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Leseprobe

 

 

 

 

CARTER BROWN

 

 

Mörderischer Blues

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

MÖRDERISCHER BLUES 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Das Buch

 

Es begann völlig harmlos, als Danny Boyd den Auftrag erhielt, einen nicht auffindbaren Filmstar zu suchen. Doch schon kurze Zeit später begegnete ihm eine rothaarige Schöne, die ihm die Hölle heiß machte. Danny hatte Mühe, über ihren Anblick die zweitausend Dollar nicht zu vergessen, die ihm der Filmproduzent für die Ablieferung seines Stars als Prämie versprochen hatte...

 

Der Kriminal-Roman Mörderischer Blues des australischen Schriftstellers Carter Brown (* 1. August 1923 in London, England unter dem Namen Alan Geoffrey Yates; † 5. Mai 1985 in Sydney, Australien) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1967. 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

  MÖRDERISCHER BLUES

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

»Wenn Sie einen Spielfilm nicht termingemäß abdrehen können, dann gehören Sie zum Fernsehen«, schnarrte Guggenheimer ins Telefon. »So, sie hat Ausschlag bekommen? Haben wir nicht eine Maskenbildnerei, die uns wöchentlich Tausende von Dollar kostet, nur um Pickel zu beseitigen?«

Er lauschte ein paar Sekunden der Stimme am anderen Ende der Leitung, dann wurde er ernst.

»Machen Sie alle Großaufnahmen vom Hals an abwärts«, krächzte er. »Wer geht schon ins Kino, um ihr Gesicht zu sehen?« Dann knallte er den Hörer auf die Gabel und starrte mich an.

»Was wollen Sie, Boyd?«

»Gar nichts«, sagte ich ihm. »Sie waren es, der etwas von mir wollte.«

»Ja, das stimmt.« Er runzelte kurz die Stirn. »Was, zum Teufel, war es doch noch?«

»Danny Boyd von der Firma Boyd Enterprises«, antwortete ich geduldig. »Sie haben mich den ganzen Weg von New York hierher, von einer Küste der USA zur anderen kommen lassen und mir enorme Auslagen verursacht wegen etwas, an das Sie sich jetzt nicht einmal mehr erinnern können?«

Die Tür des Büros öffnete sich plötzlich, und herein platzte eine blonde Schönheit in silbergesprenkeltem Büstenhalter und hautengen Hosen. Sie sah ein bisschen elend aus, wie ich feststellen konnte, als ich mich endlich nach ihr umwandte.

»Guggy!«, jammerte sie verzweifelt, worauf er sich aufbäumte wie ein Hengst, der eben erst seine wahre Berufung entdeckt hatte.

»Was gibt es, Honey?«, fragte der Produzent vorsichtig.

»Jetzt verlangt er von mir, dass ich in den Käfig gehen soll.« Sie schüttelte sich gut gekonnt. »Mit einem richtigen Löwen!«

»Mach dir keine Sorgen, Honey!« Er blickte lüstern auf die Blonde. »Es ist ein männlicher Löwe, den sie da haben. Alles, was du zu tun hast, ist, ihn ein bisschen an der Nase herumzuführen, und er wird dir aus der Hand fressen wie die übrige männliche Bevölkerung.« Er machte eine Handbewegung, als wolle er sie hinausscheuchen, aber das verfing nicht bei ihr.

»Mir aus der Hand fressen?«, jammerte sie. »Mein Gott! Ein Biss, und mein Arm ist bis zum Ellenbogen weg!«

»Dann müssen wir eben die Rolle umbesetzen«, sagte Guggenheimer ernst. »Es ist schließlich ein Zirkus-Film, nicht wahr? Was, zum Teufel, erwartest du? Etwa einen Haufen dressierter Flöhe? Wenn du die Rolle nicht übernehmen willst, dann bist du entlassen, Honey. Und jetzt verschwinde von hier und überlege es dir!«

Lauthals protestierend trat die Blonde den Rückzug aus dem Büro an. Guggenheimer zündete sich eine überdimensionale Zigarre an und blickte wieder zu mir. »Wo waren wir doch stehengeblieben?«

»Sie waren dabei, sich zu erinnern, weshalb Sie mich kommen ließen«, half ich ihm auf die Sprünge.

