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   Peawyn Hunter   

 

 

 

DAS VERMÄCHTNIS DES FEUERS

Flammen der Leidenschaft

Prolog

 

Finsternis umschattete die steilen Bergkämme, Nebel floss wie das Tröpfeln sanfter Bäche zwischen den kantigen, felsigen Spitzen umher und verbarg den klaren Nachthimmel. Kein einziger Stern war zu sehen, nur zähes dunkles Grau. Rissige Felsspalten zur einen Seite des Pfades zeigten finsteres Schwarz, verbargen, was darin lauerte. An weniger steilen Abhängen wuchs wildes Bergkraut, Wildblumen und trockenes Gras. Dunkle Sträucher boten Schutz und Deckung für Tiere wie Gemsen, Ziegen oder Berglöwen.

Der kleine Pfad, der sich den Berg entlang schlängelte war so schmal, dass der Trupp woberokischer Soldaten nur langsam voran kam und die Männer hintereinander reiten mussten, da die kräftigen Pferde wohl ansonsten abgestürzt wären. In den weitläufigen Klippen erklang lediglich das Schnauben, das Stampfen, das Klirren des kleinen Trupps. Lichtkegel von Fackeln erhellten ihren Weg durch das Wilderergebirge, von dem sie nun zur Festung Woberok unterwegs waren.

Die Männer hatten Tage zuvor einen Wildereraußenposten angegriffen, um die Wilden von den woberokischen Grenzen fern zu halten. Das Bergvolk war schon oft über die Grenzen geschritten, hatte Dörfer gebrandschatzt, Frauen entführt und andere grausige Taten vollbracht. Nun wurden sie selbst dem geduldigen König Woberoks zu gefährlich und vor allem zu lästig. Nachdem sie auch noch eine Adlige aus der Festung im Wald vergewaltigt und getötet hatten, hatte der König seine Soldaten entsandt, den nähstgelegenen Außenposten zu vernichten und ihnen damit eine Warnung zukommen zu lassen.

Nun waren die Männer erschöpft, waren sie doch schon zwei Monate fort.

Der Luxus eines Badezubers voll dampfend heißen Wassers, einer Frau in seinem Bett und einer warmen Mahlzeit auf dem Tisch vermissten nun alle Männer. Sich nur mit kaltem Bergwasser notdürftig waschen zu können und kleine halbgare Tiere zu verspeisen war für niemanden angenehm.

Der Trupp hielt auf einem weitläufigerem Plateau an. Auf einer Seite den steilen Berghang, auf der anderen Seite die Schlucht zu haben barg Sicherheit in der Nacht, denn die Wilderer würden nie weit weg sein. Die Berge waren ihre Heimat, sie kannten sich hier gut aus und wussten, wie sie sich in engen Felsspalten und an Abhängen zu bewegen hatten.

Einige der Männer rammten die Fackeln in den Boden, um etwas sehen zu können, dann suchten sie aus dem Gestrüpp etwas, womit man wenigstens ein kleines Feuer machen konnte. Zwei andere banden die Pferde an einen umgestürzten Baum fest und begannen, die erschöpften Tiere abzusatteln.

»Und? Was gibt es heute?«

Die Stimme riss ihn vollkommen aus der Konzentration, als er gerade sein Pferd mit einem Tuch abgewischt hatte. »Berghase.«, erwiderte er ungerührt.

»Köstlich«, sagte der Mann neben ihm mit gespielter Begeisterung.

»Ich kann leider kein Spanferkel herhexen, Rafael.«

Der Mann neben ihm verschränkte die Arme, wodurch sich die kräftigen Muskeln in seinen Oberarmen unter dem eng anliegenden Wams spannten. Die Haare, die zu lang waren, um noch als gepflegt durchzugehen, hingen ihm wirr im Gesicht. »Das ist mir schon klar. Aber ich sage dir, Regan, wir sollten so schnell wie möglich von diesem verfluchten Berg runter. Woberoker gehören nicht in die Berge.«

Regan wandte sich um und folgte Rafaels Blick. Die Männer hatten sich bereits um ein kleines, prasselndes Feuer versammelt und einen mageren Hasen, den Rafael am Mittag geschossen hatte, auf einen Spieß gesteckt. Das Fleisch begann bereits braun zu werden.

»Wovor hast du Angst? Wir haben den Wilderern eine Lektion erteilt.« Regan zog etwas von dem wenigen Proviant aus seiner Satteltasche, was er noch hatte. Ein Stück trockenes Brot und einen Lederbecher, der zur Hälfte mit Skyr gefüllt war.

Rafael knurrte leise. »Ich habe keine Angst, Schwachkopf! Jedoch habe ich das Gefühl, dass hier noch andere Mächte am Werk sind, als bloß die dummen Wilderer. Ich spüre es im Atem des Windes.«

Regan lachte. »Glaubst du tatsächlich noch an die Hexenwesen aus den Geschichten deiner Amme?«

»Amme? Vielleicht hattest du eine Amme, Kronprinz! Aber wir gewöhnlichen Soldaten haben kein solches Previleg.« Rafael ging an ihm vorbei, der Kies knirschte unter seinen Lederstiefeln, und er setzte sich zu den anderen Männern ans Feuer, welches nur wenig Wärme spendete.

Regan hob eine Augenbraue, biss von dem trockenen Brot ab und gesellte sich zu seinen Männern. Er wusste, dass Rafael es nicht so meinte, wie er es sagte. Schon immer hatte der talentierte Bogenschütze seine Meinung kundgetan, jedoch war er erst seit wenigen Monaten solch ein verbitterter Mann, der jedem das sagte, was ihm gerade in den Sinn kam. Nur, mit mehr Zynismus.

Er selbst war dabei gewesen, als sie das junge Mädchen im Wald gefunden hatten. Blut hatte zwischen ihren Beinen geklebt, hatte ihren entblößten Brustkorb bedeckt und ihren Rücken, in der das heiknische Zeichen der Wilderer eingeritzt worden war. Sie hatten sie mit Federn geschmückt, die sie selbst trugen, als wäre sie eine Trophäe gewesen. Rafael war außer sich vor Wut und Trauer um seine kleine Schwester Kath gewesen und noch wütender war er, als ihr Verlobter die Festung verlassen und zurück zur Burg seiner Eltern gezogen war. Rafael hatte nach Gerechtigkeit verlangt und sie durch die Zerstörung des Außenpostens in den Bergen erhalten.

Dennoch glaubte Regan, dass es damit nicht getan wäre. Rafael würde nach mehr Blut verlangen, da Rache ein schwer zu stillendes Bedürfnis war.

Stillschweigend genossen sie das karge Mahl, allesamt in Gedanken versunken. Regan ließ den Blick durch die schmutzstarrenden Gesichter seiner Männer gleiten, erkannte in vielen Augenpaaren die Erschöpfung und den Wunsch, endlich heimzukehren. Zwei Monate von Zuhause fort zu sein war für jeden seiner Männer anstrengend und kräftezehrend gewesen und er wusste, dass es für Ofnak besonders schwer gewesen war, der sein hochschwangeres Weib zurücklassen musste. Inzwischen hatte sie mit Sicherheit bereits ein gesundes Mädchen oder einen gesunden Jungen geboren. Der Rest konnte sich jediglich auf das Heim und einen Besuch im Bordell von Woberok freuen. Die Dirnen dort waren sicher sehr euphorisch bei der Sache, wenn die Männer heimkehrten.

Regans Gedanken schweiften zum letzten Tag ab, den er in der Festung verbracht hatte, bevor sie aufgebrochen waren. Er hatte den gesamten Tag verschlafen und in seinem Zimmer verbracht, die junge Dienerin nicht von seiner Seite weichen lassen.

»Er bekommt schon wieder dieses einfältige Gesicht«, spottete Thorald.

Regan blinzelte und warf dem älteren Mann einen finsteren Blick zu. Obwohl Thorald knapp sieben Jahre älter als er selbst war und somit mehr als reif, eine Frau zu ehelichen und eine Familie zu gründen, machte er keinen großen Hehl aus seiner Zuneigung zur Hurerei. Sei es, dass er sie mit Frauen oder mit Männern betrieb.

»Nur, weil du kein Weib hast, das Zuhause auf dich wartet?«, schoss Regan zurück und nahm einen kräftigen Schluck bitteren Bergwassers aus seinem Trinkschlauch.

Thorald zuckte die Schultern, grinste schief, was seine seltsam spitzen Eckzähne aufblitzen ließ. »Was glaubst du, wie die Huren sich freuen werden, mich zu sehen? Ich treibe es wenigstens nicht hinter meines Vaters Rücken mit einer Magd.«

Regan schnaubte. »Ich glaube kaum, dass dich das was angeht.«

»Bedeutet sie dir etwas?«

»Es reicht, Thorald«, ging Rafael dazwischen. »Besinne dich, du sprichst immerhin noch immer mit unserem Kronprinzen und nicht mit einem dahergelaufenen General. Und, wenn er zehn Mägde am selben Tag besteigt, was kümmert es dich?«

Thorald strich sich das schlammverkrustete, fettige Haar zurück, das eine unhygienische Länge erreicht hatte und lehnte sich entspannt zurück. »Es kümmert mich nicht. Sicher hat der König auch die halbe Dienerschaft gevögelt, als er achtundzwanzig war. Ich finde es nur interessant, dass du bei der einen Dienerin bleibst, Kronprinz

Regan schwieg nur und ließ Thorald sich seinen Teil denken, denn er selbst wusste es besser, weshalb er bei einer Frau blieb. Natürlich wusste jeder, dass sein eigener Vater nach dem Tod seiner Mutter mehr als nur eine Frau gehabt hatte und sich in seinem Alter jetzt auch noch recht viele junge Dinger ins Bett holte. Aber auch, wenn die kleine Dienerin, mit der er selbst das Bett teilte, ziemlich naiv war und schnell zu beruhigen, weil sie nicht die hellste Kerze war, genoss er es, nur eine Frau zu haben. Er hatte nie das Bedürfnis gehabt, in das Bordell von Woberok zu gehen und sich alle möglichen Weiber zu nehmen.

Thorald schien sich zu hüten, noch eine weitere Frage zu stellen, denn er wusste, wenn Regan schwieg, war er kurz davor Schläge zu verteilen. Und bisher hatte der junge Kronprinz jeden Kampf gewonnen. Von Geburt an war ihm eingebleut worden, wie es war, ein Mann des Nordens zu sein. Er hatte zusammen mit den übrigen Jungen Stunden auf dem Übungsplatz verbracht, hatte gelernt, Schwert, Bogen und Axt zu führen und zu kämpfen. Er hatte Blut, Schweiß und Tränen gelassen, um zu einem der besten Schwertkämpfer zu werden, die sein Königreich bewohnten. Und deswegen wusste Thorald auch, wo seine Grenzen waren, auch, wenn er diese oft und gerne austestete. Regan wusste allerdings, wo sein Stand war und, wo Thoralds war.

 

Am nächsten Morgen, die Männer hatten kaum ein Auge zugetan, entschlossen sich alle, den Tag durchzureiten und keine Pause zu machen, da die Heimat nahe war. Schon zwei Stunden nach dem Aufbruch hatten sie den Fuß des Berges erreicht und Tundraebenen offenbarten sich ihnen. Der Pfad, dem sie gefolgt waren verlief sich, aber die Männer kannten die Gegend wie ihre Westentasche. Sie würden selbst blind heim finden!

Die Stunden vergingen und sie passierten verschlungene Pfade, dunkle Wälder und unheimlich aufragende Felsbrocken an denen das Moos emporschnellte. Aus der Ferne konnten sie die Burg Ikard erkennen, die im dunsternden Nebel der heißen Quellen beinahe nur ein Schatten war, ein Schemen.

Erst in der Abenddämmerung konnten sie Woberoks Lichter am Horizont sehen.

Rafael, Thorald, Ferrin, Ofnak und Kaidan hielten ihre Rösser an und blieben hinter Regan stehen, der wie in Trance die mächtige Festung anstarrte. Ein kühler Wind wehte über das Land, ließ das harte Getreide der Felder um sie herum sich im Wind biegen. Die Vögel, die ihren Ritt am Mittag mit ihrem Gesang begleitet hatten, hatten sich längst zurückgezogen und schwiegen.

»Wenn wir uns beeilen, können wir in einer Stunde schon in einem heißen Zuber sitzen!«, grunzte Ferrin, der Jüngste von ihnen.

Rafael gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. »Du kommst noch früh genug in Woberok an, Bengel.«

»Nicht nur er freut sich auf ein Bad und eine Frau«, sagte Thorald und tätschelte seinem pechschwarzen Ross den kräftigen Hals.

»Der Junge weiß wahrscheinlich noch nicht einmal, wo er seinen Schwengel reinschieben müsste, wenn man ihm ein Mädchen auf den Bauch bindet.«, spottete Ofnak und alle Männer begannen zu lachen, außer Ferrin, der sichtlich empört war.

»Ich weiß, wo ich ihn reinschieben muss! Ich war schon einmal mit einer Frau zusammen!«, knurrte der Bursche beleidigt.

Regan gab seinem Pferd die Sporen und seine Männer jagten hinter ihm her den dunklen Pfad entlang. Das Donnern der Hufe ließ die Erde unter ihnen beben und Regan genoss den Gedanken, bald von diesem harten Pferderücken runter zu kommen, in einen heißen Badezuber zu steigen, den Dreck abzuwaschen und etwas anderes zwischen den Schenkeln zu haben, als einen Gaul.

Nach diesen anstrengenden Wochen wünschte sich das jeder von ihnen.

Die Sonne war nur wenige Minuten fort, als sie endlich die Tore von Woberok erreichten und die Wachmänner sie in das Innere der gewaltigen, dunklen Festung ließen. Häuser duckten sich an der gewaltigen Steinmauer, Lichter schienen durch die einfachen gläsernen Fenster, verhießen Leben. Vermutlich saßen dahinter die Familien gerade zum Abendbrot und erzählten sich die Geschehnisse des Tages.

Regan seufzte zufrieden, als er seinen Hengst weiter die enge Hauptstraße entlang trieb.

Woberok war mehr eine gewaltige Burg, denn eine Hauptstadt, wie man sie in den südlicheren Königreichen des Nordens antraf. Die beiden anderen Königreiche, Karten und Fenral, waren den Woberokern nie besonders aufgeschlossen gewesen, weder mit ihrer Lebensart, noch ihrer Kultur. Das lag vermutlich daran, dass Woberok eine ehemalige Wildererkolonie gewesen war, die sich vom Rest ihres Stammes abspalteten und südlich des Wilderergebirges eine Heimat errichtete, den heiknischen Ritualen abdankte und statt Menschen zu opfern, Landwirtschaft betrieb. Dennoch waren woberokische Burgen auf Verteidigung getrimmt worden, vor allem wegen der Angst vor ihren ehemaligen Clansgenossen. Die Mauern waren dick, die Wachsamkeit hoch. Niemand wagte es, die Festung Woberoks anzugreifen. Und das war gut so.

Die Männer erreichten nur wenige Minuten später den Innenring des Burghofes und stiegen erleichtert von ihren Tieren. Sofort eilten Knaben herbei, die die Pferde an sich nahmen und zu den Stallungen führten. Männer und Frauen, die zuvor bereits im Burghof verweilt hatten, strömten auf die Männer zu und durchlöcherten sie mit Fragen, während das Hämmern des arbeitenden Schmiedes ihre Stimmen untermalte.

Regan spaltete sich recht schnell von der Befragung ab, die seine Kameraden mit Begierde fortführten und schlüpfte durch eine Seitentür, die in die Burgküche führte. Wohlige Wärme hieß ihn Willkommen, ausgehend vom Ofen, in dem er einige Fladenbrote backen sah, auf dem dicken Eichenholztisch in der Mitte lagen klobige Rüben und Erdäpfel, daneben eine harte Bürste, mit der man das herzhafte Gemüse putzen konnte.

Er sah sich nach der Köchin, einer molligen, immer gut gelaunten Frau, um, aber sie war nirgends zu entdecken, sodass er sich das herzliche Wiedersehen auf später aufhob und direkt von der Küche in einen langen Gang einbog, an dem großen Torbogen vorbei ging, der direkt in den Thronsaal führte, und die steinernde Treppe hinauf. Der kurze Gang führte zu einer einzigen Tür, die er öffnete.

Mit Erleichterung stellte er fest, dass seine Gemächer verlassen waren. Zuerst zündete er Kerzen an und ein zwei Fackeln in ihren Halterungen, um Licht zu haben. Die dunkelgrünen Vorhänge, die dieselbe Farbe wie sein Wappen trugen, hatten die Fenster und den Balkon, auf den man durch eine hölzerne Tür gelangte, verdeckt. Das Himmelbett, welches mit weißen Laken und Fellen bezogen war, stand unangetastet seit mehreren Wochen dort und über dem Bett prangte ein Banner mit dem woberokischen Wappen, dem schwarzen Wolf auf weißem Grund, an der Wand.

Er ließ einen Moment lang gedankenverloren den Blick darüber schweifen, bis sich die Tür zu seinen Gemächern ohne Ankündigung öffnete. Regan fuhr herum und blitzte das Mädchen an, das in das Zimmer gestürmt war und sein Blick verschleierte sich leicht.

Die hellen Strähnen rahmten ein schmales Gesicht mit eng stehenden blauen Augen ein und der kurvige Körper der jungen Frau lehnte sich an die Tür, schloss sie kaum hörbar. Sie atmete tief ein und ihre Brust hob sich, spannte in dem engen Mieder.

»Ihr seid zurück«, stellte sie unübersehbar fest.

Regan hob eine Augenbraue. »Allerdings. Wie wäre es, wenn du dort nicht herum stehst und mir gefälligst ein Bad einlässt?«

Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe, stieß sich von der Tür ab und stolzierte zum Kamin hinüber, wo bereits ein Eimer Wasser stand, als hätte man gewusst, dass er heute zurückkehren würde. Sie griff nach dem Henkel und wackelte zum Zuber, der neben dem Fenster stand und goss das Wasser hinein. Danach schlich sie um ihn herum.

Regan ignorierte sie und öffnete seinen Brustharnisch. Von den Wochen in der Wildnis bröckelte getrockneter Schlamm von seiner Kleidung auf den Boden, sodass er wusste, dass sie gleich wieder etwas zutun bekam. Er ließ seine Ausrüstung achtlos auf den Boden fallen und ging nackt und schmutzstarrend auf den Zuber zu. Zufrieden stellte er fest, dass der Zuber bereits bis knapp unter dem Rand gefüllt war und das Wasser dampfte. Die Dienerinnen mussten bereits alles vorbereitet haben.

Seufzend stieg er in das heiße Wasser, ließ sich zurück sinken und das Wasser umschwemmte seine schmerzenden, verkrampften Muskeln, reinigte ihn von Schmutz und Schweiß und ließ ihn sich nach wochenlangem Ritt endlich wieder wie ein Mensch fühlen.

Er hörte, wie der Eimer auf dem dunklen Holzboden abgestellt wurde und die leisen Schritte verrieten ihm, dass sie näher kam. Als sie sich direkt hinter seinen Kopf auf den Boden kniete, schloss er die Augen. Ein leises Schmerzstöhnen entrang sich seiner Kehle, als ihre erstaunlich kräftigen Finger seine verspannten Nackenmuskeln massierten.

»Bei den Göttern, Ihr seid hart wie ein Brett«, murmelte sie und er spürte ihren Atem in seinem Haar.

»Wenn du so weiter machst, dann auf jeden Fall«, grunzte er entspannt und spürte bereits, was ihre Hände für eine Wirkung auf seinen Körper hatten.

Ihre Finger hielten kurz Inne, strichen einladens über seine breite, muskulöse Brust und anschließend wieder in seinen Nacken. »Ich muss zugeben, ich hatte Sehnsucht nach Euch, mein Prinz.«

»Tatsächlich? Weil ich der einzige knackige, muskulöse Kerl bin, mit dem du das Bett teilst? Deine älteren Verehrer haben sicherlich nicht so viel Ausdauer.«

»Zugegebenermaßen ist es derweil etwas eintönig, wenn man drei Monate auf Bierbäuchen hockt, unter denen man erst einmal kleine vertrocknete Schwänze hervor ziehen muss, aber nein. Während Eurer Abwesenheit war Euer Vater nicht zu ertragen!«

»Ein schlechter Liebhaber?«, spottete Regan.

Sie schlug ihm auf die Schulter, sodass Wassertropfen in alle Richtungen davon stoben. »Ihr wisst genau, dass ich mich nicht zum König ins Bett lege, Dummkopf!«

Regan packte ihr Handgelenk. »Achtung, du sprichst immer noch mit deinem zukünftigen Herrscher, Igred.«

Sie seufzte, beschwichtigte ihn mit ihrer freien Hand, indem sie auch noch den letzten Knoten in seinem Nacken weich knetete. »Verzeiht mir. Aber ich hasse dieses Klischee, dass ich mich zu jedem Mann ins Bett lege. Natürlich profitiere ich davon, aber ich lasse lieber den jungen unverheirateten, oder auch verheirateten, Ladys den Vortritt, wenn sie sich in Eures Vaters Bett wagen.«

Er schüttelte den Kopf, ließ ihre Hand los. »Wie dem auch sei. Ich will nicht über meinen Vater sprechen und, wen er in Woberok schon alles gevögelt hat. Komm lieber her und erweise mir einen Dienst.«

Zuerst regte sie sich nicht, dann aber krabbelte sie um den Zuber herum, sodass sie seitlich von ihm kniete. Sein pulsierendes Glied lag bereits an seinem Bauch. Sie streckte die Hand danach aus, beugte sich vor und er verdrehte lustvoll die Augen. Er schloss sie, während sie saugend auf und ab Bewegungen durchführte, ihn verwöhnte, bis ihm schwindlig wurde. Eines konnte dieses Mädchen auf jeden Fall und zwar einen Mann beglücken.

Plötzlich ließ sie von ihm ab und er wollte bereits protestierend die Augen öffnen, als er ihr Gewicht auf seinem Körper spürte. Ihre schlanken, aber durchaus prallen Beine legten sich zu beiden Seiten seiner Hüfte auf den Grund des Zubers. Ihr Beckenboden drückte sich direkt auf seinen Schritt und er atmete hörbar ein, als er ihre feuchte Wärme spürte. Leicht öffnete er die Augen, sah ihre üppigen Brüste vor seinem Gesicht und fragte sich kurzzeitig, wie sie sich so in Windeseile entkleiden konnte. Aber das war auch nicht wichtig!

Ihre Hände umklammerten seinen Nacken, er vergrub das Gesicht an ihrer Schulter, hörte ihrem schweren Atem zu, umklammerte sie mit ungeheurer Kraft, da er wusste, dass sie kein zartes Pflänzchen war. Er konnte sie packen, drücken, umklammern, ihr sogar einen Klapps geben, sie würde nur noch mehr davon wollen. Und er genoss jede Sekunde mit dieser Frau, hier spielte es nämlich keine Rolle, wie grob er war, sie würde immer zu ihm zurückkehren. Falls er Freiraum brauchte und sie nicht in der Nähe haben wollte, dann trollte sie sich und kehrte in die Betten anderer Männer zurück. Das schätzte er.

