davon ausgehen kann, diese nicht sprechen kannst.<
>Es geht schon.<
>Ich spüre das auch.<
>Was?<
Er presste seine Lippen fest auf einander und stand auf. >Ich... spüre diese Verbindung auch, Jenna. Und ich habe mir Sorgen gemacht, als ich dich in diesem Zustand gesehen habe.< Ungläubig sah ich ihn an. >Du bist anders als die anderen hier. Komplett anders.<, bestärkte er.
>Danke.<, schnauzte ich.
>Nein.< Er lächelte mich tadelnd an. >Nein, so meine ich das nicht.< Zögernd nahm er meine Hände in seine. Sofort wurden meine Handinnenflächen warm. >Beth sagte mir, dass du in letzter Zeit öfter starke Kopfschmerzen hast.<
Ich schloss meine Augen. >Ich... ich höre eine Stimme.< Es blieb still, bis ich sie öffnete und ihn ansah. Seine Gesichtszüge hatten jede Emotion verloren.
>Eine Stimme?<
Ich atmete durch und nickte. >Ja, ein... eine Frau. Sie spricht zu mir.< Meine Stimme brach zum Schluss.   
>Jenna,...< Er strich mir eine lose Haarsträhne nach hinten.
 >Und ich habe diese Kopfschmerzen. Sie sind... Wenn ich sie habe...< Ich sah ihn an. >Es tut so verdammt weh. Und... sie... sie sagt, dass sie mich finden wird, aber sie... sie ist nicht hier. Ihr Feuer ist... das schönste und stärkste, dass ich je gesehen habe.< Meine Stimme begann zu zittern und meine Augen brannten.
Isaac lehnte sich gegen das Bett. >Sie ist Feuer-Bändigerin?< Ich nickte. >Ist ihr Feuer stärker als meines?< Ich nickte nur wieder. >Hast du sie gesehen?<
Ich atmete durch. Mir war so kalt. >Ja, sie... Nein,... Also... Ich habe sie in mir gespürt. In meiner Brust. Und... sie hat versucht...<
>Du zitterst, Jenna.<, bemerkte er.
>Es ist auch scheiße kalt hier drin… Wenn du gespürt hättest, was ich gespürt habe, würdest du das verstehen. Isaac, sie ist... die Mutter. Meine Mutter. Die Mutter von allen.< Ich kniete mich auf das Bett. Auf meiner rechten Schläfe entstand ein Druck. >Und ich weiß nicht, was ich machen soll. Sie spricht mit mir und dann ist sie weg. Dann ist es so kalt. Du hättest...< Der Schmerz von der Schläfe wanderte über die Stirn weiter. Ich sank auf meinen Hintern und sah ihn an. Isaacs Hände legten sich an meine Oberarme. Sie waren warm und wurden immer wärmer. Die Hitze breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Die Schmerzen wurden schwächer und meine Gedanken klarer. >Du hättest es sehen müssen, Isaac.<, hauchte ich atemlos.
>Leg dich hin, Jenna. Schlaf ein bisschen. Ich kann in zwei Stunden kommen, dann begleite ich dich hoch.< Ich nickte schlaff. Ich war so müde. Mein Körper fiel nach vorne. Auf Isaac. >Vorsichtig.< Seine Arme legten sich um mich. Es waren nicht ihre, aber dennoch tröstend. Ein weiches Kissen drückte sich in meinen Hinterkopf. Er strich über meine Wange und lächelte. Um ihn herum verschwamm alles. >Schlaf gut.<
Ich verfloch meine Finger mit seinen. >Danke, Isaac.<
>Schon gut. Schlaf jetzt.<

Ich wachte eine gefühlte Sekunde später auf. Der Schlauch war entfernt worden. Dr. Jester kam ins Zimmer. >Oh, du bist wach.<
>Ja... Kann ich gehen?<
Sie nickte. >Ja, alles wieder gut. Wenn es Anzeichen dafür gibt, dass es dir wieder schlechter geht, melde dich bitte bei uns.< Dankend ließ ich mir von ihr auf die Beine helfen. Sie begleitete mich raus auf den Flur, wo Isaac und Brody auf mich warteten.
Ich musste lächeln. >Hi.< Brodys Hand legte sich an meinen Rücken. >Hat sie irgendwas gesagt?<
>Ja, sie hat schon ein paar Sachen gesagt. Zum Beispiel, „Wie geht es dir?“ und noch so Zeug...< Brody schnippte mich gegen den Oberarm. >Hör auf, ich bin krank.<
>Wohl nicht so krank. Isaac, darf ich sie ins Zimmer bringen? Nur um sicherzugehen.<
Isaac sah zu mir und dann zu Brody. >Eine Ausnahme, Brody.<, warnte er ihn. >Ich muss runter. Schön, dass es dir besser geht.<, sagte er zu mir und ging.
Ich wollte, dass er blieb.
Wir gingen zusammen in mein Zimmer. Ich ließ mich auf mein Bett fallen. Brody kniete vor mir auf dem Boden. >Hast du Hunger?< Ich begann zu Grinsen. >Du hast immer Hunger, deshalb habe ich dir auch das gebracht.< Auf dem Schreibtisch stand ein Teller mit einem Stück Kuchen darauf. Ich musste lachen. Er war echt süß. >Hier.<
>Danke.< Ich klopfte neben mich auf das Bett. >Unglaublich, dass du das hier stehen lassen konntest, ohne es zu essen.< Es war Schokoladenkuchen. Das Beste überhaupt. >Hier, du darfst was haben.< Ich bot ihm den Kuchen an.
Er schnappte sich die Gabel und schnitt etwas vom Kuchen ab. Reichte mir aber die Gabel. >Ah.<
>Ganz sicher nicht.< Er umfing mein Kinn und zog es runter, sodass mein Mund sich öffnete und ich von der Gabel aß. >Danke, Brody. Du bist echt ein netter Kerl.<
>Schon gut.< Keusch küsste er mich auf die Schläfe. >Ist nur Kuchen, Jenna.< Wir aßen zusammen, lachten und redeten. Später kamen Beth und Penny dazu und wir saßen zusammen auf dem Boden.
>Warum bist du eigentlich hier, Brody?<, fragte Beth.
Ich lag neben ihr. Sie hielt meine Hand, als wäre es selbstverständlich. Und man konnte wohl sagen, dass es das mittlerweile wirklich war. Fast dachte ich, sie spürte, wann ich das brauchte.
>Willst du mich loshaben?<
>Nein, nein. Keine Sorge.< Sie sah zu mir. >Der soll abhauen.<, flüsterte sie.
>Schon verstanden. Mädchen wollen unter Mädchen sein.< Er stand auf und ging zur Tür. >Mit den ganzen Hormonen hier drin, hatte ich sowie so schon Angst, dass mir Brüste wachsen.<, gluckste er.
>Verschwinde, Brody!<, >Verschwinde!<, riefen Beth und Penny gleichzeitig und warfen mit Kissen von meinem Bett auf ihn. Durch die Tür hörte man ihn noch lachen.
Ich weiß nicht, wie lange die beiden geblieben waren, aber ich wachte alleine in meinem Bett auf. Mir war noch immer kalt und ich vermisste sie.
>Scheiße.< Ich kugelte mich in die Decke ein und sah mich in meinem Zimmer um. Fast hoffte ich, dass in irgendeinem Schatten eine helle Gestalt auf mich wartete. Aber sie war nicht da. Natürlich nicht.
Es war peinlich, wie enttäuscht ich davon war. Enttäuscht davon, dass eine imaginäre Person mich nicht fand. Was war nur los mit mir?

Ich kämpfte gegen eine der Blondinen. Die Chefin, Daphne. Sie schwang ihre Faust. Knapp konnte ich mich ducken, drehte mich und beförderte sie mit einem kräftigen Kick aus dem Kreis.
>Scheiße.<, zischte sie und stierte mich wütend an.
>Gut gemacht, Jenna.< Isaac klopfte mir auf die Schulter. >Ich würde gerne zuschauen... Ah, wartet kurz.< Er ging zu einem Schüler, der ihn gerade rief.
>Nur damit du es weißt, ich kauf dir diesen „Oh, ich hab ja so Kopfschmerzen.“-Scheiß nicht ab.< Sie trat auf mich zu, bis wir direkt voreinander standen. >Du bist nichts weiter, als die Matratze der Schule.<
Auf so was hatte ich echt keine Lust. Nicht heute.
>Damit komm ich klar.<, murmelte ich nur und ging wieder in Kampfhaltung, gerade als Isaac zu uns kam. >Können wir loslegen?< Er nickte. Und sie legte los. Ihre Fäuste schossen nur so in meine Richtung. Eine traf mich an der Schulter, bevor ich sie mit einer kurzen Bewegung wegstieß, ihren Nacken packte und sie mit einem Tritt gegen ihre Kniekehle auf den Boden warf. Kurz und knapp. Isaac und Daphne schwiegen für einen Moment lang.
>Fantastisch.< Er grinste breit und klatsche in die Hände. >Gute Arbeit. Beide.< Daphne ließ sich von ihm auf die Beine ziehen und lächelte nicht gerade überzeugend. >Gut. Wirklich gut. Ihr könnt eine Pause machen, wenn ihr wollt.<
Ausgelaugt setzte ich mich an den Rand und sah den anderen zu. Brody hatte erneut jemanden auf die Matte gelegt. Wir hatten heute beide einen Lauf.
Wenn er kämpfte wurde sein Gesicht hart. Seine Kiefermuskeln traten dann hervor. Seine Arme waren muskulös und sehnig. Bei hastigen Bewegungen, konnte man seine Bauchmuskeln sehen. Mir fiel erst jetzt auf, wie gut er doch gebaut war. Er war so groß und so stark.
Sein nächster Gegner. Ein bulliger Kerl. Breiter als er selber. Sie schlugen mit den Fäusten aufeinander ein, bis Brody eine Faust zu fassen bekam und die Zeit der Überraschung dafür nutzte, dem Typen sein Knie in den Bauch zu rammen. Ein tiefes Ächzen war zu hören, aber damit war es nicht vorbei. Der Kerl packte Brodys Knie und zog es ruckartig hoch, sodass dieser auf dem Rücken landete. Gerade rechtzeitig schaffte er es noch, sich wegzudrehen, bevor der Stampfer ihn auf der Brust traf. In einer flüssigen Bewegung kam er wieder auf seine Beine, schnappte sich seinen Arm und drehte ihn ihm gefährlich hoch auf seinen Rücken.
Brody grinste mich an und zwinkerte mir zu. >Na, wie gefällt dir das, Jenna?< Er machte Mr. Universe-Posen. Lächelnd applaudierte ich ihm zu. >Sei ehrlich, dass macht dich an.< Selbstgefällig zwinkerte er mir zu.
>Halt die Klappe.< Er kam auf mich zu und setzte sich neben mich. >Du machst das echt gut.<
>Danke.<
>Gibt es eigentlich einen Grund dafür, dass wir seit zwei Wochen nicht mehr unterwegs waren?<, fragte ich ihn und trank aus der Flasche.
Er raufte sich das Haar. >Keine Ahnung. Jack meinte, die Lehrer geben ihm keine Karte. Sie sagten, sie würden morgen eine Versammlung halten. Wahrscheinlich wegen... dem Vorfall.< Ich nickte. Scheiße. Wurden wir jetzt eingesperrt?
In den Fluren sprach sich das Gerücht rum, dass wir angegriffen werden würden. Ich verstand gar nichts, wurde aber dennoch panisch. Was, wenn mehr von diesen Hexern kommen würden? Wie sicher waren wir?

Nach einer ruhelosen Nacht und Unterricht, von dem ich kaum etwas mitbekommen hatte, versammelten sich alle im Speisesaal. Doch niemand stand aufgereiht vor der Essensausgabe. Stattdessen saßen alle an den Tischen. Ich setzte mich zu Beth. >Was ist los?<
>Die Rektoren haben was zu sagen.<
Da traten die beiden auf die Bühne. Ken ging voran und stellte sich an das Mikrofon. >Gut, dass ihr alle da seid. Ich möchte ein Thema mit euch besprechen, dass in der Schule die Runde macht. Die Ausgangssperre.< Ein Gemurmel ging durch die Leute. >Seit dem Vorfall vor zwei Wochen, mussten wir eine gewisse Sicherheit eingehen. Doch, wir haben alles aufgeklärt. Wir werden morgen zusammen an den See gehen.< Überrascht sah ich auf. Isaacs Blick schweifte über die Schülerschaft. >Wir werden versuchen die Situation klarzustellen, aber bis dahin müsst ihr euch damit zufrieden geben, dass ihr nur mit Begleitung raus könnt.< Lauter Widerspruch erwachte in Mitten der Schüler. Er nickte und hob beschwichtigend die Hände. >Ich weiß,...<
Isaac trat vor. >Es geht nur um eure Sicherheit und es wird auch nicht dauerhaft so bleiben.< Die Widerrufe hörten nicht auf. >Ok, hört mir zu. Wir unterrichten euch hier, damit ihr euch verteidigen könnt. Gegen wen?< Er sah erwartungsvoll in das leiser werdende Publikum. >Gegen Hexer, wie diesen, der vor zwei Wochen eure Mitschüler angegriffen hat. In der letzten Zeit haben sich eure Leistungen um vieles gebessert, aber... das Risiko, dass euch etwas passiert, ist zu hoch.< Er nickte und trat zurück. Die Schüler sahen sich gegenseitig an.
>Es tut uns leid, dass euch das so unangenehm ist, aber so ist es jetzt und wir können die Situation nicht ändern.< Er begann zu lächeln. >Seid morgen alle bereit. Wir gehen direkt nach der Schule los. Und das ist nicht einfach nur ein Spaß-Trip oder so was. Es wird trainiert. Guten Appetit noch.< Damit schalteten sie das Mikrofon ab und traten von der Bühne.
Nach und nach reihten sich die Schüler an der Essensausgabe auf. Die Geräuschkulisse
wuchs wieder an.
Wir aßen, wobei noch weiter über die Ausgangssperre gesprochen wurde. Ich hörte dabei zu, wie ein Junge davon erzählte, dass es so etwas schon einmal gab. Das die Schule seitdem aber geschützt wurde.
>Hey.< Brody atmete schwer und setzte sich neben Kyle auf die Bank. >Was habe ich verpasst?<, fragte er.
>Ausgangssperre bleibt bestehen und wir gehen morgen zusammen an den See.<, antwortete Kyle und widmete sich seinem Essen.
>Scheiße.<, zischte er, fing meinen Blick auf und lächelte. Ich lächelte zurück.
>Hört auf mit diesem „Blicke austauschen“, ihr beide.< Penny verdrehte genervt die Augen. Lachend trennten wir den Augenkontakt wieder. Leider.
Mein Training mit Isaac fiel heute aus, weshalb ich stattdessen mit Kyle zusammen auf der Fläche hinter der Schule übte.
>Und? Was denkst du?<, fragte ich ihn nach einer Runde. Er war scheiße stark, aber so schlecht schlug ich mich, denke ich, nicht.
>Du bist echt gut. Richtig gut, für die wenige Zeit, die du hier verbracht hast. Aber ich denke, du könntest versuchen, flüssiger zu kämpfen. Deine Bewegungen ineinander fließen lassen. Du sparst Zeit und bist schneller.< Ich nickte konzentriert. Er hob die Fäuste. >Noch eine Runde?< Zur Antwort ging ich in Kampfhaltung. >Los.< Als wäre ein Schalter umgelegt worden, gingen wir aufeinander los. Wie in einem Tanz begannen wir uns zu bekämpfen. Er war stärker und größer, aber ich war flinker und gelenkiger.
Manchmal, wenn das Blut rauschte und der Adrenalin-Pegel anstieg sah ich ihn vor mir. Diesen Hexer. Er grinste dreckig. Schwarzes Blut rann aus einem tiefen Schnitt an seiner Kehle. Er erschien mir auch, wenn ich nachts aus meinem Albtraum schreckte. Dann war er direkt vor mir. Fast fühlte ich ihn auf meinem Bett sitzen. Es war schrecklich. Es machte mir Angst.
Aber ich verdrängte diese Angst mit Beschäftigung. Anstrengung. Training.
Keuchend schaffte ich es, Kyle auf den Boden zu drücken. Sekunden lang wartete ich. >Gewonnen.<, seufzte ich und ließ mich nach hinten fallen. >Das war... echt...< Ich schloss meine Augen.
>War es.<, lachte er. >Es ist... bemerkenswert, wie schnell du... gelernt hast. Als hättest du die Sachen alle schon zuvor gekonnt und gekannt.<, murmelte er. Wir lagen nebeneinander.
>Darf ich dich was fragen?< Es blieb kurz still, bevor er mit einem Brummen bejahte. >Was ist eure Geschichte? Von dir und Penny?< Ich drehte meinen Kopf zu ihm. >Nur, weil ihr beide so eng miteinander seid und...<
Er schwieg und sah wortlos gen Himmel. Langsam drehte auch er seinen Kopf zu mir. >Ja, ehm... Unsere Eltern haben uns geschlagen. Irgendwann... lag Penny dann bewusstlos auf dem Boden, aber unser Vater trat weiter auf sie ein.< Entsetzt setzte ich mich auf und sah zu ihm rüber. Seine Augen waren jetzt geschlossen. >Ich habe ihn verbrannt. Am Bein. So konnten wir abhauen. Wir trafen zufällig auf Oliver. Er war an unserer Schule gewesen, für einen anderen Schüler. Wahrscheinlich hatte er gespürt, dass wir Bändiger sind, denn er war gerade auf dem Weg zu uns.<, erklärte er und atmete durch. Das war das erste Mal, dass ich ihn so lange sprechen hörte. Manchmal sah ich die beiden, wie sie nebeneinander saßen und sprachen. Wie sie liebevolle Gesten austauschten.
>Ich finde es süß, wie ihr beide miteinander umgeht.<
Er setzte sich ebenfalls auf. >So etwas schweißt einen zusammen.<
Ich stand nickend auf und zog ihn hoch. >Gehen wir rein.<
Wir gingen noch in den Trainingsraum. Es fiel mir mittlerweile, wie Isaac es vorhergesagt hatte, leichter zu trainieren. Mein Körper war fester geworden. Mein Bauch begann sich zu definieren. Arme und Beine wurden stärker. Durch die Übungen mit Isaac verbesserte sich auch meine Reaktionszeit. Kurz gesagt, ich wurde zu einer Kämpferin. Mit jedem weiteren Tag.
Auf dem Weg zurück in mein Zimmer fand ich Brody auf der Treppe sitzend. >Bye, Kyle.< Ich winkte ihm zu, als er in den Jungenflügel ging und blickte runter zu Brody. >Hey, was machst du hier?< Er stand auf und atmete tief durch. Ein ernster Ausdruck lag auf seinem Gesicht. >Du... machst mir Angst. Was ist los?<
>Ehm...< Er raufte sich sein Haar. >Ich wollte dich was fragen.<
>Ja, dann frag.< Zärtlich schlang er seinen Arm um meine Hüfte und zog mich zu sich heran. >Brody, was...?< Ich versuchte mich von ihm zu lösen, doch er drückte mich weiter an sich.
Sein warmer Atem strich über mein Ohr. >Ich mag dich sehr, weißt du? Und ich... habe mich gefragt, ob du nicht...< Oh. Oh. >... mit mir ausgehen willst.< Langsam trat er von mir und sah mich an. >Wir... könnten...< Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, sodass die anderen Schüler auf dem Flur uns nicht hörten. >... uns raus schleichen.<, schmunzelte er.
Ich grinste. >Brody, ich habe das Gefühl, du hast keine Ahnung auf was du dich hier einlässt.< Sein Blick blieb starr auf mir liegen. >Hör auf.< Ich schob ihn von mir. Er ließ es geschehen.
Es war ironisch, aber ich hatte noch nie einen Freund. Das war mir viel zu intim.
Ja, widersprüchlich.
Und ich mochte das ganze Konzept auch nicht. Diese Abhängigkeit voneinander war nervig. Die Eifersucht. Die Streitereien und die permanente Anwesenheit des anderen. Einfach nicht mein Ding.
Brodys Mundwinkel sanken. >Ich dachte nur...<
Ich lächelte. >Wie kommst du auf die Idee?< Seine Miene wurde ernst. Ich merkte, wie die Stimmung komisch wurde. Die Luft schien an Gewicht zu gewinnen. Warum fragte er mich das auf einmal? Ich meine, wir waren doch... Freunde? Ich strich über seinen Oberarm. >Liegt es vielleicht daran, dass ich so unwiderstehlich bin?<, fragte ich. >Daran, dass du Angst hast, dass mich die ganzen Kerle da draußen abschleppen wollen?<
Er zwang sich offensichtlich ein Lächeln ab und nickte. >Ja, das wird es sein. Bis morgen, Jenna.< Fast flüchtete er.
Scheiße, dass würde noch ein Nachspiel haben.
Schweigend lag ich im Bett. Brody war unglaublich nett. Er hatte mir geholfen, wenn ich Hilfe brauchte. Immer. Und... vergaßen wir nicht, dass er verdammt gut aussah. Scheiße gut.
Brody und ich...
Die Vorstellung ihn zu küssen, war nicht halb so schlimm, wie gedacht.
Wobei gleich darauf das Gesicht von Isaac in meinen Gedanken auftauchte. Ich drehte mich auf den Rücken. Starrte an die kahle, weiße Decke. Isaac wollte mich. Das wusste ich, aber wir konnten nicht zusammen sein. Welchen Sinn hatte es also? Denn ich wusste, auch wenn ich es nicht zugeben wollte, dass ich darauf wartete, hoffte, dass er sich urplötzlich unsterblich in mich verliebte und wir bis an unser Lebensende zusammen sein würden.
Aber Brody... Brody war hier in diesem Moment für mich da. Bei ihm hatte ich etwas Konkretes. Wenn ich an ihn dachte, wurde es warm in meinem Bauch. Das Gefühl war nicht annähernd so intensiv, wie bei Isaac, aber... „Was nicht ist, kann noch werden.“, nicht wahr?
Ich schlief ein.
Mein gewohnter Traum, der Tod meiner Eltern, verfolgte mich wieder. Doch anstatt meine toten Eltern raus rollen zu sehen, versperrte mir eine breite Brust den Blick.
>Jenna, ich bin hier...< Ich sah auf in die grau-grünen Augen Brodys. Er lächelte warm.
Erleichterung durchfloss meine Glieder. Die Arme des Feuerwehrmannes, die um mich geschlungen waren, verflüchtigten sich. Alles verschwand, bis auf ihn. Broderick. Das Knistern des Feuers, die Rufe der Männer... Alles verstummte.
>Jenna, ich bin hier...< Seine Tonlage veränderte sich. >Jenna, ich bin hier...< Weiblicher. >Jenna, ich bin hier...< Die Farbe seiner Iris veränderte sich. Ein kräftiges Braun floss in das Grün. Ein Summen entstand. >Du bist ich und ich bin du.< Es blieb Brodys Gesicht, aber alles andere veränderte sich. Die Augen wurden rot.
Es war sie. Ich wusste es. Ich versuchte zu sprechen, aber es kam kein Wort raus. Brody, Isaac, meine Eltern. Alles war vergessen.
Ich horchte auf das Summen, welches ins Stocken kam und in eine komplett andere Richtung ging. Es wurde rasant wärmer. Da war es wieder. Das Knistern des Feuers.
>Jenna, ich bin hier...<
Das Gesicht, in dem ihre Augen waren, war leer. Vollkommen erschlafft.
>Jenna, ich bin hier...<
Ihre Worte hallten in meinem Kopf. Wie ein Schlaflied wiegten sie mich tiefer in die Dunkelheit, obwohl ich nicht wollte. Ich wollte nicht gehen, versank aber dennoch. Landete in einem schwarzen Loch, in dem nur noch ein Brandmal von ihren Augen währte.

11. Am See


>Ich liebe es hier...< Beth atmete durch und schloss ihre Augen. Wir marschierten zum See. Ein paar liefen jetzt schon im Bikini oder in Shorts rum. Es war seltsam. Ich trug auch einen Bikini, hatte aber nicht vor damit rumzulaufen. Beth war eine von den Mädchen, die Shorts trug, aber kein Oberteil. Deshalb hatte ich sie den ganzen Tag schon nicht direkt angesehen.
>Ja, es ist schön hier.<, murmelte ich gedankenverloren. Ich war nicht wirklich da. Brody ging mir nicht aus den Gedanken, wobei er sich auf keine Weise den gestrigen Vorfall anmerken ließ. Mit einem breiten Lächeln hatte er sich zu unserer Gruppe gesellt und mir angeboten meine Tasche zu tragen. Ich hatte abgelehnt, er aber bestand darauf und hatte mir die Tasche abgenommen. Der kurze Hautkontakt brachte mich zum Zusammenzucken. Seitdem züngelten kleine Blitze auf meiner linken Seite. Zufällig war das auch die Seite auf der er lief.
>Die Luft ist einfach anders, wenn so viel Bäume um einen herum sind.< Er bemerkte meinen starren Blick und sah mich an. >Was ist los?<
Ich schüttelte den Kopf. >Nichts.< Hastig sah ich weg.
Ganz vorne an der Spitze liefen Isaac und Ken. Über die Schüler verteilt waren noch weitere Lehrer. Es waren so viele.
>Whuu!< Plötzlich schoss vor uns eine kleine Rampe in die Höhe und ein Schüler wurde durch die Luft geschleudert. Da erblickte ich das Wasser. Der Junge fiel direkt in den See. Alle begannen zu jubeln und automatisch schneller zu laufen.
Der See war echt schön. Riesig und überraschend sauber. Kein Müll und das Wasser war blau und klar. Es war das perfekte Wetter. Die hellen Sonnenstrahlen reflektierten auf der Seeoberfläche, gleichzeitig strich frischer Wind darüber.
Die Kerle drückten uns ihre Sachen in die Hände und rannten zum See. Wir suchten uns also einen geeigneten Platz und breiteten unsere Decken aus. Das Gras war saftig und grün. Wie ein weiches Polster dämpfte es die Härte des Bodens ab.
>Wollen wir reingehen?< Beth zog sich aus.
Unbehaglich drehte ich mich weg und setzte mich. >Ich bleibe noch ein bisschen hier.<, murmelte ich nur und zog meine Beine an.
>Sicher? Das Wasser ist bestimmt nicht so kalt.< Penny war die nächste, die sich entkleidete.
Ich rieb meine Schläfen und sah auf die gemusterte Steppdecke. >Ja, ich... gehe vielleicht später rein.<, erwiderte ich. Gleich darauf hörte ich, wie sie zum See rannten. Das Wasser platschte laut.
Kurz sah ich rüber. Alle spielten wie kleine Kinder. Nur sah das bei ihnen vollkommen anders aus. Die Erd-Bändiger ließen Springtürme aus dem Grund des Sees wachsen. Wasser-Bändiger verwandelten Teile zu einer Art Wellenbad. Luft-Bändiger entwickelten einen Strudel und die Feuer-Bändiger tummelten sich an einem Fleck, an dem das Wasser brodelte und dampfte.
Es schien surreal. Nicht echt. Unwirklich.
Diese Szene hätte in einem Science-Fiction Film sein können.
Ungläubig klappte mein Mund auf und zu. >Es ist manchmal doch schwer zu glauben, dass das real ist oder?< Mein Kopf drehte sich zu Isaac, der schräg hinter mir stand. Sofort traf mich ein Hitzeschwall. Als würde ich tatsächlich brennen. Für einen kurzen Moment musste ich tief durchatmen. Ich war nicht in der Lage zu schlucken. Mehrere Sekunden des Schweigens vergingen, während ich versuchte mich daran zu erinnern, wie das nochmal ging. >Darf ich mich setzen?< Ich nickte schweigend, räusperte mich und blinzelte. >Willst du nicht auch schwimmen gehen?<
>Nein, danke.<
>Liegt das an den Frauen hier?< Wieder nickte ich. >Willst du mir erklären...?<
Ich schüttelte den Kopf. >Um ehrlich zu sein, … nein.< Das war vielleicht zu schroff. Mein Herz schlug rasend schnell. >Tut mir leid.<
>Kein Problem.< Er zupfte eine kleine Blume vom Boden. >Du erscheinst mir niedergeschlagen.< Mit diesen Worten reichte er mir das Gänseblümchen.
Schnaubend lächelte ich. >Danke.<
>Bist du krank?< Ich drehte den Stil zwischen Daumen und Zeigefinger, während ich über meine Antwort nachdachte. Es fiel mir nur sehr schwer, denn Isaacs Anwesenheit brannte wie eine Fackel lichterloh in der Nacht. >Denkst du noch immer über den Hexer nach?< Ich verneinte. >Du lügst.<
>Warum fragst du, wenn du die Antwort weißt?<
Er streckte seine Beine aus und stützte sich mit seinen Händen auf dem Boden ab. >Weil ich will, dass du ehrlich zu mir bist, Jenna.< Oh, jetzt kommt er mit der Schuldzuweisung.
>Warum soll ich ehrlich zu dir sein? Was würde es mir denn bringen?<
>Meinen Respekt.<
Ich ignorierte das laute Lachen der Schüler und drehte mich zu Isaac um. Er machte mich wütend, weil ich diese starken Gefühle für ihn hatte, er seine aber nicht wahrhaben wollte und Brody Gefühle für mich hatte und ich diese nicht... ich weißt auch nicht. Diese ganze Situation war so verzwickt und kompliziert. Wo waren die Sportler, wenn man sie brauchte?
>Ich brauche deinen Respekt nicht, Isaac. Du hast mir schon zu Genüge klargemacht, dass du keinen Respekt vor mir hast. Du willst dass ich ehrlich bin? ...< Ich stierte ihn an. Er erwiderte verblüfft meine Konfrontation. >Halt dich fern von mir. Abgesehen vom Unterricht, möchte ich, dass du dich von mir fern hältst.< Meine Stimme senkte sich wieder. >Ich habe keine Lust, auf dein Mitleid und deinen Trost. Beides ist unnötig.< Wortlos drehte ich mich wieder weg.
Wieder Schweigen. Es raschelte und dann dumpfe Schritte.
Es tat irgendwie weh, aber ich ließ mich nicht zu einem weinerlichen Teeanger degradieren. Er wusste, dass ich Gefühle für ihn hatte. Er musste es einfach wissen. Und wenn er dies wusste, wusste er auch, was für einen Effekt sein Verhalten auf mich hatte.
Ich fing Broderick auf. Er stand in Shorts im See. Wassertropfen funkelten auf seiner Haut. Er sah sogar noch besser aus, als gedacht. Feste Bauch- und Brustmuskeln. Sein Bizeps spannte. Mit Penny und anderen Luft-Bändigern zusammen hatten sie eine Art Wasserball erstellt. Wasser, welches in einer Kugel bestehend aus Luft schwappte. Sie warfen ihn sich zu. Machten jedwede Art von Tricks. Es war beeindruckend.
Brody sah mich an, gerade als er den Ball wieder abgab. Ich musste Lächeln. Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus.
Wahrscheinlich war Isaac einfach nur eine Schwärmerei. Brody war realistisch und auf keinen Fall abstoßend.
Eine Entscheidung musste getroffen werden. Jetzt.
Ich winkte ihn zu mir. Verwunderte zeigte er auf sich. Lachend warf ich meinen Kopf in den Nacken und blickte ihn dann an. >Ja.<, formten meine Lippen.
Er löste sich aus dem Kreis und kam zu mir. >Wie kann ich Ihnen behilflich sein, junges Fräulein?< Ein Schmunzeln lag in seinen Worten.
Ich streckte ihm meine Hand entgegen und ließ mir hochhelfen. >Begleitest du mich etwas?< Zusammen spazierten wir in Richtung Wald, wo die Bäume dichter wurden. >Weißt du, ich... ich habe über das nachgedacht, was du mir gestern vorgeschlagen hast.< Hinter mir brummte er zustimmend. Die Stimmen der anderen wurden leiser. >Es könnte sein, dass ich vielleicht etwas voreilig war, weil...< Ich drehte mich um, um zu sehen, wie weit die anderen weg waren. Sie waren zwischen den breiten Stämmen kaum zu sehen. >... du warst für mich da und... nie... hast du was dafür erwartet.< Zögernd stellte ich mich vor ihn. Seine Augen lagen verlangend auf meinem Gesicht. Ich spürte, wie mein Hals trocken wurde. >Kann ich... dein Angebot noch annehmen?<
Er kicherte leise. Erschrocken erschlafften meine Züge. Machte er sich über mich lustig? >Jenna, ist das dein erstes Mal?<
>Ganz sicher nicht.<
Zärtlich nahm er meine beiden Hände und schüttelte den Kopf. >Bin ich dein erster Freund?< Bin? Hieß das „Ja“? Wir waren ein Paar? Ich nickte vorsichtig. Seine Finger strichen über meine Wange. Diese Berührung war wie eine Bestätigung seiner Gefühle. In seinen Augen konnte ich es sehen. Wie viel ich ihm bedeutete. Ich legte meine Hand in seine und erwiderte seinen Blick. >Komm her.< Mit einem Ruck zog er mich an sich heran und drückte seine Lippen an meine. Sie waren weich und warm.
Ich spürte die harte Rinde des Baumes in meinem Rücken und schlang meinen Arm um seinen Nacken. Hungrig ging ich auf meine Zehenspitzen, um ihn besser küssen zu können. Eine große Handfläche wanderte über meinen Rücken zu meinem Hintern und drückte zu. Mein T-Shirt wurde nass unter dem Druck seiner Brust. >Brody, wir können nicht die ganze Zeit hier bleiben.<, murmelte ich zwischen zwei Küssen.
Vorsichtig löste er sich von mir. Drückte mir noch einen letzten Kuss auf, bevor er einen Schritt von mir weg trat. Für einen kurzen Moment sahen wir uns einfach nur an. Er fuhr mit der Zunge über seine Unterlippe und streckte mir dann seine Hand zu. >Lass uns zurückgehen.<
Verlegen nickte ich und verschränkte meine Finger mit seinen. Mein ganzer Körper fixierte sich auf unsere Hände. Seine warme Innenfläche schmiegte sich an meine. Erschrocken schnappte ich nach Luft, als ich spürte, wie sein Daumen Kreise auf meinem Handrücken malte. Er küsste mich kurz auf die Wange, bevor wir aus dem Schutz der Bäume kamen. >Hör auf.< Ich verdeckte peinlich berührt meinen Mund.
>Auf keinen Fall.<, hörte ich ihn grinsend sagen, bevor er seine Arme um mich schlang und noch einmal wild küsste. >Du bist auf einmal so schüchtern und klein. Das ist verrückt.< Ich spürte seine Hände an meinem Rücken, wie sie mich an ihn drückte.
>Oh! Was läuft denn hier?<, rief Jack laut aus.
>Wollte nur angeben.<, raunte er in mein Ohr, bevor er sich von mir löste und mit runter zu unseren Plätzen zog. Ich setzte mich auf den Boden, spürte gleich darauf Brodys Oberschenkel an meinem. >Ehm... du hast dich doch jetzt nicht irgendwie dazu verpflichtet gefühlt...<
Ich sah ihn an. War das sein Ernst? Ich knuffte ihn in die Schulter. >Bist du wahnsinnig? Gestern hast du mich etwas überrascht, aber... ich mag dich echt. Ich meine, du hast am ersten Tag doch meine Tasche getragen. Irgendwie muss ich dir das doch zurückzahlen.< Lachend nickte er und nahm seine Flasche vom Boden. >Aber mal im Ernst...< Ich räusperte mich erneut. >... du warst echt nett zu mir. Von Anfang an. Ich bin es nicht gewohnt, nett behandelt zu werden ohne das mein Arsch dabei das Ziel ist.< Nichts als die Wahrheit.
Er schnaubte. >Vielleicht war das mein Ziel.<
>War es nicht. Das weiß ich.< Wusste ich wirklich. Brody war nicht so. Er umschlang meine Taille und zog mich an sich. Isaac fing meinen Blick auf. Ich konnte sehen, wie er von Brodys Hand an meiner Hüfte aufschaute zu mir, um sich sofort wieder abzuwenden.
>Wollen wir schwimmen gehen?<
Ich schüttelte den Kopf. >Ne, keine Lust.<
>Ach, komm. Jetzt haben sich alle schon die Hoffnung gemacht, dich im knappen Bikini zu sehen.< Er nahm meine Hand in seine und zog mich auf die Beine.
>Warte, nein...< Halbherzig versuchte ich mich von ihm zu lösen. >Brody...<
Sein Lächeln wurde breiter. >Ist ja nicht so, als würde ich gleich mit dir in die Kiste springen wollen... Wobei...<
Ich boxte ihn in den Bauch. >Lass das.< Er schob seine Hände unter mein T-Shirt. Ich spürte die Gänsehaut auf mir, bevor das Oberteil weg war. Mir wurde eiskalt. Die Anwesenheit der anderen Mädchen wurde mir sofort auf enorme Weise klar. Sie waren überall.
>Komm. Es ist nicht mal so kalt.< Unnatürlich stark auf meine Atmung konzentriert folgte ich ihm in den See. Er zerrte mich hinter sich her ans Ufer. Das Beben meines Herzschlages schien meine Knie vibrieren zu lassen. Die Stimmen der anderen waren so laut.
>Wow, Jenna!< Ich sah auf zu Jack, der beeindruckt seinen Daumen in die Luft hob. Nach und nach traten auch die anderen in mein Blickfeld. Meistens bewundernde und faszinierte schauende Augenpaare, bis ich auf die eisblauen der Blondinen traf. Verräterisches Brennen schlich sich in mein Gesicht und traf sich in meinen Augen. Knoten in der Kehle. Keine Luft...
>Ich.. ich kann das...<
>Jenna, könnte ich kurz mit dir sprechen?< Isaac. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, zu wem dieser tiefe Bariton gehörte.
>Mann. Kann das nicht warten, Isaac? Wir wollten gerade schwimmen gehen.<
>Nein, kann es nicht.< Seine warme Hand legte sich um mein Ellenbogen und schleifte mich mit sich. Beim Gehen schnappte er sich mein T-Shirt vom Boden. >Ich bin nicht der verdammte Schulsozialarbeiter, verstanden?<, knurrte er.
>Du tust mir weh. Hör auf.<
>Dann verhalte dich nicht wie ein dümmliches Kind, Jenna. Versuchst du mir eins Auszuwischen oder was soll... ?< Er hielt inne, bis ich wieder angezogen war und seufzte. >Geht's?< Seine Stimme nahm einen weicheren Ton an. Ich nickte. >Du... solltest ihm sagen, dass... du dich unwohl fühlst.<
Ich schüttelte den Kopf. >Wüsste nicht, was dich das angeht.<, brummte ich.
>Jenna.< Er legte seine Hand an meine Schulter. Widerwillig blickte ich zu ihm auf. Seine Haare steckten in einem unordentlichen Knoten. Es stand ihm unheimlich gut. Das Grün in seinen Augen bohrte sich wie dicke Schrauben in mich. >Du solltest nichts, rein gar nichts tun, dass  dich dazu bringt, dich schlecht zu fühlen. Welcher Grund auch immer, der dich...< Er seufzte wieder. >Mach so was einfach nicht mehr wieder. Bitte.< Fast träge trat er einen Schritt von mir weg.
>Ja, schon klar.< Ich drehte mich weg und ging zurück zu Brody. Er erwartete mich mit einem strahlenden Lächeln, während ich hinter mir deutlich spüren konnte, dass Isaac uns beide ernst musterte.
>Na, gab's Ärger?< Ich verneinte. >Er guckt aber ziemlich böse.<
>Ist egal. Du wolltest schwimmen gehen oder?< Er nickte und ließ seine Mundwinkel wieder steigen. Ich warf das T-Shirt ab, ignorierte die aufkommende Panik in mir und trat langsam ins Wasser. Es war kalt, doch während ich rein lief wurde es wärmer.
>Oh nein.< Er hakte seinen Arm unter meine Beine und schwang mich hoch, so dass ich  von ihm getragen wurde. >Einmal abtauchen.< Mein Herz pochte laut. Mir wurde schlecht, doch was dachte sich Isaac dabei, mir sagen zu können, wie ich mich verhalten sollte. Ich verhielt mich, wie ich es wollte. Und weder er, noch jemand anderes, hatte das Recht auf irgendeine Weise über mich zu bestimmen. Er und ich würden nichts werden. Verstanden. Nun sollte er mich aber verdammt nochmal in Ruhe lassen, damit ich mich in Ruhe meinem... Freund widmen konnte.
Der Wasserspiegel stieg immer weiter an. Ich spürte die Kälte an meiner Haut, drückte mein Gesicht an Brodys Schulter und biss die Zähne zusammen. >Ist dir so kalt? Du zitterst wie verrückt.< Ich küsste ihn direkt unters Ohr, was ihn zum Schweigen brachte. Meine brodelnde Panikattacke war damit vergessen. >Ok.< Meine Lider sanken. Das kühle Wasser umfing uns. Brodys Brust hob und senkte sich schwer. >Jetzt kannst du es... heiß machen.< Ich schmunzelte und ließ das Wasser wärmer werden. Sobald er bis zu der Brust im See stand ließ er mich runter, schlang aber gleich darauf seinen Arm um mich. Der Geruch, der um uns herumschwirrte, war ungewohnt, aber angenehm. Frischer Moosgeruch.
>Hey, Jenna!< Ich sah auf zu Beth. Sie watete zu uns. >Geh weg. Wir haben verstanden, dass bei euch was läuft.<, schnauzte sie und schob dabei Brody von mir, der sich widerwillig abwandte. >Hey, ehm...< Sie lehnte sich etwas zu mir vor, darauf bedacht, mich nicht zu berühren. >... geht es dir gut? Ich meine,...<
>Scheiß drauf.<, brummte ich und rückte noch etwas von ihr weg. Durch das Wasser konnte ich ihre helle Alabasterhaut und ihren marineblauen Bikini sehen.
>Hey, hey, hey...< Verwirrt blickte ich sie an. Sie fuhr mit dem Daumen über meine Wange. Ich zuckte erschrocken zurück. >Es ist alles gut.<, flüsterte sie tröstend. Da spürte ich die warmen Tränen auf meinem Gesicht.
>Mist.<, fluchte ich und tauchte einmal ab. >Es geht schon, Beth. Wirklich.<
Es wurde laut gejubelt, bevor eine riesige Welle aufbrach. Ken steckte vorne auf der Spitze. Beeindruckt verfolgten die Wasser-Bändiger die Welle. Ich war für einen Moment sprachlos. Er sprang ab, machte unzählige Saltos und stach anschließend stramm wie ein Brett ins Wasser. Applause und Gejubel trommelten noch immer laut, als er aufgetauchte. Lachend strich er sich sein Haar zurück. >Isaac! Na, komm!<, rief er laut und winkte seinen Genossen heran. Verneinend trank der weiter aus der Wasserflasche in seiner Hand.
Da begannen die Chöre. >Isaac! Isaac! Isaac!< Alle riefen sie laut.
Ich konnte sehen, wie seine Lippen sich zu einem Fluch bewegten, bevor mein ganzer Kopf blank gewischt wurde und wahrscheinlich auch der aller anderen Frauen hier, denn er entfernte sein T-Shirt mit einer flüssigen Bewegung. Hervor kam ein brauner, prächtig definierter stark tätowierter Oberkörper. Meine Kinnlade klappte herunter.
Plötzlich stieg er auf. Vor sich bildeten sich kleine aus Flammen bestehende Inseln auf denen er lief. Weiter und weiter stieg er auf. Lächelnd sah er über die Menge. Er blieb an mir hängen. Seine Mundwinkel sanken. Schnell riss er sich von mir los und begann zu rennen. Das Jubeln wurde wieder lauter. Ich musste meine Augen abdecken, um ihn sehen zu können. Plötzlich sprang er ab. Er verschwand in einem glühenden Ball aus Feuer. Selbst hier unten im Wasser konnte ich die Hitze des Feuers spüren. Aus dem Ball schoss etwas hervor und landete mit hoher Fontäne im Wasser. Riesige Wellen schlugen aus. Es wurde erneut laut gerufen. Gerade als Isaac auftauchte. Er dampfte.
>Es ist verdammt kalt hier drin.<, hörte ich ihn sich beschweren.
Ken sprang von hinten auf seinen Rücken. >Ach was. Die paar Tröpfchen machen dir doch nichts aus. Los, Kinder. Ich gebe euch die Erlaubnis, eurem Konrektor mal richtig die Hölle heiß zu machen.< Und schon begann die große Wasserschlacht. Isaac mittendrin.
>Hey. Du willst da nicht mitmachen oder?<, fragte mich von hinten jemand. Beth sah besorgt zwischen Brody und mir hin und her.
>Nein.< Ich warf ihr einen eindeutigen Blick zu und folgte ihm an eine ruhigere Stelle.
>Du zitterst immer noch. Sollen wir raus?< Ich schüttelte den Kopf und schlang meine Arme um ihn herum. Lachend legte er seine Stirn an mein Haar. >Du hast total Gänsehaut.< Er strich über meine Schultern. >Wie gesagt, du kannst es heiß machen.< Lachend sah ich zu ihm auf. Die Temperatur des Wassers stieg an. Er fuhr mit den Fingern über meine Nase und tippte auf die Spitze. >Ich bin gerade am überlegen, ob es wirklich so eine gute Idee war, dich mit ins Wasser zu nehmen.< Argwöhnisch runzelte ich die Stirn. Ich spürte Licht auf mich nieder scheinen. Die Stimme meiner Mutter und das deutliche Gefühl angesehen zu werden. >Du siehst so gut aus, dass alle dich ansehen.< Ich spürte es in mir zittern. Panik. Panik. Ich fühlte mich nackt. Verletzbar. >Hey, alles klar?< Seine Hände lösten sich von meinen Armen. >Jenna, du wirst scheiße heiß.<
>Was?<
>Du brennst. Ah, verdammt!< Er schnappte meine Oberarme und schob mich von sich. >Scheiße.<, fluchte er leise und tauchte seine Hände ins Wasser. >Geht's dir gut?<, fragte er besorgt, sah sich seine Handinnenflächen an und dann mich.
>Mist, es tut mir leid.< Ich nahm seine Finger und untersuchte sie. Sie waren rot. >Tut mir leid, Brody.<
Er strich mir über die Wange, hob mein Kinn an und zog mich kurz an seine Lippen. >Schon besser.<, schmunzelte er. Wehleidig erwiderte ich sein Lächeln. >Wenn du dich nicht wohl fühlst, können wir uns hinlegen. Das macht mir nichts. Hab sowie so keine Lust mehr hier.< Wir traten aus dem Wasser. Brody hinter mir. Seine Hand strich über meine Taille bis runter zu meiner Hüfte. >Du glaubst nicht, wie oft ich das schon machen wollte.<
Ungläubig sah ich mich zu ihm um. >Du hattest also doch...<
>Nein.< Ich setzte mich auf die Decke und schlang sofort ein Handtuch um mich herum. Brody ließ sich neben mir fallen. >Nein. So war das nicht. Ich hänge nicht wegen deines Aussehens mit dir rum, sondern weil ich dich mag, Jenna.< Er sagte es vollkommen unbekümmert. Schulterzuckend lehnte er sich an mir an. >Dich, Jenna.< Kurz küsste er mich auf die Schläfe. >Du wirst es nicht glauben, aber... meiner Meinung nach, ist dein Charakter schöner, als...< Ich verdeckte seinen Mund mit meiner Hand. Seine Worte machten mich verlegen. >Oh, du wirst rot.<
>Sei ruhig, jetzt.< Ich grinste ihn breit an. Schmetterlinge flatterten in meinem Bauch, denn seine Worte echoten noch immer in meinem Kopf. >Danke. Das ist nett. Danke.< Ich sah ihn einfach nur an. Nahm seine Hand in meine, drückte sie und zog sie auf mein Knie. >Danke, Brody.<
Etwas perplex nickte er. >Gerne. Immer.<
Der Tag am See entwickelte sich zu einem Besuch in einem Abenteuer-Park. Sobald ich trocken war, hatte ich mich angezogen. Da auch kamen die anderen zurück und wir aßen zusammen. Ich konnte den Mädchen nicht in die Augen sehen. Ich war fast nackt vor ihnen gewesen. Niemand bemerkte mein Unbehagen. Die allgemeine lockere Stimmung hielt also an. Es wurde gelacht, gefeiert. Wir blieben den ganzen Tag und auch den Abend lang da. Feuer-Bändiger ließen um den See herum Flammen schweben, um in der Nacht Licht zu spenden.
Es wurde gegrillt, wobei erneut Feuer-Bändiger eine Platte aus Feuer entstehen ließen und das Fleisch und Gemüse darauf legten. Wasser-Bändiger kühlten die Getränke. Erdbändiger bauten Tische und Bänke auf und natürlich auch den Grill selber. Die Luft-Bändier hatten frei. Es war wirklich schön. Ich sah mich um und erblickte nur Gleichgesinnte. Meines Gleichen. Leute, die wie ich waren.
Ich lief hinüber zu Isaac an den Grill. Dieser war nämlich für das Essen zuständig. >Was kann ich für dich tun?<, fragte er und sah auf die zwei Teller in meinen Händen.
>Zwei Hamburger.<, erklärte ich. >Ach ja und für Brody auch einen, ja?<
Seine Mundwinkel hoben sich an. >In Ordnung.< Er legte zwei rohe Hamburger auf das Feuer. Sein Feuer ließ alle Härchen auf mir gerade stehen. >Drei Hamburger für die Dame zu meiner Linken.<
>Also grillen, huh?< Er nickte. >Und was machst du sonst noch so?<
Er grinste. >Ich bin Lehrer.<
>Lehrer. Lahm.<
Er lachte. >Na ja, meine Schüler sind nicht wirklich normal, weißt du?<
Ich freute mich. Ich war ja doch etwas grob zu ihm gewesen. Doch er lächelte ausgelassen. Seine Augen wirkten etwas glasig. >Nicht wirklich normal? Haben die drei Augen oder was?<, fragte ich.
Er warf seinen Kopf in den Nacken und lachte laut schallend. >Nein, nein. Sie widerlegen nur alle physikalischen Gesetze.<
>Ach so. Ja dann.< Da roch ich dann den bekannten Geruch von Alkohol. Hatte er etwa getrunken? >Kann es sein, dass du etwas zu tief ins Glas geschaut hast, Isaac?< Wieder lachte er und schüttelte den Kopf. Hinter uns knirschte und krachte es. Wir sahen uns um. Aus dem See erhob sich eine Bühne. Unglaublich. Ich sah wie mehrere Personen, sowohl Lehrer als auch Schüler, am Rand des Sees standen und sich ähnlich bewegten.
>Erd-Bändiger sind schon etwas faszinierendes oder?<
Der See wurde in mehrere Abteile geteilt, sodass Wege vom Ufer zu der Fläche führten. Dann erklang Musik. Aus dem Wald kam ein Auto. >Ist das hier jetzt eine Party?<, fragte ich ungläubig.
>Neben dem ganzen Trainieren und Vorbereiten auf Kämpfe, muss es auch einmal eine Pause geben.< Ich nickte. >Hier.< Isaac setzte die Hamburger zwischen jeweils zwei Scheiben aufgebackenen Brotes. Ich platzierte sie auf den Tellern. >Viel Spaß noch.<
Ich lächelte. >Danke. Dir auch.< Ich drehte mich um. Beth half den anderen beim Aufbau der Bühne.
Penny kam mir zur Hilfe. Sie besorgte noch weitere Hamburger und belegte sie mit mir. >Also du und Brody...< Lachend bejahte ich. >Schade.< Ich sah zu ihr. >Er ist süß. Dachte mir, dass vielleicht...<
>Es... es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass...<
Sie lachte. >War ein Witz, Jenna. War doch von Anfang an klar, dass ihr beide zusammen kommt. Der war die ganze Zeit spitz auf dich.< Kopfschüttelnd klemmte ich mir mehrere Flaschen unter die Arme. >Wenigstens bleiben nun auch ein paar Kerle für uns übrig, wo du jetzt unter der Haube bist.<
Wir machten uns auf den Weg zu den anderen. >Du bist doch verrückt.< Kyle sah auf, sobald wir in die Nähe kamen. Sein Augenmerk lag auf seiner Schwester. >Denkst du, dein Bruder wird es überhaupt zulassen, dass du irgendeinem Jungen in die Nähe kommt?<
>Das wird er wohl, denn ich habe nicht vor einsam zu sterben.<
Wir verteilten die Burger und setzten uns dazu. >Das wird heute noch was, denke ich.<, sagte Jack und sah sich um. Die Schüler versammelten sich auf der „Tanzfläche“.
Ich war mit meinem Essen beschäftigt. Ignorierte alles um mich herum. Ich brauchte Ruhe. Nur für ein paar Minuten. Ich war nicht darüber hinweg, dass ich Isaac Parole geboten hatte. War nicht darüber hinweg, dass ich in einer Beziehung war. Ebenso war ich noch immer nicht darüber hinweg, dass ich mich vor den Mädchen in Unterwäsche gezeigt hatte.  Heute schien so viel passiert zu sein.
Kyle und Penny zu beobachten war da manchmal wirklich aufmunternd.
Er zeigte auf seinen Mundwinkel. >Du hast da was.<
>Hier?< Sie wischte sich über das Kinn, verfehlte dabei aber den Ketchup-Fleck.
>Nein, hier.<  Er fuhr mit seinem Daumen über den roten Fleck unter ihrem rechten Mundwinkel und leckte ihn selber ab. >Idiot.<, murmelte er dabei. Sie sah ihn entsetzt an. Grinsend schlang er seinen Arm um sie und küsste sie auf die Stirn. >War ein Scherz, Schwester.< Als wäre es anders nicht korrekt lehnte sie sich an ihm an und hörte dem Gequatsche der anderen zu.
Sie wirkten immer so unzertrennlich. Immer darauf aus den anderen zu schützen. Und ich war mir sicher, dass das stimmte.
Ich fuhr mit einer Hand über meine Stirn. Ich hatte Kopfschmerzen und das Essen schmeckte mir nicht, weshalb ich nach der Hälfte aufhörte und den Teller beiseitelegte. Nach und nach setzten sich welche auf und gingen zur Insel. Ich  lächelte.
Wie sie lachten. Sie hatten Spaß und machten sich keine Sorgen.
„Neben dem ganzen Trainieren und Vorbereiten auf Kämpfe, muss es auch einmal eine Pause geben.“
Bilder von dem Hexer blitzten vor mir auf. Wir trainierten, um uns vor ihnen zu schützen. Außerhalb des Schulkomplexes waren wir nicht sicher. Und hier tanzten und tranken wir. Vielleicht war das nur Paranoia, aber ich hatte das plötzliche Gefühl, beobachtet zu werden. Könnte das nicht heißen, dass sie hier waren? Oder das sie kommen und uns angreifen könnten?
>Hey, Jenna.<
Was sollten wir dann tun? Isaac hatte gemeint, dass unsere kämpferischen Fähigkeiten sich verbessert hatten, aber würden wir einem tatsächlichen Angriff standhalten können? Ich habe doch gesehen, was dieser Hexer mit Brody gemacht hatte. Konnten Isaac oder Ken überhaupt etwas tun? Er war so stark gewesen. So übermenschlich stark.
Mein Haar wehte plötzlich aus meinem Gesicht und ich blickte verblüfft auf. Brody war als einziger zurückgeblieben. Ich sah rüber zur Insel. Sie war gut gefüllt. Und die Musik war laut. Hallte durch den Wald. >Wollen wir tanzen gehen?<, schlug er vor.
Ich lächelte ihn an. >Kannst du überhaupt tanzen?< Schnaubend stand er auf und hielt mir seine Hand hin. Ich schob meine Finger zwischen seine. Zusammen liefen wir ans Ufer und traten auf einen der Wege.
>Ich werde mein Bestes geben.< Wir gesellten uns zu unseren Freunden. Ich drehte mich zu ihm um und schlang meine Arme um seinen Nacken. Es lief gerade langsame Musik, weshalb wir uns langsam von Seite zu Seite wiegten. Ich lehnte meine Stirn gegen seine Schulter und schloss meine Augen. >Ich... habe gemerkt, dass du dich unwohl gefühlt hast, als wir ins Wasser gegangen sind.<
>Ach was...<
>Tut mir leid, ich habe es erst später gemerkt. Ich wusste nicht, dass du dich...<
Ich sah zu ihm auf. >Ist schon gut. Halt einfach den Mund, ja?< Lächelnd nickte er.
Wir tanzten die ganze Nacht. Wirklich die ganze Nacht.
Erst am Morgengrauen spürte ich, wie furchtbar müde ich war. Besonders spürte ich dies in meinen Beinen. Dennoch mussten wir den Weg zurück marschieren, wobei zwei Lehrer im Auto fuhren. Doch das war es wert gewesen. Ich hatte lange nicht mehr so ausgelassen gefeiert. Das war doch ganz am Anfang gewesen. Ich war schon so lange hier.
Meine Adoptiveltern hatten sich kein einziges Mal gemeldet, aber das hatte ich mir schon vorab so vorgestellt.
>Jetzt sehe ich für was ein Freund so nützlich sein kann.<, brummte Beth und sah zu mir. Brody trug mich auf dem Rücken.
>Ich bin noch für ganz andere Dinge nützlich.< Ich verdrehte die Augen, wollte gerade wieder etwas dösen, als ein Licht meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Zwischen den Bäumen leuchtete ein Feuer. Ich spürte Wärme auf meinem Gesicht. Fast schienen Worte zur mir zu gleiten. Mich in einen warmen Bann zu ziehen. Ich drehte mein Gesicht, um das Licht im Auge zu behalten. So schön und weich.
>Hey, ehm... lässt du mich kurz runter.< Ich stieg von Brody runter.
>Was ist los?<
>Geht weiter, ich komm gleich.< Ich lief zurück in den Wald. Ich musste es sehen. Wer war es? War es vielleicht... ? Meine Lungenflügel schienen zu zittern. Zu vibrieren. Ein Knoten bildete sich in meinem Hals. War es sie? War sie hier? Hatte sie mich endlich gefunden? Ich lief den Weg zurück, näher an den Waldrand.
>Jenna, stell dich zurück in die Reihe.<
Ich stolperte auf dem Waldboden, lief aber weiter. Es war so hell und kräftig. Die Farbe der Bäume erstrahlte um sie herum. Sie gingen aber nicht in Flammen auf.
>Jenna! Komm wieder zurück.<
Ich schob Äste und Sträucher beiseite, die mir im Weg waren und begann zu rennen, als Fesseln sich um meine Arme legten. Sie war hier. Sie war hier.
>Jenna, bleib stehen!< Ich kam ihr näher. Die Temperaturen stiegen an. Ich spürte sie auf meiner Haut knistern. >Geht weiter. Wir holen sie zurück.<
>Jenna.< Wieder wurde ich festgehalten. Ich wehrte mich gegen die Griffe, aber sie waren zu stark. >Jenna. Hey.< Ich sah in Bordys Augen. Das Gesicht schärfte sich nach und nach. Ein erschrockener Laut entkam ihm. >Deine Augen. Isaac…< Sein Hinterkopf trat in Vorschein, bevor er sich wieder mit zuwandte. >Wo willst du hin?< Mein Finger hob sich an. An der Spitze leuchtete das grelle Licht. Wieder sein Hinterkopf. Dunkle Haare. >Jenna,... was... was siehst du da?<
Argwöhnisch blickte ich ihn an. >Was ich da sehe? Siehst du es denn nicht? Dieses Licht kann man doch nicht übersehen.<, rief ich.
>Licht?< Isaac. >Ist das wieder... deine Mutter?< Ich nickte. Gleichzeitig merkte ich auch, wie die Flamme kleiner wurde. Wie sie alle Helligkeit einsaugte und verschlang. Kälte breitete seine Fänge aus und schloss mich ein. >Jenna, hör mir... Du musst mir zu hören. Da ist nichts.< Das Feuer wurde kleiner. >Sieh mich an, Jenna. Da ist nichts. Gar nichts.< Ich starrte ihn an. Nichts? Sie war also nie da? Nie?
>Nicht?<
>Nein. Hier ist nichts und niemand außer uns dreien.< Die Stimme kam aus Brodys Mund. Alles wurde dunkel. Als wäre nie etwas da gewesen.
War sie... ? Ich hatte zwei Mütter verloren. Natürlich, dass ich mir eine weitere Mutterfigur erstellte.
Enttäuschung.
Ich sah zu Brody. >Bin ich jetzt etwa ein schizophrener Böller.<
Er lachte. >Ach was. Komm.< Sein Arm legte sich um meine Taille. >Du holst dir eine Mütze Schlaf und entspannst dich.< Ich spürte, wie mein Mund sich langsam zu einem Lächeln formte. Er war so ein lieber Kerl. Hier stand ich, verrückt, ausgelaugt und verwirrt und er blickte mich noch immer an, als wäre ich das Wertvollste und Schönste. Ich umfing sein Gesicht, ging auf die Zehenspitzen und küsste ihn. >Du weißt doch, dass ich nicht mit in dein Zimmer darf.<, scherzte er und linste zu Isaac. Ich lehnte mich an ihn. >Lass uns gehen, ja?< Unsere Finger verschränkten sich wie selbstverständlich ineinander. >Du bist einfach nur müde und fertig. So etwas kann passieren.< Benommen nickte ich. Monoton strich er mir durchs Haar und drückte mir hier und da einen Kuss auf. Das brauchte ich. Brody, der mich liebkoste und umschmeichelte. Er war, was ich brauchte. Tatsächlich.
Wir kamen etwas später als die anderen wieder in die Schule. Isaac war bis dahin entschwunden.
Aus den Augen aus dem Sinn.
>Hey, wo wart ihr denn?<, riefen unsere Freunde laut am Treppenabsatz.
Brody lachte und drückte mich enger an sich. >Das Traumpaar hat ein paar Minuten für sich gebraucht.< Wir liefen zusammen die Treppen hoch. Beth warf mir einen besorgten Blick zu. Ich lächelte sie an, um sie zu beruhigen. Sie verabschiedete sich deutlich entspannter zu ihrem Zimmer.
>Nein, jetzt geh. Es geht mir besser. Wirklich. Ich bin ein bisschen...<
>Ich möchte nur sicher gehen, dass es dir gut geht.<
Ich hob eine Braue an. >Und da spielen keine hinterhältigen Motive mit ein?<
Er lachte und verneinte. >Ach, halt die Klappe. Lauf.< Er schob mich hastig in Richtung Mädchenflügel und direkt in mein Zimmer.
Ins Geheim war ich froh ihn bei mir zu haben. Wenigstens bis ich einschlief. Ich spürte noch immer die Schwere meiner Enttäuschung in meiner Brust pulsieren. Den Unglauben, dass ich mir Sachen einbildete. Und das Glück, meinen Bordy zu haben, der mich begleiten und beschützen würde.
Ich konnte mich auf ihn verlassen. Ich war mir da einfach sicher. Vollstes Vertrauen in einen Mann. Es war nicht zu glauben. Ein Mann. Er mochte mich, wegen mir.
Wie oft erlebte man das schon?
Rasch stieg ich unter die Dusche und schlüpfte ins Bett. Brody saß daneben auf dem Boden und lehnte seinen Kopf gegen den Rand. Er schloss seine Augen und genoss das Gefühl meiner Finger in seinem Haar. >Willst du nicht fragen?<
Er wusste, was ich meinte. >Ich habe doch gesehen, wie sehr du dich in letzter Zeit strapazierst. Also...< Seine Lider trennten sich und seine blauen Augen fanden mich. >Hi.<
Ich lächelte ihn an. >Hi.<
>Du musst einfach etwas lockerer mit dir selber ins Gericht gehen, Jenna. Jen-Jen.<
>Wag es nicht.<
>Nana.< Ich schnappte mir ein Kissen und haute es ihm ins Gesicht.
Lachend beugte er sich über mich und drückte seine Lippen an meine Stirn. >Jetzt schlaf.< Mit seiner Hand in meiner schlossen sich meine Augen und ich versank.
Natürlich träumte ich meinen altbekannten, immer erschreckender werdenden Albtraum.  Meine Eltern verbrannten, dass ganze Haus brannte. Die Rohrleitung flog hoch, doch es gab kein Feuer. Es war alles schwarz. Schwarze Waben verschlangen das Haus, meine Eltern... Es war fast noch schlimmer, als das Feuer. Denn obwohl ich wusste, dass das Feuer sie bei lebendigem Leibe verbrannte, hatte ich immer das Gefühl gehabt, dass es sie behütete. Sie schützte.
Ich war panisch. Suchte nach Licht und Wärme, aber es war kalt und dunkel. So dunkel. Die Präsenz anderer Gestalten war deutlich spürbar, doch es war so dunkel, dass ich nichts sehen konnte. Die Waben hörten mit dem Haus und meinen Eltern nicht auf, stattdessen kroch es auf mich zu. Die Arme des Feuerwehrmanns waren verschwunden. Ich lag auf dem Boden, nicht in der Lage mich zu bewegen. Musste ängstlich dabei zusehen, wie diese Wellen auf mich zu kamen.
Sie krochen an meinen Beinen hinauf. Eisige Kälte. Rasend schnell erfror ich und das einzige, an das ich denken konnte, war sie. Mutter. Sie kam mir so real vor. Sie kannte mich. Sie war in mir gewesen. Ich hatte deutlich spüren können, dass wir verbunden waren.
Aber sie war nicht echt. Nie da gewesen.
Und jetzt war ich alleine und erfror.
Ich war alleine und...
Die Luftröhre wurde hart und zu keiner Bewegung möglich. Alles fror ein.
Mein Augenlicht schwächte sich. Schwarze Gestalten umzingelten mich. Das Gesicht des Hexers ragte urplötzlich direkt vor mir auf.

>Ahh!< Ich riss aus dem Bett, tastete sofort suchend über den Boden. Brody war nicht mehr hier.
Ich war allein.
Schleppend bugsierte ich mich ins Badezimmer, machte das Licht an und setzte mich in eine Ecke. So wie ich es früher gemacht hatte, hielt ich mir Flammen ins Gesicht.
Gefühlte Stunden lang saß ich da. Versuchte nur zu ordnen, was in meinem Kopf durcheinander lief.
Sobald es an der Zeit war, stieg ich unter die Dusche und ließ brühend heißes Wasser auf mich niederprasseln. Ließ mir alle Zeit der Welt mich fertig zu machen, ging sogar eine lange Runde joggen, war letztendlich aber dennoch früher als alle anderen in der Cafeteria beim Essen.
Nach und nach füllten sich die Bänke und meine Freunde gesellten sich zu mir.
>Habt ihr gesehen, wie Jonna gestern mit der Latina aus der Klasse unter uns geflirtet hat?<, nuschelte Jack zwischen zwei Bissen hervor.
Es begann eine laute Diskussion, aus der ich mich sofort ausklinkte. Ich war nicht im Geringsten müde. Im Gegenteil, ich fühlte jede einzige Zelle meines Körpers. Doch ich war angeschlagen. So angeschlagen. Wollte ich mich in einer dunklen Ecke verkriechen und nie wieder herauskommen. Ich schämte mich dafür, so verwirrt gewesen zu sein. Ich hatte mir diese ganzen Dinge eingebildet und mich wie eine Verrückte verhalten. Ich habe Isaac doch gesehen. Wie er mich schon auf der Krankenstation angesehen hatte. Anders aber Brody. Er hatte mich sofort in seine Arme gezogen und sich verhalten, als wäre es das normalste auf der Welt. Vielleicht war die Reaktion auf Isaac nur so intensiv gewesen, weil er der erste Feuer-Bändiger war, auf den ich jemals getroffen hatte.
Etwas strich über meine Schulter. Ich sah mich um, wo niemand war. Auf der anderen Seite setzte sich Brody aber gerade neben Jack an den Tisch. Ich lächelte ihn an. >Alles klar?<, fragte er beiläufig. Schweigend nickte ich. Zufrieden schnappte er sich das belegte Brötchen seines Sitznachbarn.
Wir hörten einen lauten Ruf aus den Fluren. So laut, er übertönte alle beim Essen. Die Köpfe drehten sich um. Eine Gruppe von Schülern kam herein gejoggt.  Aufgelöst. >Sie... sie sind hier.<, sagte die eine.
Jeder wusste sofort, um wen es ging und was zu machen war. Die Lautsprecher raschelten. >"Hier ist Rektor Robinson. Findet euch in den Schutzräumen ein."<
Ungläubig sah ich auf.