»Stimmt.« Er blies eine Wolke würzigen Rauches in meine Richtung. »Jetzt entsinne ich mich. Es handelt sich um diese Van Raven.«

»Gloria Van Raven?«, fragte ich. »Sie meinen die Dame, die im Profil nicht auf die Breitwand passt?«

»Sie ist mir davongelaufen«, sagte er nachdenklich. »Mir, dem Mann, der sie aufgelesen hat, als sie nichts war, und der sie zu einem Star gemacht hat. Und was habe ich je dafür bekommen, vielleicht von einem einzigen kleinen Gefallen abgesehen?«

»Das kann ich nicht beurteilen«, sagte ich höflich. »Aber woran liegt es? Gibt es Schwierigkeiten mit dem Vertrag?«

»Nein, aber mit einem Mann, mit einem Burschen, der blaues Blut und eine Yacht in den Adern hat.» Guggenheimer seufzte abgrundtief. »Es ist nicht Gloria, um die ich mir Sorgen mache. Aber jedes Mal, wenn ich einen Film mit ihr drehe, dann kostet er mich nicht weniger als drei Millionen Dollar. Es ist nicht das Mädchen, um das es mir geht, verstehen Sie Boyd? Es ist das Geld!«

»So soll ich sie Ihnen also zurückbringen«, stellte ich fest. Er nickte zustimmend.

»Heute ist Mittwoch, wenn mein Tischkalender stimmt, und wenn ich mich nicht irre, dann macht sich diese verdammte Sekretärin von ihr heute auf die Strümpfe, um zu ihr zu fahren. Sie haben bis zum nächsten Dienstagmorgen Zeit, um sie in einem Stück und rechtzeitig hier abzuliefern.«

»Wo hat man sie zuletzt gesehen?«, fragte ich.

»Setzen Sie sich mit ihrer Sekretärin in Verbindung«, erwiderte er kurz. »Sie ist ein nettes Mädchen.«

»Hier in Hollywood?« Ich schaute ihn ungläubig an. »Sie scherzen.«

Guggenheimer sah plötzlich müde aus.

»Für so was habe ich Gag-Schreiber, Boyd. Mein Büro wird Ihnen ihre Adresse geben, die von Glorias Sekretärin meine ich. Und wenn jemand weiß, wohin dieser verrückte Rotschopf gegangen ist, dann ist sie es.«

»Okay«, sagte ich. »Da ist nur noch ein kleiner Punkt, Mr. Guggenheimer...«

»Stimmt«, unterbrach er mich. »Zweitausend, wenn Sie sie rechtzeitig zum Drehbeginn abliefern, Boyd, und eine dicke fette Null, wenn Sie es nicht schaffen.«

»Mit Ihrem Talent sich so klar und unmissverständlich auszudrücken, sollten Sie in Politik und nicht in Zelluloid machen«, sagte ich anerkennend. Sein Gesicht rötete sich.

»Spielfilme!«, röhrte er. »Zelluloid! Verdammt noch mal, Boyd, das ist schlimmer als auf den Teppich spucken.«

»Dann geht es also in Ordnung, wenn ich jetzt auf den Teppich spucke, wie?«, fragte ich kalt.

Er fuhr sich mit den Händen durch sein dickes Haar, so als würde dort etwas herumkrabbeln.

»So, Sie sind also Danny Boyd«, knurrte er. »Der mit allen Wassern gewaschene Unternehmer von der Ostküste, der alles regelt - für Geld. Okay, aber gute Manieren kosten Sie nichts, und sie bringen eine Menge ein, wie zum Beispiel weitere Aufträge von mir, wenn Sie Gloria rechtzeitig zurückbringen.«

»Das leuchtet mir ein, Mr. Guggenheimer«, gab ich höflich zu. »Ich werde jedes Mal daran denken, wenn ich einen alten Zelluloidstreifen im Fernsehen sehe.«

»Raus!«

Ich ging in sein Büro, und dort sagten sie mir, dass der Name von Glorias Sekretärin April Showers sei. Ich glaubte das keine Sekunde lang, denn in Hollywood ist höchstens ein Name wie Smith oder Jones echt. Jedenfalls wohnte diese Showers in der Villa Gloria Van Ravens draußen in Beverly Hills, und so setzte ich mich hinter das Steuer meines Cabriolets und verließ den Parkplatz in Richtung Sunset Boulevard.