Gerade, als er kurz davor stand, Erlösung in ihr zu finden, sprang die schwere Eichentür zu seinen Gemächern auf und das mit so viel Schwung, das ein Krachen erklang, als diese gegen die Wand schlug.

Regan fuhr zusammen und auch Igred, die ihn eben noch mit einer gezielten Hüftbewegung zum Höhepunkt bringen wollte, erstarrte auf seinem Schoß. Beide wandten den Kopf zu dem Störenfried.

In der Tür stand ein muskulöser, älterer Mann. Er trug einen dunklen Wams am Körper, die Lederhose spannte über seinen muskulösen Oberschenkeln und für sein Alter war er noch gut in Schuss. Die kräftigen Hände vermochten in der Tat noch ein Schwert zu führen. Die eisblauen Augen des Mannes blitzten zornig, als er den Blick auf die junge Dienerin richtete.

»Ich will dich sofort im Thronsaal sehen.« Die kalt herausgepressten Worte des Mannes ließen keinen Widerspruch zu.

Bevor Regan auch nur ein Wort sagen konnte, hatte der Mann sich abgewandt und stapfte lauten Schrittes den kleinen Gang zu seinen Gemächern davon.

Igred entspannte sich merklich auf seinem Schoß, als der Mann fort war und drehte leicht bekümmert den Kopf zu ihrem Liebhaber. »Ich sagte Euch, dass er unerträglich ist.«

»Du hättest es ruhig mit mehr Nachdruck erwähnen können. Bei den Göttern, mein Vater hat uns gerade beim Ficken erwischt und nichts dazu gesagt. Es muss wahrlich ernst sein.« Regan grinste und Igred schlug ihm spielerisch auf die Brust.

»Ihr wolltet doch, dass ich aufhöre von ihm zu sprechen und stattdessen meinen Mund mit Eurem Gehänge fülle! Jetzt sagt nicht, dass es meine Schuld ist.«, brummte sie und stieg von ihm herunter, was sein besagtes Gehänge mit Nachdruck spürte.

Regan ließ den Kopf in den Nacken gleiten und stöhnte genervt auf. Dieser Abend hätte so schön sein können, wäre sein Vater nicht in sein Zimmer geplatzt und nach ihm verlangt. Es fiel ihm schwer, zuzusehen, wie Igred ihre üppigen Rundungen unter der einfachen Dienertracht verbarg und ihr leicht feuchtes Haar versuchte zu richten. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als dem Ruf seines Königs zu folgen und sich auf dem mittlerweile erkalteten Wasser zu erheben. Er lief zu der Trennwand, die den kleinen Badebereich von dem Rest des Zimmers abgrenzte und griff nach einem Handtuch, das in einer kleinen Kommode neben weiteren Tüchern aufgereiht war. Rasch hatte er seinen muskulösen Körper abgetrocknet und sich das feuchte Haar abgerubbelt. Provozierend stellte er sich vor Igred hin, als er sich eine enge schwarze Lederhose anzog, die über seinen Oberschenkeln spannte.

Sie verzog genervt das Gesicht. »Vergesst es! Ich werde sicher nicht hier warten bis Ihr von Eurem Vater-Sohn-Gespräch zurückkehrt. Es ist schon schlimm genug, das ich mich überhaupt aus den Dienerquartieren gewagt habe. Margred hat mir verboten, hierher zu kommen.«

Regan hob eine Augenbraue. »Sie hat dir verboten zu mir zu kommen? Weshalb?«

»Weil sie glaubt, dass ich zu dumm bin, mich vor einem ungewollten Kind von Euch zu schützen.«, spuckte sie und verdrehte die Augen. »Weil wieder eine von den Mägden einen Bastard von einem Soldaten empfangen hat und jetzt kaum noch die Wäscheschüssel vor sich hertragen kann mit dem dicken Bauch. Ich bin vielleicht nicht die Schlaueste, aber ich weiß, was ich machen muss, um kein Kind zu empfangen.«

»Aber sie erlaubt dir, dich mit Offizieren und Generälen in den Kissen zu wälzen?« Regan konnte den scharfen Ton nicht aus seiner Stimme verbergen. Was erlaubte sich diese alte Glucke eigentlich? Margred war älter als er und Igred zusammen und hatte weder Mann noch Kinder. Und sie glaubte, zu wissen, was das Beste für ihre Mägde sei? Wenn es nach ihr ginge, wäre Igred vermutlich noch jungfräulich und unverheiratet und ohne Kinder, so wie sie. Wobei Letzteres tatsächlich auf Igred zutraf. Sie hatte weder Kinder noch Mann und das war gut.

Igred zuckte die Schultern, stand von der kleinen Bank vor seinem Bett auf und kam zu ihm. »Macht Euch keinen Kopf darum. Ihr wisst, dass ich Eure Gesellschaft genieße.«, murmelte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen.

Es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, sie bloß zu küssen und sie nicht gleich in die Kissen zu drücken und ihr die Dienertracht vom Körper zu reißen. Er packte ihre Schultern und schob sie ein Stück von sich fort.

»Wenn ich nicht gehe, reißt uns mein Vater beiden den Kopf ab.«

Sie grinste leicht. »Dann solltet Ihr Euch auf den Weg machen.«

Gesagt, getan! Er nahm sich ein einfaches Leinenhemd und stülpte es sich über den Kopf, schlüpfte in ein Paar weicher Lederstiefel und verließ das Zimmer, bevor er tatsächlich Ärger bekam. Wenn der König rief, ließ man ihn nicht warten. Er folgte dem engen Gang, dann die Treppe hinunter und passierte den Torbogen, durch den er direkt zum Thron gelangte. Zwei Steinstufen trat er hinauf, dort wo der hölzerne Sitz stand, in dem sein Vater so oft saß, die Hände gefaltet und über diverse Dinge nachgrübelnd.

Diesmal stand er hinter seinem Thron, die Hände auf dem Rücken gefaltet und das mächtige Banner anstarrend, das wieder einmal das Wappen des Hauses Woberok zeigte. Als Regan näher trat, wandte der König ihm nicht einmal den Kopf zu.

»Habe ich dir nicht ausdrücklich gesagt, dass ich dieses Mädchen nicht mehr in deinen Gemächern vorfinden will?«

Regan runzelte die Stirn. Er hatte es tatsächlich öfters gefordert, jedoch nie mit so viel Nachdruck, dass Regan es ernst genommen hätte. Er hatte es eher für einen selektiven Hinweis gehalten.

»Ich denke, dass mir die Entscheidung obliegt, wen ich in meinem Bett beherberge.«, antwortete er ruhig.

Der König warf ihm einen ernsten Seitenblick zu. »Und ich denke, dass ich mich klar und deutlich ausgedrückt habe. Ab heute sind deine Gemächer für diese Magd gestrichen.«

Regan wollte zum Protest ansetzen, aber der König gebot ihm mit dem Heben seiner Hand Einhalt.

»Ich habe viel zu lange dabei zugesehen, wie du dich vor meinem Königreich lächerlich machst. Jeder weiß inzwischen, dass sie dir das Bett wärmt und neben dir auch noch hunderten anderen Männern. Es ist eines, wenn ein Mann eine Frau zum Vergnügen bei sich hat, aber es ist etwas anderes, wenn sie sich neben ihm auch noch zu anderen legt und mit den Geschichten aus dem Königshaus vor ihren restlichen Freiern prahlt.«

»Ich verstehe nicht, was Ihr meint.«

Nun wandte sich der König ihm vollständig zu, bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick aus seinen eisig blauen Augen. »Willst du es nicht verstehen? Dieses Mädchen hat schon allerleih Geschichten von ihren nächtlichen Abenteuern mit dir herum erzählt, die mir in deiner Abwesenheit in den vergangenen Wochen zu Ohren gekommen sind. Und ich kann nicht zulassen, dass wegen einer Magd der gute Name unseres Hauses in den Dreck gezogen wird.«

Regan stand da und starrte seinen Vater an. Er hatte nicht im Mindesten geahnt, dass Igred die Dinge herumerzählte, die sie in seinem Schlafgemach trieben. Eher hatte er geglaubt, dass sie gemeinsam etwas Spezielleres hatten, da sie beide über die alten Säcke lästerten, mit denen Igred ansonsten ihre Zeit verbrachte. Das machte ihn einerseits ärgerlich, andererseits wusste er, dass er sich schnell mit Fausthieben und einigen Andeutungen auf seinen Stand, wieder Respekt verschaffen konnte. Es erklärte jedoch, weshalb Thorald so kühn ihm gegenüber mit seinen Bemerkungen gewesen war.

Regan würde sich Igred zur Brust nehmen.

Er begradigte seine Haltung und blickte seinem Vater kühl ins Gesicht. »War das alles, was Ihr mir mitteilen wolltet?«

Der König blitzte ihn zornig an. »Gewiss nicht, Junge. Ich habe noch etwas anderes entschieden.«

Die Kunstpause, die der König abhielt, wurde ihm allmählich zu albern.

Er trat einen Schritt näher. »Was habt Ihr entschieden?« Ärger schwang in seiner Stimme mit.

»Ich habe entschieden, dass deine Freiheiten ab jetzt eingeschränkt werden sollten. Während du in den Bergen Wilderer abgeschlachtet hast, habe ich Verhandlungen mit König Harold von Kartan geführt.«

Regan runzelte die Stirn. Er erinnerte sich nur noch vage an ein Treffen seines Vaters mit dem König des südlichsten nordischen Königreiches des Landes. Damals war er sieben Jahre alt gewesen, ein Kind noch. Damals war seine jüngere Schwester geboren worden und ihrer beider Mutter hatte noch gelebt. Um Königreich Woberok einen Waffenstillstand anzubieten, hatten sich die drei Königshäuser an den Grenzen der Königreiche getroffen und Friedensverhandlungen geführt. Diese hatten damit geendet, dass der Krieg, der viele Opfer auf jeder Seite zu beklagen gehabt hatte, endlich vorrüber war. Seitdem, einundzwanzig Jahre später hielt der Frieden an.

Damals, so hatte er es noch in Erinnerung, war der König von Kartan noch ein stolzer Mann gewesen. Er hatte das typische kastanienbraune Haar der Kartaner besessen, war muskulös und kraftstrotzend umherstolziert, während hinter ihm die blutroten Flaggen seines Hauses im Wind geweht hatten. In einem ausladenen Zelt hatte er einen kurzen Blick auf die schöne Frau des Königs werfen können, die langes braunes Haar gehabt hatte und so grüne Augen, wie es nur die Frauen aus Greifenwald hatten. So naiv, wie Regan in dem Alter gewesen war, hatte er seine Mutter gefragt, ob die Frau des Königs, die einen zwei Jahre alten Jungen an der Hand gehalten hatte, ein Engel sei. Natürlich war sie es nicht gewesen.

»König Harold und ich haben bereits Papiere aufgesetzt«, riss ihn sein Vater aus den Grübeleien.

»Was für Papiere?« Regan blinzelte verwirrt.

»Die Papiere zur deiner Verlobung mit Prinzessin Akira von Kartan.«

Er stand gefühlte Minuten reglos da, blinzelte benommen und verstand die Worte nicht, die aus seines Vaters Mund strömten. Verlobung? Prinzessin? Kartan? Nur schwach entsinnte er sich, dass vor zwölf Jahren die Nachricht kam, dass die Königrin von Kartan ein Mädchen geboren hatte, nachdem sie in den vorherigen Jahren dem König vier gesunde Söhne geschenkt hatte. Vor zwölf Jahren... diese Prinzessin war noch ein Kind!

Erstmals holte Regan stockend Luft, versuchte seine Stimme zu festigen, was ihm kläglich misslang. »Das kann nicht Euer Ernst sein...«, flüsterte er.

Der König blickte ihn kühl an. »Das ist mein vollkommender Ernst. Du hast lang genug deinen Spaß gehabt mit Kämpfen, Trinken und Huren. Du bist achtundzwanzig und ich habe noch immer keinen Thronerben. Auch, wenn ich vielleicht so aussehen mag, ich lebe auch nicht ewig und ich will meine Linie gesichert wissen, bevor ich meine Ahnen wiedersehen werde.«

»Und was ist mit Esme? Sie hat doch bereits einen dreijährigen Burschen!« Regan bemühte sich nach Ausreden, nur, damit dieser Alptraum nicht in greifbare Nähe rückte. Aber er kannte die Wahrheit. Er würde eine fremde Frau heiraten müssen, die nicht einmal eine Frau war. Bei den Göttern, sie war ein Kind!

»Deine Schwester lebt in Ikard und da soll sie auch bleiben. Ihr Ehemann ist im Prinzip ein Fremder, der mir nicht auf den Thron kommt, wenn es einmal Zeit ist. Du bist mein Erbe und ich will, dass du verdammt nochmal anfängst, dich dessen würdig zu erweisen. In erster Linie mit einer Heirat!«

»Eine Heirat mit einer Kindsbraut?«, fauchte Regan. »Dieses Mädchen ist höchstens sechszehn! Was soll ich mit so einer?«

»Ein Kind machen?«, schlug der König garstig vor. »Ob es dir gefällt oder auch nicht, du wirst sie zur Wintersonnenwende heiraten, denn sie ist bereits auf dem Weg hierher. Und die Tage, die du dich mit dieser Magd in den Kissen gewälzt hast, sind gezählt. Verstanden?«

Regan war sprachlos. Er konnte nichts erwidern, als zu Schnauben, sich abzuwenden und zurück zu seinen Gemächern zu stapfen. Die Hoffnung, dass er an Igred seine Wut und seinen Frust auslassen konnte, sei es, indem er ihr den Hintern versohlte, sie anschrie oder sie nahm, verblasste, als er seine Gemächer verlassen vorfand. Er knallte die Eichenholztür zu und raufte sich die Haare.

So hatte er sich den Abend gewiss nicht vorgestellt! Natürlich war ihm oft aufgefallen, dass sein Vater ihm viele Freiheiten gelassen hatte und die Jahre ins Land gezogen waren. Mit achtundzwanzig erwartete man von einem Prinzen bereits, dass er vermählt war und mindestens drei Kinder gezeugt hatte, um seine Linie zu sichern. Regan hatte dieses Bedürfnis nie gehabt, oder eher die Pflicht dessen nie ernst genommen.

Nun hatte er nicht einmal die Chance gehabt, sich eine Braut zu suchen, sondern war es einfach für ihn bestimmt worden. All seine Freiheiten hatten nun ein Ende.

Wutentbrannt riss er die Vorhänge zur Seite und öffnete die Balkontür, trat ins Freie und atmete die kalte Abendluft ein. Er hörte dem ruhigen Treiben im Burghof zu und dachte daran, dass dieses fremde Mädchen auf dem Weg hierher war. Sie war erst sechzehn. Er würde sich ohne jeden Zweifel vorkommen, als würde er ein Kind schänden, wenn er sie tatsächlich heiratete. Davon abgesehen, dass sie mit sechzehn sicherlich nicht viel Fleisch auf den Rippen haben dürfte. Vermutlich war sie auch noch eingebildet und hochnäsig, wie die Kartaner schon immer gewesen waren. Sie würde wohl kaum wissen, wie man einen Besen schwang oder Fleischwunden vernähte, was alle Frauen in seiner Ahnenreihe gewusst hatten.

Er schüttelte den Kopf und seufzte.

Plötzlich schmiegten sich zwei warme Hände unter seinem Hemd an seinen Bauch. Eigentlich sollte er wütend auf Igred sein, da er wahrscheinlich nur deshalb nun eine Kartanerin zur Frau bekam, weil Igred ihren Mund nicht halten konnte. Aber er war eher verzweifelt.

»Ich werde fort gehen, Igred. Noch heute Nacht reite ich los.«

»Es ist wegen mir oder?« Ihre leise Stimme bebte leicht. »Ich habe zugehört.«

Er drückte ihre Hände. »Glaube nicht, dass ich mir von meinem Vater vorschreiben lasse, was ich tun soll. Ich werde diese kartanische Prinzessin heiraten müssen, um keinen Krieg anzuzetteln, aber niemand kann mir verbieten, neben ihr eine Geliebte zu haben.«

»Wirklich?«

»Warum sollte ich mit einem dürren Knabenmädchen im Bett zufrieden sein, wenn ich dich vögeln kann?«, fragte er grinsend und drehte sich um.

Sie knuffte ihn in die Seite. »Wohin wollt Ihr gehen?«

Er zuckte die Schultern, streichelte ihr goldenes Haar, das sich wie ein Wasserfall über ihren Rücken ergoss. »Bis zur Wintersonnenwende sind es noch vier Monate und von Kartan aus wird sie erst in zwei Monaten hier sein. Ich denke ich reite nach Ikard zu Esme und kehre kurz vor der Hochzeit zurück. Ich will sie einfach noch nicht sehen, wenn sie hier ist. Mein Vater hätte es wohl gerne, wenn ich sie vor der Hochzeit kennenlerne, aber das kann er vergessen.«

»Es ist schwer sich vorzustellen, dass Ihr bald verheiratet sein werdet. Und dann auch noch mit einem kleinen Mädchen, das einmal Königin sein wird. Ich hatte mir immer mehr eine robustere Frau für Euch vorgestellt.«

Regan hob eine Augenbraue. »Du etwa?«

Sie schnaubte und stieß sich von ihm ab. »Natürlich nicht! Das Königinsein ist nichts für mich. Aber nun kommt, ich will Euch wenigstens noch eine schöne Nacht schenken bevor Ihr fortgeht und ein Sklave der Ehe werdet.«

Erst, als Igred tief und fest in seinem Bett schlief, verließ er die Burg, nahm sich Proviant, sattelte sein Pferd und brach auf, als ein sich ein goldener Streifen am Horizont bildete. Er würde Esme befragen, wie sie sich damals fühlte, als sie mit achtzehn Jahren heiraten musste, weil Vater es so wollte. Damals hatte er es nur hingenommen, war er doch nie der fürsorglichste große Bruder gewesen. Aber nun stand er selbst davor. Es warf sich ihm nur die Frage auf, ob sie ihn überhaupt in die Burg ließ, da sie sich nicht so blendend verstanden, wie man es von Geschwistern erwarten dürfte.

Aber für den Anfang genoss er den Wind in den Haaren und das letzte bisschen Freiheit, das er vorerst sein Eigen nennen durfte.

.

 

 

 

 

 

Mara, Feuergöttin und Mutter aller Kinder dieser Welt, schenkte ihnen die Macht,

und die Drachen tranken das Feuer der Sonne und erhoben sich in die Luft.

 

Kinder der Luft, Das Vermächtnis des Feuers Band I

 

Kapitel 1

 

Einen Monat zuvor

 

Eisiger Wind wehte an diesem Tag über das Land hinweg, böhte durch zugige Hallen, verbreitete den Duft des nahenden Winters und fing sich in den Ecken und Winkeln der gewaltigen Festung. Die Wolken am Himmel wehten über das Land, verdunkelten den Tag, als würden selbst sie ahnen, dass etwas heraneilte. Der Wind wusste es, die Erde wusste es, sogar die Luft wusste, dass an diesem Tag jeder Traum, jede Hoffnung, jede Aussicht auf ein bestimmtes Leben enden würde. Nicht nur die Aussichten auf ein Leben endete, sondern auch ein vorheriges Leben. Eine Existenz, die von Geburt an geformt und vorbereitet wurde.

Alles nahm irgendwann ein Ende.

Ich jedoch hatte nicht erwartet, dass mein Leben ein so schnelles Ende nehmen würde.

Mein Leben war chaotisch, wild und voller Ungezügeltheit gewesen. Von Anfang an war mir vorherbestimmt gewesen, so zu sein, wie ich war. Obwohl meine Mutter mein Leben lang versucht hatte, mich zu zähmen, war es ihr niemals gelungen, da ich immer mehr wie meine vier älteren Brüder gewesen war. Sie alle hatten das ungezügelte Temperament der Kartaner besessen und ich hatte es mir mein Leben lang von ihnen abgeschaut. Natürlich hatte meine wilde, stürmische Kindheit, die ich damit zugebracht hatte, mit meinen Brüdern im Wald herumzutollen, zu jagen und sogar das Kämpfen an einer Waffe zu lernen, an dem Tag geendet, als ich vom Mädchen zur Frau geworden war. Meine Mutter hatte sich kaum Zeit gelassen, mir sämtliche Freiheiten zu nehmen, mich zwischen den Gelehrten in der Festung einzupferchen und mich alles zu lehren, was eine gute Ehefrau für das spätere Leben brauchte.

Aber ich hatte mir nicht den Kämpfergeist nehmen lassen, nur, weil sie mich beinahe von früh bis spät von einem Hauslehrer zum nächsten scheuchte. Meiner Meinung nach war es ohnehin für die Ehemänner nur wichtig, ob eine Frau gebären konnte, oder nicht. Wozu musste man da auch noch Flöte, Harfe und ein dreisaitiges Trigoré spielen können? Das bedeutete nicht, dass ich jemals vorhatte zu heiraten.

Mir war nämlich oft genug eingebleut worden, was eine Ehe bedeutete. Es bedeutete, vor allem dem Ehemann gegenüber gehorsam, unterwürfig und gnädig zu sein, falls er sich außerhalb des Ehebettes auch noch anderweitig nach weiblicher Gesellschaft umsah. Das waren alles Eigenschaften, die ich niemals erfüllen könnte. Anders als meine Mutter. Sie hatte es von Anfang an akzeptiert, dass mein Vater in ihrer Ehe den Ton angab, dass sie ihm gehorchte und das tat, was er verlangte. Vor allem Letzteres hatte sie stumm geduldet, denn ich hatte nicht selten, rotwangige junge Frauen aus dem Ostflügel, wo die Gemächer des Königs lagen, schleichen sehen, mit denen er sich vergnügt hatte.

Nun schien dieser Gedanke jedoch nicht mehr ganz so abwegig, als mein Vater mir am gestrigen Abend beim Abendessen mitteilte, dass er mit der Königin zusammen beschlossen hatte, dass ich heiraten würde. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich meinen Eltern nicht mehr im Geringsten zugehört. Sie redeten über Ehre und Pflicht und Traditionen, während meine Brüder vollkommen außer sich waren.

Wir waren schon immer eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen und sie hatten mich nie als Ehefrau gesehen und diese Tatsache nun so greifbar zu haben, schien auch sie vollkommen aus der Bahn zu werfen. Rikkon war sofort aufgesprungen und hatte unsere Mutter gefragt, ob sie nun endlich zufrieden sei, dass sie ihre Tochter an irgendeinen dahergelaufenen Mann verschacheln konnte, so, wie es ihre Mutter damals getan hatte. Daraufhin hatten sich Jeff, mein drittältester Bruder, mit Rikkon in die Wolle bekommen. Die beiden waren schon immer so unterschiedlich, wie Zwillinge es nur sein konnten.