12. Nach dem Urlaub

Ein Angriff.
Ich hörte erneut einen lauten Ruf. Lehrer liefen an uns vorbei. >Wo ist Isaac?< Ich horchte sofort auf.
>Ich denke, er ist draußen. Weiter, Schüler!< Es wurde plötzlich dunkel. Wir alle sahen raus. Dunkle Wolken zogen auf. Der Himmel färbte sich Schwarz.
>Was zum Teufel...?!<, hauchte Brody ungläubig und folgte weiter der Schlange, doch ich zweigte ab und schlich mich hastig davon.
Von Adrenalin gesteuert stürmte ich hinaus vor die Schule und suchte nach Isaac. Doch ich konnte ihn nicht sehen. Überall war alles schwarz. Schwarze Rauchschwaden. Lautes Gröllen hallte von jeder Seite, genauso wie unmenschliche, zischende Geräusche.
Wo war Isaac? Wo zum Teufel war er? Ich konnte ihn nicht sehen.
>Isaac!<, rief ich in die Dunkelheit. >Isaac! Isaac, wo bist du?<
>Jenna! Verdammte Scheiße! Komm zurück!< Brody schnappte meine Hand und zog mich hinter sich her, zurück zum Schulgebäude. Er hustete wie verrückt und bedeckte seinen Mund mit seiner Armbeuge.
Suchend sah ich mich um. >Aber... Isaac... Wo ist Isaac? Ich muss ihn finden, Brody!<, rief ich entgegen der Geräuschkulisse.
>Keine Sorge, der kommt schon klar. Wir müssen zurück.<
Ich entriss ihm meinen Arm. >Geh zurück. Ich bleibe hier. Ich muss ihn finden.<
Ich konnte Brody fluchen hören. >Penny?! Wir müssen den Scheiß hier wegschaffen!<
>Bin dabei!<, hörte ich sie aus dem Nirgendwo sagen. Wenige Sekunden später wurde der Rauch von einem präzisen Windstoß zur Seite geschoben und eine unsichtbare Kuppel bildete sich. Die Kuppel erweiterte sich. Andere Luft-Bändiger halfen den Rauch beiseite zu schieben.
>Oh... mein Gott!<
Es waren so viele. Hunderte. Schüler und Lehrer kämpften Seite an Seite gegen die Hexer. Sie stachen in ihren schwarzen Kleidern und der grässlichen Hautfarbe so furchtbar hervor. Gut gegen Böse. Ich begann schwer zu atmen. Das war ein Krieg. Ein tatsächlicher Krieg. Es wurde gekämpft, geblutet und ich war mittendrin.
Ich war einfach mittendrin.
>Geht zurück, Brody. Ich kann das alleine.<, rief ich zurück.
>Bestimmt nicht. Komm schon.< Er zog mich hinter sich her.
Da entdeckte ich ihn.
>Pass auf. Ich muss Penny helfen. Bin gleich zurück. Halt dich im Hintergrund.<, hörte ich Brody sagen, aber ich verstand ihn nicht wirklich. Meine Aufmerksamkeit galt Isaac.
Meine Augen weiteten sich. Sein Gesicht. Er war nicht wiederzuerkennen. Plötzlich war er dieser blutrünstige Krieger. Nichts mehr an ihm erinnerte an den Biologie-Lehrer. An den Tröster aus der Cafeteria.
Mit einer kurzen und knappen Bewegung, packte er den Kopf einer Person, einem Hexer, und riss ihn ruckartig zurück. Fast konnte ich die Knochen knirschen hören. Und ohne auch nur eine Sekunde an der Leiche zu verschwenden, die vor ihm auf die Knie ging, wandte er sich dem nächsten Hexer zu und bekämpfte ihn mit einer Geschwindigkeit, die einfach nicht menschlich war.
Eine  weitere Bewegung entzog ihm meine Aufmerksamkeit. Ein Mann, ein Hexer. Er streckte seine Hand zur mir aus und ließ sie langsam zu einer Faust schließen. In meinem Bauch wuchs ein Druck. Als packte er tatsächlich meinen Magen.
Ich ächzte.
Ein dreckiges Grinsen.
Meine Knie gaben nach. Ich bekam keine Luft mehr. Schmerzerfüllt krümmte ich mich. Ich spürte ihn in mir. Konnte fast den ekelhaften Geruch auf meiner Zunge schmecken. Mit verschwimmender Sicht sah ich auf. Schnappte nach Luft und versuchte panisch diesen unglaublichen Schmerz los zu werden.
Ich hob meinen Kopf an. Er kam auf mich zu.
Er sah dem Hexer vom Club so ähnlich. So ähnlich. Mir wurde eiskalt. Angst. Überall spürte ich Angst auf meiner Haut kondensieren.
Ich landete auf meinem Rücken und kroch rückwärts von ihm weg.
>Bitte,... bitte, nicht...<, flüsterte ich verängstigt.
Ich sah mich um. Alle waren in Kämpfe verstrickt. Sie konnten es. Waren in ihrem Element, kämpften und ließen sich nicht unterkriegen. Selbst Brody und Penny kamen zurecht.
Das konnte ich. Ich musste es können. Ich hatte Wochenlang mit Isaac trainiert. Mich auf die Matte werfen lassen und anderen blaue Flecke verpasst.
Mit großen Augen starrte ich den Hexer an. Er kam immer näher.
Jetzt. Jetzt...
Ich hob meine Hand in sein Gesicht.
Es passierte nichts.
Tränen quellten aus meinen Augen heraus. Ich presste meine Zähne fest aufeinander. Der Schmerz wurde immer unerträglicher. Und seine Hand war fast zu einer Faust geworden.
Ein Stein lag in meinem Bauch. Es wurde immer schwerer und alles drückte enger zusammen.
Es war zu früh. Ich schaffte es nicht. Ich schaffte es nicht. Mein Feuer war nicht stark genug und ich sowie so nicht. Ich würde sterben.
Er kam näher.
>Ich helfe dir.<
Auf einmal verteilte sich der Schmerz aus meinem Bauch auf meinen ganzen Körper. Feuer fuhr in meine Glieder. Ich konnte mich wieder bewegen und ihn mit einem Kick zu Fall bringen, bevor er aber zu Boden ging, fing ich ihn ab. Drehte ihn mit dem Rücken zu mir und schon im nächsten Moment umfing meine Hand, ummantelt von Feuer, seine Kehle.
Der Druck war weg. Seine Hand hing an seinem Körper herab. Verängstigt sah ich um mich herum. Was zum Teufel sollte ich jetzt mit ihm anstellen?
Das letzte Mal war doch eher ein Aus-Versehen gewesen.
>Jenna!< Beth stampfte auf den Boden und ein Schwert flog auf mich zu. Ich schnappte den Griff. Konnte gerade noch sehen, wie Beth den Kopf eines Hexers packte und mit ihm zusammen im Boden verschwand, aber ohne ihn wieder auftauchte.
Brody, Penny, Beth und ich. Ich hatte sie alle in diesen Kampf reingezogen.
Plötzlich riss mir jemand das Schwert aus der Hand und schlug die Klinge in den Körper des Hexers. Aufschreiend ließ ich ihn los und sprang zurück. Es war die Blondine. Daphne. Schwarze Tropfen lagen auf der einen Hälfte ihres Gesichtes. Was für ein Kontrast zu ihren filigranen Zügen. Sie zog das Schwert wieder raus und drückte es mir grob gegen die Brust. >Tu etwas und steh hier nicht einfach nur blöd rum.<, sagte sie nur und verschwand wieder.
Sie erschien wie ein verdammtes Kind an Weihnachten.
Ich atmete durch und fasste mir an den schmerzenden Bauch.
Aber sie hatte Recht.
Bitte, hilf mir, bat ich im Kopf.
Verdammt, wie tief war ich gesunken. Sprach mit einer Stimme aus dem nirgendwo.
Ich ging los, schnappte mir noch ein zweites Schwert, welches auf dem Boden lag, und zielte auf den nächsten Hexer.
Isaac war stolz auf mich gewesen, weil ich die Schüler beschützt hatte, weil ich mich beschützt hatte. Das würde ich wieder hinkriegen. Ich würde meine Mitschüler beschützen.
Mit einer Drehung entzündete ich die Klingen und schob sie dem Hexer in den Rücken bevor er überhaupt wusste, dass ich in seiner Nähe war. Ein Vibrieren sauste von meinen Händen über meine Arme und über den Rest meines Körpers.
Der Hexer lag leblos auf dem Boden. Schwarze Flüssigkeit sickerte unter seinem Oberkörper hervor.
Und da spürte ich das Adrenalin. Wie es in mir kochte. Alles kribbelte. Meine Sicht wurde schärfer und mein Hörsinn sensibler.
Ich stellte mich aufrecht hin, ignorierte den Schmerz in meinem Bauch und nahm alles in mich auf. Mein Körper schien wie aufgeladen. Elektrisiert.
Meine Schwerter glühten wie Fackeln im Licht. Ich fühlte mich so groß auf einmal. So groß und stark. Und als ob mich jemand führte, bewegten meine Arme sich. Ein Ring umzingelte mich. Und als der erste Hexer auf mich zugerannt kam, schnitt ich mit den Schwertern ein Teil aus dem Ring und kickte ihn gegen den Hexer. Auf die nächsten Zwei steuerte ich zu. Den einen packte ich am Nacken, zog ihn runter mit der Stirn gegen mein Knie und den anderen schleuderte ich mit einem Schwung über meine Schulter auf den Boden. Ihnen beide rammte ich die Schwerter in die Brust.
Es war wie ein Trip. Ich war zwar noch nie high gewesen, aber ich fühlte mich unschlagbar. Unzählige Hexer. Auch Frauen. Sie sprangen mich an und kreischten laut. Versuchten mich mit ihren langen Krallen zu zerkratzen.
>Wir reißen dir die Lungen raus! Wir reißen dich auseinander!<, zischten sie wie Schlangen.
Ich schlug ihr ins Gesicht. Schickte mit zwei Kicks auch zwei Feuerwalzen in ihre Richtung. Sie fing beide auf und beförderte sie direkt zu mir zurück. Das warme Rot und Gelb der Flammen wurde zu einem lichtlosen Schwarz. Es kam zurück und war kalt. Leblos. Ich packte es mit beiden Händen und riss es auseinander.
>Wir kriegen dich, Prinzessin!<
>Rückzug!<, wurde gerufen.
Sie blickte kurz weg und machte Anstalten zu verschwinden. Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie die Hexer abhauen wollten.
Doch so schnell würde ich sie nicht gehen lassen. Ich folgte ihr.
>Jenna! Bleib hier!< Das Tor blieb hinter mir zurück. Der Wald verschluckte mich. Ich konnte ihre Haut leuchten sehen. >Jenna...<
>Komm, Prinzessin!<, rief sie.
Und dann blieb ich stehen. Wärme.
Aus dem Boden schossen plötzlich Säulen aus Feuer empor und umzingelten sie. Mit einem Kreischen drehte sie sich zu mir um und trat auf. Rauchschwaden versuchten ihren Käfig zu durchbrechen, aber ich ließ es nicht zu. Trat langsam auf sie zu und mit jedem Meter traten die Schwaden weiter zurück.
Sie wurde ängstlich und nervös.
Ich rückte zurück.
Als säße ich in einem Loch und schaute aus dem Innern heraus. Ich konnte sehen, wie meine Arme sich hoben. Wie ich durch die Säulen trat, die Hexe an den Haaren auf ihre Knie zerrte und das Schwert mit einem Ruck in ihre Kehle schob. Der Mund der Frau öffnete sich und ein erstickter Schrei entfuhr ihr. Kantige, gelbliche Zähne und rissige Lippen umrahmten ein klaffendes schwarzes Loch.
Ich erstarrte, aber nicht mein Körper. Bis zum Griff hinunter steckte das Schwert in ihr. Sobald meine Finger sich aus ihrem Haar lösten, kippte sie zur Seite und erstickte an ihrem Blut und dem Metall.
>Jenna!<
Erschrocken atmete ich auf, als ich wieder zurück geschoben wurde. Ich sah auf meine Hände, die noch immer das eine Breitschwert hielten.
>Jenna!< Zitternd drehte ich mich um. Es war Isaac. Seine Kleidung war verschmutzt und zerrissen. Mit großen Augen und offenstehendem Mund starrte er mich an. >Komm her, Süße.<, hörte ich ihn leise murmeln. Ich rannte direkt in seine Arme und schlang meine fest um ihn. Das Schwert fiel herunter und ich konnte mich an ihn pressen. Er zog mich eng an sich, streichelte meinen Kopf und flüsterte mir beruhigende Worte zu.
>Auf einmal... Meine Hände haben sich auf einmal selber bewegt, Isaac. Ich kam nicht mehr an meine Arme ran.<, schluchzte ich. >Ich habe so viele umgebracht, Isaac. So viele. So viel Blut.<
Er nickte, umfing mein Gesicht und brachte mich dazu ihn anzusehen. >Sieh mich an, Jenna. Du hast das Richtige getan. Ich weiß, dass ist viel, aber du hast das Richtige getan. Sie hätten sich nicht gescheut, dich umzubringen und den Rest der Schüler und die Lehrer.< Seine Daumen fuhren unter meinen Augen entlang. >Ich habe mir solche Sorgen gemacht, als du auf einmal auf dem Boden lagst.< Seine Brust hob und senkte sich hastig. >Du bist aber so stark. Ich werde nie wieder einen Gedanken daran verschwenden, dass du dich nicht wehren kannst.< Ich sah ihn ungläubig an. >Auch wenn du Schülerin bist und verdammt nochmal nicht hättest hier draußen sein sollen.< Zärtlich streichelte er meine Wangen und lächelte etwas. >Geht es wieder?<, fragte er. Ich nickte langsam. >Lass uns gehen.< Er zog das Schwert aus der Hexe und nahm auch das andere noch mit sich. >Bist du verletzt?< Reflexartig fasste ich an meinen Bauch. >Was...<
>Nichts, es ist nur...<
Er lehnte die Schwerter an einen der Bäume und sah mich an. >Was ist da?<
>Nichts.<
Misstrauisch beäugte er mich, gab aber auf und ließ uns zusammen wieder zurück zur Schule gehen. Überall lagen Leichen. >Was... was passiert mit den Toten?<, fragte ich und versuchte krampfhaft meinen Blick bei mir zu behalten.
>Wir verbrennen die Leichen. Wir tragen sie zusammen und verbrennen sie.<, erklärte er. >Das machen die Lehrer.< Wir traten ins Schulhaus und fuhren im Aufzug hoch. Sobald wir auf der Krankenstation waren, rief Isaac einen Arzt zu sich und ging zu einen Untersuchungsraum. Es war wieder alles voll. Dieses Mal nur Lehrer. >Ich warte draußen.<, erklärte er.
Es war ein Mann. Dr. Trenton. >Hallo, Jenna.<, lächelte er freundlich. >Hast du eine Verletzung?<
Ich zuckte mit den Schultern. >Ich weiß es nicht. Es tut nur weh.< Ich hob mein Oberteil an und zeigte ihm meinen Bauch.
>Oh. Kannst du das Oberteil ausziehen und dich hinlegen?< Ich entkleidete mich und bekam dabei einen Blick auf mich im Spiegel. Vom Ansatz meiner Brüste, bis zum Bund meiner Hose war mein Körper übersät von nicht blauen Flecken, sondern tief lilanen Flecken. Wie eine verdammte Aubergine. So etwas hatte ich noch nie gesehen. >Ja, es sieht schlimm aus. Ich muss sehen, ob deine Rippen gebrochen sind.< Ich nickte nervös und legte mich auf die Liege. Als hätte ich eine komplett neue Hautfarbe. Vorsichtig legte er seine Hände an meinen Bauch. >Tut mir leid, wenn das weh tut, aber für Röntgenaufnahmen haben wir gerade keine Zeit.< Ich nickte. Er begann meinen Bauch abzutasten. Ein paar Mal zuckte ich zusammen. >Gut, es ist nichts gebrochen. Ich muss mich jetzt erst einmal um die anderen kümmern, aber heute Abend kannst du noch einmal herkommen und dann werden wir dich noch einmal intensiver untersuchen. Du kannst dir auch noch ein Kühl-Akku holen.<
>Danke.< Ich zog mein Oberteil wieder an und trat raus zu Isaac, der auf mich gewartet hatte.
Er wurde von einer Schwester verbunden, sah aber sofort zu mir auf. >Und? Alles ok?<, fragte er.
Ich nickte lächelnd. >Ja, alles in Ordnung. Heute Abend komme ich noch einmal zur Untersuchung.<
>Gut.< Er setzte sich auf. >Danke schön.<, sagte er an die Schwester gerichtet.
>Kann ich vielleicht etwas zum Kühlen haben?<, fragte ich sie.
>Natürlich.< Ich bekam eine Eistasche und verließ gleich darauf mit Isaac die Station. >Danke, dass du mich begleitest hast.< Er nickte bloß wortlos. >Geht es dir gut?< Er nickte wieder und lächelte mich an. Da fiel mir etwas ein. Ich blieb stehen. >Warte mal, wo... wo ist Brody?< Ich sah mich suchend um. Hier waren überall Menschen, aber keiner davon war Brody. >Ich... Es tut mir leid, Isaac. Ich muss ihn finden.<, sagte ich und rannte los. Ich fand Jack und Paul. Es ging ihnen beiden gut, aber sie wussten nicht wo Brody und auch nicht wo Beth war. Gedrängt von steigender Nervosität rannte ich wieder raus vor die Schule, wo die Lehrer die Leichen noch immer zusammentrugen. Ich erstarrte und konnte meinen Blick nicht mehr von den leblosen Gesichtern abwenden.
Sie waren alle tot. Vorher waren sie noch am Leben gewesen und jetzt lagen sie leblos da und rührten sich nicht. Und ich hatte dazu beigetragen. Ein junger Erwachsener. Ich konnte mich noch nicht einmal an ihre Gesichter erinnern, ihre Namen kannte ich nicht und doch hatte ich ihre Leben beendet. Wie viele es waren, war auch nur noch eine verschwommene Erinnerung.
>Jenna. Gott, endlich...< Ich drehte mich gerade rechtzeitig zu Beth herum, als sie mich in ihre Arme nahm. >Ich habe dich überall gesucht. Geht es dir gut?<
Sie tastete mich ab und suchte meinen ganzen Körper nach Verletzungen ab. >Alles gut. Nur ein paar blaue Flecken und du? Bist du verletzt?<
>Mir ist nichts passiert. Die Lehrer werden uns den Arsch aufreißen. Kräftig.<, sagte sie. In ihrer Stimme schwang wirklich Angst mit. Vorher noch kämpfte sie mit einer Inbrunst, die jeden Boxer auf die Knie gezwungen hätte.
>Weißt du vielleicht, wo Brody ist?<
Argwöhnisch runzelte sie die Stirn. >Er war doch bei dir.<
Ich schüttelte den Kopf. >Nein. Er war bei mir, aber jetzt ist er es nicht mehr...< Ich begann wieder loszulaufen. Zurück ins Schulgebäude. Ich fragte jeden, ob sie ihn gesehen hatten und ging auch zurück auf die Krankenstation, aber ich fand ihn nirgendwo. Letztendlich schlich ich mich in den Jungenflügel und zu seinem Zimmer. Gerade wollte ich die Tür öffnen, da hörte ich Schritte.
>Hey, Schätzchen.<
Brody.
Ich blieb stehen und begutachtete ihn. Abgesehen von seinem Unterarm, der bandagiert war, erschien er mir heil. >Willst du mich nicht umarmen oder so was?< Und da rannte ich auf ihn zu und schlang meine Arme um ihn. Ein Schmerz zuckte durch meinen Bauch, aber das war mir egal. Erleichterung schwappte über mich. >Geht es dir gut? Bist du verletzt?< Ich schüttelte den Kopf und presste mein Gesicht in seine Brust. Sog seine Körperwärme ein. >Hey, Jenna...< Er hob mein Gesicht an und küsste mich. Es war ein inniger und liebevoller Kuss. Ich umfing sein Gesicht und ging auf meine Zehenspitzen, um den Kuss noch zu vertiefen. >Du hast gute Arbeit da draußen geleistet.<, nuschelte er zwischen zwei Küssen.
>Danke.<
>Komm mit...< Er zog mich hinter sich her in sein Zimmer und schloss hinter mir die Tür. >So ein Kampf lässt die Hormone wirklich...< Mit einem Ruck war ich auf seinen Armen und er trug mich zum Bett. >... wirklich aufkochen.<
Ich nickte und zog ihn am Saum seines T-Shirts zu mir runter. >Ja, tun sie. Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich war...< Er kniete sich auf das Bett und zog mich auf seinen Schoss. Rittlings saß ich auf ihm und umarmte ihn einfach. >... auf der Krankenstation und dann... Du warst nicht da.< Er strich über meinen Rücken. >Ab nächstes Mal, bin ich tough und alles, aber jetzt möchte ich eine Memme sein und herumheulen, wie ein Mädchen.<
Brody lachte. >Du bist ein Mädchen.< Er legte sich mit mir auf seinen Armen hin und drückte seine Lippen an meine Stirn. >Du sahst so verängstigt aus. Für eine Sekunde dachte ich, du packst das nicht, aber dann... Du bist so verdammt stark. Alles war so...< Wir sahen uns an. >Du bist echt was besonderes, Jenna.<, flüsterte er und strich mit seinen Fingern über meine Wange.
>Sei ruhig. Ich möchte einfach nur...< Ich rutschte enger an ihn heran und schloss meine Augen.
>Ok, schlaf, Baby.<

Als ich aufwachte, lag Brody noch schlafend neben mir. Meine Beine waren noch um seine Hüfte gelegt. Ich beugte mich zu ihm vor und küsste ihn auf die Stirn, bevor ich aufstand. Von seinem Schreibtisch nahm ich einen Stift und ein Stück Papier und schrieb darauf, dass ich froh war, dass es ihm gut ging und ich wieder in meinem Zimmer war.
Schnell ging ich aus dem Zimmer und verließ auch den Jungenflügel. Ein schweres Gewicht lag auf der Schule. Es war überall spürbar. Ich hatte noch immer die Kühltasche in meiner Hand. Sie fühlte sich widerlich an. Genervt warf ich den Akku ins Waschbecken in meinem Bad. Ich setzte mich im Schneidersitz auf das Bett und sah das Bild meiner Eltern an.
Dieses Gefühl... Ich hatte die Gewalt über mich selber verloren. Hatte von drinnen zugeschaut, wie ich mich bewegte. Wie ich diese Frau, die Hexe, umgebracht hatte. Auf so brutale Weise. Und die anderen auch. Ich hatte Leben beendet.
An diesem Tag. Vor noch wenigen Stunden. Blut klebte an meinen Händen.
>Sie hätten uns umgebracht, Mama.<, flüsterte ich und strich über ihr lächelndes Gesicht. Mein Magen schmerzte. Ich legte mich auf den Rücken, breitete die Arme zu jeder Seite aus und schloss die Augen. >Ich musste es tun. Ich musste meinen Mitschülern helfen.< Das Bild in meiner Hand wurde schwer. Ich drehte mich zur Seite. >Es tut mir leid.< Auf dem Bild sahen wir so glücklich aus. Ich wünschte, dieses Bild wäre die Wahrheit gewesen. Wenn doch alles anders gewesen wäre. Wo wären wir dann? Vielleicht hätte Dad es noch geschafft, Arbeit zu finden. Wir hätten dann Mums Behandlung finanzieren können und sie wäre wieder gesund geworden. Alles hätte besser werden können. Dann wäre ich niemals zu Ralph und Caroline gekommen. Und... was wäre dann mit dem hier? Mit dem Ganzen hier...?

Brody und ich gingen die Treppen runter zum Abendessen.
>Es geht mir gut, Kyle. Jetzt lass mich...<
>Du hättest verdammt nochmal nicht draußen sein sollen! Das haben die Lehrer doch gesagt! Was hast du da draußen gesucht?<, fragte Kyle sie aufgebracht und fuchtelte an ihr herum. Seine Augen richteten sich auf uns. >Du verdammter scheiß...!< Er kam auf uns zu und packte Brody am Kragen.
Ich konnte sehen, wie Feuer von seiner rechten Schulter runterlief. >Kyle, lass ihn. Es war meine Schuld! Ich bin rausgerannt.<, versuchte ich ihn zu beruhigen.
>Wie konntest du meine Schwester da mit rausnehmen?! Sie hätte sterben können!<
>Kyle! Hör auf!< Penny kam dazwischen und stieß ihn von Brody weg. Sie stellte sich zwischen die beiden. >Ich wollte rausgehen und etwas tun. Das war nicht Brodys Entscheidung, sondern meine. Jetzt komm mal runter.<, zischte sie wütend.
>Dir hätte was passieren können, Penny. Und der hat zugelassen, dich...< Er brach durch die Mauer aus uns und versuchte wieder an Brody ranzukommen.
Der schnappte Kyle bei den Schultern und drückte ihn gegen die Wand. >Es geht ihr gut, Mann. Komm runter. Sie war draußen und es geht ihr gut.< Kyle war immer noch wütend. Das Feuer brannte noch immer, von dem Brody sich fernzuhalten versuchte.
Ich legte meine Hand an Kyles, welche Brodys Schulter umfing. Seine Augen richteten sich auf meine. >Beruhig dich, Kyle.<, sagte ich. Seine Gesichtszüge wurden schlagartig weicher. Das Feuer ging aus und sein Griff löste sich. >Es geht Penny gut. Siehst du?< Er linste zu ihr hinüber.
Sie beide trennten sich. Brody und die anderen sahen mich verwundert an. >Tut mir leid.<, entschuldigte sich Kyle. >Nur... halt meine Schwester bei so was raus, ja? Wenn ihr etwas passiert...<
Penny schnaubte und trat vor. Sie nahm ihn in den Arm. >Ja, ja. Jetzt komm mal runter, Brüderchen. Lass uns was essen gehen.< Mit einem Augen verdrehen sah sie sich zu uns um und ging die Treppen mit ihm hoch. Während sie liefen konnte ich sehen, wie ihre Finger sich zwischen seine schoben. Er war etwas geknickt.
>Was hast du? Zauberfinger?<, fragte mich Brody lachend.
Beth lief an uns vorbei. >Tja, Jenna hat ein Händchen für Kerle. Musst du doch wissen.<, murmelte sie mit einem herausfordernden Augenzwinkern.
Wir setzten uns alle zusammen in die Cafeteria. Die Rektoren und ein paar andere Lehrer standen auf der Bühne.
>Wir sind sehr stolz auf euch. Eure Reaktion auf den Angriff war sehr gut. Ihr braucht euch keine Sorge zu machen, dass so etwas so bald wieder passiert. Sie haben verloren. Sie haben versagt. Weil wir vorbereitet waren und deshalb werden sie sich nicht wieder heranwagen. Gebt euch weiter Mühe, eure kämpferischen Fähigkeiten zu verbessern. Ihr seht, wie wichtig es ist, denn selbst unsere gut ausgebildeten Lehrer und Wächter sind nicht ganz unversehrt zurück gekommen.<, sagte Ken in die Menge.
Isaac trat nach vorne. >Auch wenn wir uns ziemlich sicher sind, dass es keinen Angriff mehr geben wird, verstärken wir die Wache. Ihr seid geschützt.< Seine Augen fanden meine. Er hielt mich fest und seine Mundwinkel hoben sich etwas an. Widerwillig wandten wir beide den Blick ab. >Guten Appetit und gute Nacht.< Damit beendeten sie die Rede und stiegen herunter. Es bildete sich wieder eine Schlange. Alle verhielten sich überraschenderweise normal.
>Hi.< Ken stand am Kopf unseres Tisches.
>Oh, Scheiße.<, sagte Penny.
Ken nickte. >Da hast du Recht „Oh, Scheiße“. Oh, Scheiße verdammte, wie kamt ihr auf diese vollkommen hinrissige Idee euch da draußen auf dem Silbertablett zu servieren?!< Seine Stimme erhob sich bis zum Schluss. Die Schüler um uns herum sahen sich zu uns herum. >Brody, Penny, Beth, Jenna und...< Er sah sich kurz um und zeigte dann zu den Blondinen. >... Daphne. Nach dem Essen kommt ihr sofort zu mir ins Büro und packt euch ein paar extra Hosen ein. Ich kann euch versichern, ihr werdet euch ein machen.< Nicht ein Funken Freundlichkeit lag in seinen Zügen. Damit drehte er sich von uns weg und ging wortlos aus dem Saal. Isaac setzte sich neben Jack und stützte sein Kinn in eine Hand. Wir alle sahen neugierig zu ihm.
Räuspernd lehnte er sich zurück. >Ich... sage jetzt gleich etwas...< Er tippte mit dem Finger auf den Tisch. >..., aber das ist nicht im Protokoll.< Wir nickten. >Ihr habt euch wirklich gut da draußen gehalten. Und auch wenn das sehr riskant und dumm von euch war, bin ich stolz auf euch. Sehr stolz. Aber nächstes Mal haltet ihr euch gefälligst zurück. Verstanden?< Es wurde genickt. Er stand auf und wollte gehen.
>Isaac?<, fragte Beth. Er hielt inne und sah sie an. >Kriegen wir jetzt eigentlich alle Tattoos?<
Er grinste. >Das müssen wir erst einmal klären.< Seine Augen legten sich auf mich.
Brody schlang seinen Arm um mich, da wandte er sich von mir ab und ging davon. Ich atmete durch und lehnte mich an ihn.
Mein Körper fühlte sich warm an. Er hatte mich umarmt. Das war das erste Mal, dass wir uns so nah waren. Abgesehen von Kämpfen, natürlich. Er hatte sich solche Sorgen gemacht. Ich hatte es gespürt. In seinen Augen.
Ich spürte, wie mein Herz begann zu rasen.
Es frustrierte mich, dass ich so voller Adrenalin und mit meiner Angst und Wut beschäftigt war, dass ich nicht die ganzen Details einfangen konnte. Konnte ich seinen Atem auf meinem Nacken spüren. Die Hitze seiner Hände auf meinem Rücken. Vielleicht sein Herzschlag an meiner Brust. Sein Geruch. Das Gefühl seiner Haut an meiner Wange.
Nur der Gedanke...
>Hey. An was denkst du?< Brody tippte mir auf die Nasenspitze.
Lächelnd drehte ich mich zu ihm herum und küsste ihn auf die Wange. >Nichts. War ein sehr ereignisreicher Tag.<
>Ach?<
>Ach?<, wiederholte ich.
Er grinste. >Seid ihr bereit für Stress?<, fragte er in die Runde.
>Bereit.<
>Dito.<
Wir machten uns auf den Weg. Ken war so ernst und wütend gewesen. So war sonst nie. Es war schon fast gruselig gewesen. Nein, es war sogar ziemlich gruselig gewesen.
Penny klopfte an. >Ich mache mir gleich in die Hose.<, murmelte sie.
>Gleichfalls.<, stimme Beth zu.
>Kommt rein.<, wurde gerufen.

13. Nacheffekt

Brody hielt uns die Tür auf. Daphne saß schon vor dem Schreibtisch. Sie machte sich nicht die Mühe uns anzusehen. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte beleidigt voraus. >Setzt euch.< Ken stemmte eine Hand in seine Hüfte und  fuhr sich mit der anderen durch sein Haar. Er hatte ein paar blaue Flecken davon getragen. Sein Oberarm war bandagiert und wenn ich es recht gesehen hatte, war er leicht gehumpelt. >Also...< Er sank auf seinen Stuhl zurück. >Ihr habt alle ziemlich Glück gehabt heute. Ich hoffe, dass ist euch klar. Dieser Mist von heute...< Schnaubend faltete er seine Hände. >Ihr Fünf helft dem Personal der Essensausgabe. Einen Monat lang.< Daphne schnappte nach Luft. >Das ist das Minimum. Ihr müsst nur deshalb nicht die Swimmingpools mit einer Zahnbürste putzen, weil ihr...< Er seufzte. >... da draußen echt gut war.< Seine Mundwinkel stiegen etwas an. >Aber trotzdem... Setzt euren Fokus auf das Training und weniger auf... Echt-Leben-Simulationen.< Er beugte sich zu uns vor. >Ich meine es ernst. Wir haben hier ein lockeres Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, aber...< Er kam um den Tisch herum und lehnte mit der Hüfte dagegen. >... zieht so etwas noch einmal durch und, wenn ihr es unbeschadet da raus schafft, reiße ich euch noch einmal den Arsch auf, verstanden?< Wir nickten. >Raus. Jenna, du bleibst hier.<
Scheiße.
Die Tür schloss sich. >Du hast Hämatome am Bauch?< Ich nickte. >Und du bist noch immer nicht in der Lage, dich vor Frauen zu entkleiden?<
>Ja.<
>Gut, dann setz dich hin und zieh dein Oberteil hoch. Ich werde versuchen, das Hämatom  zu mindern.< Er schob seine Ärmel hoch.
Ich runzelte die Stirn. >Wie?<
>Mit Wasser. Du wirst noch erfahren, wie du mit deinem Element heilen kannst. Es wird sich nicht... gut anfühlen. Speziell für dich.< Er rieb seine Hände aneinander. >Hoch.< Unsicher hob ich das Oberteil an. >Das war... kein Angriff von außen oder?< Ich schüttelte den Kopf. >Spürst du jetzt etwas? Innerlich? Irgendwelche Schmerzen? Rippen...?<
Ich schüttelte den Kopf. >Ich wurde abgetastet und... alles gut soweit.< Ich lachte etwas nervös auf und sah auf seine Hände, die eine Flasche Wasser an sich nahmen. Er öffnete sie und schon lief das Wasser  wie aus einem Wasserhahn heraus. >Tut es weh oder...?<
>Nein, nein. Es ist nur sehr kalt und läuft durch deinen ganzen Körper...< Das Wasser bekam einen leichten hellblauen Schein, als es sich in seinen Händen sammelte. Er wollte sie an mich legen, da fuhr ich hoch. Zuckte zusammen und hielt meinen Bauch. >Jetzt komm schon. So schlimm...<
>Es geht durch meinen ganzen Körper? Das ist doch... Wie soll ich...?<
>Jenna, setz dich. Sofort.< Er war wieder wütend. >Du hast dir heute schon genug erlaubt und auf diesen Stress habe ich echt keine Lust. Setz dich. Jetzt.< Unter seinem zornigen Blick ließ ich mich auf den Stuhl nieder und hob mein T-Shirt wieder an. Er nickte. >Gut.< Ich biss die Zähne zusammen. Die Kälte kam näher. Ich wurde starr, als ich seine Handinnenflächen an meinem Bauch spürte. Es fühlte sich gleichzeitig gut und verdammt nochmal beschissen an.
Die Schmerzen verflüchtigten sich und ich fühlte mich wie in einem seltsamen Schwebezustand. In meinem ganzen Körper breitete sich aber diese eisige Kälte aus. An meinem Bauch war es am Stärksten. Ich krallte meine Finger in die Armlehnen des Stuhls.
>Gleich fertig.< Ich nickte und sog scharf Luft ein. Der Druck, der sich in meinem Bauch ausdehnte, erinnerte mich ungemein an den Hexer und was er getan hatte. Nur war es um einiges kälter und ich wusste nicht, welches von beidem mir besser gefiel.
>Ken...<
Er drückte fester zu. Mir blieb die Luft weg. Ich konnte hören und spüren, wie mein Herz langsamer schlug. Beängstigend langsamer. Wie ein Echo hallte es in meinem Kopf. >Gleich...< Seine Hände machten noch einmal eine kreisende Bewegung. >So...<
Ich sah etwas ängstlich zu meinem Bauch runter. >Oh mein... Gott.< Ein leichter rötlicher Schleier war zurückgeblieben. >Alles weg...<
>Na ja, nicht ganz. Dafür ist es zu stark. Aber noch zwei Tage maximal und es ist weg.<, erklärte er und tätschelte meine Schulter.
>Danke.<
Er half mir hoch. >Geht es?<
>Ja. Ja, es geht. Danke schön.<
>Wenn du noch etwas brauchst, meldest du dich auf der Krankenstation. Wir haben dort auch Bändiger, die dir helfen können.< Ich ließ mich hinausführen. >Und Jenna...< Ich drehte mich zu ihm herum. >Wir werden noch einmal darüber reden müssen, was da draußen passiert ist.<
>In Ordnung.<
Auf dem Weg zum Flur traf ich auf Isaac. Wir blieben stehen und sahen einander an. >Hallo.<
Er lachte und nickte. >Hey.< Ich fuhr mir durch's Haar und sah zu Boden. Wir hatten uns umarmt. Sorge lag in seinem Gesicht. >Das Training heute Abend fällt aus.<
Überrascht blickte ich wieder auf. >Nein, nein. Ken... ehm... Kevin hat alles wieder gut gemacht... Guck mal.< Ich drehte meinen Oberkörper. Es tat noch ein bisschen weh, aber ich wollte unser Training nicht ausfallen lassen. Besonders nicht heute. Nicht heute. >Lass uns das... Ich muss besser werden. Heute... Du hast gesehen, wie ich gezögert habe. Ich muss besser werden. Auf jeden Fall. Und....< Ich grinste ihn an. >... das werde ich nicht, wenn ich Trainings ausfallen lassen.<
Seine Brauen  hoben sich an. >Bist du dir sicher? Es spricht nichts dagegen, sich einen Tag lang auszuruhen. Besonders an einem Tag wie diesen,... Jenna.< Seine Augen wanderten über mein Gesicht. Wir begannen beide zu lächeln. >Du lässt dich nicht abbringen, was?< Ich verneinte grinsend. >Gut, dann in einer Stunde unten in der Halle.<
>Danke.<
>Kein Problem. Bis gleich.< Ich biss mir aufgeregt auf die Unterlippe, als er an mir vorbeilief. Lächelnd fuhr ich mir durchs Haar und sah mich um. Fast erwartete ich, dass Unmengen an Menschen um mich herumstanden und mir Beifall klatschten.
Ich war so aufgeregt, dass ich zu meinem Zimmer tänzelte. Ich warf meine Kleidung ab und öffnete die Schranktüren. Hastig schlüpfte ich in schwarze Leggings und warf ein T-Shirt über. Ich suchte nach meinen Sportschuhen und streifte sie mir über.
Bevor ich zur Tür rausging, musste ich durchatmen.
>Jetzt reiß dich zusammen.<, erinnerte ich mich.
Isaac und ich würden niemals zusammen sein. Das wusste ich. Niemals. Es würde einfach nicht funktionieren. Verstanden, aber... wir beide... Da war etwas ganz besonderes zwischen  uns. Ich fühlte mich mit ihm verbunden. Ich hatte das Gefühl, dass er mich verstand. Und auch wenn er diese Distanz zu mir hielt, waren wir uns doch nah. Näher als ich es je jemandem war. Es kam mir so vor, als kannte ich ihn schon und obwohl es mir Angst machte, wollte ich mich ihm anvertrauen.
Ich ging die Treppen runter und holte mir aus der Cafeteria eine Flasche mit warmen Wasser. Isaac saß schon in Sportsachen in der Halle. Trainingsgeräte und Matten waren schon aufgestellt. Er stand auf, sobald ich den Raum betrat. >Bist du dir sicher, dass du das machen willst? Wir können auch einfach nur reden. Nach so einem...<
>Wir können doch auch beides machen. Trainieren und dann reden.<, schlug ich vor.
>In Ordnung. Dann beides.< Ich stellte meine Flasche auf dem Boden ab und gesellte mich zu ihm an die aufgebaute Stange. >Du weißt, was du zu tun hast.<
>Klar.< Ich legte meine Hände an und begann mich hochzulupfen. Und ich war echt müde. Er hatte Recht. Es war einer dieser Tage, an dem man mal ein Training ausfallen lassen konnte. Ich spürte alles in jedem Glied. In jeder Faser meines Körpers. Ich war in Mitten eines Krieges gewesen. Hatte Hexer in die Flucht geschlagen und die Hand eines von denen sozusagen in meinem Bauch gehabt.
>Die Aufwärm-Übungen für den Bauch lassen wir heute aber lieber.<
Ich ließ mich auf meine Füße fallen. >Dann lass uns kämpfen.<
Wir stellten uns auf die Matte. >Heute hast du gezögert. Du musst schneller werden. Und präziser. Deine Kraft ist enorm. Du nutzt sie nur nicht richtig.< Er streckte sich und ließ seinen Kopf kreisen. >Und ich bin... Du hast dich gut mit den Schwertern gemacht. Sehr gut.< Ich grinste. >Aber nicht sehr gut ohne sie.<
>Das ist fies.<
>Ich bin dein Lehrer. Konstruktive Kritik ist mein Job.<
>Und du bist verdammt gut darin. Los!<
Damit begannen die Kämpfe. Wie immer war Isaac gnadenlos und machte es mir nicht im Geringsten einfach. Ich gab mein Bestes. Mein Bestes, aber gar nichts.
Es dauerte nicht lange, bis er mich mit dem Rücken an sich gerissen hatte und mit seiner Hand meine Kehle umfing.
In dieser Situation war ich mit dem Hexer. Genauso hatte ich ihn gehalten, bevor Daphne kam und ihm das verdammte Schwert reinrammte.
>Schneller, Jenna.<, raunte er an meinem Ohr. Seine Brust drückte sich gegen meinen Rücken. Die Wärme seiner Hand an meinem Hals. Wir atmeten beide schnell.
Ich war zwar nicht so gut wie Isaac, aber ich gab mir ebenfalls alle Mühe, es ihm nicht einfach zu machen.
Er ließ seine Finger von meiner Haut gleiten. Ich drehte mich zu ihm herum und schluckte das Pochen meines schnell schlagenden Herzens herunter.
>Ok.< Wir legten los und ich hielt mich gut. Ich machte einen Flick Flack nach hinten und versuchte ihn gleich darauf mit einer Drehung am Boden umzuschmeißen, aber er wich aus. Stattdessen packte er mich bei den Schultern und schleuderte mich auf die andere Seite der Halle. Ich bekam die Stange zu fassen, schwang mich an ihr hoch und kam in der Hocke auf ihr zu stehen.
Bewunderung lag in seinen Augen, als er zu mir auf sah. >Und wie krieg ich dich da jetzt wieder runter?<, fragte er.
Lachend zuckte ich mit den Schultern. >Vielleicht will ich ja gar nicht runter.< Er streckte seine Hand zu mir aus, aber ich schüttelte den Kopf. Schmunzelnd umfing er mit beiden Händen die Stange und zog sich hoch, als wäre es nichts. Beeindruckt sah ich zu, wie er sich neben mich setzte.
>Geht es dir gut?<, fragte er mich.
>Ach, sind wir schon fertig?<
Er sah sich zu der Uhr an der Wand um und zuckte mit der Schulter. >Wir haben schon überzogen, also...< Ich zog mein Haargummi aus meinen Haaren und gleich darauf auch aus seinen. >Warum bist du rausgegangen?<
Ich lächelte ihn an. >Ich hatte das Gefühl...<
>Lüg mich bitte nicht an, Jenna.<, murmelte er monoton und sah auf den Boden.
Meine Mundwinkel sanken. >Ich will es nicht sagen.<
Er lehnte sich zu mir vor. >Wieso denn? Ist etwas passiert?<
>Nein.<
>Dann rede mit mir. Warum hast du dich in solche Gefahr begeben?< Wortlos hielt ich mich weiter an der Stange fest und starrte auf meine Finger. >War es einfaches Pflichtgefühl? Denn...<
>Du.< Ich seufzte. >Ich habe gehört, dass du draußen bist und wollte dir helfen. Mehr nicht.< Es blieb still. Lange. Ich traute mich nicht, ihn anzusehen. Mein Körper schmerzte, als ich von der Stange heruntersprang und zu meiner Flasche Wasser lief. Hinter mir konnte ich hören, wie auch Isaac auf den Boden kam und mir folgte. >Es war dumm, aber ich dachte mir, du könntest Hilfe gebrauchen.< Ich schnaubte. >Aber dann hielt ich es doch für angebrachter, wie ein Baby, heulend am Boden zu liegen.<
>Wegen mir, also.<, sagte er. >Du hättest da draußen sterben können.<
>Ich weiß.< Ich nahm meine Flasche an mich und trank aus ihr.
Isaacs Hand kam zum Vorschein und entnahm mir das Wasser. Ich sah ihn an. >Du bist also raus, um mir zu helfen, obwohl du wusstest, dass... der Tod da draußen wartete.< Unsicher nickte ich. Seine Stimme veränderte sich. Wurde tiefer. Er trat an mich heran und hob die Mündung an seine Lippen. Die Augen blieben auf mir liegen, während er sich runterbeugte und die Flasche ablegte. Die Finger seiner Hände legten sich an meine Wangen. >Du hast das für mich auf dich genommen.< Er strich mit dem Zeigefinger über meiner Schläfe und betrachtete mein Gesicht dabei. >Du bist so wunderschön.<, flüsterte er. Seine Hände legten sich an meine Schultern. >Bin ich es überhaupt wert, die Aufmerksamkeit von solch einer Schönheit zu genießen?< Meine Mundwinkel hoben sich an. Er wurde etwas ernster. >Ich habe gesehen, wie Broderick gekämpft hat. Er ist sehr gut. Einer meiner besten Schüler. Ich bin froh, dass ihr beide... euch so gut versteht. Vielleicht kann er dir ebenfalls helfen. Es ist wichtig Informationen aus allen vier Elementen zu sammeln.< Ich nickte. Brodericks Name riss mich aus einer Art Trance. Für die Trainingszeit hatte ich ihn fast schon vergessen.
Schuldbewusst senkte ich erneut meinen Blick. >Ja, er ist wirklich nett. Ich mag ihn sehr.<
>Ich denke, du kannst dann jetzt zu Bett gehen.<
>Danke, Isaac. Können wir... morgen vielleicht mit Feuer kämpfen?<
Er reichte mir meine Flasche. >Natürlich. Was auch immer unsere kriegerische Schönheit sich wünscht.<
>Sehr witzig. Bis morgen. Schlaf gut.< Ich hob meine Hand zum Abschied und ging wieder hoch.
Schönheit.
Ein Grinsen machte sich auf meinen Lippen breit. Alles lag im Dunkeln. Nur die Lampen an den Wänden und die Kronleuchter erhellten die Flure. Ich leerte meine Flasche und warf sie in einen der Mülleimer.
>Jenna...< Ich sah auf. Brody lehnte an der Wand. Er stieß sich von ihr ab und kam auf mich zu. >Scheiße, wie lang war ihr beide da unten am Kämpfen?< Ich zuckte mit der Schulter. >Noch nicht einmal heute gibt er dir Ruhe?<
>Ich habe darum gebeten.<
Er setzte sich mit mir auf den Boden. >Was für ein Tag, huh?< Seufzend lehnte ich mich an ihn. >Wer hätte gedacht, dass wir...<
Ich nickte. >Ja, es ist unglaublich.<
>Ich habe... noch nie in meinem Leben... so viel Hass und Wut in einem Menschen gesehen. In einem Wesen. Es heißt, dass wir früher ganz normal unter den Menschen gelebt haben. Wir haben mit unseren Kräften unser beider Existenz gesichert, verstehst du?< Ich nickte. >Aber dann... begann der Streit damit, dass wir sozusagen Sklaven wurden und sie versuchten uns unsere Kräfte zu nehmen...< Er nahm meine Hand in seine und spielte mit den einzelnen Fingern. >Das haben sie natürlich nicht geschafft und sich dann... an das Dunkle gewandt.< Schnaubend sah er mich an. >Hört sich an wie ein schlechter Fantasy-Film.<
Kopf schüttelnd lachte ich. >Schön wäre es.<
Er küsste mich auf die Stirn. >Glaubst du an Gott?< Wieder verneinte ich. >Ich glaube an Gott.<
>Echt?< Ich lehnte mich zurück. >Auch jetzt noch? Mit unseren Göttern?<
Er nickte. >Ja. Ich wurde evangelisch aufgezogen und... Gott war lange Zeit mein einziger Gesprächspartner, wenn ich... mich für einen Freak hielt.< Seine Finger verschränkten sich mit meinen. Ich spürte ein Kitzeln in meinem Bauch. >Ich glaube daran, dass es ein Wesen gab/gibt, das uns unsere Kräfte gegeben hat. Egal, welche Art. Ob das Bändigen von einem Element, die Möglichkeit unglaublich gut zeichnen zu können... was auch immer. Ob das jetzt ein universelles Geschöpf ist oder unsere vier Götter...< Er hob seine Schultern. >Vollkommen Wurst.< Ich lächelte ihn an. >Wir sind so oder so nur winzig kleine Teile unvorstellbar riesiger Universen.<
>Wow. Wie kommt es, dass du auf einmal so weise bist?< Er zwickte mich in den Bauch. >Nur ein Scherz. Aber ich muss jetzt ins Bett. Ich bin am Ende.< Gähnend raufte ich mein Haar.
Brody stand auf und zog mich bei den Händen hoch. >In Ordnung. Ich geleite Euch zu Eurem Zimmer, Prinzessin.< Wir liefen durch die Flure bis zu meiner Tür. >Gute Nacht, Prinzessin.< Ich umfing seinen Hinterkopf und zog ihn an meine Lippen. >Ich bin auch sehr froh, dass es dir gut geht.< Wir sahen einander in die Augen. >Sehr froh, Jenna.< Er atmete durch und strich mir eine Strähne hinter mein Ohr. >Kann ich dich was fragen?<
>Was?<
>Ich weiß, wir beide sind noch sehr, sehr frisch, aber... Und wir wissen beide auch, dass das zwischen euch nie was wird. Trotzdem, stehst du irgendwie auf Isaac? Ich meine, abgesehen von der seltsamen Klein-Mädchen-Bewunderung, die jeder gegenüber ihm fühlt.< Das traf mich unvorbereitet. Überrascht schnappte ich nach Luft, wie ein Fisch unter Wasser. >Ich will es nur wissen. Ich habe nämlich keine Lust, Angst haben zu müssen...<
>Musst du nicht, Brody.< Ich küsste ihn noch einmal. >Musst du nicht. Isaac hat mir nur sehr viel beigebracht, verstehst du? Er hat mir mein Feuer gegeben. Ich...<
>Keine Panik. Ich versteh schon. Schön, dass er dir eine so große Hilfe ist.< Er drückte meine Hand. >Schlaf gut.<
Lächelnd nickte ich. >Du auch. Bis morgen.<
Er zog an mir vorbei und lief wieder zurück zum Jungenflügel. Erschöpft trat ich in mein Zimmer. Im Badezimmer zog ich mich aus und stieg unter die Dusche. Das heiße Wasser entspannte meine Muskeln.
Prinzessin.
Das war es, was die Hexe gekreischt hatte.
Prinzessin.
>Prinzessin.<
Ich sah mich um. Der Dampf im Zimmer war dicht und versuchte mir die Sicht zu versperren.
>Meine Tochter. Mein Erbe. Meine Prinzessin.<
Sie.
Ich schaltete das Wasser ab. Die Stille lag schwer auf meinen Schultern. Das Echo ihrer Stimme hallte noch immer von den Kacheln. Sie hörte sich geschwächt an. Müde.
>Ich bin am Ende. Wirklich müde. Bitte, lass mich in Ruhe.< Ich schnappte mir ein Handtuch und legte es mir um die Brust. >Danke, dass du mir...< Ungläubig verdrehte ich die Auge. >Ich rede mit meiner Halluzination.< Aber auch wenn sie nicht echt war, hatte sie mich gestärkt. Ich fühlte mich stark und beschützt. >Danke, dass du mir geholfen hast.< Ich atmete durch. >Jetzt habe ich meinen Tiefpunkt erreicht.< Ich trocknete meine Haare oberflächlich und steckte sie in einen Dutt, bevor ich mich an das Waschbecken stellte und mir die Zähne putzte.
>Prinzessin.<
Ich lächelte. >Ich hab es verstanden.<, nuschelte ich unverständlich und spuckte aus. Ich wusch mir das Gesicht und rieb eine Creme ein. >Ach, du scheiße!< Erschrocken fuhr ich zurück, drehte mich herum und drückte mich gegen die Wand. >Oh mein…! Oh mein Gott!<
Eine Frau mit roten Locken stand vor mir. Schneeweiße Haut und Kirschrote lächelnde Lippen. Sie streckte ihre Hand zu mir aus. >Komm zu mir, Prinzessin. Mein Kind.<
War sie es? Unsere Göttin?
Ihr Lächeln trieb eine kalte Gänsehaut über meinen Nacken. Es war sogar so, dass ich das Gefühl hatte, dass es im ganzen Zimmer kühler wurde. Der Dampf lichtete sich und es schien fast, als umzingelte sie ein dunkler Schimmer.
Ihre Finger kamen mir näher. Unsicher sah ich auf sie hinunter.
Wie kam sie hier her? Warum war sie hier? Bei mir.
>Tochter.<
>Das kann nicht sein.<, hauchte ich. Meine Lippen zitterten und ich spürte Tränen aufkommen. >Mutter?<
Sie nickte und winkte mich zu sich. Ich legte meine Hand in ihre und ließ mich heranziehen. Ihre Augen. Sie hatten einen seltsamen gelblichen Schein.
>Sieh mich an, Prinzessin.<
Ich stand direkt vor ihr. Langsam beugte sie sich vor. Umso näher ich ihr kam, desto fahler wurde sie. Ihre Gesichtszüge veränderten sich. Schmal, scharf geschnitten und  kantig. Die Farbe ihrer Haare wurde dunkler. Schwarz. >Atme tief durch, Prinzessin.<
Eine tiefe Männerstimme.
Hexer.

14. Forschungen

>Jenna, du solltest langsam…< Ich wandte meinen Kopf zu der Wache, die in der Tür stand. Mein Kinn wurde aber wieder zurückgedreht, sodass ich Nase an Nase mit dem Hexer war.
Erschrocken atmete ich ein. Er tat es mir nach und sog mir jegliche Luft aus der Brust. Meine Lider flatterten. Sein Lachen klingelte in meinen Ohren.
>Jenna!< Ich fiel in die Knie, umfing meine Kehle und schnappte nach Luft, doch es ließ sich nichts in meine Lungen pumpen. So als steckte eine Barriere in meinem Hals.
Der Hexer starrte grinsend zu mir runter. Ignorierte den Wächter hinter sich. Das war ein Selbstmordattentat. Ich konnte sehen, wie der Wächter die Schneide seines Dolches in den Rücken des Hexers stieß, sodass die Klinge in der Brust wieder hervortrat.
>Luftbändiger! Wir brauchen einen Luftbändiger!<, brüllte er.
Ich wünschte, ich hätte mein Bewusstsein verloren. Und gerade weil ich es nicht verlor, wusste ich, ich erstickte nicht. Ich erstickte nicht, aber das Gefühl der ausgetrockneten Luftröhre, die sich zusammenzog, ließ mich hyperventilieren. Röchelnd und krächzend kniete ich auf  allen Vieren. Der Wächter hielt mich in seinen Armen.
>Halte durch. Halte durch. Schnell! Hilfe!< Er war Erde. Die Leiche neben uns war vergessen. Er legte mich auf den Rücken und umfing meinen Kopf. Meine Sicht verschwamm. Tränen drängten sich aus meinen Lidern. Hitze quoll von meiner Brust aufwärts zu meinem Kopf. Sie engte mich ein. Mein Rücken bog sich durch, denn der Schmerz wurde größer. Eine halbe Ewigkeit fühlte ich mich der Erstickung nahe.
Bis plötzlich der Raum überschwemmt wurde von Stimmen und den Schritten tausender  Füße. Ich wurde bewegte. Der Geruch von moderndem Fleisch stieg mir in die Nase. Lichter flirten über mir hinweg. Weitere gehetzte Stimmen.
Mein Körper wurde nicht müde davon, sich immer weiter zu versteifen und unter dem gefühlten Sauerstoffmangel zu zerbrechen und sich in einen Haufen Elend zu verwandeln. Meine Muskeln ächzten, zogen an den Strängen meines Gehirns und ließen mich zerfließen.
Ich konnte nicht mehr. Wollte, dass es aufhört. Hände berührten meine Haut und kurze Erleichterungen trockneten mir meine Augen, doch ich verblieb weiter in diesem Schwebezustand der Qualen. Ich hielt aus. Ewige Sekunden, Minuten und Stunden hielt ich aus. Ich versuchte zu sprechen. Zu betteln, aber es löste sich kein Wort von meinen vertrockneten Lippen. Verschwommene Schatten verdunkelten mir die Sicht. Andeutungen von Gesichtern, die ich kannte.
Etwas Warmes legte sich mitten in diesem Gewirr auf meine Stirn. Es roch nach Feuer. Rauchigem Lagerfeuer. Nach knisterndem Holz und züngelnden Flammen. Ich wusste, es war Isaac. Alles hätte ich dafür gegeben, in seinen Armen zu liegen und...
Die Wärme löste sich von meiner Haut, um sich gleich darauf auf meine Handgelenke zu legen. Sie drückten mich nieder. Das Selbe an meinen Knöcheln. Und  noch ein letztes Mal an meinen Schultern. Ich konnte mich nicht mehr Rühren.
Und dann wurde es für eine Sekunde still. Die Ruhe vor dem Sturm. Alle Stimmen und Geräusche verstummten, nur um Platz zu machen für die Strömen an kühler Luft, die sich mit einem Mal und geballter Kraft in meine Lungen pressten. Nach einem gefühlten Jahrhundert atmete ich wieder ein. Bis an die Schmerzensgrenze. Doch damit kam keine Erleichterung. Im Gegenteil. Es fühlte sich fast genauso schlimm an, wie das Ersticken.
Eine feste, kühle Röhre drückte sich in meinen Hals. Genauso fühlte es sich an.
>Und nochmal.<, wurde gemurmelt, sobald alles wieder raus war. Es wiederholte sich eine Handvoll Mal. Ich konnte nicht schlucken, doch meine Kehle zuckte dennoch unter dem Reflex. Mir pumpte sich erneut kalt schneidende Luft in den Rachen. Bis an die Schmerzensgrenze bäumte ich mich auf. Ich fühlte, wie mein Körper  sich verrenkte, meine Knochen knackten. Mein Kopf drückte sich in den Nacken, meine Beine winkelten sich an und drückten mich von der Liege. Die Finger um mein linken Handgelenk lösten sich und drückten sich warm an meinen Bauch. Langsam ließ ich mich runter auf die Matratze pressen, bis ich wieder gerade auflag. Ich spürte, wie sich die Barriere auflöste und seufzte. Mein Körper war plötzlich so leicht. Ich kam mir wie eine Wolke vor. Eine Wolke aus zartem Dampf, die sich nach und nach auflöste.
>Noch ein letztes Mal.< Ich versuchte zu röcheln, aber ich war noch nicht so weit. Ein Schwall. Stärker und viel schärfer, als die zwei davor, bohrte sich noch einmal tief in mich hinein. Es war schmerzvoller, intensiver, aber rasend schnell vorbei. Wie mit einem Schlag, kehrte die Akkuratesse meiner Sicht und die Kraft meiner Glieder wieder zurück. Alles kribbelte und rauschte. Und am klarsten war das Gesicht des Hexers, das so urplötzlich direkt vor meinen Augen war. Dieses so ekelhafte böse Grinsen. Ich fuhr rasch hoch und begann zu schreien. Meine Stimmbänder vibrierten und ich konnte den Ton meines Schreis in meiner Ohrmuschel zirkulieren spüren.
>Er war hier! Er war hier! Der Hexer! Er war hier, verdammte scheiße nochmal!<
>Jenna. Jenna, beruhige dich.<
Ich packte nach den Armen, die sich mir entgegenstreckten und verkroch mich in ihnen. >Es war doch sie. Es war doch erst sie. Meine Mutter. Königin. Göttin. Es war sie. Und dann...!< Ich roch verbranntes Holz. Das Blubbern von Lava in einem tausendjährigen Vulkan. Ich sah auf in Isaacs Gesicht, umfing seinen Hals und vergrub meine Nase in seiner Halsbeuge. Er drückte mich fest an sich.
>Isaac...<
>Nicht... Geht raus. Nur solange sie noch in diesem Zustand ist.< Es wurde wieder leiser. Seufzen. Schritte. Eine Tür fiel ins Schloss.  Stille. Isaacs Atem, der über mir wehte und dessen Brust sich an meinem Ohr hob und senkte. Sein Herzschlag. Meiner folgte seinem. Wurde langsamer, ruhiger. Und so wurde es auch ich. >Ich bin hier.< Seine Finger fuhren durch mein Haar. Über meinen Hinterkopf, runter zu meinem Nacken. >Kleines, ich bin hier.< Seine Lippen legten sich an meine Stirn. Ganz vorsichtig und zärtlich. Ich hob mein Kinn wieder an. Ein warmes Lächeln. Die raue Haut seiner Daumen fuhr unter meinen Augen entlang. >Wie groß deine Augen einem vorkommen, wenn sie mit Tränen gefüllt sind.< Ich blinzelte absichtlich stark, damit erneut eine Träne über mein Lid lief und er sie erneut mit seinem Finger wegwischte. >So strahlend Blau.< Er fuhr meine Wimpern nach und verrieb die Nässe meiner Tränen zwischen Daumen und Zeigefinger. Er blinzelte überrascht und schob mich ruckartig von sich. Ich erschauderte unter der Kälte, die mich nun umgarnte. >Es... es tut uns leid, dass dir das passiert ist. Wir können uns nicht erklären, wann und wie der Hexer in dein Zimmer gelangt ist. Du kannst dir aber sicher sein, so etwas wird niemals wieder geschehen. Niemals. Ich werde selber die Verantwortung übernehmen, Jenna.< Damit stand er auf, sah mich noch ein letztes Mal an und verließ den Raum. Sobald er weg war füllte sich das Zimmer allmählich wieder.
Ich wurde untersucht, ausgefragt und Beth und die anderen bekundeten ihre Sorge um mich.
Ich wurde für den Tag vom Unterricht befreit und saß deshalb aufrecht im Schneidersitz auf meinem Bett und wartete darauf, dass die Zeit verging. So tatenlos herum zu sitzen hasste ich. Es war gerade Mal 12Uhr und ich war schon am wahnsinnig werden. Ich saß an meinem Schreibtisch und lernte. Doch die Wörter und Zahlen, die vor mir auf den Seiten standen vermischten sich zu einem einzigen matschigen Klumpen aus Chaos. Die Gedanken in meinem Kopf waren nicht besser. Ich spürte das innere Zittern der Angst in mir.
Ab und zu erwischte ich mich dabei, wie ich mich über meine Schultern hinweg im Zimmer umsah. Jedes Knacken brachte mein Herz zum Rasen. Am liebsten hätte ich eins der Waffen bei mir gehabt.
Zum Mittagessen ging ich noch raus, aber das ständige Getuschel von den anderen hielt mich davon ab, das gleiche noch einmal zum Abendessen zu machen.
Mir wurde erlaubt, mit einem Wächter zusammen außerhalb des Geländes joggen zu gehen. Nach 15 Minuten, nachdem Bäume den Blick auf die Schule versperrten, spürte ich meine Muskeln entspannen. Die Schritte des Wächters hinter mir beruhigten mich ebenfalls. Ich wäre sowie so nicht alleine rausgegangen. Ganz bestimmt nicht. Mit den anderen wollte ich aber auch nicht gehen. Ihre Fürsorge hielt ich im Moment einfach nicht aus.
>Jenna, nur langsam.< Ich drehte mich zu der Frau um. Sie war sehr muskulös, hatte aber nicht die Weiblichkeit ihrer Körpers verloren. Nacken und Schulterblätter waren auch  übersät von Tattoos. Einmal das normale Zeichen für das Töten von Hexern und dann noch unzählige andere, die ich nicht kannte. Ich konnte sie so gut sehen, da ihre Haare nur Kinnlang waren.
>In Ordnung.<, murmelte ich. Laut atmete ich durch und verlangsamte meinen Gang. Mit der Atemlosigkeit, die einherkehrte, steigerte sich auch meine Nervosität. Das Gefühl war zu ähnlich dem Ersticken von gestern Nacht. Ich biss mir auf die Unterlippe. Sein Atem in meinem Gesicht. Diese Stimme. Ich hatte ein ungutes Gefühl, aber nie hätte ich gedacht...
Ich schüttelte den Kopf und schloss kurz die Augen. Mein ganzer Körper wurde eiskalt. Gerade noch brannte er von der Anstrengung, nun fiel es mir schwer die steifen Glieder zu bewegen. Ich hatte so Angst. Und ich wusste, hier war nichts wovor ich mich fürchten musste und dennoch...
Panisch sah ich mich um. Blickte der Wächterin ins Gesicht, um mich zu vergewissern, dass sie noch da war. Sie verzog verwirrt das Gesicht. Ich joggte weiter. Das Atmen fiel mich spürbar schwerer.
>Bleib stehen, Jenna.<
Ich konnte nicht. Wenn er in mein Zimmer gekommen war, dann war es doch auch möglich, dass irgendwelche anderen hier im Wald auftauchten und mich verschleppten.
>Jenna! Stehen bleiben.< Meine Schritte verharrten urplötzlich. Fast warf mich der Ruck vorn über. Ihre kräftige Hand umfing meinen Unterarm. >Beruhige dich. Du hyperventilierst.< Und tatsächlich. Mir liefen stille Tränen über das Gesicht. Abgesehen von meinem schweren Atem, kam kein Mucks über meine Lippen. >Langsam...< Sie tätschelte meine Schulter und lächelte. >Das ist ganz normal. Du hast eine schwere Aufgabe erfüllt.< Ich nickte und versuchte meinen Atemrhythmus zu kontrollieren. >Ein... und... aus.< Sie atmete tief durch und wieder aus. Ich folgte ihr und schloss meine Augen wieder. >Das ist nicht einfach. Ich verstehe das, aber du musst dich jetzt beruhigen und stark sein. Verstehst du? Jenna?< Ich blickte sie an. Mein Herz schlug rasend schnell und meine Lungen ächzten, schienen den Druck nicht standhalten zu können. >Ruhig...< Ich sog tief Luft ein. >Ich denke, es ist Zeit zurückzugehen oder?<
>Ja, denke ich auch.<, keuchte ich schwer.
Sie legte ihre Hand in meinen Nacken und führte mich, denn ich torkelte schwer. Wir schwiegen eine Weile. Ich bekam die Zeit mich zu beruhigen. Nur noch mein leises Wimmern war zu hören. Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren. Vielleicht zwei Stunden. Das Auftauchen der Schule, brachte wieder etwas der Spannung zurück in meine Haltung.
>Hast du jemanden mit dem du reden kannst?<, fragte sie besorgt.
>Ich will nicht reden...<
>Du solltest reden. Ich habe auch geredet. Viel geredet. Und ich war viel älter. Ich war 23, als ich das erste Mal einen Hexer umgebracht habe. Ich bin professionell ausgebildet worden. Du bist eine junge Schülerin, die gerade erst in diese Welt eintritt. Du brauchst jemanden zum Reden. Du scheinst nicht gut mit der Situation umzugehen. Es ist kein Zeichen von Schwäche seine Gedanken mit jemandem zu teilen, um sich zu entlasten.<, erklärte sie und trat mit mir wieder auf das Gelände.
Ich nickte und sah zu ihr auf. >Ich wüsste nicht, mit wem.<
>Isaac ist doch dein persönlicher Trainer oder? Jemand besseren gibt es nicht.<, lachte sie.
Genau. Isaac.
>Ich will nicht mit Isaac reden.<
Sie nahm endlich ihre Hand von mir. Sie war eindeutig Luft. Alles an ihr war Luft. >Gut, dann suchst du dir jemand anderen, mit dem du reden kannst. Wie wäre es mit Kevin? Er ist sehr erfahren.< Ich zuckte mit den Schultern. >Glaub mir, es wird dir gut tun.< Wir schwiegen wieder. >Du wirst bald dein Tattoo bekommen nicht wahr? Genauso wie Penny und die anderen...<
>Wirklich? Wann?<
>Demnächst. Ihr verdient es. Ihr habt die Schule beschützt.<
>Wir haben gegen die Regeln verstoßen.<, erinnerte ich sie.
Schulterzuckend öffnete sie die Tür zum Schulgebäude und ließ mich eintreten. >Ach...< Ich lächelte sie an. >Bevor du zurück in dein Zimmer gehst, schau auf der Krankenstation vorbei. Nur kurz, ja?<
>Mach ich.< Damit trennten sich unsere Wege. Auf dem Weg drehte ich mich nochmal um. >Wie heißt du eigentlich?<, fragte ich sie.
>Kiley.<
>Danke, dass du mich begleitet hast, Kiley.< Sie nickte nur und ging davon.
Auf der Station wurde mir Blut abgenommen und mein Puls und Blutdruck gemessen. James kam mir auf dem Weg nach draußen entgegen und zog mich zu sich. Er schien nicht verletzt zu sein. >Hey, lange nicht mehr gesehen, Killer.<, schmunzelte er.
>Ja, sehr witzig.<
Lachend legte er seinen Arm um meine Schulter und führte mich hinaus. >Tut mir leid, dass war dumm, aber wir haben uns tatsächlich lange nicht gesehen. Wollen wir nicht mal zusammen Hausaufgaben machen oder so?<, fragte er und lächelte spitzbübisch.
>Nein, danke. Ich habe keine Lust.<
>Wenn das wegen Brody ist...< Er schürzte die Lippen. >Von mir erfährt er es nicht...<
>Jenna...< Ich drehte mich herum. Brody kam aus dem Trainingsraum. Um seinen Hals lag ein Handtuch und in einer Hand hielt er eine Flasche Wasser. Argwöhnisch blickte er auf JAmes Arm, welcher um meine Schulter lag.
Ich schüttelte ihn ab. >Hey, Broderick.<
>Was machst du hier?< Wortlos ging ich auf ihn zu und lehnte mich an ihn.  >Alles klar?<, flüsterte er mir ins Ohr. Ich nickte. >Und bei dir James? Alles klar?<
>Ja, natürlich. Alles gut. Ich dachte mir nur, dass deine Freundin vielleicht mehr Lust hätte heute mit mir...<
>Wirklich, James? Ein Tag später, nachdem unsere Schule angegriffen wird?<, fragte er fassungslos. >Kannst du sie nicht anmachen, wenn sie nicht gerade noch heute morgen auf der Krankenstation war?<
>Ach, du weißt doch, Jenna und ich sind enge Freunde. Sie weiß, dass ich ihr nur helfen will. Oder, Jenna?< Seine Stimme kam näher.
Ich schlang meinen Arm um Brody und drehte mich zu James. >Du hast bestimmt genügend Vögeltanten, um mich in Frieden lassen zu können.<, nuschelte ich müde. Ich war auf einmal furchtbar erschöpft.
>Ich werde es überleben, aber vielleicht braucht dein kleiner Freund ja ein paar Tipps dafür, wie er es dir richtig besorgt.< Er zwinkerte mir zu.
Genervt verdrehte ich die Augen. James war größer als Brody. Vielleicht ein halber Kopf. Er war auch viel breiter. Doch das hielt Brody nicht davon ab, hervorzupirschen und James aus wütenden Augen anzustieren. Der trat einen Schritt zurück, hielt aber stand. >Hey, hör auf.< Ich  zog die beide auseinander.
>Halt dich von ihr fern, Miller.<, knurrte Brody aufgebracht und ließ sich von mir wegziehen. >Oder ich reiße dir deinen Arsch auf.<, murmelte er, schlang seinen Arm um meine Schultern und sah über seine zu James zurück.
>Was ist denn jetzt auf einmal los? Warum bist'n du so...?<
>Ich mochte ihn nie... Das ist so ein verdammtes Arschloch. Er soll sich einfach von dir fernhalten.<, sagte er. Ich lachte. >Was? Was lachst du so?< Er begann mich zu kitzeln.
Kichernd schlug ich seine Hände beiseite und trat ein paar Schritte von ihm. >Ist nur witzig zu sehen, wie du auf einmal dein Territorium abstichst. Bist irgendwie so überhaupt nicht der Typ dafür...<, antwortete ich und nahm ihm seine Flasche Wasser ab, um gleich darauf aus ihr zu trinken.
>Was soll denn das jetzt auf einmal heißen? Das ich ein Schwächling bin, der nicht auf sein Mädchen aufpassen kann?< Er stach mir immer wieder in den Bauch.
Ich wehrte seine Angriffe ab und flüchtete vor ihm. >Hör auf! Das habe ich gar nicht gesagt und überhaupt...< Ich verzog argwöhnisch das Gesicht. >Dein Mädchen?<
Er schnappte meine Hüfte und zog mich an sich heran. Seine Lippen drückten sich in meinen Hals. >Ich wüsste nicht, was daran fragwürdig ist...<, raunte er mit tiefer Stimme. Gänsehaut rieselte meinen Rücken und meine Arme hinab.
>Geh weg. Du müffelst...< Ich schob ihn von mir.
>Oh nein, du wirst ja rot...<
>Halt den Mund.<, schnauzte ich und stieß ihn von mir als er mich wieder in seine Arme ziehen wollte. >Du hast eindeutig zu viel trainiert. Du halluzinierst.<
>Aber dir gefällt doch, was du siehst...< Er lehnte sich drückte mich gegen die Wand und stemmte seine Hand gegen die Wand, als ich weglaufen wollte. >Du siehst müde aus...< Sein Finger berührte mich unter den Augen.
Ich piekste ihn in die Wange. >Selber.<
Vorsichtig streichelte er mein Gesicht. >Geht es dir auch wirklich gut? In letzter Zeit ist viel...< Ich strich ihm das Haar aus den Augen und nickte. Er war besorgt. >... passiert.<
>Danke, keine Sorge. Mir geht es gut. Nur müde.<
Er nickte. >Ok. Soll ich dich zu deinem Zimmer bringen?< Ich verneinte. >Sicher?<
>Ja.<
>Ok. Gute Nacht...< Er beugte sich vor, um mich zu küssen, aber ich duckte mich weg und winkte ihm zu.
>Gute Nacht, Broderick.<, säuselte ich frech.
>Arschloch.<, hörte ich ihn rufen und lachte wieder laut. In meinem Zimmer jedoch stürzten meine Mundwinkel wieder hinab. Ich taumelte und ging in die Knie.
Mir war speiübel. Würgend kroch ich zur Toilette und übergab mich. >Oh verdammt.<, nuschelte ich, richtete mich auf und wusch mir meinen Mund aus. Mir war so schwindlig. Ich hatte heute kaum was gegessen, wahrscheinlich deswegen.
Ich stieg unter die Dusche, putzte mir die Zähne und legte mich ins Bett. Fast traute ich mich nicht, meine Augen zu schließen.
Irgendwann musste ich wohl eingenickt sein, denn als ich meine Augen wieder öffnete war es Morgen und meine Glieder schmerzten.
Ich streckte mich. Am liebsten hätte ich Broderick bei mir gehabt. Vielleicht gab sich mal die Möglichkeit, dass wir zusammen in einem Bett am Morgen aufwachten.
Bei dem Gedanken an ihn, musste ich lächeln. Grinsend rollte ich mich Bett von Seite zu Seite und lachte einfach so.
Meine Bauchschmerzen waren weg. Dafür hatte ich jetzt aber Kopfschmerzen.
Heute durfte ich wieder in den Unterricht. Endlich. Dieser eine Tag war nicht nur genug gewesen, sondern zu viel. Ich packte meine Sachen für die Schule zusammen und ging raus auf den Flur. Ich trank aus meiner Wasserflasche auf dem Weg nach unten.
>Hey, gehst du nicht frühstücken?<, fragte mich Penny. Sie und Kyle waren auf den Weg zur Cafeteria.
Ich schüttelte den Kopf. >Ja. Ich geh schon einmal runter in die Bibliothek.< Sie nickte etwas misstrauisch, verabschiedete sich aber für später und ich ging zur Bücherei. Es waren ein paar Schüler da, die lernten oder nach Büchern suchen. An der Rezeption saß eine etwas ältere Frau. Und damit meinte ich nicht älter, wie 60 oder etwas in die Richtung, sondern maximal 40. Sehr junge, gutaussehende 40.
>Hi. Gibt es hier eine Abteilung speziell für unsere Religion?< Sie verstand sofort was ich meinte und zeigte zu einer Regalreihe. >Danke.< Ich ging hinüber und lief an den vielen Büchern vorbei. Die Regale reichten bis an die Decke. Verschiebbare Leitern waren an ihnen befestigt. Auf den Bücherrücken standen Titel drauf wie: „Der Anfang“, „Wo alles begann“... Ich kletterte an der Leiter hoch und nahm mir ein Buch mit dem Titel: „Unsere Götter“ in die Hand. Es war ein ziemlicher Wälzer. Ich stieg wieder hinunter und blätterte etwas durch die Seite. Ich war jetzt nicht der allergrößte Leser, aber dieses hier interessierte mich.
Ich musste für mich herausfinden, was es mit unseren Göttern auf sich hatte. Beth meinte doch, dass alle Quellen sicher waren. Ich begann reinzulesen. Das Buch ging auf jeden Gott einzeln ein. Erzählte seine Geschichte und seinen Teil an der Entstehung der Menschen und der Erde.
Ich wollte noch weiterlesen, aber es wurde Zeit für den Unterricht und ich war schon spät dran. Schnell lieh ich es mir bei der Rezeptionisten aus und rannte dann ins Klassenzimmer. Die Stunde hatte schon begonnen. Gebückt schlich ich mich an meinen Platz zu Beth.
>Da bist du ja. Wo warst du beim Frühstück?<
Ich zuckte mit der Schulter und packte meine Sachen aus. >Ich hatte nicht so Hunger und war in die Bücherei.< Argwöhnisch runzelte sie die Stirn. >Was ist denn? Bin ich zu dumm dafür, Bücher zu lesen oder was?<
Sie grinste. >Nein, aber... das habe ich nicht erwartet.<
>Danke, aber auch.<, schnaubte ich.
>Dann hast du nicht gehört, was Kevin gesagt hat oder?<
Ich schlug die richtige Seite im Buch auf und begann abzuschreiben, was an der Tafel stand. >Was soll ich gehört haben?<, fragte ich dabei und sah kurz zu Brody. Er zwinkerte mir lächelnd zu und wurde gleich darauf von Paul angestoßen, der mir übertrieben mit der Hand über dem Kopf zuwinkte.
>Diesen Sonntag kommen Summe Legata aller Elemente hier her und werden uns unsere Zeichen geben.< Ich hielt inne und blickte Beth ins Gesicht. Sie nickte. >Du, Brody, Penny, Daphne und ich. Wir kriegen unsere Tattoos.< Ungläubig öffnete ich den Mund. >Das ist unglaublich oder? Wir sind dann wie die Lehrer und Wächter.<, flüsterte sie aufgeregt und drückte meine Hand. Ich zuckte zusammen. >Tut mir leid.< Sie entzog sich mir.
>Schon ok. Aber... was heißt das dann? Passiert irgendwas....?<
>Ich weiß es nicht. Es gibt nicht viele, die vor ihrem Abschluss Hexer umbringen. Du trainierst doch mit Isaac. Frag ihn.<, schlug sie vor.
Ich nickte nachdenklich und sah wieder vor zur Tafel. Am Sonntag. Das Tattoo. Eine Ehrung dafür, dass ich diese ganzen Menschen umgebracht hatte.