Es war ein netter sonniger, nebelfreier Nachmittag, und ich hatte das Verdeck heruntergemacht, um den Passanten einen Blick auf das Boydprofil zu gönnen. Als ich Manhattan an diesem Morgen verließ, hatte es geregnet, und Frau Jordan, meine eigene Sekretärin mit dem feuerfarbenen Haar und den kühlen grünen Augen, hatte ausgesprochen mürrisch dreingeschaut, als sie mir die einzelne Flugkarte zuschob. Diese Puppe hat kein Verständnis für die wahren Belange des Lebens, wie das heimische Herdfeuer in Gang halten, aufs Geschäft achtgeben und an einem regnerischen Tag um eine Taxe kämpfen.

Die Hütte der Van Raven hatte dieselbe Vorderfront wie ihre Eigentümerin - auch sie passte nicht auf die Breitwand. Ich fädelte den Wagen den gewundenen Auffahrtsweg entlang und stoppte ihn neben einem dunkelgrauen Continental, der sehr aufgebracht aussah, weil er ein bisschen Dreck an den Reifen hatte.

Eine blauäugige Blondine erschien auf mein Klingeln. Sie trug einen weißen Badeanzug mit einem kurzen Röckchen daran, dessen Saum ihre bronzebraunen Oberschenkel umschmeichelte. Er saß eng genug, um zu beweisen, dass sie es figürlich mit ihrer Chefin aufnehmen konnte - eine atemberaubende Kurve nach der anderen.

»Wollen Sie irgendwas?«, fragte sie mit kühler, ruhiger Stimme.

»Ich bin Danny Boyd«, sagte ich ihr langsam und gab ihr eine Menge Zeit, um mein überwältigendes Profil zu bestaunen. »Vom Studio«, fügte ich hinzu.

»Scheint so«, sagte sie freundlich. »Nur ein Schauspieler redet einen von der Seite an, um sicher zu sein, dass man sein Profil nicht übersieht. Wie ist die linke Seite? Ich wette, genauso erstaunlich.«

»Sie scheinen April Showers zu sein«, sagte ich. »Wie hießen Sie vorher? Vielleicht May Schmaltz?«

»Wenn es darum geht, Beleidigungen an den Mann zu bringen, warum hat dann das Studio keinen Schreiber geschickt?«, fragte sie neugierig.

»Guggenheimer möchte das schöne Stück Fleisch bis Dienstagmorgen zurückhaben, und zwar so zeitig, dass es sofort mit den Dreharbeiten beginnen kann«, schnappte ich. »Er sagte, ich solle Sie fragen, wo es zu finden sei.«

Sie nickte unbestimmt und meinte: »Vielleicht sollten Sie besser mit hineinkommen.«

Das Haus war so möbliert, als würde sich niemand lange genug darin aufhalten, um die Einrichtung überhaupt zu bemerken, und das war das Beste, was den Bewohnern passieren konnte. April Showers führte mich zu einer gut bestückten Bar, die sich vor einem mit weißen Fliesen ausgelegten Patio befand, an dem sich wiederum ein blaugefliester Swimmingpool schloss.

»Machen Sie sich was zu trinken, Mr. Boyd«, sagte sie und deutete auf die Bar. »Es ist ein durstiger Nachmittag.«

»Danke«, sagte ich ihr. »Ich heiße Danny.«

»Nicht nötig, dass Sie mir das erzählen, Mr. Boyd«, antwortete sie und lächelte süß. »Niemand hat Sie danach gefragt.«

»Soll ich Ihnen einen Drink zurechtmachen? Vielleicht einen Sani-Flush mit Soda?«, knurrte ich.

»Ich trinke nicht.«

»Was tun Sie dann, Miss Showers?«, fragte ich interessiert.