Obwohl Jeff es nie zugab, hatte er die kühle Beherrschung unseres Vaters geerbt. Er war schon immer der Meinung gewesen, das Dinge, die getan werden mussten, getan werden sollten. Seine Reaktion auf die Mitteilung meiner baldigen Vermählung war für ihn weniger entsetzlich gewesen, wie für meine anderen Brüder.

Tristan, der vom Alter her nur ein Jahr von mir entfernt war, war sofort aufgesprungen und war durch die gewaltige Tür des Speisesaals verschwunden. Aber nicht, ohne seine Meinung über dieses Thema, mit einem Knallen der Tür zu bekunden.

Während meine Mutter weiter auf vermeindlich vernünftige Argumente pochte, war Rikkon völlig außer sich, brüllte und schlug mit den Fäusten auf den Tisch. Es schien ihm schwerzufallen, sich seine kleine Schwester, als unterwürfige Ehefrau vorzustellen, die in ihrer Hochzeitsnacht von einem Fremden bestiegen würde.

Ich bekam eine Gänsehaut, wenn ich daran dachte, wie mich dieser Mann anfassen würde. Aber dies wäre vermutlich kaum ein Unterschied zu meinem jetzigen Leben. Ich besaß kaum irgendeine Freiheit, sei es, um einen Schritt vor die Burg zu treten oder auch nur alleine umherzulaufen.

Seufzend öffnete ich die Augen und blickte hinab in den ausladenen Burghof. Der Schmied, dessen stetiges Hämmern beinahe den Rhythmus meines Herzens anführte, arbeitete an diesem Morgen wie immer in der Schmiede. Stahlbarren waren aufgereiht an der Häuserwand neben Sandsäcken und Holzscheiten, die der Schmiedelehrling in regelmäßigen Abständen in die Schmiede trug, um die beiden großen Öfen am Laufen zu halten.

Ich berührte das Buntglasfenster, als ich Rikkon durch den Burghof stapfen sah. Sein kurzes kastanienbraunes Haar war zerzaust, als hätte er sich am Morgen nicht die Haare gekämmt, allerdings verrieten mir die frisch gewachste Lederhose und das weiße Leinenhemd, dass er sehr wohl bereit für den hohen Besuch am heutigen Tage war.

»Wie ist sein Name?« Die Stimme hatte mir nicht einmal gezittert, als ich in einem monotonen Ton am gestrigen Abend nach dem Namen des Mannes gefragt hatte, den ich heiraten würde.

Sofort waren Jeffs und Rikkons aufgebrachte Stimmen verstummt und mir hatte die komplette Aufmerksamkeit gegolten. Meine Eltern hatten mich über den Tisch hinweg angesehen, aber ich hatte das Banner mit unserem Wappen angestarrt, das über dem gewaltigen Kamin des Speisesaals hing. Der dunkelrote Grund, auf dem der goldene Löwe prangte, hatte sich wie immer fremd und heimatlos angefühlt.

»Wir werden eine Allianz mit dem Königreich Woberok schmieden, indem wir dich mit dem Kronprinzen von Woberok verheiraten werden.«, hatte der König sachlich geantwortet.

»Wie ist sein Name?«, wiederholte ich meine Frage in einem eisigen Tonfall.

Stille antwortete mir, bleischwer und einige Minuten verstrichen, bis meine Mutter antwortete: »Kronprinz Regan aus dem Hause Woberok.«

Ich schwieg, nickte jediglich, bevor ich meinem Vater in die Augen blickte. »Ich bitte um Erlaubnis, aufzustehen. Ich habe heute keinen Appetit.« Noch bevor mein Vater mir die Erlaubnis erteilt hatte, war ich aufgesprungen und war aus dem Speisesaal geeilt.

Ich wusste noch, wie ich Abends im Bett gelegen hatte, die Beine unter der Bettdecke fest an meinen Torso geschlungen, die Arme an meine kleine Brust gepresst, wie ein Embryo im Leib seiner Mutter. Stundenlang hatte ich durch das Fenster auf den eisig blauen Vollmond gestarrt und den Namen des Prinzen geflüstert.

Königreich Woberok... mir lief ein Schauer über den Rücken. Als ich klein war, war es Sitte gewesen, den Kindern Schauermärchen von den woberokischen Barbaren zu erzählen, damit sie sich nicht allein in den Wald wagten und pünktlich von den Märkten oder vom Spielen heimkehrten. Die Woberoker waren nichts anderes, als bärtige Wilde, kaum zivilisierter als die Wilderer, von denen ich wusste, dass sie im hohen Norden in den Gebirgen leben sollten.

Und ich würde solch einen Wilden heiraten müssen. Ich würde mit ihm das Bett teilen, seine Kinder gebären...

Ich schnappte nach Luft und blickte erneut aus dem Fenster. Im Burghof stand nun auch Jeff und stritt sich lautstark mit Rikkon.

Seufzend wandte ich den Blick ab und betrachtete mein Zimmer. Zwei Dienerinnen waren stumm und beinahe lautlos dabei, den Waschzuber mit heißem Wasser zu füllen und diverse Öle ins Wasser zu kippen, die meine Haut rosig, gesund und duftend erscheinen lassen sollten.

Ich wusste, weshalb alle solch einen Aufwand betrieben. Heute würde der König Woberoks eintreffen und die letzten Verhandlungen mit meinem Vater führen, die letzten Urkunden und Papiere unterzeichnen und alle Vorbereitungen für meine Reise in den höchsten Norden treffen.

Während ich auf das dampfende Wasser starrte, dachte ich daran, wie es sein würde, jemandes Frau zu sein. Das, was ich von dem Prinzen des Nordens gehört hatte, war nicht gerade positiv gewesen. Er soll ein übermütiger Krieger sein, fast dreißig Jahre und sich benehmen, wie ein verwöhnter Bengel.

Mein ältester Bruder Harris, der bereits eine Frau hatte und mit ihr auf der Burg Koge lebte, hatte ihn vor einigen Jahren auf einem Schlachtfeld in der Nähe des Wildwaldes angetroffen. Der Prinz soll ziemlich überheblich damit geprahlt haben, dass er bereits Stunden zuvor mit den Wilderern fertig geworden war und Harris' Soldaten hier vollkommen überflüssig seien. Er hatte ihn als typischen Woberoker beschrieben, schwarzhaarig, groß und unglaublich eingebildet. Zudem sollte er eine gewöhnungsbedürftige Umgangssprache an den Tag gelegt haben, wie er von den Trosshuren in seinem Heerlager gesprochen hatte. Andererseits hatte Harris ihn auch für sein gnadenloses Geschick am Schwert gepriesen.

Und nun würde ich diesen Mann heiraten müssen, den Harris ganz und gar nicht schätzte.

Allerdings dürfte ihn die Botschaft, dass ich den woberokischen Prinzen heiraten würde, erst in zwei Wochen erreichen, je nachdem wie schnell der Bote war, den Rikkon entsandt hatte, in der Hoffnung, Harris würde die Meinung unserer Eltern ändern können. Leider war es zu spät, als dass es noch etwas bewirken könnte, denn nach den Verhandlungen der beiden Könige heute, wäre die Entscheidung gefällt. Ein Rückzieher würde einen Krieg anzetteln und diesen Preis wollte ich für meine Freiheit nicht bezahlen.

Für eine Freiheit, die ich ohnehin niemals hatte.

Als sich plötzlich die Tür zu meinen Gemächern öffnete und die Königin hereintrat, würdigte ich sie keines Blickes. Meine Mutter war schon immer mehr Königin, als Mutter gewesen, hatte sie doch immer alles getan, um meinem Vater zu gefallen. Sie war ruhig, gelassen, gehorsam, unterwürfig und gewillt, meinem Vater die größt mögliche Anzahl an Söhnen zu schenken, zu der sie biologisch in der Lage war. Auch ich sollte, laut Amme und Heilerin, ein gesunder Junge werden, bis das Schicksal ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.

Ich glaubte, dass sie sich immer erhofft hatte, niemals Töchter zu bekommen, um sich nicht großartig mit ihnen beschäftigen zu müssen. Meine Brüder hatte sie zu unserer Amme gegeben, der Erziehung Willen und die Ausbildung hatten sie von Vaters ersten Kommandanten erhalten, der jeden in der Kampfkunft mit Schwert und Bogen unterwiesen hatte. Aber um mich hatte sie sich immer mehr kümmern müssen, war dabei gewesen, wenn ich die altnordischen Sagen nach ihrer chronologischen Reihenfolge und all ihren Varianten aufsagen musste. Sie hatte mich oft beim Abendessen noch in den verschiedenen Sprachen und Dialekten des Nordens abgefragt, während ich am liebsten nur meine Ruhe gehabt hätte.

Und sie hatte mich mein Leben lang auf diesen Tag vorbereitet.

Auf den Moment, indem sie mich fortschicken würde, so, wie es damals ihre Familie getan hatte, damit sie nach Kartan kam und meinen Vater heiratete.

Manchmal verfluchte ich es, dass ich meiner Mutter so ähnlich sah und manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass ich ihr vom Wesen her ähnlicher war, als ich zugeben wollte. Sie war eine schöne Frau und klug und ruhig. Sie wirkte oftmals wie ein starker Wald, der selbst den größten Naturkatastrophen standhielt.

Heute trug meine Mutter das Haar wie so oft zu einem aufwändigen Knoten um den Kopf gebunden, sodass man das goldene Glänzen ihrer braunen Strähnen kaum erkennen konnte. Harris hatte einmal gesagt, dass sie, als er noch ein Kind gewesen war, das Haar oft offen getragen hatte, da der König es gerne gesehen hatte, als es noch die Zeit gegeben hatte, in der sie sich besser verstanden als jetzt. Ich kannte sie nur mit geschlossenem, hoch gestecktem Haar. Niemals hatte ich es auch nur einmal offen gesehen.

Ihre bitteren Gesichtszüge wurden auch heute von tiefen Falten geziert, die sie älter wirken ließen, als sie in Wirklichkeit war und ihre grünen Augen wirkten stumpf und leer, wie sie es nach einem verbrauchten, unglücklichen Leben nun einmal waren.

Sie trug ein langärmliges rotes Kleid mit goldenem Blumenmuster drauf gestickt und der Gürtel um ihre Taille zeigte den goldenen Löwen unseres Wappens. Wie immer hatte sie die Hände unter den ausladenen Trompetenärmeln gefaltet.

»Ich hatte erwartet, dass du längst gebadet und umgezogen bist.«, sagte sie und der strenge Unterton in ihrer Stimme bedeutete mir wieder einmal ihr Missfallen mir gegenüber.

Vielleicht hatte diese Ehe mit dem Prinzen von Woberok doch etwas Gutes. So würde ich endlich von hier fort kommen, um nicht länger in den waldgrünen Augen meiner Mutter zu sehen, dass ich eine einzige Enttäuschung für sie zu sein schien.

Sie wartete nicht darauf, dass mir eine passende Erwiderung einfiel, sondern blitzte die Zofen streng an und nickte zu mir herüber. »Kümmert euch gefälligst darum.«

Die Mädchen nickten hastig, kamen auf mich zu und baten mit stummen Blicken um Erlaubnis. Unmerklich nickte ich und ließ sie die Schnüre meines Morgengewandes öffnen. Es wäre mir in einer anderen Situation unangenehm gewesen, nackt vor meiner Mutter zu stehen, doch an diesem Morgen fühlte sich alles in mir taub an. Alles, was mich bisher ausgemacht hatte, schien mir mit einem Mal zu entgleiten, da mir ein Schicksal bevorstand, gegen das ich nicht viel ausrichten konnte.

Die eine Zofe legte meinen Morgenmantel und das Nachthemd über einen gepolsterten Stuhl, die andere half mir in den Zuber. Mit weichen Bürsten bearbeiteten sie meinen Rücken, meinen Rumpf, meine Beine. Mit feinen Feilen rubbelten sie meine Füße seidig weich, kürzten meine Fuß- und Fingernägel und rieben duftende Rosenöle in mein Haar. Irgendwann hob eine meinen Arm, um die winzigen Härchen an meinen Achseln zu entfernen, indem sie heißes Wachs darauf träufelten und abzogen. Die heiße, gereizte Haut die zurückblieb juckte, bevor sie kühlende Milch darauf gossen. Sie taten das Gleiche bei meinen Beinen und meinem Intimbereich, während meine Mutter kritisch zusah.

»Ich bin enttäuscht, dass du noch nicht fertig warst«, sagte sie, während eine Zofe mein nasses Haar mit einem Kamm und weiteren Ölen bearbeitete. »Du weißt, wie wichtig diese Verhandlungen für den König sind. Die Wildererbedrohung im Norden wird stärker und das Königreich Woberok als Verbündeten zu haben ist ein entscheidender Vorteil für die Zukunft unseres Landes. Solche Bündnisse werden nun einmal mit einer Heirat geschlossen«

»Dessen bin ich mir bewusst, Mutter.«, erwiderte ich, ohne sie anzusehen.

Eine Pause entstand, in der sie abwartete, vermutlich, ob ich noch mehr zu sagen hatte. Als nichts geschah, lief sie durch meine Gemächer, blieb an der Staffelei stehen und betrachtete das Bild, das ich begonnen hatte, zu zeichnen. Es sollte die Festung darstellen, basierend auf meinen Erinnerungen, da ich Kartan tatsächlich nur einmal von Außen zu Gesicht bekommen hatte. Es war vor drei Jahren gewesen, als Harris meine Mutter, Rikkon und mich nach Koge eingeladen hatte, um seiner Verlobung beizuwohnen. Vater hatte es nicht interessiert, da er noch immer wütend darüber war, dass sich Harris als Kronprinz von Kartan eine gewöhnliche, verarmte Adlige zur Frau genommen hatte und diese bereits ein Kind von ihm erwartete. Die Tatsache, dass Emelia von Koge einmal Königin würde, sobald Harris den Thron bestieg, schmeckte meinem traditionstreuen Vater nicht. Deshalb hatte er der weder der Verlobung, noch der Heirat der beiden beigewohnt.

Sie knetete ihre schlanken Finger, als würde sie innerlich mit sich ringen, die richtigen Worte suchen. »Ich weiß, dass du nicht glücklich darüber bist, einen Fremden zu heiraten.«, fuhr sie fort und zum ersten Mal hörte ich in ihrer Stimme so etwas, wie Mitgefühl.

Ich hielt in der Bewegung Inne, als mir gerade eine Zofe aus dem Zuber half. Eine Gänsehaut fuhr mir über den Körper, da die Temperatur im Zimmer nicht besonders hoch war, bis mir die zweite Zofe ein Handtuch um den Körper schlang.

»Ich war damals auch nicht glücklich, aus meiner Heimat fortgerissen zu werden, um die Frau eines Mannes zu werden, den ich nicht kannte.«, sagte sie und in ihren grünen Augen funkelte es, als würde sie mir ein Geheimnis anvertrauen, das sie seit Jahren gehütet hatte. »Mir ist bewusst, dass sich viele Geschichten darum ranken, wie es damals zu der Ehe zwischen dem König und mir kam. Irgendeine wird wahrscheinlich stimmen. Ich will dir nur sagen, dass du von meinem Blut bist. Du bist genauso stark wie ich und wirst dieses Leben meistern. Auch, wenn es hart wird, unfair und voller Leid. Du wirst es hinnehmen, wenn dein Mann sich zu anderen Frauen legt, wenn er in deiner Anwesenheit Schankdirnen begrapscht und vor anderen Männern damit prahlt. Du wirst stark sein und es akzeptieren, wenn er Bastarde zeugt, wenn er euren eigenen Kindern kaum Aufmerksamkeit schenkt.«

Als sie auf mich zukam und meine Wange mit ihrer Hand streichelte, glaubte ich, Tränen in ihren Augen wackeln zu sehen.

»Aber bei alldem, vergiss niemals, wer du bist. Du bist Prinzessin Akira aus dem Hause Kartan.« Ihre Hand verließ mein Gesicht, ehe sie sich wieder kühl und beherrscht den Zofen wittmete. »Macht sie fertig und geleitet sie anschließend in den Thronsaal. Der König Woberoks ist bald hier.«

Schwungvoll drehte sie sich um und verschwand durch die Eichentür, ließ mich mit den jungen Zofen verwirrt zurück. Die Mädchen erledigten ihre Aufgaben, während ich vollkommen verwirrt in der Mitte meiner Gemächer stand und mich fragte, was meine Mutter mir damit hatte sagen wollen.

Mein Haar wurde gekämmt und ordentlich hoch gesteckt, mit Haarnadeln befestigt und mit glänzendem Haaröl besprüht. Eine der Zofen half mir in ein dunkelgrünes Kleid, die andere band mir einen goldenen Gürtel um die schmale Taille, sodass ich eine Gänsehaut bekam. Es war seltsam voller Absicht, die Farben des Hauses Woberok zu tragen, um zu symbolisieren, dass ich schon beinahe eine Woberokin war, statt einer Kartanerin.

Mein Herz pochte nervös, als ich Hufdonnern im Innenhof hörte. Das musste der König sein...

Ich schüttelte die mittlerweile nervenden Zofen ab und ging zum Fenster. Im Burghof hatten sich allerlei Menschen versammelt, darunter die Berater des Königs, die den fremden Herrscher willkommen hießen. Die Männer Woberoks waren genauso, wie ich mir die Barbaren aus den unheimlichen Schauergeschichten meiner Kindheit vorgestellt hatte.

Bärtige Wilde, die auf riesigen Schlachtrössern ritten, ihre Kleidung bestand größtenteils aus Fell und Leder und ihre Waffen hingen an ihren Sätteln, dicke Äxte und Schilde mit dem Wappen des Hauses Woberok darauf.

Es fröstelte mich plötzlich, als der Mann, der an der Spitze geritten war, von dem riesigen Kaltblut herunter stieg und kurz einige Worte mit den Beratern meines Vaters wechselte. Dann verschwanden sie durch den Eingang in die Feste. Die restlichen woberokischen Soldaten blieben im Innenhof zurück, sahen sich ausgiebig in dem großen Burghof, in dem die Menschen rege arbeiteten, um. Dennoch hielten sie die Augen offen und auch unsere Soldaten waren auf der Hut.

Woberok war noch immer ein fremdes Königreich und hatte sich im Krieg, der vor einundzwanzig Jahren gewütet hatte, besonders mit Kartan auseinandergesetzt. Niemand hatte die Opfer vergessen, die die Schlachten auf beiden Seiten gefordert hatten. Deshalb war ein Bündnis bis zu dem Entschluss der Könige undenkbar gewesen.

Schließlich geleiteten mich die Zofen nach draußen auf den Gang. Ich folgte den beiden Mädchen ruhig, mich meinem Schicksal stellend. Mit jedem Schritt, den ich auf dem ausgerollten, roten Teppich ging, schlug mein Herz schneller, meine Hände wurden feucht und mein Atem kam flach.

Die Wände der Festung wurden immer wieder von dem kartanischen Banner geziert, dem goldenen Löwen auf rotem Grund. Ich folgte jedem Einzelnen mit meinem Blick, während ich weiter geführt wurde, verinnerlichte noch einmal Mutters Worte.

Es war seltsam gewesen, wie sie mir gesagt hatte, dass ich stark bleiben sollte. Erwartete sie, dass ich dasselbe Schicksal erleiden würde, wie sie? Einen Mann zwangsweise heiraten müsste und ein Leben zu erwarten hatte, das keines war?

Ich blieb stehen.

Vor mir erstreckte sich die Kanzel, die einen Teil des gewaltigen Thronsaals übertrumpfte. Die Buntglasfenster zu allen Seiten ließen das Licht von außen herein spiegeln. Die hellen Steine, aus denen die Festung bestand waren glatt und glänzten im fahlen Licht des Tages, während sich die Abbildung der Feuergöttin Mara um die steinernde Säule am Ende des Thronsaals schmiegte. Ihr Gesicht war nach oben zur Decke hin gerichtet, als sähe sie dort ihren göttlichen Gefährten Amos, den Lichtbringer.

Schon von Kindesbeinen an kannte ich diesen gewaltigen Saal in und auswendig. Ich hatte zusammen mit Tristan Verstecken gespielt, während unsere älteren Brüder draußen trainiert hatten. Wir hatten uns auf die Throne unserer Eltern gesetzt und so getan, als wären wir Könige, doch heute würde ich diesen Saal als Fremde betreten.

»Ab hier kann ich alleine gehen.«, informierte ich die Zofen, die sich mit gesenkten Köpfen zurückzogen.

Ich atmete einmal tief durch und trat an die Treppe, die von der Kanzel, seitlich hinunter in den Saal führte. Meine zitternde Hand ergriff das steinernde Geländer, ehe ich einen Fuß vor den anderen setzte. Mein Blick war gesenkt, aber ich hatte die Stimmen meines Vaters und des Fremden bereits vernommen.

Als ich unten angekommen war und den schmalen Gang an der Wand entlang lief, verstummten die Stimmen und ich blickte auf.

Mein Vater stand neben seinem hoch herrschaftlichen Thron und konnte sich kaum auf seinen dünnen Beinen halten, die seinen großen Bauch tragen mussten. Ich hatte gehört, dass mein Vater durchaus einst ein attraktiver Mann gewesen war und jede Frau es sich hatte träumen lassen, sein Weib zu werden. Doch, nachdem er meine Mutter geheiratet hatte, sollte er auseinander gegangen sein, wie ein Hefekloß. Er hatte dem kämpferischen Leben eines Soldaten abgedankt und hatte sich eher um die Politik und die Herrschaft seines Königreiches gewittmet, ohne wirklich weit über die Mauern Kartans hinaus zu kommen. Heute war er ein alter, gebrochener Mann, dem es sichtlich schlecht ging. Immer, wenn er lang stand oder laufen musste, schwitzte er, was er versuchte mit dem Abtupfen seines Gesichts mit einem dünnen Stofftuch, zu verbergen. Sein enormes Übergewicht machte ihm zu schaffen. Zudem verließ ihn nicht nur die Gesundheit, sondern auch sein Haar.

»Das ist die junge Dame, nehme ich an?«

Die fremde Stimme erregte meine Aufmerksamkeit und meine Beine gaben den Befehl zu stoppen. Mein Blick glitt über eine kräftige, muskulöse Statur, eingehüllt in einen Kriegsharnisch aus Leder und Fellen. Metallriemen hielten die schwere Rüstung an Ort und Stelle und der lange, dunkelbraune Umhang verlieh dem Mann etwas Düsteres. Im Gegensatz zu meinem Vater war dieser Mann kräftig und strotzte nur so vor Gesundheit. Das schwarze Haar verriet mir, dass er ein Woberoker war. Wie es in den Ahnenbüchern der Gelehrten stand, die ich stundenlang studieren musste, sah dieser Mann auch aus.