>Hey.<, begrüßte ich Isaac zum Training. Er nickte schweigsam und schob einen Boxsack in den Raum. >Sprichst du nicht mehr mit mir?< Ich zog meine Jacke aus und warf sie zusammen mit meiner Wasserflasche auf den Boden. >Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich werde schon keinem erzählen, dass wir gekuschelt haben.<
Ruckartig drehte er sich zu mir um. >Wir haben nicht gekuschelt, Jenna.<, knurrte er wütend. >Es ging dir nicht gut und ich habe dich getröstet. Siehst du? Genau deshalb wollte ich mich von dir fernhalten. Du und ich...< Er zeigte auf mich und dann auf sich. >Das funktioniert nicht. Ich versuche hier die Rolle des Lehrers auszufüllen und dir etwas beizubringen, aber du versuchst die ganze Zeit diese... Spielchen mit mir durchzuziehen.< Kopfschüttelnd schnappte er eine Nummer von Matten und schmiss sie vor sich auf den Boden. >So funktioniert das hier nicht. Hör zu...< Er lehnte sich zu mir vor. >... wenn du noch weiter von mir unterrichtet werden willst, dann muss das aufhören. Hörst du?<, fragte er aufgebracht.
Verunsichert nickte ich. Solch eine Reaktion hatte ich nicht erwartet. >Ich... Ja...<
Er beäugte mich noch einen kurzen Moment mit heruntergezogenen Brauen, bevor er sich abwandte und weiter aufbaute. Die Trainingsstunde verlief abgesehen von dem Keuchen, während des Kämpfens, wortlos. Wir redeten nicht miteinander und sahen uns auch kaum in die Augen. Ich fühlte mich unwohl. Mit Isaac. Diese seltsame Spannung lag über uns und ich fand es nahezu widerlich. Das war ich nicht gewöhnt. Diese Sehnsucht nach Flucht.
Sonst tat ich alles, um in seine Nähe zu kommen, doch... nun...
Das er diese Aggression mir gegenüber fühlte... Ich fühlte fast schon Angst ihm gegenüber. Angst ehrlich zu ihm zu sein. Angst davor, mit ihm darüber zu reden, was mir Angst machte.
>Du bist zu langsam. Deine Arme sind schwach. Du musst dir mehr Mühe geben.< Er ging wieder in Kampfhaltung. >Schütze dein Gesicht und bleib immer in Bewegung.< Seine Stimme war vollkommen monoton. Stumm nickte ich wieder und griff ihn an, aber ich landete wie zu erwarten auf dem Boden. >Schneller, stärker, besser.<, befahl er.
>Ich versuche es doch schon.<
>Dann versuch es mehr. Es bringt offensichtlich nichts.<, erklärte er.
Ich hob meine Fäuste und nickte ihm zu. Er erwiderte und los ging es.
Wir kämpften erbarmungslos.
Und dieses Mal hätte ich es fast geschafft, ihn nieder zu drücken. Aber mit einer einzigen rasanten Bewegung, drehte er uns, stand auf und hielt mich so in seinen Armen gefangen, dass ich mich nicht bewegen konnte. Bevor ich die Wärme seines Körpers überhaupt wahrnehmen konnte, stieß er mich schon von sich. >Das reicht für heute. Du kannst gehen.< Ich nahm meine Jacke an mich und ging aus der Halle. >Jenna...<, rief er auf einmal. Überrascht drehte ich mich wieder herum. Ich kam zurück und sah ihn dort stehen. Neben dem Box-Sack, mit den Armen vor der Brust verschränkt. >Sag den anderen, dass ihr zum Sonntag schlichte Kleidung tragen müsst. Nicht ihr werdet geehrt, sondern der Krieger, der ihr geworden seid.<, sagte er nur.
Meine hoffnungsvolle Miene erlosch. Ich dachte, er würde fragen, wie es mir geht. Unglaublich, dass ich mir das wünschte. >In Ordnung, Isaac. Schlichte Kleidung. Hoffen wir, dass wir durch den Zoll der Modepolizei kommen.<, rief ich auf meinem Gang nach draußen.
Keine Erwiderung.
Das war doch eine gute Möglichkeit, mich endlich von ihm loszulösen. Langsam wurde es ja Zeit. Jetzt, wo ich mit jemandem zusammen war...
Ich war scheiße drauf, als ich in mein Zimmer kam und duschte. Ich wollte nichts weiter, als schlafen, doch als ich mich hinlegte und meine Augen schloss schaffte ich es nicht. Also nahm ich das Buch an mich und begann darin zu lesen.
Mich interessierten die anderen Götter nicht. Ich wollte nur etwas über sie hören. Ignis. Mutter des Feuers.
„Sehet das Feuer. Es ist stark und es ist wild, es ist ungezähmt und frei. Vieles lieget darin. Doch kann es zerstören und verbrennen, verwüsten und verderben. Es ist an uns zu sehen, dass dies nicht geschieht […]“ – (Tahnee, die Göttin des Feuers)
Sie wurde als Schönheit beschrieben. Als liebende Mutter. Es wurde alles erklärt.
Die Götter kreierten die Universen und halfen allem zu wachsen und zu gedeihen. Nachdem der Mensch dann entstand, erhielten eine Nummer von ihnen die Kräfte der Götter. Die Kraft konnte nicht auf alle übertragen werden, da nicht alle kompatibel mit ihr waren. Deswegen bekamen Bändiger auch nicht automatisch Kinder, die ebenfalls bändigen konnten. Sie lehrten den Menschen, wie sie damit umgingen und sorgten für Gleichgewicht, doch irgendwann verließen sie uns.
Sie entschwanden und wir lebten alle gemeinsam in Frieden. Mit der Zeit aber entwickelte sich ein Streit zwischen den beiden Völkern, die bis vor kurzen noch Brüder und Schwestern waren. Wir hatten Kräfte, die anderen nicht. Immer öfter kam es zu Situationen, in denen die Bändiger dazu gezwungen wurden, ihre Kräfte zu nutzen. Wir wurden zu Sklaven.
Also wurde alles vertuscht. Die Bändiger zogen sich zurück und hielten ihre Kräfte unter Verschluss. In der Öffentlichkeit wurde nicht mehr gebändigt und es wurden die Königsfamilien gegründet, die für eben dies sorgten.
Ignis hatte die engste Verbindung zu den Menschen. Sie liebte sie. Als wären sie ihre Kinder. Sie wollte uns nicht verlassen. Doch die Götter warnten sie davor, Distanz vor uns zu wahren. Letztendlich waren sie Götter und gehörten nicht zu den Menschen. Sie war aber so angetan von uns, dass sie sich im Geheimen dennoch mit uns traf.
So geschah es, dass sich zu einem Menschen, einer Frau, eine besonders enge Beziehung entwickelte. Diese Frau war nicht kompatibel mit der Kraft der Götter. Also beschloss Ignis ihr Feuer zu geben. Sie reichte ihr eine wärmende Flamme. Half ihr das Feuer so zu verstehen, wie sie es tat. Und es funktionierte. Die Frau, ihre Tochter, so war es im Buch beschrieben, lernte das Feuer zu lieben und es... zu bändigen. Sie schaffte es aus eigenen Stücken. Als Mensch zu bändigen...
>Oh, mein verdammter scheiß...!<

15. Streitereien

Ich schmiss das Buch auf das Bett und hielt mir den Mund. >Oh. Mein. Gott.<, keuchte ich entsetzt und sah mich im Zimmer um, auf der Suche nach jemandem, der das gerade auch gelesen hatte. Aber natürlich war ich allein und konnte deshalb auch nur mit mir allein geschockt sein.
Ken hatte mir erzählt, dass ich ein Mensch war. Darum ging es doch die ganze Zeit. Das niemand auch nur einen blassen Schimmer hatte, was bei mir ablief. Und jetzt... Hier stand es Schwarz auf Weiß.
Ignis hatte einem Menschen Feuer gegeben, ohne ihm die Kraft des Bändigens zu geben. Aber ich war nie... Was zum Teufel hieß das jetzt?
Ich fuhr mir durchs Haar, raufte es und sank nieder auf den Boden. >Verdammte Scheiße.<

>Hm... wem gehört denn dieser heiße Hintern?<, rief jemand hinter mir.
Ich drehte mich herum. Ein Mitschüler, der mir dreckig zuzwinkerte. >Mir.< Auf einmal wurde ich über eine Schulter geworfen.
Aufschreiend krallte ich mich in breite Schultern fest. Ich roch den bekannten transparenten Geruch von einem Luftbändiger. >Frühstücken?<
Ich schnappte nach dem Saum seines T-Shirts, zog es hoch bis sein Rücken frei war und zwickte ihn in die Seite. Er zuckte und begann mich ebenfalls zu kitzeln. >Ok, ok, ok!< Ich ließ mich wieder auf den Boden setzen und lächelte ihn an.
>Nicht mitten auf dem Flur, meine Süßen.<, säuselte Penny und tätschelte Brodys Schulter beim Vorbeigehen.
Er schnaubte und führte mich in die Cafeteria. >Und bist du bereit für das Tattoo morgen?<, fragte er und ließ mich vor an die Schlange zum Essen.
>Das muss ich wohl eher dich fragen. Ich habe ja schon ein paar. Du bist hier die Jungfrau.< Ich stellte mir eine Schüssel Obstsalat auf das Tablett und lief weiter.
Brody nickte. Sein Tablett war schon voll beladen. >Stimmt.<
Wir setzten uns an einen Tisch zu den anderen, die schon hitzig am Sprechen und Lachen waren. >Sei doch ehrlich. Schon ok, wenn es dich ärgert, dass ich mein Tattoo zu erst bekomme...<, stichelte Penny ihren Bruder an und schob sich selbstgefällig ein Stück Apfel in den Mund.
Er zuckte mit den Schultern. >Ach, ist mir doch egal.<
>Ja, genau!< Sie schubste ihn und zog ihn zu sich heran, um ihn kurz auf die Schläfe zu küssen. >Das wird schon kommen. Bist halt ein Spätzünder...<
>Halt den Mund.< Er schob sie beiseite und widmete sich schmollend seinem Essen.
Die Geräusche des Gesprächs traten immer weiter in den Hintergrund, während ich in Gedanken versank. Ich war noch immer überfordert von dem Gelesenen. Ein Mensch, der bändigen konnte. Das war es, was ich war und... Was hieß das? War ich irgendwie als Kind mit Mutter Ignis in Verbindung gekommen? Aber an so etwas in der Art konnte ich mich nicht erinnern. Ich war einfach schon immer so. Von Anfang. Nie hatte ich mit anderen Bändigern zu tun. Ich dachte doch, ich wäre eine Missgeburt und jetzt... jetzt war ich in dieser Schule mit diesen Unmengen an anderen Bändigern. Aber ich durfte natürlich nicht dazu gehören. Ich musste irgendeine Andersartigkeit vorweisen. Alles hier begann mich langsam aber sicher in den Wahnsinn zu treiben.
>Hey, geht's dir gut?< Schulterzuckend sah ich zu Beth. Sie sah auf mein Essen. Ich hatte es nicht angerührt. >Du weißt, dass du das richtige gemacht hast und das morgen... Das wird schon. Ich bin ja bei dir.<
>Danke.<, murmelte ich lächelnd. Sie konnte nicht wissen, um was es ging. Und ich war mir nicht sicher, ob ich ihr die Geschichte mit meinem Blut und meine Entdeckung erzählen sollte.
Aber es war Beth... Beth, die von Anfang an auf meiner Seite war. Von Anfang an. Wenn ich hier nicht ihr vertrauen konnte, wem denn dann sonst? Irgendjemandem musste ich es sagen.
Nach dem Mittagessen fanden wir uns bei dem Küchenpersonal ein. Wir wurden kurz und knapp in unsere Aufgabenbereiche eingewiesen. Beth und ich waren für die Spülmaschine zuständig. Räumten also ein und aus. Daphne und Penny putzten die komplette Küche und Brody trug das ganze schwere Zeug in die Gefrierräume und Vorratslagern.
Beth versuchte ein Gespräch aufzubringen, aber ich war zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt. Immer wieder tippte sie mich an, weil ich aufgehört hatte zu sprechen. Irgendwann gab sie auf und wir gingen lediglich unseren Arbeiten nach.

Nachdem unsere Pflichten erledigt waren, setzten wir uns auf die Wiese hinter der Schule. Es war ein warmer, sonniger Tag. Um uns herum saßen die Schüler verteilt und genossen ihre Freizeit.
Penny, und die anderen spielten Fangen. Wie kleine Kinder rannten sie um die umher und lachten laut dabei. Sie sprang auf den Rücken ihres Bruders und begann mit ihm zusammen zu jagen. Immer mehr Schüler spielten mit, sodass das Spiel unglaubliche Ausmaße hatte. Lachend setzte ich mich auf die Treppe vom Schulgebäude und sah zu. Ein kunterbunter Haufen, bestehend aus verschieden farbigen Punkten, die durcheinander liefen. Wie glücklich sie waren. Wie ausgelassen und zwanglos sie doch waren. Und das nachdem vor etwas mehr als einem Tag Menschenleben ihr Ende fanden.
Ich verurteilte niemanden, sondern machte lediglich Beobachtungen. Seid ich das aus dem Buch gelesen hatte, kam ich mir seltsam distatnziert von den anderen vor.
>Scheißt du dich noch immer ein wegen der Hexer?< Ich drehte mich in die Richtung, aus der der scharfe Kommentar kam. Es war Daphne, die mich aus zwei eisblauen Augen anstarrte.
Gelangweilt sah ich wieder weg. Sie nervte mich nur und gerade in diesem Moment, konnte ich sie nicht gebrauchen. >Ja, tue ich. War's das?<
Sie trat weiter vor, so dass sie mit mir auf einer Höhe war. >Unverständlich, dass dich alle hier für so etwas besonderes halten. Du bist nichts weiter als ein schwacher Eindringling. Du hast hier nichts zu suchen. Ich hoffe, dass ist dir klar.<
>Ist es. Gehst du jetzt wieder?<
Mit einem Schritt stand sie vor mir. >Ich weiß, was zwischen dir und Isaac läuft...<
Meine Augen weiteten sich für einen Moment, bevor sie wieder zu ihrer normalen Größe schrumpften und ich durchatmete, denn ich erinnerte mich da an ein kleines Detail. Zwischen Isaac und mir lief nichts und würde auch nie etwas laufen und das war gut. Den letzten Teil musste ich nur endlich, einsehen, akzeptieren und wertschätzen. >Und was soll da bitte schön laufen?<, fragte ich sie deshalb ausdruckslos.
Ein breites Grinsen wuchs auf ihren schmalen Lippen. >Ich weiß, dass ihr beide aufeinander steht. Ich habe euch in der Turnhalle beim Trainieren gesehen. Ich habe euch außerhalb gesehen. Die Art und Weise, wie ihr miteinander umgeht ist eindeutig. Für wen zum Teufel hältst du dich eigentlich?< Sie beugte sich zu mir vor. Eine Ader trat auf ihrer weißen Stirn hervor. >Du kommst hier an und wickelst alle um deinen Finger, huh?<
Langsam ging sie mir wirklich auf die Nerven.
Ich fuhr mir durchs Haar. >Was soll ich deiner Meinung jetzt machen? Ich bin jetzt nun mal hier. Wir müssen Wohl oder Übel miteinander auskommen. Wollen wir uns nicht einfach darauf einigen, dass wir nie wieder ein Wort wechseln?<, fragte ich ausdruckslos.
Sie richtete sich auf und stemmte die Fäuste in die Hüfte. >Wir wissen beide ganz genau, dass du nichts weiter bist als ein Flittchen. Und wir wissen beide, dass du es verdienst dafür bestraft zu werden. Für die Idioten, die dich auf die Welt gesetzt haben. Diese dreckigen...!< Ich stand ruckartig auf. Erschrocken fuhr sie zurück, lächelte gleich darauch aber herausfordernd. >Oh, habe ich da etwa einen wunden Punkt getroffen?<
>Halt deine Schnauze, Daphne. Du hast keine Ahnung.<, knurrte ich sie an.
Eine dünne, blonde Augenbraue hob sich an. >Von was habe ich keine Ahnung, Jenna?<, fragte sie scheinheilig. >Von deinen Eltern, die mit dir zusammen im Dreck gelebt haben? Hirnlose Affen, die auf gut Glück ungeschützt gevögelt haben und du warst das Ergebnis? Habe ich keine Ahnung von deinem schäbigen Dasein, als Mädchen, das sich nicht scheut, die Beine für jeden Passanten zu spreizen? Nur, um etwas von der Liebe zu bekommen, die sie früher nicht bekam? Weiß ich nichts davon, wie du wie eine tickende Zeitbombe darauf gewartet hast, deine Eltern bei lebendigem Leibe zu verbrennen? Habe ich davon...?< Ihre Frage konnte sie nicht zu Ende bringen, denn ich sprang sie an und schmiss mich mit ihr ins Gras.
>Du hast nicht das Recht, so über mich oder meine Familie zu reden.< Ich fixierte sie auf dem Boden.
>Hey, Mädels. Hört auf mit dem Schwachsinn!<, hörte ich jemanden rufen. Doch ich konzentrierte mich weiter auf Daphne.
>Komm schon. Kämpf. Mit dir kleinem Miststück komme ich schon noch klar.<
Sie traf die exakt richtigen Punkte, um mich zum Siedepunkt zu führen. Und sie hatte Erfolg. Ich hob meine von Feuer ummantelte Faust.
>Jenna, hör auf.<
>Tu es und ich reiße dir deinen Arsch auf.<, zischte Daphne und ich ließ einen Schlag auf sie niederrasen, nur traf sie der Schlag nicht. Zuvor klemmte sie ihr Knie unter mich und kickte mich kräftig von sich. Ich schlug mit dem Kopf gegen die Treppe. Mir wurde schwindlig, aber ich richtete mich schnell wieder auf und ging auf Daphne zu. Und als ich sah, dass Brody eingreifen wollte, errichtete ich einen Ring aus Feuer um uns herum.
Mit einer Armbewegung warf sie sich ihr blondes, langes Haar zurück und hob die Fäuste. >Na los.<, lud sie mich ein und griff an. Sie feuerte eine Faust in mein Gesicht, welche ich abwehrte und mit einem Ellenbogen konterte. Daphne fiel zurück und gerade als ich ihr mein Knie in den Bauch rammen wollte, wuchs ein Strahl Wasser aus dem Gras. Das Grün der Halme verwandelte sich in das dunkle Braun verdörrten Unkrauts. Sie holte mit beiden Händen aus und ich wurde durch einen Schwall Wasser von ihr gestoßen. Ich krallte meine Finger in den Boden und schoss eine Feuerwalze in Kniehöhe in ihre Richtung. Sie sprang natürlich hoch und landete deshalb erneut unter mir, als ich sie am Fuß packte und mit einem Ruck auf die Wiese klatschte.
>Jenna! Daphne!.. Ah! Verdammt!< Kyle kam nicht durch das Feuer.
Ich sprang auf sie drauf und dieses Mal traf meine Faust ihr Gesicht und es spritzte Blut. Während ich meine Hand zurückzog, legte sich ein Dolch aus brennenden Flammen in sie hinein. Große Scheinwerfer leuchteten mir aus ihrem Gesicht entgegen, als sich die Klinge immer weiter ihrer Kehle näherte.
Und plötzlich packte mich jemand an meinem Arm und drehte ihn mir auf den Rücken. >Jenna, beruhig dich.< Ich versuchte mich abzuschütteln und wieder zu Daphne zu kommen, denn ich wurde weggezogen.
Aus großen Augen sah sie zu den Lehrern, die ihr auf die Beine halfen. Blut sickerte aus ihrem Mund und der Nase. Die Wände aus Feuer waren heruntergesunken, so dass ich die Schüler sehen konnte, die mich erneut entsetzt ansahen.
>Los, komm mit.< Isaac führte mich vor sich zurück ins Schulgebäude und weiter nach oben ins Rektorenbüro. Die Stellen, an denen sie mich getroffen hatte, schmerzten. Meine Glieder kribbelten und zitterten noch immer vor Adrenalin. Aufgebracht sah ich von Seite zu Seite. Ich war so geladen. Voller aufgestauter Aggressionen.
Im Büro setzte er mich wenig freundlich auf einen der Stühle und lehnte sich mit den Armen vor der Brust verschränkt gegen den Schreibtisch. Sein Gesicht war ernst und hart. >Na komm. Erzähl schon.<
Ich lehnte mich gegen die Stuhllehne und atmete durch. >Sie hat Dinge gesagt, die sie nicht hätte sagen sollen.<, antwortete ich kleinlaut.
>Was hat sie gesagt?< Unbekümmert zuckte ich mit den Schultern. >Ich will es hören. Was hat dich dazugeführt, ihr an die Gurgel gehen zu wollen?<, fragte er mit leiser Stimme. Sie hatte einen scharfen Unterton.
>Meine Eltern. Sie hat über meine leiblichen Eltern hergezogen. Und... dazu hat sie einfach kein Recht. Ich weiß, ich hätte sie nicht gleich angreifen sollen, aber... Es ging in dem Moment einfach nicht anders.<
Er stützte sich auf den Armlehnen ab und beugte sich zu mir vor. Sein Gesicht kam mir näher. >Du musst lernen, dich zu kontrollieren. Momentan willst du das vielleicht nicht akzeptieren, aber Daphne ist deine Schwester. Wir sind eine Familie. Gerade wegen unserer Vergangenheiten. Gerade wegen der Reaktionen der Menschen auf uns. Wir müssen zusammenhalten. Es gibt keine andere Option. Und wenn du das nicht akzeptieren willst und dich nicht zurückhältst, haben wir keine andere Wahl, als dich von den anderen zu isolieren. Du wirst keine andere Wahl haben, als dich von den anderen zu isolieren, Jenna.< Seine Worte waren hart und anklagend. Ich war etwas überrascht. Eigentlich hatte ich erwartet, er würde mich zwar etwas ausschimpfen, aber dann wie sonst trösten. Diese Anschuldigungen schmerzten. Er war wohl noch immer schlecht gelaunt.
>Ich  habe ihr angeboten, dass wir einander aus dem weggehen, aber sie hat...<
>Es ist mir vollkommen egal, was sie getan hat. Du bist für deine Taten verantwortlich. Und das gerade war kindisch und unnötig.< Damit atmete er durch und umfing mein Kinn, um mich zu begutachten. >Ich weiß einfach...< Ich entzog mich seiner Berührung. Wortlos sah er mich an und lehnte sich dann erneut seufzend gegen den Schreibtisch.
>Kann ich gehen?<, fragte ich ruhig. Ich wollte nicht mehr von ihm angeklagt werden. Isaac sah von oben auf mich herab. Und ich wollte einfach nicht mehr. Ich musste mich von ihm fernhalten. Es fühlte sich einfach nicht gut an, in seiner Nähe zu sein. Nicht so. Auch wenn ich wünschte, es würde sich noch genauso wie früher anfühlen.
>Wenn du keine Verletzungen hast kannst du gehen, ja.< Ich stand auf und ging durch die Tür raus. Ich konnte Isaacs Blick in meinem Rücken deutlich fühlen.
Vor mich hin fluchend lief ich durch die Flure in mein Zimmer. Nur um mich umzuziehen und gleich darauf runter ins Fitnessstudio zu gehen. Blind stellte ich mich an verschiedene Geräte und ging erst von ihnen runter, wenn der beanspruchte Muskel brannte wie Feuer.
Die Art wie Isaac sich mir gegenüber verhielt, war verletzend, obwohl ich es verstehen konnte. Abgesehen von der Art, wie ich mich zuvor verhalten hatte, ließ ich auch nicht locker. Ich war unfair und spielte wirklich mit ihm. Dennoch verletzte es mich. Dennoch erschreckte ich mich, wenn seine warmen und eigentlich weichen Augen mich so hart und entfremdet anstarrten. Ich fühlte mich seltsam verstoßen von ihm. Jedes Wort von ihm war wie ein grober Stoß in die entgegensetzte Richtung. Ich wusste, ich verdiente es.
Gott, wenn ich alles anders gemacht hätte...
Jetzt hasste er mich und alles war kaputt. Wenigstens als Mentor und Freund wollte ich ihn an meiner Seite haben, aber selbst das war ins Fragliche gerückt. Wo standen wir nun? Welche Chancen hatte ich nun, dass alles wieder in Ordnung zu bringen?
Ich kam mir wie ein Idiot vor. Mir wurde schwindlig vom ständigen im Kreis laufen, denn das war es. Ein ständiges im Kreis laufen. Rasend schnell und auf sehr beängstigende Weise.
Müde zog ich das Haargummi aus meinen Haaren. Das Studio war nun fast leer. Die meisten waren jetzt beim Abendessen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich tatsächlich an den Trainingsgeräten verbrachte. Es kam mir wie Minuten vor. Hunger hatte ich nicht. Mir war komisch.
Daphnes Worte waren nicht verloren gegangen. Im Gegenteil. Sie waren noch immer sehr präsent. Mitunter, weil auch diese nicht unverdient waren. Wir lebten im Dreck. Die meisten würdeen meine Eltern als Versager und Nichtsnutze abhacken. Jedoch auch wenn ich sie nicht ganz so gut kannte, wie andere Leute ihre Eltern, wusste ich, sie hatten ihr Gutes in sich. Das mussten sie einfach. Auf meinem Foto von uns lachte ich. Wir lachten alle. Sie waren gute Menschen, die einfach auf die schiefe Bahn geraten waren. Das hieß nicht, dass sie schlechte, dumme oder böswrtige Menschen waren. So etwas passierte doch oft. Sie waren da nichts besonders.
Ich stellte an der Bein-Presse ein höheres Gewicht ein und begann es zu stemmen. Meine Beine zitterten etwas.
Sie hatten es nicht verdient, dass so über sie gesprochen wurde. Nicht im Geringsten. Besonders, da sie sich nicht selber verteidigen konnten.
Wie hätte ich anders reagieren sollen? Ich hatte versucht sie zu ignorieren, aber irgendwo hatte es dann sein Ende. Ich sah Rot.
Kopf schüttelnd schob ich diese Gedanken beiseite. Daphne hatte keine Ahnung. Konnte sie nicht, denn sie war nicht da gewesen.
Nachdem mein Körper jegliche Bewegung verweigerte, ging ich hoch in mein Zimmer. Duschte und zog mich um, um beim Küchenpersonal anzutreten.
>Da bist du ja.< Beth kam mir entgegen und tätschelte meine Schulter. >Dachte schon, du lässt mich im Stich.<, grinste sie. Ich lächelte sie an und folgte ihr in die Küche. Brody nickte mir mit einem Korb voll Kartoffeln auf der Schulter zu und verschwand im Lager. >Wo warst du?<
Ich band meine noch feuchten Haare zu einem Zopf zusammen. >Trainieren.<
Sie hielt inne und sah mich an. >Du und trainieren?< Schnaubend stieß ich sie mit der Hüfte an. >Ich wusste ja nicht, dass du so aktiv bist<
>Halt den Mund.<
>Geht es dir gut? Du kommst mir irgendwie ein bisschen neben der Spur vor in letzter Zeit.< Wortlos betrachte ich sie einfach. Wie sie Geschirr und Besteck in die Waschmaschine steckte. Sie erwiderte meinen Blick und stellte sich näher an mich heran. >Du kannst mit mir reden, Jenna. Wirklich.<
Sie hatte recht.
Ich strich lose Strähnen in den Zopf hinein.>Danke.< Sie nickte und reichte mir das trockene Geschirr. Auf den Lippen kauend räumte ich es ein und kam wieder zu ihr zurück. >Ich... also... Zur Aufnahme in die Schule, werden doch diese ganzen Untersuchungen gemacht. Die haben ich natürlich auch hinter mir und... Kevin hat mir das erklärt mit, den Blutgruppen und das wir gewisse Merkmale haben, die uns von den Menschen unterscheidet...< Beth gab zustimmende Laute von sich, während sie die Maschine einräumte. Ich räusperte mich. >Als Feuerbändiger müsste ich BX+ haben, aber...< Beth runzelte die Stirn und sah mich an. >Stattdessen habe ich aber 0.<
Sie ließ das Besteck aus den Händen fallen. Ihr Mund stand offen. >Du...< Sie trat einen Schritt von mir weg. >Du bist ein Mensch?<, fragte sie ungläubig.
Nervös atmete ich durch und nickte stumm.
>Aber... das kann nicht sein. Wir sind keine Menschen. Nicht so... Nicht ganz.<
Ich nickte wieder.
>Was haben die Rektoren gesagt?<
Ich zuckte mit den Schultern. >Sie haben den Summe Legata Ærs gerufen. Er hat mich....<
>Du bist ein Mensch. Ein Mensch der Feuer bändigen kann, Jenna. Das... Sie müssen doch etwas machen.< Ihre Stimme wurde lauter. Unsicher sah ich mich um. Sie machte es mir nach. >Entschuldigung. Ich bin nur... Das ist überraschend. So etwas gab es noch nie. Zu mindestens habe ich noch nie davon gehört. Das ist verrückt. Vollkommen irrsinnig.<, zischte sie aufgebracht.
>Es wird noch verrückter.< Ihre Brauen hoben sie an. >Ich habe mir ein Buch aus der Bücherei geholt. Über unsere Götter und da... steht etwas von einer Frau, die von Mutter Ignis... Sie hat von ihr Kräfte bekommen, obwohl sie diese nicht hätte kriegen können.< Ich begann zu flüstern. >Sie war ein Mensch, der bändigen konnte. So wie ich. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber es macht mir verdammt Angst.<
Sie drückte meine Hand. >Das ist... Ich kann mir nicht vorstellen, dass du davon einen Nachteil hast. Ich meine, uns allen fiel nichts auf. Du bist wie jeder andere Bändiger, sogar stärker. Um vieles.< Ihre Mundwinkel hoben sich an und ich verschränkte meine Finger mit ihren.
>Danke.<, murmelte ich.
>Kein Problem. Wir werden schon herausfinden, was das Ganze auf sich hat. Es ist bestimmt nichts... nichts das dir irgendwas Schlechtes bringt.< Sie war offensichtlich überfordert mit der Situation. Aber dennoch blieb sie an meiner Seite. >Das ist schon ok. Mach dir keine Sorgen.<, tröstete sie mich. Ich atmete durch. >Gut. Lass uns weiter machen, ja?<
>Ja.< Wir wandten uns wieder unseren Arbeiten zu und ich fühlte mich leichter. Als würde ich das ganze Gewicht nicht mehr alleine tragen.
Das meine Hände etwas zu tun hatten, tat gut. Ich musste mich auf meine Aufgabe konzentrieren und konnte alles darauf richten.
Hände legten sich an meine Hände und ein Kinn stützte sich auf meine linke Schulter. >Hey.<, raunte Brody und küsste mich in den Hals.
Ich drehte meinen Kopf und drückte meine Lippen an seine Schläfe. >Hey.<
>Du siehst irgendwie traurig aus.<
Schnaubend seufzte ich und schloss meine Augen. Er schob seine Finger zwischen meine und schlang unsere beiden Arme um mich. >Ich bin nur müde.<, erklärte ich unbekümmert und ließ meinen Kopf auf seine Schulter zurückfallen.
>Wir können gehen, wenn du magst. Ihr seid doch fertig oder?< Ich nickte. >Gut, dann komm.< Er drehte sich mit dem Rücken zu mir. Verwirrt sah ich ihn an. >Los jetzt. Steig auf.< Ich kam seinen Worten lachend nach und ließ mich von ihm aus der Küche tragen. Wir liefen durch die Flure. >Wollen wir fernsehen?<, fragte er. >Die anderen sind da bestimmt auch.< Kopf schüttelnd schlang ich meine Arme enger um ihn herum. >Willst du irgendwo an einen ruhigeren Ort?< Ich nickte. >Hast du kein Training?<
>Oh, verdammt.< Ich stieg von ihm runter. >Tut mir leid, ich muss gehen.<
>Und jetzt hab ich mich auf eine Nummer gefreut.<, rief Brody mir nach.
>Später vielleicht.<, antwortete ich noch bevor ich die Treppen hoch joggte zu meinem Zimmer.
Isaac war schon in der Halle, als ich unten ankam. >Du bist zu spät.<, knurrte er zur Begrüßung.
Ich war meine Jacke ab und stellte sie mit meiner Wasserflasche auf den Boden. >Es tut mir leid.<
Isaac winkte mich hinter sich her. >Wir kämpfen heute mit Feuer.< Er lief voraus zu dem feuerfesten Raum und hielt mir die Tür auf. Ich hatte ihm gerade meinen Rücken zu gewandt. Da hörte ich das Rauschen von Feuer hinter mir. Fragend drehte ich mich um und konnte mich gerade noch rechtzeitig ducken, um nicht von den Flammen getroffen zu werden, die er auf mich abschoss.
>Verdammt!<, rief ich aus und stierte ihn wütend an. >Was soll das? Ich war noch nicht bereit.<, schnauzte ich ihn an.
Er band seine Haare zu einem Zopf zusammen. >Dein Gegner wird nicht warten, bis du bereit bist, um dich anzugreifen. Tatsächlich wird er deine Unwissenheit nutzen und versuchen dich unvorbereitet zu treffen. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern ist nicht unvorbereitet zu sein. Niemals.< Ich nickte und machte mich gleich bereit zum Kampf. Und Isaac stand sich in nichts nach. Würde er nicht. Er gab mir wie immer die volle Ladung.
>Ich kann nicht mehr.< Wir waren jetzt schon 2h hier. Es war brütend heiß und das war das einzige, das mich nicht umkippen ließ. Keuchend stützte ich meine Hände auf meine Knie.
Isaac war auch etwas atemlos. Doch nicht im geringsten so sehr wie ich. >Wir machen weiter.<, verlangte er stur.
>Ich kann nicht mehr.<
>Du musst können. Niemand gibt dir eine Verschnaufpause. Los.< Er stieß mich an.
Wütend schlug ich seine Hand beiseite. Ich hatte keine Lust mehr auf ihn. >Dann sollen sie mich von mir aus abschlachten. Ist mir doch scheiß egal.<, brummte ich und ging zur Tür raus.
>Jenna, bleib hier.< Die Kühle der Sporthalle schien mich zu erfrieren. Ich schnappte mir meine Flasche und meine Jacke. >Jenna! Bleib stehen!<
Ich sah mich zu ihm um. >Warum? Damit du weiter deine Frustration an mir auslassen kannst? Ich dachte, dass...< Ich schüttelte den Kopf. Das gehörte jetzt nicht hier her. >Also ich denke, dass ich mir vielleicht einen anderen Lehrer nehmen sollte. Wir können offensichtlich nicht mehr zusammen arbeiten. Tut mir leid, dass ich so unfair zu dir war. Ich frage morgen mal nach, ob es einen anderen Lehrer gibt, der mit mir trainiert. Danke, für das bisher.<, murmelte ich und blickte ihn an.
Sein Kiefer war steinhart und seine Brust hob sich unter schweren Atemzügen. Laut und zischend ließ er Luft zwischen seinen Lippen entschwinden und nickte. >Du hast... recht.< Seine Augen richteten sich auf mich. >Du solltest dir einen anderen Lehrer suchen. Ich werde ein paar auf dich ansprechen.< Seine Stimme wurde leiser.
>Danke, Isaac. Bis... dann.< Ich ging und atmete durch. Ich hatte zwar schon geduscht, aber ich stellte mich dennoch unter das laufende brühend heiße Wasser. Nur um etwas runter zu kommen. In Shorts und T-Shirt ging ich aus dem Zimmer und sah mich im Flur um. Er war leer. Die meisten waren wenn dann im Wohnzimmer, auf der Wiese oder in ihrem Zimmer.
Brody war einer davon. Überrascht streckte er seinen Kopf aus dem Badezimmer, als ich durch die Tür in sein Zimmer kam. >Was machst du hier?<, fragte er mich. Gähnend lief ich an ihm vorbei und warf mich auf das Bett. >Ok. Ich geh duschen, in Ordnung?< Ich brummte und schob mein Gesicht in meine Arme. Ich war müde und niedergeschlagen. Deprimiert und traurig.
Ich musste den Zwang unterdrücken, ihn zu verführen. Sex wäre jetzt mein Heilmittel gegen diese Situation. Traurigkeit machte mich nervös. Besonders, wenn diese Traurigkeit in Verbindung mit einem Mann war. Mit Gefühlen für eine andere Person.
Summend drehte ich mich auf den Rücken und begann mich auszuziehen. Ich warf meine Sachen auf den Boden und kniete mich auf das Bett, mit dem Gesicht zum Fenster. Ich konnte die Wiese hinter der Schule und den Wald sehen.
>Wie ich sehe, hast du dich eingelebt...<
>Schließ die Tür ab.<, murmelte ich und drehte mich zu ihm um. Er schloss sie ab und kam zu mir zurück. Er trug nur Unterwäsche. Schwarze Shorts, die ihm unglaublich schmeichelten. >Ich bin total am Ende.<
>Tja, Isaac wäre nicht der Beste, wenn er nicht streng wäre.< Augen verdrehend ließ ich mich nach hinten auf das Bett fallen. Brody rubbelte mit dem Handtuch über sein Haar und warf es in den Wäschekorb, bevor er sich zu mir legte. Seine Lippen legten sich an meine Hüfte. Gedankenverloren fuhr ich ihm durch's Haar. >Bist du hergekommen, um mit mir zu schlafen?<, fragte er und hob seinen Kopf ab. Überrascht sah ich zu ihm runter. >Ich werde nämlich nicht mit dir schlafen. Das vorher war nur ein Scherz. Ich denke einfach, es ist noch nicht...<
>Hey, hey, hey. Ich habe mich nicht ausgezogen, weil ich mit dir schlafen will. Zu Mindestens nicht jetzt sofort<, erklärte ich und umfing sein Gesicht. Er kroch über mich drüber und zog meine Beine um sich. >Ich möchte einfach nur hier mit dir schlafen.< Zärtlich strich ich durch sein noch ein wenig feuchtes Haar.
>Gut. Du bist nur so verdammt, verdammt heiß.< Seine Lippen legten sich an meine und wanderten weiter hinab. >Du machst es mir richtig schwer.<, nuschelte er zwischen zwei Küssen. Ich lachte leise. >Jetzt geht’s aber ab ins Bett.< Als wäre ich nichts hob er mich hoch und schlug die Decke auf. Mit mir gemeinsam legte er sich hin und bedeckte uns. Ich konnte nicht davon ablassen, seinen Hals zu liebkosen und meine Hand über seinen festen, muskulösen Bauch laufen zu lassen. >Jenna, schlaf jetzt...<, maulte er. Aber er war nicht ernstzunehmend. Er drehte sich nämlich gleich darauf zu mir und erwiderte meine Küsse. Seine Hand legte sich um meinen Hintern und zog mich enger an sich heran.
Ich sah grinsend zu ihm auf. >Ich dachte, du willst schlafen.<
Er zwickte mich. >Sei ruhig.< Kichernd ließ ich mich erneut auf den Rücken drehen. Brody schob sich an mir hinab und biss mir in die Brust. Ich umschlang seine Schultern und küsste ihn auf die Stirn. >Deine Haut...< Er schüttelte ungläubig den Kopf. >...du riechst so gut und sie ist so weich...< Langsam stieg er weiter hinab.
>Wo gehst du hin? Oh! Was machst du?!< Erschrocken schnappte ich nach seinen Händen, als sie beide begannen meine Slip herunterzuziehen. >Wir haben doch gesagt,...<
>Pscht. Ich weiß, was ich gesagt habe.< Er schlug die Decke wieder über sich und plötzlich war ich untenrum nackt.
Keuchend bäumte ich mich auf und krallte mich mit den Fingern ins Bett fest.

16. Die Zeremonie

Ich wachte unter den Streicheleinheiten Brodys auf. Mein Kopf bettete auf seiner Brust. Seine Hand strich rhythmisch über meinen nackten Rücken und seine Lippen legten sich immer wieder an meine Stirn. Ganz zart und liebevoll.
>Morgen.<, seufzte ich. Seine Brust vibrierte unter seinem Brummen. Das war nicht das erste Mal, dass ein Mann so etwas für mich getan hatte, aber... irgendwie war es doch... komisch. Aber keine Frage, es war fantastisch gewesen. Ich küsste die warme Haut unter mir.
>Guten Morgen.<, erwiderte er, streichelte mein Haar glatt und fuhr mit dem Zeigefinger über mein Kiefer. >Alles klar?< Ich nickte und versteckte mein Gesicht. >Sieh mich an.< Ich stützte mein Kinn auf seine Brust. >Wusste nicht, dass du ein Piercing hast...<, murmelte er. Meine Mundwinkel hoben sich sofort an. >Du wirst doch jetzt nicht auf einmal schüchtern oder?<
>Ein bisschen, vielleicht.<
>Ach, was. Das wollte ich schon machen, als ich dich am See gesehen habe.<
Ungläubig klappte mein Mund auf. Ich schlug ihn. >Du Arsch.<
>Was denn?< Er hob die Schultern. >Denkst du, ich war der einzige?<
>Unmöglich.<, raunte ich und stand auf. Ich war nackt. Nachdem mein Schlüpfer verschwunden war, hatte ich meinen BH einfach auch ausgezogen. Nun spazierte ich im Evas Kostüm zum Badezimmer.
>Um Himmels Willen, hab Erbarmen.<, hörte ich ihn raunen. Lachend drehte ich mich zu ihm um und verschwand im Bad. Brody kam gleich darauf rein. >Na, Lust zu duschen?< Er zog sich schon aus und trug mich unter die Dusche. >Wir haben sowie so keine Zeit. Wir müssen uns bald tätowieren lassen.< Broderick hatte wirklich keinen Grund, um sich für seinen Körper zu schämen. Nicht einmal im Geringsten. >Kommst du jetzt rein oder willst du mich weiter begaffen?<
Ich schnaubte. >Komm mal runter, ja?< Ich stieg zu ihm und sah zu, wie er die Dusche anschaltete. >Mir gefallen nur deine Grübchen...<
>Ich habe keine...< Er verstand. >Ach so... Gefällt dir also?< Er begann mich zu kitzeln und schlang seine Arme um mich herum.

Ich verabschiedete mich für später von Broderick und ging in mein Zimmer, wo ich mich umzog. Schlichte Kleidung. Ich schlüpfte in ein schwarzes, enges langärmliges Shirt und ebenfalls schwarze hochgeschlossene Jeans. In meiner Hand hielt ich hochhackige Schuhe und nahm zu Beth und Penny auf. Sie beide trugen ein schwarzes Kleid und hatten ihre Haare streng nach hinten in einen Zopf gesteckt. Beide sahen sie sehr elegant aus.
>Zieh deine Schuhe an.< Wir mussten auf die Krankenstation. Dort würden wir tätowiert werden. Vor der Tür schlüpfte ich schnell in meine Schuhe und ging dann rein. Brody und Daphne waren schon bereit. Sein Hemd und Jacket lagen neben ihm auf der Liege. Ein Mann in schwarzer Kleidung saß hinter ihm auf einem Stuhl und setzte die Maschine an. Die Innenseite Brodys Oberarm lag nackt vor dem Tätowierer und war schon mit der Skizze bestückt.
Grinsend zwinkerte er mir zu. >Hey, Süße.<, säuselte er. Ich konnte meinen Körper nicht davon abhalten wärmer zu werden und meine Wangen nicht davon rot zu werden.
>Oh mein Gott!<, zischte Penny und starrte mich aus großen Augen an. >Ihr habt gevögelt, ihr wilden Kaninchen!<
>Halt den Mund! Haben wir nicht! Pscht!<
Beth begann laut zu lachen und hielt sich den Bauch. >Echt jetzt? Und wie war es? War er gut?< Sie beide stellten sich direkt vor mich und sofort ging es los mit der Fragerei.
>Erzähl schon. Gestern Nacht oder?<
Ich schüttelte Augen verdrehend den Kopf und lief um sie herum. >Nein, wir haben nicht miteinander geschlafen.< Ich ging zu Kevin, der im Anzug mit jemandem redete. >Aber... er hat unter der Decke gute Arbeit geleistet.< Ihre Münder klappten auf. >Hey, Ken.<
Er nickte. >Morgen. Setz dich auf die Liege. Du bekommst gleich jemanden.< Ich nickte und setzte mich. Penny und Beth standen noch immer verblüfft da und beobachteten mich. >Ihr beide könnt dahin.< Ein muskulöser, großer Mann kam in den Raum. >Seth, du kümmerst dich um Jenna. Tyler und Adriana gehen zu Beth und Penny.< Der Mann stellte sich vor mich und verbeugte sich tief. Verwirrt sah ich ihn an. Keine Regung war auf ihren Gesichtern. Jetzt wo ich genauer hinsah, waren sie alle ziemlich ausdruckslos. Fast unmenschlich ausdruckslos. Er lief um mich herum. >Sag ihm, wohin du es willst.<
>Zwischen meine Schulterblätter.<, murmelte ich und drehte meinen Kopf unsicher. Ken zog einen Vorhang, um mich von den anderen zu trennen. Dankend nickte ich ihm zu und zog mein Oberteil über meinen Kopf. Seth sah mich nicht an. Wie fremdgesteuert nahm er die Maschine in die Hand, tunkte sie in die Farbe und setzte an. Ich spürte den Schmerz kaum.
>Isaac hat mir erzählt, dass du gerne einen anderen Lehrer für dein zusätzliches Training hättest.< Ken ging vor mir in die Hocke und sah mich an. >Ich werde dir jemanden für Montag bereitstellen.<, erklärte er.
Ich nickte. >Danke.<
Ich wurde schon ein paar Mal tätowiert, aber dieses Mal... Es war anders. Ich fühlte die Bedeutung des Tattoos in meiner Haut prickeln. Kämpferin. Kriegerin. Stolz erfasste mich. Kein Gefühl, welches ich gewohnt war. Ich bekam dieses Tattoo, weil ich gekämpft und überlebt hatte.
Die Zeit verstrich rasend schnell und die Wärme in meinen Schultern feuerte meine meine Vorfreude nur an. Ich war jetzt ein Krieger. Ein Beweis dafür, dass ich die Menschen, die mir wichtig waren, und mich schützen konnte.
>Die Farbe, die für das Krieger-Tattoo benutzt wird, ist extra für Bändiger präpariert. Sie unterstützt euren sowie so schön schnellen Heilungsprozess. Es wird in einer Stunde abgeheilt sein.< Ken richtete seine Krawatte und räusperte sich. >Ich hoffe, ihr versteht, welche Ehre euch heute zu Teil kommt. Euch dem Kämpfer. Als Beschützer unsereins.< Er lächelte uns an. >Na ja, hören wir auf mit den Sentimentalitäten. Benehmt euch da draußen.< Damit verschwand er aus dem Raum.
Daphne lief schon frei herum. Ihr linker Oberarm war mit bandagiert mit Klarsichtfolie. Sie hatte es auf die Rückseite machen lassen. Ohne uns weiter zu beachten ging sie. Als nächstes kam Brody. Sein Bein war eingewickelt. Ebenfalls auf die Rückseite. Er zwinkerte mir zu, bevor er ging. Es dauerte nicht lang und wir konnten ebenfalls gehen. Ich bedankte mich bei dem Tätowierer, aber er beachtete mich nicht und räumte alles stillschweigend auf.
>Er hat dir also...< Beth ließ ihre Augenbrauen tanzen.
>Um Gottes Willen, hör auf.< Ich fuhr mir durchs Haar und verdrehte die Augen.
>Das interessiert uns. Irgendwie macht das Broderick nochmal 100x heißer. War es gut?<, fragte Penny als nächstes neugierig und beugte sich vor.
Grinsend strich ich mein Oberteil glatt und schüttelte den Kopf. >Meine Güte. Habt ein wenig Anstand.<, murmelte ich.
Brody kam uns entgegen. >Auch mal fertig?< Er legte seinen Arm um meine Taille. >Kevin hat gesagt, wir sollen schon einmal runter... Was ist?< Verwirrt sah er zwischen den Penny und Beth hin und her. Sie beide sahen ihn mit offenstehendem Mund an. >Weißt du, was mit denen los ist?<
>Keine Ahnung. Wir sollen also schon runter? Wir kommen gleich nach, ja?< Er nickte und ging vor.
Sobald er außer Hörweite war, drehte ich mich zu den Mädchen um.
>Ich schwöre es dir, er ist auf einmal noch viel, viel heißer geworden.<, >Sein Kopf war zwischen deinen Beinen.<, hauchten sie beide gleichzeitig.
>Ihr müsst euch jetzt zusammenreißen, ok? So eine große Sache ist das jetzt auch wieder nicht.<, beschwichtigte ich. >Hat euch noch nie jemand...?<
>Natürlich, aber doch nicht Brody! Der süße, nette Brody doch nicht.<, rief Penny aus.
Beth lachte auf. >Ganz sicher nicht mehr süß und nett. Heiß und verdammt nochmal schamlos.<, säuselte sie mit verführerischen Augen und sah hinter mir nach ihm.
>Hey! Er gehört mir, klar? Jetzt...< Ich stieß Beth an, als sie noch immer nach ihm suchte. >... lasst uns einfach runtergehen und dieses Ding durchziehen. Ich bin verdammt müde.<, sagte ich und drehte mich um.
>Kann ich mir vorstellen.<, hörte ich eine von den beiden flüstern und die andere kichern. >Ich hab so lange niemanden mehr gehabt.< Es war Penny.
Beth hakte mich bei sich ein und wir spazierten in einer Reihe durch die Flure. >Wenn dein Bruder das hören würde...< Ich lachte. >Kyle würde tot umfallen.<
Penny seufzte. >Ach, er ist so ein Spießer. Er muss einfach akzeptieren, dass ich es mir gerne richtig besorgen lassen.<
>Oh Mann, echt.<, murmelte ich und begann wieder zu lachen.
Langsam wurde ich nervös. Den Summe Legata des Feuers hatte ich noch nie gesehen. Er war neben der Königsfamilie der höchste Grad. Und er ernannte mich für würdig des Titels „Krieger“.
>Raus.< Eine Tür ging auf, gerade als wir kamen. >Hintereinander nach vorne und keine Regung im Gesicht.<, wies uns eine Lehrerin an. Wir traten eine Reihe von Treppen nach oben und standen auf einmal auf der Bühne. Zwei Männer und zwei Frauen standen vorne. Sie alle waren in Schwarz gekleidet. Genauso wie wir. Eine von den vier Personen war Austin Brighton. Er nickte mir kurz zu, bevor er
>Wir nehmen uns nun die Zeit, um die Krieger zu ehren, die sich unter unsereins erhoben haben.< Ken stand am Podium und sprach zu den Leuten. Die gesamte Schüler- und Lehrerschaft war versammelt. Aber da waren auch fremde Gesichter. Menschen deren Augenmerk offensichtlich auf mich gerichtet war. Prüfend, staunend, forschend.
Die waren nicht wegen der Zeremonie hier.
Ich hielt mich strikt davon ab, dass Gesicht zu verziehen und stellte mich zu der Frau, die mich willkommen anlächelte. Sie war eine wunderschöne Inderin. Dunkles, glattes Haar reichte ihr bis zu den Hüften. Ihre grauen Augen waren ein unglaublicher Kontrast zu ihrer braunen Haut. In ihrer geraden Nase steckte ein Ring, der durch eine goldene, dünne Kette mit ihrem Ohrring verbunden war. Der rote Punkt zwischen ihren Brauen rundete das ganze Bild ab.
>Komm zu mir.<, flüsterte sie und streckte ihre Hand zu mir aus. Henna Tattoos bedeckten ihre Finger mit den langen Nägeln und den Ringen. Ich legte meine Hand in ihre und ließ mich heran ziehen. Mein Blick wanderte zu den anderen herüber. Brodys Stirn lehnte gegen die von Austin. Die Augen beider waren geschlossen. Die eine Hand lag auf seiner Brust und die andere in seinem Nacken. Ich konnte sehen, wie sie beide schwer atmeten. Meine Handinnenflächen wurden heiß. >Sieh mich an, Jenna.< Ich gehorchte. Ihre Macht strömte durch mich durch. Sie war stark. Etwas stärker als Isaac. Ihre Stimme wurde fast übertönt vom Knistern eines Lagerfeuers, welches ich im Hintergrund hörte. >Du bist...< Fassungslos schüttelte sie den Kopf. >... so stark, Kriegerin.< Das sie mich so ansprach ließ mich innerlich zur Ruhe kommen. Sie umfing die rechte Seite meines Gesichts. Die Wärme strömte aus ihren Fingern in meine Wange. Ich erschauderte. >Es dauert nur einen Moment. Schließ deine Augen.< Wir nahmen eine ähnliche Haltung an, wie Austin und Brody.
Ich sog scharf Luft ein. Ein Sturm begann in mir zu wühlen. Ein inneres Zittern begann. Sie grub ihre Finger tiefer in meinen Hinterkopf.
Bilder blitzten auf. Dunkelheit. Eine winzige und sehr schwache Lichtquelle. Rot-Braune Augen direkt vor mir.
Meine Lider begannen zu flattern.
Es wurde wieder dunkel. Feuerrote Locken.
Ich wusste, wo das hinführte. Und gerade jetzt konnte ich das nicht gebrauchen. Ich versuchte mich von ihr zu lösen.
Rote Lippen. Sommersprossen.
>Meine kriegerische Tochter.<
>Ich ernenne dich hiermit zur Kriegerin unsereins.< Die tiefe, weibliche Stimme der Frau, die mich nun halb in ihren Armen hielt, zitterte. Sie war schwach. Große Augen sahen mich an.
Ich zitterte ebenfalls. Meine Beine waren weich wie Butter, dennoch verbeugte ich mich tief vor ihr. Entsetzt starrte sie mir ins Gesicht. Wir sahen uns Sekundenlang schweigend an. >Ich danke dir.<
Sie verneinte. >Ich danke dir, Jenna.<, flüsterte sie leise zurück.
Wortlos wandte ich mich ab und folgte den anderen wieder runter. Auf dem Weg sah ich noch einmal zu ihr zurück. Sie wandte ihren Blick nicht von mir ab. Ihre roten Lippen bewegten sich, aber ich hörte nichts.
>Was hat sie gesagt?<, fragte Beth leise.
Ich zuckte mit den Schultern. >Ich... Nichts. Es war nur seltsam.<
>Gut. Ich fand es auch seltsam.<
Brody umfing meine Hüfte und hob mich hoch. >Jenna, die Kriegerin.< Ich schlang meine Beine um ihn und lachte leise. >Wundervoll. Du sahst vorher ein bisschen ängstlich aus.< Er trug mich, als wäre es anders nicht richtig.
Unbekümmert zuckte ich mit den Schultern und umarmte ihn um seinen Nacken herum. >Ist ein besonderer Abend.< Er nickte und blieb stehen. Langsam ließ er mich herunter und küsste mich. Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und verlängerte unseren Kuss. Zärtlich drückte er mich an meinem unteren Rücken enger an sich heran.
>Oh Gott, diese Paare...< Die Schritte der zwei Mädchen verklangen, bis wir alleine im Flur waren.
Wir sahen einander lächelnd an. Ich strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Seine Augen sahen an mir vorbei. Überrascht hoben sich seine Brauen an. Ich drehte mich um und erschrak. Isaac kam uns entgegen. Er sah mich an. >Ich muss zu Kevin. Ist er drüben?< Sprachlos nickte ich. >Danke. Geht in die Cafeteria.<, sagte er nur und ging an uns vorbei.
>Ich würde sagen, dass war ein Befehl. Lass uns gehen.< Ich folgte Brody durch die Flure. Dabei drehte ich mich mehrere Male um, doch Isaac war verschwunden.
Der Geräuschpegel stieg mit jedem Schritt an, dem wir dem Saal näher kamen.
Der Saal war komplett voll. Wir fanden unsere Freunde sofort. Paul kam augenblicklich zu uns gestürzt und schlüpfte mit seinen Händen unter Brodys Oberteil. >Wo ist es? Zeigt schon.< Er zeigte es ihm. Auffordernd sah er mich an.
>Ich müsste mich ausziehen.<
>Würde mir nichts ausmachen.< Er zwinkerte mir zu, nahm uns aber gleich drauf beide in den Arm. >Gratulation, Leute.<
>Hey! Mir hast du nicht gratuliert!<, rief Penny aus.
Paul legte seinen Arm um ihre Schulter, Kyle schubste ihn sofort weg. >Deswegen habe ich dir nicht gratuliert.<
>Besser so.<, warnte er ihn und trank aus dem Glas in seiner Hand.
Wir wurden von etlichen Schülern, Lehrern und Mitgliedern des Königshauses beglückwünscht. Viele Hände wurden geschüttelt und viele freundliche Worte ausgetauscht.
Ich konnte das Tattoo zwischen meinen Schulterblättern kitzeln spüren. Es heilte fühlbar.
Die Tatsache, dass mich die Gäste beobachteten, bestätigte sich über die Zeit hinweg. Immer wieder, wenn ich aufsah, waren da immer Leute, die mich beobachteten. Sie ließen mich nicht aus den Augen. Beth bemerkte es auch und verzog deshalb verwirrt das Gesicht. Ich nickte eingeschüchtert.
Irgendwann sah ich, wie Isaac aus dem Saal ging und folgte ihm raus. >Isaac.< Er drehte sich zu mir herum. Sobald er mich erkannte, konnte ich sehen, wie sich in ihm der Fluchtinstinkt aktivierte. Er rannte aber nicht weg, sondern blieb stehen. Ich erreichte ihn mit flatterndem Herzen und räusperte mich. >Ehm... ich... kommt es mir nur so vor oder beobachten mich die Leute da drin?<, fragte ich ihn und versuchte zwanghaft seinem Blick auszuweichen, was er nicht im geringsten versuchte.
Er starrte mich gerade zu an. >Wie kommst du darauf?< Er leerte sein Glas und sog leise scharf Luft ein. Es war wohl stärkerer Alkohol.
>Weil... die Leute mich beobachten.<, antwortete ich schlicht.
Seufzend sah er zum Ende des Flures und dann wieder zu mir. Jetzt erwiderte ich seinen Blick. >Du bist ein Mensch, der Feuer bändigen kann. Und du redest plötzlich auf eine Jahrtausend alte Sprache, die du nicht sprechen solltest. Du hast einem Hexer den Kopf abgehackt und kannst dich nicht daran erinnern... Auch...<
>Ok, ok... Schon verstanden. Also... läuft das normalerweise nicht so...<
Er schüttelte den Kopf. >Nein, diese Zeremonie wird sonst in kleineren Gruppen abgehalten.<, erklärte er mit leiser werdender Stimme.
>Aber...? Was soll das denn? Bin ich jetzt ein Ausstellungsstück?<
>Natürlich nicht, aber du bist etwas skurriles und wir müssen herausfinden, was da...<
>Das ist doch Schwachsinn. Warum werde ich nicht wenigstens informiert? Die sehen mich an, als... wäre ich...< Er musterte mich von oben bis unten, während ich sprach. Wir verfielen in Schweigen. >Willst du mir nicht gratulieren?< Die Stille lag schwer auf meinen Schultern. Ich wusste nicht, wo ich meine Hände hin tun sollte.
>Ich habe dir schon gesagt, nicht du wirst geehrt sondern der Krieger, der du geworden bist.< Er stellte sein Glas auf dem Beistelltisch ab. >Du hast es auf dem Rücken oder?< Ich nickte. >Dreh dich um. Es sollte bis jetzt abgeheilt sein.< Unsicher tat ich, was er sagte. Er zog mir die Folie hinunter und zog den Saum des Oberteils so runter, dass er es sehen konnte. Wir schwiegen wieder. >Du verdienst es.<, flüsterte er.
Überrascht drehte ich meinen Kopf zu ihm herum. >Jetzt gratulierst du mir also doch?<
Er verneinte. Ich wandte mich wieder zu ihm um. >Nein, ich bedanke mich.< Fragend verzog dich das Gesicht. >Du hast dein Leben dafür riskiert, mir zu helfen. Das ist... Ich danke dir dafür.<, sagte er mit gewichtiger Stimme. >Und dafür... verdienst du es, Kriegerin genannt zu werden.<
Ich schluckte schwer. >Das kam unerwartet.<, flüsterte ich atemlos.
>Aber nicht unverdient. Mach einfach nur so weiter, dann... dann wird es dir ein leichtes sein, eine der besten zu werden. Unabhängig des Geschlechts. Du bist zu weitaus mehr fähig, als dir klar ist.< Ich konnte nur gaffen. Nach seiner Stimmung in den letzten Tage, hatte ich alles erwartet, aber keinen Lob. >Nun...< Er räusperte sich und richtete sich seine Kleidung. >Kevin hat dir Louis als neuen Trainer bereitgestellt. Er ist nicht so gut wie ich, aber relativ nah dran.< Ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen.
Ich schmunzelte etwas. >Dann habe ich hohe Erwartungen an ihn.<
>Wenn du kein Problem damit hast, würde ich gerne hin und wieder vorbeischauen. Nur um zu sehen, wie du dich machst...<
>Jenna.< Brody kam zu uns. >Oh, hi, Isaac. Verrückt oder?< Er legte seinen Arm um meine Hüfte.
Isaac nahm sein Glas wieder an sich. >Nein, du hast da draußen gute Arbeit geleistet. So ist das schon richtig.<
>Danke.<
>Schönen Abend noch euch beiden.< Ich sah ihm nach, als er an uns vorbeiging. Da hatte sich der Fluchtinstinkt letztendlich doch noch aktiviert.
>In Ordnung. Wir wäre es mit Mondlicht?<
Ich legte meine Hand in seine und ließ mich hinausführen. >Du willst dich wegschleichen? Von der Feier, die für uns geschmissen wird?<, fragte ich lachend.
>Ja, klar. So cool sind wir.< Wir traten raus auf die Wiese. Alles war Schwarz-Weiß und wirkte so ganz anders, als tagsüber. >Wir sind Krieger. Nicht zu fassen, was?< Wir schlenderten über das weiche Gras und legten uns irgendwo unter einen Baum nebeneinander auf den Boden. >Noch vor ein paar Monaten kamst du hier an, warst einfach nur ein scharfes Teil, das jedem den Kopf verdreht hat, und jetzt bist du eine wunderschöne Kriegerin, die verdammten Hexern den Arsch aufreißt.<, begann er zu schwafeln.
>Hast du was getrunken?< Ich roch tatsächlich einen leichten Hauch von Alkohol und... >Oh, du Arsch! Du hast auch was geraucht? Wo denn?<
Er begann zu lachen. >Auf der Toilette. Grad nachdem du gegangen bist. Ich hab nur ein paar Züge genommen. Nicht viel.<, schwor er.
Ich ließ seine Hand los und verschränkte die Arme vor der Brust. >Du bist so ein Idiot. Wie kannst du an einem Tag wie diesen Drogen nehmen?<, fragte ich fassungslos.
>Ach, komm, Jenna. Weißt du, wie lange wir nicht mehr unterwegs waren?<, klagte er.
>Und das ist schlecht weil...?<
Er legte seinen Kopf in meinen Schoss und gähnte. >Weißt du, was du machen willst, wenn wir den Abschluss hier haben?<
Gedankenverloren strich ich ihm durch sein Haar. >Weiß nicht, weißt du es schon?<
>Erst habe ich mir überlegt, an den Hof zu gehen, aber... ich glaube, ich gehe studieren. Weißt du, ich habe mir sogar vorgestellt, als Lehrer zu arbeiten. An einer unserer Schulen.< Überrascht sah ich zu ihm runter. >Ich mag unser ganzes Konzept. Dieses enge Verhältnis zu den Lehrern. Wir sind tatsächlich eine Familie. Das ist so wichtig, weil wir es doch alle nicht so einfach hatten. Und viele haben ja keine Familie mehr. Ich fühle mich hier so wohl. So richtig. Und ich meine, ich habe niemanden verletzt. Ich war einfach nur depressiv, habe mich wie ein Aussätziger gefühlt. Alle anderen hier haben Leichen auf ihrem Konto. Blutbäder, Brände, Erdbeben, Ertränkungen... Alles mögliche. Da muss einfach eine gewisse Verbindung zwischen den Schülern, die in diese vollkommen neue Welt gebracht werden, und den Lehrern, die uns diese neue Welt vorstellen, entstehen. Da muss man ja irgendwo Vertrauen zueinander aufbauen.< Ich nickte zustimmend. >Weißt du, ich bin froh Bändiger zu sein. Nicht nur, weil es super cool ist, sondern weil ich dadurch diese ganzen Menschen kennengelernt habe. Diese vollkommen neue Art der Verbundenheit.< Er setzte sich wieder auf und streichelte meine Wange. >Dich habe ich hier kennengelernt.<, murmelte er mit einem frechen Schmunzeln.
Ich umfing sein Kinn und zog ihn an meine Lippen. >Wenn du betrunken und high bist, sagst du sehr intelligente Dinge.< Ein leichter Alkohol-Geschmack legte sich auf meine Zunge, aber es war noch aushaltbar.
Er lachte und folgte küssend meinem Kiefer bis zu meinem Ohr. >Ich bin wirklich froh, dich kennengelernt zu haben.<, flüsterte er mir ins Ohr und biss leicht in mein Ohrläppchen. Erschrocken sog ich scharf Luft ein. Ein heißer Blitz fuhr durch meinen Körper. >Mhm... du schmeckst richtig gut.< Ich atmete durch und fuhr mit meinen Fingern durch sein Haar. >Weißt du, Jenna, ich denke, du bist dir darüber im Klaren, dass du hübsch bist. Aber du verstehst, glaube ich nicht, wie unglaublich makellos wunderschön du tatsächlich bist und welch einen Effekt du damit auf uns alle hast.< Mit seinem Gesicht direkt vor meinem, dass seine Nasenspitze meine beinahe berührte, flüsterte er diese Worte. Und sie hatten in diesem Fall so weitaus mehr Gewicht. Mir wurde schon oft gesagt, dass ich gut aussah, dass ich Leuten gefiel und so weiter und sofort. Nach einer gewissen Zeit und Anzahl interessierten mich diese Dinge immer weniger. Doch das hier... Die Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit in seinen Augen war rührend. Er meinte das tot ernst. Er fand mich wunderschön. Nicht heiß, scharf oder sonst was, sondern makellos wunderschön.
Ich küsste ihn wieder. Seine warme Hand strich von meinem Knie runter zu meiner Hüfte und zog mich auf seinen Schoss. Er schob mein Haar beiseite und gleichzeitig seine Hände unter mein Oberteil. Er hatte doch nicht vor...? Hier draußen...?
Räuspernd hielt ich ihn etwas an seiner Schulter zurück. >Broderick...<
Er seufzte und lehnte seine Stirn in meine Halsbeuge. >Tut mir leid. Tut mir leid, kleines Baby.< Ich lachte leise und er klang ein. >Mhm... kennst du das Lied?< Er begann zu summen. „Hänschen-Klein ging allein...“ Ich schnaubte und begann mit ihm zu summen. Laut lachend legte er seinen Kopf in den Nacken und sang. >“Hänschen-Klein ging allein in den dunklen Wald...“< Seine Hände legten sich wieder an jede Seite meines Gesichts. >Ich habe das Gefühl, ich kipp gleich um.<
>Du sitzt.<
>Dann falle ich eben um.<
>Ich glaube, es wird Zeit ins Bett zu gehen.<, schlug ich vor und stand auf.
>Whoooo! Du willst mich also ins Bett bringen?<, fragte er grinsend und ließ sich von mir auf die Beine ziehen.
>Ja, Brody. Ich bring dich ins Bett.< Er schwankte etwas, weshalb ich meinen Arm um ihn legte und auf dem Weg stützte.
Es war ruhig im Schulgebäude. Die Feier war wohl beendet worden. Wir kamen am Jungenflügel an und ich brachte ihn weiter zu seiner Zimmertür. >Jenna, was tust du hier?< Ich drehte mich herum. Eine Wächterin. Es war Kiley. >Du weißt, dass Mädchen nicht in den Jungenflügel dürfen.<
Ich nickte. >Ja, ihm geht es nur nicht so gut. Ich wollte ihn nur zu seinem Zimmer bringen.<, erklärte ich. >Reiß dich zusammen, Mann.<, zischte ich Brody zu. Er brummte irgendwas.
>Broderick? Geht es dir gut?<, fragte sie und nahm ihn mir ab. >Schon gut Jenna. Du kannst in dein Zimmer gehen. Gute Nacht und herzlichen Glückwunsch zu dem Krieger-Tattoo.<, sagte sie und zwinkerte mir zu.
>Danke. Gute Nacht.<
Eigentlich hätte ich heute Nacht wieder gerne bei Brody übernachtet, aber wahrscheinlich war es besser so.
Ich lag in meinem Bett und sah schweigend gen Decke. Meine Schulterblätter fühlten sich noch immer seltsam an von dem Tattoo. Mein ganzer Körper schien nicht mehr der selbe zu sein. Auf einmal fühlte ich mich stärker, kräftiger und dafür bereit mich zu verteidigen. Ich war eine Kriegerin.
Rasch ging ich nochmal ins Badezimmer und stellte mich mit dem Rücken zum Spiegel. Ich drehte meinen Kopf so weit es ging und betrachtete das Tattoo, nur um sicherzugehen, dass es tatsächlich da war. Die schwarze Tinte stand in einem harten Kontrast zu meiner hellen Haut. Diese gab jedoch überhaupt kein Zeichen dafür, dass sie noch am selben Tag -zigmal von einer winzigen Nadel durchstochen wurde.
Durchatmend band ich mein Haar zurück und setzte mich wieder ans Bett. Es war so ruhig. So alleine mit meinen Gedanken. Mein Kopf war leer und gleichzeitig so voll. Der heutige Tag war einfach zu so bedeutungsvoll gewesen. Der Beginn eines neuen Abschnitts.
Ich atmete durch, kroch unter die Decke und legte mich auf die Seite. Am liebsten hätte ich Brodys Arme um mich herum liegen gehabt.
Mit seinen Worten in meinem Ohr versank ich im Schlaf und träumte das erste Mal seit unendlichen Jahren nicht von meinen Eltern.

Sobald ich aufwachte, riss ich meine Augen auf. Ich setzte mich auf, stieg sofort aus dem Bett und sah mich im Zimmer um. Sie waren weg. Wo waren sie hin?
Meine Brust hob sich rasend schnell. Mein Körper war zwar vollkommen ausgeruht und ich hatte auch nicht die Kopfschmerzen, die mich morgens sonst plagten, aber meine Eltern fehlten.
Fast hatte ich das Gefühl, ich hätte sie verloren oder verstoßen.
Ich ging an meinen Nachttisch und suchte nach dem Foto, doch es war nicht da. >Scheiße! Scheiße! Scheiße!<, knurrte ich und durchstörberte als nächstes meine Tasche. Wütend schmiss ich sie davon und raufte mein Haar. >Fuck!< Ich schnappte nach Luft, ging an meinen Schreibtisch, guckte im Bad unter dem Bett unter dem Kissen. Es war nicht da. Hastig nahm ich mir als nächstes das Buch aus der Bibliothek. Ich blätterte es genau durch und fand es dann endlich (endlich!) auf Seite 257. >Gott verdammte scheiße! Oh Gott!< Ich presste es an meine Brust und musste meine Tränen zurückhalten. Die letzte Erinnerung an meine Eltern. Die einzige und letzte. Sonst gab es einfach nichts. Was würde ich nur ohne es tun? >Gott sei Dank.<, flüsterte ich und sah es an. Vorsichtig strich ich die Falten glatt und küsste es. >Mummy...< Ich rollte mich auf dem Bett ein. >Daddy...< Mein rasendes Herz musste sich noch beruhigen. >Oh Mann.< Mit geschlossenen Augen atmete ich durch. Das Buch kam in meinen Blickwinkel. Ich nahm es in die Hand und betrachtete die Seite. Ich hatte nicht weitergelesen. Aus Angst, was ich noch weiter heraus finden würde.
Ich setzte mich in den Schneidersitz.
Sie war also ein Mensch, der bändigen konnte. Mutter Ignis hielt ihre „Tochter“ zu Beginn geheim, doch es kam heraus. Anstatt sie jedoch dafür zu ächten, taten die Götter es ihr nach. Ein Mensch wurde jeweils auserwählt und bekam im gleichen Prozedere vom Feuer das Element überreicht. Es gab also vier Menschen auf der ganzen Welt, die das Element beherrschten.
Sie sollten die Spezies des Bändigers schützen und bewachen. Sie waren das Bindeglied zwischen ihnen und den Menschen. Das Bindeglied zwischen ihnen und den Göttern.
Und damit war es vorbei. Die Götter verließen ihre Kinder, mit dem Hintergedanken, dass gerade diese Vier an ihrer Stelle für Schutz und Sicherheit sorgen würden.
Es verlief in friedlicher Ruhe, aber nicht lange. Wie Brody mir schon erzählt hatte, versuchten die Menschen uns mit der Zeit auszubeuten. Gleichzeitig waren die bändigenden Menschen Aussätzige. Als nicht ebenbürtig erachtet von den Bändigern. Also verkrochen sich beide ziemlich zeitgleich. Bändiger jeglicher Art wurden zu Mythen, Legenden und Märchen. Es hatte uns nie gegeben.
Wir waren in Vergessenheit geraten.