Schreiben Sie unflätige Worte an die Wände? Irgendein Laster müssen Sie doch haben.«

»Ich begnüge mich damit, hier zu sitzen und Sie anzusehen«, antwortete sie. »Vielleicht bröckelt mit der Zeit etwas ab, von Ihrem klassischen Profil.«

Ich füllte ein Glas mit Eiswürfeln und gab einen guten Schuss Bourbon darüber. April Showers saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem der Barhocker und zeigte ein bisschen von den weißen Höschen unter dem kurzen Röckchen ihres Badeanzuges. Ich habe mir sagen lassen, dass man nach drei Monaten an der Westküste keinen Blick mehr für ein schönes Mädchen hat, deshalb könnte ich mir keinen stichhaltigeren Grund dafür denken, dass ich in New York wohne.

»Wo also kann ich Gloria Van Raven finden?«, fragte ich.

»Ich weiß nicht«, antwortete sie sachlich. »Sie ist irgendwo an der Küste, schätze ich.«

»Könnten Sie das nicht ein bisschen näher bezeichnen?« bat ich. »Etwa, ob sie an der Ost- oder Westküste ist?«

»Ostküste?«, fragte sie zweifelnd. »Ich bin nicht sicher, Mr. Boyd.«

»Vielleicht sollte ich oben in Alaska anfangen, an der einen Seite herunter- und die andere dann hinauffahren?«

Sie studierte die Fingernägel ihrer rechten Hand für einen Augenblick; sie waren nett manikürt und in einem warmen Goldton angepinselt, aber bestimmt befand sich diese Van Raven nicht unter einem davon.

»Es ist ein bisschen kompliziert«, erklärte sie.

»Wie wenn man sich in einem Kanu liebt, was?«

»Weil sie einfach ins Blaue gefahren sind.« Sie blinkerte ein paarmal mit ihren großen blauen Augen und fügte hinzu: »Das mit dem Kanu war gemein.«

»Sie?« bohrte ich geduldig weiter.

»Sicher. Gloria und Edward.«

»Edward?«

»Edward Woolrich der Zweite«, antwortete sie. »Er ist Glorias Flamme. Das heißt, letzthin war es noch ein Flämmchen, aber ich schätze, dass es bald ein richtiger Waldbrand wird. Sie müssten eigentlich schon von ihm gehört haben.«

»Nein«, sagte ich sauer. »Sollte ich?«

Sie lächelte sanft.

»Er ist ein großes Tier von der Wallstreet - sagt er.«

»Und was sagt Wallstreet über ihn?«, fragte ich.

»Ich habe noch keinen danach gefragt.«

Die Eiswürfel klapperten gegen meine Zähne, als ich einen kräftigen Schluck Bourbon nahm. Ja, so war das. An einem schönen, nebelfreien Tag hatte ich eine Dame zu finden, die reichlich selbständig war.

»Nur die beiden?«, fragte ich teilnahmslos.

»Aber nein!« Sie schüttelte heftig ihre dichten blonden Locken. »Muscat Mullins ging auch mit ihnen. Wissen Sie - der Jazzmusiker.«

»Der Trompeter?« Ich nickte. »Ich kenne ein paar von seinen Stücken.«

»Und dann ist da noch Ellen Fitzroy«, fügte April hinzu.

»Das hört sich an, als ob Gloria ihren ganzen Zirkus mitgenommen hätte«, stöhnte ich. »Wer, zum Teufel, ist Ellen Fitzroy?«

»Eine Blues-Sängerin von Chicago. Bessere Kaffeehausgesellschaft: mit einem Gesangsstil, der im Kommen ist und so. Sie und Gloria waren zusammen auf der Höheren Schule, oder sie taten irgendetwas zusammen.« April zuckte ihre wohlgerundeten Schultern. »Jedenfalls ist Ellen eine alte Freundin von ihr.«

»Stellen Sie mir den Rest der Gesellschaft vor«, sagte ich schläfrig. »Und nehmen Sie sich Zeit. Ich wüsste nicht, was ich im Augenblick Besseres zu tun hätte, als Ihnen zuzuhören.«