›Die Männer Woberoks, schwarzhaarig, stattlich und von seltsamer Anmut erhaben.‹

Das traf in jedem Fall auf ihn zu. Und, obwohl er sicher noch ein Stück älter war, als mein Vater, schien er in sehr guter, körperlicher Verfassung zu sein.

»Kommt näher, Kind.«, wies mich mein Vater mit atemloser Stimme an, ehe er sich auf seinen Thron sinken ließ.

Meine Mutter, die neben ihm gestanden hatte, würdigte ihn keines Blickes. Ihr Gesicht war eine kühle, beherrschte Maske, wie eh und je.

Endlich schaffte ich es, meinen Füßen den Befehl zum Weitergehen zu geben und kam auf meine Eltern zu. Ich blieb vor dem König von Woberok stehen, der eine buschige Augenbraue gehoben hatte. Beinahe ängstlich starrte ich ihn an, merkte kaum, wie ich zitterte.

Früher hatte mich Mutter gewarnt, auch nur zu nahe an den großen Fluss zu treten, der unsere Königreiche voneinander abspaltete, wenn ich mit meinen Brüdern in den Wäldern umhergetollt war. Nun stand einer von ihnen direkt vor mir und starrte mich ungeniert an. Zu gerne hätte ich mein Haar geöffnet, um meinen Körper darin einzuhüllen, doch ich war diesem Mann vollkommen ausgeliefert.

Sein Blick wanderte herunter und ich hielt den Atem an.

»Sie ist etwas dürr«, sagte er mit tiefer Stimme und machte einen Schritt zur Seite, wanderte um mich herum. »Naja, sobald mein Sohn ihr ein Balg in den Bauch gespritzt hat, wird sich das hoffentlich von selbst erledigen. Schließlich sollte eine Frau des Nordens ordentliche Titten haben!«

Ich war vollkommen zu Eis erstarrt. Mein Instinkt, der mich nie im Stich ließ, sagte mir, dass ich laufen sollte. Fliehen vor diesem Mann, vor seinem Sohn, vor diesem Leben! Aber ich zwang mich auf diesem Fleck stehen zu bleiben, die Angsttränen aus meinen Augen zu blinzeln und ansatzweise ruhig durch den Mund zu atmen.

Meine Mutter räusperte sich. »Wie dem auch sei... seid Ihr mit der Vereinbarung einverstanden?«

Der König umrundete mich und blieb stehen, ohne mich auch nur noch einen Funken weiter zu beachten. »Ich denke, dass diese Heirat ein guter Start für ein Bündnis sein wird. Gebt mir die Papiere und ich unterzeichne sie im Namen meines Sohnes. Die Hochzeit wird wie geplant zur Wintersonnenwende stattfinden.«

Die Königin schenkte ihm ein kühles Lächeln. »Das freut uns sehr.«

 

Stunden vergingen, in denen mein Vater die Begeisterung für Weine und gutes Essen mit dem König Woberoks im Speisesaal teilte, nachdem alle die Papiere, Urkunden und Verlobungsverträge unterzeichnet hatten. Inklusive mir, da ich vor Ort gewesen war. Der Prinz hatte sie jediglich nicht unterschrieben, weil er im Moment nicht auf der Festung Woberok verweilte, sondern einen Trupp gen Norden in die Wildererberge führte, um ihnen Einhalt zu gebieten.

Ein kleines, gemeines Stimmchen in meinem Innern wollte, dass er nicht zurückkehrte. Im selben Moment schämte ich mich für diese Gedanken, da ich wusste, dass man niemandem den Tod wünschen sollte. So, wie ich es herausgehört hatte, wusste der Kronprinz noch nicht einmal etwas von seinem Glück.

Nun stand fest, dass ich heiraten würde. Schwarz auf Weiß mit kartanischer Tinte auf woberokischem Papier geschrieben. Nichts würde diese Verlobung noch rückgängig machen können, nicht einmal Rikkons schnellster Bote, der Harris in einigen Tagen erreichen würde.

»Ein Karren kommt in wenigen Tagen und nimmt Euch mit nach Woberok«, hatte der König noch gesagt. »Habt keine Furcht vor Wilderern oder Banditen, ich habe meine besten Männer zu Eurem Geleiht geschickt.«

Es waren die ersten und einzigen Worte, die er in der gesamten Verhandlung an mich gerichtet hatte. Die restlichen Stunden hatte ich daneben gestanden, geschwiegen und den Männern beim Schwatzen zugehört, während meine Mutter genau dasselbe getan hatte.

Dann waren sie in den Speisesaal gegangen, um noch etwas zu sich zu nehmen, bis der König am Abend abreisen würde. Meine Mutter hatte mich am Arm genommen und mich weggeführt. Wir erklommen die Treppe zur Kanzel und bogen in den Gang ein, der zu meinen Gemächern führte. Dort öffnete sie die Tür und schob mich hinein.

»Ich bin stolz auf dich«, sagte sie leise, bevor sie sich wieder umwandte, die Tür schloss und mich alleine ließ.

 

Kapitel 2

 

Zwei Tage später

 

Zwei Tage, nachdem der König Woberoks abgereist war, traf der versprochene Karren ein. Er wurde von zwei großen, nordischen Kaltblütern gezogen, dessen Brustgeschirr erneut den Raben zeigte, dessen Wappen nun meines sein würde. Zwei kräftige Männer führten die Pferde samt Karren in den ausladenden Burghof und stiegen ab. Hinter ihnen kam ein ganzer Trupp woberokischer Soldaten zum Vorschein, die den Karren bis hierher flankiert hatten.

Die Männer wurden von unseren Soldaten, Beratern und der Königin begrüßt und mit ausreichend Lebensmitteln, Waffen und anderen Gütern versorgt. Ihnen wurden Getränke gebracht und sie wurden von Außenstehenden befragt, wie das Leben im hohen Norden so sei. Die Kartaner hier hatten noch nie einen woberokischen Soldaten gesehen und deshalb waren sie ausgesprochen neugierig.

Meine Finger umklammerten das Fensterbrett, wollten es gar nicht loslassen, während ich aus dem Fenster blickte und hinter mir die Diener hörte, welche das Gepäck in den Burghof schleppten. Die letzten zwei Tage, seitdem König Ragnar von Woberok abgezogen war, hatten die Dienerinnen und Diener nichts anderes getan, als die Sachen zusammen zu räumen, die ich mit nach Woberok nehmen würde. Darunter tausende kartanische Kleider, Nachthemden, Spiegel, Schminke, teure Parfüms, Bettwäsche und, was eine Prinzessin noch so alles besaß.

Ich biss mir auf die Unterlippe, riss meinen Blick von dem Karren los, der immer mehr beladen wurde und wandte mich zu meinem beinahe leer geräumten Gemächern. Die letzten Zwei Koffer hatte sich ein kräftiger Diener unter die Arme geklemmt und verschwand aus den geöffneten Flügeltüren. Nun stand ich alleine, einsam und vollkommen verloren in dem riesigen Raum, ließ den Blick über das nackte Bett gleiten, über den leeren, geöffneten Kleiderschrank, den Schminkschrank mit dem gewaltigen Spiegel.

Meine Finger fuhren die nackten Möbel entlang, bis ich zu der Staffelei kam, über der ein dünnes Leinentuch hing. Ich griff danach, fühlte den Stoff und zog es herunter. Mein unfertiges Gemälde präsentierte sich mir in den leuchtensten Farben, ein strahlend blauer Himmel, die weiße Festung mit den wehenden blutroten Bannern Kartans.

Ich verzog nachdenklich den Mund, dann schlug ich das Tuch wieder über die Leinwand und hob es vom Gestell herunter.

In dem Moment traf ein Diener ein, der irritiert stehen blieb, als er bemerkte, dass es kein Gepäck mehr gab, das er herunter tragen konnte. Er wollte sich schon abwenden, als ich ihn aufhielt.

»Warte«, sagte ich leise. »Trage das bitte herunter und lade es auf den Karren. Aber sei vorsichtig... ich möchte es mitnehmen.«

»Wie Ihr befehlt, Majestät«, sagte er und nahm mir das Bild ab, verschwand aus der Tür.

Ich machte mich daran, alle kleinen Töpfchen mit meinen Ölfarben in eine kleine Kiste zu stellen, die Pinsel dazu zu legen und sie selbstständig herunter zu tragen. An der Tür hielt mich meine Mutter auf.

Sie blieb stehen, als sei sie verwundert, was ich in Woberok mit den Farben wollte, sagte aber nichts dazu, sondern nahm mir die Kiste ab und übergab sie einem Diener. Anschließend hakte sie sich bei mir unter und führte mich zurück in den Raum. Zusammen ließen wir uns auf der kleinen Bank vor meinem abgeräumten Bett nieder.

Eine Weile lang sagte niemand etwas und ich fragte mich schon, ob sie wieder einmal enttäuscht von mir war. Seit ich laufen konnte, hatte ich den Unmut über mein Verhalten in ihrem Gesicht ablesen können. Ich hatte es immer für Enttäuschung, Abneigung und Desinteresse gehalten, doch seit sie mir vor zwei Tagen gesagt hatte, dass ich stark sein sollte, glaubte ich, dass meine Mutter mich auf irgendeine Weise doch liebte. Wenn es auch nicht die Art und Weise war, wie sie meine Brüder geliebt hatte. Vermutlich hatte es daran gelegen, dass unser Vater damals noch einigermaßen zu ertragen gewesen war.

»Bevor du abreist, wollte ich dir etwas geben.«, murmelte sie schließlich und nahm meine Hände in ihre, ihr Daumen rieb über meinen Handrücken. »Ich weiß, dass ich nicht immer eine gute Mutter gewesen bin, Kira. In den letzten Jahren... seit ich von Zuhause fort bin, habe ich viel mit mir selbst zu kämpfen gehabt, habe mich in Selbstmitleid gesuhlt und habe an mich gedacht, als es darum ging, für euch da zu sein. Harris ist erwachsen und er kennt mich von euch allen am meisten und längsten. Für ihn war es schwer, mit anzusehen, wie ich mich veränderte, aber du kennst mich nicht anders.«

Ich hörte ihr zu, starrte in ihr trauriges, beinahe verzweifeltes Gesicht. Die Tatsache, dass sie mir so offen ihr Herz ausschüttete, entsetzte und freute mich zugleich... zuvor hatte sie mich nie bei meinem Spitznamen genannt, den meine Brüder ausschließlich verwendeten. Ich hasste die offizielle Anrede ›Akira‹.

»Ich habe Euch immer ins Gesicht gesehen und mich gefragt, warum Ihr mich hasst.«, flüsterte ich.

»Oh, ich hasse dich nicht, mein Kind!«, sagte sie mit gebrochener Stimme, berührte mein Gesicht und drehte es zu sich. »Ich habe dich geliebt. Immer! Aber ich war zu verzweifelt, um es dir zu zeigen und ich hasse mich dafür, dass ich eine so schreckliche Mutter war... ich will nicht, dass es dir genauso geht, wenn du heiratest.«

Ich schüttelte den Kopf. »Und, wenn es so wäre?«

Sie seufzte. »Weißt du, die wichtigsten Personen in unserer Welt sind nicht die Männer, auch, wenn sie es sich gerne einreden. Es sind deren Ehefrauen. Wir haben viel zu ertragen, viel zu dulden... ich weiß noch, als ich an dieser Stelle gestanden habe, an der du stehst. Meine eigene Mutter ertrug es nicht, mich fortgehen zu sehen und bis zu ihrem Tod habe ich sie nie wieder gesehen. Sie verabschiedete sich nicht, als die Kutsche kam, die mich nach Kartan brachte. Und ich weiß noch, als dein Vater und ich das erste Mal beieinander gelegen haben.«

»Wie war es?« Die Angst ergriff Besitz von meinem Herzen. Wie mochte es gewesen sein, einem Mann zu Willen zu sein, obwohl man sich fürchtete und es nicht wollte? Ich hatte bisher nur Geschichten von den Ammen gehört. Dass es wehtat, schrecklich wehtat. Dass es eine Strafe der Götter für die sündhafte Schönheit der Frau sei, ein Preis, den wir zu bezahlen hatten.

Plötzlich schlich sich ein winziges Lächeln auf ihre Lippen, das ihre Augen erreichte, die feucht glänzten. Ich konnte sie nur anstarren.

»Es war das Unglaublichste, was ich jemals erlebt habe.«, sagte sie leise. »Jede Frau im Königreich wollte ihn heiraten, jede wünschte es sich, seine Kinder auszutragen und ich war diejenige, die ich haben durfte. Er war ein Gott von einem Mann.«

Ich runzelte die Stirn.

»Ich weiß, was du denkst, aber dein Vater war nicht immer so. Er war stattlich damals, muskulös und durchtrainiert von den Jahren als Krieger und Soldat. Sein Haar war so braun, wie die Schale einer Kastanie und die Augen so stahlgrau, wie es nur ein dunkler Gewitterhimmel sein konnte. Abends, wenn wir im Bett lagen, sagte ich ihm immer, dass ich mich zuerst in seinen Augen verloren hatte, dann erst in ihm.«

Meine Gedanken wirbelten. Das alles konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Die Geschichten, die ich von der Ehe meiner Eltern gehört hatte, waren allesamt ganz anders gewesen. Ich hatte gehört, dass meine Mutter aus ihrer Heimat fortgerissen worden war, nach Kartan gehen musste und meinen Vater zwangsweise heiratete. Details, wie, dass mein Vater, meine Mutter geschlagen und vergewaltigt haben sollte und sie mich deshalb hasste, waren nicht gerade sparsam in die Geschichten mit eingeflossen. Oftmals hatte ich Harris gefragt, was davon wahr war, aber er hatte all die Jahre über eisernes Schweigen walten lassen, als wäre die Wahrheit zu grausam, um sie zu offenbaren.

»Was ist passiert?« Diese Frage konnte ich nicht zurückhalten.

Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Der Krieg veränderte ihn, wie so viele Menschen. Der Verlust seiner Eltern war auch nicht einfach zu verkraften... ich denke, dass er sich schon vor langer Zeit aufgegeben und von mir abgewendet hat. Ich erzähle dir irgendwann davon. Aber nicht heute.« Ihre Finger ließen meine los und griffen um ihren Hals. Sie löste den Verschluss ihrer Halskette, die sie trug, seit ich denken konnte.

Es war ein silberner Anhänger von einer seltsamen Form, die beinahe an züngelnde Flammen erinnerte. In der Mitte der Flammen befand sich ein Zeichen, das beinahe wie die heiknischen Schriftzeichen der Wilderer aussah, die ich einmal in einem Buch in der Bibliothek der Festung gesehen hatte. Befestigt war der Anhänger an einer dünnen Silberkette.

Sanft legte sie mir die Halskette um und schloss sie in meinem Nacken. »Ich habe sie von meiner Mutter, als ich noch ein Mädchen war. Und jetzt will ich, dass du sie hast.«

»Was bedeutet sie?«, fragte ich erstaunt, berührte den Anhänger mit meinen Fingern.

»Das Zeichen für Feuer.« Sie sah mich bedeutungsvoll an, dann lächelte sie leicht. »Ich habe diese Kette mein Leben lang und weiß beinahe nichts über sie. Vielleicht findest du mehr darüber heraus.«

Ich wollte noch etwas sagen, aber in diesem Augenblick platzte mein Vater mitsamt seinen Beratern in meine Gemächer. Wie eine Schar Hühner folgten sie ihm, als er herein gewatschelt kam und stehen blieb, völlig außer Atem. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß und meine Mutter ließ augenblicklich meine Hand los, wandte den Blick ab.

Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe.

»Wie ich sehe, seid Ihr abreisefertig.«, schnaufte der König.

Ich suchte den Blick meiner Mutter, aber sie hatte beschlossen, mich vorsätzlich zu ignorieren, als hätten wir gerade eben nicht vollkommen offen miteinander gesprochen. Nur, weil mein Vater hinein gekommen war, schien sie nun in ihre alten Verhaltensmuster zu fallen. Ich verstand es einfach nicht!

Tief durchatmend erhob ich mich von der Bank und wandte den Blick zu meinem Vater. »Allerdings.«, erwiderte ich kühl. »Lasst uns keine Zeit mehr verlieren.« Ich stapfte an ihm vorbei auf den Gang, achtete nicht darauf, ob mir jemand folgte und lief den Gang entlang zu einer Seitentreppe, die in den Burghof führte.

Als ich den Schritt in den Burghof ausführte, waren alle Blicke auf mich gerichtet. Soldaten Kartans und Woberoks starrten mich an, Diener und Dienerinnen beobachteten mich, der Schmied, der mich jeden Morgen mit dem Klang seines Hammers geweckt hatte, unterbrach die Arbeit.

In meinem Innern herrschte Chaos, aber ich riss mich zusammen und bewahrte Haltung. Meine Mutter hatte mir gesagt, dass ich stark sein sollte und ich würde diesen Moment niemals vergessen. Es war das erste Mal, dass sie mir ein winziges Bisschen Interesse gewittmet hatte. Ich würde beweisen, dass ich stark war.

Am Rande des Karrens standen meine Brüder Tristan, Rikkon und Jeff. Wie immer hatte sich Jeff halb abgewandt und schenkte mir wenig Beachtung, aber das war ich von ihm gewohnt. Er war noch nie der große Bruder gewesen, der sich besonders um mich gekümmert hatte und das beruhte merkwürdiger Weise auf Gegenseitigkeit.

Zuerst kam Rikkon auf mich zu, griff nach meinem Gesicht und lehnte die Stirn an meine. Alle meine Vorsätze stark zu wirken, verblassten und ich atmete zitterig ein. Meine Finger schlossen sich um seine Handgelenke, drückte seine Haut. Er löste eine Hand, griff um meine Taille und presste mich an seinen Körper.

»Vergiss niemals, wer du bist.«, flüsterte er in mein Haar.

Ich hob den Kopf und blickte ihn an.

Zu gut erinnerte ich mich an die Tage, an denen er mich mit zur Jagd in den Wald genommen hatte, mir gezeigt hatte, wie man ein ordentliches Feuer machte, wie man sich etwas zu Essen besorgte, wie man die Himmelsrichtungen anhand des Waldes erkennen konnte, wo die Sonne seinen Aufgang und seinen Untergang erlebte. Er war derjenige, der mir gezeigt hatte, dass ich mehr sein konnte, als eine Prinzessin.

»Du hast mich gelehrt, eine Jägerin zu sein.«, flüsterte ich und lächelte ihn leicht an.

Rikkon blickte zurück und ein Grübchen bohrte sich in seine Wange. »Und eine Kriegerin... ich wünschte, Harris hätte es unseren Eltern ausreden können.«

Ich seufzte, berührte seine Wange mit einer Hand und spürte seinen leichten Bartschatten. »Ich bin seltsamerweise erleichtert.«

Er runzelte die Stirn.

Die Schultern zuckend wandte ich mich um, um mich von meinen restlichen Brüdern zu verabschieden. Er würde nicht verstehen, dass ich es als eine Art Befreiung ansah, endlich von hier weg zu kommen und wenigstens einen Teil der Welt sehen zu dürfen, bis ich in das nächste Gefängnis... in den nächsten Käfig kam.

Ich trat zu Tristan, der eine Hand an meine Wange legte und mir einen eingewickelten Gegenstand gab. Meine Hand schloss sich darum. Unter dem dicken Leinenstoff war es hart und unnachgiebig. Verwirrt runzelte ich die Stirn und blickte ihn fragend an.

Er lächelte wehleidig. »Wenn dieser Kerl dich gegen deinen Willen anfasst, benutze es so, wie du es gelernt hast.«

»Hast du ihr etwa eine Waffe gegeben?«, flüsterte Jeff von der Seite.

Tristan funkelte unseren älteren Bruder an. »Wenn es nach dir ginge, wäre sie wahrscheinlich längst eine woberokische Hure. Das ist zu ihrem Schutz!«

Jeff wollte zum Protest ansetzen, aber ich unterbrach die beiden. »Danke, Tristan... ich werde es nur im Notfall benutzen.«

Tristan nickte, küsste mich auf die Wange und seufzte. »Ab jetzt wird sich vieles verändern. Ich habe dich noch lange nicht als Ehefrau gesehen. Vor allem nicht eines Mannes, der elf Jahre älter ist, als ich selbst.«

Ich zuckte die Schultern. »Ich hatte mir auch vieles anders vorgestellt.«, murmelte ich und trat zu Jeff, um mich zu verabschieden.

Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blinzelte zu mir herunter, als ich vor ihm stand. Das Verhältnis war wie gewohnt kühl, als wäre er ein Fremder und nicht mein Bruder. Die Stirn gerunzelt, seufzte er.

»Wenn wir dich zur Hochzeit sehen, wirst du eine Woberokin sein...« Seine Stimme war wie immer beherrscht.

Seine Kühle überraschte mich nicht. Er war noch nie derjenige, der besonders viele Gefühle gezeigt hatte.

Dementsprechend blickte ich ihn ruhig an. »Ich werde die Frau eines Woberokers sein, ich jedoch werde immer eine Kartanerin bleiben. Eine Tochter des Löwen.«

Ohne ihm noch einen weiteren Blick zuzuwerfen ging ich an ihm vorbei zu dem Karren.

Dort stand bereits eine junge Frau, die keine Kartanerin war, sondern eine woberokische Zofe. In den Fingern hielt sie die Zügel eines fuchsroten Kaltblüters, dessen Nüstern sich blähten, als ich näher kam. Entschlossen packte ich das Sattelhorn und zog mich hoch. Als ich drohte, abzurutschen, packte eine kräftige Hand meinen Knöchel und schob mich hoch. Ich kam zum Sitzen und sah auf Rikkon hinunter, der mir zunickte.

Ich nickte zurück, wusste, dass er mich nun gehen lassen würde, mich meinen eigenen Weg bestreiten ließ.

Mein Blick wanderte durch den Burghof, mein Vater stand atemlos am Eingang in die Feste, neben ihm meine Mutter. Ihr Gesicht war beherrscht, aber ihre Augen schienen mir eine stumme Botschaft senden zu wollen. Ich reckte das Kinn, sagte ihr lautlos, dass ich ihre Worte beherzigen würde. Kein woberokischer Prinz würde mich unterwerfen und mit mir umgehen, wie mein Vater mit meiner Mutter umgegangen war, was auch immer zwischen ihnen auch passiert sein mochte. Ich hatte nicht nur Tristans Geschenk, dass mir helfen würde.

Die Anspannung der letzten Tage schien wie von selbst abzufallen und ich spürte, wie mein Temperament und mein Selbstvertrauen zurückkehrte. Es lag eine Zukunft vor mir, die ich zwar nicht verändern konnte, aber ich bestimmte, wer ich war. Ich würde nicht zulassen, dass dieser Mann etwas tat, was ich nicht wollte.