17. Bewusstsein

Vorab möchte ich sagen, dass ich keine der ihr genutzten Sprachen selber sprechen kann. Verzeiht mir also die Fehler. Ich konnte leider nur mit Google Translator arbeiten. Falls jemand mir aber helfen kann, wäre ich sehr dankbar, wenn er/sie sich melden würde. Viel Spaß! :)

 

 

>Das war's?<, fragte ich in die Stille.
Wo waren diese bändigenden Menschen hin? Gab es keine Aufschriebe über sie?
Ich blätterte suchend durch die Seiten. >Das war es? Wirklich?<, fragte ich erneut und stand seufzend auf. Ich war schon ziemlich spät dran für den Unterricht. Schnell schlüpfte ich also in Kleidung, packte meine Schulsachen rein und rannte runter zu meinem Klassenzimmer.
Der Unterricht hatte, wie erwartet, schon angefangen. Geduckt schlich ich mich an meinen Platz neben Beth. Sie reichte mir das Arbeitsblatt, das schon ausgeteilt worden war. >Sieh dir Brody an.< Ich sah zu ihm rüber. Sein Kopf lag in seinen Armen. Er wirkte leblos.
Lachend blickte ich sie und die anderen an. Sie sahen alle ziemlich fertig aus. >Muss guter Stoff gewesen sein, was?<
>Verdammt guter. Der Alkohol ist es, der mich fertig macht.<, brummte sich und massierte sich die Schläfen. >Vielleicht lebe ich jetzt auch abstinent wie du.<
>Jedenfalls habe ich keinen Kater.<, prahlte ich. Sie zwickte mich in die Schulter.
>Also Jungs und Mädchen und Jenna, danke, dass du es auch hierher geschafft hast,...< Ich entschuldigte mich kleinlaut. >... wir reden heute von sehr wichtigen Personen in unserer Geschichte. Eine Reihe von Bändigern, dir jedes Maß an Kraft übertreffen.< Bilder wurden auf dem Projektor aufgerufen. Erst Bilder von Masken, dann grobe Zeichnungen, Statuen, und dann wurden es langsam echte Bilder. Portraits.
Mein Kopf fuhr zurück.
Das Gesicht eines molligen Mannes spiegelte sich auf der Wasseroberfläche eines Flusses. Seine vollen Wangen waren bedeckt von einem Drei-Tage-Bart. Er trug einen typischen Cowboy-Hut. Ein blaues Hemd. Ich rieb mir mit der Faust in meinem Auge.
Der Mann tat das Gleiche.
Ich fluchte.
Seine Lippen bewegten sich passend zu meinen Worten.
Er richtete sich auf. Rechts von mir rupfte ein Pferd Gras von einem Strauch. Er war gesattelt. Ein Lagerfeuer brannte. Darin stand eine silberne Dose. Eine wurstfingrige Hand nahm die brodelnde Dose einfach so aus dem Feuer. Ich konnte die Hitze spüren. Sie schmerzte wie erwartet nicht. Die Dose legte sich an meine Lippen und mit einem Schnipsen ging das Feuer aus und ich war wieder zurück in meinem Körper.
Nächstes Bild.
Ich krallte meine Finger in den Tisch, als ich wieder verschluckt wurde.
Ich rannte. Mein langes hellgraues Kleid war schwer. Keuchend und hechelnd sah ich mich über jede Schulter um. Pistolenschüsse zerrissen die staubige Luft. Ich schrie laut auf und duckte mich. Meine Finger zogen die Knöpfe an meinem Hals auf, schlüpften in den Ausschnitt und zogen ein silbernes Kreuz hervor. Tränen liefen mir über die Wange, während ich es an meine Lippen hielt und küsste. >Père dans les cieux, ton nom soit sanctifié. Que ton règne vienne. Ta volonté soit faite .... (Vater im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe...)< Meine Lippen zitterten. Das Gebet sprach sich ohne darüber nachzudenken, doch ich spürte, wie ich mich dadurch stärker fühlte. Gott war an meiner Seite. Er würde mich beschützen.
>Verdammter Nigger!<, brüllten sie hinter mir. Es wurde wieder geschossen.
>Pardonnez-moi, Père. (Verzeih mir, Vater.)<, flüsterte ich und blieb plötzlich stehen. Mein Herz schlug mir bis zur Kehle. Ich drehte mich langsam herum. 7 Männer in Hemd und Hose rannten auf mich zu. In ihren Händen hielt jeder eine Waffe. Ich atmete noch einmal durch und holte meine Hände. Dunkelbraune, dürre Hände mit gelben Fingernägeln. Wieder schrie ich und gleichzeitig luden sich aus jeder Hand jeweils eine Feuer-Fontäne aus. Sie trafen die Männer. Sie gingen in die Knie und brüllten. Die Tränen versperrten mir die Sicht. Sobald ich mir sicher war, dass sie mir nicht folgen würden, rannte ich wieder los.
Mir wurde Schwarz vor Augen. Das Licht des Projektor zog mich wieder zurück ins Bewusstsein.
Es klickte.
Mir wurde auf den Kopf geschlagen und meine Augen öffneten sich.
>立ち上がれ!すぐに!...ダーティ肥料誕生! (Steh auf! Sofort!... Dreckige Mistgeburt!)< Ich war müde. Meine Augäpfel waren wir glühende Kohlestücke. Schwerfällig setzte ich mich auf und rollte die Matte zusammen, auf der ich bis gerade noch gelegen hatte.
Im Badezimmer putzte ich mir die Zähne. Der Spiegel zeigte mir das Gesicht eines kleinen Jungen, mit schwarzen Haaren bis zum Kinn.
Ich schlüpfte in eine Schuluniform und ging in die Küche. Maximal 2 m². Vater saß vor dem Fernseher und schaltete durch die Kanäle. Mutter stellte mir meinen Bento auf die Theke. >私たちを失望させないでください。 (Enttäusche uns nicht.)<, sagte sie mit den Augen auf dem Geschirr in ihren Händen. 
Ich nickte und verbeugte mich kurz vor beiden. Die eiserne Treppe schepperte unter meinen Schritten. Ich versteckte mich in einer Gasse, setzte meine Tasche ab und lehnte meinen Kopf gegen die Wand. Und wie jeden Morgen, wenn ich mich an die Wand stellte, brodelte hier die Wut auf. Ich schloss meine Augen. >私はあなたを殺す. (Ich bring dich um.)<, flüsterte ich und haute mit der Faust gegen die Wand.
Er war so viel größer und stärker. Ich konnte nichts gegen ihn machen. Ich war so schwach neben ihm. Klein, winzig, nichtssagend.
Ich fuhr mir durchs Haar und stampfte auf. >なぜあなたはこれをやっている? (Warum tust du das?)< Selbst meine Stimme war ausdruckslos und so vollkommen ohne Wert. Ich trat ein paar Schritte zurück. Und dann ging ich etwas in die Knie. >あなたが嫌いな人をクソ! (Du scheiß Arschloch!)<, schrie ich und machte wilde Bewegung. Erst war da einfach nur das Geräuch von Luft, die herum gewedelt wurde und dann entstanden auf einmal schwarze Rußspuren an der Wand. Feuer brutzelte. Schwaden tanzten um mich herum und rauschten auf die weiße Wand zu.
Ich war wieder im Klassenzimmer. Mir war schwindlig. Nein, mir war übel.
Hastig stand ich auf. >Kann ich... kann ich bitte auf die Toilette?<, fragte ich und presste meine Lippen fest zusammen.
>Ja, klar. Beth, bitte geh mit Jenna.<
Verwirrt sah ich zu ihr. Sie stand ohne etwas zu sagen auf. Ich hätte mich beschwert, aber ich hatte das Gefühl, dass es gleich losgehen würde.
>Geht es dir gut?<
>Mir ist nur...< Würgend kam ich auf die Mädchentoilette und stürzte in eine Kabine, um mich sofort zu übergeben.
Beth stellte sich hinter mich, streichelte meinen Rücken und hielt mein Haar an meinem Rücken zusammen. >Oh, Mann. Süße, hast du was Schlechtes gegessen vielleicht?< Ich konnte nicht antworten, also schüttelte ich nur den Kopf. >Ok. Ich hol dir was zu trinken.< Die Tür schloss sich hinter ihr und ich blieb alleine zurück.
Es erfasste mich wieder.
Ich wurde in den Dreck geworfen. Der Geruch von Mist stieg in meine Nase. >Mieser Säufer! Hau ab!< Ein zu Boden ringend schwerer englischer Akzent.
Ungeschickt kam ich auf die Beine. Alles war verschwommen. Singend torkelte ich durch die Gassen und hob die Arme. >Warum sind denn alle so ernst heute? Und das bei einer so schönen Nacht?<
Überall war da gammelndes Obst, Gemüse und Fleisch.
>Hey, junges Fräulein!< Ich schnappte nach der Hand einer Frau. Sie trug einen Korb voll frischen Brots in ihren Arm. Ihr bodenlanges Kleid war dunkelbraun. Eine schmale, wunderschöne Taille. Voller Busen. Ihr rotes Haar war hochgesteckt und wurde von einem farblich passenden Band zusammen gehalten. Sie war sehr hell und hatte Sommersprossen. >Na, wie geht’s?< Genervt verdrehte sie die Augen und schüttelte mich ab. >Ach, was für Langweiler!<, rief ich und tanzte weiter.
Ich kam in eine dunkle Ecke. Eine Reihe von Männern kam auf mich zu. Drei an der Zahl. Diebe. Sie lachten. >Schönen guten Abend auch, mein Herr.<, sagten sie und umkreisten mich.
Ich lupfte meinen Hut und nickte ihnen zu. >Ihnen auch. Es ist wahrlich ein schöner Abend.< Sie kamen näher heran. Bewaffnet mit Schlägern und Messern. >Was kann ich für euch tun?<
>Dein Geld.<
>Es tut mir leid. Dieses benötige ich selbst.<
>Gib uns dein Geld!<, zischte einer von ihnen ungeduldig.
Und da begannen sich mich anzugreifen. Mir war schwindlig, aber ich war nicht unfähig des Kämpfens. Sie schlugen auf mich ein. Mit ihren Stöcken. Ich duckte mich, holte aus, doch es nutzte nichts. Irgendwann hatten sie mich in der Fall. Jeweils einer hielt meinen Arm fest. Der Dritte schlug mir ins Gesicht und in den Bauch. Es schmerzte. Ich konnte es aber aushalten. Ich lachte sogar. >Kranker Sack!<, riefen sie.
>Kommt schon. Noch ein bisschen mehr.<, stichelte ich sie an. Ihre Schläge wurden stärker. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Mit dem Ausatmen spie ich aber plötzlich Feuer aus und traf den Mann vor mir direkt im Gesicht.
Ich riss meinen rechten Arm hoch und beförderte den daranhängenden Dieb zu Boden. >Ihr wollt also mein Geld? Widerwertiges Volk!< Ich umfasste seine Kehle. Rauchschwaden stiegen auf. Er schrie aus vollem Halse, während ich weiter sein Fleisch versengte.
>Oh G-...< Ich beugte mich wieder über die Toilette und kotzte wieder. Mein Magen schien in meinem Bauch Achterbahn zu fahren.
>Lass dir Zeit.< Beth war wieder da und hielt mir meine Haare. Eine Flasche stand neben der Toilette auf dem Boden. Ich hatte das Gefühl, all meine Innereien auszuwürgen. Irgendwann röchelte ich dann nur noch. >Fertig?<, fragte sie. Ich nickte erschöpft. >Gut, dann komm.< Sie spülte und stützte mich zum Waschbecken. >Wasch dir den Mund aus.< Ich schaltete den Wasserhahn an und gurgelte Wasser. Meine Augen fielen mir immer wieder zu. Als wäre ich stundenlang rennen gewesen. Meine Beine waren so schwach und wacklig. Diese ganzen Schübe.
Was zum Teufel war das überhaupt gewesen?
>Hier, trink was.< Ich nahm Beth die Flasche ab und stürzte sie herunter. >Was war denn?< Vorsichtig strich sie mir das Haar aus dem Gesicht.
Ich sah sie unsicher an. Wenn ich ihr schon von meinen Entdeckungen aus dem Buch erzählt hatte, konnte ich ihr auch davon erzählen. >Ich... also... Diese Bilder... Ich bin irgendwie nicht mehr ich selber gewesen.<
Sie runzelte die Stirn. >Was meinst du?<
>Ich weiß es nicht. Auf einmal...< Ich zuckte mit den Schultern. >Ich glaube,... Ich war nicht mehr hier, verstehst du? Irgendwie war ich auf einmal... plötzlich...< Ich schluckte. Nicht zu fassen, was ich sagen würde. >Plötzlich war ich diese Leute. Diese Leute, die wir auf dem Projektor gesehen haben.<
>Ich verstehe nicht...<
Ich raufte mein Haar und lehnte mich gegen die Wand. >Ich verstehe es ja auch nicht. Es waren vollkommen andere Zeiten. Ich war nicht mehr hier. Nicht mehr in dieser Zeit. Diese Sklavin. Die Frau...< Beth nickte. >Ich war sie, Beth. Ich wurde gejagt von... von... ich denke, es waren ihre Besitzer. Sie haben mich gejagt, auf mich geschossen und dann habe ich... ich habe sie angegriffen. Mit Feuer. Ich war sie. Ich schwöre, Beth. Und dieser Mann... aus England? Er war Säufer. Ich wurde ausgeraubt und wieder habe ich angegriffen. Ich... war sie. Alle.<, flüsterte ich und bedeckte mein Gesicht mit meinen Händen. >Was ist nur mit mir; Beth? Ich verstehe diese Scheiße nicht. Warum kann ich nicht wenigstens unter den Mutanten normal sein?<, fragte ich sie verzweifelt und sah sie an.
Sie legte ihren Arm um mich herum. >Schon ok. Wir finden das schon heraus. Mach dir keine Sorgen.< Ich schlang meine Arme um sie herum und ließ mich nur für einen kurzen Moment fallen. >Ist schon gut, Jenna.<, murmelte sie mir ins Haar und strich mir durchs Haar. >Wir schaffen das. Dir wird es bald besser gehen, ja?< Ich nickte und sah sie an. >Also... los geht’s.< Zusammen gingen wir wieder raus und zurück ins Klassenzimmer. Der Unterricht war ohne weitere Störungen fortgeführt worden. Das Licht war an und der Projektor aus.
Ich erwischte mich dabei, wie ich erleichtert durchatmete.
Brody sah sich zu mir um, als ich wieder an meinem Platz war. >Alles in Ordnung?<, formten seine Lippen stumm. Ich nickte lächelnd. Unter seinen Augen schimmerten leichte lilane Ringe. Er war auch etwas fahl im Gesicht. Wir waren heute wohl beide nicht sonderlich in Top Form.
Die Stunden verflogen wie im Flug, aber ich spürte meine Erschöpfung dennoch in jedem Knochen.
>Beim Abwaschen siehst du echt heiß aus...< Brody lehnte neben mir gegen die Theke und sah mir zu. Er war mit seinem Dienst schon fertig. Ich grinste bloß schweigend, während er mich die ganze Zeit provozierte. >Hey, Baby. Ignorierst du mich etwa?< Er lief um mich herum und setzte sich auf die Theke. >Tu mir das nicht an, Süße? Ich kann nicht ohne deine süßen Worte leben.< Ich lachte. Wieder stand er auf und stellte sich dieses Mal hinter mich. Direkt hinter mich. >Ich würde ausnahmslos alles dafür tun, dass ich wieder dein Liebling bin.<
Kopf schüttelnd räumte ich weiter auf. >Brody, hör auf.<
>Mit was denn?< Seine Hand legte sich an meinen Hintern.
Rasch drehte ich mich herum und hob warnend einen Finger. >Du muss noch high sein von gestern. Geh. Du hast hier nichts zu suchen.< Damit schob ich ihn raus. >Verschwinde...<
>Wieso denn? Die anderen sind weg. Lass uns etwas Spaß auf dem Fliesen-Boden haben.<
>Hau. Ab.<
Lachend gab er auf und spazierte davon. >Von mir aus.<
>Vollidiot.<, murmelte ich gedankenverloren.
Ich fühlte mich ausgeruhter und wacher. Immer mal wieder echoten die Stimmen dieser Personen in meinem Kopf. Es blitzten sogar Visionen von anderen auf, aber mir wurde nicht mehr schlecht davon. Mehr noch fühlte ich diese Verbundenheit mit ihnen. Wenn ich in ihnen steckte, fühlte ich mich noch immer wie ich selbst. Sie waren mir vertraut.
Nach dem Abendessen und unserem Dienst zog ich mich in meinem Zimmer für das Training um. Mit einer Flasche voll lauwarmen Wasser und meiner Jacke ging ich runter. Ich war fast positiv gestimmt, dass Isaac und ich am heutigen Tag vielleicht sogar gut miteinander auskommen würden. Wer weiß, wie für ihn der Tag gelaufen war. Ich hatte ihn heute nicht zu Gesicht bekommen. Diese Distanz zwischen uns beiden war möglicherweise nötig gewesen, um uns einander besser aushalten zu können.
Ich vergaß aber, dass Isaac nicht auf mich warten würde. Stattdessen stand da jemand anderes.
Erschrocken erstarrte ich und starrte sie aus großen Augen an. >Guten Abend, Jenna.<
Es war die Summe Legata des Feuers.
>Was... was...?<
>Du brauchst einen neuen Trainer, wurde mir gesagt. Ich habe mich dafür bereit erklärt. Ich hoffe, das kommt dir nicht ungelegen.< Ihr langes Haar war zu einem Zopf gebunden und sie trug ein schwarzes T-Shirt, Sport-Leggings und Sportschuhe. Nicht mehr in diese Robe gekleidet wirkte sie wie eine ganz normale Frau. Eine, wie schon gesagt, wunderschöne und perfekt gebaute Frau.

Ich räusperte mich und schüttelte den Kopf. >Nein, es... es ist mir eine Ehre. Danke schön.Aber war nicht eigentlich ein Louis für mich vorgesehen?<

Sie nickte und ging zu den Geräten. >War es. Aber sobald ich mein Interesse für dich erwähnte, überließ er mich das Feld.< Ihre Kraft war immens. Die Luft vibrierte durch ihre Anwesenheit.
Sie beobachtete mich. Während ich trainierte und mich abrackerte. Sie war mindestens genauso streng und hatte ebenso hohe Erwartungen an mich. Ich gab mir natürlich alle Mühe, um diese zu erfüllen.
>Wie ich sehe, hat Isaac dich sehr gut trainiert.<
Ich ließ das Trainings-Schwert fallen und atmete durch. >Danke.<
>Lass uns jetzt kämpfen, wie es sich gehört.< Ich folgte ihr in die Feuer-Räume. Mit einer geschmeidigen Bewegung kam sie in Kampfhaltung.
Nervös atmete ich durch und tat es ihr nach.
>Los.<
Sie schoss vier Feuerkugeln hintereinander in meine Richtung. Ich klatschte meine Hände vor mir zusammen und trennte sie. Hinter der Vierten tauchte sie auf einmal auf und sprang mich an. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich unter ihr wegrollen. Ich machte eine weitgehende Kreisbewegung mit meiner Hand und zog einen Ring aus Feuer mit mir nach. Doch sie war schon vorbereitet. Aus dem Stand sprang sie in einen Salto und kickte mir erneut eine Feuerwalze zu.
Sie war eine unerbittliche Kämpferin. Kraftvoll und selbstbewusst. Ich musste mich während des Kampfes zusammenreißen, um nicht in Bewunderung für sie zu verfallen.
Natürlich nutzte sie dies aber, wenn es geschah, aus. Packte meine Hände, drehte sich und schleuderte mich über sie drüber. Bis dahin schaffte ich es aber aus meiner Transe zu erwachen, fing mich an der Wand aber ab und duckte mich erneut, als über mir eine Schneide in diese gebrannt wurde.
>Scheiße...<, zischte ich und machte eine Rolle aus der Schusslinie. Sobald ich in der Hocke war, machte ich ein Rad und wehrte ihre Fäuste ab.
Einmal schaffte ich es fast, sie zu besiegen, aber im letzten Moment riss sie das Ruder noch an sich und ich lag keuchend auf dem Boden.
>Gute Arbeit, Jenna.< Ich nickte dankend und trank auf einmal meine Flasche leer. >Du bist sehr stark und... komischerweise auch sehr erfahren.< Wir liefen zusammen aus der Halle.
>Danke.<
>Isaac hat mir erklärt, dass du sehr viel Potential hast, dich aber von Gedanken und Dingen in der Umgebung ablenken lässt.<
>Hat er das?<, murmelte ich vor mich hin.
>Ich habe deine Geschichte gelesen. Dir ist viel passiert. Gute Gründe, um sich von Gedanken ablenken zu lassen, aber du musst deine Mitte finden finden. Einen Punkt an dem du sicher bist und du keine Angst verspürst. Fern von all der Realität.< Ihre Stimme war beruhigend. Versetzte mich in einen Ruhezustand. Sie legte ihre Hand an meinen Rücken. >Du bist dir im Unklaren darüber, wer du bist und zu was du im Stande bist. Ich werde dir beides zeigen und erklären.< Ich sah sie an. >Morgen früh. Sehr früh. Um 4Uhr. Wir treffen uns auf dem Feuerplatz.< Nervös nickte ich wieder. >Ruh dich aus. Kein Training mehr.<
>Ok.<
>Bis später, Jenna. Und nenn' mich Parvati, ja?<
>Bis später, Parvati.<
Sie tätschelte noch einmal meine Schulter und entließ mich dann. Ich ging nachdenklich die Treppen hoch. Ich hatte also viel Potential.
In meinem Flur saß jemand vor meiner Tür. Langsam ging ich auf die Person zu und fing an leise zu lachen. Es war Brody, der mit nach vorne gelegtem Kopf döste. >Hey.< Ich tippte ihn an. >Brody, wach auf.<
>Hm? Was ist denn?<, knurrte er müde und blinzelte ins Licht.
>Was tust du hier?<
>Auf dich warten.< Er rieb sich die Augen. >Ihr macht wohl immer Überstunden, was?< Ungeschickt kam er auf die Beine und lehnte sich mit der Stirn an meine Schulter. >Gehen wir schlafen?<, fragte er. So als wäre es vollkommen selbstverständlich.
In meiner Brust wurde es warm. Meine Mundwinkel zogen sich fast schmerzvoll hoch. >Ja, natürlich.< Ich öffnete die Tür und ließ ihn rein. Gähnend schlüpfte er aus all seiner Kleidung und schlüpfte ins Bett. >Ich geh schnell duschen.<
>Mach schnell, ich warte.<
Ich konnte nicht aufhören zu grinsen, während ich duschte. Und erwischte mich sogar dabei, wie ich mich tatsächlich beeilte, um so schnell wie möglich wieder raus zukommen.
In Shorts und Top legte ich mich dann zu ihm. >Hey.<
>Hey.< Er zog mich zu sich heran. Ich legte meine Hand in seinen Nacken und massierte ihn. Sein Bein schob sich zwischen meine und er kuschelte sich an mich. Seine Lippen lagen in meinem Hals und liebkosten zärtlich die Haut. >Sieh dir das an.< Seine Finger tauchten in meinem Blickwinkel auf. Sie zitterten.
>Was ist los?<
>Das bist du. Deine Kraft. Ich fühle mich gerade so, als wäre ich auf einer Achterbahn.< Ich runzelte die Stirn. >Und jetzt sieh dir das an.< Er nahm meine Hand in seine und verschränkte unsere Finger ineinander. Seine Nase strich über meinen Kiefer und er atmete leise durch. Spannung baute sich im Raum auf. Ich hielt die Luft an. Gänsehaut schlich sich auf seinen Handrücken. Die kleinen Härchen stellten sich auf.
>Was...? Ich verstehe nicht...<, flüsterte ich leise.
Nur ganz leicht küsste er mich direkt unter mein Ohr. >Ich wünschte, du könntest einmal fühlen, was ich fühle oder was alle fühlen, wenn du um einen herum bist. Die Luft vibriert. Es ist...< Er schüttelte den Kopf und seufzte. >Es ist schwer zu erklären.<
Ich fuhr ihm durch sein Haar. >Du bist nicht so seltsam, aber ich fühle mich trotzdem...< Ich räusperte mich. So etwas machte ich sonst nicht. Brody bemerkte das wohl, denn er lehnte sich etwas zurück und sah mich abwartend an. >Also...<
>Sag schon.<, stichelte er verschmitzt.
>Halt die Klappe. Jetzt will ich es nicht mehr sagen.< Ich drehte mich mit roten Wangen von ihm weg auf die Seite und steckte mein Gesicht in meine Arme.
Lachend drängte er sich an mich ran und umschlang meine Hüfte. >Nein, komm. Es tut mir leid. Was wolltest du sagen? Ich hör dir zu.<, bat er.
Peinlich berührt presste ich meine Lider aufeinander. >Ich... fühle mich nur sehr wohl bei dir. Akzeptiert. Das...< Zögernd ließ ich mich wieder auf den Rücken fallen. Im Dunkeln konnte ich die Silhouette seines Gesichtes sehen. Ich streichelte seine Wange. >Ich habe... wirklich das Gefühl, dass du mich wegen mir magst. Und... danke einfach, ja? Es ist schön, so etwas...<
Er unterbrach mich mit einem Kuss. >Es ist schon echt süß, wie unbeholfen du in dieser ganzen Sache bist.< Ich schlug ihn halbherzig auf die Brust. >Schon ok. Schon ok. Ich mag dich auch sehr.< Er küsste mich auf die Stirn. >Sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr...<
Lachend schob ich ihn von mir. >Sei ruhig jetzt. Schlaf.<, wies ich ihn an. Er legte sich wieder halb auf mich. Ich genoss die Wärme seines Körpers und schlief mit ihr ein.

Ich riss aus meinem Albtraum und weckte Broderick mit auf. >Hey, was ist los?<, fragte er besorgt und stützte mich.
Mein Atem raste. >Nichts. Ich...< Ich sah auf die Uhr auf dem Nachtisch. Es war sowie so Zeit. >Ich muss.. gehen. Ich hab Training.<
>Training? Um diese Uhrzeit?<
Ich nickte und stieg aus dem Bett. >Ja. Ich... muss wirklich los.<
Gähnend schlug er die Decke auf und sah mir dabei zu, wie ich mich umzog. >Warum lässt Isaac dich so spät raus zum Training?<, fragte er müde und streckte sich.
Noch ohne Oberteil ging ich ins Bad und putzte mir die Zähne. >Ist nicht... Isaac.<, nuschelte ich.
>Was?<, fragte Brody und lehnte plötzlich am Rahmen der Badezimmertür.
Ich spuckte aus und sah ihn an. >Isaac ist nicht mehr mein Trainer.<, erklärte ich und steckte mir wieder die Zahnbürste in den Mund. >Die Summe Legata des Feuers.<
>Summe Legata des Feuers?< Ich nickte. >Die...< Er stellte sich hinter mich. Ich konnte ihn im Spiegel sehen. >Die Frau, die für dich die Zeremonie gehalten hat?< Ich nickte wieder. >Du wirst von ihr trainiert? Ist ja unglaublich.< Er klopfte mir auf die Schulter. >Das ist fantastisch, Jenna.<, sagte er begeistert.
Ich wusch mir das Gesicht und trocknete es gleich darauf mit einem Handtuch. >Ja, es ist schon toll...<, murmelte ich. >Kannst du mir ein T-Shirt geben?< Er ging kurz raus und kam mit einem Oberteil wieder zurück. Ich griff danach, aber er entzog es mir. Anklagend ließ ich die Schultern hängen und bedachte ihn eines genervten Blickes. >Darf ich, bitte?<
>Ja, natürlich. Hier.< Er streckte es mir wieder hin. Und als ich dieses Mal danach griff, umschlang er meine Taille und zog mich an sich heran. >Eigentlich gefällst du mir so besser.< Mit angehobenen Brauen linste er zu meinem Ausschnitt hinunter.
>Kann ich mir vorstellen, aber...< Ich reckte meinen Arm hoch, um nach dem Shirt zu greifen, aber er war zu groß. >Brody...<, bat ich aufgebracht.
>Was kriege ich dafür, dass ich dir das T-Shirt gebe?<, fragte er und lehnte sich zu mir vor, bereit mich zu küssen.
Doch ich bedeckte seinen Mund mit meiner Hand und schob ihn von mir. >Ich brauche nicht meinen Körper zu verkaufen, um zu kriegen, was ich will.< Bevor ich mich aber versah, hatte er mein Kinn schon geschnappt und an seine Lippen gezogen. >Du... Arsch!<, keuchte ich und boxte ihn in den Oberarm.
>Ach, komm.<, lachte er und verschwand hastig aus dem Zimmer, bevor die Zahnpastatube, die ich nach ihm warf, ihn traf. Ich schlüpfte schnell in das T-Shirt und dann in meine Sportschuhe. >Und wie ist sie so?<, fragte er, während auch er sich anzog.
Ich zuckte mit den Schultern. >Sehr nett und sehr stark. Aber irgendwie... Sie macht einen nervös irgendwie.<, murmelte ich nachdenklich.
>Kann ich mir vorstellen. Summe Legata des Feuers. Das ist ein großes Ding... Hey, was ist das?<, fragte er. Ich sah mich zu ihm um. Er hielt das Buch aus der Bücherei in der Hand. >Du liest Bücher? Ist ja verrückt.< Er schlug es auf der Seite auf, in der das Lesezeichen lag. >Was...?< Seine Brauen senkten sich auf die Augen.
Unsicher trat ich auf ihn zu. >Gib mir das wieder.<, flüsterte ich. Er drehte sich von mir weg. >Broderick, bitte. Gib...<
>“Sie überreichte ihr das Feuer und damit die Kraft des Bändigens, doch behielt sie die Menschlichkeit bei, mit der sie geboren wurde...“ Was soll das heißen; Jenna?< Er sah mich verwirrt an.
Ich zuckte mit den Schultern. >Ein... ein Mensch, der bändigen kann.<
>Aber... das gibt es nicht. Wieso liest du das? Das ist doch eins dieser inkorrekten Bücher, mit den erfundenen Extras. Das stimmt nicht. Das ist alles...<
>Ist es nicht, Brody. Es stimmt. Es muss stimmen.<
>Ich kenne diesen Scheiß. Das sind irgendwelche Wahnsinnigen, die...<
>Broderick, ich... bin ein Mensch.<
Er lachte auf und schüttelte fassungslos den Kopf. >Nein, bist du nicht. Du bist eine Bändigerin.<, widersprach er belustigt.
Ich fuhr mir durchs Haar. >Doch... Ich bin ein Mensch. Kevin hat es mir gesagt. Ich... Meine Blutgruppe ist 0. Nicht BX+, wie es eigentlich sein sollte. Sondern 0. Ich bin ein Mensch, Brody. Und... in dem Buch erklären sie das. Ich verstehe es noch nicht ganz, aber da gibt es irgendeine Verbindung zwischen dem und das hier.< Ich zeigte auf mich.
>Aber... das kann doch nicht sein, Mann. So etwas gab es noch nie.<
>Doch. Das ist es ja. Das gab es schon. Hier steht es drin.< Ich stellte mich neben ihn und tippte auf die Seite im Buch. >Weißt du was? Ich glaube, das ist sogar sehr oft passiert. Diese ganzen Leute im Unterricht gestern. Erinnerst du dich? Diese...<
>Ich hatte einen Kater. Ich hab keine Ahnung, was gestern im Unterricht Thema war.<
Ich nickte. >In Ordnung. Ist egal. Aber uns wurden diese ganzen Leute gezeigt und ich glaube, die waren alle auch so. Ich glaube, sie waren Menschen, die bändigen konnten, Broderick. Und ich... ich denke, ich kann herausfinden, was das auf sich hat.< Ich schluckte. Mein Hals war trocken und ich fühlte mich unglaublich geladen. Weshalb war ich nicht schon früher auf die Idee gekommen? Natürlich. Es war so logisch.
Gefasst sah er mich an. >Wie?<
>Die Stimme. Erinnerst du dich noch? Die Stimme in meinem Kopf. Sie weiß, was es mit all dem auf sich hat. Sie weiß es. Ich muss nur... Ich habe sie lange nicht mehr gehört, aber...<
>Jenna, du... du redest wirres Zeug.<
Ich atmete durch. >Nein, du verstehst es nur... Ich werde es dir erklären, wenn ich mehr darüber weiß. Jetzt muss ich erst einmal zum Training, Broderick. Wir sehen uns später.< Ich küsste ihn und verließ joggend das Zimmer.
Meine Gedanken waren außer Kontrolle. Wie verrückt flogen sie in meinem Kopf hin und her. Ich durchstöberte mein Gedächtnis, jeden Winkel meines Gehirns nach ihr. Doch sie war nicht da. Sie war einfach nicht da.
Aber Parvati war da. Sie hatte ihre Handflächen vor der Brust aneinandergelegt . Ihre Haltung war kerzengerade und ihr Gesicht dem Mond zugewandt.
>Weißt du, die Kraft eines Bändigers des Elements Wasser verdoppelt, in manchen Fällen verdreifacht, sich in einer Vollmondnacht.<, hörte ich sie plötzlich sagen. Ich lief um sie herum. Ihre Augen waren geschlossen. Sie atmete tief durch und stellte dabei das rechte Bein ganz weit nach hinten und winkelte das andere etwas an. >Komm. Stell dich dazu. Bleib erst so stehen wie ich gerade eben und versuche deine Mitte zu finden. Die Ruhe in dir und dann gehst du in diese Position.<, erklärte sie und sog noch einmal Luft durch die Nase ein und ließ diese aus dem Mund wieder raus.
Ich tat, was sie mir sagte. Folgte ihren Bewegungen. Stellte mich, nachdem ich so stand wie sie, wieder gerade hin und legte dann das linke Bein nach hinten. Mein Herzschlag verlangsamte sich. Alles verlangsamte sich und intensivierte sich gleichzeitig so rapide, aber auf so beruhigende Weise. In meiner Brust wurde es warm. Ich hatte das Gefühl, die Schritte jeder noch so kleinen Ameise spüren zu können. Jedes Blatt, jeder Grashalm, jeder Ast. Ich war im Einklang.
Wie bescheuert sich das anhörte, aber es stimmte.
Jeder Windstoß, der mich traf, hallte in mir nach. 
>Wir Feuer-Bändiger sind am Stärksten im Sommer.<, erklärte sie und beugte sich vor, bis ihre Hände flach auf dem Boden lagen. Dabei atmete sie wieder ganz lang durch. >Alles gut?<, fragte sie mich.
Ich beugte mich ebenfalls vor. >Ja.<
>Ab jetzt möchte ich, dass du die Außenwelt vollkommen vergisst. Ich weiß,...< Wir richteten uns beide ganz langsam wieder auf in die Ausgangsposition und nahmen tief Luft. >...dass du gerade sehr sensibel auf alles reagierst. Das ist normal, aber jetzt musst du das alles von dir fernhalten und dich einkapseln.< Ich sah zu ihr rüber. Sie beugte sich nun nach hinten und ging in eine wunderschöne Brücke. Ich folgte ihr und versuchte gleichzeitig ihrer Anweisung nachzugehen.
Mich einkapseln.
>Such nach einem Platz in dir. Wortwörtlich. Konzentriere dich auf diesen Körperteil.<, hörte ich ihre Stimme. >Kommst du selber wieder hoch?<, fragte sie. Ich nickte und schwang meine Beine über mich, bis ich wieder vornübergebeugt dastand. >Gut. Aufstellen und dann warten wir.< Ich wollte fragen, auf was, aber mir gefiel die Stille zu sehr. Mein Fokus legte sich auf die Stelle zwischen meinen Augenbrauen, wo mein Nasenbein begann.
Ich ließ meine Lider sinken und stellte mir vor, wie der Wald, die Schule und alles andere wegrückte.
Ich versank spürbar in mir selber. Meine Sensibilität verändert sich erneut. Schwindel, aber alles war schwarz. Ich konnte mich aber nicht vergewissern. Und irgendwie hörte und spürte ich mehr. Doch nicht die Außenwelt, sondern mich.
>Bleib bei dir. Was hörst du?<
>Mein...< Ich schluckte. >...Herz.< Es bebte in mir. Genauso wie mein Blut. Tiefes Rauschen. Meine Lungenflügel. Wie sie sich mit jedem Atemzug aufblähten. >... Alles.< Ich konnte genaustens spüren, wie Schweiß aus meinen Poren trat.
Es hallte in meinem Kopf. Ein bestialisches Echo. Es waren Worte. Und ich wusste, dass sie es war. Also sammelte ich noch einmal meinen ganzen Fokus und platzierte ihn auf meine Stirn. Auf diese Stelle.
Mein Atemrhythmus beschleunigte sich. Es fiel mir mit jeder Sekunde schwerer aufrecht stehen zu bleiben. Als würde die gesamte Schwerkraft lediglich mich betreffen und an mir zerren.
>Jenna...< Parvatis Stimme war näher. >Was hörst du?< Hitze stieg auf. Ich konnte  das Knistern von Feuer hören. Meine Körpertemperatur stieg auf kochend heiß. Brütend heiß. >Sag mir, was du hörst, Liebes.<, verlangte sie. Ihre Worte  gruben sich tief in mich.
>J...en...na.<
Es wurde immer heißer.
>Nicht mehr lange,... Tochter.<
>Mutter.<
>Was?... Jenna, was hörst du?
Orangenes Licht schimmerte durch meine Lider. Ich wagte es nicht meine Augen zu öffnen, aber ich hoffte innig, dass sie vielleicht hier war. Das sie mich doch nicht verlassen hatte.
Es war passiert. Ich war vollkommen eingekapselt. Ich erinnerte mich kaum mehr an den Platz vor der Schule. Ich wusste nicht mehr, wie viel Uhr es war. Wo ich war.
Ihr Gesicht sickerte langsam durch eine tiefschwarze Wand zu mir hervor. Ein zartes Lächeln auf ihren Lippen tragend breitete sie ihre Arme einladend aus. >Wir werden bald Eins sein.< Ich lächelte an.
>Was...? Was... siehst du, Jenna?<
Plötzlich rissen sich meine Augen auf. Und sie stand tatsächlich vor mir. Ich ging auf die Knie und brach in Tränen aus. Meine Lippen bewegten sich und Worte verließen sie. Sie kamen einfach rausgeschossen. Ganz von selber.
Hände umfingen meine Oberarme und schüttelten mich. >Jenna, sieh mich an. Sieh mich an, Filia.< Ich blickte in die eisblauen Augen Parvatis. Sie waren groß aufgerissen. >Was hast du gehört? Sag es mir. Was hast du gesehen?<, verlangte sie.
>Mutter. Mutter. Mutaer mea.<
>Deine Mutter? Deine...< Ihr Gesicht verwandelte sich in puren Schock. Sie wich zurück. Löste ihre Hände von mir und ließ sich auf ihre Hände fallen. >Mutter...? Du hast... Mutter gesehen?<, fragte sie keuchend.

18 Meditation

Das Feuer um uns herum versiegte rasch und wir saßen wieder in der kalten und dunklen Nacht hinter der Schule. Parvarti wirkte vor mir kniend wie ein kleines Kind. So wie ihre Augen aufgerissen waren und ihre Unterlippe ängstlich zuckte. >Du... Unsere Mutter?< Sie zog mich mit sich auf die Beine. >Mām̐ vāpasa ā gayā hai! Vaha khuda kō vāpasa usakē baccōṁ kō lē jātā hai! (Mutter ist zurück! Sie nimmt ihre Kinder wieder zu sich!)< Ich verstand kein Wort von dem was sie sagte. >Leg dich bis zum Frühstück hin. Komm.< Sie legte ihren Arm um meine Schultern und führte mich zur Schule. Die Treppen hoch.
Ihre Lippen bewegten sich. Sie murmelte irgendwas. Ich glaube, es war irgendetwas indisches.
Im Gebäude trennten wir uns. >Geh ins Zimmer. Leg dich hin. Auch nur für 15 Minuten. Dein Körper braucht jetzt Ruhe, Jenna. Geh.< Sie schob mich in Richtung Mädchenflügel.
Ich ging ein paar Schritte und drehte mich herum. Sie war weg. Erst wollte ich in mein Zimmer, aber ich war zu neugierig. Ich war mir sicher, sie war jetzt nicht auf dem Weg in ihr Zimmer, um zu schlafen. Also schlich ich ihr hinterher. Sie ging ins Rektorenbüro. Ich blieb im Flur stehen und horchte.
Über den Aufzugtüren leuchtete ein Lichtchen auf und es gab einen kurzen Ton. Schnell versteckte ich mich und lehnte mich etwas vor, um zu sehen, wer kam. Es waren unsere beiden Rektoren. >Hat sie dir etwas gesagt?<, fragte Ken.
Isaac band seine Haare im Nacken zusammen. >Nein, sie war nur sehr... aufgeregt.< Während sie den Flur weiter entlang liefen, drehte er sich herum. Suchend. Verwirrt.
Ich fuhr zurück. In meinem Kopf blitzte es. Seufzend massierte ich mein Nasenbein. >Scheiße.< Ihre Schritte verhallten und ich schritt langsam näher heran. In den Wartebereich vor der Tür stellte ich mich hin.
>Sie sieht und hört Mutter Ignis. Sie ist mit ihr verbunden.<, sagte Parvati. Ich trat etwas näher heran, um in den Raum sehen zu können. Sie stand hinter dem Schreibtisch. Isaac und Ken davor mit den Armen vor der Brust verschränkt.
>Summe Legata, Jenna ist lediglich überfordert mit der Situation. Sie hat vieles...<
>Denken Sie etwa, ich würde aufsteigenden Wahnsinn nicht erkennen? Mr. Robinson, Sie vergessen sich.< Ihre Stimme war steinhart.
>Entschuldigt, Summe Legata.<
>Aber... so etwas kann doch nicht sein... Sie<
>... hat eine direkte Verbindung zu unserer Göttin. Und sie ist nicht die Einzige. Wir haben eine weitere Meldung von einem Mädchen. Sie ist jünger. 17 Jahre alt.< Sie zeigte mit dem Finger auf ein Blatt Papier auf dem Schreibtisch. >“Eine noch nie gesehene Anomalie. Von einem stärkeren Luft-Bändiger wurde nie dokumentiert...“< Ein lauter Knall. Ich fuhr zusammen. Ihre flache Hand lag auf dem Tisch. >John Mayer. Starb 1997. Er war der stärkste Luft-Bändiger und verbrachte sein Leben in der Psychatrie mit der Diagnose Schizophrenie.< Ich konnte sehen, wie sie mit einer Akte in der Hand um den Tisch herumlief und sich an diesen lehnte.
Isaac stieß Luft zwischen seinen Lippen hindurch und fluchte leise. >Summe Legata, verzeiht mir, aber das sind doch nur Geschichten. Falsche Geschichten. Diese Sachen...<
>Er starb am 3. Oktober 1997 um 8.34Uhr.< Isaac wollte erneut etwas sagen. >Dylan Hayden wurde am 3. Oktober 1997 um 8.34Uhr geboren. Exakt.< Ihre Stimme erhob sich. >Maria Cariba Peres starb um 0.07Uhr am 28.August 1995 geboren.< Meine Augen weiteten sich.
Das ist mein...
>Jenna Young, geboren am 28. August 1995 um 0.07Uhr. Und wir alle kennen die Geschichte von Peres. Sie machte ein verdammtes Dorf dem Erdboden gleich mit einem Augenzwinkern.< Sie schnipste einmal mit den Fingern. >Die Dorfbewohner, darunter ihre Eltern, versuchten sie umzubringen. Sie sprach die letzten Tage von einer Stimme in ihrem Kopf, die behauptete ihre Mutter zu sein.< Parvati drückte Ken die Blätter in die Hand. >Es ist mir vollkommen egal, an was Sie beide glauben, aber wir können diese Geschehnisse nicht ignorieren. Wir müssen damit umgehen. Und ich werde Jenna damit nicht alleine lassen.< Ich schluckte schwer. Sie sprach mit solch einer Inbrunst. >Vier Menschen. Es sind immer vier Bändiger, deren Fähigkeiten weit über der Norm liegen. Luft und Feuer. Fehlen noch Wasser und Erde. Ich schlage Ihnen vor sich ein Buch zu nehmen und zu recherchieren. Wir sind in einer neuen Zeit angekommen. Die Zeit der Veränderung und dieses Mal werden wir die Revolutionäre nicht verrotten lassen. Vorbereiten Sie sich.< Sie kam auf mich zu. Schnell versteckte ich mich wieder.
Parvati kam aus dem Büro raus. Während sie zu den Treppen ging, zog sie sich das Haargummi aus den Haaren. Sie lachte. >Mām̐ ā rahī hai. (Mutter kommt.)<, hörte ich sie sagen.
Sobald sie außer Hörweite war, ging ich wieder zum Büro.
>Sie hat Recht.<, sagte Ken.
Isaac setzte sich auf den Sessel und legte seinen Kopf in seine Hände. >Das sind Geschichten, Kevin. Diese ganzen...<
>Glaubst du wirklich, Sie hätten uns einfach alleine gelassen? Wir sind Ihre Kinder, Isaac. Jenna sprach Initium. Fließend. Nicht einmal ich kann Initium fließend sprechen und ich studiere sie seit über 5 Jahren. Wie ist das möglich, Isaac?<, fragte er ihn aufgebracht.
Er zuckte mit den Schultern, lehnte sich in den Stuhl zurück und rieb sich das Kinn. >Ich weiß es nicht. Aber das sie eine Art Prophet ist...<
>Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben die Aura einer so starken Bändigerin gespürt. Und ebenfalls habe ich noch nie eine so schöne Frau gesehen.<
>Das... das ist doch nicht... wichtig...<
>Das ist wichtig, wenn sogar ein Lehrer wie du sich an seine Beherrschung klammern muss.< Ich ging in die Hocke und fuhr mit beiden Händen in mein Haar. >Es ist verdammt nochmal wichtig, wenn wir die Schülerschaft mit Schlagstöcken von ihr fernhalten müssen. Sie zieht die Menschen an. Ihre Kraft lässt sich nicht verstecken und ich... ich habe das Gefühl, sie wird mit jedem Tag stärker. Selbst jetzt in diesem Moment. Es kommt mir so vor, als wäre sie hier. Wir können das nicht mehr lange Geheim halten. Glaub mir, Isaac. Parvati hat Recht. Und dieser Scheiß mit John Mayer...? Das können doch keine Zufälle sein.< Er kam an die Tür. Ich rutschte zur Seite und bedeckte meinen Mund mit meiner Hand. >Ich wusste es, weißt du? Ich habe nie geglaubt, dass Sie uns einfach alleine lassen. Wir waren nie alleine.< Licht strahlte in den Wartebereich. Ich presste mich enger an die Wand. >Ich schlafe noch eine kurze Runde, bevor wir loslegen. Bis später.<
>Ja, bis später.<
Ken kam mit festen Schritten raus und verschwand um die Ecke herum. Ich blieb sitzen und wartete darauf, dass Isaac als nächstes ging, aber es blieb still. Nichts rührte sich. Im Licht bewegte sich ebenfalls nichts. Kein Schatten.
>Jenna, komm her.< Ich erstarrte. >Ich weiß, dass du hier bist. Komm her.< Unsicher rutschte ich an der Wand hoch. >Jetzt, Jenna.<
>Woher...?< Ich linste in den Raum. >Woher weißt du, dass ich hier bin?<
Isaac lachte, umfing meinen Arm und zog mich in den Raum. Hinter mir schloss er die Tür. >Du hast es selber gesagt. Wir haben diese Verbindung und ich scheine nicht der Einzige zu sein.< Er nickte zu dem Sessel auf dem er gerade noch saß. Ich setzte mich und er ließ sich auf den anderen fallen. Frustriert massierte er sich die Stirn. Unsicher beobachtete ich ihn. >Hast du alles gehört?<, fragte er mit geschlossenen Augen.
>Ich habe gehört, dass jemand sich an seine Beherrschung klammern muss, um sich von mir fernzuhalten.<, sagte ich selbstgefällig und überschlug die Beine.
Er schnaubte. >Natürlich ist es das, was du gehört hast. Um diese Uhrzeit ist es den Schülern untersagt, durch die Flure zu schleichen und besonders Gespräche unter den Rektoren zu belauschen.<
Ich löste meinen Zopf und zog meine Beine zu einem Schneidersitz heran. >Ihr habt über mich gesprochen. Und Parvati war am Ende, als wir draußen waren.<, murmelte ich.
>Wo draußen?< Er beugte sich zu mir vor und stemmte seine Ellenbogen auf seine Knie.
>Wir waren draußen. Ich glaube, wir haben irgendeine Art Yoga gemacht und dabei... ist irgendwas in mir passiert. Auf einmal habe ich mich ganz anders gefühlt und dann...< Ich runzelte die Stirn. >... Sie war lange nicht mehr da.< Mein Finger tippte gegen meine Schläfe. >Und plötzlich hat sie wieder mit mir gesprochen. Und es war so...< Ich lächelte etwas. >... intensiv, weißt du? Zu sehr. Parvati verstand aber sofort. Ich glaube, sie versteht mich.<, erklärte ich ihm.
Nachdenklich betrachtete er mich. >Sie hat tatsächlich einen ziemlichen Narren an dir gefressen.< Ich lächelte. >Kann ich ihr nicht verdenken.<
Stille kehrte in den Raum ein. Wir sahen einander in die Augen. Fast schienen seine dunkel zu werden. Sein rechter Mundwinkel hob sich etwas an. >Es kommt mir vor, als hätte ich dich eine Ewigkeit lang nicht mehr gesehen.<, murmelte er leise.
Ich nickte. >Mir auch.<
>Ich gehe davon aus, der Unterricht mit Parvati verläuft gut?< Wieder bejahte ich. >Aber natürlich nicht so gut wie mein Training, nicht wahr?<, fragte er mit einem strahlenden Grinsen und zwinkerte mir zu.
Heute war er wohl sehr gut gelaunt.
Ich zuckte mit den Schultern. >Keine Ahnung. Ich wurde ja bis jetzt nur einmal von ihr trainiert? Es dauert noch ein bisschen, bis ich sagen kann, wer von euch beiden...<
>Halt die Klappe, in Ordnung, Jenna?<
Ich lachte ausgelassen und ließ meinen Kopf zur Seite fallen. >Ich habe Kopfschmerzen.< Es blitzte und donnerte wieder hinter meiner Stirn. Ich presste Zeige- und Mittelfinger an die schmerzende Stelle.
Zwischen meinen Brauen.
>Warte kurz.< Er ging vor mir in die Hocke. >Hey, hier.< Ein Glas Wasser und eine Hand mit einer weißen Tablette in der Innenfläche tauchte vor mir auf. >Nimm das.< Dankend schob ich mir die Tablette in den Mund und trank von dem Wasser. >Geht's?< Er tätschelte meinen Kopf und strich vorsichtig mein Haar beiseite.
>Ja, danke.< Ich folgte seiner Handbewegung. Unsere Finger berührten sich. Wir unterbrachen den Kontakt nicht. Tatsächlich verschränkten wir unsere Finger ineinander.
Er legte seine zweite Hand noch um sie herum und setzte sich auf den Boden. >Ich würde so gerne verstehen, was bei dir vorgeht.< Er sah auf unsere Hände. >Ich mache mir Sorgen um dich. Das alles gibt es bei uns normalerweise nicht.< Sein Daumen fuhr über meinen Handrücken.
>Danke. Ich mache mir auch Sorgen.<
>Es tut mir leid, dass dir all diese Dinge widerfahren. Und ich bin mir sicher, es wird nicht einfacher werden, aber...< Er kniete sich hin und legte einen Arm auf die Armlehne. >... ich werde alles tun, um herauszufinden, wie wir das unter Kontrolle kriegen. Dir wird es besser gehen. Ich... passe auf dich auf, Jenna. Versprochen, ja?<
Ich schlang meine Arme um ihn herum und vergrub mein Gesicht in seinem Hals. >Danke, Isaac. Ich weiß, es bringt nichts, aber ich passe auch auf dich auf. Immer. Wirklich.< Ich lehnte mich zurück und bekam seinen überrumpelten Ausdruck zu sehen. >Du und ich. Du hast es selber gesagt, dieses Ding zwischen uns. Es ist immer noch da und ich... ich habe das Gefühl, dich beschützen zu müssen.<
Er runzelte schnaubend die Stirn. >Du willst mich beschützen? Du bist klein.<
Ich stieß ihn von mir. >Was soll das? Da bin ich so nett zu dir...<
Lachend hielt er sich den Bauch und schob seine Unterlippe hervor. >Tut mir leid, Süße. Es ist nur witzig, dass von dir zu hören, kleine Feuer-Bändigerin.<
Süße. So hatte er mich nur einmal nach dem Kampf genannt, als er so besorgt war.
>Du hast ja keine Ahnung, großer Feuer-Bändiger, was alles in mir steckt.<
Er setzte sich aufrecht auf den Boden und gab einen zustimmenden Laut von sich. >Gerade das macht mir Angst, du Zwerg.< Wir betrachteten uns wieder schweigend. Ich spürte seine Angst. Die Angst um mich und auch... seine Zuneigung.
Um Gottes Willen, ich würde es nie schaffen, ihn aus meinen Gedanken zu radieren. Er saß hier vor mir und strahlte pure Schönheit aus. Ich hatte so tiefe Gefühle in mir gegenüber ihm, aber... trotz seiner zärtlichen Berührungen wusste ich, es gab kein uns und.... ich hatte Brody. War glücklich mit ihm. Sogar sehr. Er bedeutete mir furchtbar viel. Und ich wollte ihn nicht enttäuschen.
>Ich komme dir nur wie ein Zwerg vor, weil du ein verdammter Riese bist, Isaac. 1, 90m?<
Ich stand auf und zog ihn hoch auf seine Beine. >1,96m.<
>Du bist riesig, Isaac. Ich bin fast 1,80m. Ich bin groß.<
>Ja, natürlich.< Er lief an mir vorbei und tätschelte meinen Kopf. >Lass uns gehen.< Er öffnete mir die Tür und trat mit mir zusammen raus. >Ich bring dich zu deinem Zimmer.< Ich konnte sehen, wie er seine Finger knetete. >Es... Brody ist ein guter Schüler. Ich denke, es wäre gut für dich, wenn du mit ihm trainierst... oder mit deinen anderen Freunden. Ich kann mir vorstellen, dass Parvati etwas einschüchternd ist.< Ich nickte. >Beth wäre auch ein geeigneter Trainingspartner. Sie ist sehr stark.<
>Mach ich... Wir waren lange nicht mehr joggen. Soll ich dich in einem Rennen mal Staub fressen lassen?<
Er lachte auf und gähnte leise. >Ich lasse dich gerne meinen Staub fressen. Ich bin keiner deiner Klassenkameraden, Jenna.< Wir blieben vor meinem Zimmer stehen. >Wir passen aufeinander auf.< Er zwinkerte mir lächelnd zu. Ich nickte grinsend. Zögernd machte er Anstalten mich zu umarmen.
Ich sah runter zu seinen Armen. >Der 1,96m große Isaac nervös und unsicher. Ist ja lustig.<
>Du...< Er pikste mich in den Bauch. >... hast ein viel zu loses Mundwerk für eine Schülerin. Ich bin immer noch dein...< Wieder sprang ich ihn an und schlang meine Arme um seinen Nacken. Er umfing meine Taille. Meine Füße schwebten über dem Boden.
An meiner Brust konnte ich sein Herz schlagen spüren. Schnell. Ich schloss meine Augen. Auch mein Puls begann sich zu beschleunigen. Nur das Gefühl seiner festen Arme und Brust. Wir hatte natürlich nie sonderlich viel Körperkontakt, aber dennoch kam es mir so verdammt vertraut vor. Als wäre es schon immer so gewesen.
Gleichzeitig verstärkten wir den Griff und versenkten unser Gesicht in der Halsbeuge des anderen. Ich wollte, dass er mich nie wieder losließ. Die Wärme seiner Hände trieb einen Schauer über meinen Rücken. >Du bist... etwas besonderes, Jenna. Und das kann in unserer Welt verdammt gefährlich sein.< Langsam ließ er mich wieder auf den Boden gleiten. Wir sahen uns direkt in die Augen. Er schob mir eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. >Du hast nicht mehr viel Zeit. Du solltest dich noch ein wenig hinlegen.< Beim Vorbeigehen drückte er kurz meine Schulter.
Ich legte meine Hand an den Türhenkel und sah ihm nach. Der große 1,96m, kriegerische, starke Isaac Conner. In diesem Halbdunkel schien er sogar noch muskulöser und kraftvoller. Sein Schatten war riesig.
>Jenna, ich weiß, dass du noch im Flur stehst. Geh in dein Zimmer.<
Lachend ging ich rein und schob hinter mir die Tür ins Schloss. Mein Zimmer lag im Dunkeln. Brody war weg. Natürlich. Es war kaum noch Zeit. Ich warf mich auf das Bett, drehte mich auf den Rücken und blickte auf zur Decke. Mein Herz raste.

>Was bist du denn so fröhlich drauf?< Beth stieß mir ihren Ellenbogen in die Seite.
Ich schlang meine Arme um ihre Hüfte und küsste sie auf die Wange. >Einfach so. Und was ist denn so schlecht an Küchenarbeiten?<, fragte ich sie und widmete mich wieder genau dieser.
Sie verzog argwöhnisch das Gesicht. >Alles?... Sag, hatten du und Brody letzte Nacht etwa...?<
>Nein, hatten wir nicht. Nur ein bisschen Gefummel.< Brody lehnte sich neben Beth an die Theke und zwinkerte mir zu. >Es gibt Gerüchte, dass wir bald wieder Ausgang haben werden.< Er machte einen Kussmund. Schnaubend und Augen verdrehend wandte ich mich ab. >Wie war dein Training heute morgen?<, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern. >Anstrengend.<
>Hey, Brody. Du bist noch nicht fertig hier!<, rief die Küchenchefin und winkte zum Lager.
>Oh, sehr informativ. Bist mal wieder sehr gesprächig.< Er drückte seine Lippen an meine Schläfe, während er an mir vorbeilief. >Bis später.< Klatschend landete seine flache Hand auf meinem Po.
>Du...!< Ich warf eine Gabel nach ihm.
Lachend duckte er sich, hob gleichzeitig seine Hand. Die Gabel stoppte abrupt in der Luft und fiel klirrend zu Boden. >Du kannst doch nicht einfach mit dem Besteck spielen.< Er hob kurz sein Kinn und die Gabel schoss hoch. Gerade noch rechtzeitig fing ich sie auf.
Beth kicherte hinter mir.
Ich sah sie aus Schlitzen an. >Ich wüsste nicht, was daran so witzig ist.<
Schulterzuckend nahm sie die Teller in die Hand und räumte sie in die Maschine ein.

Die beiden und... Jesse erklärten sich dazu bereit, mit mir zu trainieren. Gerade die drei sollten mir helfen, denn sie waren Bändiger der drei anderen Elemente. Wir nahmen uns eine Fläche. Irgendwie war ich aufgeregt. Ich hatte noch nie gegen Erde und Luft gekämpft. Und... die Spannungen zwischen Jesse und Brody waren greifbar, aber ich kannte nicht sonderlich viele Wasser-Bändiger und... er war einfach in der Nähe gewesen.
>Also, wer zuerst?<, fragte Beth und streckte sich.
Ich atmete durch. >Wasser.< Brody verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. >Isaac hat mir vorgeschlagen, mit Schülern der verschiedenen Elemente zu üben. Wasser ist das Einzige, mit dem ich bis jetzt gekämpft habe. Und...< Jesse zog sich sein T-Shirt über den Kopf und warf es zu Boden.
>Um Gottes Willen...<, seufzten Brody und Beth gleichzeitig.
>Leg los, Liebes.< Ich hob meine Arme und tat genau, was er sagte. Ich legte los. Und wie. Ich konnte mir auf die Schulter klopfen. Jesse gab sich wirklich alle Mühe, aber ich war stärker.
Ich schleuderte meine Faust über sein Gesicht, drehte mich und lehnte mich soweit zurück,dass ich meine Hände unter seine Achseln schieben konnte. Wieder drehte ich mich und riss ihn zu Boden. >Bleib liegen.<, warnte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. >Eis.< Einen Moment später lag ich flach auf dem Boden und spürte, wie Kälte sich von innen in mir ausbreitete. Ich schwang meine Beine im Kreis um mich herum und erhob mich. Er wollte mich packen, aber ich duckte mich, tritt ihm in den Bauch und sammelte Feuer in meiner Hand. Bevor er mich mit weiteren Angriffen kontern konnte, packte ich ihn und hielt das Feuer direkt an seine Brust. Damit hatte ich gewonnen.
Er schmunzelte. >Macht das sonst noch jemanden so an wie...?<
>Nein.<, schnitt Brody rein. >Du kannst wieder gehen. Sie hat gewonnen.< Mit schlagendem Herzen und rasendem Atem sah ich zu, wie er ihm sein T-Shirt zuwarf und nickte zum Schulgebäude.
>Nur ruhig, Kleiner. Wir wissen alle, dass ihr jetzt beide durch die Bettlaken hüpft. Ist nur schade.< Jesse taxierte mich, doch ich war damit beschäftigt, mit der Aufregung in meiner Brust umzugehen. Als blähte sich ein Ballon in mir auf. >Ich will noch eine Revanche haben, Jenna.<, rief Jesse, während er ging.
Beth ließ den Kopf auf ihren Schultern kreisen und ließ die Finger knacken. >Dann bin ich jetzt wohl dran, was?< Sie kam zu mir vor. >Also, Schwester...< Meine Aufmerksamkeit legte sich auf Beth. Sie zwinkerte mir zu und da klaffte unter mir ein großes Loch auf und ich fiel.
>Beth!<
>Was? Sie wollte einen ernsthaften Kampf...<
Ich sprang hoch, griff nach dem Rand des Lochs und schwenkte mich raus. Aus der Brücke, in die ich geraten war, stellte ich mich auf und  feuerte einen Schwall auf sie. Eine steinernde Wand erhob sich und schützte sie. Ein Stück aus der Wand wurde rausgeschlagen und schoss direkt in meine Richtung. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es zu springen und dem Klotz auszuweichen. Beth sprang hervor und begann mich mit einer Schlagkombination zu bekämpfen.
Letztendlich hielt ich sie gegen die Wand gedrückt. Wir waren beide außer Atem. >Ok, ok, ok. Lass los, bevor du mir die Schulter auskugelst.< Ich sah auf meine Arme runter. Meine Adern leuchteten durch meine Haut durch. Pulsierendes Licht, das durch sie strömte. >Jenna!< Erschrocken riss ich die Augen auf und löste mich von Beth. Sie massierte ihre Schulter. >Autsch!<
>Tut mir leid, Beth.< Ich nahm ihre Hand in meine. >Geht's?<
Sie nickte. >Ja, schon gut. Hast dich gut geschlagen. Ich geh mal auf die Krankenstation, ja?< Besorgt sah ich ihr nach. >Hab auch keine Lust auf die ganze erotische Stimmung, die sich hier jetzt aufbauen wird.<, hörte ich sie murmeln.
Brody trat vor. >Muss ich mich auch ausziehen oder geht das so?<
Ich lächelte ihn an. >Nein, danke.<
>Gut. Bist du bereit?<
>Dich, heißes Lüftchen, schaffe ich schon noch.< Er schnaubte und stellte sich vor mich.
Ich sah in Richtung Wald. Etwas Rotes flackerte zwischen den Baumstämmen. >Bleiben wir jetzt nur hier stehen und betrachten die Natur oder machen wir auch was?< Ich musste mich wachrütteln, um wieder zu ihm zu sehen. Ein summendes Geräusch nahm von meinem Körper Gewalt. >Alles klar, Jenna?<
>Klar. Los.< Damit rannte ich auf ihn zu, machte ein Rand ohne Hände und machte direkt noch einmal eine Rolle in der Luft, denn ich wusste, er würde in die Luft springen. Und genau das tat er und genau deshalb beförderte ich ihn mit dem Rücken voran auf den Boden. Nicht, dass ein Luftbändiger jemals lang genug am Boden bleiben könnte. Mit einer Bewegung, die mich sehr an einen Breakdancer erinnerte, richtete er sich auf und stürmte nun auf mich zu. Ich wollte angreifen, aber ein so unglaublich starker Windstoß hielt mich davon ab. Er schmiss mich um und warf mich gleich wieder in die Luft.
Ich kam auf den Knien auf und stellte mich drehend in einen Handstand auf. Feuer sammelte um mich herum und entwickelte sich zu einer Art Wirbelsturm und hielt Brody von mir ab. Sobald er verrauchte machte ich eine Wrestler-Kombination, die ich mit Isaac zusammen gelernt hatte. Ich schwang mich um Brody herum, umschlang seinen Hals mit meinen Beinen und schmiss ihn zu Boden.
Meine Feuer ummantelte Faust schlug an die Stelle auf dem Asphalt, auf dem er gerade noch gelegen hatte, doch er hatte sich weggerollt. Ich packte seinen Kragen und zog ihn zu mir hoch. Erneut machte er eine Rolle, nun so dass er auf meiner Hüfte saß, und hielt mir beide Hände über dem Kopf. >Verloren.<
Ich schüttelte den Kopf. >Nein...<
>Doch, doch. Ich habe gewonnen.<
Ich lachte. >Ernsthaft, nein.<
>Ah! Scheiße!< Er verbrannte sich an meiner Haut und ließ los. Ich nutzte meine Chance und sprang ihn an. Jetzt war ich es, die auf ihm saß. >Du verbrennst mich, um zu gewinnen?<, fragte er entsetzt.
Ich nahm seine Hände in meine und küsste sie. >Es war doch nur ganz wenig. Es tut mir leid.<
Er schmunzelte, umfing mein Gesicht und zog es zu sich runter. Kurz, aber gefühlvoll legte er seine Lippen an meine. >Du siehst verdammt sexy aus beim Kämpfen.< Lachend lehnte ich meine Stirn an seine und schloss die Augen. >Dieses kleine Aufblitzen deiner Haut, wenn du dich überstreckst. Da hat man fast Lust dich wütend zu machen.< Seine Stimme war wieder so schön tief. Ich sah ihn wieder an. >Da hat man fast Lust wieder für dich unter die Decke zu schlüpfen.< Überrascht sah ich ihn wieder an. >Es ist nur so, mein Kopf passt so perfekt zwischen deine göttlichen Beine.<
>Um Gottes Willen...< Ich setzte mich auf und schüttelte die Verlegenheit aus meinem Körper.
>Na ja, ich sagte „fast“.< Er streckte sich und legte seine Hand an meine Hüfte. Ich blickte zu ihm nach unten. >Lass uns gehen.< Wir gingen zusammen zurück zur Schule. >Du hast noch dein Training oder?< Ich nickte. >Komm danach in mein Zimmer.<
Ich trennte mich auf dem Flur zu meinem Zimmer von ihm und zog mich um.
Unten traf ich Parvati in der Halle an. Sie stand mit dem Rücken zu mir an der Wand. >Ich habe gesehen, wie du draußen trainierst hast. Mit den anderen Schülern.<
Ich nickte und stellte meine Wasserflasche auf dem Boden ab. >Ja. Isaac hat es mir vorgeschlagen.<, erklärte ich ihr.
>Was hast du gefühlt, während du kämpfst?<
>Ich weiß nicht. Kraft. Stärke.<
Sie sah mich an. >Ich will dir etwas erklären, Jenna. Aber bevor ich das tue, muss ich dich darauf vorbereiten. Mental. Ich bin aber ein Summe Legata und habe Verantwortungen zu tragen. Es ist mir also nicht möglich, ewig hier zu bleiben, um dich zu betreuen. Ich bleibe hier und unterrichte dich. So lange es geht. Dann musst du dir leider wieder einen neuen Lehrer finden.< Ihre versteinerte Miene ließ das erste Mal ein Lächeln durchscheinen.
>Brauche ich denn noch einen Lehrer? Ich meine, ich habe doch mittlerweile aufgeholt.<
Ihr Lächeln wurde breiter. >Du bist gesegnet, Jenna. Ich weiß mit was, die anderen nicht. Aber du bist gesegnet und ich möchte nicht, dass dieses Geschenk und weitere Erkenntnisse verloren gehen, verstehst du? Deshalb solltest du unter Beobachtung bleiben und immer weiter gefördert werden.< Sie trat näher an mich heran. >Vertrau mir, Prinsēsa (Prinzessin).<
>Tue ich, Parvati.<
Sie wandte sich ab und führte mich in den Feuer-Raum. >Ich möchte, dass du weiter mit deinen Schulkameraden trainierst. Wir werden uns, so lange ich hier bin, auf deinen Geist konzentrieren.< Hinter mir viel die Tür ins Schloss. Es war stockdunkel. Ich konnte die Hand vor meinem Gesicht nicht sehen. >Ich möchte deine unterschiedlichen Chakren öffnen, damit du dein Inneres akzeptieren und dich mit ihm verbinden kannst.< Ihre Stimme schien von allen Seiten auf mich einzuwirken. >Du hast Schreckliches hinter dir und bist davon traumatisiert. Du blockst dein Inneres ab.< Suchend sah ich mich um. >Und wir müssen das stoppen.<
Ich fuhr zurück. In einer Höhe von ungefähr einem Meter tauchten Flammen auf. Sie bildeten einen Kreis um mich und um Parvati herum. Schatten warfen sich auf ihr Gesicht. Eine feurige Schönheit. Ihre Enerigie und Kraft füllten den Raum.
>Das Wurzelchakra ist für das physische Bewusstsein verantwortlich. Du bist sehr unsicher und auch misstrauisch. Dies ist ein Zeichen für eine Unter-Aktivität des Wurzelchakras.< Sie schloss die Augen. Ich tat es ihr nach. >Ich möchte, dass du dir vorstellst, dein Körper ist sehr schwer. Dein Körper zieht dich nach unten. Aber auf keine negative Weise. Du fühlst einfach die Anziehungskraft von Mutter Erde und willst dich ihr hingeben.< Meine Knie wollten einklappen. Ihre Worte zogen eine sofortige Wirkung mit sich. Die Luft drückte auf mich nieder. >Wie fühlst du dich?<
>Schwer.<
>Gut. Setz dich.< Ich sank auf den Boden nieder. Meine Beine verschranken sich in einen Schneidersiz. >Ich möchte, dass du dich auf einen Punkt konzentrierst. Dein Becken.< Augenblicklich sammelte sich alle Wärme in meinem Schoss. >Lege deine Handflächen aneinander.< Sie gab einen Laut von sich. „Lam“. Und ich wiederholte es ohne aufgefordert zu werden. >Entspann dich.< Ein Surren entstand. >Mām̐, maiṁ tumhēṁ dēkha. (Mutter, ich sehe dich.)< Ich verstand nicht was sie sagte. Tatsächlich erschien sie mir sogar sehr weit entfernt. Ich hatte nicht die Möglichkeit, auf sie zu reagieren. Ich war tief in mir versunken. Das Feuer in meinem Schoss war wie eine Fakel. >Sammel dich. Fühle dein Inneres.< Ich atmete durch und murmelte immer wieder dieses Wort. Es hatte solch einen tiefen Eindruck auf mich.
>Um deine Chakren zu öffnen, müssen wir tief in dich greifen.< Das Feuer trat näher an mich heran. Ich konnte es fühlen. >Es gibt sieben Haupt-Chakren. Um die werden wir uns die nächsten Tage kümmern. Mit jedem Tag wirst du dich besser fühlen. Täglich ein anderer Teil deines Körpers und deines Geistes.<, hörte ich sie reden. >Wie fühlst du dich?<
Ich brauchte eine Weile bis ich den Weg zu meinem Mund fand. >Angekommen.< Das Wort verließ meine Lippen ohne meine Entscheidung. Von selber umfing es mich und es stimmte.
>Streck deine Hand aus.< Meine Handfläche berührte ihre. Heiß. >Sieh mich an.< Meine Lider öffneten sich und es kam mir so vor, als hätte ich tagelang geschlafen. Sie strich mit ihrer Hand über meinen Kopf. >Geht es dir gut?< Ich nickte. Während ich den Schweiß auf meinem Körper fühlte, spürte ich diese enorme Reinheit durch meine Glieder sprudeln. >Steh auf.< Sie zog mich auf meine Beine und legte ihre Hände an meine Schultern. >Du hast eine strahlende Zukunft vor dir, Jenna.< Ich wusste nicht was ich erwidern sollte. Ich war noch immer eingenommen von diesem neuen Gefühl. >Komm. Wir holen dir etwas zu essen. Du brauchst Nahrung, als Ausgleich für die aufgebrauchte Energie. Und du solltest schlafen. So schnell wie möglich. Gehst du noch Joggen morgens?< Ich nickte benommen. Jetzt spürte ich die Erschöpfung. Ich fühlte mich wie nach einem wirklichen Krafttraining. Vollkommen ausgelaugt. Sie führte mich zur Cafeteria. Die Schüler, die uns entgegen kamen, beäugten uns argwöhnisch.
Verständlich. Die Summe Legata des Feuers hielt mich in einer halben Umarmung, sprach liebevoll auf mich ein und ließ mir von der Küche ein Gericht vorbereiten.
Ich bekam einen dampfenden Eintopf und zwei frisch aufgebackene Brötchen gereicht. Wir setzten uns zusammen an einen Tisch. Ein paar Schüler saßen ebenfalls in der Kantine und führten leise Gespräche. >Hast du Rücksprache mit deinen Adoptiveltern gehalten?< Ich schüttelte den Kopf. >Warum?< Parvati hatte vor sich eine Tasse stehen. Heißer Tee.
>Meine Adoptiveltern sind froh darüber, dass ich weg bin. Und ich bin auch erleichtert. Ich möchte uns allen kein Zusammentreffen antun.<, erklärte ich und begann zu essen.
Lächelnd nippte sie am Rand der Tasse. >Ich kann das nur zu gut verstehen.< Sie sah mir zufrieden dabei zu, wie ich aß. >Mein Vater liebt mich sehr und akzeptiert mich und meine Berufung. Doch meine Mutter hält mich für den Teufel.< Wir schnaubten gleichzeitig. >Ich habe unzählige Male versucht Kontakt mit ihr aufzunehmen. Aber irgendwann verliert man auch daran sein Interesse. Oder… die Kraft.< Sie legte beide Hände um die Tasse und hob sie an ihre Lippen.
Ich zuckte mit der Schulter. >Dann hat sie dich nicht verdient. Eine Mutter ist dafür da, ihr Kind zu lieben. Egal, welche Situation aufkommt.<
>Danke, Jenna. Das ist sehr freundlich von dir.<
>Heißt das, dass du verheiratet bist?<, fragte ich und zeigte zwischen meine Augenbrauen. >Ist das unhöflich?<, fügte ich sofort hinzu.
Lachend verneinte sie. >Nein, ist schon in Ordnung. Früher war das mal so. Das Bindi war ein Zeichen für eine verheiratete Frauen, um das Paar zu schützen. Aber jetzt trägt man es auch als Modeschmuck.< Ich wartete ab. >Aber ja, ich bin verheiratet und habe zwei Kinder.<
>Was?< Entsetzt sah ich sie an. >Du bist doch so jung und…<
Wieder lachte sie. >Vielen Dank. Ich hoffe, dass 38 nicht alt sind.<
>38?!< Mein Brot fiel mir aus der Hand in den Eintopf.
Parvati sah aus wie 20. Als wäre sie eine junge Studentin.
>Unglaublich.<, murmelte ich nur fassungslos und gab mich meinem Essen hin.

19. Der Anfang

>Mann, ey. Du hast dir aber Zeit gelassen.< Brody hielt mir die Tür auf und ließ mich rein. Ich hatte in meinem Zimmer geduscht und mich umgezogen. Im Pyjama war ich rüber geschlichen und legte mich nun in sein Bett. Erschöpft schloss ich die Augen. Die Tür fiel ins Schloss und ich konnte spüren, wie die Matratze sich senkte. >Alles klar?<
Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte seinen besorgten Blick. >Ich bin nur müde.<
Er legte sich neben mich. >Warum hast du eigentlich immer noch diesen Extra-Unterricht?<, fragte er und gähnte leise.
Ebenfalls gähnend drehte ich mich auf die Seite und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. >Sie wollen mich unter Beobachtung halten... Können wir vielleicht ab jetzt täglich zusammen trainieren? Parvati hat das vorgeschlagen.<
Seine Hand streichelte meine Schulter. >Kein Problem.< Monoton fuhren seine Finger über meine Haut und liefen hoch zu meinem Nacken. >Zünd mich aber nicht wieder an.< Lachend schüttelte ich den Kopf und kuschelte mich enger an ihn. >Ich kann das noch nicht so richtig, aber wir Bändiger können beeinflussen, ob unser Element einen verletzt, weißt du das?<
Fragend sah ich zu ihm auf und runzelte die Stirn. >Wirklich?<
>Ja.< Er setzte sich auf und zog seine Beine zum Schneidersitz an. >Warte Mal.< Ein kurzes Nicken und ein Blatt, ein einziges, kam uns entgegengeflogen. Direkt in seine Hand.
>Das du das so präzise kannst…<, murmelte ich gedankenverloren und sah auf das Stück Papier herunter.
Er zuckte mit der Schulter. >Übungssache. Aber wenn man...< Fasziniert sah ich ihm dabei zu, wie er das Blatt vor sich hielt. Sein Finger machte eine knappe Bewegung und eine unsichtbare Kraft zog einen waagrechten geraden Schnitt durch das Papier. >Jetzt habe ich die Luft gerade machen lassen, aber… sobald ich versuche es so zu kontrollieren, dass es…< Nun hielt er das Blatt hoch, ließ los und wiederholte die gleiche Bewegung wie gerade eben. Doch dieses Mal veränderte es lediglich seine Richtung und landete ein paar Meter weiter auf dem Boden. >Gleicher Kraftaufwand. Selbe Intensität. Anderes Ergebnis.<
>Aber wie macht man das?<, fragte ich ihn, mit den Augen auf der Hälfte des Papiers auf dem Teppich.
>Das ist schwer zu erklären. Dein Feuer wird von deinen Emotionen gelenkt. Einfach ausgedrückt, musste du lernen deine Gefühle zu steuern und das hat zur Folge, dass es macht was du willst. Das es den Effekt hat, den du erzielen willst.< Er ließ sich wieder nach hinten fallen und breitete die Arme aus. >Mit Feuer ist das so eine Sache. Feuer verbrennt. Grundsätzlich. Um das zu verhindern, musst du also… die Natur des Feuers verändern und das ist…< Er schnaubte. >… das ist schwer, denke ich.< Seine Augen fanden mich. >Willst du es probieren?<
Ich lachte auf. >Ganz sicher nicht. Ich habe schon ein Zimmer in Brand gesteckt.<
>Stimmt.< Grinsend hielt er mir die andere Hälfte des Blattes hin. >Probier es. Nur ein bisschen.< Widerwillig schnipste ich. Eine kleine Flamme schwebte über meiner geöffneten Hand. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Zwei Mal. Der Rand des Papiers kam dem Feuer näher. >Versuch dich zu beruhigen. Du bist hier in Sicherheit. Bei mir.< Kurz sah ich ihm ins Gesicht. Ein friedvolles Lächeln. >Siehst du? Es funktioniert.< Ich hatte nicht bemerkt, dass das Blatt in meinem Feuer war. Und es brannte tatsächlich nicht ab.
>Oh mein Gott…<, hauchte ich ungläubig, doch da bildete sich schon eine schwarze Spur und Asche nahm die Überhand über das Feuer. >Scheiße.<
Brody zuckte mit der Schulter. >Ach was.< Er zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Mülleimer, bevor er die Asche vom Bett schlug. >Für das erste Mal ist das echt gut. Ich habe es wochenlang nicht hingekriegt.< Zärtlich strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht. >Du bist einfach so verdammt kraftvoll. Ich liebe dein Feuer.<
Ich stemmte meine Knie auf je eine Seite seiner Hüfte. Seine Hände umfingen meine Taille und schoben sich unter mein T-Shirt. Seufzend lehnte ich meine Stirn an seine. >Ich fühle mich wirklich sicher mit dir.<
>Gut.<, erwiderte er und begann meinen Hals zu liebkosen. >Ich fühle mich sicher mit dir, Jenna.< Seine Hände waren nun bis zu meinen Schulterblättern gestiegen und hatten das Oberteil damit komplett hochgeschoben. Ich streckte meine Hände zur Decke, sodass Brody es mir ausziehen konnte. Er bedeckte meine Brust mit Küssen und versenkte sein Gesicht in meinem Dekolleté. Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und stützte mein Kinn auf seinem Kopf ab. >Ich liebe den Duft, den deine Haut abgibt.<, murmelte er und strich nun über meinen Rücken. Empfindsam bäumte ich mich auf. Er biss mir in die Haut und küsste dann zärtlich die Stelle. >Süß und saftig.<
Ich drückte ihn auf das Bett herunter und beugte mich über ihn drüber. Meine Ellenbogen stemmte ich neben seinem Kopf in die Bettdecke. Seine Hand schob sich in mein Haar und zog mich an seine Lippen. >Lass uns schlafen.< Ich kroch über ihn drüber und stieg unter die Decke. Er folgte mir. >Brody?< Leise brummte er. >Ich hab Angst.<, flüsterte ich und zog seine Arme um mich herum.
>Warum?<, fragte er und küsste mich hinter mein Ohr.
Ich drehte mich zu ihm herum. >Parvati gibt mir Recht. Sie glaubt mir. Irgendwas komisches geht in mir vor.<
Er seufzte und drehte mich auf meinen Rücken, so dass er mich ansehen konnte. >Jenna, du bist stärker als wir alle. Alles an dir ist einfach weitaus intensiver als bei uns anderen. Warum?< Er zuckte mit der Schulter. >Keine Ahnung. Aber… das du… das du, ich weiß nicht…<
>Ich war in den Köpfen dieser ganzen Leute, Brody. Sie hat mit mir gesprochen. Wie soll ich diesen Hexer…? Wie soll ich, ich, es geschafft haben einem Menschen… Hexer den Kopf abzutrennen, Brody? Wie?! Ich war gerade neu in die Schule gekommen und wusste noch nichts.< Ich setzte mich wieder auf und sah ihn an. >Ich war da draußen, als das Chaos ausgebrochen ist und ich bin nicht gestorben, Brody. Wegen ihr und sonst keinem. Sie hat meine Hände…< Ich hielt sie ihm hin. >… übernommen. Sie hat alles gemacht. Ich schwöre es. Glaub mir.< Ich umfing sein Gesicht. >Sie. Ist. Hier. Und ich habe verdammte Angst davor, was das bedeutet.< Kraftlos warf ich mein Gesicht in die Kissen. >Parvati glaubt mir das alles und sie will mir helfen, das alles zu verstehen.<
>Ich glaube dir.<
>Nein, tust du nicht. Du glaubst wie alle anderen, dass ich verrückt bin. Letztendlich bin ich für dich auch nur ein hübsches Gesicht.< Ich drehte mich von ihm weg.
>Jenna…<
>Lass.< Ich fuhr mir durchs Haar und schlüpfte aus dem Bett. >Mich nervt das alles hier. Ihr habt mich hierher geholt und jetzt… jetzt bin ich der verdammt Freak und alle sehen mich so verurteilend an.< Frustriert schnappte ich nach meinem Oberteil.
>Was machst du denn? Komm zurück ins Bett. Wir sind beide müde.<
>Brody, ich lüge nicht und ich bilde mir das auch nicht ein! Ihr alle tut so als wärt ihr auf meiner Seite, aber tatsächlich seit ihr nicht viel besser als diese verdammten…< Ich zeigte nach draußen.
Er schüttelte den Kopf und folgte mir aus dem Bett. >Beruhig dich. Hör mir zu, ich werde immer auf deiner Seite sein. Glaub mir. Lass uns jetzt einfach…<
>Nein. Ich verschwinde. Ich glaube, heute sollte ich alleine sein.<
>Und gerade das fände ich nicht gut. Komm her. Es tut mir leid, wenn ich… dich verletzt habe.< Er streichelte meine Wange und versuchte mich in seine Arme zu ziehen, aber ich drehte mich weg. >Jenna, es tut mir leid. Das ist schwer nachzuvollziehen.<
>Schon in Ordnung. Ich bin nicht sauer oder so. Ich möchte nur jetzt gerade…< Den Satz ließ ich offen und ging zur Tür.
Brody folgte mir und stellte sich in den Rahmen, als ich im Flur stand und das Top überzog. >Oh, fuck.<, sagte er auf einmal.
Ich blickte auf. Er sah an mir vorbei.
>Gott, ist der Küchendienst nicht genug für euch?<, fragte Ken, der hinter mir stand. >Ab ins Zimmer und du kommst mit.<
>Nacht, Jenna.<, sagte Brody noch, während ich ging. Ich wandte mich kurz zu ihm um und nickte.
>Jenna, du und deine Kumpanen habt euch schon genug erlaubt.<, zischte Ken und lief voran durch den Flur.
>Ken, kann ich dich was fragen?< Er gab einen zustimmten Laut von sich. >Glaubst du wirklich, dass Mutter Ignis in mir ist?< Er blieb stehen und sah sich zu mir um. >Ich weiß, ich hätte nicht lauschen dürfen, aber… Parvati war so durch den Wind und ich musste unbedingt wissen, was… Ich muss wissen, was mit mir los ist, Kevin.<
Argwöhnisch betrachtete er mich. >Wir alle müssen wissen und insbesondere verstehen, was mit dir los ist.<, murmelte er leise. >Was ich glaube ist dabei vollkommen irrelevant.<
>Glaubst du mir?Denn… ich will in keine Klinik.<
Er verneinte. >Du kommst in keine Klinik. Du bist nicht verrückt.< Seine Schritte verlangsamten sich etwas, bis er auf meiner Höhe war. Räuspernd sah er mich an. >Ich glaube dir und bin sehr... sehr erfreut darüber, dass du bei uns bist.< Wir liefen durch den Flur in den Mädchenflügel. >Mach dir keine Sorgen, Jenna.< Er tätschelte meine Schulter und blieb mit mir vor der Tür stehen.
>Kannst du mir etwas von diesem Luftbändiger erzählen? Ist er wie ich?<
>Er... Den Berichten zu Folge...< Er nickte.
>Und... und was machen wir jetzt? Ich sollte ihn doch kennenlernen oder? Vielleicht weiß er ja etwas. Können wir ihn nicht einfliegen oder... oder ich gehe zu ihm? Wo ist er eigentlich?<, fragte ich hastig und trat dabei einen Schritt näher heran.
Er schüttelte den Kopf. >Bevor wir euch irgendwie zusammen bringen, müssen wir erst einmal eine gewisse Sicherheit über deine Situation aufbauen.<
Ich öffnete meine Zimmertür. >Aber gerade das könnte eine gewisse Sicherheit über meine und seine Situation aufbauen. Ken, wenn er so ist wie ich... Er weiß vielleicht noch etwas.<
Kopf schüttelnd ließ er seine Schultern kreisen. >Es tut mir leid, Jenna. Das ist zu gefährlich. Wir wissen nicht, was das zur Folge haben könnte. Gedulde dich einfach, ja? Ich passe auf dich auf. Wir alle stehen hinter dir. Daran liegt kein Zweifel.<
Dankend nickte ich und ging in mein Zimmer, doch bevor ich die Tür schloss, drehte ich mich um. >Ken?... Kevin, meine ich.<
Schmunzelnd sah er mich an. >Jenna?<
>Muss ich jetzt länger den Küchendienst machen?<
Er lachte leise und verneinte erneut. >Ist schon ok. Passt nur auf, ja?<, sagte er und hielt sich den Zeigefinger an die Lippen. Ich grinste ihn an. >Und... na ja... du weißt schon, schützt euch.< Meine Wangen wurden warm und ich senkte den Blick. >Brody ist ein sehr guter Schüler und ein noch viel besserer Mensch.<
>Ja, ist er. Danke.<
>Kein Problem. Gute Nacht, Jenna. Und geh wirklich schlafen.< Ich nickte. >Bis morgen.<
>Bis dann, Ken.< Er zwinkerte mir zu und spazierte den Flur entlang.
Ich schob die Tür hinter mir ins Schloss. Mein Zimmer lag im Dunkeln. Anstatt aber das Licht anzuschalten, zog ich mit Daumen und Ringfinger einen unsichtbaren Faden aus der Mitte meiner Handfläche nach oben. Eine spitze Flamme folgte meinen Fingern und beleuchtete mein Zimmer. Es kam mir leer vor.
Während ich mich hinlegte, schickte ich die Flamme hoch. Sie teilte sich in mehrere leuchtende Punkte auf. Ich drehte mich auf die Seite. Warmes Licht sickerte durch meine geschlossenen Lider hindurch. Die Wärme, die sich in meinem Zimmer ausbreitete, ummantelte meinen Körper.
Mein Herzschlag verlangsamte sich und ich spürte, wie ich mich beruhigte.
Ich hatte Parvati auf meiner Seite und das war das wichtigste. Wenn sie mir glaubte, war jeder andere egal. Egal, wie verrückt das alles war.