»Sie waren nur zu viert, als sie loszogen, Mr. Boyd«, antwortete sie munter. »Aber sie können natürlich noch unterwegs jemand aufgelesen haben. Sie wissen ja, wie das ist, wenn jeder betrunken ist, bevor es losgeht.«

»Unterwegs wohin?«

»Zu Edwards Yacht.« Erstaunt zog sie die Augenbrauen hoch. »Wussten Sie denn nicht, dass er eine Yacht besitzt?«

»Mir scheint, ich hörte davon«, knirschte ich. »Denken Sie scharf nach, April. Wo ist die Yacht jetzt?«

»Das haben sie mir nicht gesagt - ich schätze, weil ich sie nicht danach gefragt habe.« Sie zog die Stirn in Falten. »Aber ich bin fast sicher, dass sie an der Ostküste liegt.«

Ich trank mein Glas leer und bemerkte, dass die Eiswürfel so aussahen, als wollten sie noch mal mit Whisky begossen werden, und im Augenblick hatte ich auch verdammt noch einen nötig.

»Wann sind sie losgezogen?«, fragte ich.

»Vor zwei Tagen, so gegen vier Uhr morgens, als der Scotch alle wurde.«

»Kennen Sie die anderen, diesen Woolrich, Mullins und diese Dame namens Fitzroy?«, fragte ich in einem plötzlichen Anflug von Hoffnung.

»Ich bin ihnen vorgestellt worden«, gab sie diplomatisch zu. »Aber ich würde sie nicht als persönliche Freunde bezeichnen, obwohl dieser Mullins versucht hat, mit mir anzubändeln. Ich schätze, dass das Trompetespielen seine Finger so beweglich gemacht hat. Meinen Sie nicht auch, Mr. Boyd?«

»Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob Sie wohl etwas Besonderes vorhaben, von jetzt bis Dienstagmorgen?«

»Wollen Sie mir irgendeine Art von Antrag machen, Mr. Boyd?« Ihr Lächeln hatte direkt was Mütterliches an sich. »Wie herrlich naiv, ich liebe geradezu das einfache Volk.«

»Die Ostküste zieht sich verdammt lange hin«, schnarrte ich. »Und ich habe nur fünf Tage Zeit, um sie abzufahren. Deshalb dachte ich, dass Sie mir helfen könnten. Die Chance, Gloria zu finden, stände dann eins zu vier, denn Sie wissen, wie die anderen drei aussehen, die mit ihr sind, während ich sie nicht kenne.«

»Ich würde Ihnen gern helfen, Mr. Boyd«, antwortete sie freundlich. »Ich würde Ihnen wirklich gern helfen, aber fünf Tage mit Ihnen allein, das würde mich kampfmüde machen.«

Irgendwo im Haus klingelte unaufhörlich ein Telefon. April hörte eine Weile zu, rutschte dann von ihrem Barhocker und ging hinüber zu einer elfenbeinfarbenen Hausvermittlung, die am anderen Ende des langgestreckten Bartisches stand. Sie drückte einen der Knöpfe am Sockel des Apparates und nahm den Hörer ab. Ich trank meinen zweiten Whisky aus und zündete mir eine Zigarette an, während sie nichtssagende Bemerkungen ins Telefon machte.

Schließlich legte sie auf und blickte mich selbstgefällig grinsend an.

»Das war Gloria«, meinte sie.

»Dann sagen Sie mir, zum Teufel, wo sie steckt, bevor mir die Schlagader platzt!«, röhrte ich.

»Blut?« Sie erschauerte gekonnt. »Das würde rein farblich gar nicht zu den Möbeln passen, Mr. Boyd. Sie ist in Fort Lauderdale.«

»Und wo liegt Fort Lauderdale?«, fragte ich mit zitternder Stimme.