Ich warf jedem einen letzten Blick zu, bevor ich das Pferd wendete und den woberokischen Soldaten durch das geöffnete Burgtor folgte. Mit jedem Schritt des Pferdes schien die Anspannung weiter abzufallen. Hinter uns ratterte der Karren mit meinem Gepäck her, vor mir, neben mir und hinter mir wurde ich flankiert von Woberokern, die sowohl Proviant, als auch Waffen und Rüstungen trugen. Ihre schweren Pferde trugen auf ihren Rücken nicht nur die Soldaten, sondern auch Satteltaschen aus dunklem Leder, die großen Rundschilde mit dem Wappen Woberoks.

In dem riesigen Trupp verließ ich zum ersten Mal seit einem Jahr Kartan.

In diesem Moment genoss ich einfach nur den Wind in meinem Haar und das bisschen Freiheit, das mir dieser Heiratsvertrag einbrachte.

 

Die Stunden vergingen und wir passierten die Gehöfte, Farmen, Bauernsiedlungen rund um der Festung, folgten der gepflasterten Hauptstraße bis aus ihr ein ebener Trampelpfad wurde. Die Sonne schenkte uns Licht und Wärme, während ich die Umgebung bestaunte. Es war unglaublich, wie vielfältig die Welt war und wie wenig ich sie doch kannte. Ich war nie so weit von Kartan entfernt gewesen, wie in diesem Moment. Ich hatte die nördlichen Wälder gesehen, aber davon auch immer nur einen Bruchteil, wenn Rikkon mich zu Pferde mit auf die Jagd genommen hatte. Mutter und Vater hatten ihm verboten, mich zu weit mitzunehmen.

All die Ebenen, die sich vor mir bis zum Horizont erstreckten, die Wälder mit seinen Nadel- und Laubbäumen, die Blumen, Felsen, Steine, Vögel... es war so fremd und wunderbar.

Ich streckte mein Gesicht in den Wind, roch den Duft von Wildblumen und Bachwasser.

Während wir den Pfad entlang ritten, hinter uns am Horizont funkelte Kartan in der Ferne, beobachtete, wie die Bauern ihre Felder bestellten und für den Winter tauglich machten. Kinder scheuchten Hühner umher, tollten mit Hunden und anderen Tierkindern umher. Ich hörte das Rufen der Bauern, wie sie sich Neuigkeiten mitteilten, betrachtete die Bauersfrauen, wie sie dicke Wäschekörbe über die Ebene trugen.

Ich fragte mich erstmals, wie es wäre, wenn ich als gewöhnliches Mädchen geboren worden wäre. Hätte ich da längst einen Mann? Hätte ich Kinder? Oder wäre ich freier, als ich es mir auch nur vorstellen konnte?

Rasch verdrängte ich die Gedanken daran, umklammerte die Zügel fester und ließ erstmals den Blick über meine Eskorte schweifen. Sie bestand aus mehreren jungen woberokischen Soldaten, die allesamt auf kräftigen nordischen Kriegsrössern saßen. Sie alle schienen hervorragende Reiter zu sein, so, wie sie mit diesen Höllenviechern umgingen, denn es war durchaus vorgekommen, dass während des Ritts eines der Pferde nach seinem Reiter geschnappt hatte. Drei Soldaten besaßen braunes Haar, von zweien reichte es bis auf die Schultern, der dritte hatte kurzes, das unter seinem nordischen Eisenhelm kaum zu sehen war. Vier weitere waren blond, einer davon hatte so helles, dass es beinahe wie ein Sternenschweif in der Sonne glänzte. Und der Anführer hatte sogar rotes...

Ich dachte darüber nach, was für eine Haarfarbe der Kronprinz von Woberok hatte. ›Das Haar so schwarz, wie die Flügel eines Raben und Augen so eisblau, wie der Norden selbst.‹

Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe. Würde ich in der Hochzeitsnacht meine Finger darin vergraben? War es lang oder kurz? Hatte er einen Vollbart? Hoffentlich nicht...

Ich schüttelte mich innerlich. Darüber wollte ich nicht nachdenken, sodass ich den Gedanken verdrängte.

Die Stunden vergingen und Kartan verschwand hinter Bäumen und sanften Hügeln, die Höfe verschwanden und Wildnis umgab uns. Schließlich gab der Führer der Eskorte das Zeichen zum Halten.

Ich stoppte das Ungeheuer unter mir, indem ich mich zurücklehnte und wandte mich an den Anführer. »Weshalb machen wir Halt?«

Der Rothaarige hob eine Augenbraue. »Die Männer brauchen eine Pause, Prinzessin. Der König wird es Euch wohl kaum gesagt haben, aber wir sind Tag und Nacht durchgeritten, bis wir nach Kartan kamen. Wir werden hier nächtigen und Morgenfrüh weiterreiten. Oder habt Ihr es besonders eilig, nach Woberok zu kommen und den Prinzen zu ehelichen?«

Für einen Moment starrte ich ihn nur an und mir lag bereits auf der Zunge, ihn zu fragen, ob er gegenüber einer Prinzessin nicht wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Aber ich hielt den Mund, schluckte meinen Ärger hinunter, um keinen Streit zu provozieren. Es machte sich sicher nicht gut, sich gleich am ersten Tag, mit einem woberokischen Befehlshaber anzulegen. Und wir hatten noch viele Wochen zu reiten, bis wir die nordische Festung erreichen würden.

Ich presste die Lippen aufeinander, verlagerte das Gewicht und führte den Hengst um das Ross des Führers herum auf eine Baumreihe zu. Erde scharrte unter seinen Hufen und ich stieg geübt von seinem Rücken herunter, band ihn an einem umgestürzten Baumstamm fest, tätschelte seine starke Schulter.

Die Soldaten tuschelten hinter meinem Rücken, aber das ignorierte ich und schweifte ein wenig umher. Ich hörte, wie sie die Pferde anbanden und anfingen, ein Lager für den Abend zu errichten, während die drei Zofen, die mit ihnen gekommen waren, vermutlich zu meiner Versorgung, sich an die Bereitung des Abendessens machten. Sie setzten sich in der Nähe auf drei Hocker und begannen drei wilde Enten zu rupfen.

Ich sah ihnen fünf Minuten dabei zu, dachte mir, dass das doch nicht alles sein konnte. Das Abendessen in Kartan, sei es auch nur für uns sechs, meine Mutter, mein Vater und meine Brüder gewesen, hatte den Tisch im Speisesaal soweit gefüllt, dass man kaum noch sein Besteck hatte ablegen können. Wie sollten davon dann beinahe zwanzig Personen satt werden?

Müde blinzelnd rieb ich mir über die Oberarme, sah dabei zu, wie einige jüngere Soldaten von den älteren dazu verdonnert wurden, Feuerholz sammeln zu gehen. Ich fuhr zusammen, als es im Wald heulte.

»Habt Ihr Angst?«

Ich fuhr erschrocken herum.

Vor mir stand ein älterer Soldat mit dunklem Haar, das an den Seiten seines Schädels bereits ergraute und durch den dichten Bart zogen sich bereits silberne Fäden. Eine Narbe an seiner Stirn, teilte sein Haar und ließ nichts mehr nach wachsen, und goldene Raubvogelaugen musterten mich neugierig. Für sein Alter schien er noch sehr agil zu sein. Beinahe so wie der König Woberoks selbst.

Ich fragte mich, ob alle Woberoker in diesem Alter noch den Dienst mit der Waffe quittierten.

»Nein, ich... habe nur noch nie einen einzelnen Wolf heulen hören.«, sagte ich rasch.

Er hob eine graue Augenbraue. »Ich verstehe. Ich nehme an, dass es ein Omega ist, der von seinem Rudel getrennt wurde.«

Ich nickte nachdenklich und starrte in Richtung der Bäume, in dessen Gestrüpp gerade zwei junge Soldaten eintauchten, um Holz für ein Feuer zu holen.

»Nehmt das, Prinzessin.«, sagte der Mann und hielt mir ein dunkelgrünes Schultertuch hin.

Ich fragte nicht, woher er wusste, dass ich fror - vermutlich sah man das auch daran, dass ich zitterte wie Espenlaub - und nahm das Schultertuch dankbar an. Der leicht grobe Stoff des Tuches kratzte etwas auf meiner empfindsamen Haut, aber ich beschwerte mich nicht. Ich war nur dankbar, dass mir jemand etwas Aufmerksamkeit schenkte. Ansonsten schien ich ja eine gewaltige Belastung zu sein.

»Ich danke Euch. Wie ist Euer Name?«

»Talmar Venar, Prinzessin.«, erwiderte er und legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes, das an seiner Seite in einer verzierten Scheide steckte. »Meine Familie dient dem Hause Woberok schon seit neun Generationen.«

»Kennt Ihr den König gut?«

»Ich bin mit ihm aufgewachsen. Wir trainierten zusammen, lernten und waren mehr als einmal Kontrahenten. Außerdem habe ich seinem Sohn den Schwertkampf gelehrt.«

Ich wurde hellhörig und wandte mich ihm mehr zu. »Dann kennt Ihr auch den Prinzen?«

»Euren Verlobten?«

»Ja... meinen Verlobten«, wiederholte ich leise.

»Gewiss, Prinzessin. Ich habe den kleinen Knirps aufwachsen sehen, wie er vom Burschen zum Mann wurde.«, erwiderte er und lächelte mich leicht an. »Ihr habt Zweifel.«

»Ist das so offentsichtlich?«

Er zuckte die Schultern. »Hunderte Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen haben es vor Euch auch getan. Jemand fremden geheiratet. Es passiert sicher hundert Mal an einem Tag und sie haben es auch geschafft.«

Ich runzelte die Stirn und dachte darüber nach. Sie hatten es getan und vielleicht auch geschafft, aber sie hatten ihre Freiheit dafür eingebüßt. Einen Menschen an sich zu binden für ein ganzes Leben, ohne ihn zu kennen, war etwas anderes, als jemanden zu heiraten, den man kannte.

Im selben Moment fragte ich mich, weshalb ich das mit einem woberokischen Soldaten besprach. Es ging ihn rein gar nichts an.

»Wie dem auch sei, habt Ihr nichts zu tun, als ein Schwätzchen zu halten?«

Er hob eine Augenbraue. »Ihr seid leicht zu durchschauen, Prinzessin. Ihr solltet lernen, Eure Gefühle im Zaum zu halten und Euch nichts anmerken zu lassen. Woberok ist gewiss anders, als Kartan. Die Frauen dort sind härter als jedes Feldbett und Ihr solltet Euch dort schnell einfinden. Ansonsten können Euch Männer wie Gerald dort drüben, leicht klein halten.«

Ich folgte seinem Fingerwink zu dem rothaarigen Soldaten mit dem Blick. Er saß auf einem Baumstamm und scherzte mit zwei Männern und pfiff nicht nur einmal anzüglich zu den drei Mägden hinüber. Ich verengte die Augen zu Schlitzen, wollte noch etwas zu Talmar sagen, aber er hatte sich bereits abgewandt und ging zu seinem grauen Wallach hinüber, um die Deckenrolle von seinem Rücken zu lösen.

Der restliche Abend verlief ansonsten relativ ruhig. Zwei junge Burschen hatten ein kleines grünes Zelt für mich aufgebaut, in dem ein kleiner Tisch und ein Feldbett Platz fanden, auf dem ich schlafen konnte. Die anderen Männer hatten sich auf die Deckenrollen gelegt, um zu schlafen und zwei hielten Wache. Die Enten waren ein magerer Happen, aber wenigstens füllte das Brot meinen Magen, sodass ich einigermaßen beruhigt schlafen gehen konnte. Dennoch hielt mich der einsame Wolf, dessen Heulen über das Land fegte, noch eine ganze Weile wach.

Kapitel 3

 

 

 

Am nächsten Morgen wurde ich von einer Magd geweckt. Ihr hellblondes Haar hatte sie locker zurückgesteckt und einige lose Strähnen fielen in ihr hübsches, leicht rundliches Gesicht. Ihre graubraunen Augen blickten mich beinahe ehrfürchtig an, was ich anhand meines zerzausten Haares und meiner sicher tiefen Augenringe nicht ganz nachvollziehen kann.

»Die Männer wollen weiterreiten, Majestät.«, flüsterte sie leise. »Fürst Gerald sagte, dass, wenn Ihr nicht in zehn Minuten frisch gemacht seid, er eigenhändig in das Zelt kommt und Euch raus schleift.«

Ich blinzelte den Schlaf aus den Augen und war plötzlich hellwach. Dieser ungehobelte Grobian!

»Sag ihm, dass ich gleich fertig bin.«, sagte ich und setzte mich schwerfällig auf. Meine Knochen schmerzten von dem harten Feldbett und ich fühlte, wie hart und steif mein Nacken von dem stundenlangen Ritt gestern waren und den Muskelkater in den Oberschenkeln.

Die Magd nickte und flitzte aus dem Zelt.

Ich schwang die Beine über die Bettkante und runzelte die Stirn. Das grüne Licht, das von den Zeltplanen auf meine Kleidung geworfen wurde, ließ meine Schenkel käseweiß aussehen. Allerdings war das weder dem Licht, noch meiner Gesundheit zu verschulden, sondern meinen Jahren in Kartan. Ich hatte kaum einen Fuß nach draußen setzen dürfen, selbst, wenn gutes Wetter gewesen war. Das Auswendiglernen der zeitlichen Reihenfolge geschichtlicher Ereignisse war so viel wichtiger gewesen, als, dass ich nicht aussah wie eine wandelnde Mumie. Meine Brüder waren im Sommer oft braungebrannt von dem Training mit freiem Oberkörper auf dem Übungsplatz. Mit Ausnahme von Jeff, er war beinahe so weiß wie ich, da er dem Schwert das Buch vorgezogen hatte. Schon immer.

Mit fahrigen Bewegungen kämmte ich mein Haar mit der Bürste, die ich gestern Abend noch vom Karren gefischt hatte und ging zu der Wasserschale hinüber, um mich notdürftig zu säubern. Sobald wir einen Bach oder Fluss erreichen würden, würde ich diesem Gerald auf jeden Fall den Befehl zum Halten geben, um mich anständig zu waschen. Ich hatte das Gefühl, bereits nach einem Tag zu Pferde so zu riechen wie die Reittiere.

In dem Moment, als ich mich auf den Weg nach draußen machen wollte, frisch angezogen und etwas sauberer, öffnete sich die Zeltplane und der rothaarige Soldat stand im Eingang zu meinem Zelt. Er funkelte mich an und sein finsterer Blick galt in jedem Fall mir.

»Was wollt Ihr hier?« Meine Stimme klang sicherer als ich mich fühlte.

Zuerst schwieg er, inspizierte mein Aussehen und schnaubte dann hörbar. »Ich wollte nur sehen, ob Ihr bereits auf seid.«

»In diesem Fall hättet Ihr fragen können, ohne in mein Zelt zu stürmen. Ich hätte unbekleidet sein können und das wisst Ihr! Beim nächsten Mal beherzigt Ihr das gefälligst!« Meine Wut über sein schändliches Benehmen, verlieh mir wenigstens den Mut, den ich für diese Worte brauchte.

Ich sah, wie sein Kiefer mahlte, während er sich eine passende Antwort einfallen ließ. Vom ersten Moment an hatte ich gemerkt, dass er mich nicht ausstehen konnte, was wahrscheinlich an meinem kartanischen Blut lag. Er wusste allerdings, dass er mich nicht so behandeln konnte, wie er es gerne tun würde, da mein Stand es ihm verbot. Andererseits konnte er nicht riskieren, den Respekt vor seinen Männern zu verlieren, schließlich war er der Führer.

»Ich werde mich bemühen, das nächste Mal daran zu denken.«, murmelte er mit gepresster Stimme, trat einen Schritt zur Seite, um mich hindurch zu lassen.

Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, ehe ich an ihm vorbei schritt und mich zu den Mägden gesellte, die in der Nähe des Karrens warteten. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich mir soeben einen Feind gemacht hatte, der mich den ganzen Weg nach Woberok begleiten würde. Ein Feind in den eigenen Reihen, denn nun war Woberok meine Sippe, mein Zuhause. Jedenfalls hoffte ich, dass es sich irgendwann so anfühlen würde.

 

Stunden vergingen, nachdem die jungen Soldaten das Zelt zusammengepackt, alles auf den Karren geladen und wir unsere Reise fortgesetzt hatten. Der Karren ratterte neben mir her, während die Soldaten scherzend und gröhlend vor mir her ritten.

Immer wieder fiel mir auf, wie abwertend sie über diverse Frauengeschichten sprachen und sich damit brüsteten, was für unwiderstehliche Kerle sie waren. Nicht selten hörte ich die Männer über die Bordelle sprechen, die sich anscheinend in reicher Zahl am Stadtrand von Woberok befinden sollten und über jene, die sie auf der Reise besucht hatten.

Die Mägde neben mir waren still in ihre Handarbeiten versunken, während die beiden Karrenführer sich angeregt über die Weinernte dieses Jahr unterhielten. Einzig und alleine ich hatte niemanden zum Reden.

Ich begnügte mich mit dem Entdecken der Landschaft, dem Entdecken meines Königreiches. Kartan noch nie wirklich gesehen zu haben bot mir jetzt die Chance alles zu erkunden und zu betrachten. Und nur das war es, was mich durch die endlos erscheinenden Stunden des Tages brachte.

Letztendlich, kurz, bevor wir eine längere Pause einlegten, erblickte ich über die hohen Gräser eines weiten Ebenenstriches, eine Art Tümpel.

Genau in diesem Augenblick gebot Gerald die Truppe zum Stoppen.

Sofort lenkte ich mein Pferd in die Richtung des Tümpels.

»Wo wollt Ihr hin?«

Ich zog an den Zügeln und wandte mich zu der zynischen Stimme um. Gerald blickte mich finster, beinahe feindselig an. Seine dunkelgrünen Augen funkelten mich an, das strähnige rote Haar hing im wirr um den Kopf, sodass mir auf Anhieb eine passende Erwiderung einfiel.

»Ich werde dort hinüber gehen und mich waschen, damit ich nicht wie eine herunter gekommene Barbarin aussehe, wie Ihr.«, zischte ich und gab meinem Pferd die Sporen, bevor er etwas antworten konnte.

Ich hörte noch das Gelächter der übrigen Männer, wusste, dass ich Gerald neues Kanonenfutter gegeben hatte, da ich ihn erneut lächerlich gemacht hatte. Aber das war mir egal. Dieser Mann glaubte anscheinend tatsächlich, dass er mich herum kommandieren konnte, obwohl ich die höher gestellte von uns beiden war.

In einem gemächlichen Trab überquerte ich die Wiese zu der geschützten Stelle. Zwei Trauerweiden standen am Ufer des Tümpels, der kristallklar in der Mittagssonne glitzerte. Gräser umschmeichelten das sandige Ufer und, um dieses Bild perfekt zu machen, glitten dicke Seerosen über die Wasseroberfläche. Ein perfekter Ort für ein ausgiebiges Bad. Wer wusste schon, wann wir die nächste Wasserstelle erreichen würden, an der ich baden konnte.

Ich lenkte mein Pferd zu einem umgestürzten Baumstamm und stieg vorsichtig ab. Dann band ich die Zügel an dem Stamm fest und begann das Mieder zu lösen, das mich schon seit Stunden einengte. Schließlich ließ ich auch den Rock fallen, warf alles über den glatten Stamm und stülpte auch meine kniehohen Strümpfe ab. Nackt, wie mich die Muttergöttin Mara erschaffen hatte, ging ich an den Rand des Tümpels.

Sand sickerte zwischen meine Zehen und ich genoss das Gefühl des kalten Windes auf meiner Haut, der mir zeigte, dass ich in irgendeiner Weise noch lebendig war. Ich rieb mir die Oberarme und watete langsam, mich an die beißende Kälte des Tümpels gewöhnend, in das Wasser.

Als ich bis zur Hüfte im Wasser stand, schloss ich die Augen und seufzte. Die Vögel um mich herum, die sich zwitschernd beschwerten, dass ich ihre Idylle störte, waren eine willkommene Abwechslung zu der Stille des stundenlangen Rittes.

Ich rieb mir das Wasser über die Arme und wusch mich gründlich, so gründlich, wie es mit Wasser nun einmal ging. Bei meinem Trotz hätte ich wenigstens von einer Zofe verlangen können, dass sie mir Seife mitgab. Aber nun gut, es würde auch so gehen. Ich würde es nicht wagen, mich innerhalb der nächsten Stunde noch einmal bei dem Trupp sehen zu lassen.

Dieser Gerald war schon so nicht gut auf mich zu sprechen und auf Grund der jüngsten Ereignisse würde er mir sicherlich nicht mit viel Freundlichkeit begegnen, wenn ich noch einmal dort auftauchte und nach Seife verlangte. Da wusch ich mich lieber mit dem kalten Wasser.

Als ich mir sicher war, dass der Schweiß und Dreck von meinem Körper fort gespült war, watete ich aus dem Wasser zurück ans Ufer und tappte nackt wie ich war, zu meinem Pferd hinüber und zog ein dünnes Leinentuch aus einer der Satteltaschen. Notdürftig trocknete ich mich damit ab und schlüpfte rasch wieder in meine Kleidung. Mittlerweile war es sogar noch kühler geworden, weshalb ich mein dickes Schultertuch um meinen Körper schlang und mich für ein paar kostbare Momente noch auf einen trockenen Felsen setzte.

Gedankenverloren starrte ich auf die Wasseroberfläche des Tümpels, die sich im Wind immer wieder kräuselte, als würde sogar das Wasser frösteln.

Meine Gedanken verschwammen in einem Wirrwarr aus Fragen, möglichen Schicksalen, einer möglichen Zukunft in Woberok. Es war noch immer für mich schwer zu begreifen, dass ich nie wieder nach Kartan zurückkehren würde, jedenfalls nicht, um dort normal weiterzuleben. Ich würde nie wieder mit meinen Brüdern in die Wälder reiten, um kleine Tiere zu jagen. Meine Füße würden niemals wieder den staubigen Boden der verwinkelten und engen Gänge berühren, durch die ich oftmals ausgebückst war, um wenigstens in den Innenhof zu gelangen. Und auch die Stallungen mit dem Duft von Heu und warmen Pferdekörpern würde ich vermissen.

Ob Woberok wirklich meine Heimat werden könnte?

Mit all seinen fremdartigen Menschen war ich mir da nicht so sicher. Die Männer sahen wild und barbarisch aus, keineswegs so gepflegt und sauber wie die Männer meines Königreiches. Wenn ich so einen heiraten würde... wie wäre es? Ich fragte mich unweigerlich, ob ich eine ähnliche Ehe haben würde, wie meine eigenen Eltern. Würde er die Ehe ohne jegliches Gefühl vollziehen? Oder würde er vielleicht sanft sein? Würde er mich nur zu offiziellen Anlässen sehen wollen und, wenn es an die Erfüllung unserer ehelichen Pflichten ging?

Ich rieb mir über den Oberarm. »Werde ich deine Kinder gebären und ansonsten nur ein Schatten sein?«, murmelte ich nachdenklich, runzelte die Stirn und legte das Kinn auf meine gefalteten Arme.