Mit meiner Schultasche geschultert ging ich aus meinem Zimmer. Plötzlich sprang Brody vom Boden auf. Erschrocken fuhr ich zurück. >Um Gottes...< Ich drehte mich weg. >Mein Herz, Brody.< Er nahm meine Hand in seine und zog mich zu sich heran. >Du darfst nicht im Mädchenflügel sein. Wenn ein...<
>Ja, ich weiß. Ich find es nur mies, wie wir gestern auseinander gegangen sind. Und es...<
Ich schüttelte den Kopf, öffnete die Tür zu meinem Zimmer und ging mit ihm rein. >Ich wollte gerade auch zu dir.< Mit einer Bewegung zog ich ihn an mich heran und küsste ihn. >Tut mir leid. Ich habe überreagiert. Mein Gerede ist ziemlich verrückt. Verständlich, dass du das nicht...<
>Hör mir zu. All das ist das verrückteste, dass ich je in meinem Leben gehört habe und ich bin Teil einer übernatürlichen Rasse, die die vier Elemente beeinflussen kann. Ich vertraue dir und ich werde dir helfen, dass alles in Ordnung zu bringen, okay? Also...< Ich küsste ihn. Drängte ihn an die Wand, umfing sein Gesicht und ging auf die Zehenspitzen, um den Kuss zu intensivieren. Seine Arme legten sich um meine Taille. >Hm... Versöhnungs-Knutscherei.<
Lachend umarmte ich ihn und lehnte meinen Kopf an seine Brust. >Du bist zu gut für mich.<, murmelte ich leise.
Seine Hand strich über meinen Hinterkopf. >Nicht im Geringsten. Ich helfe dir nur, wo ich kann. Das ist das Mindeste.<
Ich legte meinen Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können. >Du bist wirklich zu gut für mich.< Damit gingen wir wieder raus und runter in den Unterricht.

>Heute Nacht, wieder bei mir?<, fragte er in der Mensa. Wir standen in der Reihe für die Essensausgabe.<
>Ich weiß nicht.< Ich sah unsicher auf mein Tablett herunter. >Parvati und ich trainieren heute und dann... bin ich bestimmt...<
Er legte seine Hand an meine Hüfte und hielt mich davon ab, weiter zu gehen, sodass ich mit dem Rücken an seine Brust lehnte. Sein Mund lag an meinem Ohr. >Süße, ich würde alles dafür tun, dass du dich bei mir wohlfühlst.< Seine Hand, die an meinem Oberschenkel entlang strich, war eindeutig.
Ich schmunzelte. >Du bist unglaublich.<
>Ich zeig dir, wie unglaublich ich bin.<
Ungläubig drehte ich mich zu ihm herum. >Du... bist ein Perverser.<, zischte ich und zwickte ihn in den Bauch. Ich hörte ihn noch hinter mir lachen, während ich mir etwas zu trinken holte. >Arschloch.<
>Du stehst doch drauf.<
Ich ignorierte ihn lächelnd und setzte mich zu den anderen an den Tisch. >Wir dürfen wieder raus. Am Wochenende gehen alle in einen Club. Wollen wir auch?<, fragte Kyle. Alle nickten und machten Vorschläge.
Wortlos stocherte ich mit meiner Gabel in meinem Essen herum.
Als ich das letzte Mal draußen war, hatte ich das Blut von einem Hexer an den Händen kleben. Die Wahrscheinlichkeit lag mit Sicherheit unter 1%, dass das noch einmal passieren würde, und dennoch war es genug, um furchtbare Panik in mir hervorzurufen.
>Gott, endlich wieder was trinken. Hat jemand was zu rauchen?<, fragte Penny.
>Ich.< Brody hob seine Hand. >Ich hab noch ein paar Gramm übrig.< Anklagend sah ich ihn an. >Was? Ich sag ja nicht, dass ich es rauche. Ich habe es nur... und werde wahrscheinlich was davon rauchen.< Ein Kussmund.
>Ihr beide könntet natürlich auch ein romantisches Dinner haben, oder nicht? Die Schule wird wahrscheinlich leer sein.< Brodys Brauen hoben sich an, Doch er schürzte seine Lippen, als ich den Kopf schüttelte.

Ich trainierte mit den anderen Schülern auf dem Platz hinter der Schule und traf mich anschließend mit Parvati in dem Raum für Feuer-Übungen.
Wie auch beim letzten Mal umkreisten mich kleine Flammen.
Ich saß auf den Knien. Meine Hände lagen mit den Innenflächen nach oben, dabei die linke unten und die Daumen sich berührend.
>Lege deinen Fokus vollständig auf den Bereich an deinem unteren Rücken.< Ihre Stimme hallte leise in der warmen Dunkelheit. >Wir konzentrieren uns heute auf das Sakralchakra. Es ist zuständig für deine Sexualität und deine Gefühlswahrnehmung. Dein Chakra ist überaktiv, weshalb du sexuell sehr gelöst und offen bist. Dies werden wir heute ausbalancieren.< Ich spürte einen steigenden Druck an meinem Rücken. Nicht schmerzhaft, aber deutlich spürbar. >Vam.<, hörte ich sie plötzlich flüstern und wiederholte es. Ich wusste, das die Zeit rasend schnell verging, aber ich kam mir vor, wie in einer zeitlosen Blase. Vollkommen abgeschottet von der Welt und all ihren Gesetzen.
Ich war hier bei mir und nur bei mir.
>Spüre die natürliche Wärme deines Körpers.< Ich atmete tief durch. >Und jetzt... will ich, dass du sie steigen lässt. Dein Herzschlag wird langsamer, genauso wie dein Atem. Der Schweiß stellt all die Last in dir dar.< Meine Brust hob sich an.
Ich verlor das Gefühl vom Boden unter mir. Von den Wänden. Von allem um mich herum. Nichts mehr. Nur noch ich. >Wie fühlst du dich?<
Mein Lippen waren schwer. >Weit weg.<
Sie summte zustimmend. >Gut. Versink in dir selber. Vergiss alles um dich herum.<
Meine Schultern sanken zusammen mit ihren Worten. Jeder Muskel in meinem Körper schmelzte. Verschwand ohne zurückbleibende Spuren.
>Was fühlst du?<
>Tiefe.<
>Gut.<

Die nächsten Tage liefen im selben Muster ab. Tagsüber trainierte ich mit Brody, Beth und anderen Schülern, abends meditierte ich mit Parvati im Feuer-Raum.
Wir gingen eine Art Liste durch und mit jedem Tag fühlte ich mich freier und mehr wie ich selbst. Ich schlich mich zu Brody und ich... fühlte... na ja... Ich fühlte mich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Körperlich. Mein Misstrauen, meine Angst lösten sich auf. Ich war positiver gestimmt. Es veränderte sich einfach alles. Meine ganze Perspektive.
Gott, wie bescheuert sich das anhörte, aber es war tatsächlich so.
Alles öffnete sich.
Doch würde ich schon bald allein sein. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Fast wünschte ich mir, mit ihr gehen zu dürfen. Nur bei dem Gedanken, dass sie bald gehen würde^, begann ich schon sie zu vermissen. Nicht nur zu vermissen, sondern... einfach nur... Was sollte ich alleine hier machen? Sie war es doch, die mir erst überhaupt die Augen dafür geöffnet hat, dass ich diese Verbindung hatte. Sie war es, die mich vor allen verteidigte. Wie zum Teufel sollte ich das...?
Ich versuchte nicht daran zu denken. Versuchte es so weit wie möglich von mir fernzuhalten. Diese Meditationen fingen an sich in meinen Alltag einzupflanzen. Was danach? Sollte ich das dann alleine machen? Ohne ihre Stimme war das doch alles vollkommen sinnlos. Sie konnte sich auf so mühelose Weise in meinen Geist eingraben und die Knöpfe betätigen, die mich in vollkommene Entspannung versetzten. Einfach so.
Wie sollte ich das schaffen ohne sie?
Isaac sah ich leider in der ganzen Zeit nur selten. Manchmal in der Mensa und natürlich im Sport. Ich machte weiter meinen Küchendienst und lernte für den Unterricht, aber ich flog über alles drüber, sodass nicht einmal Isaacs Abwesenheit mich sonderlich störte. Lediglich Brodys Wärme nachts im Bett erinnerte mich daran, dass ich an eine materialistische Welt gebunden war.
Meine Träume veränderten sich. Sie waren noch immer so intensiv und schmerzhaft wie zuvor, doch ich nahm Details wahr, die ich davor nicht erkannt hatte. Erinnerungen, die in Vergessenheit geraten waren. Ich erinnerte mich daran, wie Mum mich zu Bett gebracht hatte. Unter ihren Augen prangten enorm dunkle Ringe. Ihre Wangen eingefallen und ein spitzes Kinn. Sie war noch immer hübsch, aber sah furchtbar krank aus. Und sie sagte etwas. Ihre Lippen bewegten sich, aber ich hörte nichts. Sie drückte meine Hände. Der Schmerz, der durch meine Knöchel ging, war das Ergebnis ihres festen Griffs.
Und noch etwas. Ihr Gesichtsausdruck, als das Feuer aus meinen Händen schoss. Sie... lächelte. Sie lächelte, während das Feuer begann sie zu verbrennen.
Und natürlich Mutter Ignis. Wir sprachen nicht. Ich hörte kein einziges Wort von ihr und fühlte deshalb, trotz meiner allgemeinen positiven Stimmung, dieses kleine Loch in meiner Brust. Ihr Schweigen mir gegenüber war jedoch nur ein Zeichen ihrer Gegenwart. Wie sie immer intensiver wurde. Wie sie langsam an die Oberfläche schwappte. Noch ein Stückchen und Mutter würde frei sein...
Die Tage waren schlichtweg hart, aufwühlend und ein großes Durcheinander.

>Das Kronenchakra. Es ist das spirituell höchste Chakra. Wenn wir dieses Chakra geöffnet haben, bist du befreit von allen Vorurteilen. Dann bist du erlöst und... hoffentlich liegt deine Verbindung zu Mutter frei und wir finden mehr darüber heraus.< Ich trat in den Ring aus Feuer. >Setz dich in den Schneidersitz und lege deine Hand in diese Position.< Sie verschränkte ihre Finger miteinander, doch die beiden kleinen Finger waren ausgestreckt und berührten sich an den Spitzen. Ihre Daumen lagen dabei überkreuzt.
Ich tat es ihr nach und schloss meine Augen.
>Wie fühlst du dich? Über die ganze Zeit hinweg. Was hat sich verändert?<
>Ich bin frei.<
>Gut. Und jetzt möchte ich, dass du das alles vergisst. Alles. Alles davor. Alles vor genau diesem Moment.< Ich stutzte, aber sie gab mir keine Chance zu fragen. >Du bist jetzt hier.< Ihr Finger berührte mich auf der Mitte meiner Kopfdecke. >Alles andere ist vollkommen abgeschaltet. Du. Bist. Hier.< Ihre Handfläche legte sich nun auf meinen Kopf. Hitze. Sie gab einen Laut von sich. Ich machte ihn nach und streckte meinen Rücken durch. Es hatte „Klick“ gemacht. >Du bist noch nicht angekommen. Erst wenn du ganz am Boden angekommen bist.<, hauchte sie.
Mitten in einem tiefen Atemzug, stoppte die Bewegung und ich hielt die Luft an.
>... Jenna?<
Mein ganzer Körper begann zu kribbeln. Meine Haut schien sich von mir zu lösen und mich Kilogramm leichter zurückzulassen.
Die Wärme, die aus ihrer Hand in meinen Kopf wanderte war wie Zunder. Es brachte etwas in Lauf. Anders als bei jeder Meditation davor begann mein Herz schneller zu schlagen. Furchtbar viel schneller. So viel schneller, dass ich das Rauschen des Blutes in meinen Adern fühlen konnte. Ein Druck baute sich in meinen Ohren auf. Als würde ich durch einen Tunnel rasen.
>Jenna, was fühlst du?<
Ich wollte „Leichtigkeit“ sagen, aber meine Lippen rührten sich nicht. Sie gehörten mir nicht mehr. Eher gehörte mir nichts mehr. Ich war verschluckt.
>Jenna, was fühlst du? Rede mit mir? Wo bist du?< Sie sog scharf Luft ein. >Mām̐ rōśanī. (Mutter Ignis)<, flüsterte sie.
Ich verlor die Kontrolle über meinen Körper und lag plötzlich aufgebäumt auf meinem Rücken. Alles in mir verdampfte sich. Ich hörte es knacken. Mir wurde schwindlig und als ich meine Augen öffnete, übermannte mich eine schwarze Welle und verschluckte mich., aber ich war nicht weg. Ich hörte noch immer Parvati sprechen.
>Jenna, wo bist du?!<
Ich verlor das Gefühl für Zeit und für die Umgebung. Der Boden unter mir bekam Löcher. Panisch versuchte ich oben zu bleiben, aber meine Glieder hörten nicht mehr auf mich.
>Jenna! Jenna, du...<
Ich richtete mich auf. >Madre in dorse. (Mutter ist wieder zurück.)<, entkam es meinen Lippen. Meine Stimme hatte einen weitaus tieferen Ton als normal.
Parvatis Hand legte sich in meinen Nacken und hob mich hoch. >Was hast du gesagt? Jenna, was hast du...?< Ihre Worte zitterten.
>Natus, Madre in dorse. (Mein Kind, Mutter ist wieder zurück.)<
Weg.
Mein Kopf klappte nach hinten und meine Lider sanken.
>Kleine. Mach die Augen auf.< Ihre warmen Finger strichen über meine Stirn und schoben die losen Strähnen aus meinem Gesicht.
Ich richtete mich auf und erschrak.
Parvati leuchtete.
Ich konnte ihre Blutbahnen sehen. Sie führten in die Mitte ihrer Brust, zu einem leuchtenden Punkt. Goldene Stränge, die sich an ihrem Herzen trafen. Es war surreal. Völlig außer mir schob ich sie von mir und kroch in die Ecke des Raumes. >Was zum Teufel soll das?!<, schrie ich und wandte mein Gesicht von ihr ab. Sie leuchtete, als wäre sie eine verdammte Sonne.
>Dein Chakren sind...<
>Warum...?! Du....?! < Ich blickte zur ihr und drehte mich sofort wieder weg.
>Jenna, komm her.< Sie berührte mich an meiner Schulter. Sofort versteckte ich mein Gesicht unter meinen Armen. >Ich bin für dich da, Jenna. Du kannst mir vertrauen.< Mein Herz raste. So schnell, dass es schmerzte. Ich begann mich vor und zurück zu wiegen. Ihr Licht linste zwischen den Lücken meiner Arme und Finger hindurch. Ich atmete durch und schloss die Augen, aber ich  konnte es dennoch sehen. >Du bist die Zukunft unserer Rasse, Jenna. Du bringst die Revolution und ich werde dich nicht allein lassen. Auch wenn ich nicht hier bin, werde ich dich immer beschützen.< Ich atmete durch. >Geht es dir gut?< Nervös nickte ich und linste zu ihr hoch. Sie leuchtete noch immer.
>Scheiße.<, zischte ich. >Kann ich... kann ich bitte schlafen gehen? Ich bin furchtbar... furchtbar müde.<
>Natürlich.< Sie half mir auf die Beine. Hastig entzog ich ihr meine Hände und ging vorab aus dem Raum. >Du bist jetzt gerade überfordert. Deine Gefühle sind ein einziges Chaos. Dein Geist ist nun auf die höchste Stufe sensibilisiert. Das zu verarbeiten braucht Zeit.<
Wir kamen die Treppen nach oben. Schüler kamen uns entgegen. Sie alle leuchteten. Goldene Stränge schimmerten durch ihre Kleidung hindurch und sammelten sich an ihrer Brust. Ihre Lichter waren fast schon schmerzhaft. Immer wieder blinzelte ich, da meine Augen zu brennen begannen.
Parvati begleitete mich zu meinem Zimmer. Vor der Tür nahm sie nochmal meine beiden Hände in ihre. >Lass mich dich übermorgen noch einmal sehen, bevor ich gehe, ja?<
Ich sah ihr ins Gesicht, gab mir dabei alle Mühe, das Leuchten auszublenden. >Ja, ich komme. Ich wünschte nur, du könntest etwas länger hier bleiben und mir helfen, denn...<
>Du brauchst mich nicht hier. Ich habe dir die Türen geöffnet. Es liegt nun an dir, durch sie durch zu gehen und du hast hier genügend Verbündete, die dir dabei liebend gerne helfen. Und du wirst einen Trainer zugeteilt bekommen, der dich ebenfalls unterstützen wird.< Sie lächelte mich  liebevoll an. >Ich mache mir nicht im Geringsten Sorgen um deine Zukunft, Jenna.<
>Danke, Parvati.< Ich wagte es nicht, meine Augen irgendwo anders hin zu richten, als ihr Gesicht.
Mit einem letzten Lächeln in meine Richtung nickte sie mir zu und ging davon.
Erst im Badezimmer fiel mir auf, wie verdammt nochmal durchgeschwitzt ich war. Meine Kleidung war nass. Ich warf sie alle in den Wäschekorb und stieg unter die Dusche. Das Wasser drehte ich auf höchste Wärme-Stufe. Das ganze Bad war mit Dampf gefüllt. Jeder Tropfen löste eine Art Erdbeben auf meiner Haut aus. Ich hatte das Gefühl nicht allein zu sein. Selbst in der Duschkabine sah ich über meine Schulter.
Ich war furchtbar erschöpft und ausgelaugt und gleichzeitig erschreckend sensibel. Alles zog eine Reaktion mit sich. Ein kleiner Windstoß und ich erlitt einen üblen Schüttelfrost. Sofort schloss ich das Fenster. Ich wälzte mich im Bett von Seite zu Seite, denn ich hörte und spürte die Gesellschaft einer anderen Person. Mein Bein zuckte nervös. Immer wieder setzte ich mich auf und sah mich um. Und das nur um frustriert zu fluchen und mich ins Bett zu werfen.
Kaum traute ich mich meine Lider zu schließen.
Mit einem Mal wusste ich, von jetzt an würde alles anders sein. Alles.
Die Revolution hatte begonnen.

20. Die Lösung

Wir räumten das Geschirr nach dem Mittagessen in die Spülmaschine ein. Beth erzählte mir von einem Typen aus einem Kurs, der ihr gefiel. Gleichzeitig konnte ich nicht aufhören, Brody anzuschauen. Sie leuchteten noch immer alle, aber ich hatte mich in gewisser Weise daran gewöhnt und gleichzeitig schien gerade das das Leuchten abzuschwächen.
Jedoch war das Ganze Nebensache, denn Brody zog mich an dem heutigen Tag ungemein an. Noch mehr als sonst.
Er war unfassbar heiß. Um Gottes Willen. Ich konnte mich nicht konzentrieren.
>... jeden Fall ist er echt scharf und ich glaube, er steht auf mich. Wir waren am Samstag zusammen mit ihm in dem Club und er war echt... Wir haben zusammen getanzt und es war...< Sie atmete durch und sah mich an. >Hörst du mir zu?<
>Ja, natürlich.< Ich hob meinen Blick von Brodys atemberaubenden festen Schultern und sah zu Beth. >Ihr habt getanzt und weiter?
>Ja, wir haben getanzt und wir haben dann auch rumgemacht, aber... Weißt du, ich habe keine Lust auf einfach nur...< Sie zuckte mit den Schultern. >... einfach nur eine Nummer zu schieben. Nach einer Weile wird das langweilig.<
Brody lehnte sich auf einmal neben uns an den Tisch und hielt uns beiden jeweils einen roten Apfel hin. >Die sind richtig gut.<
Ich nahm ihm einen ab. Unsere Finger berührten sich dabei. Gleichzeitig sahen wir einander in die Augen. Hatte er das auch gespürt?
Meine Fingerspitzen kribbelten. Seine rechte Augenbraue hob sich etwas an, aber er reichte Beth den zweiten Apfel und ging wieder zurück an seine Arbeit.
Meine Sensibilität gegenüber einfach allem war tagsüber noch auffälliger. Nicht das ich die Leute lauter hörte oder so was. Ihre Gegenwart war nur so dermaßen präsent. Egal wo ich hin lief, alle vier Elemente waren spürbar. Und natürlich das Leuchten. Ich brauchte pure und fokussierte Konzentration, um es ausblenden zu können. Ich vernahm eine Verringerung in der Intensität, doch das Leuchten war auch mit verringerter Intensität furchtbar surreal. Es waren so viele Lichter. So viele Schüler. Und alle kribbelten sie unter meiner Haut.
Beim Lernen im Aufenthaltsraum mit den anderen war ich vollkommen neben der Spur. Es war totenstill im Raum und gerade deshalb war alles schrecklich laut.
Ich sah in die Runde. Kyle brannte wie eine Fackel. Lichterloh.
Unsicher sah ich mich zur Tür um und wieder zurück zu den geöffneten Büchern und Blöcken auf dem Tisch.
>Jenna, alles in Ordnung?< Ich erwiderte Beth' besorgten Blick. Sie lächelte mich an.
Noch einmal schweiften meine Augen über der Lerngruppe. >Ja, es ist... Oh, verdammt.< Sie setzte sich auf und ihr Licht strahlte mir direkt ins Gesicht. >Wisst ihr was, ich glaube... Ich mach mich schon mal fertig für das Training. Ich kriege einen neuen Trainer und...< Ungläubig sah ich in diese Runde von strahlenden Kometen. >Gott verdammt.<, fluchte ich überfordert und massierte meine schmerzende Stirn, während ich durch den Gang lief.
>-ter.<
Ich sah mich um und suchte den Flur ab.
>Tochter.<
Ruckartig blieb ich stehen. Mein Atemrhythmus beschleunigte sich sofort.
>Ich habe dich gefunden, Tochter.<
Mit geschlossenen Augen ließ ich meinen Kopf nach vorne fallen und nahm einen tiefen Atemzug, um mich zu beruhigen. Ihre Stimme war laut und vibrierte in meinen Ohren. Als würde sie direkt hinter mir stehen.
Sie. Sie hatte mich gefunden.
>Wir werden schon bald vereint sein.<
Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. >Das pack' ich jetzt nicht.<, murmelte ich und ging weiter. Nicht jetzt. Leise wiederholte ich diese Worte und hielt mir die Ohren zu. >Nicht jetzt.<
>Schon bald.<
Atemlos ließ ich mich auf mein Bett fallen und schloss meine Augen. Alles war so nah und intensiv. Ich spürte einfach alles und jeden. Parvati hatte Recht gehabt. Nach diesen Meditation-Sitzungen war ich offen. Ich fühlte mich freier, geöffnet, selbstbewusster, sensibler und stärker. Aber meine Wahrnehmung. Meine Wahrnehmung.
Ich legte meinen Kopf in meine Hände.
Ich sah auf, als ich wieder dieses Vibrieren in der Luft spürte. Hastig stand ich auf und ging an die Tür. Eine Schülerin war vorbeigelaufen. Überrascht drehte sie sich zu mir um und winkte mir zu. Ich tat es ihr nach und lächelte.
Alle sprachen davon, wie sie einander fühlten. Die Energie, die Aura, was auch immer. Und das tat ich auch. Aber jetzt war es jedes Mal ein Erdbeben.
Ich zog mich um, als es Zeit wurde, nach unten zu gehen. In der Cafeteria füllte ich mir meine Flasche auf und lief langsam zur Trainingshalle hinunter. Mir war schlecht, aber ich würde es nicht aushalten Nichtstunt im Zimmer herumzulungern, während alles gefühlt zusammenbrach.
Als ich in die Halle trat, stand dort Isaac mit unergründlicher Miene auf dem Gesicht und sah zu mir. Zur Tür.
>Hey, was machst...?<
>Ich bin dein neuer Trainer. Wieder. Du... Irgendwas ist anders bei dir... Was?< Er stellte das Gewicht in seiner Hand auf dem Boden ab und kam auf mich zu. Wir standen voreinander und er beobachtete mich misstrauisch.
>Hi, freut mich auch, dich zu sehen. Cool, dass du wieder mein Trainer...< Er nahm meine Hand in seine und legte seine Nase an den Rücken. >Was...?!< Hastig entzog ich ihm meine sie und sog scharf Luft ein.
Seine Augen weiteten sich. Auch ich hatte diesen plötzlichen Wechsel gespürt. Diese plötzliche Hitzewelle, die mich überschwemmte. Ertränkte. Mich hinabzog. Nur für diesen kurzen winzigen Teil einer Sekunde.
>Was habt ihr getan?<
>Wärst du, so wie du es gesagt hast, mal gekommen und hättest zugesehen, dann...< Ich atmete durch. Das Gefühl seiner Gegenwart war unbeschreiblich. >Fangen wir einfach an, ja?< Ich ging an ihm vorbei zu den aufgebauten Geräten.
>Aber... geht es dir denn gut? Du kommst mir nur so... strahlend vor.<
Ich zwinkerte ihm zu, um meine steigende Unsicherheit zu verbergen. >Danke, Isaac.<
Kopfschüttelnd lächelte er. >Los. Ab zu den Gewichten und Krafttraining.<
Ich schluckte die aufkommende Aufregung herunter und ging zu erst ans Strecken. Isaac beobachtete mich. Und ich beobachtete ihn, wann immer es ging. Er hatte Recht, hier war etwas anders. Wie ein Magnet zog er mich an.
>Nicht zu fassen.<, flüsterte ich.
>Was?<
>Nichts. Ich wäre dann aufgewärmt. Wollen wir anfangen?<
Er nickte und stand auf. Zusammen stellten wir uns auf die Matte. >Ich war nicht bei deinen Meditationen mit Parvati dabei, aber ich habe bei deinen Kämpfen zugesehen. Das war doch der Ersatz dafür oder?<, fragte er. Ich nickte. >Das war gut. Sehr gut. Die Kampfstile unterscheiden sich zwischen den Elementen. Erde ist am Boden und sehr grob. Wasser unglaublich wendig und nicht zu fassen. Luft ist leicht und bleibt oben. Und Feuer... Feuer ist unvorhergesehen und rasch. Es ist wichtig sich auf verschiedene Kampfstile vorzubereiten.<, erklärte er und ging in Kampfstellung. >Als ich noch Schüler war...<
>Mann, muss das lange her gewesen sein.<
Er lachte. >Vorsicht, Young.<, warnte er mich. >Als ich noch Schüler war, habe ich ebenfalls sehr viel mit den anderen Schülern trainiert und...<
>Kann ich mir vorstellen.<
>Jenna, bitte.< Seine warnender Unterton wurde von seinem Lachen zerstört. >Ich habe ebenfalls mit den anderen Schülern trainiert und es hat mir sehr geholfen.<
Wir begannen zu kämpfen.
Und zum ersten Mal seit ich hier war und seit ich mit Isaac trainierte, schaffte ich es ihn zu Boden zu ringen.
>Oh. Mein. Gott.<
Er verdrehte die Augen. >Es ist nicht so ein großes...<
>Oh! Mein! Gott!<, wiederholte ich lauter. Ich stieg von ihm runter und hob die Arme. >Wo sind die Luftballons? Meine Trophäe?< Ich drehte mich lächelnd zu ihm um und half ihm auf seine Beine. Das Adrenalin in meinem Blut schien meine Reaktion auf seine Berührung zu überdecken.
>Gut gemacht.< Seine Mundwinkel sanken. >Darf ich dich etwas fragen?<
>Natürlich.<
>Wie geht es dir? Irgendetwas ist anders.< Ich verneinte und ging wieder in Kampfhaltung. >Jenna, bitte.<
Seufzend sah ich ihm erst ins Gesicht und setzte mich anschließend ergeben auf die Matte. Isaac tat es mir nach. >Wenn ich es dir sage, denkst du sowie so nur, dass ich wahnsinnig bin.<
>Vielleicht, aber ich werde dir glauben.<
Also erzählte ich ihm alles. Von den Meditationen und der Veränderung in mir und meiner Wahrnehmung. Geduldig hörte er zu, nickte hier und da und ließ sich nichts anmerken. Ich behielt meine Augen so oft und lang es ging am Boden, weil ich einfach furchtbare Angst hatte. Doch wann immer ich aufsah war da nichts von Furcht, Unglaube oder sonst was zu sehen. Er hörte einfach zu. Und mehr wollte ich nicht.
>... deswegen habe ich Angst, denn sie geht und dann bin ich alleine damit, verstehst du? Sie konnte sich so gut in mich hineinversetzen und es ist einfach...<
>Du hast mich, Jenna.< Er nahm meine Hand in seine. >Du hast mich und ich werde nicht von deiner Seite weichen, hörst du?< Ihr atmete zur selben Zeit überrascht scharf ein. Irritiert blickte er kurz zu unseren Händen hinunter. >Ich spüre das. Schon als du hier reingekommen bist. Gänsehaut auf meinem ganzen Körper. Du hast Recht, du bist offen. Hast du sie... sie gehört?< Ich nickte. >Was sagt sie?<
>Das sie mich gefunden hat.<
Er blies seine Wangen auf und ließ die Luft langsam raus. >Das ist...<
>Ich bin überfordert. Ihr alle seid so da. Einfach da. Permanent, intensiv und extrem. Und das...< Vorsichtig hob ich meine Finger und legte sie an seine Brust. Direkt in den leuchtenden Kreis. >... das ist verdammt gruselig. Ich sehe es... Deine Kraft und Energie...< Ich folgten den Linien über seine Schulter. Elektrische Ströme schienen meinen Berührungen nach zu schleichen. >Wie sie in dir pulsiert und...< Meine Augen trafen auf seine.
>Jenna, ich...< Er räusperte sich und schwieg für eine kleine Weile, bevor er leicht den Kopf schüttelte. >Für heute ist das wohl genug. Du solltest dich ausruhen und morgen früh... Parvati hat gewünscht, sich morgen früh bei dir verabschieden zu können. Deswegen fängt der Unterricht bei dir später an. Um 9Uhr vor dem Schulgebäude, in Ordnung?< Ich nickte nur wieder stumm. >Gut, dann... schlaf gut und bis morgen.<
Ich stand auf und ging davon. >Gute Nacht, Isaac.<, murmelte ich auf dem Weg nach draußen. Mein kompletter Körper kribbelte. Alles.
Und während ich duschte und mich anschließend umzog, war ich in Gedanken ganz weit weg. Isaac verblasste aber bald. Alles verblasste, während in mir ein tiefes Loch einen ebenso tiefen Hunger hervorrief.
Ich stand vor meinem Bett und sah es an. Leer und einsam.
Warum mir das auffiel?
Hitze schwellte in mir an. Ich hatte Lust.
>Scheiß drauf.< Ich spuckte die Zahnpasta aus, wusch meinen Mund und ging aus dem Zimmer. Mit festen Schritten verließ ich den Mädchenflügel.
In diesem Moment passierten viel zu viele Dinge in meinem Körper, speziell in meinem Kopf. Ich musste diese Energie raus lassen. Ich musste diese Gefühle loswerden. Jetzt und sofort.
Vor dem Treppenabsatz blieb ich stehen und sah mich um. Meine Brust hob sich hastig.
>Wo gehst du hin?< Jack. Er kam von unten hoch.
Ich sah ihn an. Taxierte ihn und wandte sofort entsetzt mein Gesicht ab. Was war hier los? Ich atmete durch. >Ich... ich weiß es nicht.<
>Du siehst... scharf aus.<
>Halt den Mund.<, schnauzte ich und ging weiter.
Vor seiner Zimmertür blieb ich stehen und klopfte an.
>Eh... ja?< Ich drückte den Henkel hinunter und trat ein. >Bin im Bad. Wer ist da?<
>Jenna.<, sagte ich und lehnte gegen die Wand. Die Badezimmertür ging auf. Brody stand wie Gott ihn geschaffen hatte am Waschbecken und war dabei sich Rasierschaum auf die Wange zu verteilen.. Hungrig, hungernd wie ein Wolf, betrachtete ich ihn von oben bis unten. Die Erregung, die dabei in mir widerhallte, war immens. Ich zog mein T-Shirt aus. Darunter trug ich lediglich ein Höschen. >Hör auf.<
>Wieso? Ich hab langsam einen...< Er sah mich an und stockte. Seine Augen wanderten an mir herunter. >Was tust du?< Ich schloss die Tür ab. >Jenna, wir haben doch gesagt, dass wir warten.<
Ich trat einen Schritt zurück, sodass er mich gut sehen konnte. >Wir haben gewartet.< Seine Zunge drückte gegen die Innenseite seiner Wange, während seine Augen wieder an mir hinunterliefen. >Genug gewartet.<, murmelte ich und sah ihm dabei zu, wie er sich die Hände wusch und sich ein Handtuch um die Hüfte wickelte.
Er kam zu mir raus. Ich ging auf die Zehenspitzen und schlang meine Arme um seinen Nacken. >Wir werden nicht miteinander schlafen.<, murmelte er an meinen Lippen und zog mich an mich heran. Seine große, warme Hand drückte sich tief an meinen unteren Rücken. >Jenna...< Ich schob meine Hand hinunter zu seinem Handtuch und zog den Knoten auseinander. >Jenna.< Er schob m ich von sich und schüttelte den Kopf. >Hör auf. Wir waren beide damit einverstanden, zu warten. Warum... warum musst du das jetzt...?< Überfordert rieb er sich das Kinn. Ich blieb ruhig und wartete lediglich. >Ich verstehe nicht, warum du.... Wir haben doch...< Er atmete durch und sah mich wieder an. Es war ihm anzusehen, welch eine Wirkung mein Auftreten auf ihn hatte. Damit hatte ich gerechnet. Ich wusste, was mein Gesicht und mein Körper bei dem richtigen Publikum hervorrief. >Verdammte scheiße, du bist...< Ich streckte meine Hand zu ihm aus. Sofort packte er sie und stieß mich gegen die Wand. Ein Kitzeln entstand in meinem Bauch. Atemlos ließ ich meinen Kopf nach hinten fallen und biss mir auf die Unterlippe. Zwei Mal beobachtete ich, wie er tiefe Atemzüge nahm, bevor er sich mit aller Kraft auf mich stürzte und küsste. Gerade als ich meine freie Hand an seine Wange legen wollte, packte er auch diese und drehte sie mir beide auf den Rücken.
Überrascht weiteten sich meine Augen. Ich war auf die höchste Stufe sensibilisiert. >Also kein Sex?<, fragte ich schmunzelnd.
>Halt die Schnauze.< Mit Leichtigkeit hob er mich auf seine Arme und trug mich zum Bett, wo er mich einfach drauf warf. Ich rutschte bis hoch an den Kopf und lächelte aufgeregt. >Du bist wirklich... hinterlistig. Kommst hier einfach her...< Mit einer kurzen Bewegung riss er sich das Handtuch herunter. >... und verführst mich. Komm her!< Er schnappte nach meinem Fußgelenk und zog mich zu sich runter. Lachend stieß einen kurzen schrillen Schrei aus und stützte mich auf meinen Ellenbogen ab. >Das findest du lustig, was? Huh?!< Wieder eine Bewegung und er hatte mir mein Höschen zerrissen. Die beiden Fetzen warf er ohne viel Getue hinter sich auf den Boden. Er winkelte meine Beine an und kniete sich zwischen sie auf das Bett.
Ich schob meine Hand in seinen Nacken und zog ihn zu mir runter an meine Lippen. >Sei ruhig.<, flüsterte ich.
>Glaub nicht, dass das hier jetzt nach deinen feuchten Vorstellungen ablaufen wird.< , raunte er mit scharfem Unterton, nahm meine Hände und hielt sie mir beide über den Kopf. Aufgeregt wartete ich, während er Kondome aus seinem Nachttischfach holte. Er fuhr mit Zeige- und Mittelfinger zwischen meinen Brüsten entlang zu meinem Bauchnabel und weiter runter zu meiner Scham. Heftig atmete ich und sah der Spur, die sie fuhren, erregt nach.
>Ah!<, schrie ich laut und streckte mich.
Brody reizte mich bis zur unerträglichen Grenze und hörte dann abrupt auf. Schwer atmend erwiderte ich seinen Blickkontakt. Er wirkte so weitaus wilder und skrupelloser, als bei Tage. Stürmisch küsste er mich, umfing mit seiner freien Hand meine Hüfte und sank auf mich nieder. >Na, Baby? Langsam und gemächlich.< Lustvoll biss er mich auf die Unterlippe und wanderte küssend meinen Hals hinab. Er streifte sich das Kondom über.
Ich schloss meine Augen. >Brody?<
>Was?<
Ich schlang mein Bein um seine Hüfte. >Jetzt.< Er stieß in mich und begann sich sinnlich und ruhig zu bewegen. Keuchend bäumte ich mich auf. Meine Muskeln entspannten sich und alles rückte in weite Ferne.
Erleichterung.
Gott, wie gut sich das anfühlte.
Pure Befreiung.
Nur wir beide und unsere schlagenden Herzen waren zu hören. Mehr nicht und mehr war nicht von Nöten. Nicht im Geringsten.
Brodys Körper war fest, sehnig und fühlte sich einfach fantastisch an. Wie er sich aufwärmte und sein heißer Atem auf meiner Haut kondensierte.
Wir drehten uns, bis ich auf ihm saß. Ich stützte meine Hände auf seinen Schultern ab und nun lag es an mir, mich zu bewegen. Wir küssten uns. Er umfing meine Taille und zog mich rhythmisch an sich. Ich zerzauste sein volles Haar und hob sein Kinn an.
Die Empfindungen sprudelten in mir über und mit jeder Sekunde wurde das Gefühl intensiver. Alles war in Vergessenheit geraten.
Jeder Schmerz. Jede Unsicherheit. Jedes noch so kleine Problem.
Brody und ich. Sonst nichts.

21. Genesung

Ich umfing Brodys Kinn und senkte es, sodass ich ihn küssen konnte. >Du bist nicht im Geringsten so nett und süß, wie du scheinst, Broderick.<, säuselte ich an seinen Lippen und kroch über ihn.
Er lächelte mich mit diesem wundervollen Schlafzimmer-Blick an und schob mir ein paar der losen Strähnen hinter die Ohren. >Halt die Klappe.<
>Du hast mein Höschen zerrissen. Du hast es einfach...< Ich setzte mich auf, legte meine Hände aneinander und tat so, als würde ich etwas ruckartig auseinanderreißen. >... in zwei Teile gerissen und mich genommen!<, rief ich aus.
Kopf schüttelnd umfing er mein Gesicht. >Sei ruhig und schlaf jetzt. Du bist überdreht.<
Natürlich war ich überdreht. Nach meinem mehr als zufriedenstellenden Höhepunkt, hatte ich gleich darauf einen weiteren Hochpunkt, als ich bemerkte, wie Brodys Leuchten sich verdunkelte und das Gefühl seiner Energie sich gleichzeitig verringerte. Beides schraubte sich bis zu einem angenehmen Grad hinunter. Es war eine furchtbare Erleichterung.
Ich war vollkommen ausgeruht. Jegliche Last war von meinen Schultern gerutscht. Er leuchtete nicht mehr, die Anwesenheit der gesamten, verdammten Schüler- und Lehrerschaft war nicht mehr so intensiv wie zuvor.
Ich sog scharf Luft durch die Nase ein und stieß sie durch den Mund wieder aus. >Ich will nicht schlafen. Ich bin nicht müde. Tatsächlich... bin ich sogar sehr wach und...< Ich rutschte weiter nach unten und verteilte Küsse auf seiner Brust.
>Du bist unersättlich, Jenna.< Seine Hand legte sich auf meinen Hinterkopf, während er hastig zu Atmen begann. >Unersättlich und verdammt nochmal wirklich gut darin, jemanden...< Er sog scharf Luft ein, als ich mit meinen Lippen an seiner Leiste ankam. >Jenna, warte Mal.< Seine Hand bedeckte auf einmal seine Genitalien.
Fragend sah ich zu ihm auf. >Was ist?<
>Ich will nicht, dass du das machst.<
>Was? Warum nicht?<
>Ich weiß nicht, das ist...<
Ich küsste seinen Handrücken. >Brody, nimm die Hand weg.<
>Es wäre nicht richtig, dass deine schönen Lippen so etwas machen. Das ist einfach...<
Lachend stützte ich meine Hände auf jeweils eine seiner Seiten und tippte kurz mit meiner Nase an seine. >Diese schönen Lippen und alles was zu ihnen gehört sind deines, Brody.< Seine Brauen hoben sich an. >Warum solltest du nicht von allem an mir ein Vorteil beziehen?<
>Du bist kein Gegenstand und ich...<
>Du hast mir auch...<
>Ja, aber ich bin nicht du und ich denke...<
Ich küsste ihn. >Ich will das für dich machen.< Noch ein Kuss auf seine Wange. >Bitte.< Er erwiderte meinen Blick. >Bitte.<
>Du musstest bestimmt noch nie jemanden dazu überreden, ihm einen blasen zu dürfen, huh?<, fragte er schmunzelnd.
Ich schüttelte den Kopf. >Musste ich noch nie, nein.< Wir lachten beide. >Jetzt sei ruhig und lass mich machen.< Ich drückte ihn zurück auf das Bett und wanderte wieder küssend an seiner Brust hinab. Seine Bauchmuskeln spannten sich dabei an und ab. Zärtlich schob ich seine Hand beiseite und küsste ihn.
>Verdammt, ich fahre in die Hölle.<, hörte ich ihn flüstern.

>Kommst du noch in den Unterricht später?<, fragte mich Brody.
Ich nickte. >Ja. Danach.<
>In Ordnung. Dann sehen wir uns später.<
Ich machte mich in meinem Zimmer fertig und joggte dann schnell raus auf den Hof vor der Schule, wo Parvati sich gerade von den beiden Rektoren verabschiedete. Zwei Männer in Schwarz räumten Koffer in eine ebenfalls schwarze Limousine. Sobald sie mich sah, wandte sie sich von den beiden ab und breitete die Arme aus.
Ich lief auf sie zu und umarmte sie. >Parvati.<, flüsterte ich.
Sie fuhr mit beiden Händen über mein Haar. >Keine Sorge, meine Kleine. Es wird dir gut gehen.< Liebevoll strich sie meine Kleidung glatt und lächelte mich an. >Ich werde am Königshof auf dich warten und in dieser Zeit alles dafür tun, um dich zu beschützen, ja?<
>Danke, Parvati.< Ich schob meine Finger zwischen ihre und senkte meinen Blick.
>Ich möchte, dass Sie beide ein Auge auf diese Schülerin haben. Und ich möchte ebenfalls immer auf dem Laufenden bleiben. Verstanden?<
Ken und Isaac nickten. >Natürlich.<
>Du bist hier in guten Händen. Kümmere du dich darum, deine Verbindung zu deinem Inneren zu stärken.< Ich schlang meine Arme wieder um sie herum. >Mach mich stolz, Jenna.< Ich nickte und trat wieder einen Schritt zurück. >Wir sehen uns wieder.< Sie drückte noch einmal meine Schulter und zog ihre Mundwinkel nach oben. >Gib dir Mühe in der Schule, ja? Bis bald, Prinsēsa (Prinzessin).< Sie setzte sich nach hinten ins Auto und winkte mir noch einmal zu, bevor der Wagen sich in Bewegung setzte und der Fahrer sie einfach mitnahm.
Niedergeschlagen seufzte ich. >Ich bin jetzt eine Kriegerin des Feuers und... ich soll auch die Verbindung zur Göttin des Feuers haben. Sie soll in mir sein. Was soll ich jetzt machen?<
Ken sah Isaac an, der mich ansah. >Komm.< Wir liefen zum Schulgebäude. >Du musst uns über alles Bericht erstatten. Wir werden dir für jede Situation Hilfe erstatten. Aber jetzt erst einmal gehst du in den Unterricht.<
>In Ordnung.<, sagte ich nur und ging runter in das Klassenzimmer.
Beth winkte mich zu sich und ließ mich neben ihr auf dem Platz sitzen.
>Wo warst du?<, fragte sie mich.
Ich fuhr mir durchs Haar und packte meine Sachen aus. >Ich habe Parvati verabschiedet.<, antwortete ich.
>Ihr wart echt eng miteinander oder?< Ich zuckte mit der Schulter. >Aber du hast ja immer noch deine beste Freundin bei dir, die dich tröstet.<, sagte sie und schlang ihre Arme um mich herum.
Schmunzelnd lehnte ich meinen Kopf an sie. >Danke, Beth.<
>Kein Problem, Schwester.<

Der Sport-Unterricht war seltsam.
Anfangs war ich eigentlich ziemlich entspannt, aber dann...
Ich beugte mich hinunter und zog mich mit meinen Händen weiter durch meine Beine. Als ich meine Augen öffnete erblickte ich Brody. Er stand mit einer Gruppe von anderen Schülern bei den Geräten und lächelte mich an. >Gefällt mir, deine Position!<, rief er.
Kopf schüttelnd stemmte ich meine Handflächen gegen den Boden und hob meine Beine zu einem Handstand an.
Er zuckte mit den Schultern. >Daraus kann man sicherlich auch was machen.<
>Broderick, bitte.<, hörten wir plötzlich die warnenden Worte von Isaac. Mit den Armen vor der Brust verschränkt beobachtete er die Kampfübungen von Penny und Kyle. >Halte Kommentare solcher Art aus meinem Unterricht.<, verlangte er wenig amüsiert. Brody nickte bloß und zwinkerte mir zu, gerade als er an die Gewichte durfte. >Jenna, linke Hand.<
>Ich bin Rechtshänder.<
>Ich weiß.<, erwiderte Isaac ohne mich überhaupt anzusehen.
Ich nahm tief Luft und legte meine rechte Hand an meinen Rücken. Langsam beugte ich meinen Arm und streckte ihn wieder. Stoßweise entließ ich die Luft aus meinem Mund, während ich diese Übung wiederholte.
Mit gewärmten Gliedern machten Beth und ich uns dazu bereit, zu kämpfen.
>Nein, Jenna. Du kämpfst mit Daphne.<
>Was? Aber... Beth und ich...<
>Ich möchte, dass du mit Daphne kämpfst. Beth, du und James.<
Verblüfft sah sie mich an. >In Ordnung.<
>Dann los, Daphne.<
Sie stand von der Bank auf. Mit dem streng nach hinten gebunden Zopf und der schwarzen Sport-Kleidung wirkte sie... Ich musste ehrlich zugeben, etwas einschüchternd.
Wir stellten uns voreinander.
Mir war klar, dass dieser Übungskampf die Fortsetzung unserer Auseinandersetzung draußen war. Ich konnte sehen, wie ein paar der anderen uns beobachteten.
Isaac nickte uns zu, damit wir anfingen.
Ich konnte Daphnes Faust, die gleich darauf auf mein Gesicht zu raste, gerade so noch ausweichen. Sie war dabei. Ihre Schläge, Kicks, jede Bewegung war präzise, genau und voller Kraft. In ihr steckte Wut und pure Abscheu. Gott, konnte die mich nicht leiden. Und ich mochte sie auch nicht. Nicht ein wenig. Fühlte sich gut an, ihr wieder einmal eine zu verpassen.
Genau deshalb tat ich das dann auch und ließ dem direkt darauf einen Tritt folgen. Sie taumelte zurück, fasste sich aber rasend schnell wieder. Sie drehte sich im Kreis und riss mir ihren Ellenbogen ins Gesicht. Mit meiner Hand in ihrer schleuderte sie mich über ihre Schulter auf die Matte. Bevor sie mich losließ, zog ich sie ruckartig zu mir und sprang sie gleichzeitig an, sodass sie auf dem Boden zu liegen kam, wo ich demonstrativ meine Hand gegen ihre Kehle hielt.
Isaac klatschte in die Hände. >Gut. Sehr gut. Beide.<
Nickend stand ich auf und wollte ihr auf die Beine helfen, aber sie ignorierte mich und richtete sich so auf. Ich lief auf Brody zu, der mich mit einer Verbeugung lobte.
In dem Moment entstand ein reißender Schmerz in meinem Rücken. Ich schrie laut auf. Meine Knie knickten ein und ich war plötzlich auf allen Vieren.
>Jenna!< Brody kniete vor mir.
Ich sah runter zu meinem Bauch. Die Spitze eines Spießes guckte heraus und das Blut floss nur so heraus.
>Verdammte Scheiße, Daphne!< Als ich auch die Kraft meiner Arme verlor, fing er mich auf und nahm mich hoch. >Ich bringe sie hoch...!<
>Nein.< Eiskaltes Wasser lief an mir hinab. Ich wurde herum gereicht. >Jessica und Daniel. Ihr bringt Daphne zum Rektor und die restlichen Schüler führen ihre Übungen fort.< Isaac trug mich aus der Halle.
>Sie... hat mich erstochen.<, bemerkte ich entsetzt.
Isaac nahm meine Hand und drückte sie fest an meine Wunde Der Spieß fiel herunter und zerbrach auf dem Boden. >Behalt deine Hand hier. Und spare deine Energie auf. Desto tiefer die Verletzung, umso mehr Zeit braucht dein Körper, um diese zu heilen.< Mein Oberteil klebte feucht an meinem Rücken und meinem Bauch. Der metallische Geruch von Blut verteilte sich in der Luft. Er war so stark, dass ich fast würgen musste.
Ich lehnte meinen Kopf an Isaac Brust, während ein Kitzeln unter meinen Fingern  entstand. Es kribbelte und ziepte, während drumherum mein Gefühl schwand.
Mein Arm wurde taub und Blut sickerte durch meine Finger hindurch. Ich schluckte schwer. Der Geruch transportierte sich auf meine Zunge. >Wir sind gleich auf der Krankenstation. Nicht einschlafen.< Nicht ein Fünkchen Panik steckte in ihm. Seine Gesichtszüge und seine Stimme waren beide fest und stabil.
Ich war nicht müde. Ich wusste, ich sollte jetzt müde sein. Das Blut floss nur so aus mir heraus und mit diesem sollte sich meine Konzentration und meine Wachsamkeit verringern. Jedoch geschah nichts dergleichen.
Ich krallte meine Finger in Isaacs Nacken, als das Ziehen in der Wunde für eine Sekunde stärker wurde. >Isaac.<
>Was?<
>Isaac, lass mich runter.<, bat ich etwas panisch. Hier passierte etwas. Erneut.
>Wir haben keine Zeit dafür, Jenna. Warte noch...<
Ich atmete durch. Etwas Kühles erwachte unter meiner Hand. Und das dickflüssige Blut verlor an Wärme. >Lass mich runter.<, knurrte ich erneut.
Isaac setzte mich auf meinen Füßen ab. Ungläubig sah ich runter auf meine Seite. >Jenna, wir müssen dich schnellstmöglich zu einem...< Seine Augen weiteten sich, als ihm auffiel, was da unter meiner Hand steckte. Nämlich nichts.
>Wo zum verdammten Teufel nochmal ist die scheiß Wunde hin?!<, zischte ich atemlos und starrte ihn an. Ich krempelte mein Oberteil hoch, sodass mein Bauch frei lag. Das Blut verschmierte meine Taille, aber als ich darüber wischte... Wo vorher noch erst Schmerz und dann Taubheit pulsierte war nun rosige Haut und kein Zeichen von einer Wunde. Kein. Zeichen.
Ich wusste schon immer, dass ich schnell heilte. Schürfwunden und jegliche Art von Krankheit kurierte bei mir sehr schnell aus. Sehr schnell. Aber in dieser Situation bohrte sich ein scheiß Speer in meinen Rücken. Durchbohrte mich. Es war nicht möglich, dass diese tiefe Wunde so schnell heilte. In diesen 5 Minuten. Wenn ich mich umsah, konnte ich die Blutspur auf dem Boden sehen, die ich hinterlassen hatte. Eine Menge scheiß Blut.
>So etwas...< Er fasste an die Stelle, wo eigentlich ein blutiges Loch klaffen sollte. >Wir... bringen dich trotzdem zum Doktor. Das müssen wir ansehen lassen.< Ich schob seine Hand beiseite, als er mich mit sich ziehen wollte.
>Nein, nein. Mir geht es gut. Lass mich diesem miesen Miststück zurückgeben, was...< Da schmiss Isaac mich über seine Schulter. >Lass mich runter, Isaac! Sie hat mich.... Hör mal!<
Ohne auf meine Worte zu achten trug er mich einfach durch die Flure. >Hier geht es nicht um Rache, Jenna. Sie hat einen Fehler gemacht und es liegt nun an dir, dich nicht in diesen Fehler mit rein ziehen zu...<
>Lass mich mit diesem Scheißdreck in Ruhe, Isaac! Ich will runter! Sofort!<
>Auf keinen Fall.<
Ich fluchte und trat um mich, aber Isaac war gnadenlos und brachte mich unter meinem Gebrüll auf die Krankenstation, wo die Ärzte, Schwestern und die Patienten mit großen Augen zu mir sahen.
>Jenna wurde von einer Mitschülerin mit einem Speer aus Eis angegriffen.< Dr. Jester suchte mich sofort nach Verletzungen ab, jedoch vergeblich. >Die Wunde ist... auf dem Weg hier her verschwunden.<
Sie lachte. >Wie bitte? Wie tief ging der...?<
>Durch.< Ich schnalzte mit der Zunge und warf Isaac einen anklagenden Blick zu, den er meisterhaft ignorierte.
>Das kann nicht sein. Für eine so tiefe Wunde bräuchte der Körper eines Bändigers mindestens eine Woche. Ein Mensch bräuchte einen Monat... Ist die Wunde vollkommen...?<
>Weg. Sie ist weg. Nicht mehr da. Was wird mit Daphne passieren?<, fragte ich Isaac.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich zur Ärztin. >Das ist nicht deine Sache. Wie kann das sein?<, fragte er sie.
>Es muss...< Sie betrachtete mich nachdenklich. Es wurde ruhig im Raum. >Ich kann mir das nur durch ihre Verbindung... zur...<
Isaac fasste sich frustriert an das Nasenbein. >In Ordnung. Untersuche sie, bitte. Nur um Sicher zu gehen.< Er tätschelte kurz meine Schulter. >Ich kümmere mich um Daphne.<
>Kümmere dich gut um sie oder ich übernehme das.<, rief ich ihm nach. Er hob nur eine Hand zur Antwort.
Ich legte mich auf die Liege und ließ mich von Dr. Jester abtasten. Sie machte eine rundum Untersuchung. Ich wurde geröntgt, alles gemessen. Wie erwartet kam nichts raus. Da war nichts. Alles war so wie es sein sollte.
>Ich kann mir das nicht erklären.<
Ich fuhr mir durchs Haar. >Das kann niemand.<
In diesem Moment wünschte ich mir Parvati her. Sie hätte die richtigen Worte gefunden,  um mich aufzumuntern. Irgendwo wäre sie der Hoffnung fündig geworden. Das Ganze wäre für sie ein Wunder. Ein Grund zu feiern und weiter die Götter anzubeten.
>Für heute kannst du gehen.<
>Darf ich trainieren?< Sie lächelte mich an und nickte. >Danke. Bis dann, Dr. Jester.< Im Zimmer zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus und betrachtete mich im Spiegel. Mein Bauch war bis runter zu meinem Höschen voll mit Blut, aber keine Wunde in Sicht. Ich gruselte mich vor meinem eigenen Körper. Diesen radioaktive Superhelden-Scheiß konnte ich nicht verdauen.
Ich duschte kurz und tastete die Pseudo-Wunde ab. Es fühlte sich vollkommen normal an. Da war nicht einmal eine Narbe. Nichts. Gott, das war krank.
Ich schlüpfte in frische Kleidung und streckte mich. Fast fühlte sich mein Körper besser an. Gesünder. Fitter. Ich beugte mich von Seite zu Seite und versuchte zu fühlen, was in mir vorging. Die Antwort: Nicht das Geringste Etwas.
>Oh Mann. So funktioniert das nicht.< Ich sollte mich in Schmerzen krümmen und schreiend heulen. Genau das sollte passieren, wenn ich mich nach einem Speer in meinem Körper bewegte, als würde ich Yoga machen. >Was... läuft hier nur ab?<, fragte ich mich selber. >Warum kann nicht einfach alles normal...? Oh...< Ich ließ meinen ganzen Körper entspannen und warf mich auf das Bett. >Vielleicht sollte ich die verschissenen Avengers anrufen. Die haben keinen Feuerspuckenden, Menschenverbrennenden, pubertären Böller.<, brummte ich und schloss kurz meine Augen.
Nach einer Weile aber begannen die Wände mich einzuengen und ich verließ fast atemlos das Zimmer. Auf dem Weg durch die Flure kam Beth mir entgegen.
Beziehungsweise sie rannte auf mich zu. >Ach du Scheiße, Jenna! Diese Schlampe!<, rief sie laut aus. Die Schüler um uns herum sahen auf. >Geht es dir gut? Soll ich dir irgendwas bringen?<
Lächelnd schlang ich meine Arme um sie und atmete durch. >Ich will gar nicht über sie nachdenken.<
>Du kannst auch gar nichts machen. Keine Ahnung, wo sie ist. Jess und Danny haben sie zu Kevin gebracht und von da...< Sie zuckte mit den Schultern und führte mich mit sich in den Aufenthaltsraum. >Unglaublich, dass sie das gemacht hat. Das ist...< Sie runzelte die Stirn. >... so psychotisch. Ich verstehe nicht, wie sie zu solchen Längen gehen konnte. Das hätte echt ein mieses Ende haben können. Und jetzt? Du kannst nichts mehr machen, ich meine... In den Unterricht wirst du trotzdem kommen müssen, aber das Training fällt komplett aus und das ist für einen Schüler an dieser Schule der Horror. Also...<
>Ja, das ist... so eine Sache.<
Wir traten in den Raum. Schüler saßen auf den Sofas und an den Tischen. Als ich aber reinkam blickte eine Gruppe auf und das Tuscheln erwachte. Wobei aber genügend Leute direkt auf mich zu kamen und fragten, was ich mit Daphne tun würde.
Und eigentlich wollte ich ihr liebend gern den Arsch aufreißen und sie einfach... einfach so fertig machen, dass sie nie wieder auch nur einen Gedanken dafür verbrauchen würde, mich anzugreifen. Ich wollte sie loswerden, aber... mit jeder Minute in der meine Wut verstrich, verlor ich ebenfalls das Interesse daran, mich zu rächen. Was brachte es schon? Sie würde nur wieder auf mich zurückkommen und aus dem ganzen entwickelte sich ein Teufelskreis. Ich hatte genügend damit zu tun, meine eigene Situation auszusortieren, da gab es keine Zeit für einen blutigen Zickenkrieg.
>Hey.< Brody und Kyle kamen herein. Er ging sofort vor mir in die Hocke und legte seine Hände vorsichtig auf meine Oberschenkel. >Geht es dir gut?<, fragte er besorgt.
Ich lächelte über seinen Gesichtsausdruck. >Ja, danke. Es gibt kein körperliches Problem, stattdessen...< Etwas aufgeregt schluckte ich. >... ist alles geheilt.<
Kyle, Jack, Paul und Beth riefen ein lautes „Was?!“ aus.
>Ausziehen! Sofort!<, grölte Jack.
Brody drehte sich zu ihm um. >Jack, keine Zeit dafür. Was meinst du?<, fragte er. Das Letzte an mich gerichtet.
>Ich meine damit, dass ich keine Wunde mehr am Bauch habe und sie weg ist.<
>Aber... wie kann das...?<
Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. >Keine Ahnung. Ich habe keine Ahnung. Aber es ist alles wie vorher. Als wäre nichts passiert.<, erklärte ich und strich mein Haar aus dem Gesicht. Brody legte seine Hand an meine Wange und zog mich heran. Ich umarmte ihn und versank in seinem Duft und seiner Wärme.
>Du musst doch zum Training oder? Ich begleite dich.< Er schlug Jacks Hand weg, als diese versuchte mein T-Shirt hochzuziehen. >Hör auf jetzt!<, zischte Brody und begleitete mich aus dem Zimmer. >Das ist verrückt. Das alles hier.<, murmelte er.
Ich nickte zustimmend. >Ja, ist es.<
>Kannst du mir einen Gefallen machen?< Wir gingen in die Cafeteria zu den Getränke-Spendern.
>Hm?<
>Bring Daphne bitte nicht um.< Lachend füllte ich meine Flasche auf. >Ich meine es ernst, sie hat Scheiße gebaut und wird mit Sicherheit genug Stress von den Lehrern bekommen. Sehr viel Stress. Niemand weiß, wo sie ist und die Lehrer sagen nichts.<
Ich folgte ihm die Treppen runter zu den Trainingshallen. >Als wäre ich ein Serienkiller.<
Er zuckte mit einer Schulter. >Ich weiß ja nicht...<
>Arsch.< Ich stieß ihn von mir, aber er schnappte sofort wieder meine Hand und zog mich an sich. Wir blieben stehen.
>Ich bin so erleichtert, dass es dir gut geht.<, seufzte er. >Das ganze Blut und... es ging einfach durch dich...<
Ich hielt ihn auf Armeslänge und zwinkerte ihm zu. >Alles ok. Es ist vorbei und was auch immer das ist, aber... ich bin gesund und hab keine Löcher mehr.<
>Sehr witzig.<, brummte er wenig begeistert. >Das war schrecklich. Ich...<
Bevor seine Mundwinkel sinken konnten, küsste ich ihn. >Sei ruhig. Sei bitte der Ruhige von uns beiden, denn... ich bin am Ausrasten, Brody. Ich habe wirklich Angst und Parvati ist nicht mehr hier, um mich runterzuholen.< Meine Lippen begannen zu kribbeln und etwas zu zittern, aber ich schüttelte kurz den Kopf und sah wieder auf in sein Gesicht. >Ich habe keine Ahnung, was los ist und heute war einfach... mein Bauch durchlöchert und dann wieder nicht und...< Ich atmete durch.
Er nickte. >Es tut mir leid. Du hast recht. Du hast recht, Jenna.< Er nahm meine Hände in seine und drückte seine Lippen an die Knöchel meiner Finger. >Schwitz alles aus und dann kommst du zu mir.< Wieder legte er seine Lippen an meine. Sein Arm schlang sich um meine Taille und drückte mich an sich. >Und nur damit du es weißt...< Er hob seine Lippen an mein Ohr. >Wenn du noch einmal so mit mir spielst, wie gestern Nacht... mach ich dich fertig.<
Ich schüttelte lachend den Kopf. >Hört sich heiß an.<, sagte ich und ging davon.
>Ich meine ein schlechtes „fertig“.<
Isaac war schon da. Und wieder starrte er mich so an. >Was ist?<, fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. >Nichts.<
Ich ignorierte diesen Kommentar. >Hast du dich um Daphne gekümmert?<, fragte ich ihn. Wir gingen zusammen in einen der feuerfesten Räume.
>Ich habe sie nicht angezündet, falls es das ist, was du meinst.<
Lächelnd warf ich mein T-Shirt in die Ecke. Mein Herz flatterte, wenn ich daran dachte, Isaacs Feuer endlich wieder zu spüren. Die Temperaturen im Raum würden rapide steigen. Dafür hatte ich drunter einen Sport-BH an. Isaac verblieb im Muskelshirt.
>Wir kämpfen heute mit Feuer. Und du musst dich verteidigen können. Das im Unterricht hätte nicht passieren müssen.<
Ich runzelte die Stirn. >Wie meinst du das?<
>Du hast mit Daphne gekämpft. Sie war dein Gegner und deshalb hättest du dich um deine Verteidigung kümmern sollen. Natürlich habe ich ebenfalls versagt. Als beaufsichtigender Lehrer lag es an mir deine Sicherheit zu wahren.< Er wirkte ehrlich niedergeschlagen, deshalb schluckte ich meine Verstimmung über seine ersten Worte hinunter und ging in Kampfhaltung. >Gut.<
Ich konnte ohne Arroganz sagen, dass das hier die beste Trainingsstunde war, die wir bis jetzt hatten.
Als Isaac seine Faust hob, wehrte ich sie ab und machte gleich darauf einen Rückwärtssalto, als Feuer mich zu erfassen versuchte.
Für jede seiner Bewegungen hatte ich eine Erwiderung. Wir waren gleich auf. Ich war gleich auf mit dem immens umschwärmten und bewunderten Krieger Isaac.
Das Ende des Trainings war geprägt von atemlosen Hecheln und rauer Gänsehaut.
>Etwas stimmt hier nicht.<, bemerkte Isaac im selben Moment, als ich es auch sagen wollte.
Ich nickte. Ich brannte lichterloh. Isaacs Feuer löste eine Lawine der Gefühle in mir aus. Es war so intensiv. Die Tropfen von Schweiß, die an seinen muskulösen Armen herunterliefen waren ein nur zu eindeutiger Beweis für des Wirrwarr, das gerade in ihm war. Seine Brust hob sich schwer an.
Er ließ sich auf den Boden sinken und lehnte gegen die Wand. Ich tat es ihm nach und schloss kurz die Augen. >Wo ist Daphne?<
>Jenna, bitte.<
>Ich frage nur.<
>Nein.<
Ich gähnte und legte mich bäuchlings flach auf den Boden. >Isaac, haben sich eigentlich mal meine... Adoptiveltern hier... ?<
>Es tut mir leid, Jenna.<
Ich zuckte mit einer Schulter. >Wie gesagt, ich frage nur. Ist mir egal, ob die noch etwas mit mir zu tun haben wollen.<, murmelte ich und erinnerte mich dabei an den Anfang.
Sie haben mich abgöttisch geliebt und ich liebte sie. Carol tröstete mich wochenlang täglich, weil ich meine Eltern vermisste und ich war immer Ralphs kleines Mädchen.
>Dein Vater war mir von Anfang an unsympathisch.<, hörte ich ihn sagen.
Ich drehte mich auf den Rücken. >Warum?<
>Wie er dich rein rief und von dir erzählte. Er war so voller Hass und Abscheu.<
>Na ja, ich habe ihn verbrannt.<
Unbekümmert zuckte er mit der Schulter. >Shit happens.<
Ich begann zu lachen und hielt mir den Bauch. Isaac klang ein. >Das tut es.<
>Auf dem Weg zu der Position, die ich jetzt habe, habe ich eine Menge Leute verletzt. Sowohl physisch als auch psychisch. Das ist Teil des Erwachens, der Entdeckung, des Aufwachsens. Uns allen wurde ein sehr schwerer Weg in die Wiege gelegt und leider lässt man Opfer zurück. Leider.<, erklärte er nun etwas ernster.
Ich nickte. >Ja, das ist mir aufgefallen. Das ist scheiße.<
>...,sagte die Prophetin.<
>Ich bin keine Prophetin.<
>Laut der Botschafterin des Feuers schon.< Kopfschüttelnd atmete ich durch. Er erhob sich. >Noch ein Kampf und dann kannst du gehen.< Ich stand auf und nickte. >Und du machst dich sehr gut, Jenna. Sehr gut.<
>Wie gut?<, fragte ich frech und ließ meine Knöchel knacken.
>Eigenlob stinkt.<
>Ach, du scheiße! Wo hast du denn den Spruch hervor gegraben?<, fragte ich ungläubig und machte mich zum Kampf bereit.
Schnaubend schüttelte er kurz seine Beine aus. >Sei ruhig und leg los.<
Ich rannte auf ihn zu, sprang vom Boden ab und zog mit einer ausschweifenden Bewegung mit beiden Armen eine Welle aus Flammen mit mir. Diese wurde von Isaac aber pariert. Er war stark. Natürlich war er das.
Im Kampf zog sich mein Herzrhythmus rasant an. Ich sah rot. Das Feuer ließ den Schweiß fließen. Irgendwann während dieses Trainings vergaß ich Isaacs Gesicht und dachte nur noch daran, zu gewinnen. Den anderen zu Boden zu bringen und einfach nicht zu verlieren.
Ich fühlte mich stark und überlegen. Meine Glieder bewegten sich von selber. Ich konnte die elektrischen Stöße spüren, die durch meine Nerven eilten.
Meine Gier zu gewinnen war fast schmerzhaft.
Ich machte einen Rückwärtssalto in der Luft, landete im Spagat und schwang meine Beine, so dass Isaac zu Fall ging. Doch so schnell ging es nicht mit ihm. Er landete in einem Handstand, stellte sich auf und riss mich durch den ganzen Raum. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es mich an der Wand abzustützen, bevor ich wahrscheinlich durch sie durchgebrochen wäre.
Rasch sah ich zu ihm und... fletschte meine Zähne?
Seine Braue hob sich an.
Ich formte meine Hand zu einer Kuhle und schon erwachte eine Kugel darin. Mit dieser joggte ich erneut auf ihn zu. Er tat es mir nach. Seine Faust schoss vor. Ich wehrte sie ab. Ich versuchte meinen Ellenbogen in sein Gesicht zu bekommen. Er wehrte ihn ab.
Und dann passierte es.