»In Florida, wissen Sie, Mr. Boyd, direkt an der anderen Seite von Florida.«

»Dann ist sie an Bord der Yacht von Woolrich?«

»Der Ort nennt sich Bahia Mar, und sie liegen in einem hübschen, plüschartigen Yachthafen, wie Gloria sagt«, fügte April hinzu. »Das sieht ganz nach Edward aus. Ich habe ihn nie für den Auf-und-davon-geh-Typ gehalten, der um die ganze Welt segelt.«

»Danke, April«, sagte ich ihr, als ich zur Tür ging. »Ich möchte nicht sagen, dass ich mich großartig mit Ihnen amüsiert habe, weil das nicht stimmt, aber schließlich sind wir doch noch zu Rande gekommen, und so will ich zugeben, dass Sie in diesem Badeanzug einfach großartig aussehen. Nur noch eine Frage: Hat er einen eingebauten Büstenhalter?«

»Wieso? Natürlich nicht«, antwortete sie offen.

»Sie meinen, das ist alles echt?«, fragte ich tief beeindruckt. »Warum, zum Teufel, konnte Gloria nicht zu Hause bleiben, während wir beide uns fünf Tage lang amüsieren, indem wir nach ihr suchen?«

Ich hatte gerade die vordere Veranda erreicht, als mich ihre Stimme stoppte.

»Mr. Boyd?«

Sie kam dann heraus auf die Veranda, so an die fünf Sekunden später, denn sie wusste verdammt genau, dass ich auf sie warten würde.

»Dieser Antrag von vorhin«, sie lächelte zurückhaltend, »ich könnte Sie beim Wort nehmen.«

»Wirklich?« Der Gedanke, fünf Tage und Nächte mit diesem blonden Honey allein zu sein, die nicht mal eine

Busenstütze brauchte, erregte mich so, dass ich ihr erst die eine und dann die andere Seite meines Profils zeigte.

»Gloria möchte, dass ich hinunterkomme nach Bahia Mar und ihr all die Kleider bringe, die sie vergessen hat«, sagte April glücklich. »So können Sie mir die Koffer tragen helfen.«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Die Flugreise mit April Showers war angefüllt mit glänzender Konversation. Unmittelbar nach dem Start sagte sie einmal Nein!, als ich sie fragte, ob ich ihr einen Drink bestellen solle, und kurz vor der Landung fragte sie, Was für ein Hüfthalter?, als ich sie fragte, ob es an ihrer Figur oder an einem zu straff sitzenden Hüfthalter liege, dass sie wie eine ausgequetschte Zitrone aussehe. Dazwischen lag eine lange, lautlose Leere, die Danny Boyd wirklich auf die Nerven ging.

Der Inland-Wasserweg war für die Art von Seeräubern bestimmt, die sich lieber nach einer Straßenkarte als nach einer Seekarte orientieren, wenn sie segeln. Er erstreckte sich von den Keys bis hinauf nach New Jersey, und wenn es einem langweilig wurde, dann war es kein Problem, an Land zu gehen, sich in einen Bus zu setzen und den lieben Gott einen frommen Mann sein zu lassen. Bahia Mar wirkte auf den ersten Blick wie der phantastischste Yachthafen, den Sie sich vorstellen können. Abgesehen vielleicht von den bunten Reklamebildern für Chanel-parfümierte Filterzigaretten.

Hier gab es alles, aber auch wirklich alles für den Yachtbesitzer, von der Damenbedienung über den diskreten Pförtner bis zur Modenschau am Vormittag im protzigen Speisesaal des Restaurants.

So gegen fünf Uhr nachmittags sah Bahia Mar aus, wie jedermann es sich erträumte, wenn er daran dachte, dass es dem Finanzamt vielleicht einmal passieren könnte, versehentlich fünf Nullen auf einen Rückerstattungsscheck über zehn Dollar zu schreiben.

Zu diesem Zeitpunkt jedenfalls kannte ich April Showers vierundzwanzig Stunden, doch mit Ausnahme der drei Worte im Flugzeug hatten wir keine weitere Unterhaltung miteinander. Ich war ein bisschen deprimiert darüber. Schließlich ist das keine Art, die ganze Zeit einen so gelangweilten Ausdruck zur Schau zu tragen, denn schließlich war ich nicht irgendwer, mit dem sie durch die Gegend flog, sondern Danny Boyd.