Beinahe erschöpft von diesen Fragen schloss ich die Augen. Meine eigene Mutter war immer nur ein Schatten. Sie war anwesend bei allen wichtigen Anlässen, bei Taufen von Verwandten, bei Segnungen, bei Hochzeiten, bei Banketts, bei Festen, doch sie sprach nie viel. Sie lächelte ein kühles, scheinbar jahrelang antrainiertes Lächeln und hielt sich stehts stundenlang an einem Kelch Wein fest.

So wollte ich nicht auch werden, weshalb ich hoffte, dass mein zukünftiger Ehemann nicht so werden würde, wie mein Vater. Ein dicker, alter Mann, der es bevorzugte, junge Dinger in sein Bett zu holen, wobei er nicht einmal einen Schritt tun konnte, ohne außer Atem zu geraten.

»Prinzessin?«

Ich hob den Kopf, als diese zaghafte Stimme erklang. In einiger Entfernung stand eine der jungen Mägde und blickte mich an, als wolle ich sie gleich auffressen.

»Was ist los?«, fragte ich ruhig.

Sie strich sich das mausblonde Haar aus dem Gesicht. »Lord Gerald will allmählich aufbrechen. Ich soll Euch sagen, dass er Euch in spätestens fünf Minuten am Lagerplatz erwartet.«

Leicht runzelte ich die Stirn. Schon wieder versuchte er, mir Befehle zu erteilen. Allerdings war ich in diesem Moment ganz froh, dass wir weiterreiten würden und so nickte ich dem Mädchen zu und ergriff die Zügel meines Pferdes, um ihr zum Lagerplatz zurückzufolgen.

 

 Sieben Tage vergingen, seitdem wir den Tümpel verlassen hatten. Die Reise verlief größtenteils ruhig, jedoch ließ Gerald keine Gelegenheit aus, um seine Missgunst zu verkünden. Ich hatte mir vorgenommen, ihm so oft wie möglich aus dem Weg zu gehen. So zog ich mich an den Abenden, wenn wir lagerten, in mein kleines Zelt zurück, begnügte mich damit, die Landschaft zu erkunden, kleine Mitbringsel zu sammeln, die mich in Woberok an meine Heimat erinnern würden. Steine, kleine Äste und andere Dinge hatte ich bereits in einem kleinen Säckchen gesammelt und in einem der wenigen Bücher, die ich mitnehmen durfte, presste ich Blätter.

Wenn wir eine größere Pause einlegten, nahm ich mir auch mein Zeichenbuch, suchte eine freie Seite und begann mit Holzkohle etwas zu zeichnen. So hatte ich mich schon manchen Nachmittag damit begnügt unsere bepackten Pferde aufs Papier zu bringen, oder Bäume und Felsen zu zeichnen.

Wer wusste es denn schon? Vielleicht würde es das Einzige sein, was mir in meinem Leben Freude bringen würde.

Je weiter wir in den nördlichsten Norden vordrangen, desto mehr veränderte sich die Umgebung. Auf meinem Papier prangten bald stolze Nadelbäume, wildes Gras und rauer Fels, zwischen dem die Wildblumen anfingen zu verblühen. Die Zeit verging rasch und doch nicht rasch genug, denn uns standen noch dreieinhalb Monate Reise bevor, bis wir die Festung Woberoks erreichen würden. Das bedeutete Wochen in der Wildnis zwischen einem großen Trupp Männer.

An diesem nebligen Morgen tätschelte ich meinem Pferd den kräftigen Hals, während es etwas von dem saftigen Gras aus dem Boden zupfte. Die Männer waren noch träge, einige bauten mein Zelt ab, andere saßen um unser erloschenes Lagerfeuer herum und aßen schweigend oder scherzend ihr karges Frühstücksmahl. Ich selbst hatte nur eine Scheibe Brot und etwas Skyr genossen, wobei Letzteres nicht unbedingt meinem Geschmack entsprach. Skyr war von je her etwas gewesen, was für die Männer Woberoks ein völlig normales Lebensmittel war. In Kartan aß man es kaum und wenn, dass nur im Heerlager, wo es sich lange hielt.

»Prinzessin«, grüßte mich Talmar, als er sein Pferd neben meines führte und an dem umgestürzten Baumstamm band, der uns letzte Nacht etwas Schutz vor dem kräftigen Wind geboten hatte.

»Guten Morgen«, sagte ich leise, um die morgendliche Stille nicht zu stören, aber vor allem, um Gerald nicht zu wecken. Dieser schlief noch in einiger Entfernung auf seinen Bettfellen.

Talmar drehte den Kopf, als hätte er meine Gedanken gelesen, zu Gerald. Dieser schnarchte einmal laut und wälzte sich grunzend herum.

»Wir werden bald aufbrechen«, sagte Talmar mit einem nachdenklichen Blick auf seinen Führer. »In ein paar Stunden werden wir in Flusswald sein. Die Burg wir für zwei Tage unser Lager sein.«

Ich nickte nachdenklich, tat so, als wüsste ich das längst, dabei hatte mir niemand etwas davon erzählt. Vermutlich hatte Gerald keine Lust gehabt, sich mit mir zu unterhalten, weshalb er es einfach verschwiegen hatte.

»Ich war noch nie auf Flusswald«, murmelte ich nachdenklich, während ich den Hals meines Pferdes tätschelte.

»Es ist eine angenehme kleine Burg mitten im Wald, direkt am Fluss. Die großen Lords benutzen Flusswald als Lagerstation, wenn es zur alljährlichen Jagd im Herbst geht. Die Wälder rings herum und der Fluss sind reich mit Wild und Fisch beheimatet.«

Neugierig blickte ich ihn an. »Wird die Burg jedes Jahr als Unterkunft für die Jagd benutzt?«

Talmar nickte. »Die persönliche Jägergarde des Königs und der König höchst selbst reisen jeden Herbst zur Erntezeit nach Flusswald. Es ist eine der Traditionen, die wir in Woberok haben.«

Ich stellte mir sofort eine Schar von gut ausgerüsteten Männern in dunkler Kleidung vor, die sich im Wald perfekt tarnen konnten, mit verschiedenen Bögen und Messern bewaffnet, Speeren wohlmöglich, während sie durch das Unterholz streiften. Eine interessante Tradition. Dass eine Jagd generell zur Tradition werden könnte, hatte ich nicht vermutet. In meiner Heimat war es eher üblich, zum Vergnügen zu jagen oder, wenn die Wildtiere in der Nähe zu gefährlich wurden, zu viel Vieh gerissen hatten.

»In Woberok, wie wird dort das neue Jahr gefeiert?«, fragte ich, da es mich doch sehr interessierte, wenigstens etwas über die Traditionen meiner neuen Heimat zu lernen.

Der alte Mann hob die buschigen Augenbrauen und grinste an seinem Bart vorbei. »König Ragnar feiert die größten Feste des Nordens. Der ganze Hof ist anwesend, Musik spielt und es gibt Essen und Wein im Überfluss.«

Ich spürte regelrecht, wie meine Augen glitzerten. Daheim hatte es so gut, wie nie Feste gegeben. Und wenn doch, dann war es meine Pflicht gewesen, am langgestreckten Tisch des Königs zu sitzen, mich den Abend über mit einem kleinen Kelch Wein zu begnügen und ruhig zu sein. Meinen Brüdern hatte man die ausgelassene Stimmung nie verboten. Sie durften trinken und albern, so viel sie nur wollten. Aber von mir, als Prinzessin, hatte man erwartet, ruhig zu sein.

»Das klingt nach einer schönen Tradition«, meinte ich.

»Die beste von allen ist, sich anschließend eine Dienerin zu nehmen und gewisse Dinge zu tun.«

Ich drehte mich zu der spöttischen Stimme um und starrte Gerald zornig an.

»Aber verzeiht, Prinzessin, ihr dürftet ja nicht allzu viel Erfahrung damit haben. Deshalb lassen wir das Thema lieber.«, lächelte er schmallippig, ehe er den Kopf zu Talmar drehte. »Ihr hattet doch sicher etwas zu erledigen, oder nicht?«

Talmar schwieg einen Moment. »Ich wollte die Umgebung überprüfen, damit wir ungehindert aufbrechen können, aber das kann doch...«

»Worauf wartet Ihr dann noch?«, unterbrach ihn Gerald und legte eine Hand bedeutsam auf den Knauf seines Schwertes, welches an seiner Seite in der Scheide steckte.

Der ältere Krieger verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, dann schnaubte er, packte seinen Wallach an den Zügeln und führte es an mir und Gerald vorbei. In einiger Entfernung sah ich, wie er aufstieg und langsam davon trottete, um die Umgebung zu untersuchen.

Als Talmar fort war, blickte ich Gerald finster an. Ausgerechnet heute musste er solch schlechte Laune haben, dass er mich wieder lächerlich machen musste? Die letzten Tage waren relativ ruhig von Statten gegangen, aber heute?

»Ist es Euer Belieben, Euch mit Dienerinnen zu vergnügen?«, schnaubte ich. Wenn er schon damit anfing, dann würde ich nicht einfach still stehen und seine Sticheleien ertragen.

Sein Gesichtsausdruck wurde von Amüsiert, zu Dreckig und Unverschämt. »Mittlerweile hätte ich auch gegen die Möse einer Prinzessin nichts einzuwenden.«

Ich biss die Kiefer aufeinander, sodass die Seiten meines Gesichts schmerzten. »Ihr solltet aufpassen, Gerald. Ich hoffe, Ihr wisst, dass Ihr mit Eurer zukünftigen Königin sprecht.«, sagte ich kühl. Es war zwar nicht meine Absicht, meine Verlobung mit dem Prinzen zu meinem Vorteil zu nutzen, aber in diesem Moment bot es sich mir an.

Plötzlich packte Gerald meinen Oberarm und funkelte mich spöttisch an. »Noch seid Ihr eine kleine Kartanerin in einem fremden Terretorium. Erst, wenn Prinz Regan Euch geehelicht und die Ehe vollzogen hat, werde ich in Euch vielleicht mehr sehen, als ein kleines verwöhntes Gör!«

Wie hypnotisiert starrte ich ihn an, nicht fähig etwas zu erwidern. Ich war viel zu sehr erschrocken darüber, was dieser Mann sich erlaubte. Er kannte mich nicht und ich war eine höher gestellte Frau, und dennoch behandelte er mich, als wäre ich eine woberokische Trosshure.

»Lasst mich los«, zischte ich.

Nur widerwillig kam Gerald meinem Befehl nach, bedachte mich noch mit einem einzigen, tödlichen Blick, ehe er sich umdrehte und zu seinem Hengst hinüber ging, um ihn aufbruchsfertig zu machen.

Ich hingegen blieb noch eine Weile dort stehen, wo ich war. Allerdings dachte ich viel weniger darüber nach, was soeben passiert war, sondern eher, dass ich die Hoffnung hegte, dass mein künftiger Ehemann nicht auch solch ein widerlicher Salamander sein würde. Ich wüsste nicht, was ich dann tun würde. Ob ich es ertragen könnte, nachts neben ihm zu liegen.

Fröstelnd rieb ich mir über die Oberarme.

»Ist alles in Ordnung, Prinzessin?«

Ich drehte mich um und blickte der jungen mausblonden Magd ins Gesicht. Ihre Dienertracht war befleckt vom Kochen der letzten Tage, ihr Haar strähnig und ihre Hände trocken und aufgerieben von der Arbeit. Dennoch musste ich zugeben, dass sie ein hübsches Mädchen war, vielleicht etwas jünger als ich selbst.

»Ist dieser Kerl immer so?«, lächelte ich sie halbherzig an, um meine Angespanntheit zu überspielen.

Sie folgte meinem Fingerwink mit den Augen und senkte rasch den Blick wieder. »Ich weiß nicht genau. Ich kenne ihn nicht.«

Ich runzelte die Stirn. Eine seltsame Reaktion. Sie rieb sich die Hände, als wäre es ihr unangenehm über diesen Mann zu sprechen und wie sie versuchte, ihn nicht anzustarren, als ich ihn erwähnte, waren mehr als nur merkwürdig.

Bevor ich sie fragen konnte, was los sei, rief Gerald zum Aufbruch und das Mädchen, dessen Name ich noch nicht einmal nach einer guten Woche Reise wusste, huschte davon, um zu den übrigen Mägden zu stoßen. Ich blieb etwas verwirrt stehen, nahm mir aber vor, sie bei Gelegenheit nach dem Führer unserer Truppe auszufragen.

Mein Instinkt sagte mir nämlich, dass sie doch mehr wusste, als sie zugeben wollte.

Kapitel 4

 

 

 

Der Ritt dauerte lang, mehrere Stunden, bis ich endlich das Rauschen eines Flusses hörte und das eiskalte Bergwasser beinahe riechen konnte. Nicht umsonst nannte man den Fluss, der die Grenze von Woberok zu Kartan markierte, Eisfluss. Das Wasser strömte direkt aus einer unterirdischen Bergquelle, die ihren Ursprung in den schwarzen Bergen fand, und zog einen eisigen Streifen durch das Land bis ins Meer. Umgeben war der Fluss von Wald und Fels. Es gab kaum seichte Stellen, um darin zu baden oder Wäsche zu waschen, selbst die steinernde Brücke, die der einzige Weg von Kartan nach Woberok war, schien in der mächtigen Strömung zu schwanken. Und dennoch schien sie seit Jahrhunderten wie ein Fels in der Brandung zu stehen.

Der Stein klackte unter den Hufen unserer mächtigen Rösser und das Knattern des Karrens übertönte das Rauschen des Wassers so gut, wie gar nicht. An den rauen Steinen rangte sich Moos und Efeu empor, verlieh der Brücke ein altertümliches Aussehen. An den Ufern gab es kaum Stellen, an denen keine Felsbrocken oder hohes Schilf gesäumt wurde.

Und dann tauchte zwischen den Nadelbäumen und dichten Gestrüpp eine beeindruckende Steinburg auf. Es war viel mehr ein gewaltiges Anwesen und bestand aus grauem Stein und dunklem Holz. Zudem stand es direkt am Fluss und ein gewaltiges Mühlrad drehte sich unablässig im Wasser, bedeutete Leben auf dem Anwesen. Daneben ein Unterstand aus dunklem Holz, unter dem Pferde an Balken angebunden. Sie waren mit frischem Stroh versorgt und die Tränken vor ihnen war mit kaltem Flusswasser gefüllt.

Gerald führte unseren Trupp von der Brücke herunter und ich musste zugeben, dass ich ihm im Moment allzu gerne über diese von dem teuflischen Fluss fort. Wir folgten dem vorgegebenen Pfad direkt auf das Anwesen zu. Meine Finger umklammerten die Zügel und mein Herz machte einen Satz, als ich sah, dass in der Nähe des Stalls eine Truppe Männer stand. Sie trugen das Blutrot Kartans auf ihren Rüstungen und die schwarzen Lilien der Burg Koge.

Als Gerald den Trupp anhielt und der Karren neben mir ratternd zum Stehen kam, eilte eine Schar Diener auf uns zu. Unser Führer stieg mit raschen Bewegungen von seinem Hengst herunter und packte den offensichtlichen Vogt des Anwesens am Kragen seines Hemdes.

»Was ist hier los?«, knurrte Gerald aufgebracht. »Was machen diese kartanischen Hunde hier?!«

Der Vogt starrte ihn erschrocken an. »Vergebt mir, Herr! Vor zwei Tagen kam der Herr von Koge und verlangte das Gastrecht. Ich habe es ihm gewährt!«

»Gastrecht?« Gerald knurrte das beinahe nur, verstand ich doch nicht, weshalb er so wütend war. Anscheinend hatte er nicht nur etwas gegen mich, sondern gegen die Kartaner im Allgemeinen.

Doch das interessierte mich im Moment nicht sonderlich, denn mich interessierte es mehr, von welchem Herr der Vogt sprach. Der Herr von Koge hatte das Gastrecht gefordert... ich wusste genau, wer der Herr über Koge war.

Ich stieg umständlich von meinem Pferd herunter und ging auf Gerald zu, packte ihn am Arm. »Lasst diesen Mann los und geht Euch abregen. Ihr habt vor diesen ›kartanischen Hunden‹ nichts zu befürchten. Sie sind die Männer meines Bruders!«

Gerald drehte den Kopf zu mir und ich erstarrte kurzzeitig, als ein rotes Glühen über seine Augen fuhr. Es war genauso schnell wieder weg, wie es gekommen war. Hatte ich es mir bloß eingebildet? Ich fuhr einen Schritt zurück und Gerald ließ von dem Mann ab, ehe er sich umdrehte und davon stapfte.

Wie vom Donner gerührt stand ich in Mitten dieser Leute in dem kleinen Innenhof. Stille herrschte, jediglich unterbrochen von dem Rauschen des Flusses in der Nähe, bis eine tiefe Stimme erklang. Meine Hände begannen zu zittern und die seltsame Situation von eben war wie weggeblasen. Mir wollten die Tränen beinahe schon über die Wangen laufen, aber ich drängte sie noch zurück.

»Ist das etwa die Art, wie man seinen großen Bruder begrüßt?«

Ich drehte mich so schwungvoll herum, dass meine Röcke in der kühlen Luft umherwirbelten. Und da stand er. Mein großer Bruder Harris. Sein Haar war anders, als an dem Tag, als ich ihn das letzte Mal sah. Es war kurz und kringelte sich in kleinen Locken um seinen Kopf und er hatte auf einmal einen Bart, hatte er sich doch sonst glatt rasieren lassen, wie es für die Männer in Kartan üblich war. Die Verantwortung für Koge schien ihn ziemlich einzunehmen.

»Harris!«, rief ich glücklich und rannte stolpernd auf ihn zu.

Seine kräftigen Arme zogen mich sofort an ihn und ich spürte die Kühle seiner Plattenrüstung an meiner Wange, während er meinen Kopf küsste.

Ich befreite mich nur ungern aus seinem Griff, wollte ihm aber ins Gesicht sehen. »Was tust du hier, Harris?«

Er legte eine Hand an meine Wange, ehe er sich umsah. Geralds Männer hatten bereits damit begonnen, die wenigen Sachen von dem Karren zu räumen und den Hausdienern Befehle zu erteilen. Die Soldaten meines Bruders schienen davon nicht unbedingt begeistert zu sein, warteten jedoch die Befehle ihres Kommandanten ab.

»Lass uns spazieren gehen. Ich will nicht hier darüber reden.«, erklärte er mir und schob mich vorwärts. »Falls dieses Großmaul noch einmal vorbeikommt, soll er hier warten. Ich werde ihm noch einmal erklären, dass er sich besser seines Standes besinnen sollte.« Er funkelte seine Männer streng an, die gehorsam nickten.

»Wie Ihr befehlt, Majestät!«

Harris nickte ernst und führte mich den schlammigen Pfad entlang auf die Hauptstraße und zur Brücke zurück. Die ganze Zeit lief ich neben ihm her, klammerte mich an seiner Ellenbogenbeuge fest und versuchte mit ihm Schritt zu halten. Er war im Moment der Einzige, der mich mit meiner Vergangenheit verband, der Einzige, der mich verstand.

Schließlich blieb Harris am Anfang der Brücke stehen, als wir weit genug von den Männern und Dienern waren. »Ich habe vor drei Tagen Rikkons Brief bekommen.«, begann Harris nachdenklich.

Ich presste die Lippen aufeinander. »Er hatte ihn noch am Abend geschrieben und losgeschickt, als Vater und Mutter verkündeten, dass sie mich verheiraten würden.«

»Ich konnte es im ersten Moment nicht fassen, dass sie dich mit diesem... wie auch immer. In seinem Brief sah man die Wut geschrieben. Ich konnte kaum etwas lesen.« Er sah auf mich hinunter. »Wie geht es dir?«

Ratlos zuckte ich die Schultern. »Ich weiß es nicht...«, gab ich zu und blickte auf das rauschende Wasser, das einen Großteil meiner Gefühle wiederspiegelte. »Einerseits fühle ich mich beinahe erleichtert, von Kartan fortzukommen. Von Mutter und Vater und unseren Brüdern. Kartan war nie meine Heimat.«

»Ich weiß, was du meinst«, sagte er. »Du brauchtest immer deine Freiheit, aber du hattest nie welche. All die Jahre, als ich selbst noch in Kartan lebte, warst du für mich wie ein Vogel, der in einen goldenen Käfig gesperrt wurde.«

Ich strich mir eine kastanienbraune Haarsträhne hinter das Ohr und seufzte. »Ja. Andererseits habe ich Angst. Ich kenne ihn nicht einmal und soll ihn heiraten und alle reden nur davon, was sein wird, wenn ich seinen Erben geboren habe. Und ich meine... ich will noch überhaupt nicht Mutter werden.« Verzweiflung schwang in meiner Stimme mit, ließ sie beinahe brechen.

Harris berührte mich am Arm, dann zog er mich erneut in eine Umarmung. »Dies ist leider ein Schritt, bei dem ich dir keinen Rat geben kann. Schließlich konnte ich meine Frau freiwillig wählen.«

Ich ging einen Schritt zurück, um ihn besser ansehen zu können. »Ich habe dich damals nie gefragt, wie es für dich war, gegen Vater zu rebellieren.«

»Ich war ständig fort, du hättest mich kaum fragen können.«

»Dennoch... ich hätte dich fragen müssen. Spätestens bei deiner Hochzeit.«, murmelte ich schuldbewusst.

Damals hatte ich zwar viele eigene Probleme gehabt, da ich genau an jenem Tag, als Harris nach Kartan geritten war, um vor unserem Vater die Verlobung mit der verarmten Adelstochter Astrid Koge zu verkünden, zur Frau geworden war. Ich wachte am Morgen auf, wie gewohnt und hatte mich schon über das heftige Ziehen im Unterleib gewundert, als ich die Bettdecke zurückgeschlagen hatte und einen gewaltigen Blutfleck vorgefunden hatte. Zuerst hatte ich mich vor Schock nicht gerührt, dann war mir klar geworden, was dies zu bedeuten hatte. Nur eine halbe Stunde später stand ich gebadet und frisch eingekleidet neben meiner Mutter und beobachtete, wie die Zofen mein Bett neu bezogen und auch gleich eine neue Matratze für mich angefertigt wurde. Nur wenig später hatte sich unsere ganze Familie im Thronsaal versammelt und Harris war wie ein Fremder vor unseren Vater getreten. Er verkündete, dass er während der dreimonatigen Patrouille rund um unser Terretorium in Koge eine Unterkunft gefunden und die Tochter des Fürsten Radovid Koge kennengelernt hatte. Er erzählte unserem Vater, dass er mit ihr den Sommer in Koge verbracht hatte, sich in sie verliebt habe und mit ihr das Bett geteilt hätte. Nun sähe er seine Pflicht darin, das Mädchen zu heiraten, um sie nicht zu entehren.