22. Brandnarbe


Ich griff ihn mit meinem Feuer an.
Das hatte ich davor schon und es war nichts passiert, doch mit dem angestiegenen Kampfgeist war da etwas in mir aktiviert worden.
Feuer-Bändiger konnten sich nicht gegenseitig verbrennen. Bändiger eines Elements konnten sich gegenseitig nicht damit verletzen. Es war nicht möglich.
Aber... aber...
>Ah! Scheiße, verdammte...< Isaac ging in die Knie. Sein Oberteil hing in Fetzen an ihm herunter. Darunter zischte das verbrannte Fleisch.
Bilder von Ralph zapten in meinem inneren Auge auf. Wie er bewegungslos dalag und dann die Ärzte kamen.
Isaac sah runter auf die Fleischwunde. Seine Brust, sein Bauch. Überall blutiges Fleisch.
>Nicht wieder... Oh Gott, Isaac...< Ich umfing sein Gesicht. Seine Lider wurden schwer und sanken. >Nein, nein, nein, nein! Bitte nicht, Isaac. Bitte nicht wieder.< Meine Sicht verschwamm.
Die Leichen meiner Eltern wurden von den Notärzten aus dem Haus gerollt. Der einschneidende Geruch von verbranntem Fleisch und Stoff lag in der Luft. Ich spürte die Hitze der Verbrennungen auf meinen Armen.
Ich erinnerte mich an die Worte der Schwester am Telefon.
>Bleiben Sie ruhig, Jenna. Reden Sie mit ihm, halten Sie ihn wach. Der Wagen wird sofort da sein.<
>Isaac, bitte...< Ich atmete hastig. >Bitte, nicht einschlafen...<
>Wir...< Seine Hand legte sich an meine Wange. Der Druck seiner Finger war verschwindend leicht. >... müssen... hoch.<
>Scheiße.<, schluchzte ich und schlang seinen Arm um meinen Nacken. >Komm, Isaac. Es tut mir so leid, Isaac.< Mit einem Kick öffnete ich die Tür und schleppte ihn mit mir durch den Flur zu den Treppen nach oben. Isaac stöhnte bei jedem Schritt schmerzerfüllt. Seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen. Worte verließen seinen Mund, aber ich verstand nichts und war zu sehr damit beschäftigt, nicht in Tränen, unter seinem Gewicht, unter dem Schuldbewusstsein und unter meiner Angst zusammenzubrechen. >Es... Ich weiß nicht wie das passieren konnte. Es tut mir so leid. Bitte, bleib wach, Isaac. Bitte, bitte, bitte. Nicht wieder. Bitte, Isaac.<
>... Klappe...<, hörte ich ihn ächzen und eine meiner versteinerten Mundwinkel hob sich tatsächlich an.
Wir kamen langsam die Treppen hoch, wo wir dann endlich auf Schüler trafen. Die sofort zur Hilfe kamen. >Oh Gott! Was ist passiert?<, fragten sie alle durcheinander, während sie mir halfen ihn zu tragen.
>Haben wir eine Wasser-Bändigerin hier?<
>Jen! Wir brauchen dich!<
Ein Mädchen kam angerannt. Sie sah sehr jung aus.
Andere rannten los, um Lehrer zu rufen.
Sie aber kniete sich hin, wo wir Isaac auf den Boden legten. Aus der Flasche, die an ihre Hüfte gebunden war, ließ sie das Wasser heraus fließen und bildete damit eine Schicht auf der Wunde. Isaacs kompletter Oberkörper war von dem blau schimmernden Wasser bedeckt. Seine angespannten Gesichtszüge erschlafften sofort. Er sank in sich zusammen.
>Ich kann ihn nur etwas abkühlen. Ich glaube aber nicht, dass das viel bringt. Also...< Sie war offensichtlich überfordert.
>Nicht aufhören! Bitte. Nur bis die Ärzte kommen.<, bettelte ich sie an.
Wortlos nickte sie nur und bewegte weiter ihre Hände über seinem Körper.
Als ich ihn da so liegen sah, schien meine ganze Welt zu zerbrechen. Mein Herz wurde tonnenschwer, doch gleichzeitig schlug es noch immer blitzschnell. Er wirkte schwach. Dieser riesige Gigant, bestehend aus Muskeln und purer Kraft lag da und windete unter Schmerzen. Seine Haut löste sich von seinem Körper. Er schien auseinander zu fallen. Obwohl Ralph in meinen Gedanken war, war diese Situation nicht einmal annähernd vergleichbar mit seiner.
Isaac war offen.
>Oh Gott! Er... Alles rutscht runter.<, stieß eine Schülerin panisch aus und hielt sich ihren Mund.
Ich kniete mich hinter Isaac hin und legte seinen Kopf auf meine Oberschenkel. Vorsichtig strich ich über seine Wange und flüsterte ihm beruhigende Worte zu.
Verängstigt versuchte ich diesen Klumpen in meinem Hals herunter zu schlucken. Natürlich vergeblich.
Das konnte nicht wahr sein. Das konnte schlicht nicht wahr sein. Wie war es möglich, dass ich mit 17 Jahren 2 Menschenleben auf dem Buckel hatte und noch zwei andere mir sehr wichtige Menschen beinahe das Leben kostete?
Eine gefühlte Ewigkeit später kamen Männer in Schwarz angerannt. Ken folgte mit einem Arzt im weißen Kittel. Isaac wurde auf eine Liege gelegt und sofort weggetragen. Der Arzt ging mit ihnen mit.
Ken und ein paar der anderen Lehrer brachten die Schüler davon, darunter mich. >Ken... Kevin, Kevin!< Er drehte sich zu mir herum, als er gerade weitergehen wollte, um die anderen Schüler wegzubringen.
>Ihr geht in euer Zimmer. Los.<
>Wird er... ich meine... Es wird ihm doch gut gehen oder?<, fragte ich ihn.
Er raufte sein Haar. >Ich weiß es nicht, Jenna. Ich spreche mit dem Arzt und sage dir später Bescheid, was Sache ist, ja? Jetzt geh erst einmal in dein Zimmer.< Er drückte kurz meine Schulter.
Ich setzte mich auf mein Bett und versenkte mein Gesicht in meinen zitternden Händen. Ich hatte ihn verbrannt. Wieder hatte ich jemanden wichtigen in meinem Leben verletzt.
Mein Gesicht fühlte sich an wie eine Maske. Die Erdanziehungskraft schien sich an meine Fußknöchel zu hängen. Nervös wippte mein Knie auf und ab. Ich zog das Bild meiner Eltern hervor und betrachtete es.
>Mama, ich habe wieder Scheiße gebaut.<, flüsterte ich mit zitternder Stimme und wischte mir über die Stirn.
>Meine Tochter...<
>Nein!< Ich stand auf und drehte mich suchend nach ihr um. >Lass mich in Ruhe! Du hast diese ganze Kacke erst zum Dampfen gebracht! Lass mich in Ruhe!< Frustriert massierte ich mein Nasenbein und ging erschöpft in die Hocke. Meine Augen schlossen sich und ich sammelte meinen Atem, um ihn auf einmal zwischen meinen Lippen auszustoßen. >Bitte, lass mich in Ruhe. Ich kann das nicht mehr. Meine Eltern, Ralph und jetzt... und jetzt Isaac.< Ich schob meine Finger in mein Haar und krallte meine Nägel in meine Kopfhaut. >Du hast mir nur Schlechtes gebracht. Such dir irgendjemand anderen aus. Jemand der besser damit umgehen kann. Ich kann das nicht!< Ich wiegte mich von Seite zu Seite und legte meinen Kopf in den Nacken.
Mum. Dad. Ralph. Isaac.
Was war nur los mit mir? Ich war so lange hier. Ich hatte gelernt, mein Feuer zu kontrollieren. Isaac hatte meine Kampftechniken komplementiert. Ich war besser geworden. Nicht wahr? Und jetzt lag er auf der Krankenstation und ich hatte keine Ahnung, ob er dauerhaft eingeschränkt sein würde.
>Jenna, hörst du mich?< Mein Kopf fuhr hoch. Brody kniete vor mir. >Du bist nicht gekommen, da habe ich gedacht, ich schaue mal nach.< Er strich mein Haar aus meinem Gesicht. >Ich glaube, du brauchst eine heißes Bad und eine lange Runde Schlaf.<
>Ich habe Isaac verbrannt.<
>Was?< Er hob mich auf meine Beine und brachte mich ins Badezimmer. Ich setzte mich auf den Wäschekorb und beugte mich vornüber, bis mein Haar mein Gesicht verdeckte. Eine Sekunde später konnte ich das Wasser laufen hören.
>Ich habe Isaac verbrannt.<
>Du kannst Isaac nicht verbrennen. Er ist Feuer-Bändiger.<
Unter diesen Worten schluchzte ich auf. >Ich weiß. Ich weiß, aber es ist trotzdem passiert.< Hastig atmend setzte ich mich auf und hielt meine Hände vor meinen Oberkörper. >Alles war verbrannt. Seine Haut rutschte von seinem Fleisch und er... er konnte sich kaum bewegen. Kaum reden. Ich habe... Oh mein Gott. Ich habe Isaac Conner verbrannt. Was ist, wenn... wenn er nicht mehr als Lehrer arbeiten kann? Wenn er Wochen- und Wochenlang bettledig ist? Ich habe einen der großen Bändiger unserer Rasse... einfach...< Ich drückte meine Hände in meine Augenhöhlen und schüttelte den Kopf. >... einfach... Fuck!<, fluchte ich.
Brodys große Hand legte sich auf meinen Hinterkopf. >Hör zu, Jenna. Isaac ist einer der stärksten Bändiger, die ich je gesehen habe und von dem ich je gehört habe. Sogar stärker als Kevin. Er ist der begehrteste Bändiger in Amerika, vielleicht auf der Welt und das nicht nur so. Jeder Hof, jede Schule will ihn haben. Er wird das nicht nur locker schaffen, sondern er wird dir danach die Füße küssen, weil du die erste Schülerin bist, die ihn besiegen konnte.<
>Bist du wahnsinnig?<, fragte ich ihn entsetzt. >Ich habe ihn verbrannt, Broderick. Sein Fleisch lag offen da...<
Er schmunzelte. >Süße, so läuft das bei uns. Hier sind Narben Trophäen.< Er drückte seine Lippen an meine Schläfe. >Du bist wirklich...< Fassungslos schüttelte er seinen Kopf. >... wirklich eine Sache für sich, Jenna Young.<, hörte ich ihn murmeln und sah auf, um ihn zart auf die Lippen zu küssen. >Jetzt ausziehen und ab in die Wanne.<
Widerwillig nickte ich und zog mich aus. Meine Glieder waren schwer. Ich wollte mich hinlegen, aber Brody hatte Recht. Dieser Tag musste von meiner Haut.
>Kommst du nicht auch rein?<, fragte ich, als ich in die Wanne stieg. Er war noch immer angezogen.
>Nein. Ich bleibe aber hier. Guck.< Er zog den Wäschekorb neben die Badewanne und setzte sich auf diese. Liebevoll nahm er meine Hand in seine und strich über die Finger.
>Schlafen wir bitte mit-...?<
>Auf keinen Fall. Du wirst nicht Sex nutzen, um dich zu therapieren, Jenna. Mein Penis ist nicht dein... Aufpunsch-Mittel, hörst du?< Ich lehnte meinen Kopf an den Rand. >Das letzte Mal hast du einen wunden Punkt getroffen und bekommen, was du wolltest. Nicht nochmal.<
>Ich war nicht die Einzige, die zu ihrem Vergnügen gekommen ist.<
Er schöpfte etwas Wasser über meine Schulter. >Nein, warst du nicht. Jetzt brauchst du aber einen klaren Kopf und keine Vögelei.< Ich nickte. Er hatte Recht. Wieder. Es war jedoch schwer von alten Gewohnheiten abzulassen, selbst nach einer Session von verschiedenen geöffneten Chakren.
Ich zog meine Knie unter mein Kinn und betrachtete die blubbernde Wasseroberfläche. >Das ist alles so verdammt verzwickt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie ich diese ganze Situation unter Kontrolle kriegen soll.< Brodys Finger legten sich in meinen Nacken und begannen mich zu massieren.
>Jenna.< Er küsste mich auf die Schläfe. >Atme durch.< Ich tat, was er sagte. >Und hör jetzt auf an das hier zu denken. Mach deine Augen zu.< Meine Lider sanken. >Ich habe dich noch gar nicht ausgeführt. Wir beide in einem schönen Restaurant. Du ziehst irgendwas richtig scharfes an und wir spazieren durch die Stadt. Wir essen, wir trinken...< Ich sah ihn an. >Du Cola und ich ein paar Bier.< Kopfschüttelnd lehnte ich meine Stirn an seine. Er lachte leise. >Auf jeden Fall darfst du nicht vergessen, dass außerhalb dieser Schule und diesem Ganzen... hier noch die Außenwelt existiert. Wir sind Kämpfer, aber, wenn auch nur ein geringer Teil, sind wir Menschen.< Ich nickte. >Ausgehen, was trinken gehen und verliebt in die Augen sehen ist vollkommen akzeptabel.< Lachend nahm ich seine Hand in meine und küsste ihn auf die Wange.
>Danke, Broderick.<
>Tja, das ist mein Job als der „Ruhige“. Also wir beide. Date?<, fragte er mit angehobenen Winkeln. Ich nickte wieder. >Soll ich dir schon mal Kleidung bringen?< Er stand auf und ging aus dem Bad. Zufrieden atmete ich durch und rutschte tiefer in die Wanne, bis das Wasser an mein Kinn reichte. >Hey, sind das deine Eltern?<, fragte Brody und kam mit dem Bild von ihnen herain.
Etwas unsicher betrachtete ich das Bild in seiner Hand. Mein erster Instinkt war, es ihm zu entreißen, doch stattdessen nickte ich nur. >Ja, das... ist das letzte Bild von ihnen und mir.< Er setzte sich mit der Kleidung auf dem Schoss auf den Wäschekorb zurück und lächelte etwas. >Was ist?<
>Ich habe zwei Nichten und einen Neffen.< Ich nickte. >Und das hier ist trotzdem das schönste Kleinkind, dass ich je gesehen habe.< Er hielt mir das Bild hin. >Ich bin so ein schlechter Onkel.<
>Ja, bist du. Ein sehr schlechter Onkel, Broderick.<
>Hübscher als die Kinder aus Werbungen.< Er sah mich an und dann das Bild. Dann wieder mich und zurück zu dem Bild.
>Was ist?<, fragte ich ihn wieder aufgebracht.
Er zuckte mit beiden Schultern. >Deine Mutter ist sehr hübsch.<
>Sie war ein Psycho. Handtuch.< Ich stieg aus der Wanne.
Brody ließ seine Augen über mich wandern. >Atemberaubend.< Ich lächelte ihn an und ließ ihn das Handtuch um mich wickeln. >Aber wie du lächelst...< Er tippte mit seinem Finger auf meine Nase. >Das ist die eigentliche Sensation.<
>Wow, du bist in Hochform, was?<
>Bin ich. Jetzt zieh dich an, bevor ich einen Herzinfarkt bekomme.< Er kniff mir in den Hintern und ging wieder raus ins Schlafzimmer.
Das Bild lag auf meiner Kleidung. Ich sah es an, während ich mein Haar kämmte. Meine Mundwinkel hoben sich an. >Er ist toll oder, Mum?<, murmelte ich leise und flocht sie in einen langen Zopf. >Weißt du, er mag mich. Mich. Unglaublich, was?< Sobald ich angezogen war trat ich raus zu Brody. Er lag auf dem Rücken im Bett und las ein Buch.
>Weißt du, was mir aufgefallen ist?< Ich setzte mich im Schneidersitz an den Rand und blickte ihn an. >Du hast schon lange keine mehr geraucht.<
>Stimmt...<
Er setzte sich auf und legte das Buch beiseite auf den Nachttisch. >Hast du keine mehr oder...?<
Ich verneinte. >Nein, ich brauche sie nicht mehr. Nichts so oft. Wobei du mich jetzt daran erinnert hast und ich echt...<
>Ne, ne, ne. So war das nicht gemeint.< Bevor ich zur Schublade gehen konnte umschlang er mich und zog mich auf seinen Schoss. >Ich finde das gut. Besonders als Luftbändiger finde ich das gut.<
Es klopfte an die Tür. Wir beide richteten die Augen gleichzeitig zu dieser.
>Jenna, hier ist Kevin... besser bekannt als Ken.<
Sofort standen wir auf und ich schob Brody ins Bad. >Warte hier.<, formte ich mit meinen Lippen und schloss die Tür ab. Gleich darauf öffnete ich die Tür für Ken. >Wie geht es ihm?<
Er trat ein. Blieb aber nur ein paar Schritte davor stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. >Ehm... na ja... Er ist gerade nicht bei Bewusstsein. Wir geben ihm soviel Beruhigungsmittel wie möglich, um seine Schmerzen zu verringern. Diese Mittel wirken bei uns nur bei hoher Dosierung, aber die menschliche Hülle hält nur eine gewisse Menge aus.< Ich nickte besorgt und fuhr mir durchs Haar. Ken legte seine Hand an meine Schulter. >Aber... er wird es auf jeden Fall schaffen. Es ist nur... Das ist alles sehr... Ich habe noch nie einen Feuer-Bändiger mit Brandnarbe gesehen. Und Isaac heilt auch langsamer. Viel langsamer, als er es normalerweise würde. Bis jetzt hat sich nichts entzündet und sein Körper regeneriert sich dennoch schneller als bei einem Menschen.<, erklärte er.
>Warum konnte ich das tun?<
>Weil du nicht einfach nur ein Feuer-Bändiger bist, Jenna. Du bist kein Feuer-Bändiger.< Er legte seinen Kopf schief und runzelte die Stirn. >Du. Bist. Kein. Feuer-Bändiger.<, wiederholte er und betonte jedes einzelne Wort. Ich fuhr etwas zurück. Er sah mich an, als wäre ich irgendein fremdartiges Wesen. Ein Außerirdischer. >Schlaf gut, Jenna. Wir sehen uns morgen früh. Gute Nacht.< Die Tür knallte laut hinter ihm und weg war er.
Perplex blinzelte ich. Brody kam aus dem Bad. >Wow.<
Ich nickte. >Sehr wohl. Wow.<
>Was war das gerade?<, fragte er. >Also das am Ende.<
>Keine Ahnung.< Ich trat ein paar Schritte zurück und setzte mich wieder auf das Bett. >Hier ist alles so verdammt verdreht und seltsam.< Seufzend ließ ich mich nach hinten fallen und streckte meine Arme von mir.
Brody legte sich neben mich. >Ach, geht doch.< Anklagend wandte ich meinen Kopf zu ihm herum und hob die Brauen an. >Hast recht. Genug seltsam Verdrehtes für einen Tag.< Er rutschte hoch, schlug die Decke auf und klopfte auf die Matratze neben sich. Ich legte mich in seine Arme und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. >Ich freue mich schon auf unsere Verabredung und auch auf das schöne Kleid, dass du tragen wirst.< Ich schloss meine Augen. >Das wird ein richtig kitschiges Date. Kerzenlicht. Ich finde uns einen Solisten.< Schmunzelnd drückt ich meine Lippen in seinen Hals. >Natürlich müssen ein paar Rosen auf dem Tisch sein. Süße, das wird fantastisch.<, war seine Vorhersage.
Ich zog die Decke enger um uns beide herum. >Und danach?<
>Eine Tasse Kaffee und ein Golden-Girls-Marathon.<
>Oh Gott.< Ich schob ihn von mir und drehte mich herum.
Lachend legte er sich hinter mich und liebkoste meinen Nacken. >Danach machen wir, was immer uns in den Sinn kommt.< Seine Hand glitt an meinem Bauch hinab zu meiner Leiste und zwischen meine Oberschenkel.
>Du hattest deine Chance zu flirten, Schätzchen.< Ich schob seine Hand wieder hoch an meine Taille.
Leise lachte er in meine Schulter.

Sport, Frühstück, Unterricht, Mittagspause, Küchendienst.
Es gab zwei Themen, die die Schüler in Unruhe hielten. Daphnes Angriff und ihr darauffolgendes Verschwinden und Isaac, der auf der Krankenstation war und von dem niemand wusste, in welcher gesundheitlichen Verfassung er war. Alle redeten darüber. Es gab keinen Flur, in dem nicht von ihnen beiden oder sogar von mir gesprochen wurde. Die ständigen Blicke der anderen waren nicht zu ignorieren.
Besonders die von Daphnes Gefolgschaft. Würden Blickte töten, läge meine Leiche schon dutzende Male auf dem Boden. Sie waren stinksauer und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
Ich fragte mich ja selber diese ganzen Dinge. Daphnes Abwesenheit, Isaacs Verletzung waren beides Dinge, die auch mich etwas angingen. Ich meine, ich hatte beides ausgelöst und beides war nicht meine Absicht gewesen. Natürlich änderte das nichts an der Tatsache, dass die beiden üble Probleme hatten. Ich wollte nicht das Daphne die Schule verlassen musste oder noch mehr Arbeiten aufgedrückt bekam. Gar nichts davon. Ich konnte sie nicht leiden, aber das hieß nicht, dass ich sie ausradieren wollte oder so etwas. Isaac hatte Recht, wir mussten alle zusammen halten, denn wir gehörten einer Spezies an, die viele Feinde hatte. Diese Handlungs- und Denkweise versuchte ich mir gerade anzueignen.
Ich trainierte gerade mit Penny draußen im Hof, als einer von diesen Men in Black ankam. Mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt beobachtete er uns beim Trainieren, bis ich  Pennys Wand aus Eis mit meinen Fingern durchbrannte und mit ihr auf den Boden gedrückt siegte.
>Was will der hier?<, flüsterte sie mir zu, als wir beide wieder standen.
>Ich bringe dich zu Mr. Robinson.<
Ich musste eine Sekunde nachdenken, bis ich mich daran erinnerte, dass Ken mit Nachnamen Robinson hieß. Sofort dachte ich an Isaac und Kens gestrige Worte. >In Ordnung. Danke, Penny.< Ich drückte kurz ihre Hand und folgte dem Mann hastig. Er brachte mich nicht zum Rektorenbüro. Stattdessen gingen wir in einen Teil des hinteren rechten Flügel des Gebäudes.
Vor einer Tür blieb er stehen und klopfte an. >Lass sie rein. Du kannst gehen.<
Wortlos nickte er mir zu und ging den Flur wieder entlang. Ich schob unsicher die Tür auf und trat ein. Doch das war nicht einfach nur ein Zimmer. Das hier war wie eine Suite. Ein großes Wohnzimmer. Die Doppeltür zu meiner Linken war offen und führte in ein Schlafzimmer.
Die Einrichtung wurde aber von dem ganzen Papierkram gestört, der die Tische und Stühle bedeckte. Er hielt in seiner Hand ein Buch und winkte mich mit den Augen auf die Seiten gerichtet heran. >Setz dich. Hier, ich mache dir etwas frei.< Er nahm ein paar der Stapel von einem Sessel herunter und legte sie auf den Boden.
Ich setzte mich und sah mich um. Überall Berge von Papier. Und als ich Ken ansah, bemerkte ich die leichten Ringe unter seinen Augen. Er war auch etwas blass. >Ken, hast du geschlafen letzte Nacht?<, fragte ich ihn.
>Jenna, du bist kein Feuer-Bändiger. Ich meine, der eindrücklichste Beweis ist deine Blutgruppe. Ich habe als kleiner Junge von meiner Mutter Geschichten aus den Büchern unserer Religion vorgelesen bekommen, die nicht... von allen akzeptiert werden.< Ich horchte auf. >Diese Bücher berichten von Menschen, die von den Göttern ihr...<
>... Element überreicht bekommen haben.<, beendete ich seinen Satz. Mit großen Augen sah er mich an. >Ich habe da auch in ein paar Büchern geschmöckert...<
Er trat heran und ging vor mir in die Hocke. >Warum hast du mir nichts gesagt? Ich hatte ja keine Ahnung. Du bist eine dieser Auserwählten. Mutter Ignis hat sich für dich entschieden. Diese Milliarden von Menschen und auf dich fiel ihre Wahl.< Fasziniert ließ er sich auf den Hintern fallen, warf das Buch beiseite und betrachtete mich aus großen Augen. >Ich kann es nicht glauben. Hier sitze ich vor... Ich weiß noch nicht einmal was...<
Ich wippte unwohl mit dem Fuß auf. >Was heißt das jetzt?<
>Das heißt, dass wir Nachrichten für den königlichen Hof haben.< Er leckte sich die Lippen. >Du hörst sie also sprechen? In deinem Kopf?< Ich nickte. >Was sagt sie?<
>Sie liebt mich. Uns alle. Und sie... sie versucht mich zu finden.<
Er verschränkte seine Beine zum Schneidersitz. >Wie meinst du das, dich finden? Sie ist doch schon da oder?< Seine Finger tippten gegen seine Stirn.
>Ehm... Ich glaube sie ist da, aber es sind... Visionen. Ich spüre ihre Gegenwart ständig, aber ich habe das Gefühl, als wäre sie nicht stark genug, um eine direkte Präsenz darzustellen.<
Nachdenklich rieb er sich das Kinn. >Direkte Präsenz. Wann bist du ihr am nächsten?<, fragte er interessiert.
>Das ist nicht... wirklich so einfach zu erklären. Ich spüre sie bei Aufregung. Viele Gefühle. Aber sie spricht meistens mit mir, wenn ich... alleine bin. Wenn ich in Gedanken versunken bin.<
>Also zwei Gegensätze. Einmal die Aufregung und die einsame Versunkenheit in Gedanken.< Ich nickte stumm. Er nahm eine Reihe von Blättern an sich und überflog sie. >Als du Isaac verletzt hast... Warst du dir ihrer Präsenz da bewusst?<
Ich wartete einen Moment ab und nickte dann wieder. >Ja.<
>War das dein Feuer?<, fragte er.
>Ich weiß es nicht.<
>Ich glaube, das war dein Feuer. Nur war das dein Feuer mit ihr... in dir. Das ist alles sehr...<
>... verdreht und seltsam.<, wiederholte ich die Worte von gestern.
Er lächelte. >Ja, das ist es.<
>Ken?< Leise brummte er. >Kann ich Isaac besuchen?<
Seine Augen hoben sich kurz von den Seiten zu mir an. >Warum?<
Ich runzelte die Stirn. >Warum? Weil ich ihn verletzt habe und mich entschuldigen möchte. Ich möchte sehen, wie es ihm geht.<
Er stand auf und ging an das Telefon. Ein Knopfdruck und er sprach mit Dr. Jester. >Doc, wie geht es ihm?<, fragte er. Mit den Augen auf mir nickte er und wandte sich dann von mir ab. >In Ordnung. Ich schicke Ms. Jenna Young herunter. Sie würde Mr. Conner gerne einen Besuch abstatten... Danke schön, Doc.< Der Hörer klickte in der Station und gab einen Ton von sich. >Du kannst jetzt runter gehen.<
>Wirst du Parvati das alles jetzt sagen?<
>Ja.<
Ich stand auf. >Sagst du mir, was sie denkt?<
>Natürlich, Jenna.<
>Danke schön, Ken. Ich... ich geh dann mal runter.< Während ich im Aufzug fuhr, schlug mein Herz hastig. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte. War er sauer auf mich? Ich hätte es verstanden, wenn er sauer gewesen wäre. Vollkommen hätte ich das verstanden, aber verletzt wäre ich trotzdem gewesen. Ich wollte nicht wieder diesen harten Worte seinerseits standhalten müssen. Diesem kalten Gesichtsausdruck.
In der Krankenstation führte mich eine Schwester zu einem der hinteren Zimmer. Mein Herz rutschte mir in die Hose. Ich blieb alleine zurück und trat in das Krankenzimmer.
>Oh, scheiße...<, hauchte ich.
Er lag auf dem Bett. Eine weiße Decke bedeckte seine Beine. Sein Oberkörper lag frei, war jedoch komplett umwickelt von ebenfalls weißen Bandagen. Er hing am Tropf und war offensichtlich stark betäubt. Sein Haar lag offen um sein schlafendes Gesicht herum.
Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich neben ihn. Vorsichtig nahm ich seine Hand in meine und strich über den Rücken dieser. >Scheiße verdammte. Es tut mir leid, Isaac.< An seinem Kinn waren ein paar oberflächliche Brandnarben. Nur ganz leichte, aber trotzdem ein Bildnis dafür, was ich getan hatte. Ich legte meinen Kopf auf der Decke ab, drückte seine Hand und bat flüsternd um Verzeihung. >Was habe ich getan, scheiße nochmal?<, fragte ich mich selber. >Es tut mir leid, Isaac. Es tut mir so leid.< Ich fuhr die Venen auf seiner Handinnenseite nach und betrachtete sie. >Ich wollte das nicht. Das alles. Es tut mir leid.<
>Keine Sorge, Süße.< Seine warme Hand in meiner bewegte sich und umschloss meine.
Überrascht hob ich meinen Blick an und sah in seine schönen braun-grünen Augen. >Isaac, es tut mir so leid.< Ich setzte mich auf das Bett und umarmte ihn. Er sog scharf Luft ein. >Oh, verdammt.< Ich wollte mich wieder von ihm lösen, aber er drückte mich enger an sich.
>Schon gut.<
>Es tut mir so leid. Es tut mir so leid. Es tut mir so so so leid.<, wiederholte ich immer und immer wieder, wobei ich meine Finger in sein Haar schob und ihn enger an mich drückte.
>Jenna, ich habe deine ganze Kraft gespürt.< Ich schloss meine Augen und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. >Deine ganze Kraft. Und sie ist so groß, unendlich und ergreifend.<, raunte er an meiner Haut.
Ich schnaubte. >Ich habe dich verbrannt, Isaac. In Flammen gesteckt.<
>Ja, mich. Einen Feuer-Bändiger. Wenn das nicht schon als Wunder dafür spricht...<
>Du liegst auf der Krankenstation.< Fassungslos setzte ich mich wieder auf den Stuhl und lehnte mich mit den Armen vor der Brust verschränkt zurück. >Du bestehst zur Hälfte aus Verbändern. Und ich bin daran Schuld. Scheiß auf was auch immer. Wer weiß, wie lange die Heilung braucht und...<
>Eben nicht. Gerade das "Was auch immer" ist es, was dies hier...< Er hob seine Hände etwas an, um um sich herum zu zeigen. >... so...< So weit es ging zuckte er mit den Schultern. >... so unbedeutend macht. Ich bin kurzzeitig bettledig. Was soll's?<, fragte er mich. Seine Mundwinkel hoben sich etwas an. Der Glanz in seinen Augen und die erweiterten Pupillen trugen gut bei zu dem Isaac der high war. Verträumt und federleicht. Er war so entspannt. Ganz anders als sonst. >Ich habe deine wunderbare Kraft gespürt, Jenna. Das bereue ich nicht und das solltest du auch nicht. Ich hatte das Gefühl das Maß deiner Macht schon zu kennen, Süße, aber nein...< Er schüttelte den Kopf und legte seinen Kopf in den Nacken. >Nicht im Geringsten, kleine Feuer-Bändigerin. Ich und noch immer alle anderen hatten und haben nicht die geringste Ahnung von dem unermesslichen Maß deiner Kraft. Nun habe ich einen kurzen Einblick bekommen und kann nur davon träumen, was tatsächlich ist.< Das war unglaublich. Wie er schwärmte. Ich war mir nicht sicher, ob das die Wirkung des Schmerzmittels war. Er erschien mir in seinem Schwebezustand doch sehr klar, auch wenn seine Worte, beziehungsweise die Wahl seiner Worte, dagegen sprachen.
Ich fuhr mir mit beiden Händen ins Haar und stützte meine Ellenbogen auf dem Bettrand ab. >Egal... Das war falsch und es tut mir leid. Ich hätte mich unter Kontrolle haben sollen und...<
>Derzeit bin ich sehr zufrieden. Sieh dir das an...< Er drückte auf einen Knopf an der Armlehnte des Bettes und mit einem elektrischen Surren hob sich das Kopfteil an. Seine Augenbrauen hoben sich an und ich musste lachen.
Isaac auf Drogen war sehr amüsant.
>Das kann ich sehen. Wirklich... beeindruckend.<, stimmte ich ihm lächelnd zu.
Er hob seine Hand zu mir an und schob sie an meine Wange. Ich nahm meine herunter und lehnte meinen Kopf in die  Innenfläche. >Oh, Jenna, Jenna, Jenna.<, flüsterte er leise und setzte sich etwas auf. Unbewusst kam ich ihm ebenfalls näher. >Hier sitze ich voll mit Schmerzmitteln bis an die Nasenspitze. So schwach und...< Meine Lippen erzitterten unter dem Gefühl seines Daumens, der von meinem Wangenknochen hinunter zu meinem Mundwinkel glitt. Hungrig folgten seine Augen dieser langsamen, aber dennoch kurzen Bewegung. Irgendwo weit hinten in meinem Kopf sagte etwas, dass das hier nicht in die richtige Richtung lief. >... unkontrolliert.< Ich schluckte. Mein trockener Hals erschwerte mir das nur zu sehr. >Süße, und du bist nicht ein Fünkchen weniger atemberaubend wunderschön wie sonst.< Unser beider Stirn berührten nun einander. >Das ist... sehr... sehr...< Meine Lider hoben sich an und ich konnte sehen, wie er mich mit schmunzelnden Augen beobachtete. >... gefährlich.< Ich legte meine Schläfe an seine, dabei folgte sein Daumen den Linien meiner Unterlippe. Ab da wurde es dann tatsächlich riskant. Seine Bartstoppeln berührten meine Wange. Wir bewegten beide gleichzeitig unseren Kopf so, dass unsere Lippen sich näher kamen.
Mein Atem kam sacht. Ich spürte nur noch die Wärme seiner Haut. Das Näherkommen seiner Lippen. Wie sein Kinn mein Kiefer streifte und bald schon meines berühren würde.
>Jenna...<

23. Mutters Lächeln

 >Ich denke, es wäre besser, wenn du jetzt gehst.<, flüsterte er vorsichtig. Ich konnte seine Lippenbewegungen an meiner Wange spüren.

>Was?< Als erwachte ich aus einer Trance, riss ich die Augen auf und fuhr zurück.Isaac sah mich an. >Du solltest gehen. Jetzt.< Er lehnte sich zurück und schloss seine Augen. >Ich bin bis nächste Woche sicher wieder auf den Beinen und dann machen wir an deinem Training weiter, Jenna. Bis dahin solltest du dein Training mit deinen Mitschülern strikt weiterführen und auch öfter die Trainingsräume aufsuchen, um für die fehlenden Stunden mit mir aufzukommen. Wir dürfen das junge Fräulein nicht ohne Beschäftigung zurücklassen, nicht wahr?< Ich legte meine Finger in seine Hand. >Und Jenna?< Er hob meine Knöchel bis kurz vor seinen Mund. >Es wäre mir lieber, du würdest... mich bis zu meiner Freilassung...< Er zwinkerte mir zu. Einer meiner Mundwinkel zuckte. >... nicht besuchen, Süße. Ich glaube, das tut meinem Herzen nicht gut.< Kopfschüttelnd schnaubte ich und stand auf. >Und Jenna, mach dir bitte keine Gedanken, ja? Es geht mir gut.< Wenig überzeugt nickte ich und ging zur Tür. >Bis dann.<

>Bis dann.<, wiederholte ich und verließ das Zimmer.

Drunter und drüber. Das beschrieb meine derzeitige Stimmungslage wohl am Besten. Ich saß mit einer qualmenden Zigarette auf dem Fensterbrett und sah raus in den klaren Nachthimmel.

Brody hatte recht. Ich hatte schon lange keine mehr geraucht. Der Geschmack von dieser war intensiver, stärker und einfach besser als jede davor.

Ich fuhr mir durchs Haar und stieß den grauen Rauch aus. >Hab dich vermisst.<, murmelte ich und betrachtete die glühende Spitze. Ich sah runter. Das waren mindestens 50m. >Bloß keine dummen Gedanken bekommen.< Ich lachte leise, kroch aber dennoch raus auf das kleine Vordach. Die Luft war kühl und frisch, aber gerade noch so angenehm, dass ich es aushielt. Durchatmend lehnte ich mich zurück und legte meinen linken Arm unter meinen Kopf.

Ich schnippte dreimal und sah zu, wie kleine flammende Schirmchen empor stiegen. Sie behielten ihre Form ihren ganzen Weg bei und tanzten auf dem Wind. Ein wenig Stille. Ein wenig Ruh-...

>Jenna!< Die Dachziegel unter mir bildeten einen Vorsprung. >Jenna-Süße, komm her. Bitte, komm zu mir. Wir reden und dann wird alles...<

>Was zum Teufel stimmt bei dir nicht, Beth?<

Sie hatte ihren Kopf aus dem Fenster gestreckt und sah mich aus aufgerissenen, tränennassen Augen an. >Was...?<

>Von was redest du? Ich sitze nur hier.<

Ihre Schultern und ihr Kopf fielen kraftlos nach vorne. >Ich dachte, du...<

>Nein, du dachtest falsch. Du Drama-Queen.<

>Du Arschloch! Mein Herz ist mir fast aus der Brust gesprungen!<, schimpfte sie. >Komm rein, verdammt.<

Lächelnd schüttelte ich den Kopf. >Als ob dein Herz dieser Schlucht entkommen könnte.<, scherzte ich und balancierte auf den Ziegeln zurück zum Fenster.

>Jaja. Pass auf, Jenna.<, warnte sie mich und hielt schützend ihre Arme vorgestreckt.

>Keine Panik.< Ich spazierte darüber und musste wohl einen Ziegel übersehen haben, denn ich kam ins Stolpern.

Und wieder hörte ich Beth meinen Namen schreien. >Jenna!< Ich griff nach unsichtbaren Seilen in der Luft, als der Nachthimmel sich wie eine Decke über mich stülpte. An meinen Ohren rauschte es und für eine lange Sekunde vergaß ich einfach alles.

Wer war ich? Wo war ich? Was passierte hier?

Es war die Ruhe und die Stille, die ich noch zuvor gesucht hatte.

Die nächste Sekunde zog mich mit einem Ruck wieder zurück. Ich nahm alles so scharf wie zuvor wahr. Ich fiel. Genauso Beth, die mir Anweisungen zuschrie. >Jenna, unter dir!<, rief sie. Ich hörte das Aufreißen der Erde und bereitete mich auf den Aufprall vor. Hastig drehte ich mich herum und landete auf einem Knie auf der 30m hohen Ebene, die sich aus dem Nichts aus dem Boden erhob. Atemlos starrte ich in die Dunkelheit und entdeckte rotes Haar.

>Jenna? Alles klar?<

Ich hob meinen Daumen, behielt meinen Blick aber in den Bäumen. Sie saß auf meiner Höhe in einer Baumkrone und sah mich aus ihren lodernden Augen an. >Mutter...<, flüsterte ich leise mit zitternden Lippen. Die Ebene bewegte sich nach oben. Das war Beth, die mich nach oben holen wollte. >Stop! Stop! Beth, hör auf!< Alles hielt an. >Siehst du sie nicht?< Ich zeigte zu den Bäumen.

>Schon bald, mein Kind.< Ihre Stimme schwang federleicht zu mir hinüber. Fast konnte ich ihre Finger auf meiner Haut spüren, als ihre Hand sich in meine Richtung ausstreckte.

>Was wird passieren, wenn du hier bist?<, fragte ich und beugte mich hervor.

Doch sie lächelte nur und sagte: >Auf unserem Weg sind Opfer ein Leiden, welches wir ertragen müssen.<

Sofort dachte ich an Isaac.

>Jenna, was machst du da?<, rief Beth. Erschrocken sah ich zu ihr auf. Als ich wieder zu der Baumkrone sah, war sie leer, dunkel, verlassen und kalt.

Suchend ließ ich meine Augen über jedes einzelne Blatt wandern. Doch sie war nicht da. Jedes Fünkchen Farbe wurde aus der Landschaft entzogen. Es war Nacht und es gab, abgesehen vom Mond, keine einzige Lichtquelle. Nur Dunkel.

>Nichts.<, murmelte ich. >Bring mich hoch.< Die Ebene bewegte sich. Ich hielt mich am Dach fest und stemmte mich hoch. Sie stand am Fenster und atmete durch als sie mich sah. >Geht es dir gut?<, fragte sie und half mir in mein Zimmer.

Ich nickte enttäuscht und ließ mich auf den Boden sinken. Beth schloss das Fenster und kniete sich vor mich hin. >Ich verliere meinen Verstand. Ich weiß es.< Sie schüttelte den Kopf und setzte an, um mir zu widersprechen, aber ich zeigte aus dem Fenster. >Du hast sie nicht da draußen gesehen, nicht wahr? Man sieht nicht irgendwelche Götter, die vor Millionen von Jahren gelebt haben. Das ist einfach nicht richtig.< Ich versenkte mein Gesicht in meine verschränkten Arme auf meinen Knien. Sie streichelte meinen Kopf. Mit pulsierenden Kopfschmerzen entgegnete ich ihren mitfühlenden Augen. >Es tut mir leid. Ich bin so schwach. Ihr seid nur alle so... ihr kommt mir so vorbereitet und bereit vor. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ebenfalls so... Ich kann das nicht. Ich bin doch nur...< Ich lachte auf und zeigte auf mich. >... das hier. Und dieser Selbstmitleid...< Lächelnd nahm ich ihre Hand in meine. >Tut mir leid.<

>Kein Problem, Schatz.< Sie setzte sich neben mich auf den Boden und zog meinen Kopf an ihre Schulter. >Wir sind alle überwältigt von dir und was du bringst. Und ich bin nicht vorbereitet. Genauso wenig wie alle anderen hier. Unsere Lehrer sind unsere Therapeuten. Mach dir einfach keine Sorgen.< Ihre Finger verschränkten sich mit meinen.

>Ich liebe dich, Beth.<, flüsterte ich leise.

Schnaubend küsste sie mich auf die Stirn. >Ich dich auch, Jenna.< Sie steckte ihre Nase in mein Haar. >Hast du geraucht?<

Ich lachte leise und vergrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge. >Ja, bitte sag es nicht Brody.<

>Oh, die ersten Geheimnisse. Nicht gut.< Ich zwickte sie in die Seite.

Beth blieb noch eine Weile und wir redeten, bis sie dann um kurz vor Mitternacht in ihr Zimmer ging. Ich ging noch schnell duschen und legte mich ins Bett. Mein Körper war müde. Vollkommen erschöpft, aber ich kam nicht dazu einzuschlafen.

Hoffnungsvoll kniete ich auf meine Kopfkissen und sah aus dem Fenster zu den Bäumen, doch keine Chance. Alles dunkel und verlassen.

Ich rutschte auf meinen Hintern und sog scharf Luft durch den Mund ein und stieß sie wieder aus dem Mund aus.

Mein Traum war genau wie jede Nacht. Meine Eltern stritten sich, Dad schlug mich, das Feuer entlud sich und ich wurde gemeinsam mit meiner Mutter und meinem Vater aus dem brennenden Haus. Alles lief jedoch langsamer ab.

Er packte meine Schulter. Ganz fest. Es tat weh. Er zog mich aus dem Bett raus. >Sieh mal, Jenna. Deine Mama fickt den Familienhelfer. Dreckiges Luder!< Er schlug Mama so stark, dass sie gegen die Wand fiel und sich den Kopf stieß.

Sie flog gegen die Wand gegenüber meines Bettes und saß dort für eine Sekunde. Ich konnte erneut ihr Lächeln sehen. Dieses Lächeln. Doch ich erkannte noch etwas anderes.

Mutter lächelte nicht mich an.

24. Die Wahrheit

 Ihre Augen streiften mich hauchzart, doch verfehlten mich dennoch.

>Sieh genau hin.<, hörte ich sie sagen, als stände sie direkt neben mir.

Rasant wurde ich an das verträumte Gesicht meiner Mutter herangezogen. Ich konnte jede einzelne Pore auf ihrer bleichen Haut sehen. Den verschmierten roten Lippenstift, die Wimperntusche auf ihren Augen, welche wegen ihren Tränen Spuren hinterlassen hatte, der Träger ihres Tops und ihres BH, die beide von ihrer Schulter gerutscht waren. Ihre geschwollene, rötliche Wange und die Striemen auf ihrem Hals, die auf würgende Hände wies. Und trotz all dieser Zeichen, die offensichtlich für einen Kampf standen, war sie schön und meine liebevolle und so kranke Mutter, die in einem Moment der puren Panik, der Trauer und der Tränen war, lächelte, während ihr Mann ausholte zu einem Fausthieb in meine Richtung. In die Richtung ihres Kindes. Was sah sie?

Ich kam näher heran. Näher. Näher und näher und näher. So nah, dass ich ihre Wimpern mit meinen Fingern abzählen konnte.

Und ich sah, was sie mir zeigen wollte. Ich sah es. Ich sah, was sie meinte.

Mich. Mich als Kind. Wie ich meine in die Bettkante eingehakten Finger ablöste und gerade zu meinem Schrei Luft schnappte. Wässrige Augen, fleckiges Gesicht und Wut, Angst und pure, pure, giftige Enttäuschung.

Aber nein... das war nicht das, was sie mir zeigen wollte. Was sie mir zeigen wollte, war die Frau, die hinter mir stand.

Und hier sah ich Mutter Ignis das erste Mal. In ihrer Gestalt, ohne die Ablenkung von irgendwelchen Bewegungen und Schwindel oder sonst was. Sie war hier. In der Spiegelung in den Augen meiner Mutter. Ich konnte sie sehen, als wäre es ein Spiegel. Als stände sie direkt vor mir.

Mir fehlten die Worte. Die Leute sahen mich an und redeten von Schönheit. Doch hier war sie. Sie war Perfektion. Unbändige, ausschweifende Perfektion. Adel. Eine Königin. Eine Göttin. Die Mutter aller Universen. Es sprach aus jedem Millimeter ihrer Gestalt.

Eine wallende Mähne von roten Locken, die sie umschmeichelten wie ein Mantel. Große lodernde Rot-Braune Reh-Augen. Eine gerade, schlanke Nase und Lippen die voll und rot waren. Sommersprossen besprenkelten die helle Haut ihres herzförmigen Gesichtes.

Atemberaubend.

Sie trug nichts aber irgendwie doch etwas. Ein goldener Schimmer umfing ihren Körper und schien ein Kleid darzustellen.

Tatsächlich. Diese Frau... dieses Wesen war übermenschlich... übernatürlich. Sie war eine Naturgewalt. Selbst in ihrer ruhigen Position konnte ich das Rumoren ihrer Kraft spüren.Mutter Ignis beobachtete meinen Vater. Ihre Stirn runzelte sich.

>Sieh genau hin.<

Ich drehte mich und konnte als Zuschauer sehen was weiteres geschah. Dad schlug mich und daraufhin meine Mutter. Ignis sah für eine kurze Sekunde zu. Ihre Lippen wurden zu einer strengen Linie und sie schüttelte den Kopf. Sie legte ihren Arm um meine Schulter und schob ihre Hand über meine. Ich begann zu schreien und gleichzeitig hob sie meine beiden kleinen Händchen in die Luft und aus ihnen strömten Fontänen, die dreimal, viermal so groß waren wie ich kleines Mädchen.

Und sie beobachtete dies mit energetischer Miene. Meine Familie verbrannte verdammt nochmal und sie sah zu.

Ich fuhr wieder zurück in das kleine Kind, dass ich zu der Zeit war. Der Sanitäter trug mich aus dem Haus. Als der Wagen meiner Mutter rausrollte, war dort wieder Mutter Ignis. Sie strich über den Leichensack und sah ihr trauernd nach.

Sobald das Ende des Traums erreicht war riss ich hoch und war wieder in meinem Zimmer. >Was?!<, schrie ich. Schwer verließ mein Atem meine Brust. Ich stieg aus dem Bett und drehte mich im Kreis. >Was zum verfickten Teufel nochmal war das?!< Meine Stimme überschlug sich. Ich bekam keine Antwort. >Scheiße, verdammte! All die Jahre...< Die Tränen brachen aus mir heraus. >All diese Jahre dachte ich,... ich wäre eine Mörderin. Ich dachte, ich hätte meine Eltern umgebracht, aber du... du...< Ich presste mich an die Wand und fuhr mir überfordert ins Haar. Meine Augen waren soweit aufgerissen, dass sie brannte und meine Lider in meinen Augenhöhlen zu verschwinden schienen. >Du warst das. Du warst... du warst das.< Ich verdeckte meinen Mund und rutschte herunter. >Du hast... du hast meine Eltern getötet. Du hast sie mir genommen!<, kreischte ich und schluchzte laut.

Ich hatte diesen Hass in mir aufgebaut. All die Jahre war ich so voller Hass, denn alles was ich war, war eine Mörderin. Als Waise hatte ich mir mein eigenes Grab ausgeholt. Ich war schuld. Die ganze Schuld lastete auf mir. Seit ich denken konnte waren diese Bilder in mein Gedächtnis eingebrannt, mit dem Wissen, dass ich sie niemals los werden würde. Und ich sprach mir den Selbsthass weiter zu. Ich pustete Luft in die Glut. Ich kratzte das Loch im Damm weiter auf. Gott, ich liebte und brauchte meinen Hass. Er war ein Teil von mir geworden. Diese Albträume. Die Angst, das Trauma, dass sie auslösten und intensivierten. Es war in Ordnung. Anders wäre es doch nicht richtig gewesen. All das verdiente ich und mehr. Viel viel mehr.

Und jetzt war das alles eine Lüge, denn diese Pseudo-Göttin, die sich nicht ein einziges Mal blicken lassen und mir all diesen Wahnsinn in den Kopf gezaubert hat, hat meine kleine 5-jährige Hand geführt, die den Tod meiner Eltern zur Folge hatte.

All das für eine Lüge.

Ich schlug mit meinen Fäusten in die Wand. >Ah!<, schrie ich laut und schlug weiter darauf ein. >DU. HAST. SIE. MIR. GENOMMEN.<, wiederholte ich und spuckte jedes Wort wie Steine aus.

Mit festen Schritten trat ich aus dem Zimmer und marschierte den Flur entlang. Ich sah Rot.

Meine Eltern waren tot. Tot. Brennkohle unter der Erde. Das waren sie. Mehr nicht. Und es war meine Hand durch die sie gestorben waren. Ich hatte sie brennen sehen. Ihre Schreie gehört.

>Hey, Jenna. Was machst du hier?<

Ich hob meine Hand in die Richtung aus der die Frage kam.

Der Lehrer wurde durch eine unsichtbare Kraft gegen die Wand geschleudert. Ich sah Rot. Niemand sollte in meinem Weg sein.

Ich trat auf den Mann zu. Seine Füße baumelten über dem Boden. Wortlos betrachtete ich ihn. Das Leuchten war wieder heller. Seine Venen traten deutlich hervor. Ich schnupperte an ihm. Erde. Feuchte, frische Erde.

Ruckartig drehte ich mich weg, er fiel zusammen, doch schwieg.

Mein Weg führte mich zu Kevin Robinson. Mit einem kräftigen Kick sprang die Tür aus der Angel. Ich konnte seine Stimme hören. Als nächstes flog die Doppeltür zu seinem Schlafzimmer auf.

Kevin lag in seinem Bett. Aufgesetzt, geschockt . >Jenna, was tust du...?<

>Sie hat meine Eltern getötet.<

Er rieb sich die Augen und schüttelte verwirrt den Kopf. >Wer...? Ich verstehe nicht, von...<

>Mutter Ignis hat meine Eltern umgebracht. Sie war es. Sie hat es mir gezeigt.<

Nun wurde er wach. Er schlug die Decke auf und trat auf mich zu. Doch mit jedem Schritt wurde seine Energie stärker und sein Licht heller. Ich verzog das Gesicht und machte wieder eine ähnliche Armbewegung wie zuvor. Kevin fiel zurück auf sein Bett. >Was zum...?<

>Ihr habt mir mein Leben zerstört. All diese Scheiße ist nur wegen euch passiert. Wärt ihr nicht, dann hätte ich noch meine Eltern. Ich wäre niemals zu dem hier geworden.<

>Jenna, ich weiß nicht von was du redest. Bitte beruhig dich.<

>Nein!< Ihre Schreie hallten in meinem Kopf. Markerschütternd. Tiefschürfend. Ich schluchzte. >Sie hat sie mir weggenommen. Einfach zugeschaut, wie sie am lebendigen Leibe verbrennen und all die Jahre... all die Jahre war ich... ich war so verlassen wegen diesem Vorfall... und sie hat einfach nur zugesehen!<

Kevins Brauen hoben sich an. >Mutter Ignis?<

>Was?!< Ich fuhr zurück. Meine Stimme war kaum zu erkennen. Doppelt. Zwei Stimmen hatten gesprochen.

Das war zu viel. Die Schreie meiner Eltern hörten nicht auf. Die Kopfschmerzen von vorher waren wieder zurück und hatten ihre Intensität deutlich erhöht.

Mir wurde schwindlig und ich verlor die Kraft über meine Peine. Ich ging zu Boden.

Ken schnappte mich und hob mich auf sein Bett. >Jenna, du musst mir das erklären.<

Die Linien vor meinen Augen verschwammen und hinter ihm schienen Flammen emporzusteigen. Die Tränen strömten über mein Gesicht. Ich begann zu hyperventilieren. >Sie war es… Sie war das…. Nicht ich.<, nuschelte ich zitternd und begann mich zu wiegen.

>Um Gottes Willen.<

>Ich habe... ihnen das nicht... angetan. Das war... nicht ich.<

>Ok, ok. Jenna.< Er ging vor mir in die Hocke. Ich sah ihn an. Seine Hände legten sich um meine. >Mit mir zusammen.< Wir begannen gemeinsam im gleichen Rhythmus zu atmen. Ich beruhigte mich langsam. Die ganzen irrationalen Aggressionen verließen mit jedem Atemzug meinen Körper. Der Schock und die Wut war immer noch in Takt und aktiv, aber auf viel zivilisiertere Weise. >Jetzt nochmal von vorne. Erklär mir was passiert ist.<

Ich entriss ihm meine Hände und rückte von ihm weg. >Während ich schlief, zeigte sie mir was beim Tod meiner Eltern tatsächlich passiert ist.< Ein Wimmern ließ meinen Körper erzittern. >Sie hat sie getötet!<, zischte ich. Fast hörte es sich an wie ein Fauchen.

>Wie meinst du das?<, fragte er.

>Ich meine es, wie ich es sage. Sie war da. Sie hat meine Hand geführt. Meine Mutter... kannte sie. Sie kannten sich. Ich weiß nicht, wie das möglich ist oder warum, aber es ist so und sie hat sie einfach abfackeln lassen!< Ich schlug mit den Fäusten auf meine Knie. >Wäre sie nicht, wäre ich nicht in einem scheiß Waisenhaus gelandet! Ich hätte nicht Jahre in purem Hass verbracht!< Mir fehlte der Atem.

Unsicher betrachtete Ken mein Gesicht. >Erlaube mir diese Frage, aber wenn es ein Traum war...<

>Es. War. Echt!< Ich lehnte mich zu ihm vor. >Es war echt. Sie hat es mir gezeigt!<

Er nickte. >In Ordnung. Also nehmen wir an, sie hat deine Eltern auf dem Gewissen. Wieso sollte deine Mutter Mutter Ignis kennen? Sie ist ein Mensch. Sie kennt unsere...<

>Ich weiß es nicht.<

>Wie kommst du dann darauf?<

Ich massierte mein Nasenbein. >Sie zeigte mir Details von diesem Vorfall, die mir nie... nie aufgefallen sind. Mum lächelte. Mein Vater schlug sie und mich und schrie uns beide an, aber sie lächelte. Und Mutter...< Ich schloss meine Augen. >... sie... hat mir gezeigt, dass... Mum sie sehen konnte. Dass sie mitangeschaut hat, wie alles zerfiel und dann mich geführt hat. Sie hat meine Hand gehoben und das Feuer strömte aus mir raus. Ich meine, ich war ein Kleinkind und das Feuer zerstörte das gesamte Haus. Das war nicht möglich, aber mit ihr...< Die Tränen hörten nicht auf zu laufen. Fast fühlte ich sie nicht mehr. Ich konnte einfach nicht glauben, welche Dinge sich mir in dieser Nacht offenbarten.

>Das sind zwei ziemliche Knaller.<

Ich zog meine Beine an und verdeckte mein Gesicht mit meinen Händen. >Kann ich das irgendwie loswerden? Ich will sie nicht mehr.<

>Es muss einen Grund dafür geben, weshalb sie das...<

>Es gibt keinen Grund dafür!<, schrie ich ihn an und stand auf. >Warum mussten sie sterben, Kevin?! Warum mussten sie sterben?! Und dann auch noch durch meine Hand!< Ich begann hin und her zu laufen. >Ich habe... sie sterben sehen, Kevin. Ich habe sie sterben sehen. Welchen Grund gibt es dafür, dass ein Kind, fast noch ein Baby, zuschaut wie ihre Eltern verbrennen? Sag es mir, verdammt!<

Er schüttelte den Kopf. >Ich kann es dir nicht sagen, aber wer bin ich schon? Ich bin selber ein Kind. Ein Kind dieser Götter und kenne ihre Wege nicht. Wir haben alle...<

>Es ist mir scheiß egal, was ihr alle erlebt habt! Sie hat sie umgebracht und ich will nie wieder irgendwas mit ihr, dieser kranken Welt oder sonst was zu tun haben. Die Kosten sind einfach zu hoch. Ich weiß noch nicht einmal, was mich am Ende von diesem ganzen Scheiß erwartet. Nehmt das einfach von mir und gebt es jemand anderem.< Ich wusste, dass das nicht ging und wie bescheuert das sich anhörte, aber diese ganzen Gefühle ließen mich jegliche Logik vergessen.

Kevin würdigte meine Frage noch nicht einmal einer Antwort, sondern setzte sich auf den Sessel, der vor dem Fenster stand. >Jenna, ich denke, du hast einen Nervenzusammenbruch.<

>Was hat Parvati gesagt?<, knurrte ich ihn an.

Verblüfft über meinen Ton hoben sich seine Brauen an und er lächelte. >Morgen Nachmittag... beziehungsweise...< Er sah zur Uhr, die auf seinem Nachttisch stand. >... heute Nachmittag, wenn du dein Unterricht hinter dir hast, kannst du zu mir ins Büro kommen und wir werden reden. Über all das hier, über Parvati und so weiter.<, erklärte er, stand auf und wollte mir auf die Schulter klopfen.

Doch ich packte sein Handgelenk, umfing mit der anderen Hand seine Kehle und pinnte ihn gegen den Türrahmen. >Ich habe keine Zeit für diese Scheiße, Ken. Was hat sie gesagt?<

>Jenna.< Ein warnender Unterton. Von meinen Schultern aus bis zu meinen Handgelenken zischte Feuer auf meinen Armen auf. >Nimm deine Hände von mir, Jenna, bevor ich dich fixieren muss.<

Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Über die Schreie in meinem Kopf konnte ich Kens Worte kaum verstehen. Die rasende Wut in mir versteinerte mich. Ich bekam die Arme nicht von ihm runter.

>Jenna.<, wiederholte er.

Panisch sah ich zu ihm auf. >Ich bin nur so... so sauer.<

Er nickte. >Ich weiß und das ist verständlich, aber was du jetzt gerade tust... wird dir nichts Gutes bringen.<, erklärte er. >Also nimm die Hand runter... Jetzt.<

Ich sah nervös zu ihm auf. Meine Hände lösten sich langsam von ihm. Schwerfällig trat ich zurück und fiel zu Boden. Meine Beine gaben einfach unter mir nach. Ich verlor die Kraft über mich und hielt mir meine beiden zitternden Hände in das Gesicht.

Alles war falsch. Alles woran ich bis jetzt geglaubt hatte. Meine Realität war eine Lüge. Inkorrekt. Der Hass, die Wut, die Schuld, die ich auf mich gelenkt hatte und die nun einfach zu mir gehörte, die einfach ein Teil von mir war, waren eine Lüge.

Diese Albträume, an denen ich seit meiner jungen Kindheit litt, waren verschwendetes Leid und verschwendete Mühe.

Unzählige Sitzungen beim Psychologen, Medikamente, Aufenthalte in Psychiatrien.

Umsonst.

Ken kniete sich zu mir auf den Boden und legte seine Arme um mich. >Es tut mir leid, Jenna.<, flüsterte er leise und streichelte dabei vorsichtig meinen Rücken. >Es tut mir leid.<

Wortlos schluchzte ich weiter in seinen Armen und schloss meine Augen. Ich hatte das Gefühl zu zerfallen, denn hier ging es nicht nur um meine Person, die sich jahrelang psychisch strangulierte, sondern auch um meine biologische Mutter, die dies wohl bewusst zugelassen hatte, und um meine Göttin, meine geliebte Göttin. Wie ich nach ihr suchte, wie ich mich nach ihr sehnte, wie ich ihre Wärme und ihre Präsenz liebte und genoss und doch war sie es, die diese schrecklichen Träume verursacht hatte. Und nun, wo ich sie lieben und vergöttern gelernt habe, stellt sich heraus, sie war der Henker meines Geistes. Sie war der Stiefel der meine Seele zu einem Scherbenhaufen zertrat. Sie. Meine geliebte Göttin, die mein Zufluchtsort sein sollte.

25. Besuch

>Scheiße verdammte...<, hauchte Brody als er mich auf dem Flur antraf.

>Vielen Dank.<, brummte ich ironisch und lief an ihm vorbei.

Er fasste nach meiner Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. >Hey, warte Mal! Was ist denn los?< Sein Schock war wohl gerechtfertigt. Ich hatte die ganze Nacht durchgeheult und gezittert wie eine Verrückte. Kevin war dabei die ganze Zeit anwesend und versuchte mich tapfer zu trösten. Irgendwann wurde dann ein Arzt gerufen, der mir eine Spritze verpasste, die so dermaßen reinhaute, dass ich mich nicht einmal mehr daran erinnere, wie ich wieder in mein Zimmer gekommen bin.

Die letzte Nacht zeichnete sich ziemlich akkurat in meinem Gesicht ab.

Dunkle, geschwollene Augenringe, rote Augen, bleiche Haut und zerzaustes Haar. Ich war am Ende. >Nichts. Lass mich.<, brummte ich.

Er streichelte meine Wange und zog mich an seine Brust. >Jenna, was ist los?< Es traten wieder Tränen in meine Augen, doch ich drängte sie sofort wieder zurück. Sie hatte keine einzige Emotionsregung mehr von mir verdient.

>Nichts.< Ich schob ihn von mir und ging weiter den Flur entlang.

>Jenna, willst du heute nicht lieber den Unterricht ausfallen lassen und dich etwas ausruhen?< Ich schüttelte den Kopf. >Jetzt warte Mal.< Wieder schnappte er sich meine Hand und hielt mich auf Armeslänge vor sich. >Was ist passiert?<

Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir durchs Haar. >Es... Sie hat mir wieder etwas gezeigt.<, erklärte ich ihm.

Er nickte. >Mutter Ignis.<

>Sie...< Ich trat näher an ihn heran. >Sie hat meine Eltern umgebracht.<

Argwöhnisch runzelte er die Stirn. >Ich verstehe nicht. Wie meinst du das?<

>Sie hat mir gezeigt, wie das früher tatsächlich abgelaufen ist.<, flüsterte ich. >Meine Mutter und sie waren irgendwie zusammen unter einer Decke und... Mutter Ignis war es, die mich geführt hat, als ich... als meine Eltern verbrannten. Das war nicht ich. Sie war...< Meine Stimme brach. Ich räusperte mich. >Sie war das. Nicht ich.<

Für ein paar Sekunden betrachtete er unsicher mein Gesicht. Er fuhr sich durchs Haar. >Scheiße verdammte.< Ich sah zu Boden und schluckte schwer. >Scheiße! Verdammte!<, rief er erneut aus. >Jenna, es tut mir leid.< Er umarmte mich. Erleichtert lehnte ich mich an seine warme Brust. >Ich verstehe das nicht. Wie... wie...?<

>Gottes Wege sind unergründlich.<, murmelte ich zynisch.

Brody schnaubte. >Sieh mich an.< Ich hob meinen Blick zu ihm an. >Sie wird irgendeinen Sinn darin...< Ich entriss ihm meine Hände und trat mit aufgerissenen Augen von ihm weg. Er schüttelte den Kopf. >Hey... Nein, nein, nein! So meine ich das nicht! Je-< Ich stürmte schon von ihm weg. >Jenna!<

>Einen Sinn?! Einen verfickten Sinn?!<, rief ich laut. Die Schüler um mich herum sahen verwirrt zu mir, aber das war mir scheiß egal. >Einen verfickten, scheiß Sinn?!<

Brody folgte mir. >Hey, hör mir zu. So habe ich das nicht gemeint, Jenna. Natürlich ist das...< Wieder versuchte er mich an sich zu ziehen.

>Fass mich nicht an!<, schnauzte ich ihn an. >Welchen Sinn kann es haben einem Kleinkind so etwas anzutun, Brody? Warum habe ich das verdient?<, fragte ich ihn mit trotziger Stimme.

Er blickte mich hilflos an und atmete durch. >Jenna,... es tut mir leid. Ich weiß nicht, weshalb unsere Götter handeln, wie sie es tun.<

Ich nickte und trat auf ihn zu. >Aber ich weiß es.< Mein Inneres zitterte, als die Worte sich in meinem Kopf zusammenstellten. >Denn unsere Götter sind nichts weiter als miese Sadisten, die mit uns spielen, als wären wir Puppen.<, zischte ich leise und zuckte unter dem Schmerz, der dabei in mir aufhellte, zusammen.

Brody schüttelte leidend den Kopf. >Du weißt, dass das nicht stimmt, Jenna. Ich weiß, dass das jetzt wieder…<

>Nein, weißt du nicht. Du weißt überhaupt nichts. Und niemand von diesen Freaks hier hat auch nur eine Ahnung, warum zu, Teufel er so ist, wie er ist. Eine Laune der Natur? Missgeburten oder Götter selbst? Keine Ahnung, Brody! Das alles hier sind vage Vorstellungen von Gestalten, die vor einer Millionen von Jahren sich die Mühe gemacht haben, sich mit uns abzugeben und jetzt? Wacht auf, sie sind nicht mehr da. Sie haben uns im Stich gelassen. Sind abgehauen, bevor wir Volltrottel kapieren konnten, dass sie mit uns gespielt haben. Mehr. Nicht.< Die Worte sprudelten aus mir heraus. All die Frustration und Wut entzündete ein unkontrollierbares Feuerwerk.

Ich blickte ihn leidend an. Es schmerzte mich. All diese Enttäuschung, die sich in mir aufgebaut hatte. Meine Lust war vergangen. Ich wollte nicht in den Unterricht. Wortlos wandte ich mich ab und ging den Weg, den ich gekommen war, wieder zurück.

In meinem Zimmer schmiss ich all meine Sachen wild von mir und warf mich auf mein Bett. Mein Kopf tat so weh. Meine Brust zog sich zusammen. Es war wieder einer dieser Momente in denen meine Empfindungen auf ihr höchstes Level sensibilisiert waren. Ich spürte meine beiden Zimmernachbarinnen. Wie sie sich fertig machten, um nach unten zu gehen. Ihre Lichter schienen durch die Wände zu leuchten.

Ich vergrub mein Gesicht in meinen Kissen und kugelte mich ein.

>Jenna,...<

>Nein, hör auf.<

>Jenna,... Meine Tochter...<

>Nein! Du bist nicht meine Mutter, aber du hast meine Mutter umgebracht, du...!< Ich krallte meine Finger in die Bettlaken und zog sie um mich herum. >Ich will einfach nur wieder zurück. Alles wieder wie vorher. Ich will meine Mum wieder. Und ich will meinen Dad wieder.< Mir wurde warm. >Es lief so viel falsch, so viel, aber sie waren meine Eltern. Mum und Dad. Sie...<

>Jenna,...<

>HÖR! AUF!<, schrie ich und setzte mich auf, nur um einen Moment später scharf Luft zu holen und erschrocken an das Kopfteil des Bettes zu rutschen. >Oh...< Meine Hand hob sich an meine Lippen. >Oh mein... Mama?<

>Jenna.<

Mum stand an der Zimmertür. Sie war vollkommen in ein weißes Kleid gehüllt und trug die Haare offen. Wunderschön. So schön wie ich sie nie zu sehen bekommen habe. Gesund, wohlgenährt, voller Energie.

>Mummy?<, wimmerte ich leise und kroch ihr auf der Matratze entgegen.

>Jenna, meine Süße. Ich habe dich so vermisst.<

Tränen überschwemmten meine Augen. Sie ertranken in ihnen, während meine Mutter mich liebevoll betrachtete. >Mum, wo seid ihr? Warum habt ihr mich...?<

>Du bist wunderschön, Kleines.<

>Was hat sie getan, Mama?<

Sie lächelte etwas. >Das was nötig war, meine Süße.<

>Was?< Ich schluchzte und blickte sie ungläubig an. >Was nötig war? Da war nichts nötig. Sie hat mir euch weggenommen. Einfach so und...<

Die Hitze stieg an. Ich spürte, wie mein Körper begann Schweiß zu produzieren.

>Schatz, Mutter tut alles, um zurück zu ihren Kindern zu kommen.<

>Dafür musste sie mir aber nicht meine Mutter nehmen!<, schrie ich ihr entgegen.

>Jenna. Ich bin da. Ich bin immer da. Jeden Augenblick war ich da.< Sie beugte sich etwas vor. Tropfen sammelten sich in meinem Nacken. >Und, Süße, ich bin so stolz auf dich. Du bist so weit gekommen. Nicht mehr lange und ihr beide...<

>Nein! Ich will sie nicht. Ich will dich und Dad wieder haben! Warum kann ich euch nicht zurückhaben?<, fragte ich verzweifelt.

Nachsichtig schüttelte sie den Kopf. >Es tut mir leid, mein Schatz. Das geht aber leider nicht. Ich bin nicht das Richtige für dich. Ich dachte, wir würden es alle zusammen schaffen, aber... aber...< Sie zuckte unbekümmert mit den Schultern. >... wir waren euch beiden im Weg, verstehst du? Wir waren nicht das richtige Umfeld für dich, um sie zu empfangen, Süße. Ich wünschte, es wäre so gewesen, doch das war es nicht.<

Die kurzen Härchen an meinen Schläfen klebten an meiner Haut. >Aber...<

>Ich habe sehr viele falsche Entscheidungen getroffen und musste dafür bezahlen. Aber nun, kann ich zusehen, wie du aufsteigst und das ist mehr als genug für mich.< Ich wischte meine verschwitzten Handflächen an meiner Hose ab und stieg vom Bett. >Schatz, es ist bald so weit.<

>Du hast mich verlassen. Du hast dich und Dad verbrennen lassen, weil... weil...<

>... der Aufstieg nur so möglich für dich war.<

>Das ist verrückt...<, entkam es mir.

Sie schmunzelte. >Das ist alles, was ich für dich tun konnte. Und ich hätte mehr getan, wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre. Ich...< Ihre Erscheinung wurde für einen Moment transparent. >... ich liebe dich, Baby. Lass dich nicht von deinem Weg abbringen. Du wirst es zu etwas Großem bringen.<

>Mum, wie konntest du sie kennen?<, fragte ich sie.

>Ich war eine Bändigerin, Schatz.<

>Was?!< Ich trat noch einmal auf sie zu und wischte mir über die Stirn. >Wie kann das sein? Ich habe nie etwas...?<

>Ich habe sehr viele falsche Entscheidungen getroffen. Durch deinen Vater bin ich in eine schlechte Umgebung geraten. Ich hatte nicht die Hilfe von erfahrenen Bändigern, die mir hätten zeigen können, wie ich mit meinen Kräften hätte umgehen sollen. Tatsache ist, ich hatte überhaupt niemanden. Und deshalb erwies ich mich als unwürdig und verlor das Element. Du bist würdig, Jenna. Man bekommt nicht einfach diese Zuneigung von den Göttern und tut nichts dafür. Ich habe alles verloren. Dir steht noch alles offen.< Sie breitete ihre Arme aus, als wäre sie drauf und dran mich in eben diese zu schließen. Und am liebsten hätte ich mich in sie geworfen, doch das erneute Flimmern hielt mich zurück. >Schatz, du bist Teil einer neuen Generation.<

>Ich will das alles nicht. Ich will das nicht. Ich will dich und Papa. Nur euch. Bitte, kommt wieder...< Sie schüttelte den Kopf. >Warum ich? Warum musste ich euch verlieren?< Der Schweiß rann mir an der Kehle hinab. Es war so brütend heiß.

Doch Mutter ließ sich nichts anmerken. Sie war wie ein wunderschöner Engel, der im Himmel bei kühler wehender Luft auf mich herabblickte. >Als ich meine Kräfte verlor, war ich schwanger. Mutter Ignis wollte dich. Dafür musste sie mir versprechen, dir ein besseres und geschütztes Leben zu sichern. Und weil wir, deine Eltern, so unglaublich schwach waren, wussten wir, dass wir niemals Teil dieses Leben sein können würden. Gleichzeitig aber... bist du meine geliebte Tochter und ich wäre zu egoistisch gewesen, um dich einfach abzugeben oder mich von dir fernzuhalten. Es gab also keinen anderen Weg, als uns aus deinem Leben zu radieren.<, erklärte sie mit einem unbekümmerten, strahlenden Lächeln.

>Nein, nein... Du kannst das nicht einfach so erzählen, als wäre es das Ende eines Märchens. Ihr seid verbrannt. Lebendig verbrannt. Sie hat euch abgeschlachtet. Wie hilflose Schafe auf einem Feld, Mum.<

>Und ich würde es aber und aber und aber mal wieder tun, mein kleiner Engel. All das dafür, dass ich dich heute gesund sehe und mir nicht ausmalen muss, wie du bei uns geendet wärst.< Ihre Miene wurde ernst. >Wir waren nicht gut für dich, Jenna.<

>Du bist meine Mutter. Natürlich, warst du...< Ich hielte inne und erinnerte mich an all die schrecklichen Dinge, die passiert waren. Die Prügel, die Schandtaten meiner Mutter. >Aber ihr wart meine Eltern...<, flüsterte ich.

>Wir waren jedoch keine guten Eltern.<

>Aber...<

>Es ist Zeit.<, unterbrach sie mich. Ihr Gesicht war nun vollkommen emotionslos. >Du musst akzeptieren, welche Position du nun besetzt. Es müssen Opfer erbracht werden. Doch diese sind nichtig im Vergleich zu dem, was sie uns erbringen. Jenna, verstehst du?< Sie machte eine Bewegung mit ihrer Hand. Fast so, als würde sie mein Gesicht streicheln wollen.

Ich spürte das Gewicht einer einzigen schweren Träne meine Wange herunterlaufen. Vielleicht war es auch Schweiß. >Mum...<

>Es gibt nichts auf der Welt, dass mich je von dir trennen könnte, Jenna.<, versprach sie mit tonloser Stimme. Ich streckte meine Hand zu ihr aus. >Nichts. Du bist und bleibst mein Ein und Alles. Es tut mir leid, dass ich nicht dazu in der Lage war dich als dieses zu behandeln.<

Meine Fingerspitzen, die eigentlich ihre Schulter hätten berühren sollen, trafen auf eisige Kälte. Ein rasierscharfer Kontrast zu der schweren Hitze.

>Prinzessin.<

Mich riss etwas zurück und als ich meinen Blick wieder zu der Stelle anhob, an der sie gestanden hatte, war diese frei.

>Nein! Noch nicht! Bitte!< Panisch suchte ich mein Zimmer ab. >Mum, noch nicht! Bitte! Mum!< Ich gab nicht auf. Ich spickte selbst unter das Bett. >Bitte! Bitte! Wir haben doch kaum...< Schwerfällig ging ich in die Hocke und raufte mein Haar. >Mama.<, flüsterte ich.

Wenige Minuten hatte ich nur von meiner verstorbenen Mutter gehabt. Nun war sie fort und es fühlte sich an, als wäre ich erneut allein und verlassen.

26. Loyalität und Verrat

Die Hitze klang rasant ab. So schnell, dass ich schon bald zu zittern begann. Die Luft schien die Wärme aus meinem Körper zu ziehen. Es war nicht zu beschreiben, wie ich mich fühlte. Als säße ich in einem Loch Kilometer weit unter der Erde.

Warum musste sie gehen? Wie war es überhaupt dazu gekommen, dass sie erschien?

Und wie konnte das gewesen sein? Sie war eine Feuer-Bändigerin und verlor ihre Kräfte? Ich konnte es nicht glauben! Diese Informationen waren mehr als erschreckend.

Ich wollte nicht glauben, dass sie sich und meinen Vater umbringen lassen hatte. Sie hatte ihr... ihres und Vaters Leben... geopfert, um mich in... Sicherheit zu wissen. Alles hatte sie aufgegeben. Für mich.

Ich fühlte mich unglaublich angeschlagen, leer und abgestumpft.

Schweigsam duschte ich erneut. All den Schweiß und die Emotionen von mir spülen. Ich ging anschließend aus meinem Zimmer. Die Flure waren ausgestorben. Natürlich, alle waren im Unterricht.

Jedoch interessierte mich die Schule in dem Moment herzlich wenig. Statt also in mein Klassenzimmer zu gehen, steuerte ich das Büro der Rektoren an. Ohne auf die Einwände der Luft-Bändigerin am Sekretariat zu hören öffnete ich die Tür zu Kens Büro. Er saß hinter seinem Tisch und arbeitete unberührt weiter, während ich in der Mitte des Raumes stand.

>Solltest du nicht im Unterricht sein, Jenna?<,f ragte er ruhig, nachdem ein paar Minuten des Schweigens vergangen waren.