Wir fanden Woolrichs Yacht, einen Fünfzig-Fuß-Kabinen-Kreuzer, der sehr anmutig, elegant und teuer aussah, und gingen die Gangway hinauf an Deck; ich mit den beiden schweren Koffern, an denen ich mir die Schienbeine schwarz und blau stieß. Von irgendwoher unter Deck drang der gedämpfte Ton einer Trompete an unser Ohr. Es war eine Variation zu I can’t get started, und sie wurde so gut gespielt, dass mir leichte Schauer der Begeisterung das Rückgrat auf und ab liefen.

»Könnte Muscat Mullins sein, meinen Sie nicht auch?«, fragte April.

»Wer sonst wohl? Der Engel Gabriel vielleicht?«, erwiderte ich sauer. »Blödsinnige Frage. Es gibt keinen zweiten auf der Welt, der diesen Stil bläst.«

»War es der Flug oder haben Sie etwas Verkehrtes gegessen?«, fragte sie ohne sonderliches Interesse.

Ich war gerade dabei zurückzubellen, als ich von einem Mädchen abgelenkt wurde, das plötzlich aus dem Ruderhaus auftauchte. Sie musste auf einem der Stühle im Ruderhaus gesessen haben, dessen obere Hälfte verglast war, aber ich hatte sie bisher nicht bemerkt, obwohl sie außerordentlich bemerkenswert war. Die große Brünette trug einen Bikini aus weißer Seide mit schwarzen Punkten an den interessantesten Stellen. Mit lässigen, sinnlichen Bewegungen kam sie auf uns zu, und ihre Rundungen unter den beiden winzigen Seidenfetzen wogten bei jedem Schritt von einer Seite auf die andere.

»Suchen Sie jemand?« Sie lächelte uns an, und ich entdeckte, dass ihre kräftigen, schneeweißen Zähne wunderbar mit ihrer tief sonnengebräunten Haut kontrastierten. Ich antwortete nicht, weil es mir den Atem verschlagen hatte

»Wir suchen Gloria Van Raven«, erzählte April der Brünetten. »Erinnern Sie sich nicht an mich, Miss Fitzroy? Ich bin April Showers.« Wer könnte das vergessen, aber Miss Fitzroy hatte.

»Glorias Sekretärin?«

Die Brünette tat so, als ob sie sich erinnere, was natürlich nicht stimmte.

»Dies ist Mr. Boyd«, fuhr April fort. »Das Studio hat ihn geschickt, damit er Gloria ins Gewissen redet oder sonstwas tut.«

»Hallo!« Die Brünette lächelte mich warm und verheißungsvoll an. Unter der Gluthitze ihres Blickes krümmten sich meine Zehen leicht einwärts. »Ich bin Ellen Fitzroy«, sagte sie überflüssigerweise, denn das wusste ich ja schon.

»Danny«, ächzte ich. »Danny Boyd. Aber alle meine Freunde nennen mich Danny, deshalb sagt May Flowers Mr. Boyd zu mir.«

»Seit er diesem Schönheitschirurgen entsprungen ist, bildet er sich ein, er sei der Wunsch träum jedes Mädchens«, meinte April reichlich unterkühlt.

Ich ließ die beiden Koffer in dem Moment laut auf das Deck plumpsen, als von unten herauf ein schriller Diskantton der Trompete durch die Planken drang.

»Dieses Geräusch stammt von Muscat Mullins«, erklärte Ellen Fitzroy. »Er ist schon wieder besoffen. Gloria und Edward sind irgendwohin an Land gegangen, um irgendetwas zu erledigen, schätze ich. Aber sie müssten bald zurück sein. Möchtet ihr was zu trinken?«

»Sicher wollen wir«, sagte ich rasch, obwohl das nichts anderes als eine Höflichkeitsfloskel von ihr war.

»Ich denke, ich packe erst mal Glorias Koffer aus«, sagte April eifrig. »Wo liegt Glorias Kabine?«

»Gehen Sie nach vorn, zum Bug und an der Kombüse vorbei, das ist die Küche und dann die Kajütstreppe hinab, da ist eine Leiter, und dann finden Sie unsere Kabine als erste auf der linken Seite.«

»Danke«, sagte April und zu mir gewandt: »Danny?« Dabei blickte sie unmissverständlich auf die beiden schweren Koffer, die zwischen meinen Beinen standen.