»Ist es nur das?!«, hatte unser Vater geschnaubt. »Jeden Tag werden hunderte von Mädchen entehrt, weil sie mit irgendeinem Soldaten ins Heu springen. Gib ihr eine ordentliche Summe und sie wird den Sommer schon vergessen, dann kannst du hier deinen Pflichten nachgehen.«

Aber so einfach, wie der König es sich vorgestellt hatte, war es nicht. Harris war immer der Vernünftigste von uns allen gewesen. Er hatte die Traditionen geehrt, hatte die Pflichten sehr ernst genommen und war der erste Stellvertreter des Königs gewesen. Dass ausgerechnet er sich in ein einfaches Adelsmädchen vom Land verliebt hatte und daran dachte, sie zu ehelichen schmeckte unserem Vater überhaupt nicht.

Es hatte lange gedauert, bis Vater verstanden hatte, dass es Harris hierbei nicht um die Ehre ging, sondern um Liebe.

»Ich muss zugeben, dass ich am Anfang wütend auf dich war.«, murmelte ich leise.

Harris hob die Augenbraue. »Du warst wütend? Warum?«

»Ich wollte nicht, dass sich etwas veränderte. Am selben Tag wurde ich vom Mädchen zur Frau und ich wusste, dass Mutter jetzt noch mehr darauf achten würde, dass ich lernte wie man ein Instrument spielte, wie man sang, dass ich unsere Geschichte in und auswendig kenne. Es hatte sich schon etwas verändert, aber ich wollte nicht, dass sich noch mehr veränderte.«, gestand ich und zuckte die Schultern. »Und, als du uns eingeladen hast, zu deiner Hochzeit nach Koge zu kommen, ich wollte zuerst gar nicht hingehen.«

Ich erinnerte mich noch, wie nach zwei weiteren Monaten ein Brief kam. Harris war noch am selben Tag, als er die Botschaft vor unserem Vater verkündet hatte, dass er heiraten würde, aus Kartan ausgezogen und hatte gesagt, dass er ab jetzt auf Koge zu finden war. Unser Vater war so wütend gewesen, dass er ihm hinterher gebrüllt hatte, dass er ihn enterben würde, dass er den Titel des Kronprinzen und das damit verbundene Erbe des Königstitels an Rikkon weitergeben würde. Harris hatte nicht mehr geantwortet und war fortgeritten, da jeder wusste, dass unser Vater das niemals durchziehen könnte.

Als der Brief kam, in dem er uns einlud, seiner Vermählung auf Koge beizuwohnen, hatte Vater den Brief mit dem Siegel der Koges zerrissen und ins Feuer unseres Kamins geworfen. Ich wusste, dass Harris ihn hatte provozieren wollen, indem er ankündigte, dass die Heirat auf dieser kleinen Burg statt in der Heimat Kartan des Kronprinzen stattfinden sollte. Es hatte funktioniert, denn seitdem sprach Vater kein Wort mehr über Harris, als hätte sein ältester Sohn niemals existiert.

»Warst du Vaters Meinung?«, fragte Harris leise und riss mich aus den Grübeleien.

Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Nein.«, erwiderte ich letztendlich. »Ich weiß, dass Vater in Astrid eine Bedrohung für sein kostbares Königreich sah. Mutter war vielleicht auch nicht begeistert, Rikkon und Tristan war es vielleicht egal oder sie stimmten dir vielleicht auch zu. Ich weiß es nicht... und Jeff, du kennst ihn.«

»Er fand schon immer, dass Dinge, die getan werden mussten, getan werden sollten.«, antwortete Harris und schnaubte. »Und du?«

»Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, gegen Vater zu rebellieren, ich hätte es vermutlich ohne zu zögern getan.«

Nachdenklich blickte ich den gewaltigen Eisfluss hinab. Das kalte Wasser klatschte gegen Felsen, die aus den Stromschnellen ragten. Zu den Ufern hin wurde das Wasser ruhiger, doch je weiter man Richtung Meer kommen würde, desto weniger Schilf würde man an den Ufern finden. Nur noch Kies und Sand. Ich betrachtete die Bäume. Noch trugen sie dunkles Grün, doch an einigen Stellen färbten sich die Blätter bereits rot, orange und braun. Der Winter war nahe.

Ich dachte an jenen Tag zurück, als wir Koge betreten hatten. Die Burg war klein, aber sehr ansehnlich. Nur eine relativ kleine Schar an Dienern kümmerte sich um das Anwesen, das nur wenigen Menschen ein Zuhause bot. In erster Linie dem Fürsten Radovid, der sich nach Kriegsende auf seine Burg zurückzog, statt dem turbulenten Leben am Hofe den Vorrang zu geben. Ich hörte, dass der König ihm wohl mehrmals anbot, sein Berater zu werden und, dass er ein großes Anwesen in der Stadt in einem der besten und reichsten Vierteln bekommen würde, aber Radovid hatte jedes Mal dankend abgelehnt. Auch seine Tochter aus erster und letzter Ehe lebte schon ihr Leben lang dort, nachdem ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben war, da die Heiler einen Kaiserschnitt durchführen mussten, den die Mütter ohnehin nie überlebten.

Radovid zog Astrid also alleine auf, ließ sie von Privatlehrern in Geschichte, Kunst und Gesang unterrichten, jedoch lernte sie, wie viele - ich zum Beispiel - nicht, auch das Jagdreiten, Fechten und Kämpfen mit Pfeil und Bogen. Sie verkörperte genau das, was ich immer gewollt hatte.

Bei der Hochzeit war alles dekoriert gewesen, die Diener hatten Girlanden aus Blumen und Laternen geflochten und das beste Essen gekocht, das ich jemals zwischen die Kiefer bekommen hatte. Es war eine familiäre Atmosphäre gewesen, zwischen Astrids Vater, beiden Tanten, einem durchgeknallten Onkel und Leuten aus der Nähe am Tisch zu sitzen und den wildesten Geschichten zu lauschen.

Aber das schönste an allem war, zu sehen, wie mein Bruder aufblühte. Er hatte gelacht, wie ich ihn seit Jahren nicht hatte lachen hören und gestrahlt, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die zarte Astrid neben ihm passte so gut in seine Arme, als wäre sie für ihn geschaffen worden. Ihr Körper war schlank, jedoch nicht zierlich und ihre hellbraunen, beinahe goldenen Augen waren so präsent, dass ich nachvollziehen konnte, dass mein Bruder ihrem Anblick erlegen war. Das hellbraune, im Feuerschein goldig schimmerndes Haar war ihr bis auf die Brust gefallen. Ihr Lächeln war bezaubernd.

»Wie geht es Astrid eigentlich?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

Ich wollte nicht länger über Heirat, Pflichten und Ehre sprechen. Harris konnte mir dabei ohnehin nicht zur Seite stehen. Ich musste diese Reise, meine Heirat und alles andere selbst durchstehen. Es lag an mir.

»Sie ist wohlauf«, lächelte Harris verträumt. »Und unserem Kind in ihrem Leib geht es auch hervorragend. Die Heiler meinen, dass es ein gesundes Mädchen werden wird, aber sicher kann man sich nie sein. Vielleicht wird es auch ein kräftiger Junge.«

Ich lächelte. Mein Bruder wurde Vater. Das war genauso unwirklich, wie damals die Nachricht, dass er heiraten würde.

»Ich werde meinen Neffen sicher nicht oft zu Gesicht kriegen.«, murmelte ich niedergeschlagen, blickte erneut in die Ferne.

Harris ließ seine schwere, behandschuhte Hand in meinen Nacken sinken, so wie er es früher getan hatte, wenn wir zur Jagd in den Wäldern waren. Es hatte mich immer beruhigt, wie er seine Fingerkuppen in meine Haut gedrückt hatte und gesagt hatte, dass ich ruhig atmen sollte, damit ich den Pfeil nicht verriss und das Wild über alle Berge war.

»Ich würde alles geben, um zu wissen, was in deinem Kopf vor sich geht.«, sagte er angespannt.

Ich lachte freudlos auf. »Das würde ich auch.«

Er lächelte vorsichtig und deutete auf den Pfad. »Lass uns zurückkehren. Ich hoffe, dein seltsamer Führer hat inzwischen keine Prügelei angefangen.«

Leicht runzelte ich die Stirn. Gerald war wirklich seltsam, das war also nicht nur mir aufgefallen. Allerdings war da noch etwas anderes, außer seiner ständigen Übellaunigkeit. Dieser merkwürdige rote Schimmer, der für einen Sekundenbruchteil über seine Augen geglitten war, ließ mich nicht los und jetzt, da wir zu dem kleinen Anwesen zurückkehrten wurde mir wieder unwohl.

Harris ging neben mir her und ich folgte ihm nur zögerlich. Jedoch lockte mich mit jedem Schritt, die Aussicht auf ein eigenes Zimmer und ein warmes Bett, statt des kleinen ungemütlichen Feldbettes, das mir jede Nacht Rückenschmerzen beschehrte.

Bei Flusswald angekommen, herrschte ruhige Idylle. Gerald hatte sich offenbar verzogen, was ich nur begrüßte, da ich nicht wieder mit ihm aneinandergeraten wollte. Harris' Männer standen nach wie vor an ihrem Platz und plauderten, während um sie herum die unterschiedlichsten Aufgaben ausgeführt wurden. Zwei Mägde hingen feuchte Wäsche auf einer Leine auf, die zwischen der Häuserwand und einem Baum gespannt war. Aus einem der Anbauten wehte ein würziger Fleischgeruch heraus und ein geleibter Metzger warf seinem zotteligen Hund die Reste zu, die nicht weiterverarbeitet werden konnten. Auf der anderen Seite des kleinen Innenhof versorgte ein Mann mit Strohhut gerade die Pferde und ein kleiner Junge scheuchte eine Schar Hühner durch die Gegend.

Ich folgte meinem Bruder ins Innere des Anwesens.

Uns kam augenblicklich der Vogt entgegen. »Eure Majestäten«, grüßte er uns und verbeugte sich unbeholfen.

»Verzeiht mir die Unannehmlichkeiten«, sagte mein Bruder. »Aber manche Woberoker haben eben keinen Anstand.«

Rasch schüttelte er den Kopf. »Es gibt nichts zu entschuldigen, Eure Hoheit. Vergeben und vergessen.«

Ich nickte und lächelte zaghaft.

»Dürfte Aera Euch Eure Unterkunft für die kommenden Nächte zeigen, Prinzessin? Es ist nicht groß und nicht viel, aber wir bemühen uns, es so komfortabel wie möglich zu gestalten.«, sagte der Vogt zu mir.

Ich nickte leicht. »Nach beinahe zwei Wochen in einem dünnen Zelt und auf einem Feldbett würde ich sogar im Stroh neben den Pferden nächtigen.«

Der Vogt schaute mich irritiert an. »Wirklich?«

»Ein Scherz, Allistor«, beantwortete mein Bruder seine Frage. »Entspannt Euch. Die Woberoker sind in ein paar Tagen wieder fort. Und solange tut wenigstens so, als wäre alles normal. Meiner Schwester zuliebe.«

Erleichtert atmete der Vogt aus. »Verzeiht mir, Prinzessin. Nicht alle Soldaten sind so... so wie die Eures Bruders. Es gibt auch ungehobelte, dreiste Gestalten.«

»Ich verstehe.«, sagte ich und deutete die dunkle Treppe hinauf, die in den zweiten Stock führte. »Ich würde gerne meine Unterkunft sehen.«

»Natürlich, Prinzessin.«, sagte der Vogt. »Aera!«

Aus einer der offnen Türen des Eingangssaales trat eine junge Magd mit blondem Haar, das sie teilweise unter einer kleinen Haube verdeckt hatte. Jedoch fielen mir sofort ihre großen, runden Wasseraugen auf. Wie zwei ruhende Teiche lagen sie auf mir. Jedoch schien sie nicht sehr gesprächig zu sein, da sie jediglich einen Knicks machte und auf Anweisungen wartete.

»Aera, zeige unserem Gast ihr Zimmer. Du weißt schon, das am Ende des Ganges, direkt neben dem Zimmer des Kronprinzen.« Der Vogt deutete die Treppe hinauf.

Aera nickte kurz und sagte mit einer so leisen Piepsstimme, dass ich sie kaum verstand: »Natürlich, Herr. Bitte folgt mir, Euer Majestät.«

 Ich warf Harris und dem Vogt Allistor noch einen kurzen Blick zu, bevor ich Aera die Treppe hinauf folgte. Ihre Schritte waren schwer, als hätte sie eine ungeheure Last auf den Schultern zu tragen, die kümmerlich herab hangen.

Sie führte mich einen kleinen Korridor entlang, an jeder der beiden Wände waren nacheinander Türen aufgereiht. Vermutlich kleine Gemächer für Gäste. Wir gelangten schließlich an das Ende des Ganges. Ein Fenster spendete Licht in den ansonsten dunklen Gang.

Aera öffnete eine hölzerne Tür und trat ein, wartete, dass ich ihr folgte. Der kleine Raum war gemütlich eingerichtet. Jedoch interessierte mich kaum das kartanische Wandbanner über dem kleinen Kamin, nicht die roten Vorhänge am Fenster, nicht das Fell, das vor dem Kamin ausgebreitet war. Mich interessierte nur das Bett, welches frisch bezogen an einer Wand neben dem Fenster stand und einen ungeheuren Luxus ausstrahlte. Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals so dankbar um ein Bett sein würde, das in einer winzigen Burg stand und dessen Matratze nicht aus einem Leinentuch gefüllt mit Stroh bestand.

»Gefällt es Euch nicht, Euer Hoheit?«, fragte Aera zögerlich. »I-ich kann Euch ein anderes Zimmer zeigen, wenn Euch dieses missfällt.«

Ich drehte mich zu dem Mädchen um und erschrak. Ihr tropften Tränen vom Kinn und plötzlich hatte ich Schuldgefühle, obwohl ich selbst nicht das Geringste getan hatte. Ich wollte einen Schritt auf sie zu machen, aber sie schüttelte den Kopf und wich zurück.

»V-verzeiht mir!«, stammelte sie und flüchtete augenblicklich aus dem Raum.

Ich stand da wie angewurzelt, während ich ihre Schritte im Flur verhallen hörte. Es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder regen konnte. Obwohl ich diesen Vorfall am liebsten vergessen und mich einfach ins Bett legen wollte, schnaubte ich und schloss die Tür des Zimmers, um Aera zu suchen. Ich wollte ihr keines Falls Angst einjagen und so wollte ich mich wenigstens bei ihr entschuldigen dafür, falls ich es doch getan hatte.

Mit schnellen Schritt lief ich die Treppe hinunter und stand wenig später im Innenhof. Reges Treiben herrschte draußen, jeder hatte seine Aufgaben zu erledigen, bevor die Nacht hereinbrechen würde. Ich lief zu den Mägden, die nun mit dem Wäscheaufhängen fertig waren, sich aber noch unterhielten.

»Entschuldigung?«

Die beiden jungen Frauen zuckten zusammen und starrten mich an. Rasch machten sie einen Knicks. »Euer Majestät? Braucht Ihr etwas?«

Ich schüttelte den Kopf. »Habt ihr zufällig die Magd namens Aera gesehen?«

Die Rothaarige schüttelte nur verwundert den Kopf. »Nein, Majestät.«

»Hm. Sie sollte mir eben meine Unterkunft zeigen und fing plötzlich an zu weinen und rannte fort. Ich wollte mich nur entschuldigen, falls ich etwas getan habe...«

»Oh nein«, murmelte die Braunhaarige leise und ließ mich innehalten.

Ich wurde hellhörig. »Was ist mit ihr?«

Die Rothaarige seufzte leise auf, es klang schwer. »Allistor hat ihr gesagt, dass sie sich noch ein wenig schonen könne, aber sie bestand darauf, gleich danach wieder zu arbeiten.«

»Sei ruhig, Thesa!«, knurrte die Braunhaarige.

»Wonach?«, verlangte ich zu wissen.

Die beiden sahen sich abwechselnd an, als würden sie überlegen, ob sie die Prinzessin von Kartan mit solchem Geschwätz belasten sollten.

Ich verdrehte die Augen. »Tut einfach so, als wäre ich für fünf Minuten keine Prinzessin und sagt mir, was passiert ist. Ansonsten muss ich euch den Befehl geben, zu reden. Und ich nutze meine Stellung nur ungern aus.«

»Sag es ihr, Meera.«, murmelte Thesa leise.

Meera seufzte und nickte geschlagen. »Nun ja, kurz bevor die Männer Eures Bruders hier auftauchten und das Gastrecht verlangten, verlangte ein Trupp Männer ebenfalls das Gastrecht. Sie trugen kein Banner mit sich, schienen Wagabunden aus der Nähe zu sein, die Speis und Trank wollten. Doch dann verlangte der Anführer des Trupps mit Aera in eines der Zimmer zu gehen. Und, was hätte Allistor machen sollen, als es ihm zu gewähren? Die Männer waren bewaffnet und hätten uns alle getötet.«

Ich schnappte kurz nach Luft, als mir klar wurde, was der Anführer dieses Trupps getan haben musste.

»Wir haben nur kurz ihre Schreie gehört«, murmelte Thesa. »Sie verstummte ganz plötzlich, niemand weiß, was er dort oben mit ihr getan hat.«

»Haben sie euch auch etwas angetan?«

Thesa senkte den Blick.

»Wie Männer nun einmal sind... jede von uns erträgt es schweigend. Wir reden nicht darüber. Aber für Aera war es schlimm, weil sie versuchte sich zu wehren... und wir vermuten, dass er es toll fand, ihr wehzutun.«

Ich seufzte. »Wisst ihr, wo ich sie finden kann?«

»Sie sitzt oft in der Nähe des Mühlrades auf dem Steg und starrt ins Wasser.«

Ich dankte ihnen nickend und machte mich auf den Weg zum Mühlrad, wobei es mir die ganze Zeit über heiß und kalt den Rücken hinunter rann.

Kapitel 5

 

Den Rock meines Kleides gerafft, umrundete ich das Anwesen und fand mich auf der Rückseite des Gebäudes wieder. Das Wasser des Flusses floss hier etwas langsamer, ruhiger, sodass das Mühlrad ruhig seine Bahnen zog. Unkraut und Gräser sprossen in die Höhe, sodass ich mir einen Weg hindurch bahnen musste, bis ich den Steg erreichte. Und da saß sie.

Ihre Schultern bebten leicht, ihre Beine baumelten von dem kleinen Steg herab und ihr Haar hatte sich unter dem Häubchen gelöst, sodass sie hellen, strohfarbenen Strähnen wirr um ihren Kopf wirbelten.

Zuerst stockte ich. Sollte ich wirklich noch nachbohren? Sie war eine junge Magd und ihr war sicherlich schreckliches angetan worden, aber war es gut, sie noch weiter daran zu erinnern, was geschehen war? Hatte ich überhaupt das Recht, sie weiter zu quälen?

Ich wollte mich schon wieder umdrehen, als ihre zarte Stimme mich davon abhielt: »Ich habe Euch schon gehört, Prinzessin.«

Langsam wandte ich mich ihr zu.

Aus ihren Wasseraugen flossen Rinnsale von Tränen, die sie eilig davon wischte.

»Verzeih mir«, sagte ich leise. »Ich habe gehört, was passiert ist. Ich wollte nicht unhöflich sein...«

Rasch schüttelte sie den Kopf. »Es war nicht Eure Schuld, ich hätte einfach... es tut mir leid, dass ich einfach davon gelaufen bin. Es war sehr unhöflich von mir.«

»Schon vergessen.«, erklärte ich und ging einen Schritt auf sie zu. »Willst du mir davon erzählen?«

Sie schnappte kurzzeitig nach Luft, dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist etwas, dass ich alleine durchstehen muss. Außerdem sind solche Geschichten nicht für die Ohren der zukünftigen Königin von Woberok bestimmt.«

Ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Das konnte ich verstehen. Alle Mädchen, die hier arbeiteten, schienen ihre eigenen Erfahrungen mit den Männern gemacht zu haben, die hier bereits vorbei gekommen und nach mehr verlangt hatten, als ein Bier und einen warmen Schlafplatz. Denn wie sollte man diese Dinge auch verhindern, wenn sie androhten, ansonsten alle hier umzubringen?

»Du weißt, wer ich bin?«, fragte ich dann unvermittelt.

Sie nickte, wischte sich die letzten Tränen ab. »Das ganze Land spricht über das Bündnis, das Euer Vater mit König Ragnar von Woberok geschlossen hat. Besonders die Reisenden sprechen davon.«

Ich schwieg, wusste nicht, was ich erwidern sollte. Die Reisenden sprachen also davon? Es schien sie wohl kaum zu interessieren, was dies für politische Vorteile, oder Nachteile haben mochte. Den meisten ging es vermutlich eher um den Klatsch und Tratsch, den sie verbreiten konnten. Die Dinge, die sie ihren Nachbarn und Bekannten erzählten, dass eine Kartanerin einen Woberoker heiraten würde, der zudem auch noch zwölf Jahre älter war als ich. Würde ich zuerst ein Mädchen, oder einen Jungen zur Welt bringen? Mit wie vielen Huren würde er das Bett teilen, wenn er seinen ehelichen Pflichten überdrüssig würde?

Ja, diese Fragen beschäftigten auch mich, nicht nur das gemeine Volk.

»Ist alles in Ordnung, Prinzessin?«

Aeras Stimme riss mich aus den Gedanken und ich konzentrierte mich wieder auf das hier und jetzt. Das andere kam noch früh genug.

»Ja, mir geht es gut.«, murmelte ich und seufzte kaum hörbar. »Begleitest du mich zurück?«

Zuerst schien sie widersprechen zu wollen, dann jedoch nickte sie und stand auf. Zusammen umrundeten wir das Anwesen und gingen hinein, wo uns die Wärme eines brennenden Herdfeuers empfing und die Kühle des nahenden Winters ausgesperrt wurde.

Irgendwann verschwand Aera, um ihren Aufgaben nachzugehen und ich saß mit den drei Zofen, die mir von König Ragnar zur Verfügung gestellt worden waren, den restlichen Abend vor dem Kamin einer kleinen, gemütlichen Stube. Ich beschäftigte mich mit einer Stickerei bis wir zum Abendessen in einen etwas größeren Saal geleitet wurden. Zusammen mit zwei der engsten Männer meines Bruders und meinem restlichen Gefolge saßen wir am Tisch bei Wein, Gans und Rotkohl. Der Abend ging glücklicherweise glimpflich von dannen, da Gerald gar nicht erst auftauchte, um Ärger zu machen.

Schließlich räumten die Diener den Tisch ab und ich faltete die Hände in meinem Schoß, während ich mich zurücklehnte und dem Gemurmel der Männer lauschte. Ich war erschöpft von dem stundenlangen Ritt der letzten Tage, der pochenden Wut, sobald ich Gerald zu Gesicht bekommen hatte und er mich mit gemeinen Worten verspottete.