Ich atmete durch. >Sie hat mir meine Mutter gezeigt.< Das Tippen hielt an. Ich spürte seine Augen auf mir. >Ich habe mit ihr gesprochen... und...< Meine Stimme brach. >Meine Mutter war eine Feuer-Bändigerin oder was auch immer ich darstellen soll. Sie hat aber ihre Kräfte durch ihre Drogen-Vergangenheit und all dem Scheiß verloren und... sie sprach sich mit Mutter Ignis ab, mir ihre Kräfte zu geben, dafür sollte sie sich nur von mir fernhalten und sie sahen den Tod meiner Eltern wohl als einzige Lösung.<, erklärte ich mit leiser Stimme.

Ken beobachtete mich. >Hast du geschlafen...?<

>Ich habe mir das nicht eingebildet, Ken.<

>Das behaupte ich nicht.< Er stand auf und lief um den Tisch herum.

Ich fuhr mir durchs Haar. >Hast du mit Parvati gesprochen?<

Mit den Augen weiter untersuchend auf mir liegend nickte er. >Ja, habe ich.< Er schob die Unterlagen auf seinem Schreibtisch beiseite und lehnte sich an ihm an. >Sie will dich an den Königshof holen und dich deinen Abschluss dort machen lassen.<

>Aber...<

>Ich bin dagegen, dich erneut einer neuen Umgebung auszusetzen. Das habe ich ihr auch klargemacht. Deine Entscheidung ist jedoch die, die zählt.< Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab.

Unsicher sah ich zu Boden. >Ich möchte hier bleiben.<

>Gut. Ich werde Sie darüber in Kenntnis setzen.<

Ich nickte und wollte gehen, doch drehte ich mich zuvor zurück. >Wie geht es Isaac?<, fragte ich. Er war in dem ganzen Chaos vollkommen in Vergessenheit geraten.

Ken beobachtete mich vorsichtig. >Warum willst du das wissen?<

>Warum?<, wiederholte ich seine Frage und runzelte meine Stirn. >Weil ich Schuld bin an seinem Krankenhaus-Aufenthalt und ich mir Sorgen mache.<, antwortete ich.

Er schüttelte den Kopf. >Du bist nicht schuld. Isaac ist sehr stolz auf dich. Das sind wir alle, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.<

Ich trat näher heran. >Ich möchte nur wissen, wie es ihm geht.<

Er seufzte. >Es geht ihm gut. Besser. Es wird jedoch noch ein paar Tage dauern, bis er wieder unterrichten kann.<, erklärte er und trat auf mich zu. Ich machte einen Ansatz, um etwas zu sagen, doch Ken kam mir zuvor. >Bevor du fragst, ob du ihn besuchen darfst... Er hat darum gebeten, dir keinen Besuch mehr bei ihm zu gestatten.<

Ich schüttelte den Kopf und zuckte mit der Schulter. >Von mir aus.<

>Geh in den Unterricht, ja? Ich werde die Lehrer darüber informieren, dass du bei mir warst.< Ich verließ das Büro, holte aus meinen Zimmer meine Schulsachen und ging runter ins Klassenzimmer. Der Lehrer ließ mich wortlos zu meinem Platz neben Beth gehen. Sie fragte mich, was los sei, doch ich verneinte schweigend. Mein Blick fiel auf Brody, der unsicher zu mir sah. Schnell sah ich wieder weg. Mir schmerzte der Kopf.

Ich konnte mich kaum auf den Stoff konzentrieren. Immer wieder flimmerten Bilder meiner Mutter vor meinem inneren Augen auf. Sie war hier gewesen und hatte mir die Situation erklärt, doch was bedeutete das jetzt?

Was sollte ich zum Teufel damit anfangen?

Ich wusste nicht was ich tun sollte, wenn sie wieder auftauchte.

 

Wir hatten für den Kampfsportunterricht der Feuer-Bändiger einen neuen Lehrer. Derek. Er war etwas älter als Isaac und viel breiter gebaut.

>Also, wir gehen in Saal 4.< Er klatschte in die Hände und wies mit den Händen zur Tür. Kyle und ich folgten der Klasse durch die Flure in den Saal. >Manche von euch kennen mich, da ich ebenfalls Mathe und Geschichte unterrichte. Heute aber ersetze ich Isaac, der ja auf der Krankenstation liegt.< Einige Schüler drehten sich bei seinen Worten zu mir um oder linsten zu mir herüber.

>Was?!<, zischte Kyle ihnen entgegen. Ich legte beruhigend eine Hand an seinen Oberarm und nickte dankend.

>Wir werden heute in Vierer-Gruppen arbeiten. Denn es ist wichtig, Vertrauen zu haben zu seinen Brüdern und Schwestern. In einem Kampf, muss man wortlos und blind mit den anderen kommunizieren können. Und das werden wir heute trainieren. Damit ihr euch aber nicht in irgendwelche Gruppen eingliedert, an die ihr schon gewohnt seid, werde ich die Gruppen aussuchen. Stellt euch in eine Reihe.< Er lief an uns vorbei und zählte ab.

Ich war mit 3 Kerlen in der Gruppe und musste gegen Kyle einen weiteren Jungen und zwei Mädchen kämpfen.

>Und weil ich möchte, dass ihr von den andern Kämpfen, die parallel stattfinden werden, abgelenkt werden.< Derek trat einmal mit dem Fuß auf, gleich darauf teilte eine Wand aus Feuer den Saal einmal von rechts nach links und von vorne nach hinten, sodass der Saal in vier „Räume“ unterteilt war. >Los.< Ich stellte mich mit meinen Gruppenmitgliedern in eins der Räume.

>Also, Ms. Massaker, zeig uns was du drauf hast.<

Ich hob meinen Mittelfinger in die Richtung, aus der die Worte kamen und ging in Kampfstellung.

>Ich werde während eurer Kämpfe Runden laufen und ich werde mich auch in den Kampf einbringen. Seid Wachsam. Los geht’s!< Ich warf meinen Oberkörper zurück, als ein Feuerball auf mich zuraste. Mit dem Schwung machte ich einen Salto und schlug mit beiden Händen flach auf den Boden. Wie zwei Peitschen schlugen zwei Seile auf den Boden. Kyle sprang vom Boden ab und versuchte mich auf den Boden zu ringen, doch ich packte seine Hand, drehte mich und riss ihn selber über meine Schulter auf den Boden.

>Jenna!< Einer meiner Teamkameraden stand bekämpfte geraden einen der Gegner. Ich rannte auf ihn zu und rechtzeitig noch drehte er sich zu mir herum, ging in die Knie und formte seiner Hände zu einer Mulde, in die ich meinen Fuß steckte und von ihm hochkatapultiert wurde. Eigentlich zielte ich auf das Mädchen, der anderen Gruppe, doch stattdessen kam Derek aus der Wand aus Feuer gesprungen, fing mich ab und riss mich mit seinem Knie in meinem Magen zu Boden. Keuchend landete ich auf allen Vieren und sah auf. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich weg drehen, bevor er mich erneut angreifen konnte.

Er lächelte breit. >Guter Ansatz. Jetzt alle zusammen gegen mich.< Ich sah zu Kyle. Er rannte auf Derek zu, rutschte über den Boden, sodass er hochsprang. Diesen Moment nutzte ich. Machte ein Rad und eine Schraube, wobei ich mit beiden Fäusten Feuer sammelte, um Derek anzugreifen. Doch natürlich fing er mich ab, packte mich am Nacken und schleuderte mich von sich, als wäre ich eine Puppe.

Die anderen versuchten ebenfalls eine Kombination, doch wir schafften es nicht. Er verließ unseren Raum, während wir alle am Boden lagen.

>Scheiße.<

>Hey, Massaker-Braut, da habe ich aber mehr erwartet.<, keuchte der Eine. Ich kickte in seine Richtung und hörte ihn einen Moment später erschrocken aufschreien. >Du verdammte...<

Die Kämpfe waren eine gute Ablenkung. Mein Kopf war gefüllt von Kampftechniken. Ich hatte keine Zeit dafür mir Sorgen um die Zukunft oder die Vergangenheit zu machen. Hier ging es nur um Abwehr und Verteidigung. Schnelle, rationale Reaktion auf schnelle, rationale Angriffe.

Derek kam noch circa 5-Mal zu uns rein und zermürbte uns, wobei wir aber zweimal nach dran waren, ihn einmal unterzukriegen. Jedoch nur fast.

 

Überhäuft mit Flecken und getunkt in Schmerzen kamen wir aus dem Sportunterricht. Doch musste ich nach dem Essen wieder raus und weiter trainieren. Beth und die anderen waren wie immer gerne da und halfen mir. Ich bekämpfte sie alle und gab mir Mühe, unter den Schmerzen nicht zu schwächeln.

Als Brody dran war, viel das mir schon etwas schwerer. Er versuchte mich offensichtlich zu schonen. Eher Verteidigung als Angriff.

>Hör auf!<, schrie ich ihn an und stieß ihn von mir. >Kämpf' gefälligst richtig!<, verlangte ich. >Wenn du das nicht kannst, dann verschwinde. Dann nutzt du mir nichts. Ich kann mir auch jemand anderen suchen.<

Kopfschüttelnd fuhr er sich durchs Haar. >Nein, tut mir leid.< Ich konnte in seinen Augen sehen, wie unwohl er sich fühlte. Diese ganze Situation war ein Chaos.

Wir versuchten es wieder.

Ich blockte seine beiden Fäuste ab und riss eine Schneide in die Luft. Er hob beide Hände. Ein plötzlicher Windstoß warf mich von meinen Füßen. Ich fing mich mit einem Flick-Flack ab und schickte zwei Feuerwalle auf ihn zu. Brody klatschte seine Hände zusammen und durchschnitt sie spezifisch.

Ich verlor. Er machte eine verrückte Bewegung. Es sah so aus, als würde er einen Salto neben mir machen, mich dabei packen und beim Aufkommen auf die Fläche pinnen.

Meine Kraft verließ mich. Schwach ließ ich mich fallen. Brody legte sich neben mich. >Jenna, es tut mir leid, was ich gesagt habe.<

>Ist egal.<

>Nein, ist es nicht. Das war mies. Ich bin nicht in deiner Situation, deswegen... darf ich mir kein Urteil leisten, aber...< Ich hielt seinen Mund zu. Wir sahen uns schweigend an. Er war doch so ein netter Kerl. So niedlich, so süß und so verdammt liebevoll. Bei ihm wusste ich einfach, dass er mich tatsächlich gern hatte. Ich rückte näher an ihn heran und lehnte meinen Kopf an seine Brust. >Ich wollte dich nicht verletzen.<, murmelte er an meinem Kopf.

Ich schüttelte den Kopf. >Du hast ja Recht. Auf unserem Weg sind Opfer ein Leiden, welches wir ertragen müssen.<, wiederholte ich ihre Worte.

>Das stimmt wohl.< Wir lehnten unsere Stirn aneinander und schlossen die Augen. >Das tut mir alles so leid.<, flüsterte er und streichelte meinen Rücken. Ich gähnte leise und genoss die Ruhe mit Brody zusammen.

Wir lagen eine Weile schweigend da. Die Wiese unter uns war vom Sonnenlicht gewärmt und weich. >Was wirst du jetzt...?<

>Ich will jetzt nicht darüber sprechen...< Ich sah zu ihm auf. >Bitte.<

Er nickte. >Natürlich, kein Problem.<

>Danke.<

Wir gingen zusammen im Wald joggen. Erneut eine gute Ablenkung. Ich hatte keine Kraft und Lust mich zu bewegen, doch fühlte ich mich dadurch meinem Geiste ferne und meinem Körper näher.

Der Schweiß schien mich leichter zu machen. Mit jedem Schritt fühlte ich mich besser. Und als wir dann zurück in den Schülerflügel gingen, war ich zu müde, um mir Gedanken über irgendwas zu machen.

>Wie geht es eigentlich Isaac? Hast du was von ihm gehört?<, fragte Brody mich auf dem Weg zum Flur.

Ich zuckte mit der Schulter. >Weiß nicht. Er hat mir verboten, ihn zu besuchen.<

Verwirrt fuhr er zurück. >Warum das?<

Ich schüttelte den Kopf. Bilder blitzten in mir auf. Wie nah Isaac und ich uns waren. So kurz davor. Ganz knapp davor. >Keine Ahnung. Ken meinte aber, dass es ihm besser geht.< Wir kamen an meinem Zimmer an. >Brody...< Ich wollte nicht alleine sein. >... bleibst du heute Nacht bei mir?<, fragte ich ihn unsicher und senkte die Augen.

Seine Hand strich über meine Schulter. >Wenn du das willst.<

>Danke.< Ich öffnete die Tür und ließ uns beide rein. >Du kannst hier duschen.<, erklärte ich ihm und zog mich auf dem Weg ins Badezimmer aus. Brody folgte mir. Wir standen unter dem Wasserstrahl. Ich umarmte Brody von hinten und küsste seine Schulter. Zärtlich streichelte er meine Hände an seiner Brust. >Ich habe dich wirklich gern.< Ich hörte ihn schnauben.

>Ich dich auch, Süße.<

>Schon von Anfang an?<

>Von dem Moment an, in dem ich dir diesen Luftstoß ins Gesicht geschlagen haben.< Ich lachte leise, als ich mich daran erinnerte. >Wir schaffen das. Zusammen schaffen wir das. Wir werden das verstehen und wir werden eine Lösung finden. Das verspreche ich dir.< Seine Worte waren fest. Ich glaubte ihnen. Und ich wünschte mir so sehr, dass sie wahr werden würden.

Wir lagen im Bett. Brody hatte seine Arme um mich geschlungen und seinen Kopf auf meine Brust gelegt. Er schlief schon. Ich bekam die Augen nicht geschlossen, wobei mich Brodys Atmen aber furchtbar beruhigte. Er schnarchte ganz leise. Liebevoll küsste ich ihn auf die Stirn. Schlafend wirkte er jünger und süßer.

Einfach nur ein netter, fürsorglicher junger Mann.

>Die Gasleitung! Achtung! Isoliert die anderen Häuser!<

>Unglaublich. Nicht eine einzige rote Stelle. Es ist ein Wunder, dass du diese Flammen überlebt hast.<

Ich fühlte einen Knoten in meinem Hals und versuchte zu schlucken. Brodys Arme zogen sich fester um mich. Mein Gesicht begann sich wie eine Maske anzufühlen. >Scheiße.<, flüsterte ich und küsste ihn erneut auf die Stirn und weiter runter bis zu seinen Lippen. >Brody.< Er erwiderte meine Küsse noch im Schlaf, während er langsam aufwachte. >Baby, wach auf.<, bat ich.

>Was ist, Jenna?<, fragte er mit kratziger Stimme. Seine Augen öffneten sich langsam. Ich hob sein Kinn an, trennte seine Lippen und schob meine Finger in sein Haar. >Jetzt?< Ich ignorierte seine Frage und drehte uns, bis ich mit meinen Knien auf je einer Seite kniete. >Jenna, anstatt...< Bevor er seinen Satz beenden konnte, küsste ich ihn wieder. >Süße,...< Wieder ließ ich nicht zu, dass er weiter sprechen konnte. Doch nun packte er meine beiden Hände, drehte uns erneut und hielt sie gegen das Bettteil gedrückt. >Jenna, hör mir zu.<

>Was ist denn?! Können wir nicht einfach ficken und das Maul halten? Ich verstehe nicht, warum du immer über alles sprechen willst. Lass uns einfach nur vögeln. Einfach nur vögeln, Brody. Bitte, bitte, bitte!<, bettelte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu winden, doch er schüttelte den Kopf.

Er klemmte meine Hände unter seine Knie. >Ich habe dir das schon erklärt, Jenna. So bin ich nicht und so will ich auch nicht sein. Und ich will auch nicht, dass du jedes Mal, wenn dir irgendein negativer Gedanke in den Kopf kommt, spitz wirst und mich zu rammeln versuchst.< Er war sauer. >Rede. Mit. Mir.<, verlangte er wütend.

>Brody,...<

>Nein, jetzt bist du leise! Du musst endlich damit aufhören. Mit diesem Zwang, Kummer mit Sex aufzuwiegen. So läuft das nicht. Das ist respektlos dir und jedem anderen gegenüber. Reiß dich zusammen, verdammt! Reiß dich zusammen. Fall nicht immer wieder in dieses beschissene Muster zurück. Ich mache da nicht mit. Ich bin einmal da rein geraten und das will ich nicht nochmal.< Er hatte Recht. Ich musste damit aufhören. Das war nicht richtig. Es war ungesund. >Hörst du?<, fragte er nach. Ich nickte mit großen Augen. >Gut.< Er ließ los und warf sich neben mich wieder ins Bett. >Gottes Willen.<

Ich massierte mein Nasenbein. >Es tut mir leid.< Er brummte. >Brody...< Entschuldigend drehte ich mich zu ihm herum und lehnte meine Stirn an seine Schulter. >Das... ist nur... Ich habe das immer so gemacht. Es ist schwer von Gewohnheiten abzulassen, wenn sie so effektiv sind, verstehst du?<, fragte ich ihn. Er nickte. >Es tut mir leid. Ich mag dich wirklich sehr.< Ich drehte sein Gesicht zu mir und küsste ihn ganz vorsichtig auf die Lippen.

>Halt den Mund und schlaf endlich.<, lächelte er und erwiderte meinen Kuss.

 

Ich trainierte wie eine verrückte und wir absolvierten die letzten Tage unseres Küchendienstes. Brody blieb jede Nacht bei mir. Ich war traumatisiert und schlief deshalb kaum. Doch er beruhigte mich. Er gab sich wirklich alle Mühe. Ich glaube, meine Freunde hatten sich irgendwie zu einer Art Trost-Gruppe zusammengefunden. Sie tauschten sich ab. Sobald ich auch nur annähernd niedergeschlagen schaute, stand jemand bereit, um mich zum Lachen zu bringen.

>Endlich mal wieder draußen.<

>Ja, es wurde echt langsam wieder Zeit.<, stimmte ich Penny zu. Wir waren in der Stadt. Penny, Beth und ich. Und was machten drei Frauen in der Stadt? Natürlich einkaufen.

Das war ein erneutes Ablenkungs-Manöver. Wobei das nur der erste Teil war. Morgen würden Brody und ich essen gehen. Ich war verdammt aufgeregt. Noch nie in meinem Leben war ich auf einem Date. Er hatte jedoch darauf bestanden. Die Mädchen hatten daraufhin gemeint, dass dafür noch das richtige Kleid her musste. Also schnappten wir uns nach der Schule ein Auto und fuhren in die Stadt.

>Dauert das sehr lange?<, fragte ich unsicher. >Natürlich. Wir brauchen unsere Zeit, um das Richtige zu finden, Jenna.< Sie zerrten mich in den ersten Shop. Und von da an gab es kein Entkommen. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so oft an einem Tag umgezogen. Das war anstrengend und ich begann sogar tatsächlich zu schwitzen.

>Weiter!<

>Noch einer?<, stöhnte ich genervt und folgte ihnen widerwillige in den nächsten Kleiderladen. Wir entwickelten eine gewisse Strategie. Ich setzte mich in die nächstbeste Umkleide-Kabine und die beiden suchten Sachen heraus. Es dauerte circa eine halbe Stunde, bis sie beide mit jeweils einem riesigen Haufen an Kleidern zurückkamen und ich sie anzog.

Erst im Verlauf des Tages wurde mir klar, dass zu dem Kleid, Schuhe und Tasche hinzu gehörten und die natürlich auch gefunden werden mussten.

>Hey, auch zum Shoppen verdonnert?<

Ich sah auf in das Gesicht von einem Mann. Er lehnte lächelnd gegen meine Kabine. >Ja. Ich gehöre wohl nicht zum Teil der weiblichen Bevölkerung, dass auf das Einkaufen steht.<, erklärte ich.

Lachend nickte er. >Darin sehe ich kein Problem. Wie heißt du?<, fragte er mich. >Mein Name ist Jason.<

>Hi, Jason.< Ich schüttelte seine Hand. >Jenna.<

>Jenna. Schöner Name. Du bist echt hübsch.< Dankend lächelte ich. Er hatte meine Hand noch nicht losgelassen, stattdessen strich er mit seinem Daumen über meinen Handrücken. >Wie lange braucht ihr noch hier? Wir könnten danach doch was trinken gehen.<, schlug er vor.

>Ich...<

>Süßer, sie ist vergeben, aber ich bin noch zu haben.< Penny drängte sich zwischen uns und beendete unseren Kontakt, dabei reichte sie mir einen weiteren Haufen Kleider.

Etwas überfordert blickte er zwischen Penny und mir hin und her. >Oh, das tut mir leid...<

Ich schüttelte den Kopf. >Schon ok.<

>Umziehen, Jenna...<

Wortlos verzog ich mich in die Kabine.

>Das. Ist. Es!<, schrien sie beide gleichzeitig. Ich drehte mich im Kreis herum. >Oh, mein Gott! Jason, was sagst du?<

Da entdeckte ich den Typen von vorher wider. Er war nicht gegangen. Mit offenem Mund betrachtete er mich und nickte. >Ja, das... sollte gehen.<

>Oh Mann.<

Die Vorbereitungen waren also getroffen und ich durfte endlich wieder zurück.

Beim Abendessen zwinkerte Brody mir zu. Mein Herz begann rasend schnell zu schlagen. Wie aufgeregt, ich war. Wie dümmlich. Wie lächerlich unwichtig, im Gegensatz zu den eigentlichen Problem, die gerade existent waren.

Aber egal, es konnte sich nicht alles um die Götter und Schöpfer einer Alternativ-Rasse drehen.

 

Am Abend ging es dann los. Ich saß in Beth' Zimmer auf dem Bett. Umgezogen war ich, nun kritzelten die beiden nur auf meinem Gesicht herum.

>Du brauchst kaum Make-Up. Ich kann verstehen, warum du dich nie schminkst. Mit so einer Haut würde ich es niemals wagen, irgendetwas aufzutragen.<

Nervös atmete ich durch. >Ich war noch nie auf einer Verabredung. Ich weiß nicht... was macht man da so?<, fragte ich sie.

>Was?!<

Beth stieß Penny an. >Keine Panik, Süße. Ihr redet, esst was und später gibt’s dann Nachtisch.< Verführerisch ließ sie ihre eine Augenbraue hoch zucken.

Lachend beugte ich mich vor.

>Jenna.<

>Tut mir leid.< Ich setzte mich wieder gerade hin und ließ Penny an meinen Wimpern arbeiten. >Das ist nur... alles sehr neu, wisst ihr? Das jemand sich so viel Mühe für mich gibt.<

>Schatz, du bist die Mühe wert. Weil du so hübsch anzusehen bist, aber besonders...< Beth kniete sich hin und legte ihre Hand an mein Knie. >... weil du ein toller Mensch bist und ich wirklich froh bin, dich kennengelernt zu haben.< Ich bettete meine Hand auf ihrer.

>Lesben.<, brummte Penny.

Wieder begannen wir zu lachen. Ich gab mir aber Mühe, aufrecht zu bleiben, sodass Penny weiter machen konnte.

>Ok, du bist fertig.< Sie traten ein paar Schritte von mir weg und nickten stolz. >Wow.<, flüsterte Beth.

>Jetzt geht’s los.< Mit zittrigen Schritten trat ich vor den Spiegel in ihrem Zimmer und fuhr zurück.

Das mag für viele eingebildet klingen, doch ich wusste, dass ich schön war. Ich wusste es. Die Leute sagten es mir tagtäglich oder ließen ihre Finger nicht von mir. Jedoch verlor meine Schönheit für mich jeden Tag an Bedeutung. Bis heute, wo es mir vollkommen egal und mir überflüssig war. Doch jetzt... wo ich mich im Spiegel sah.

Die Mädchen hatten meine natürlichen Locken mit einem Lockenstab definiert. Meine Augen wirkten durch die ganze Wimperntusche noch größer und runder. Und meine Lippen trug ein dunkles Rot, passend zu dem weinroten Kleid, welches meinen Rücken komplett freigab. Das Dekolleté war nicht zu tief und nicht zu hoch. Bis zu meiner Taille lag es enganliegend und schlug dann in einen voluminösen Rock aus, was von der verbotenen Kürze ablenkte. Meine Beine wirkten kilometerlang bis hin zu meinen Füßen, die in hautfarbenen und sehr hohen Schuhen steckten. Diese Frau im Spiegel war atemberaubend. Wunderschön. Auf eine ganz andere Weise, als ich es war.

>Ach, du scheiße.<

>Wir haben kaum etwas getan, Jenna. Glaub mir. Das bist alles du.<, versicherte mir Beth.

Ich sah sie beide an und umarmte sie. >Danke schön.<

>Ach, was. Geh raus zu deinem Lover.<

Ich stockte auf dem Weg nach draußen. >Ehm... ich... ich trau mich nicht.<

>Ach du Scheiße, Jenna!< Penny hakte mich unter und zerrte mich zur Tür. >Jetzt gebe ich mir schon so eine verdammte Mühe und wir müssen dich Lümmel zu einem Cadillac rausputzen und dann macht sie sich in die Hose. Kannst du das fassen?<, fragte sie an Beth gerichtet.

Sie schüttelte den Kopf. >Nicht im Geringsten.<

Beide öffneten sie die Tür und trat vor mir raus. >Jungs, bereit?<

>Endlich! Ihr braucht ja echt lange.<, beschwerten sie sich.

>Klappe, Kyle.< Ich trat raus auf den Flur zu den anderen und konnte dabei einfach nicht glauben, wie nervös ich war.

>Oh mein...<

Ich machte Mr.Universe-Posen.

>Hey, hör auf. Lass uns dich anschauen.<, beschwerte sich Kyle.

Seufzend fuhr ich mir durchs Haar. >Das ist verdammt gruselig. Können wir einfach gehen?<

>Ja, lass uns...<

>Jetzt warte doch mal.< Paul schob Brody beiseite und ließ seine Augen an mir herunter wandern. >Nicht schlecht, Ms. Young.<

Kopfschüttelnd trat Brody vor. In Hemd und Jackett war er einfach...

>Lass uns gehen, ja?< Ich nickte und atmete aufgeregt durch. >Das ist wie im Speisesaal, Süße.<, beruhigte er mich.

>Whoo!< Die Jungs begannen zu jubeln und uns anzufeuern, sodass die Leute aus ihren Zimmern kamen und sich Schüler umdrehten.

Mit jeder Sekunde wurde mir das unangenehmer. Brody nahm meine Hand in seine und wir gingen zusammen zu den Treppen. Die meisten Schüler waren ebenfalls außer Haus, weshalb das Schulhaus so ziemlich ausgestorben war.

>Warte kurz...< Am Kopf der Treppe ließ er mich stehen und joggte schnell runter an das Ende. >Und jetzt...< Lächelnd betrachtete er mich. >... komm runter.<

>Brody...<

>Komm schon, Süße. Um zum Restaurant zu kommen, musst du sowie so die Treppen runter kommen.< Er hob die Arme und winkte mich zu sich runter. Stufe für Stufe kam ich auf ihn zu. Überzeugt nickte er. >Traumhaft.<

>Lass uns jetzt bitte gehen.< Die letzten Stufen stieg ich schnell herab und sprang in seine Arme. Lachend schlang ich meine Arme um ihn herum, als er uns im Kreis drehte.

Ich beäugte Brody auf der Fahrt in die Stadt. Er wirkte erwachsener und einfach heißer und noch dazu viel kompetenter, als ich mich fühlte. Bestimmt war er schon auf unzähligen Verabredungen gewesen und kannte das allgemeine Prozedere. Ich war zwar keine Jungfrau mehr, doch verhielt ich mich wie eben diese.

>Ist schon gut. Wir gehen einfach essen. Essen wie in der Schule.<

>In der Schule trage ich kein teures Kleid und hochhackige Schuhe, Brody.<

>Solltest du aber. Es steht dir phänomenal.< Seine Hand tätschelte mein Knie und strich kurz etwas weiter hoch, bevor er sie wieder an das Lenkrad legte. Spitzbübisch grinste er in meine Richtung.

Das Restaurant war wunderschön. Am Anfang gingen meine Adoptiveltern zu meinem Geburtstag mit mir in solche Restaurants. Sehr schick. Trotz meiner Ausstattung kam ich mir Fehl am Platz vor.

>Oh Gott, wo hast du mich nur hingebracht?<, murmelte ich leise in seinen Kragen.

>Wir werden allein sein. Keine Panik.< Wir liefen an den Tischen vorbei nach hinten in einen abgeteilten Raum. >Mylady.< Er zog meinen Stuhl zurück und ließ mich Platz nehmen.

Eine Kellnerin nahm unsere Bestellungen auf. Brody nahm sich ein Glas Wein und ich Wasser. >Warum trinkst du nichts? Nicht, dass das schlecht sei, aber es ist ungewöhnlich für unser Alter.<, fragte er und nahm einen Schluck.

Ich sah hinunter auf mein Glas. >Meine Eltern haben getrunken. Und... das war nicht schön mitanzusehen.<, erklärte ich. Brody nickte. >Warum bist du so nett?< Verschmitzt stieß er Luft zwischen seinen Lippen hindurch. >Wirklich. Warum?<

>Warum denn nicht? Jeder hat es verdient auf Augenhöhe begegnet zu werden. Ich versuche einfach nur ohne schlechtes Gewissen zu sein.< Der goldene Schimmer des Lichts reflektierte in seinen Augen. Ein unwirklicher Schleier umschmeichelte ihn. Als würde die Gutmütigkeit aus ihm scheinen.

Seine Hand fand meine, als ich sie über den Tisch zu ihm rüberschob. >Du bist zu gut für die Welt, Brody.<

>Ach was.<

>Es ist so.< Er wandte sein Gesicht ab, doch ich drehte es wieder zu mir. >Es ist so, wenn ich es dir sage.<, bestärkte ich eindringlich.

Das Essen kam. Meine Nervosität schwand mit jedem Wort das wir sprachen. Brody zog Grimassen, wir bewarfen uns mit Brotstücken, lachten, philosophierten. Es war ganz einfach. Ein Kinderspiel. Die Stunden vergingen rasend schnell, doch ich wollte einzige und allein an genau diesem Tisch sitzen bleiben und mit Brody reden.

Natürlich war das Essen fantastisch, doch mein Fokus lag auf ihm und seinen Augen die mich voller Zuneigung bedachten.

Ich vergaß die Schule und all die dazugehörigen Probleme. Heute war ich eine junge Frau, die mit ihrem Freund essen ging und es redlich genoss. Eine Situation, die ich nicht im Geringsten gewohnt war, aber gerne wäre.

Wenn ich Brody ansah, fühlte ich mich sicher und hatte auf einmal festen Boden unter meinen Füßen. Die Zeit die wir miteinander verbracht hatten war kurz, doch intensiv. Ohne mit einer Wimper zu zucken hatte er sich mit mir in den Kampf begeben, als die Lehrer die Schule angriffen und ich das Wohl eines anderen Mannes in Gedanken hatte.

Brody war das Richtige und ich wollte es einfach nur nicht vermasseln.

>Mach das nicht, Jenna.< Die Flamme der Kerze löste sich vom Docht und schwebte um sie herum nach unten. >Wenn die Leute das sehen...<

>Schon ok. Ich passe auf.<, versicherte ich ihm und zog meine Hände auseinander. Das Feuer teilte sich auf in mehrere kleine Kugeln. >Und was kannst du so?< Die Kugeln bildeten einen Kreis.

Ein kurzes Tippen. Die Flammen vergingen, als ein Luftstoß meinen Rock anhob und ich ihn erschrocken wieder runter drückte. >Mehr als das brauche ich nicht.<

>Entschuldigen Sie. Doch wir würden gerne schließen.< Brody und ich sahen uns um. Die Tische waren leer.

>Natürlich. Tut uns leid.< Wir zahlten, er zahlte, und stiegen ins Auto. >Ehm... also...< Erwartungsvoll sah ich ihn an. >Ich habe mir gedacht, und das ist mit der Schule besprochen, dass wir heute außer Haus übernachten.< Meine Brauen hoben sich an. >Hier gibt es... ein Hotel. Es ist wirklich sehr schön und...<

>In Ordnung.<

Er drehte sein Gesicht zu mir. >Sicher? Also... ich habe keine Hintergedanken oder so...<

>Aber ich. Fahr los.< Und das tat er. >Wo hast du das Geld her?<, fragte ich ihn ungläubig, als wir im Aufzug hochfuhren.

>Ach... Jenna, das bisschen Kleingeld habe ich schon noch parat.<

>Oh.< Ich hob schützend die Hände und trat aus der Kabine in den Flur. >Tut mir leid, Mister. Ich wusste ja nicht, mit wem ich es zu tun habe.<

Er umfing meine Taille und hob mich hoch, bis ich meine Beine um seine Hüfte schlingen konnte. >Keine Panik, Süße. Das wirst du gleich.< Mit der Karte in der Hand ging er an eine Zimmertür und öffnete sie. Wir traten ein in einen großen Raum mit einem wunderschönen Doppelbett. Davor stellte er mich ab. >Schuhe.< Auf das Kommando schlüpfte ich aus ihnen und kickte sie von mir.

Ich küsste ihn auf die Wange und weiter zu seinem Ohr, während ich ihm das Jackett von den Armen strich. Seine große Hand bedeckte meinen Rücken. >Jetzt ist es also ok?<, fragte ich ihn leise und öffnete seine Hose. Sie rutschte herab und er stieg heraus.

>Das finde ich noch heraus.<

Ich knöpfte sein Hemd auf und schob meine Finger darunter. Das Gefühl seiner festen Bauchmuskeln war hypnotisierend. Seine Brust, sein Schlüsselbein, seine Schulter und sein Nacken. Er ließ die Träger jeweils einen nach dem anderen von meiner Schulter rutschen und sah genüsslich dabei zu, wie es von mir runterglitt.

>Jenna.<, hauchte er ungläubig, nahm meine Hand in seine und drehte mich. >So etwas habe ich ja noch nie gesehen.< Er redete von den Cups zum Kleben. Ich drehte mich von ihm weg´, zog sie ab und kroch auf das Bett. >Bist du glücklich?<, fragte er mich, als ich mich wieder zu ihm drehte. >Bist du zufrieden?<

Ich runzelte etwas die Stirn, nickte aber. >Ja, bin ich. Sehr sogar.<

Er kniete sich auf die Kante, schnappte meinen Nacken und zog mich zu sich hoch an seine Lippen. >Bist du sicher?< Ich küsste ihn wieder und nickte. Lächelnd strich er mir eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. Schmunzelnd sah ich ihm dabei zu, wie er sich sein Hemd abstreifte.

Ich biss mir auf die Unterlippe und legte meinen Kopf in den Nacken, als Brody begann meine Kehle zu liebkosen. Zarte Küsse. Jede Berührung war geladen. Elektrisiert.

Meine Bewegungen waren instinktiv. Ohne darüber nachzudenken, verfielen wir in ein Rhythmus. Schweiß bildete sich auf meiner Haut. Die Hitze war eine wahre Wohltat.

Hier schlief ich mit Brody und es war wundervoll. Wir waren nicht im Bett gelandet, weil ich in irgendeiner depressiven Phase war, sondern weil ich tiefe Gefühle für ihn hatte und ihm diese zeigen wollte. Das hier war Zuneigung. Ich kannte das nicht. Sex war für mich eine Art Medikation. Eine Ablenkung von meinen Gedanken, aber nun liebten wir uns aus purer Freude am Beieinander sein. Das kannte ich nicht.

Ich sah auf ihn runter, stützte mich auf seiner Brust ab und intensivierte meinen Hüftschwung.

Unsere heiseren Stimmen erfüllten den Raum. Wir atmeten synchron. Ich war im Einklang mit Brody. War mit ihm verbunden und ich wusste einfach sicher, dass ich ihm etwas bedeutete.

Das ich ihm sogar viel bedeutete. Ich schlief mit irgendwem. Jeder der mir entgegenkam war der richtige Kandidat. So war das früher. Das mit Brody gehörte jedoch auf eine ganz andere Ebene. Eine ganze andere Dimension.

Er war etwas besonderes. Ich durfte ihn nicht verlieren.

 

>Dürfen wir überhaupt außerhalb der Schule übernachten?<, fragte ich in seinen Armen.

Brody zog die Decke enger um uns. >Manchmal ist etwas Abstand zu unserer Welt notwendig, um sich einfach zu entspannen.<, erklärte er und strich gleichzeitig über mein Haar.

Ich schlang meine Arme um ihn herum, stützte mein Kinn auf seiner Brust ab und sah ihn an. >Du bist einfach unglaublich.<, schnaubte ich.

>Ja, bin ich.<, scherzte er. Seine Lippen drückten sich an meine Stirn. >Aber du auch, Süße.< Er behielt seinen Mund an meiner Haut. Unter dem zarten Druck schloss ich meine Augen. >Jenna, ich...< Liebevoll küsste er mich. Seine Hand umfing mein Kinn und zog mich näher heran. >Ich weiß, dass hier ist noch ziemlich frisch, aber... Du musst auch nichts zurück sagen, aber... Ich möchte das einfach loswerden.< Küssend wanderte er an meinem Hals hinab. >Ich... liebe dich.<, flüsterte er leise.

Ich gefror.

Seine Nase tippte gegen meine. >Ich liebe dich.< Wir sahen einander in die Augen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er strich mir das Haar aus dem Gesicht. Seine Mundwinkel hoben sich an.

Das hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Ich bekam meine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Wie verhielt man sich in solch einem Moment?

Brody lächelte unsicher. Er war offensichtlich nervös. Ihm war also auch klar, was für eine große Sache das hier war. Ich schluckte schwer.

>Du musst nichts sagen. Ich wollte es schlicht gesagt haben.<, versuchte er es herunterzureden.

>Du bist ziemlich auf Hochtouren, was?<, fragte ich, um die Situation zu lockern. Ich wollte das nicht komisch werden lassen. Leise lachend ließ er seinen Kopf in meine Halsbeuge rutschen und verschränkte seine Finger mit meinen. Langsam atmete ich durch und ließ für einen Moment meine Lider sinken. Brodys Herz schlug rasent schnell an meiner Brust. >Ich möchte nur ehrlich zu dir sein.<

Ich ließ meine Finger in seinen Nacken gleiten und küsste ihn kurz. >Danke, Brody.<, flüsterte ich leise.

Wir schliefen ein, aber wachten immer wieder auf und versanken in Gesprächen, bis wir wieder einschliefen. Es waren Stunden der Nähe. Stunden, die mir zeitlos vorkamen. In denen ich tatsächlich, wie von ihm beabsichtigt, alles vergaß.

Brody saß auf der Bettkante und telefonierte mit jemandem von dem Hotel. Ich kam im Bad gerade aus der Dusche und legte mir einen Bademantel um. Seine Worte echoten noch immer in meinem Innern. Mir war klar, dass ich Brody viel bedeutete, doch dass er in der ganze Zeit diese intensiven Gefühle für mich entwickelt hatte, war verrückt.

>So, also in einer Viertelstunde haben wir Frühstück.<, erklärte er und lehnte am Türrahmen. Unsicher blickte er vom Boden zu mir auf und räusperte sich wieder leise. Ich stützte meine Hände auf den Waschbecken und schnaubte. >Alles ok?<

>Frag mich das nicht. Das ist gruselig.< Lächelnd schlang er seine Arme um mich herum und lehnte sein Kinn auf meine Schulter. >Danke, dass du das hier gemacht hast. Das war schön.< Er drückte seine Lippen unter mein Ohr und streichelte meine Hände. Wenn ich uns so im Spiegel betrachtete, wuchs ein Lächeln auf meinen Lippen. Die junge Frau vor mir war mit sich im Reinen und strich mit ihrem Daumen liebevoll über den Handrücken des Mannes, der sie im Arm hielt. Sie küsste ihn auf die Stirn und lehnte sich vertrauensvoll an ihn. Dieses Paar war glücklich zusammen und gehörte zusammen. Es wirkte so richtig. Mir wurde geradezu warm um das Herz, als ich sie beide sah.

War Liebe da dann nicht logisch? Ich dachte sofort an Liebe, wenn ich sie beide sah. Die Zärtlichkeiten die sie austauschten, sprachen Bände. Zwischen ihnen brannte Lust und tiefste Emotion. Verpasste ich etwas? Fehlte mir irgendeine Art Protein, um Empfindungen zu benennen oder wahrzunehmen?

Wir frühstückten zusammen und gingen danach im Park spazieren, bevor wir mit dem Wagen zurück zur Schule fuhren. Ich sah Brody von der Seite an.

Sein fester Kiefer, die schöne Nase. Er war so ein gutaussehender Mann. Und dieser Mann liebte mich.

Meine Wangen wurden warm. Kopfschüttelnd drehte ich mich zum Fenster weg.

Sobald der Wald uns umschloss, spürte ich die Präsenz der Schule wieder. All die Situationen, die sie mit sich gezogen hatte. Ich war nicht einfach nur eine Frau, die mit ihrem Freund Essen ging. Ich war die Reainkarnation einer Göttin. Ich konnte Feuer bändigen. Ich gehörte einer Rasse an, die für den Rest der Menschheit nicht existent war.

Kühler Wind umschmeichelte meine Wange. Ich sah zurück zu Brody zurück. >An was denkst du?<, fragte er.

>An die letzte Nacht.<, antwortete ich schmunzelnd. Kopf schüttelnd hoben sich seine Mundwinkel an. Ich liebkoste seinen Hals. >Hoffentlich müssen wir für Sex ab jetzt nicht immer aus der Stadt fahren.<, flüsterte ich und fuhr seinen Bizeps mit meinen Händen nach.

Das Auto machte einen kurzen Ruck und hielt dann. >Solange du so schön lächelst, wie jetzt, vögeln wir so oft und wo auch immer du willst.< Er schnallte mich ab und hob mich einfach hoch auf und auf seinen Schoss. Rittlings kam ich auf ihm zu sitzen und küsste ihn. Seine Finger griffen in meinen Hintern. >Du trägst keine Unterwäsche.<, merkte er an.

Ich nickte und lehnte meine Stirn an seine. >Ich hab mein Höschen nicht mehr gefunden.<, erklärte ich und fuhr mit meiner Hand in seinen Nacken. Er schob seine Hand zwischen uns und öffnete seine Hose. Ich stützte mich auf seinen Schultern ab. Seine Augen fesselten mich. Rasch fuhr seine Zunge über seine Unterlippe. Ein atemberaubender Anblick. Sein Haar war zerzaust und lag ihm etwas in Gesicht. Er trug dieses verführerische und spitzbübische Lächeln auf den Lippen.

>Was für eine Schande.<, stieß er atemlos aus und zog mich hinab auf seinen Schoss.

Mit einem lauten Stöhnen bog ich meinen Rücken durch.

 

>Und wie war es?<, fragte Beth und setzte sich mit mir auf die Wiese draußen. Ich grinste breit. Gleichzeitig hoben sich ihre Brauen an. >Oh, ich verstehe schon.<

Nachdenklich sah ich runter auf das Gras und fuhr mit den Fingern durch die Halme. >Das war meine erste Verabredung. Und ich bin sehr... sehr froh, dass es mit Brody war.<

Penny schnaubte und streckte sich. >Wenn ich nicht diese Klette von Bruder an meinem Arsch hängen hätte, könnte ich vielleicht auch mal auf Dates gehen und so dumm lächeln, wie du.<

Entsetzt sah ich mich zu ihr um. >Ich lächel nicht dumm.<

>Wenn du dich sehen könntest, würdest du mir zustimmen.< Sie grinste dümmlich, stand auf und stolzierte genauso blöde um uns herum. >Oh Gott! Wir sind so glücklich! Er ist so unglaublich süß!<, fiepte sie.

Augen verdrehend lachte ich und zog meine Knie an. >Wenn du erst einmal einen Stecher hast, wirst du genauso hypnotisiert sein, wie ich.< Sie warf sich in meine Arme und legte ihren Kopf in meinen Schoss. >So eine winzig kleine Pause von dem Ganzen hier... Ich glaube, das brauchen wir hier ab und zu mal. Wir sind neben Kämpfern und Bändigern noch immer junge Erwachsene.<, murmelte ich. Sie beide nickten zustimmend.

Beth runzelte die Stirn. >Ich liebe es, Bändigerin zu sein. Es definiert mich, aber... ich brauche dennoch etwas Abstand von den Verantwortungen, die damit mit einhergehen.< Sie sah mich an. >Das alles hier ist schon ziemlich verzwickt...<

 

Nervös stand ich in der Trainingshalle.

Es war jetzt schon über 1 Woche her seit der Vorfall mit Isaac geschah. Heute würde er mich wieder das erste Mal trainieren. Ken erklärte mir, dass er sich nicht gänzlich körperlich engagieren konnte.

Ich war eine halbe Stunde zu früh und räumte seitdem die Geräte um. Hin und her, bis es „richtig“ stand. Ich war tatsächlich nervös. Nervös wegen meines Trainers.

Doch freut ich mich tatsächlich ihn wieder zu sehen. Mein Herz klopfte lautstark nur bei der Vorstellung, wieder mit ihm zu kämpfen oder ihn mich belehren zu hören. All das. Ich vermisste ihn.

>Hey, Jenna.<

Ich drehte mich zu der tiefen Stimme herum und biss mir aufgeregt auf die Unterlippe. >Isaac, verdammt!< Breit grinsend sprang ich in seine Arme.

Er stolperte ein paar Schritte zurück und schlang seine Arme um mich herum. >Na, Kleines? Die Zeit ohne mich muss schrecklich gewesen sein.<, scherzte er und strich mit seinen Fingern über mein Haar.

>War sie.< Ich drückte mein Gesicht an seine Brust. Sog scharf seinen Duft ein. Lagerfeuer, Hitze, das Knistern von Flammen. Ich wollte mich in ihn reinlegen und versinken. >Es tut mir so...<

>Nein, wir fangen nicht wieder damit an.< Er hob mein Kinn an und sah mich an. Seine Augen waren warm und einladend. Da war wieder diese fast zerreißende Anziehungskraft. >Ich bin stolz auf dich für die Stärke, die du aufgebracht hast. Es war mir eine Ehre, deine Kraft erfahren zu dürfen.< Ungläubig schüttelte ich den Kopf und atmete noch einmal tief durch. >Wollen wir anfangen?<, fragte er lächelnd und schob mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. Seine Augen folgten seiner Berührung.

Ich nickte. >In Ordnung.< Er war noch immer groß, stark und einfach Isaac. Lächelnd ging ich zu den Gewichten. >Ich habe schwer trainiert, Mr. Conner. Ich bin mir sicher, Sie werden begeistert sein.<

>Gut. Dann setzte ich mich und genieße die Show.< Er setzte sich auf die Bank und sah mir beim Trainieren zu. Meine Glieder brannten. Ich wollte ihn begeistern. Auch als Schweiß an meinen Schläfen perlte, zeigte ich ihm weiter all die Kampfübungen, die ich gelernt hatte.

Isaac kam näher heran und beobachtete meine Bewegungen. Seine Brauen sanken herab auf seine Augen. Ich konnte sehen, wie er nickte und hörte immer wieder leise Kommentare.

Es fühlte sich so an, als hätten wir niemals aufgehört zu trainieren. Sofort waren wir verbunden. Er korrigierte mich und zeigte mir, wie ich kämpfen sollte. Begrenzt kämpfte er auch mit mir, doch wir mussten aufpassen. Er war noch nicht vollkommen genesen.

>Genauso!<, rief er aus und nickte grinsend. >Du hast dich wirklich verbessert. Ich kann mir nicht ausmalen, wie weit es mit dir gehen wird.< Er lächelte mich an. Meine Haut kribbelte vor Aufregung. >Los, noch einmal.<

Ich schwang die Faust. Isaac duckte sich. Als er kontern wollte, kickte ich ihn vor die Brust, schnappte daraufhin seine Schultern und rammte mein Knie in seine Magengrube. Er blieb vornüber gebeugt und stieß ein tiefes Keuchen aus. Gerade als ich nachsehen wollte, ob es ihm gut ging, stemmte Isaac seine Fäuste auf den Boden und drehte sich mit ausgestrecktem Bein. Noch bevor ich zu Boden ging, hatte er meine beiden Handgelenke zusammengelegt und sie über meinen Kopf auf diesen geheftet. Aufgeschreckt von dem plötzlichen Angriff keuchte ich schwer und starrte ihn aus großen Augen an. >Ich dachte,...<

>Ich weiß und das war dein Fehler. Deine Techniken sind beinahe ausgereift, sodass du den Titel der Kriegerin mehr als ebenbürtig bist. Doch deine Psyche ist dem leider noch nicht ebenbürtig. Ein Feind am Boden ist kein besiegter Feind. Du brauchst Sicherheit und Klarheit in diesen Dingen. Es gibt keine Ausnahme in solchen Fällen, verstehst du, Jenna?< Ich nickte. Seine Augen inspizierten mein Gesicht. >Ich habe viele Leute verloren, weil sie zu stolz und dumm waren. Es wäre mir ein großer Verlust, diese Erfahrung auch bei dir machen zu müssen.< Mein Atem kam flach. Fast konnte ich spüren, wie sein Blick mich berührte. >Jenna, hast du verstanden, was ich gesagt habe?<, fragte er mich langsam. Die Tiefe und das Raunen seiner Stimme vibrierten in mir. Ich konnte mich nicht rühren. Flammen züngelten über meine Haut. Ich kochte und ich sah ihm an, dass er ebenso fühlte. >Jenna.< Sein Gesicht kam näher. Ich blickte hinab auf seine Lippen. Es war wie der unvergessliche Moment auf der Krankenstation, nur schien dieser hier intensiver und... fester. Er streichelte meine Wange und malte die Linien meines Kinns nach. >Nur dieses eine Mal.<, waren seine Worte, bevor er sich weiter zu mir vorbeugte und mich küsste.

27. Wortloser Abschied

Seine Lippen waren warm und... köstlich. Ich schmeckte das Feuer. Meine Finger gruben sich in sein Haar und zogen ihn fest an mich heran. Ich schmeckte den rustikalen Geschmack von zischender Kohle und köstlicher Hitze. Ein Licht schien in mir aufzugehen. Ich bäumte mich ihm entgegen auf und versuchte mehr und mehr Nähe zu ihm aufzunehmen. Seine Körperwärme sollte in meiner ertrinken. Mich sehnte es nach seinem Feuer. Isaac schob seine Hand unter meinen Oberschenkel und hob es an zu seiner Hüfte. Mein Herzschlag explodierte. Raste und erschütterte mich. Uns beide.

Die große Hand seiner legte sich an meine Brust und zerriss mit einem Mal den Stoff meines T-Shirts. Wir beide erstarrten für eine Sekunde. Isaac löste sich ungläubig von mir und sah mich an. Ich stützte mich auf meine Ellenbogen. >Isaac?<, flüsterte ich.

Er umfing meinen Nacken und zog mich zu sich hoch. >Ich... kann... und will... nicht länger leugnen, was der Wahrheit entspricht.< Ich schlang meine Arme um ihn herum und er tat das Gleiche. Damit trug er mich zu einem der Geräteräume und öffnete die Tür. Er legte mich auf eine der Matten und kniete sich zwischen meine Beine. Ein langer Blick auf meine halbnackte Gestalt, bevor er sich selber das Oberteil vom Leib riss und sich auf mich stürzte.

Willig fing ich ihn in meinen Armen auf. Hungrig verteilte er Küsse auf meinem ganzen Körper. Jeder Kuss war wie ein elektrischer Stoß durch meinen Körper. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, als seine Lippen sich in Richtung Kehle bewegten. Er umfing meine Hüfte und zog mich enger an sich heran. Sein Daumen schlüpfte unter den Bund meiner Shorts. Er zerrte sie herunter.

>Ich möchte nur ehrlich zu dir sein.<

Erneut erstarrte ich und packte seine Schulter. >I-...< Brodys Gesicht erschien vor meinem inneren Augen. Wie er pure Verliebtheit in den Augen trug und mir sagte, dass er mich liebte. >Isaac.< Ein riesiger Kloß bildete sich in meinem Hals.

Ich betrog Brody.

>Isaac, bitte.< Er war noch immer dabei, mich zu liebkosen und schien mich nicht zu hören. Seine Lippen waren brennend heiß und spiegelte sich in meiner Brust. >Isaac!<, schrie ich. Endlich erhob er sich.

>Was...?<

>Ich... ich... muss gehen.< Hastig stieg ich von der Matte und rannte weg. Ich schnappte mir meine Sportjacke vom Boden und verließ die Halle. Sobald ich in meinem Zimmer war, riss ich meine Kleidung von mir und stieg unter die Dusche. >Was hab ich getan?<, zischte ich mir selber zu und raufte mein Haar. >Was habe ich getan, verdammte Scheiße?!< Ich legte mein Gesicht in meine Hände und schüttelte fassungslos den Kopf. >Scheiße! Scheiße! Scheiße!<, schimpfte ich und verschränkte die Arme auf meinen Knien.

Ich hatte Brody betrogen! Wie zum Teufel konnte ich das tun? Wie konnte ich ihm das antun? Und welche Konsequenzen würden Isaac und mich erwarten?

Mein Herz bekam Flügel, wenn es sich daran erinnerte, wie wir uns küssten. Und in meinem Kopf entstanden Kopfschmerzen, sobald dieses Hochgefühl bei mir aufkam.

Ich verließ mein Zimmer nicht mehr. Stattdessen saß ich mit der Decke um meine Schulter gelegt am Fenster und rauchte eine. >Scheiße! Scheiße!<, wiederholte ich immer wieder und sah in die Ferne. Es wurde kälter.

Ein leichter Nebel-Schleier lag auf der Landschaft. Der Frost war widerlich, doch ich blieb mit offenem Fenster sitzen. >Ich muss es ihm sagen.<, murmelte ich und drückte die Zigarette aus.

Ich wusste nicht, was mich erwartete. Noch nie hatte ich jemanden betrogen. Das lag wohl daran, dass nie jemand so tiefe Gefühle für mich hatte, wie Bordy. Doch ich hatte nichts besseres zu tun, als gerade dieser Person in den Rücken zu fallen.

>Gott!<, stöhnte ich und schlug mir die Hände vor das Gesicht. >Was habe ich getan?<, fragte ich mich erneut .

 

>Du siehst fertig aus. Geht es dir gut?< Beth und ich joggten durch den Wald. Schweigend nickte ich und blieb stehen, um so zu tun, als würde ich mir den Schuh zubinden. >Nicht geschlafen? Oder gibt es Ärger bei den Turteltäubchen?<, fragte sie grinsend und lief wieder los. Ich folgte ihr. >Jenna?< Ich antwortete nicht. Bis ich ihm die Wahrheit sagen würde, wollte ich so viel Abstand wie möglich zwischen das Thema und mich legen. >Du willst nicht reden?<

>Beth, können wir einfach nur unsere Runden machen und dann wieder zurück?<, fragte ich ruhig.

Sie drehte sich zu mir herum und nickte. >In Ordnung. Aber wenn du reden willst, dann...< Ihre Hand umfing kurz meine. Mit einem kleinen Lächeln dankte ich ihr. Wir blieben noch ungefähr eine Stunde draußen. Meine Oberschenkel begannen nach einer Zeit etwas zu brennen. Doch das war genau das Richtig. Während wir joggten, zündete ich mir eine Zigarette an und rauchte sie. Beth linste dabei kurz zu mir rüber, sagte jedoch nichts dazu. Wofür ich erneut dankbar war. Doch als wir der Schule näher kamen, blieb ich plötzlich stehen.

Bevor sie fragen konnte, was los war, beichtete ich es ihr. Wenn ich ihr nicht vertrauen konnte hier, wem denn dann sonst?

>Ich habe Brody betrogen.<, murmelte ich leise und hoffte ins Geheim, sie hätte es nicht gehört.

Leider aber hatte sie ganz genau verstanden, was ich gesagt hatte. Ihre Augen weiteten sich und sie trat vor. >Was?< Ich schwieg. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. >Aber ihr wart doch beide so...<

>Ich weiß...< Ich nickte. >Ich weiß.<

>Aber... mit wem? Jones?< Ich verneinte. >Jesse? Mit wem, Jenna?<

Meine Augen zog es automatisch zum Boden. >I-isaac.<

>Ach, du scheiße.<, hauchte sie und hielt sich den Mund. >Jenna, dass... dass sind Gesetze dir ihr gebrochen habt. Ganz davon zu Schweigen, was du Brody damit antust. Er vergöttert dich!< Wieder nickte ich nur. >Habt ihr...?<

>Nein, nein... Nur... fast. Ich bin gegangen, bevor es...<

Sie umfing meine Oberarme und beugte sich vor. >Hast du eine...? Du bekommst nicht halb so viel Ärger, wie Isaac. Er... Ich habe keine Ahnung, was mit ihm passiert, weil das verdammt nochmal nie passiert ist, Jenna!<

>Ich weiß... Ich weiß, Beth. Aber... es... es ist einfach passiert und ich...<

>Er ist dein Legata. Sogar dein persönlicher. Das darf nicht sein.< Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und raufte sich das Haar. >Das zerstört Brody. Aber... du musst es ihm sagen. Unbedingt. Sofort!<

Ich atmete durch und nickte. >Ja, ich weiß. Das werde ich auch.<

>Jetzt, Jenna!<

Wir gingen zusammen zurück zur Schule. Beth tätschelte meine Schulter, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. Enttäuschung lag in ihren Augen.

Wir machten uns für den Unterricht fertig und liefen nach unten in den Unterrichtssaal. Brody war schon da. Er nahm mich in den Arm und wollte mich küssen, doch ich drehte mein Gesicht entschuldigend weg, bis er mit seinen Lippen nur meine Wange traf.

Mit gerunzelter Stirn sah er mich an, doch ich lief an ihm vorbei weiter an meinen Platz. Ich spürte die Blicke von Kyle und Penny auf mir liegen, als ich auch an ihnen vorbeiging. Schweigend setzte ich mich neben Beth an meinen Platz. Der Lehrer kam herein und begann den Unterricht. Als ich aufsah, begegnete ich direkt Brodys Blick. Er lächelte unsicher. Ich sah ihn wortlos an und dann wieder hinunter auf meine Aufgaben.

>Hey,... ehm... ist irgendwas?<, fragte er mich auf dem Weg in den Speisesaal. Er legte seinen Arm um meine Schultern und reichte mir ein Tablett.

Vorsichtig wandte ich mich aus seiner halben Umarmung und stellte mir lediglich einen Teller Salat und ein Glas Orangensaft auf das Tablett. Damit drehte ich mich herum und ging an den Tisch. Penny ließ sich auf den Schoss ihres Bruders fallen und nahm sich von ihm ein Stück Steak. >Es gibt wohl etwas Stress bei den beiden.<, säuselten sie beide im Singsang.

>Halt die Klappe.<, schnauzte Brody und gab Kyle einen Schlag auf den Kopf. Ich setzte mich an den freien Platz erneut neben Beth, die automatisch zu Brody blickte. >Jenna, geht es dir gut?< Mein Hals wurde eng. >Hey,...< Er legte seine Hand an meine. Ich zuckte zusammen. Ein zartes Lächeln legte sich auf seine Lippen. >... wenn das wegen deinen Eltern ist, dann... Ich bin für dich da und... ich kann auch bei dir schlafen, wenn dir das hilft, gegen die Albträume und den ganzen Rest. Oder wir gehen am Wochenende...<

>Stopp.< Ich stützte mein Gesicht in meine Hände. >Bitte. Bitte, hör auf.< Meine Stimme versagte. Unsicher sah ich durch meine Finger zu ihm. Pure Überraschung lag in seinen Augen. >Wollen wir... kurz rausgehen? Ich habe keinen Hunger.< Er nickte. Ich räumte mein unberührtes Tablett weg und ging mit ihm nach draußen. Wir standen voreinander. Langsam atmete ich einmal ein und wieder aus.

>Habe ich...?<

>Nein, warte kurz. Es ist... ich... Es ist etwas passiert und ich... Ich muss es dir sagen, weil das nur so richtig ist.< Unsicher sah ich wieder zu ihm auf. >Brody, ich... ich habe... Isaac und ich... Wir haben uns geküsst und...<

Er fuhr zurück. >Was...?<

>Wir haben nicht miteinander geschlafen, aber...<

>Was hast du getan?< Er runzelte die Stirn. >Isaac? Aber... er ist unsere Lehrer und... wir sind... Er darf das nicht. Ihr dürft das nicht und ich... ich... Wieso tust du mir...? Habe ich irgendwas getan, dass du das...?<, fragte er ungläubig und schüttelte den Kopf.

>Nein, es tut mir leid...<

>Und was bringt mir das, Jenna? Du und ich... Wir waren aus und all die Dinge, die wir gesagt haben und kaum nehme ich mein Auge von dir, schmeißt du dich dem nächstbesten um den Hals und nicht nur das, auch noch unser Legata!< Er begann vor mir auf und ab zu laufen und rieb sich das Nasenbein. >Ich kann nicht fassen, dass du mir das antust. Ich dachte, dass du dich wenigstens für mich verändern würdest, dass du nicht in deine alten Verhaltensmuster zurückfällst. Für mich. Ich dachte, du würdest das für mich tun.< Traurig sah er mich an.

Ich nickte. >Das stimmt auch, Brody. Es tut mir leid.<

>Nein, das stimmt nicht. Offensichtlich nicht. Wenn du dich fast von ihm vögeln lässt, Jenna.<, lamentierte er wütend. Plötzlich verhielten seine Bewegungen und er stürmte dann wieder herein.

>Brody!< Ich wusste sofort, wo er hinging. >Brody, es war nichts. Wir sind nicht weiter...<

>Darum geht es nicht. Du hast mich betrogen und er hat seine Position überschritten.<

Ich versuchte ihn aufzuhalten, doch er entriss sich meinem Griff und ging runter in die Eingangshalle, wo Isaac mit einem anderen Lehrer sprach. Sie beide sahen zu uns auf. Isaacs Augen fuhren schnell von Brody zu mir und zurück. Er verstand die Situation sofort und trat mit erhobenen Händen auf uns zu. >Brody, bevor du irgendetwas...<

Brody machte einen weiten Sprung und beugte sich mit ausgestreckten Händen vor, als würde er einen Schwung Wasser nach Isaac schmeißen. Stattdessen aber riss ihn ein unsichtbarer Schlag von den Beinen.

>Brody.< Er ignorierte mich und ging mit erhobener Faust auf Isaac zu. Dieser parierte den Schwung, duckte sich und wich mit immer noch erhobenen Händen aus.

>Lass uns nach oben in das Rektorenbüro gehen, Brody, und reden. Wir sollten uns...< Brody drehte sich, sprang ab und gab sich einen Zusatzantrieb, durch den er noch höher kam und Isaac mit einer weiteren Kombination von Fausthieben und Kicks angriff. Dieser wurde von ein paar getroffen, verteidigte sich aber hauptsächlich passiv. >Ich muss dich außer Gefecht setzen, wenn du nicht aufhörst, Brody.<, warnte er ihn. Er hörte nicht auf. Ein signifikanter Schlag in die Magengrube. So laut, dass es in meinen Ohren hallte. Brody klappte nach vorne zusammen. Rechtzeitig fing Isaac ihn auf.

>Was war das?!<, fragte der Lehrer neben uns aufgebracht und stütze Brody mit Isaac zusammen zum Aufzug. Er schwieg und sah mich an. Ich umschlang meinen Oberkörper und folgte ihnen. >Gab es einen Grund dafür?<

Isaac sah den Lehrer an. Ich kannte ihn nicht. Jedoch lag etwas in Isaacs Augen, dass den Lehrer zum Schweigen brach. Wir fuhren hoch auf die Krankenstation und gaben Brody ab.

>Sobald er aufgewacht ist möchte ich, dass Kevin und ich sofort kontaktiert werden und lass ihn nicht den Raum verlassen.<, erklärte er eine Schwester und verließ die Station wieder.

Besorgt sah ich ihm nach, doch er blickte mich nicht an. Ich blieb bei Brody am Bett sitzen und wartete. Die Ärzte untersuchten ihn oberflächlich, doch es wurde schnell klar, dass er keine weitgehenden Verletzungen hatte.

Ich nahm Brodys Hand in meine und strich über die Knöchel. Nervös wartete ich ab, bis er wieder aufwachte.

Es dauerte nicht lange, bis seine Lider sich zu bewegen begannen und seine hellen Iris sich auf mich richteten. Er zog seine Hand aus meiner. >Wo ist er?<

>Ich weiß es nicht. Brody...<

>Lass es.< Er setzte sich auf. >Er bandelt mit dir an und haut mir eine rein.<, lachte er zynisch.

Leidend zog ich meine Knie an und schob meine beiden Hände mit den Ellenbogen auf den Knien in mein Haar. >Brody, glaub mir, ich will dir nicht wehtun und ich... ich will dich nicht verlieren. Du...<

>Dann küss nicht andere Männer.<

>Brody,...<

>Eine einzige Sache, erwarte ich von dir. Ich halte alles durch. Deine Albträume, dein Wut- und Angstanfälle, die ganze Sache mit deiner Familie und unsere Göttin. Das alles ist kein Problem, Jenna. Aber verdammt nochmal verarsch mich nicht. Nicht nach allem was ich für dich getan habe und für dich tun würde!< Seine Stimme hob sich zum Schluss. Er rückte sich zurecht und seufzte. >Das ist einfach... richtig, richtig scheiße.<, fluchte er wütend. >Du weißt, wie du aussiehst und was das...<

Ich schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. >Damit hat das nichts zu tun, Brody!<

>Mit was dann, verdammt?! Du hast schon zuvor dein Aussehen genutzt, um körperlichen Trost zu bekommen. Also was dann?< Ich sah ihn schweigend an. >Und du hast den perfekten Zeitpunkt ausgewählt, denn rate Mal, wer ehrliche Gefühle für dich hat und nicht eine einzige Sekunde am Tag an eine andere Frau denkt?< Er schwang seine Beine über die Liege. >Ok. Das war's dann wohl.< Kurz hielt er inne, stand aber auf und ging zur Tür.

>Warte, du sollst hier warten.<

>Warum?<, fragte er und öffnete die Tür dabei.

>Ah, du bist wach. Ich rufe die Rektoren. Warte noch ein bisschen. Sie werden sicher gleich hier sein.<

Brody drehte sich zu mir herum. >Oh, kriege ich jetzt Ärger von den Rektoren? Lassen die mich jetzt auch verschwinden wie Daphne?<

>Brody, bitte...<

>Ja, von mir aus. Musst du noch hier sein?< Sein Gesicht war vollkommen emotionslos. Wobei... ich konnte die Verletzung sehen und sehen, wie er sie zu verstecken versuchte. Ich wollte ihm nicht noch weiter eine Bürde sein und ging aus dem Raum.

Im Flur traf ich auf die beiden Rektoren. >Jenna, du kommst mit.<, sagte Isaac.

>Brody, will mich nicht da haben...<

>Das ist nicht relevant.< Ich folgte ihnen also wieder zurück. Sie betraten das Krankenzimmer, in dem sich Brody aufhielt. Ich bekam den Platz auf dem freien Stuhl, sie beide blieben vor ihm stehen. >Also... Isaac hat mir erklärt, dass es heute eine kleine Auseinandersetzung zwischen euch beiden gab. Erklärung.<, verlangte Ken.

Brody schnaubte. >Ah... deswegen hast du ihn hergeholt. Eine ehrenvolle Tat, um dich von der schwachen, hinterhältigen, respektlosen, dreckigen Tat reinzuwaschen.<

Verwirrt sah Ken zwischen ihnen beiden hin und her. >Könnte mich jemand aufklären? Ich verstehe nicht ganz, worum es hier...<

>Ich habe mit dem ganzen nichts mehr zu tun. Macht was ihr wollt.<, sagte Brody bloß und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ken hob erwartungsvoll eine Braue an. >Ich habe viele Dinge zu...<

>Ich habe meine Position als Legata missbraucht und Jenna...<

Isaac konnte seinen Satz nicht zu Ende führen. Kens Augen weiteten sich schon zur Mitte des Satzes. >Das kann nicht euer verdammter Ernst sein!<, erhob sich plötzlich seine Stimme. >Du bist nicht befugt, so etwas zu tun. Das ist ein schwerer Gesetzesbruch. Ist dir das klar?!<, fragte er aufgebracht seinen Kollegen.

Dieser nickte bloß wortlos. Ken sah zu Brody und mir. >Ihr beide könnt gehen. Dein Training fällt heute aus. Wir werden uns um die Situation kümmern und finden eine Lösung.< Bei dem letzten Teil seines Satzes legte er sein Augenmerk auf Isaac. >Geht.<

Brody verließ das Zimmer hastig. Ich ging als nächstes raus, wahrte einen sicheren Abstand zwischen ihm und mir. Er ging zum Jungenflügel. Ich zu dem der Mädchen. Schnell zog ich mich um und ging direkt wieder runter in den Trainingsraum.

Kaum hatte ich angefangen zu trainieren, kamen Penny und Kyle herein. Sie waren beide in Trainingskleidung und wirkten unzerstörbar.

>Hey, Süße.<

>Hey, Süße.<, äffte ihr Bruder sie nach.

Sie zwickte ihm in die Seite und sah ihm dabei zu, wie er sich auf die Hantelbank setzte. >Du bist so ein Arsch. Jetzt fang an!< Ich lachte als ich sah, wie er ihr auf die Rückseite ihres Oberschenkels schlug, als sie Gewichte auf die Stange steckte. >Au! Das tut weh! Mach jetzt!< Sie drehte sich zu mir herum, während ich das Gewicht auf meinen Schultern hochstemmte. >Hast du das mit Brody geklärt?<, fragte sie mich und lehnte sich an die Wand. >Ihr saht beide eeecht angepisst aus.<

>Danke, Penny.<

>Kein Problem. Sag schon, wer hat wen angeschissen?<

>Penny, halt den Mund!<

>Halt du den Mund. Ich führe Konversation.< Mit tanzenden Augenbrauen sah sie mich erneut an. Ihre beiden Zahnreihen zeigten sich in einem breiten Grinsen.

Ich stieß Luft zwischen meinen Lippen aus. >Ich will bitte nicht...< Wieder stieß ich mich mit meinen beiden Beinen vom Boden an. >... darüber reden, Penny.<

>Oh, warum denn?< Sie schmollte.

>Penny!<

>Was denn?!<, zischte sie ihrem Bruder zu.

Er nickte zu mir. >Du siehst doch, dass sie trainiert. Lass Jenna einfach in Ruhe.<, keuchte er beim Gewichte stemmen.

>Du bist so nervig. Kann es sein, dass du mal den Mund hältst?< Mit diesen Worten setzte sie sich auf seinen Bauch. Erschrocken keuchte er auf und setzte die Stange auf dem Halter ab.>Bist du wahnsinnig?!< Lachend zwinkerte sie mir zu und rannte weg. Kyle machte erst Anstalten ihr nachzulaufen, ließ es aber sein und kam zu mir. Seufzend rieb er sich den Bauch. >Die ist doch bescheuert.<, murmelte er.

Ich stellte das Gewicht ab, nahm meine Flasche vom Boden und ein paar Schlücke. >Manchmal etwas.<, stimmte ich zu.

>Hab das mit Brody und Isaac gehört.< Beschämt senkte ich den Blick. >Ehm... ich sehe dich und weiß, dass... du...< Er räusperte sich. >Das wird alles wieder. Da bin ich mir sicher.<, sagte er und drückte kurz meine Schulter. >Weißt du, ich glaube, du bist ein netter Mensch. Einfach nur ziemlich viel Scheiße um dich herum. Wie soll man da nicht reintreten?< Bei dieser Metapher begann ich zu lachen. >Und Brody... Der braucht Zeit. Der ist sensibel.<

>Ich glaube nicht, dass das so einfach sein wird.<, erklärte ich leise und strich mir das Haar hinter mein Ohr.

>Ach, hör auf. Anstatt zu schmollen, können wir trainieren. Muskeln aufbauen.< Er flexte seine Armmuskeln und zwinkerte mir spitzbübisch zu.

Ich lachte leise und nickte.

Penny kam wieder zurück mit drei Flaschen Wasser in der Hand und trainierte mit uns zusammen.

In meinem Zimmer angekommen, sah ich mich um und seufzte. Jetzt hatte ich ihn verloren. Mal wieder hatte ich es geschafft einen Menschen, der mich liebte und mir vertraute zu verletzten. Es war fast so, als machte ich das absichtlich.

Umgezogen rauchte ich wieder am Fenster und sah auf das Bild meiner Eltern in meiner Hand. >Ich bin wieder alleine, Mama. Warum bin ich nur so verdammt blöd?< Ich stieß den Rauch in die Luft und lehnte meinen Kopf an das Fensterrahmen.Ich dachte, dass war es.

Ich dachte, das war es jetzt. Ich hatte Brody verloren, ich wusste nicht, was mit Isaac passierte. Und das war es. Meine bekannte Unklarheit über meinen geistigen Zustand und was die Zukunft auf sich hatte, war kein Problem. Mit ihr konnte ich beinahe umgehen.

Doch was beim Mittagessen im Speisesaal passierte war zu viel.

 

Wir saßen alle gemeinsam am Tisch. Brody auf der komplett anderen Seite. Ich konnte immer wieder seine Augen auf mir spüren und wenn er mich mal nicht ansah, war ich es, die zu ihm sah.

Plötzlich rauschte es aus den Lautsprechern. >Schüler? Ein Ohr, bitte.< Die beiden Rektoren standen auf der Bühne am Podium.

>Nicht wieder eine Ausgangssperre.<, hörte ich mehrere Schüler sagen.

Isaac stand hinter Ken. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt und die Augen streng vor sich gerichtet. >Wir haben erneut traurige Neuigkeiten.< Es wurde still. Es rauschte wieder. Dieses Mal, weil Ken seufzte. Er sah kurz nach hinten zu Isaac und wieder zurück. >Isaac Conner, unser stellvertretender Rektor und mein bester Freund, wird unsere Schule leider heute verlassen.<

28. Gute Hexe

 

>Was?<, kam es laut aus allen Richtungen. Mehrere Schüler erhoben sich sogar. Eine große Diskussion brach aus. Entsetzt klappte mein Mund herunter.

Er ging? Er verließ die Schule? Wegen mir?

Ich stand auf und sah entsetzt zu Isaac auf der Bühne. Seine Augen wanderten emotionslos über die Menge, doch konnte ich seinen Wehmut erkennen. Tief unter der Oberfläche des Lehrers und Kriegers, erkannte ich den Mann, der sein Zuhause verlassen würde.

Ungläubig sah ich mich zu den anderen um, die genauso geschockt waren, wie alle anderen Schüler. >Das kann doch nicht sein.<

>Hey! Hört mir zu!< Die vielen Stimmen im Saal zogen sich zu einem annehmbaren Level zusammen. >Es ist für uns alle ein großer Verlust, dass Isaac uns verlässt, doch... dass ist seine Entscheidung und wir werden sie respektieren. Wir verabschieden uns also nun von ihm.<

Ich wandte mein Gesicht zu Brody. Er sah mich ebenfalls an und schüttelte fassungslos den Kopf.

Isaac trat hervor. >Ich möchte das nicht länger machen, als es sein muss. Ich bin sehr dankbar für die Zeit, die ich hier verbringen durfte. Ich bin sehr stolz auf die Schüler hier, denen ich helfen konnte. Ihr werdet brillante Krieger sein, davon bin ich überzeugt.< Ein kleines Lächeln, bis er zu mir sah und seine Mundwinkel etwas sackten. >Ich habe euch alle sehr ins Herz geschlossen und hoffe, dass ihr auch ohne mich als unerreichbares Vorbild auskommt.< Jetzt begann die Schülerschaft zu lachen. Er lächelte mir vorsichtig zu. >Bis dann.< Damit stieg er die Treppe herunter und schüttelte auf dem Weg raus aus dem Saal ein paar Schülern die Hand.