»Jetzt sind Sie dran, May«, antwortete ich leichthin. »Wann immer ich meinen Fuß auf ein Schiff setze, dann entspanne ich mich völlig. Man hat mir gesagt, dies sei die einzige Möglichkeit, für sein Geld auch was zu kriegen.« Und weil ich ein höflicher Mensch bin, trat ich zwischen den Koffern hervor einen Schritt zur Seite, damit ich ihr nicht im Wege war.

April blickte mich erstaunt an, dann lächelte sie geduldig. Schließlich wuchtete sie die beiden Koffer hoch und trollte sich in Richtung Bug davon, eine hübsche Anzahl guter alter Seemannsflüche vor sich hinmurmelnd.

Die Brünette schaute mich so an, als würde mein Profil Eindruck auf sie machen, und ich hatte das Gefühl, dass sie es war, für die ich es die ganze Zeit bei Schlägereien geschont hatte.

»Suchen Sie sich im Ruderhaus Ihre Marke heraus, Danny.«

»Ich möchte schon«, antwortete ich schlagfertig. »Aber meine Marke ist brünett und hat einen weißen Seidenbikini an.«

Zwei Minuten, nachdem diese Antwort über ihren hübschen, aber leeren Kopf hinweggesegelt war - ihr Kopf war übrigens der letzte Körperteil, für den ich mich sonderlich interessiert hätte -, saßen wir im Ruderhaus und lauschten auf das unmusikalische, aber außerordentlich beruhigende Klingeln der Eisstücke in unseren Whiskygläsern. Plötzlich erklang aus der Trompete unter Deck ein schmetternder Diskant, und dann war es still. Eine Frau schrie unmittelbar danach schrill auf, aber fünf Sekunden später ertönte schon wieder die Trompete, und wir hörten die ersten Töne der Wilhelm-Tell-Ouvertüre. Ich hob fragend die Augenbrauen und blickte Ellen Fitzroy an.

»Das war Muscat«, meinte sie. »Vielleicht hätte ich sie warnen sollen. Wenn dieser Trompeter auch nur in die Nähe eines Mädchens kommt, dann gibt es nur eine Möglichkeit, ihm zu entkommen, nämlich eine Flasche auf seinem Schädel zu zerbrechen.«

»Und wie viele Flaschen haben Sie schon auf seinem Schädel zerbrochen?«, fragte ich interessiert.

»Keine«, antwortete sie. »Aber einmal standen wir an der Reling, und er fiel ins Wasser, als ich ihm eine verplättet hatte. Ich brauchte eine Weile, bis ich herausfand, dass er nicht schwimmen kann, und deshalb wäre er fast ertrunken. Seitdem hat er es nie wieder bei mir versucht, Danny. Ob das vielleicht daran lag, dass Edward so lange brauchte, bis er das Wasser wieder herausgekriegt hatte, das Muscat schluckte?«

»Reagieren Sie immer so gewalttätig, wenn es ein Bursche bei Ihnen versucht?«, fragte ich erschrocken.

»Das kommt darauf an«, meinte sie und zuckte die Schultern. Und dann mit was anderem, als ich es ausprobierte.

»Auf den, der es versucht, wie?«, murmelte ich ein paar Sekunden später. Sie schüttelte den Kopf.

»Auf die Stimmung kommt es an, Danny. Ein Mädchen muss in einer ganz speziellen Stimmung sein, aber ich schätze, das wissen Sie wohl schon.«

Das mit der Spezialstimmung eröffnete mir ein ganz neues und interessantes Forschungsgebiet, und ich war drauf und dran, den Wissenschaftler zu spielen, der aus diesem neuen Blickwinkel heraus technisch experimentierte. Aber dann

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Alan Geoffrey Yates/Signum-Verlag. Published by arrangement with the Estate of Alan Geoffrey Yates.
Images: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Editing: Dr. Birgit Rehberg.
Proofreading: Dr. Birgit Rehberg.
Translation: Kurt Sachs und Christian Dörge (OT: The Everloving Blues).
Layout: Signum-Verlag.
Publication Date: 04-27-2023
ISBN: 978-3-7554-4072-7

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