Ich fuhr mir durchs Haar. Beth stand neben mir. >Du solltest mit ihm sprechen.<

>Nein, das ist… Ich kann das nicht machen.< Meine Augen hingen wieder an Brody. Er hatte sein Gesicht dem Boden zugewandt. Seine Hände in seinem Schoss waren ineinander verschränkt. Der Griff war so fest, dass seine Knöchel weiß leuchteten. Ich fluchte und lief durch die Tischreihen zur Tür. Isaac war noch am sich verabschieden, während ich raus auf den Flur lief. Mein Herzschlag stieg stetig an. Nervös lief ich auf und ab, bis Isaac durch die Tür kam.

Er blieb stehen und sah mich an. >Jenna…<

>Es tut mir so leid. Ich weiß, das ist nicht ansatzweise genug. Ich habe alles kaputt gemacht. Und es tut mir…<

>Jenna, Jenna… Komm mit.< Er machte Anstalten mich am Rücken zu den Treppen zu führen, nahm seine Hand jedoch zurück und lief voran. Ich folgte ihm. Wir traten raus vor die Schule, wo ein Geländewagen stand. Durch das Fenster konnte ich sehen, dass Gepäck darin stand. >Ich habe dich ausgenutzt. Ich… wusste, dass ich irgendwann brechen würde und deshalb habe ich Kevin darum gebeten, mich an den Hof zu schicken.<, erklärte er mit leiser Stimme.

>Was?< Ich trat vor. >Du wolltest vorher schon weg?< Er nickte. >Aber…<

>Ein Schüler und ein Legata dürfen auf keine Weise die Grenzen ihrer Beziehung überschreiten. Und ich habe schon seit einiger Zeit registriert, dass meine… Gefühle für dich diese Grenzen weit hinter sich gelassen haben.< Meine Gedanken verstummten. >Es tut mir leid, dass ich dich auf diese Weise gesehen habe. Ich hätte mich sofort von dir fernhalten sollen und…<

Ich schüttelte den Kopf und trat noch einen Schritt zu ihm vor. >Isaac, ich…< Meine Hand bewegte sich wie von selber in seine Richtung. >Isaac, warum… warum hast du denn…<

Kurz vor seinem Arm entfernte er sich und lächelte mich an. >Jenna, ich bin mir sicher, dass du dich wunderbar entfalten wirst. Ich bin sehr stolz auf dich. Vergiss das nie.< Und plötzlich nahm er meine Hand, drückte sie und ging zu seinem Wagen.

>Aber…< Verlassen blieb ich zurück und sah zu, wie Isaac den Motor startete.

Er hatte Gefühle für mich und doch fuhr er nun weg. Es dauerte nicht lange und die Heckscheibe des Autos verschwand zwischen den Bäumen. Nur noch die Motorengeräusche erinnerten daran, dass ein Auto durch die Wälder fuhr. Nur das immer größer werdende Loch in meiner Brust erinnerte daran, dass ich Isaac gerade das letzte Mal gesehen hatte.

So vieles war passiert.

Ich wandte mich herum und sah auf zu dem Gebäude. Dieses riesige Gebäude, welches mein ganzes Leben verändert hatte. Sowohl Vergangenheit, als auch Zukunft.

Hier stand ich nun, als ernannte Kriegerin. Ich trug die Göttin in mir und dennoch war ich schwach, allein und hatte Menschen erneut Enttäuschung, Wut und Trauer gebracht.

Kraftlos ließ ich meinen Kopf nach vorne fallen und stieß Luft zwischen meine Lippen durch.

Beth erwartete mich im Eingangssaal und kam auf mich zu. >Und? Was hat er gesagt?<, fragte sie mich und blickte mich besorgt an.

Noch immer perplex rieb ich mir die Stirn und seufzte. >Er liebt mich.<, flüsterte ich und sah ihr ins Gesicht. Ihre Augen weiteten sich und sie nahm ihre Hände von mir. >Also… er hat Gefühle für mich. Jedoch meinte er, es wäre nicht richtig…<

>Es ist nicht richtig.<, unterbrach sie mich.

>Deshalb verlässt er die Schule. Wollte er die Schule schon zuvor verlassen.< , fügte ich noch hinzu.

Misstrauisch beäugte mich Beth. >Du weißt, dass ihr niemals so weit hättet gehen dürfen und dass das richtig ist. Das er geht.< Ich nickte. >Du wirst sehen. Das mit dir und Brody wird schon wieder und wenn ihr erst einmal zusammengefunden habt, läuft alles wieder bergauf. Du bist nun mal gerade in einem Tief. Das hat jeder mal.< Wir liefen gemeinsam die Treppe hoch und ich versuchte ihren Worten Gehör zu schenken, doch war ich nicht bei ihr. Ich saß neben Isaac im Wagen und schaute in eine fiktive Zukunft. In eine Zukunft, die nicht war, nicht ist und niemals sein würde. Und das war gut. Das war richtig. Es war gegen die Gesetze und diese Gesetze wollte ich einhalten, denn ich war ein Teil der Bändiger-Bevölkerung. Noch mehr, ich war ein Krieger.

Doch warum war es dann so schwer zu akzeptieren, dass Isaac nun ging?

>Kannst du bitte aufhören, solch ein Gesicht zu ziehen? Du bist jung, heiß, intelligent und stark, Jenna. Und jetzt hast du einen Fehler gemacht. Was soll’s? Du und Brody. Das wird.< Ich nickte wortlos und folgte ihr die Treppen hoch. Kyle und die anderen kamen uns entgegen und mit ihnen ein Schwall von Schülern.

>Verrückt, dass er weg ist. Einfach so und so plötzlich.<, murmelte Kyle und fuhr sich durchs Haar. Penny stellte sich neben ihn und er legte seinen Arm um ihre Schulter. Kyle wirkte niedergeschlagen.

>Ja, es ist... seltsam.<, stimmte ich zu und blickte zu Boden. Brody schnaubte und ging davon. Wortlos sah ich ihm nach. Beth' Hand drückte sich an meinen Rücken. >Wir sehen uns später, ja?< Ich trennte mich ebenfalls von der Gruppe und folgte Brody in den Aufzug. Ich stellte mich so weit weg wie möglich von ihm in die Kabine. Das Schweigen lag schwer auf meinen Schultern und schien mich zu ersticken. Ich schloss meine Augen und versuchte zu entfliehen, wo ich seine Nähe doch so sehr vermisste.

>Muss dir wehtun, ihn gehen zu sehen...<, hörte ich ihn murmeln.

Meine Lider trennten sich wieder. >Ja.<, antwortete ich ehrlich. Wir wandten unser Gesicht gleichzeitig dem anderen zu. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und wirkte etwas bleich.

Ich bedeutete ihm viel.

>Aber...<

Die Aufzugtüren gingen auf. >Bis dann, Jenna.<, sagte er und trat hinaus. Ich folgte ihm hinaus, atmete durch und bog nach rechts zum Mädchenflügel ab.

Mein Kopf schmerzte wieder. Und ich wusste, was geschehen würde. Es war dasselbe wie noch im Klassenzimmer, bevor ich das Bewusstsein verloren hatte.

Dieses Mal setzte ich mich in mein Zimmer, warf mein Gesicht in meine Hände und kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an, bis sie mich dann doch übermannte.

Kaum hatten meine Lider nachgegeben, öffneten sie sich wieder. Wach, ausgeruht und in einem vollkommen neuen Raum. Schwärze umgab mich. Körperlos schwebte ich in diesem Nichts.

>Mein Kind.< Ihre tiefe weibliche Stimme vibrierte in meiner Brust, doch wusste ich nicht, wo meine Brust war. Ich wusste nicht, wo ich war. Körperlos wie Nebel trug mich eine unsichtbare Kraft. Mir fehlte jegliches Gefühl für meinen Körper, dennoch spürte ich die Atmosphäre in diesem Raum. Dennoch spürte ich sie. Plötzlich stand sie direkt vor mir. >Es ist soweit…<

Ich riss wieder hoch und landete auf allen Vieren. Mir war schwindlig. Übelkeit. Kopfschmerzen. Alles regnete auf mich ein. Als würden tatsächlich Regentropfen auf mich niederprasseln, schwere Bleitropfen, die mich zu Boden zogen.

>Wann endlich? Wann endlich, verdammt?<, fragte ich in den Raum. Keine Antwort. >Komm doch! Ich bin bereit. Ich bin hier und ich bin bereit, Mutter!< Nichts.

Ich schloss meine Augen und warf mein Gesicht in meine Hände. >Welchen anderen Wert habe ich denn sonst? Es ist Zeit! Jetzt! Jetzt, bitte!<, bettelte ich.

Doch es passierte nichts. Wie erwartet.

 

>Mann, bist du warm… Ihr Feuer-Menschen…< Penny rieb sich die Hände. Lächelnd sah ich von ihr zurück zum Lehrer und folgte dem Aufschrieb. >Siehst müde aus, alles klar?<, fragte sie mich. Ich blickte auf zu Brody, der rechts von uns zwei Reihen vor uns saß. >Das wird sich schon wieder einrenken und wenn nicht, dann findest du in Null Komma Nichts wieder jemanden, Jenna. Das verspreche ich dir.< Wortlos nickte ich.

Doch wollte ich niemand anderen. Ich wollte nur Brody. War mir das Recht ihn zu Wollen aber genommen worden. Von mir und meiner Dummheit.

>Ja, bestimmt.<, erwiderte ich.

Ich kompensierte mit Training, mit Schweigen, niedriger Nahrungszufuhr und Lernen. Brody und ich sprachen kaum ein Wort miteinander, wobei ich mir Mühe gab, ihm näher zu kommen, doch er dies kläglich scheitern ließ.

Ken und ich trafen uns nun einmal in der Woche. Dabei erzählte ich ihm von den Vorkommnissen der Woche und hielt ihn auf dem Laufenden über die Entwicklungen.

Mutter hielt sich jedoch gedeckt. Ich erzählte ihm von unserem letzten Zusammentreffen, in dem sie meinte, dass „es soweit ist“.

Sonst gab es nichts Neues, was mich zurückließ in Enttäuschung. Ich hatte das Gefühl, sie hätte mich aufgegeben. Ich hatte, wie immer, das Gefühl eine Enttäuschung zu sein.

Doch bei meinen wöchentlichen Treffen wurde ich auch immer auf die Krankenstation zu einer General-Untersuchung gebracht. Meine Körper-Temperatur stieg an. Stetig.

 

>Hier.< Penny reichte mir ihre Flasche Wasser. >Siehst aus als könntest du es mehr gebrauchen.< Ich kippte alles in meinen Mund und setzte mich. Mein T-Shirt war vollkommen durchnässt. Schwer atmete ich. >Ich hol dir noch mehr.< Sie nahm die Flasche wieder in die Hand und ging an den Wasserspender. Ich saß in der Bücherei und lernte mit den anderen für eine Arbeit.

>Danke.<, murmelte ich, als Penny mir wieder die Flasche brachte. >Ich denke, ich gehe hoch. Bin ziemlich fertig.<, fügte ich hinzu, packte die Bücher zusammen und erhob mich.

Isaac war jetzt schon drei Wochen weg. Ich hatte wieder einen neuen Lehrer bekommen, der täglich mit mir trainierte. Es war Derek. Er war nicht so gut wie Isaac, aber dennoch sehr engagiert und furchtbar interessiert.

Bei jedem Training brachte ich mich an meine Grenzen. Ich dachte immer darüber nach, was Isaac sagen würde und er wäre niemals völlig zufrieden mit mir. Er fand immer einen Makel. Etwas das hätte besser gemacht werden können.

Derek war nicht genug Anforderung für mich. Das wurde mir klar, denn ich gewann gegen ihn. Ich war ihm ebenbürtig. Ich brauchte eine Herausforderung. Und wer war mehr Herausforderung als die Legende Isaac Conner.

 

In meinem Zimmer angekommen, setzte ich mich an den Schreibtisch und warf meine Tasche darauf. Dr. Jester hatte mir das schon erklärt. Meine menschliche Hülle hatte eine weitaus höhere Toleranz zu Hitze, genauso wie ein Wasserbändiger diese zu Kälte besitzt und so weiter… Doch bei der letzten Messung lag meine Temperatur bei 41°. Das war selbst für mich sehr hoch und damit kam mein Körper an seine Grenzen.

Müde zog ich mich aus, warf meine Sachen in den Wäschekorb und stieg unter die Dusche. Das war schon das dritte Mal heute, doch anders war es nicht möglich.

Rauchend lehnte ich an meinem Fenster und betrachtete den Wald vor mir. Es war alles dunkel. Alles schwarz. Ich steckte mir die Zigarette zwischen die Lippen und legte meine Hände zusammen. Als ich sie wieder auseinander zog, schwebte ein runder Ball aus Feuer dazwischen. Wortlos verschränkte ich meine Arme unter meinem Kinn und nickte in Richtung Bäume. Der Ball bewegte sich. Er entfernte sich immer weiter von mir, bis er den Wald erreichte und zwischen den Baumstämmen verschwand.

Sein Licht war immer sichtbar, auch wenn er selbst nicht zu sehen war. Immer wieder tauchte er auf. Ich beobachtete ihn, bis ich ein Gesicht erkannte. Ich fuhr zurück. >Was?<, flüsterte ich und beugte mich wieder vor. Es war eine hagere Gestalt, die sich versteckt hielt. Die Kugel kreiste nun ohne mein Wirken um dieses Wesen herum.

Komm.

Erschrocken fasste ich mir an beide Ohren. Es war in meinem Kopf. Nicht sie, aber ich machte das erst Beste, was mir einfiel. Ich stieg aus dem Fenster und sprang einfach ab und ohne Probleme landete ich auf einem Knie. Mit großen Augen sah ich auf. Das waren 50m, die ich runtergesprungen war, als wäre es ein Klettergerüst gewesen. Wieder richtete ich mein Gesicht gen Wald. Es stand immer noch dort.

Ich erhob mich langsam und begann zu rennen. Und schon verschwand sie. Doch ich wusste ganz genau, wie ich zu rennen hatte. Trotz meines Fiebers hatte ich keine Probleme mich zurecht zu finden. Ich rannte und rannte, bis ich an die Begrenzung des Schulgrunddstücks kam und erneut war auch dies kein Hindernis. Ich schnappte nach dem ersten Gitterstab und beförderte mich damit hoch über den 5m hohen Zaun.

Es folgte ein weiterer zügiger Marsch von etwa einer halben Stunde. Es war die Kugel, die mich zu einer Lichtung führte. Erst war ich allein. Ich sah mich um und raufte das Haar. >Und was jetzt?<, fragte ich in die Stille.

Niemand war zu sehen.

>Ich bin doch jetzt nicht…< Fast konnte ich spüren, wie meine Temperatur weiter anstieg. Kraftlos kniete ich mich auf das Gras und beugte mich soweit vornüber, dass meine Stirn auf der kühlen Wiese bettete. Ich atmete tief durch. >… umsonst hier her, nur um irgendeinem Hirngespinst zu folgen.<, murmelte ich. Plötzlich hörte ich Schritte. Rasch erhob ich mich. Da stand sie. Zwischen den Bäumen und beobachtete mich, wie ein wildes Tier. Sie lauerte. In fließenden Bewegungen bewegte sie sich zwischen den Stämmen. Ich betrachtete sie. >Wer bist du?<, flüsterte sie.

Sie antwortete lange nicht. >Das ist nicht wichtig.<, säuselte sie. Ihre Stimme war ganz sanft, weich. Wie der Wind. Kaum zu erahnen, aber doch spürbar.

>Und was bist du?<

Langsam trat sie nun aus den Schatten hervor. Sie war winzig. Zierlich, nein, dürr. Haut und Knochen, aber sie war nicht schwach. Sie wirkte nicht hilflos oder hilfsbedürftig. Viel mehr strahlte sie eine Erhabenheit aus, die in einem harten Kontrast zu ihrem Körperbau war. Bleich. Fast weiß, etwas gräulicher Farbton. Ihre Augen lagen tiefen Höhlen. Eine Spitze Nase, die sich nach oben bog. Dünne Lippen, hohe Wangenknochen und Stirn. Sie hatte graues Haar, das ihr bis knapp über die Schultern reichte.

Eine schwarze Kapuzenjacke, schwarze viel zu große Hosen und… barfuß.

Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. >Ich bin unwichtig. Ein zwar bedeutungsvoller aber an sich unwichtiger Meilenstein in Ihrer Entwicklung, Prinzessin. Es gibt keinen Grund, sich mein Gesicht zu merken.< Verwirrt strich ich mir das Haar aus dem Augen.

Sie legte ihren Kopf schief. >Ihr seid tatsächlich fast so schön wie sie.<

Ich wurde hellhörig. >Wie wer?<

Weiter kam sie auf mich zu. >Parvati hat Ihre Chakren geöffnet und Euch dabei den Weg geebnet für die Verbindung zu Ihr. Das ist aber nutzlos, wenn Ihr nicht bereit seid Euch dieser Verbindung auch zu öffnen.< Ich runzelte die Stirn. >Verwirrt? Kann ich mir vorstellen.< Sie begann um mich herum zu laufen. >Ich bin nur hier, weil ich gerne meine Nase in die Geschäfte anderer stecke und…< Sie schüttelte den Kopf. >Parvati schickt mich.<

>Parvati?< Nun stand sie ca. einen Meter vor mir. >Sie schickt dich? Wie hast du mit ihr zu tun?<, fragte ich sie als nächstes.

Schnaubend verschränkte sie die Arme. >Ich habe nichts mit ihr zu tun. Seht mich an, Prinzessin. Ich mache die Drecksarbeit für den Adel. Ich mache…< Sie verbeugte sich tief. >…Ihre Drecksarbeit, meine Prinzessin des Feuers.< Triefend vor Sarkasmus richtete sie sich wieder auf. >Entspannt euch nun. Es wird schnell gehen.< Ihre Hand streckte sich mir entgegen.

Ruckartig zuckte ich zurück. >Was machst du?<

>Misstrauisch. Gut.<, merkte sie an und streckte sie mir entgegen. Wieder wich ich ihr aus. >Prinzessin, ich muss meinen Auftrag erfüllen, sonst fällt das auf mich zurück. Das kann ich mir nicht leisten.< War das Angst in ihren Augen?

>Ich will wissen, wer du bist und was das hier soll?<

Seufzend ließ sie ihre Arme sinken. >Ich habe es doch gesagt, Prinzessin. Ich bin unwichtig. Ihr braucht euch nicht für meine Person zu interessieren.<, wiederholte sie.

Ich erhob mich und sah auf sie herunter. >Ich entscheide, was wichtig ist und was nicht, für was ich mich interessiere und für was nicht. Wenn ich also sage, ich will wissen, wer oder was du bist und was das hier zu bedeuten hast, dann erwarte ich eine Antwort von dir.<, verlangte ich mit einer mir fremden Strenge. Ihre Augen wurden mit jedem Wort, das ich aussprach größer.

>In Ordnung, Prinzessin. Mein Name ist Wendy. Ich bin 16 und ich bewege mich im grauen Bereich.< Eine Braue hob sich an. >Ich bin eine Hexe…< Ich erstarrte und ging sofort in Kampfhaltung. Beschwichtigend hob sie ihre Hände an. >Nein, nein, nein. Prinzessin, ich bewege mich im grauen Bereich. Das bedeutet, ich bin zwar eine Hexe, jedoch bin ich nicht böse. Ich bin nicht wie die anderen. Sonst hättet Ihr doch schon längst bemerkt, dass ich eine Hexe bin. Ich helfe…<

>Wie hilfst du?<

>Ich heile Bändiger von Flüchen, die sie nicht selber heilen können.<, erklärte sie.

Stirnrunzelnd senkte ich meine Arme. >Was? Ich verstehe nicht.<

>Ich versichere Euch zu helfen, Prinzessin. Ihr seid nicht in der Lage, die Verbindung so freizulegen, dass Eure Göttin Euch erreichen kann. Lasst mir Euch helfen. Es wird nicht lange dauern.<

Die Hitze stieg an meinen Beinen empor. >Wie kann ich dir vertrauen? Du bist eine Hexe.< Ich spuckte das Wort aus, wie eine Krankheit.

Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Kleine graue Zähne zeigten sich. >Natürlich bin ich eine Hexe und natürlich habt Ihr keinen Grund mir zu vertrauen, Prinzessin. Jedoch bin ich die letzte Möglichkeit, die Ihr noch habt. Die aller letzte. Ihr seid so kurz davor. Bitte, lasst mich Euch helfen. Bitte. Geht auf die Knie.<

>Du wagst es mich auf die Knie zu bitten?!< Ich trat einen Schritt hervor und hob meine Faust. Ich weiß nicht, von wo diese Arroganz kam, aber es war mir zu wider.

>Verzeiht.< Sie krümmte sich. >Ich will Euch nur helfen, Prinzessin, und dann werdet Ihr Euch nie wieder mit mir abgeben müssen. Bitte. Ich bitte Euch, lasst mich helfen.<, bat sie erneut.

Lange betrachtete ich sie. Sah sie mir ganz genau an. Sie hatte Angst, aber was weitaus offensichtlicher war, war der Respekt und die Achtung, die sie vor mir hatte. Anders wie die anderen Hexer schien sie nicht so vermodert, verrottet. Und nun, wo sie mir ihr Alter verraten hatte, erschien sie mir noch kleiner. >Wenn du irgendwelche krummen Dinge drehst, wirst du es bereuen, Wendy.< Sie schluckte schwer und trat heran. Vorsichtig hob sie ihre Hand an.

>Ihr müsst, bitte, auf die Knie gehen so…< Ich schüttelte den Kopf. >Prinzessin, es wird ganz schnell gehen.< Langsam ging ich auf die Knie. Ließ mein Augenmerk dabei auf ihr heften. Sie räusperte sich und drückte ihren Daumen an meine Stirn. >Die nächsten Tage werden sehr unangenehm sein, Prinzessin. Sie werden innerlich verbrennen und es wird nicht angenehm sein, aber danach…< Ein Lächeln lag auf ihren Lippen. >… wird eine neue Zeit anbrechen.< Ein leichter Druck entstand. Erschrocken hielt ich die Luft an, denn als nächstes fuhr ein heißes Eisen über mein Rückgrat. Ich machte ein Hohlkreuz und warf meine Arme von mir. Ein weiterer Daumen legte sich an mein Kinn und erneut durchfuhr mich ein heißer Blitz. Sobald sie die Berührung abbrach, sackte ich zusammen.

Schwärze umzingelte mich. Wendys Gesicht tauchte vor mir auf. >Es tut mir leid, was Euch nun bevorsteht, Prinzessin. Ich wünsche Euch viel Glück auf Eurem Weg.<, hörte ich sie sagen, bevor ich abtauchte.

29. Feuer

 

Keuchend riss ich hoch. Ich war in meinem Bett.

>Jenna.<

>Jenna!<

>JENNA!<

Schmerzverzerrten Gesichtes fasste ich mir an die Stirn. Nur schwer bekam ich Luft. Mir war heiß. Nein, heiß war nicht einmal ansatzweise wie ich mich fühlte. Es war eine Hitze, die nicht auszuhalten war. Ich riss mir die Kleider vom Leib und stolperte in Richtung Badezimmer. Schwindel. In meiner Wahrnehmung existierten keine geraden Linien mehr. Als wurde ein Eimer Wasser über ein Gemälde verschüttet. Die Farben verliefen, das Bild verlor an Struktur. Alles war schwammig. Keine Konsistenz. Ich hatte selbst das Gefühl, dass der Boden unter mir zu zerfallen schien. Wie Knete gab er unter meinen Schritten nach. Fast fürchtete ich zu versinken. Und meine Beine… Gott, mein Beine. Sie waren so unglaublich schwer. Jeder Schritt war eine Überwindung. Eine Herausforderung, doch das war es mir wert, denn am Ende meines beschwerlichen Weges sollte eine Keramik-Oase auf mich warten. Ich träumte auf dem Weg schon von dem kühlen, klaren Wasser. Wie es auf meine erhitzte Haut traf und mir Erfrischung brachte.

Nicht zu glauben. Hier stand ich als Feuer-Bändigerin und wünschte mir kaltes Wasser. Sehnte mich nach eisigen Winden. Wie paradox.

>Jenna! Hier! Komm zu mir!<

Ihre Stimme hallte von jeder Wand. Traf mich von allen Seiten. Ihre Worte schnappten wie an Faden gebundene Haken nach mir und dirigierten mich in die richtige Richtung. Ich folgte einem inneren Kompass, denn meinen Augen konnte ich nicht mehr trauen. Sie war ganz klischeehaft das Licht am Ende des Tunnels. Ich folgte ihr blind, auch wenn ich Angst hatte. In diesem Zustand war sie die einzige Konstante. Während alles verschwamm, war ihre Stimme das einzig klare. Das einzig echte, wo es doch eigentlich wahnsinnig war, der Stimme in seinem Kopf zu folgen.

Ich krallte mich am Türhenkel fest. Sank auf meine Knie hinab, denn meine Kraft war ein tropfender Wasserhahn. Nur noch kleine Tränen einer verlorenen Erinnerung.

Die Tür schlug auf und ich landete auf allen Vieren. Seufzend lehnte ich meine Stirn auf den Boden, um die Kühle der Kacheln aufzusammeln, doch es gab keine. Nur eine kurze Sekunde von Entlastung, bevor sie die Temperatur meines Körpers annahm.

Kraftlos robbte ich in Richtung Wanne. Da fühlte ich den ersten Schlag in Magengegend. Ich stieß auf.

>Bitte, nicht…<, raunte ich und verließ meinen Pfad.

Erneut ein Schlag. Ich würgte und streckte meine Hand zum Toilettenrand aus. Als hing ich von einer Klippe herab, zerrte ich mich hoch und hing meinen Kopf gerade noch rechtzeitig in die Schüssel, bevor glühende Lava meinen Körper verließ und mich zuckend zurückließ. Röchelnd stützte ich mich auf meine Arme und wischte mit dem Handgelenk über meine Lippen. Alles schmerzte. Jede Bewegung war Schmerz. 

Der Schweiß tropfte an meiner Stirn herab. Atmen fühlte sich an, als würde ich Lehm durch meine Lungen pressen. Meine Augen schienen platzen zu wollen. Hinter meiner Stirn wütete ein Krieg. Brennende Pfeile, Heuballen schossen durch die Luft. Griechisches Feuer bedeckte meinen Körper und meinen Geist.

>Was ist das?<

Schwerfällig kroch ich weiter und schlüpfte in die Wanne. Sobald ich drin saß wurde mir für einen Moment schwarz vor Augen. Mein Körper gab auf, doch wir waren noch nicht am Ende. Blinzelnd hob ich meinen Kopf an, mit der Angst, dass mein Genick brach. Es war so schwer, ihn anzuheben. So unglaublich schwer. Kraftlos ließ ich ihn auf den Rand der Wanne fallen und sah auf zu dem Drehknopf. Ächzend tastete ich mich mit den Fingern vor, streckte und reckte mich, doch es brachte nichts. Also stützte ich mich auf meine Ellenbogen ab. Die Hitze meines Körpers lud sich auf die Wanne aus. Noch einmal streckte ich meinen Arm aus und dieses Mal bekam ich den Riegel umfasst und drehte ihn in den blauen Bereich. Ein Wasserfall explodierte über mir. Eiskaltes Wasser prasselte auf mich herab oder war es überhaupt kalt? Ich registrierte es kaum. Die hohe Körpertemperatur kompensierte die Kühle des Wassers.

>Meine Tochter, wir werden bald vereint sein.<

Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. >Ich halte das nicht lange aus. Bitte, mach…< Mir war schwindlig. Mir war schlecht. Alles drehte sich, tanzte vor mir.

Ich sah auf in den Wasserstrahl. Versuchte Erlösung in der Kälte zu finden, doch ich spürte sie nicht. Sobald das Wasser mich traf, verdampfte es. Es gab keine Erleichterung. Es gab kein Ende. Ich würde brutzeln, bis nichts mehr von mir übrig sein würde. Wie lange sollte ich das durchhalten? Wie lange konnte ich das durchhalten?

Würgend beugte ich mich über die Wanne und übergab mich erneut in die Toilette. Mein Magen zog sich zusammen, denn er war leer, doch der Würgereiz noch immer präsent und intensiv. Immer und immer wieder drückte sich mein Rücken durch und ich schnaufte schwer unter den Schmerzen. Schmerzen, die jeden Wirbel durchdrangen. Blitze loderten in meinem Kopf auf. Ich war nur noch Leid. Nur noch Qual.

Meine Kraft verließ mich.

Schwarzer Nebel begann mich zu umzingeln. Selbst das Bewusstsein zu verlieren, schmerzte mich.

 

Sobald meine Lider sich von der Kruste befreiten, die sich auf meinem Wimpernkranz gebildet hatte, erkannte ich, dass mein Zustand sich tatsächlich verschlechtert hatte.

Ich konnte nicht sagen wie viel Uhr es war, ich war mir noch nicht einmal mehr sicher, wo ich war. Wie eine Fussel in der Luft, bewegte ich mich vollkommen orientierungslos durch die Luft. Ohne Ziel. Ohne Herkunft.

Alles drehte sich so schnell. Gleichzeitig zog sich die Zeit spürbar in die Länge. Das erste, was mir dabei einfiel, war blubbernder Teer auf dem Boden. Der sich langsam verteilte und alles mit seiner zerstörerischen Hitze überdeckte. Normalerweise wäre das ein sehr angenehmer Gedanke für mich, doch hier in diesem Zustand war er unerträglich. Ich wollte Eis, Gletscher, Schnee, klare Flüsse. Ich wollte alles nur bitte nicht noch mehr Feuer.

>Hei-… Hei-…< Tropfen, die auf mein Gesicht trafen, hielt mich davon ab in die Schwärze abzusinken, die an meinen Gliedern zerrte. Ich schnaufte schwer, denn ich hatte das Gefühl zu ertrinken. Dennoch wandte ich mich mit dem Rest an Kraft dem Wasser zu. Denn lieber ertrank ich in diesen seltsamen Tiefen, als weiter bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Selbst wenn ich es verdient hatte. Ich hielt dieses Feuer nicht mehr aus.

Und immer wieder ihre Worte in meinem Kopf. Als wäre jede Silbe ein schwerer und heißer Luftstoß, der mir kiloweise Sand auf die Schultern transportierte. Sie war meine Erinnerung daran, dass das hier nichts war. Das ich noch kämpfen musste. Das mein Weg andauern und ich entweder unter- oder mitgehen würde.

>Jenna, ich bin auf dem Weg zu dir. Nicht mehr…<

Ich klappte wieder weg.

Es war zu schwer.

 

>Hil-… Hilf-…<

Mit schwachen Gliedern versuchte ich mich auf dem Boden abzustützen. Er war glatt und rutschig. Genau in diesem Moment verlor meine Hand ihren Halt und ich schlug mit der Stirn auf. 

Kopfschmerzen hallten nach und verteilten sich in meinem Körper. Schultern, Arme, Bauch, Beine, Füße. Alles war voll von Schmerz. Mein Körper war so schwach und zerbrechlich. Ich fürchtete, ein Teil von mir wäre abgebrochen.

>Bitte…< Ich erkannte meine Stimme nicht mehr. Sie war nichts weiter als ein Türknarzen. Nicht mehr menschlich.

Ein schwerer Knoten bildete sich in meinem Magen. Glühende Kohle. Er breitete sich immer weiter aus. Er würde mich verschlingen und verbrennen lassen.

Ich bekam Angst. Das erste Mal bekam ich Angst davor, zu verbrennen. Ich hatte Angst vor der Hitze. Angst vor meinem geliebten Feuer. Angst vor Heimat und Liebe und alle dem, dass mir Gesellschaft geleistet hatte, wenn ich so unerträglich allein war. Ich hatte Angst und ich hatte Panik, denn dieses Gefühl war mir so fremd wie es nur sein konnte.

Schweratmend versuchte ich erneut mich zu erheben. Meine Hände bekamen etwas zu greifen. Ich lupfte mich hoch. Meine Kraft verließ mich. Schwer landete ich wieder auf meinem Gesäß. Wieder eine Welle an Schmerz, die meinen Körper in Rot einfärbte.

Als stände ich in der Mitte einer Wüste. Die Sonne prallte auf mich nieder. Jeder Windstoß war wie eine Feuer-Fontäne, die mich zurückwarf. Ich schaffte es einfach nicht, dagegen anzukommen. Ich erstickte. Meine Lungen waren wie Schleifpapier. Mein Körper vollkommen ausgetrocknet.

Kraft verließ mich mit jeder Sekunde. Wurde mir ausgesaugt. Ich spürte, wie die Energie Stück für Stück meinen Körper verließ. Bald, schon sehr bald würde kein Gramm mehr von mir übrig sein. Ich würde wie ein Staubhäufchen weggefegt werden und nichts würde mehr übrig von mir sein.

Meine Glieder wogen Tonnen. Fast fürchtete ich, dass sie abrissen, würde ich erneut versuchen sie anzuheben. Wie vertrocknete Äste hingen sie von mir.

Ich hatte das Gefühl von Leichtigkeit verloren. Von luftiger Kühle. Von allem, das in Kontrast stand mit dem Element, das meinem Leben einen Sinn gab. Wasser. Luft. Erde. All das, nur kein Feuer. Kein Feuer mehr. Es war genug.

 

Keine. Luft.

Es. Ist. Zu. Heiß.

Schwach lag ich auf dem Boden. Bewegte mich nicht, denn jede Bewegung war zu viel. Ich war nass. Schweiß? Regen? Tränen? Ich wusste es nicht. War ich in meinem Bad? In meinem Bett? War ich vielleicht sogar noch im Wald?

War diese Hexe echt gewesen?

Wie hieß sie nochmal? Wendy?

Oder war das ein Traum gewesen? War vielleicht all das ein Traum gewesen? Diese ganze Geschichte mit den Bändigern, den Göttern? Vielleicht… nur ganz vielleicht war dieses ganze Chaos, dieser ganze Irrsinn alles nur ein schrecklicher und schöner Traum. All das. Der Geist der Feuer-Göttin, der in mir lag, die Aufnahme in diese Schule, der Unterricht, all das… Wer weiß, vielleicht ging dieser Traum noch weiter und ich war immer noch das kleine Mädchen, das bei ihren Eltern lebte. Möglicherweise waren sie auch gar nicht so krank, wie ich es in Erinnerung hatte. Was, wenn ich in einem endlos scheinenden Traum gelebt hatte und sobald ich aufwachte, würde ich in meinem Bettchen liegen und meine Mutter würde mich in ihre Arme schließen und mit sich in die Küche führen, wo wir zusammen Frühstück machten und mein Vater dann zu und zustieß und wir gemeinsam am Tisch saßen, wie es eine glückliche Familie nun mal macht? Wäre das nicht… traumhaft?

Ein wahr gewordener Traum. Dafür musste ich nur aus diesem Traum aufwachen. Es war ganz einfach… Ich wünschte mir, die Kraft zu haben, mich zu zwicken. Ich wünschte mir kaltes Wasser, um abrupt meinen Kopf einzutunken. Ich wollte irgendeinen Reiz haben anders als diese brennende Hitze.

Bitte…

Lass mich aus diesem Traum aufwachen…

 

Meine Lider öffneten sich flatternd, als ich Geräusche hörte und meinen Namen. Ich versuchte zu reagieren und auf mich aufmerksam zu machen, doch meine Stimmbänder waren einfach nicht mehr funktionsfähig.

Letztendlich kamen Schritte auf mich zu. Ruckartige Bewegung. Arme schoben sich unter meinen Körper. Mein Kopf klappte nach hinten.

Ich wurde ummantelt von einer Decke. Keuchend versuchte ich sie von mir zu bekommen, doch sie wurde immer wieder über meinen Körper gelegt.

Mein Name wurde wieder und wieder genannt. Ich schreckte hoch. Immer wieder, doch ich verschwand jedes Mal auf’s Neue von der Bildfläche. Da war nichts.

Ich wurde von vielen Händen angefasst. An meinen Handgelenken, an meiner Kehle, an der Stirn, an der Brust. Ein kurzer Stich in meine Armbeuge. Ein Ring drückte sich um meinen Mund. Frische Luft drückte sich in meine Lungen. Ich atmete tief durch.

>Jenna…<

Ich blinzelte. Mein Körper brannte noch immer.

>Sie brennt. Seht euch meine Arme an… Auf dem Weg hier her habe ich mich wirklich verbrannt an ihr. Das kann nicht sein. Sie kommt nicht damit zu recht.<, hörte ich jemanden sprechen. Die Stimme kam mir bekannt vor. Sie regte etwas in mir, doch ich konnte sie nicht zuordnen.

Ich versuchte mich aufzurichten, doch wurde sofort nieder gedrückt. Die Hand entfernte sich jedoch sofort und jemand sog scharf Luft ein. >Das ist unglaublich. Ihr Körper wird das nicht lange aushalten.<

>Ihr müsst irgendetwas tun! Bitte. Seht sie euch an!<

>Schafft ihn hier raus. Brody, wir werden uns um sie kümmern. Geh zur Krankenschwester und lass dir deine Arme anschauen.<

Brody!

 

Die Zeit verging gleichzeitig rasend schnell und zog sich auch in schmerzhafte Länge. Immer wieder ummantelte mich eine eisige Kühle. Immer wieder spürte ich die Berührungen von Menschen. Stimmen. All das während ich in einer fiktiven Dimension schwebte und immer mehr den Bezug zu der Außenwelt verlor.

Meine Haut schien sich von meinem Fleisch zu lösen. Ich musste dampfen. All das Wasser in meinem Körper konnte diese Hitze nicht aushalten. Das war nicht möglich.

Ich brannte.

Ich würde verbrennen.

>Jenna?<

Ich stöhnte, doch bekam kein Wort heraus.

>Jenna, kannst du mir sagen…<

>Kevin, du siehst doch, dass sie gerade nicht dazu in der Lage ist zu sprechen.<

Ich versuchte meine Hand anzuheben. Sofort fühlte ich Finger zwischen meinen. >Jenna?<

>He-…< Es schmerzte so sehr zu sprechen. So viel Kraft, nur um meine Lippen voneinander zu trennen. >Hex-…<

>Hexe?< Ich drückte seine Finger. >Hexe. Das war eine Hexe. Wir können sie nicht verlieren. Tu alles was du kannst, um…< Wieder drückte ich seine Hände. Er schwieg.

>Gu-… gute… Hex-… Hexe.<, krächzte ich.

Es blieb still.

>Eine gute Hexe? Was meint sie?<

Mein Bewusstsein verließ mich. >We-… Wendy.<

Weg war ich.

 

>Jenna?<

Ich atmete tief durch. >Bitte. Ich kann nicht mehr.<, bettelte ich.

>Es ist soweit, mein Kind.<

>Jetzt?<

Meine Augen rissen auf. Ich war in einem Krankenzimmer. Licht überall. Schmerzhaft bäumte ich mich auf und krallte meine Finger in die Matratze. Ein schriller Ton ließ die Wände vibrieren. Ich erzitterte darunter. Meine Ohren waren nicht in der Lage dieses Geräusch auszuhalten. Doch er erklang wieder und wieder auf’s Neue. Mein Körper brannte nun tatsächlich. Ich sah das Licht des Feuers um an der Decke flackern. Alles strahlte in grellem Schein.

>Um Gottes Willen, Jenna!< Ich konnte meinen Kopf nicht drehen, um nachzusehen, wer in das Zimmer gekommen war.

Stattdessen begann ich unkontrolliert zu zucken. Meine Glieder bewegten sich ruckartig auf vollkommen unnatürliche Weise.

Schmerz. Schmerz. Nichts als Schmerz.

Überall. Ich war Schmerz. Ich verbrannte bei lebendigem Leibe.

Wie meine Eltern zuvor.

War das nun meine Strafe? Meine Rache? Ich litt genauso, wie sie litten. Ging durch das Leid, durch welches sie gingen.

Erneut spürte ich Lava durch meine Venen fließen und erneut vibrierte mein Trommelfell unter einem weiteren markerschütterndem Schrei. Jedes einzelne Gliedmaß meines Körpers wurde an die Unterlage gepinnt.

>Was ist das? Sie… sie leuchtet!<

Ich schrie auf. Warf meinen Kopf in den Nacken und wehrte mich gegen den Druck auf meinen Gelenken.

Die Hitze zog sich immer weiter zusammen. Verließ meine Beine, verließ meine Arme, nur um sich in meiner Körpermitte zu sammeln.

>Scheiße!... Ich kann sie nicht halten. Sie ist zu heiß!<

Erneut öffnete sich mein Mund zu einem Schrei. Ich hörte Flüche und Getrampel.

Ich spie Feuer. Wie ein Drache. Eine Fontäne strahlte aus meinem Mund gen Decke und steckte alles an. Ich wurde dabei aufgesogen in eine kleine Ecke meines Körpers

Der ganze Raum stand in Flammen. Doch mit jeder Sekunde, in der ich das Feuer wie eine Fontäne ausstieß kühlte mein Körper ab und ich würde kleiner. Immer kleiner.

Bis ich plötzlich erschlaffte.

 

Ego sum dea.

Ich schwebte lange Zeit im Dunkel. Alles war leer. Bis sich plötzlich vor mir ein helles gleisendes Licht aufmachte. Es zerriss die Schwärze als wäre es ein Leinentuch. Ein Knall so laut, es schien mit einer solchen Gewalt all die Ruhe und den Frieden zu zerstören, dass danach nichts mehr übrig sein sollte. Doch was war davor, dass davon nun nichts mehr übrig sein sollte?

In mir spürte ich den Reflex mich zu ducken, doch wovor sollte ich mich ducken. Ich war hier. Ich war dort. Ich war überall. Ich war alles und ich war nichts. Ich war diese Implosion und ich war diese bewegungslose Schwärze darum herum. Und nicht nur das… tief in mir schlummerte ein Selbstbewusstsein. Das unerschütterliche Wissen, dass ich eine Konstante war, an der nicht zu rütteln war. Diese Implosion war mein Werk. Es war mein Baby. Wie sollte es mir schaden können? Letztendlich war es nur ein kleines Flämmchen und was sollte Feuer mir schon anhaben? Mir genauso grenzenlose Energiequelle, wie dieses Nichts.

Das Licht verringerte sich und schien sich zu verteilen. Viele kleine helle Punkt. Hier und da gab es entfernte Explosionen. Milchstraßen. Wie wunderschön es doch war. Ein Planet nach dem anderen entstand. Bis eine wunderschöne Landschaft entwickelt war und der schwarze Hintergrund benetzt war von unzähligen Lichtern. So weit, grenzenlos weit. Es gab schlicht kein Ende.

Das Universum war unser.

 

Meine Lider trennten sich. In einer fließenden Bewegung erhob ich mich von der Liege. Mein Blick war scharf. Ich sah mich um in dem verkohlten Raum. Er war leer. Die Wände schwarz und verrußt. Der Geruch von Asche und Feuer lag in der Luft. Genüsslich atmete ich ihn ein.

Draußen hörte ich Geflüster. Ruckartig drehte ich meinen Kopf in die Richtung. Ich hörte ihre jungen Herzen klopfen. So voller Leben. So voller Kraft.

Meine Kinder.

Ich drehte mich und setzte mit meinen Füßen auf dem Boden auf. Mit erhobenem Haupt und langsamen Schritten trat ich auf die Tür zu. Ich strich mir das Haar über die Schultern und fuhr mit meinen Fingern über den schwarzen Türrahmen. Die oberste Schicht brökelte ab und hinterließ meine Finger Schwarz.

>J-Jenna?<

Ich sah an mir herab.

>Dieser Körper ist so viel schwächer als meiner.< Staunend betrachtete ich meinen Finger, folgte ihnen zu meinem Handgelenk und runter zu meinem Ellenbogen. Hier und da ein winziger brauner Punkt. Die Haut war so hell und zart. >Sie ist fast so schön wie ich es war… Fast.<

>Mutter… Ignis?<

Ich drehte meinen Kopf. >Ja, mein Sohn?<

Kevin, nicht wahr? 

Meine Mundwinkel hoben sich an, als meine Augen über meine wunderschönen Kinder wanderten. Ihre Elemente waren wie Wirbelstürme in ihnen. Sie durchfluteten ihre ganzen Körper. Im Gesicht jeden einzelnen konnte ich es sehen.

>Was für eine Kraft…<, hörte ich sie flüstern.

>Das ist unglaublich…<

Goldenes Haar, blaue Augen.

Ich trat hervor. Bewundernd trugen sie ihr Augenmerk auf mir.

Vor ihm, Kevin, blieb ich stehen und umfing sein Gesicht mit meiner rechten Hand. >Ganz wie dein Gott.<, hauchte ich und erinnerte mich an meinen Geliebten. Wie ich mich sehnte, ihn wieder zu sehen und in meine Arme zu schließen.

Salzige Tränen mischten sich in das strahlende Blau. >Mutter, seid Ihr es wirklich?< Ich nickte. Seine Hand legte sich an meine und er ging in die Knie. Sie alle folgten ihm und verbeugten sich vor ihrer Königin. >Ich wusste, Ihr würdet uns nicht allein lassen.<

Kopfschüttelnd sah ich sie alle an. >Meine Kinder, nein. Meine dummen, jungen Kinder.< Ich hob sein Kinn an. >Nie würde ich euch allein lassen. Niemals.<

>Was ist… Was ist mit Jenna, meine Göttin?<, fragte er mich.

Ich spürte sie. Meine kleine Prinzessin. Sie war müde. Sie war sehr geschwächt. >Jenna, muss zu Kräften kommen. Es hat sie sehr viel Energie gekostet, mich zu empfangen. Bis sie in der Lage sein wird, sich wieder zu zeigen, wird es noch dauern.< Ich nahm meine Hand von Kevin und lief an ihm vorbei. >Wo sind meine Gefährten?<, fragte ich.

>Mutter Ignis, wir haben bis jetzt nur von einem Mädchen erfahren. Eine Luft-Bändigerin. Jedoch ist sie noch nicht so…<

>Bringt sie zu mir. Ich werde mich darum kümmern und bringt mir auch die anderen. Findet heraus, wo sie sind. Es ist das erste Mal, dass eine der Götter es wieder auf die Erde geschafft hat. Das dürfen wir nicht verschwenden.<, warnte ich meinen Sohn. Ich drehte mich zu ihnen um und lächelte. >Kinder, was schaut ihr denn so?< Feierlich hob ich die Hände. >Die neue Zeit ist angebrochen!<

30. Gefährten

 

>Mutter, Jennas… Freunde machen sich Sorgen. Sie wollen sie sehen. Und…<

>Beth!<, rief ich aus. >Herein! Bring sie her! Alle! Lass sie rein!<, verlangte ich aufgeregt und rieb meine Handflächen aneinander. Sie wurden warm.

Kevins Gesicht verzog sich etwas verwirrt, doch er nickte und ging an die Tür.

Ich konnte ihre Stimmen und ihre Herzen schon im Flur hören. Die klopfenden Herzen starker und junger Bändiger. Es war die Zukunft, die ich da hörte. Der Beginn einer neuen Ära.

Neu und besser.

Aufgeregt erhob ich mich aus dem Stuhl und ging um den Schreibtisch herum. Den ganzen Tag verbrachte ich schon in diesem stickigen Büro. Fast hatte ich das Gefühl, sie wollten mich schützen. Doch vor was? Ihre Sorge war ein deutliches Zeichen für ihre Unwissenheit. Ihnen war nicht klar, welche Kraft in ihnen steckte und ihnen war offensichtlich nicht im Ansatz klar, welche Kraft in mir steckte. Aber wie konnten sie auch? Ihre Vorstellungskraft war begrenzt. Nicht nur begrenzt, sie war eingestaubt. Sie wussten nicht, was es hieß ein Bändiger zu sein. Sie wussten nicht, dass sie die Welt in ihren Händen trugen. Doch wie Kinder, spielten sie mit Klötzen anstatt wissentlich ihre Macht zu nutzen.

Er öffnete die Tür und trat kurz heraus. >Ihr könnt rein.<

Meine Kinder! Ich hatte sie so sehr vermisst!

Zurückhaltende Schritte und dann waren sie da. Beth, Brody, Kyle, Penny. Mit unsicheren Gesichtern traten sie in den Raum. Unsicher sahen sie um sich herum. Bis ihre Augen auf mich trafen, sie sich weiteten und ihre Münder sich öffneten. >Jenna?<

Angst, Neugier, Trauer, Freude. All die Emotionen, die sich in ihren Gesichtern spiegelten. Ein Zeichen ihrer Existenz. Sie lebten. Sie atmeten. Sie waren der lebende Beweis für Leben. Ein Leben, welches alle Grenzen hinter sich ließ. Diese Kinder waren so viel mehr, als sie zu glauben vermögen.

Ich schüttelte den Kopf und neigte entschuldigend mein Kinn, während ich nun meine Augen über sie alle vier wandern ließ. >Nein, es tut mir leid.< Viele Gefühle stiegen in mir auf, als ich diese vier jungen Bändiger sah. Viele tiefe Gefühle. >Jenna ist gerade nicht in der Lage hier zu sein. Sie wird es bald sein. Aber ich freue mich sehr, euch zu sehen. Jenna hat eine sehr starke emotionale Bindung zu euch und alle Personen, die ihr am Herzen liegen, liegen auch mir sehr am Herzen. Ihr genießt von nun an meinen absoluten Schutz.< Sie sahen mich an. Wortlos und staunend verblieben sie in einem ehrfürchtigen Schweigen.

Sie sahen mich für wenige Sekunden einfach nur an. Ich ließ ihnen Zeit, wartete auf ihre weitere Reaktion auf mich.

Kyle war der erste, der reagierte. >Bist… Seid… seid Ihr nun unsere Göttin Ignis?<, fragte er zurückhaltend.

Ich streckte ihm meine Hand zu. Entsetzt fasste er sich an die Brust und trat hervor. >Weißt du die Antwort denn nicht schon, mein Kind?< Er schnaufte schwer, als er vortrat und vor mir sein Kinn senkte. >Ave dos. (Ich bin zurück.)<

Er schluckte und sah mir in die Augen. >Mutter, ich werde Euch bis zu meinem Tod dienen.<

Bevor er auf die Knie gehen konnte, hielt ich ihn auf. >Nicht. Bitte, das ist nicht nötig… Beth…< Ich winkte sie zu mir. >Hör doch endlich auf so zu gucken. Ich bin zwar deine Göttin, aber genauso wie Jenna, liebe ich dich wie eine Schwester. Und Terra wird dich ebenfalls lieben. Du wirst sehen.<

>Terra? Meine… meine… Ich verstehe das alles nicht. Wie kannst du…? Wie könnt Ihr plötzlich…?< Ich nickte und streichelte ihre Wange. Sie schauderte und ließ kurz ihre Lider sinken, bevor sie sie wieder anhob und mich mit roten Augen ansah.

>Meine Kleine, ich weiß… Ich weiß.< Ich zog sie in meine Arme und drückte ihr Gesicht an meine Schulter. Sie erschauderte spürbar. >Das ist alles sehr verwirrend, aber eines ist sicher. Ich liebe dich und ich liebe euch anderen auch.<

Mein Augenmerk blieb bei Brody hängen.

Traurigkeit.

Schuld.

Enttäuschung.

Wut.

Verrat.

>Ich liebe euch, weil Jenna euch liebt. Und es gibt nichts, was an diesen Gefühlen rütteln könnte, denn… kein Zweifel, es liegt ihr nichts ferner, als euch zu verletzen.< Er schien zu verstehen, doch nicht zu begreifen. >Brody, du solltest dich freuen. Du hast die Gunst einer Königin.< Ich ging auf ihn zu. Er fuhr kurz etwas zurück. >Deine Zuneigung zu Jenna wird für immer und ewig in meinem Herzen und in meiner Erinnerung sein. In diesem, im nächsten und allen Leben die darauf folgen werden… Kann nicht schaden, ein Plus bei einer Göttin zu haben.< Einer seiner Mundwinkel hob sich fassungslos an. Er entspannte sich.

Penny stand noch immer an der Tür. Sie hatte die Arme ganz eng an die Seiten ihres Körpers gepresst. Vollkommen erstarrt. >Keine Angst.< In ruhigen Bewegungen näherte ich mich ihr. Fast schon verängstigt wich sie vor mir zurück. >Penny.<

>Das ist… so viel Energie. So viel Energie. Es ist zu viel.<

Ich nickte mitleidig. >Ja, es tut mir leid…<

>Entschuldigt Euch nicht, meine…<

>Sieh sie dir an, Kevin. Sie hat Angst vor mir.< Ich fasste vorsichtig an ihre Hände. >Es gibt keinen Grund, Angst vor mir zu haben. Mit meinen Gefährten zusammen sind wir die stärkste Energiequelle, die es gibt. Natürlich ist das zu viel. Das ist viel zu viel, aber diese Energiequelle ist eine gute Quelle. Es ist eben diese, die dich auf diese Welt gebracht hat. Eben diese, die dir diese wunderschöne Kraft des Luft-Bändigens gegeben hat, Penny. Wir sind der Grund, warum es dich gibt. Mir liegt nichts ferner, als dir weh zu tun… Sieh mich an, meine Tochter.< Sie schluckte. Ihre grünen Augen richteten sich auf mich. >Mein Kind.< Ich strich ihr eine lose Strähne hinter das Ohr. Sie schluchzte.

Jennas Gehirn rief eine Erinnerung auf.     

 >Ja, ehm... Unsere Eltern haben uns geschlagen. Irgendwann... lag Penny dann bewusstlos auf dem Boden, aber unser Vater trat weiter auf sie ein.<

 >Dein Vertrauen wurde schon so oft verletzt, nicht wahr?< Sie begann zu zittern. Ich lehnte meine Stirn an ihre und schloss meine Augen.

 

Ein winziges Mädchen. So winzig und verletzlich. Und doch schlug ihr Vater, ein breiter, riesiger Mann auf sie ein, als wäre sie ein Box-Sack. Sie schrie und wimmerte, doch wurde sie nicht erhört. Eine verbitterte Frau saß am Esstisch und rauchte eine Zigarette. Ihre Augen klebten an dem Bildschirm eines Fernsehers, wobei sie den Bewegungen der Figuren nicht folgte.

Plötzlich öffnete sich eine Tür. Die Haustür. Ein kleiner Junge. Er vernahm die Geräusche und rannte los.

>Dad, nein! Sie hat doch nichts getan, Dad! Bitte, Dad!<

Er wurde am Nack gepackt und gegen die Wand geschmissen. >Halt’s Maul!<

Mit aller Kraft, die diese kleinen dünnen Ärmchen aufbringen konnten, trommelte er auf den Rücken seines Vaters. Vergebens. Die Schmerzensschreie des Mädchens waren herzzerreißend. Penny, die weinte und keine Hilfe bekam.

 

>Ich lasse dich nicht im Stich. Niemals.< Sie weinte weiter. >Ich bin deine Mutter. Du bist mein Kind. Ohne mich würdest du nicht dieses wunderschöne Licht, welches dich als Bändigerin auszeichnet, in dir tragen, Penny. Alle Vorbereitungen. Jeder einzelne Stern, den wir in diesen Vielzahlen an Galaxien verteilt haben, diente mit dem Zweck, dich auf diese Welt zu bringen. Dich nun hier vor mir stehen zu sehen. Alle Arbeit, die wir auf uns genommen haben, galt dir und jedem einzelnen unserer Kinder, Penny.<

Wimmernd begegnete sie meinem Blick. >M-Mutter…< Ich nickte. >Mutter.< Sie schlang ihre Arme um mich herum und weinte kläglich. Ich strich ihr durchs Haar und mit jeder Berührung beruhigte sie sich etwas mehr.

Ich drehte mich zu Kevin um, der stumm diese Situation betrachtete, dabei behielt ich Penny im Arm. >Nun will ich zu dem Mädchen gebracht werden. Es wird Zeit den nächsten herzubringen.<

>Ja.<, antwortete er emotionslos.

 

Die Schüler hatten Unterricht. Ich spürte ihre Präsenz, während ich durch die Flure lief. Beth und ich gingen zusammen in Jennas Zimmer.

Kurz vor der Tür hielt ich inne und legte dann meine Hand an den Henkel. >Welch eine Ehre… nun eigenständig ihr Zimmer zu betreten.<, flüsterte ich und trat ein. Nicht Heimat, aber sehr vertraut. Ich trat über den weichen Teppich und sah mich in dem hellen Raum um. Wenig Dekoration, sehr sauber. Nur die offenen Bücher auf dem Tisch, wiesen darauf hin, dass jemand hier war. Ich strich über die Seiten und ging weiter zum Nachtisch, wo ich mich auf die Matratze setzte und die erste Schublade herauszog. Das Bild ihrer Eltern lag mittig in der sonstigen Leere. Ich strich über das Gesicht ihrer Mutter. Ein herzliches Lächeln. >Es tut mir so leid, dass ich dich gehen lassen musste.<, flüsterte ich und erinnerte mich wieder an diesen verhängnisvollen Abend. An diesen Abend, der alles änderte.

Jenna dachte, ich hätte ihre Mutter leichtfertig umgebracht. Verständlich. Gott. Das war ein großes Wort. Umso größer das Wesen, welches dahinter stand. Natürlich ging man da davon aus, dass mir das Leben eines einzelnen Menschen unwichtig war, doch so war es nicht. Junes Tod war sehr schmerzvoll für mich gewesen. Ich würde niemals vergessen, welches Opfer June auf sich genommen hatte für diesen Neubeginn. Ihr Leben, das ihres Mannes und ihre kleine Tochter. Ihr beider Tod war ein Geschenk und Schmerz zu gleich. Ich brauchte jemanden, der gewappnet war für das, was noch kommen sollte und June war es keineswegs. Das wussten wir beide. Also gab sie mir ihr Kind. Es war eine lange und schwere Entscheidung, doch June lag das wohl unserer Rasse sehr am Herzen und sie verstand, das Opfer erbracht werden mussten. Sie verstand, dass die Zeit drängte. Sie verstand, dass jeder Tag eine Verschwendung war und wollte kämpfen. Sie wollte etwas beitragen und sie hatte so viel gegeben. Ich würde sie und das was sie getan hatte, die niemals vergessen. Sie war ein Teil dieses Ganzen und würde es immer bleiben.

>June, ich danke dir.<, flüsterte ich dem Bild zu.

 

Alles musste sehr schnell gehen. Wir saßen alle verteilt in zwei schwarzen großen Autos und fuhren vom Schulgelände runter. Neben mir saß Kevin. Vor uns war ein Mann, welcher das Auto fuhr. Wir ließen das Tor hinter uns. Im Rückspiegel konnte ich das andere schwarze Auto sehen. Darin saßen Beth, Brody, Kyle und Penny. Sie bestanden darauf mich zu begleiten und ich willigte ein, sodass wir nun zusammen die Reise an den Hof antraten.

Dieser wurde schon verständigt.

Die erste Göttin hatte die Erde erreicht.

Sie erwarteten mich. Es wurde alles vorbereitet.

So schnell wie möglich, wollte ich meine geliebten Kinder sehen. All diese vielen, vielen Jahre war ich eingesperrt in sterblichen Hüllen. Nie übertrat ich die Grenze zwischen Sein und nicht sein. Es war als stände ich hinter einer schalldichten Panzerglasscheibe. Nicht in der Lage irgendetwas von mir zu geben, irgendetwas zu beeinflussen. Ich war ein Nichts in einem unendlichen mutterlosen Etwas. Und auch wenn diese Jahre nichts waren im Vergleich zu den unzähligen Jahren davor, war doch jede Sekunde schmerzlich, denn es war eine weitere Sekunde in der ich meine Kinder im Stich gelassen hatte. Und das, wo sie mich doch so dringend brauchten, brauchen und immer brauchen werden. Wie konnten sie ohne ihre Mütter und Väter, die ihnen die Welt zeigen sollten, die Welt verstehen? Mit all ihren Facetten. So viele Dinge, die einen in die Irre führen konnten. Sie konnten all diese Informationen doch nicht sortieren. Sobald wir ihre Hand losließen gerieten sie in schutzlose Verwirrung und schlugen blind um sich, denn sie verstanden noch nicht, was es bedeutete ein Bändiger zu sein. Gott, sie waren zu jung. Sie waren zu jung und nun mussten wir ihnen ihren Wert zeigen. Nun mussten sie verstehen, welch eine Bedeutung diese Existenz mit sich brachte. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung. Doch bald würden sie…

Mutter?

Meine Gedanken erstarrten. Ich lächelte überrascht. >Hallo, Jenna. Du bist also wieder zu Kräften gekommen, Prinzessin?<, fragte ich sie.

Ich bin so müde, Mama.

Ich spürte Kevins Augen auf mir.

>Ja, ich weiß. Erhol dich.<

Wo sind wir?

>Auf dem Weg  zum Hof.<

Ein kurzer Schwächeanfall ereilte mich. Ich umfing den Türgriff und krallte meine Finger in den Sitz. Die

>Mutter Ignis.< Kevins Hände bewegten sich in meine Richtung.

Ich schüttelte den Kopf und atmete durch. >Jenna, du darfst dich noch nicht zeigen. Du bist zu schwach. Wir verlieren sonst unser Bewusstsein. Erhole dich, Kind.<, ermahnte ich sie.

Ja, Mutter. Ich… erhole… mich…

Mit schweren Lidern drehte ich meinen Kopf zu Kevin. >Sie ist so schwach. Es braucht noch Zeit, bis sie wieder zurück kommen kann.<, erklärte ich ihm.

>Sie ist also in Eurem Kopf?<

>Wir haben die Plätze getauscht.<

>Geht es ihr gut?<

Ich lächelte. >Natürlich.< Mehrere Minuten verfielen wir in Schweigen, bis ich mich versichert hatte, das Jenna wieder eingeschlafen war. Ich überschlug meine Beine und sah ihn an. >Wo ist Isaac?<

Sein Kiefer spannte sich an. >Er wird nicht da sein. Er ist derzeit auf einer Exkursion, um Nester im Umkreis des Hofs zu erkunden.<, antwortete er emotionslos.

>Dann haben wir ja noch etwas Zeit.<

>Mutter, Ihr wisst doch, dass…<

Ich schmunzelte und sah ihn an. >Wir wissen ja nicht, was passieren wird. Wer hat dieses Gesetz erlassen?<, fragte ich.

Kevin sah mich geschockt an. >Der Adel.<

Wortlos nickte ich. >Ich freue mich sehr, diesen Adel zu treffen.<, erklärte ich. >Sobald wir Ær zurückgeholt haben, gehen wir auf die Suche nach den anderen. Ich denke, dass ich sie finden kann.<, murmelte ich gedankenverloren und schloss meine Augen.

Ær.

Mein Bruder. Ein treuer Gefährte. Doch er hasste die Menschen. Sie verschmutzen die Luft mit ihren Fabriken und den dazugehörigen Abgasen. Er hasste es alles. Wenn ich mich daran erinnerte, wie er die Erde in diese Luftblase packte. Perfekt abgestimmt auf die Bedürfnisse unserer Kinder. Sie alle hofften auf eine funktionierende Koexistenz. Vielleicht war das dumm, naiv. Doch wir glaubten an das Gute im Menschen. Zu Mindestens tat ich das noch. Meine Verbündeten hatten diesen Glauben schon lange verloren.

Ich hielt daran fest.

Ich erinnerte mich an die Zeit vor alle dem. Bevor irgendetwas war. Es nur uns und unseren Zusammenhalt gab.

Was eine schöne und unschuldige Zeit.

Schade, dass diese genau wie dieser einmalige Zusammenhalt sein Ende fand.

 

Ich wachte auf, als wir am Flughafen anhielten. Auf wackligen Beinen stieg ich aus und sah mich suchend nach Jennas Freunden um. Wohlbehalten stiegen auch sie aus dem Wagen aus und folgten uns zu dem Privatjet.

>Gott müsste man sein.<, murmelte Penny und strich über die schwarzen Sessel.

>Penny.< Kyle stieß sie mit dem Ellenbogen an und nickte zu einem Sofa, wo sie sich einer neben dem anderen hinsetzten.

 Brodys Augen hingen groß an meiner Gestalt. Ich erwiderte seinen Blick und legte meinen Kopf schief. So viel Liebe lag in seinen Augen. Zuneigung. Er liebte sie so sehr.

>Wie viele solcher Einrichtungen gibt es?<, fragte ich Kevin.

Er nahm eine Fernbedienung in die Hand und drückte auf einen Knopf. Aus dem Tisch fuhr ein Bildschirm hervor. Noch einmal betätigte er einen Knopf. Eine Karte leuchtete auf. Mehrere rote Punkte machten sich auf. >In Amerika gibt es drei. England beherbergt den Hof. Frankreich eine. Italien eine. Russland zwei. China und Japan jeweils eine. Indien zwei. Australien eine. In Mexiko wird gerade eine gebaut, sowohl als auch in Portugal.<, zählte er auf. 

>Also 12. Das ist gut.<

Der Jet startete und wir hoben ab.

Gespannt sah ich aus dem Fenster.

>Mutter, du hast viele Leben durchgemacht, nicht wahr?<, fragte Beth. Ich nickte mit den Augen auf die Wolken gerichtet, die an uns vorbeischwebten.

>Aber du hast es nie geschafft, wirklich anzukommen?<, fragte nun Kyle.

Wieder nickte ich. >Es kam nie so weit, wie heute. Jenna ist etwas sehr besonderes. Stark. Es waren andere Zeiten. Es waren einfach andere Zeiten. Komplizierte und schwere Zeiten.< Ich fasste an die Scheibe. >Nircia. In Frankreich. Oh, ein solch intelligentes Mädchen. Von Anfang an. Sie wuchs unter ärmlichen Umständen auf, doch sie ging schon als kleines Kind immer in die Bücherei und las sich dort Biologie-Bücher durch. Sie wollte Ärztin werden. Doch ein Kind, dass Ziele und eigene Gedanken bildet… ist…< Ich hob die Schulter an und sah zu Boden. >Aus meiner Frustration heraus, bedrängte ich sie wohl zu sehr. Es war 1812 in Frankreich. Wie viele Leben ich schon hinter mir hatte und wie oft ich versagt hatte… und erneut, war Nircia dazu verdammt unter meinem Versagen unter zugehen.<

>Mutter.<

Ich hob meine Hand in Kevins Richtung und brachte ihn damit zum Schweigen. >Es war zu früh zu viel. Sie erzählte ihrer Mutter von mir. Diese war eine fromme Christin. Nircia musste durch so vieles durch. Priester, die ihr sagten, sie sei besessen. Etwas Schlechtes sei in ihr. Ich war dieses Schlechte und dieses süße kleine Mädchen durfte keinen einzigen Tag mehr an die frische Luft. Sie wurde eingesperrt in ein Kloster.< Meine Augen begannen zu brennen. >Sobald sie auch nur von mir anfing wurde sie geschlagen. Immer wieder. Und dann als sie lernte das Feuer zu bändigen…< Ich fasste mir an die Stirn. >Teufel haben sie sie genannt. Satan.< Fassungslos schüttelte ich den Kopf und sah in die Augen jedes einzelnen. >Sie war 13. 14. November 1816. Sie banden Arme und Beine fest und warfen sie in den Fluss Sauldre. Jämmerlich ertrank sie und ihr letzter Gedanke war: „Je suis désolé, Maman.“< Ich fasste mir unter das Auge und sah mir die nassen Fingerspitzen an.

Tränen. Der Schmerz, den das Herz nicht ausdrücken kann.

>Das war ein schwerer Weg, gepflastert von vielen Opfern, die erbracht werden mussten.< Lächelnd hob ich meinen Blick an. >Ich bin fasziniert von Tränen.< Ich hob meine Finger in das Licht und betrachtete den Glanz, den sie trugen. >Sie sind ein Zeichen von Freude und von Trauer.< Beth schniefte und fuhr sich mit der Hand über die Nase. >Siehst du? Trauer. Doch nun ist nicht die Zeit für Trauer. Es ist Zeit für Freude. Glück. Wir haben es noch nicht ganz geschafft, aber wir sind nahe dran. Trauer macht uns nur langsamer. Nircia ist für das hier gestorben. Hierfür hat sie ihr Leben gelassen. Unsere Zeit nun mit Trauer zu verschwenden, wäre respektlos. Nicht richtig.< Ich nahm Beths Hand in meine und drückte sie fest. >Nircia ist tot. Doch wir sind es nicht. Lasst uns etwas mit diesen Möglichkeiten anfangen.<, bat ich sie und in ihren Gesichtern steckte Mut. Sie waren bereit.

>Gut, also lasst uns nach unseren Göttern suchen!<, rief Kyle aus und erhob sich.

Grinsend strahlte ich ihn an. Er fuhr kurz zurück, bevor seine Mundwinkel wieder anstiegen und er unsicher nickte. >Das ist es, was ich hören will. Ein wahres Kind des Feuers.<

Penny schubste ihren Bruder beiseite und verdrehte genervt die Augen. >Kind des Feuers. Schwätzer. Wir sind dabei. Alle.< Sie sah sich um und bekam stummes Nicken als Antwort.

 

Es dauerte nicht allzu lange, bis wir ankamen. Der Hof war riesig. Eine Stadt Mitten im Wald. Aus dem Fenster konnte ich alles sehen. Ein Schloss bildete das Zentrum. Wunderschön. Auch hier wurde der Hof von einer Mauer geschützt. Diese war jedoch um vieles höher und dicker. Posten entlang der Mauer verteilt. Wachen, die man an ihrer blauen Uniform überall verteilt entdecken konnte. Um das Schloss lagen vereinzelt Häuser. Genauso prunkvoll. Und der äußerste Ring bestand aus kleineren Häusern. Es fuhren Autos und Kutschen umher.

>Seht sie euch an. Sie spüren euch, Mutter.<

Ich entdeckte es auch. Autos hielten an. Pferde blieben plötzlich stehen. Aus Kutschen und Fahrzeugen stiegen Personen aus und sahen gen Himmel. Sie hielten sich eine Hand vor die Stirn, um sich vor der Sonne abzudecken.

All ihre kleinen Herzen konnte ich schlagen hören. Eine Kraft leuchtete in ihnen. Nicht zu fassen, was wir geschaffen hatten. Wieder spürte ich Tränen aufkommen. Ich sah zu Kevin. Er lächelte. >Wie schön.<, hauchte ich. Er nickte.

Wir landeten auf dem Dach des Schloss‘. Kevin half mir aus dem Jet. 5 Personen knieten auf dem Boden. Einzelne linsten neugierig zu mir hoch, senkten ihr Kinn aber wieder sofort. >Meine Göttin, wir erwarten Euch schon so lange.<

Ich lief an ihnen vorbei. >Wo ist sie? Die Zeit rennt.< Ich klatschte in die Hände. Sie setzten sich in Bewegung. Wir folgten ihnen durch eine Tür und gingen eine Treppe entlang nach unten zu einem Flur. Nervöse Blicke wurden ausgetauscht. >Ist sie schon hier?<, fragte ich. Alle bis auf einer trugen eine dieser blauen Uniformen. Sie sahen aus wie Soldaten. Auf dem Rücken prangte die Viersäftelehre in Silber. Ich tippte auf das Symbol eines Soldaten und nickte. >Sehr schick.<

Er zuckte zusammen und sah verunsichert zu mir nach hinten. Der Mann im schwarzen Anzug hob einen Ordner vor sich. >Dylan Hayden. 17 Jahre alt. Sie wurde in Kalifornien geboren, lebte aber seit ca 10 Jahren in Tokyo, wo sie in der dortigen Schule unterrichtet wurde.<, erklärte er mir. >Sie wird in wenigen Stunden hier ankommen.<

Ich nickte. >Gut. Dann sollten wir die anderen Schulen kontaktieren und nach Auffälligkeiten fragen...< Meine Beine knickten ein und ich verlor das Gleichgewicht. Brody fing mich sofort auf.

Mutter? Wo sind wir?

Es wurde ein Kreis um mich gebildet. Alle redeten durcheinander. Ich fasste mir an die Stirn. >Jenna… Mein Schatz, du musst dich noch etwas zurückhalten. Wir sind noch nicht so weit.<, keuchte ich atemlos und schloss die Augen.

Wo sind wir? Mir ist schlecht…

Ein Loch sog sich in meinen Bauch. Ich spürte einen Druck in meiner Kehle.

… und schwindlig.

Plötzlich drehte sich alles und ich fiel vorwärts. Brody schob den Soldaten weg von mir, der mich auf die Arme nehmen wollte und tat es selber. >Wo kann sie sich zurückziehen?<, fragte er grob.

Mutter, was soll ich tun? Ich bin so schwach…

Schließ deine Augen, Kind. Schließ deine Augen und schlaf. Sobald du soweit bist, wirst du es wissen…

>Folgen Sie mir.<

Ich lehnte mich an Brodys Brust und versuchte mich zu sammeln. In der Zeit wurde ich in einen Raum gebracht. Eine Suite. Wir liefen durch ein prachtvoll eingerichtetes Wohnzimmer. >Ich will allein mit ihr sein.<, verlangte Brody.

>Das ist momentan nicht Jenna, Brody. Du hast kein Anrecht darauf, sie…<

>Lasst uns allein.<, verlangte ich. Brody hatte sehr wohl das Recht sich Sorgen zu machen und über Jennas Zustand Bescheid zu wissen

Er trug mich weiter in ein Schlafzimmer und legte mich dort in das Bett. Ich richtete mich auf und setzte mich an das Kopfteil. Brody schloss die Doppeltür und ließ sich neben mir an den Rand fallen. >Wie geht es ihr?<, fragte er mich sofort und nahm meine Hände in ihre.

Ich drückte sie und lächelte ihn an. >Unglaublich schwach.< Zärtlich streichelte ich seine Wange. Er erzitterte etwas. >Willst du mit ihr reden? Wir könnten versuchen…<
Aufgeregt nickte er. >Komm.< Unsere Stirne legten sich aneinander. >Augen schließen.<

Stumm nickte er.

Stille. Ich konzentrierte mich auf Jennas und Brodys Herzschlag und spürte schon bald einen starken Sog an uns ziehen.

Wir standen plötzlich in einem dunklen Raum. Ich sah Jenna und Brody. Sie standen voreinander und sahen sich wortlos an. >Jenna, oh Jenna.< Sie schlossen sich in die Arme. Erschöpft ging sie in die Knie und lehnte sich an ihm an. >Baby, mein süßes Baby.< Er überhäufte ihr gesamtes Gesicht mit Küssen und  strich ihr das Haar aus der Stirn. >Wie geht es dir?<

Sie sah ihn an und nickte. >Gut, ich bin nur so unglaublich…< Gähnen. >… müde.< Er nickte. >Brody,… ist sie nett…?<

Lachend küsste er sie wieder auf die Stirn. >Sie ist… wundervoll. Eine wirklich wundervolle Göttin. Du hast uns das gebracht. Du hast es uns ermöglicht unsere Schöpferin zu treffen, Jenna. Danke. Danke. Und dir wird es bald wieder besser gehen und dann wird alles so sein wie früher, Schatz.<

Ihre Augen hoben sich zu ihm an. >Wie früher?<

Er nickte, umfing ihr Gesicht und küsste sie. >Wie früher, Jenna. Komm nur schnell wieder zurück. Ich liebe unsere Göttin, aber du bist mir lieber.<

>Sag… so etwas nicht.<, murmelte sie und erschlaffte von einem Moment auf den anderen in seinen Armen.

>Jenna!< Er schüttelte sie etwas. .>Jenna! Mach die Augen…!<

Wir sprangen auseinander und waren wieder im Schlafzimmer. >Was…?! Was ist passiert?!<

>Sie ist schwach, Brody. Es wird noch Zeit brauchen, aber mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich um sie.< Er nickte. Wieder streichelte ich seine Wange. >Was für ein Glück sie hat, dich zu haben.<

>Ihr solltet nun schlafen, Mutter Ignis.< Ich ließ mich von ihm zudecken und schon in der nächsten Minute war ich weg.

Imprint

Publication Date: 11-03-2013

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Dedication:
Die Sprache "Initium", die in "DEA IGNIS" benutzt wird, ist stark vom Lateinischen inspiriert, aber nicht gänzlich. Ich habe noch nie die lateinische Sprache unterrichtet bekommen, kann deshalb nicht mit der richtigen Grammatik glänzen. Ich hoffe, dass das niemanden stört. Alles Liebe und Gute FallObstExperte

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