»Was sagst du dazu, Kira?«

Die Stimme meines Bruders riss mich aus den Gedanken und ich öffnete blinzelnd die Augen. »Wie bitte? Verzeih mir, ich habe nicht zugehört.«

Harris, der an diesem Abend seine Rüstung abgelegt und dafür ein gewöhnliches Leinenhemd und eine fein gegerbte Lederhose trug, stützte den Arm auf die Tischplatte. »Ich habe gefragt, ob du morgen mit mir ausreiten würdest. Noch sind ein paar Tage Zeit, bis dieser woberokische Führer weiterziehen wird und wir uns bis zu deiner Hochzeit vermutlich nicht mehr sehen werden.«

Noch mehr reiten... vermutlich würde ich, sobald ich in Woberok angekommen war, niemals wieder ein Pferd besteigen. Mein Hintern hatte bereits nach einer Woche die Nase voll.

Ich lächelte ihn beruhigend an, damit er sich keine Sorgen machte, denn ich sah an seinem Blick, dass er nachdachte. Schließlich nickte ich. »Das fände ich schön. Jetzt jedoch entschuldige mich, ich bin erschöpft und werde noch ein wenig spazieren gehen, bevor ich mich zurückziehe.«

Als ich aufstand und mich mit einem respektvollen Nicken verabschieden wollte, griff Harris sanft nach meinem Unterarm und hielt mich auf. »Gehe nicht zu weit vom Anwesen weg. Die Wälder hier draußen sind gefährlich, besonders bei Nacht.«

»Mich wird schon kein Wolf kriegen«, sagte ich beruhigend.

Seine Miene verhärtete sich. »Wölfe habe ich auch nicht gemeint.«

Ich verstand sofort, nickte ernst und zog mich zurück. Als ich in die kühle Nachtluft draußen trat, wurde mein Körper von einem innerlichen Zittern ergriffen, das ich immer dann bekam, wenn ich müde wurde. Ich zog das Schultertuch enger um mich, der Gedanke an ein warmes, gemütliches Bett ließ mich auf meinem Verdauungsspaziergang weniger frösteln. Gedankenverloren lief ich durch feuchtes Gras, über sandigem Pfad und knirschenden Kies. Im Halbdunkel betrachtete ich öfters die wilden Gewächse in der Umgebung wie Schöllkraut, wilder Lavendel und Wolfswurz, die hier sogar in der Kühle gedien.

Während ich so über das ein oder andere nachdachte, merkte ich kaum, wie es immer finsterer wurde und, als ich schließlich am Steg angekommen war und in das plätschernde, ruhigere Wasser des Flusses starrte, erklangen seltsame Geräusche. Wimmern und Geschnaufe...

Ich fuhr herum und warf einen Blick zu dem ratternden Mühlrad. Bewegte sich in den Sträuchern etwas?

Kurzzeitig hielt ich die Luft an, als ich die Geräusche identifizierte. Es waren solche Geräusche!

Für einen Moment war ich versucht, einfach zu gehen und das Gehörte aus meinem Gedächtnis zu streichen. Einfach alles zu verdrängen, doch meine Neugier siegte. Würde ich einen Soldaten meines Bruders oder Geralds erwischen, der eine der Dienerinnen zu einem Stelldichein überedet hatte? Würde ich nackte Haut sehen, Stöhnen hören?

Ich strich mir eine Strähne hinters Ohr, mein Herz klopfte vor Aufregung, etwas Verbotenes zu tun, als ich einige Schritte in die Richtung des Mühlrades ging. Dabei versuchte ich tunlichst nicht auf einen Ast oder etwas ähnlich lautem zu treten, um die beiden nicht zu stören. Als ich sie sah, hockte ich mich hinter einen Heidelbeerstrauch und verharrte regungslos.

Ein hochgewachsener Mann mit breitem Kreuz, hatte ein Mädchen an die Häuserwand gepresst, sodass ich ihren Körper kaum sehen konnte. Ihre Hände hatten sich auf seinen Schultern in dem Wams verkrallt, der dunkelgrün war. Es war einer von Geralds Männern, soviel stand fest, denn ein kartanischer Soldat würde niemals das Grün Woberoks tragen. Ihre milchigweißen Beine umschlangen seine Hüfte, sodass ich vermutete, dass er jediglich die Hose ein Stück herunter gezogen hatte, um in sie einzudringen.

Ich biss mir auf die Unterlippe bei diesem Anblick und wagte es kaum den Blick abzuwenden. Meine Mutter wäre sicherlich entsetzt über mein Verhalten, aber ich konnte einfach nicht wegsehen. So sah es also aus, wenn ein Mann eine Frau nahm? Ich bekam eine Gänsehaut. Zu gerne hätte ich den beiden die Privatsphäre gelassen, die sie sicherlich wollten, aber es war die Faszination des Unbekannten. Bei all meinen Bemühungen, ich sah zu, wie er das Kleid des Mädchens noch weiter hoch zerrte, hörte dabei, wie der Stoff noch ein Stück weiter riss.

Würde es auch so sein? Dass mein zukünftiger Ehemann mein Kleid zerreißen würde vor Leidenschaft, wenn er mich nehmen würde? Bei Mara...

Plötzlich jedoch wurde ich aus den verwirrenden Gedanken gerissen, als ich ein Wimmern ihrerseits hörte, dass sich jedoch keinesfalls leidenschaftlich anhörte. Es klang schmerzvoll... und dann: »Bitte, hört auf... ich tue alles, aber bitte...!«

Ich fuhr hoch, als ich Aeras Stimme ganz deutlich erkannte.

»Zier dich nicht so!« Gerald!

Mein Herz begann vor Wut zu rasen, als ich meinen Rock raffte und über das Gras lief. »He! Was zum Henker tut Ihr da mit ihr!«, schrie ich, um ihn von Aera abzulenken.

Augenblicklich ließ er von dem jungen Mädchen ab und fuhr herum, funkelte mich wütend an. Ich hatte ihn gestört und die Wut, die er darüber verspürte, stand ihm ins Gesicht geschrieben. In dem Moment, als er Aera losließ und sie sich unbeholfen zu bedecken versuchte, trieb ich einen Keil zwischen die Beiden und stellte mich vor das arme Mädchen. Er würde es schließlich nicht wagen, da weiter zu machen, wo er aufgehört hatte, wenn ich daneben stand. Und vor allem nicht, wenn mein Bruder nur ein paar Meter weiter im Haus war.

»Was wollt Ihr hier, Prinzessin? Das hier geht Euch gar nichts an!«

Ich roch den Alkohol in seinem Atem und plötzlich fürchtete ich mich. Männer, die viel getrunken hatten, waren unberechenbar. Der engste Freund meines Vaters, Brune von Arleston, war schon immer ein gemütlicher Bär und wie ein Onkel für mich. Doch sobald er Alkohol getrunken hatte, war er wie ausgewechselt. Einmal war er so in Rage gewesen, dass er sogar versucht hatte, die Hand gegen die Königin zu erheben. Seit diesem Vorfall hatte meine Mutter mich immer gewarnt, einen Mann, der betrunken war, zu provozieren.

»Er kann der galanteste und ehrenhafteste Mann sein und du kannst ihn kennen, vielleicht dein ganzes Leben lang. Aber du kennst einen Mann erst wirklich, wenn du weißt, wie er ist, wenn er betrunken ist. Die meisten Männer werden zu wilden Tieren, genau wie im Krieg. Also hüte dich später, wenn dein Ehemann betrunken ist und dich will. Lass es geschehen und wehre dich nicht, wenn dann könntest du das Tier in ihm wecken.«, waren ihre Worte und seltsamer Weise hatte ich sie mir immer zu Herzen genommen.

Ich fasste meinen Mut zusammen und trat einen Schritt vor, bis ich beinahe mit der Nasenspitze an seine stieß. »Es geht mich sehr wohl etwas an! Alles, was Ihr hier treibt und womit Ihr Schande über das Haus meines zukünftigen Ehemannes bringt, geht mich etwas an! Es geht mich etwas an, wenn Ihr kartanische Mädchen vergewaltigt, wenn Ihr unterwegs Rast macht, ja, es geht mich sogar etwas an, wenn Ihr am Straßenrand in die Blumen pisst!«

In Geralds Augen funkelte etwas, das ich auf den ersten Blick, als Wahnsinn deuten würde.

Auf einmal packte er das Oberteil meines Kleides und zerrte mich daran zu sich, sodass sein ekelhaft stinkender Atem direkt in mein Gesicht blies und ich kaum Luft bekam für einen Moment. Meine Finger krallten sich in sein Handgelenk und ich starrte ihn herausfordernd an.

»Ihr seid eine verwöhnte kleine Schnepfe, die ihre Nase ständig in fremde Angelegenheiten stecken muss, oder? Ihr seid herrisch, besserwisserisch und habt außergewöhnlich viel Temperament. Wer weiß, ob der Prinz überhaupt so viel Mut hat, Euch zu bändigen?« Seine freie Hand ergriff mein Kinn.

»Wagt Ihr es tatsächlich, mich anzurühren? Hier?«, fauchte ich und versuchte seine Hand von meinem Kleid zu lösen, das er nach wie vor festhielt.

Er hob eine Augenbraue und blickte über mich hinweg zu Aera, die in einiger Entfernung noch immer zitternd stand. Ich wusste, wenn ich ihr ein Zeichen geben würde, abzuhauen, würde Gerald sie schnappen und mit Sicherheit totprügeln, damit sie nicht meinem Bruder Bescheid gab. Aus diesem Grund blieb ich still, um ihn nicht zu provozieren, ihr doch etwas anzutun.

»Ihr seid eine kleine Hexe«, zischte Gerald und sein alkoholbelasteter Atem ließ meine Augen tränen. »Merkt Euch meine Worte: Irgendwann werde ich Euch alleine treffen. Dann wenn Ihr es nicht kommen seht und, wenn Euer Ehemann sich mal nicht an Euren Arsch presst, werde ich Euch zeigen, wie sich eine Frau zu unterwerfen hat! Ihr werdet Euch wünschen, nicht geboren worden zu sein, wenn ich mit Euch fertig bin!«

»Lasst mich los«, knurrte ich ihn gefährlich leise an.

Überraschender Weise kam er meinem Befehl nach und ließ von mir ab. Sein finsterer Blick wanderte über mich hinweg zu Aera, die noch immer dastand und uns anstarrte, dann peste er an uns vorbei und verschwand hinter einer Ecke des Gebäudes. Tief durchatmend starrte ich ihm nach, seine Drohung ließ mich bis auf die Knochen frieren.

Das war keine Drohung, schoss es mir durch den Kopf. Das war ein Versprechen!

»Geht es Euch gut, Prinzessin?«, fragte Aera mit bebender Stimme.

Benommen nickte ich, drehte mich zu ihr um und bemerkte ihr zerrissenes Kleid. Schlagartig wurde ich wach. »Und bei dir? Hat er dir etwas getan?«

Sie schüttelte nur leicht den Kopf. »Ihr seid zur rechten Zeit eingeschritten. Aber Euer Kleid...«

Benommen schaute ich an mir herunter. Mein Kleid war am Kragen eingerissen, sodass man mehr von meiner jungen Brust sehen konnte, als für eine Dame schicklich war. Ich presste das eingerissene Ende an meinen Körper und zog mein Schultertuch darüber, um mich zu bedecken. Wenn mein Bruder das sehen würde, würde er mich garantiert ausfragen, was vorgefallen war und, wer es gewagt hatte, mich anzurühren. Und ich hatte beim besten Willen keine Lust, ihm eine Erklärung aufzutischen, mit der er ohnehin nicht zufrieden sein würde. Er würde die Wahrheit immer herausfinden, wenn ich ihn anlog.

»Es ist nicht schlimm.«, erwiderte ich. »Aber du solltest dich die nächsten Tage bedeckt halten und ihm aus dem Weg gehen. Er ist ein grausamer Mann.«

Ihre großen, blauen Wasseraugen starrten mich besorgt an. »Aber, was ist mit Euch? Wenn Ihr mit ihm weiterzieht, seid Ihr ihm ausgeliefert... die Drohung!«

»Es war ein Versprechen«, sagte ich finster und blickte erneut in die Richtung, in der Gerald verschwunden war. »Aber auf der Reise wird er es nicht wagen, mir etwas zu tun. Ich genieße den Schutz des Königs und die Gefahr, dass ich König Ragnar oder Prinz Regan erzählen würde, das er mich auf der Reise angerührt hätte, riskiert er nicht. Außerdem habe ich Freunde, die mich beschützen.«

Ich wusste nicht, ob es mutig oder vorgegriffen war, Talmar einen Freund zu nennen, aber der ältere Soldat schien wenig angetan von seinem Führer zu sein und schien mich, im Gegensatz zu Gerald, nicht als Feind zu sehen. Er war freundlich gewesen und vielleicht war er der Einzige, der es wagen könnte, sich Gerald in den Weg zu stellen, wenn dieser im Begriff war, mir etwas anzutun. Und leider hatte ich mir mit Gerald einen Feind geschaffen, auf dessen Schutz ich auf dieser Reise angewiesen war, denn in den Wäldern und auf den Straßen lauerten Banditen und Weggelagerer. Eine Frau war hier draußen nicht sicher.

Aera blickte mich zweifelnd an, dann nickte sie jedoch. »Was auch immer Eure Beweggründe waren, ich danke Euch dafür. Ihr hättet das nicht tun brauchen.«

Blinzelnd sah ich sie an. »Was meinst du damit?«

»Die meisten Adligen scheren sich nicht um die Ehre eines Schankmädchens, Prinzessin.«, sagte sie, als wäre es selbstverständlich. »Ihr habt außergewöhnlich viel Mitgefühl.«

Ich runzelte die Stirn. Das hätte ich niemals so gesehen, aber es stimmte vielleicht. Allerdings wollte ich es nicht Mitgefühl nennen, eher einen Sinn für Gerechtigkeit. Ich hatte daheim oft genug die Ungerechtigkeiten der Welt erfahren, nicht nur am eigenen Leib. Es war ganz öffentlich behandelt worden, als ich zur Frau wurde, es wurde verkündet und ich war mir mittlerweile sicher, dass meine Mutter schon damals Beziehungen in die beiden Königshäuser gesponnen hatte, um mich einem der verbliebenen Prinzen des Nordens zu verheiraten. Aber anscheinend schien meiner Mutter und meinem Vater das Bündnis mit Woberok wichtiger zu sein, als mit Fenral. Obwohl Fenral wohl die sicherere Partie gewesen wäre, da König Sworin gleich drei Söhne hatte, an die man mich hätte verheiraten können. Das war es, was mich schon immer gestört hatte. Die Zwielichtigkeit, die Intrigen am Hofe...

Mein Blick war hart und entschlossen. »Ich habe kein Mitgefühl, denn Gerechtigkeit hat nichts mit Mitgefühl zu tun, Aera. Denke immer daran und erinnere dich an diesen Abend, dein Leben lang. Und nun fort mit dir und lasse dich in Geralds Nähe nicht sehen. Ich bin sicher, dass er es wieder versuchen wird. Ich werde nicht immer hier sein, um dazwischen zu gehen.«

Aera machte große Augen, dann nickte sie hastig und lief davon.

Beruhigt, dass sie sich meine Worte zu Herzen nahm, atmete ich durch und folgte ihr nur wenig später, um endlich zu Bett zu gehen. Sorgsam darauf bedacht, dass man mein eingerissenes Kleid nicht sehen konnte. Im Innern des Anwesens hörte ich noch schwaches Treiben, das Personal, das in der Küche Ordnung schaffte und die Lichter in den unbesetzten Räumen löschte, Soldaten meines Bruders und der Woberoker, die sich noch ein Gefecht mit Spielkarten lieferten und den Abend bei einem Bier ausklingen ließen. Mit schweren, müden Schritten erklomm ich die Treppe und folgte dem Gang zu meinem Zimmer.

Die schwere Holztür schloss ich zur Sicherheit ab, falls Gerald es sich anders überlegte und versuchte, seine Drohung noch heute Nacht wahr zu machen. Anschließend setzte ich mich vor den kleinen Kamin, den es in meinem Zimmer gab und nahm noch meine Handarbeit hervor. Die runde Stoffscheibe, die am Rand über einen dünen Holzrahmen gespannt und festgenäht war, zeigte in der Mitte das Kartanische Wappen des Löwen, verziehrt mit den roten Lilien der Sonnenlande, von denen mein Volk einst gekommen sein sollte. Ich betrachtete den aufgebäumten Löwen auf meiner Arbeit und starrte anschließend in die Flammen.

Die Sonnenlande... ich hatte bisher nur Geschichten von meinen Brüdern darüber gehört. Meine Mutter hatte stehts verboten, dass ich die Chroniken in der kartanischen Bibliothek lesen sollte, sodass man alle Sagen und Legenden darüber immer sorgfältig weggeschlossen hatte. Aber immer, wenn ich mit Harris, Rikkon oder Tristan draußen in den Wäldern war, hatten sie mir davon erzählt. Es sollte ein fruchtbares, magisches Land gewesen sein. Seltsame Kreaturen, von dessen Existenz heutzutage nur noch Märchen und Sagen übrig waren, sollten das Land durchstreift haben. Tiere, die heutzutage unsere Banner und Wappen schmückten. Wie der Riesenkraken auf dem Wappen der Seeleute an Fenrals Küsten, der weiße Wolf auf dem Wappen Ikards von Woberok oder der Greif auf den Bannern der Menschen in Greifenwald, das Haus meiner Mutter. Es war zwar so, dass Woberok, Kartan und Fenral die großen Haupthäuser des Nordens waren, allerdings spalteten sich unter jedem Haupthaus noch kleinere Häuser ab, die alle ihre Gebiete hatten und den großen Haupthäusern, denen sie unterstellt waren, ihren Tribut zollten. Abgaben an den Ernten, Soldaten und Ländereien.

Und Kartan kam einst aus den Sonnenlanden. Besiedelt von Menschen und Kreaturen, die in Einklang lebten, bis sich jene dazu entschlossen, dem Frieden ein Ende zu bereiten. Vertrieben von den einst mächtigsten Kreaturen, den Drachen, führte Amos, der Lichtbringer, seine Gefährtin Mara, die Feuergöttin und ihre gemeinsamen Kinder, die Menschen, in ein neues Land. Mara, die einst den Drachen das Feuer der Sonne schenkte, damit sie es tranken und Flügel, damit sie flogen und diese den Menschen zeigten, es zu gebrauchen, war ganz starr vor Kummer, dass ihre ersten Kinder, die Drachen, solchen Verrat begingen. Nachdem sie die Menschen in das neue Kaiserliche Land geführt hatten, verließen die beiden Göttlichen ihre Schützlinge, um aus der Ferne über sie zu wachen. Die Menschen, die zurückblieben, wurden von je her als Kartaner bezeichnet, Kinder des Feuers.

»Aber wie kamen die Woberoker und die Fenraler ins Kaiserland?«, hatte ich Harris damals gefragt, der mir gegenüber am Feuer gesessen und ein Kaninchen gehäutet hatte, das ich geschossen hatte.

Rikkon, der auf einem Stein nicht weit von uns gesessen und seinen Bogen bearbeitet hatte, unterbrach seine Arbeit. »Die Woberoker und Fenraler haben andere Götter, Kira. Sie kommen aus einem anderen Land und wurden genauso, wie wir, daraus vertrieben. Die Woberoker, die von je her aus dem höchsten Norden stammten, abgespalten von den Wilderern lebten von Anbeginn der Zeit im Norden. Sie kennen nichts anderes als Schnee und Kälte, sie sind die Kinder des Eises.«

»Und Fenral ist der Spross der Erde«, fügte Tristan hinzu und stocherte im Feuer umher.

Ich hatte die Stirn gerunzelt. »Und die Kinder der Luft? Wo sind sie hin?«

Meine Brüder hatten geschwiegen.

»Sie sind vor tausenden Jahren verschwunden... sterbend in ihren Landen, ertrunken am Feuer, das ihnen Mara gab. Sie sind fort, Kira, und sie werden niemals zurückkehren.«, sagte Rikkon finster.

Ich schnappte nach Luft und hob den Kopf. Es war dunkel um mich herum, die Glut glimmte nur noch schwach im Kamin und meine Handarbeit lag zerknüllt am Boden. Ich musste eingeschlafen sein...

Benommen hob ich meine Arbeit auf und legte sie in den Korb zurück, aus dem ich sie genommen hatte. Meine Finger zitterten, als ich aufstand und zum Bett hinüber torkelte, mich schwer darauf sinken ließ und immer wieder die Stirn runzelte. Die Kinder der Luft... ertrunken am Feuer. Ja, die Drachen waren vor langer Zeit verschwunden, als die Menschen entschlossen, ihren Eltern, den Göttlichen zu folgen, fort von der grausamen Herrschaft der Drachen. Mit ihnen verschwand die Magie aus dem Leben der Menschen, sie verschwand aus ihren Herzen und, falls doch ein einsamer Magier oder Zauberer gefunden wurde, der versuchte, die alte Macht heraufzubeschwören, auf, dass sie in unser Land zurückkehrte, blühte ihm etwas Schrecklicheres, als Folter.

Er schmorte in dem Feuer, das uns die Drachen geschenkt hatten, damit wir mehr tun konnten, als uns von Käfern und Gewürm zu ernähren. Nur einmal hatte ich gesehen, wie mein Vater auf dem Richtplatz in der Stadt eine Hexe hat hinrichten lassen. Sicher hatte sie sich gewünscht, ein schnelles Ende zu erhalten, aber sie verbrannte langsam, qualvoll.

Ich schüttelte den Kopf, zog mich um und fiel erschöpft ins Bett, presste mein Gesicht ins Kissen und fiel in einen unruhigen Schlaf. Begleitet wurde er von unheimlichen Träumen von Kreaturen, größer, als ein Haus, von Feuer und Hexenblut.

.

 

 

 

 

 

Und Amos nahm seine Gefährtin bei der Hand und schritt durch das Tor, gefolgt von den Menschen.

Er erblickte das Land der Kaiserlichen zuerst und befand es als gut.

Hier würden die Menschen Frieden finden.

 

Kinder des Feuers, Das Vermächtnis des Feuers Band II

Kapitel 6

 

 

Zur selben Zeit

 

 

Das Schnauben seines Hengstes war schwer, das schweißnasse Fell glänzte im fahlen Tageslicht dieses Nachmittags und Regan presste die Innenseiten seiner Schenkel fester gegen den Sattel, beugte sich vor und trieb sein Tier zum Äußersten an, bis er den steilen Hügel erklommen hatte. Ruckartig riss er den Zügel zurück, der Hengst wieherte protestierend und stoppte abrupt. Nervös tänzelte er auf der Stelle, als Regan, wieder einmal überwältigt von dem Anblick die mächtige Burg anstarrte, die sich vor ihm empor hob. Dunkle Steinmauern ragten in den Himmel, unheimliche Türme bohrten ihre Spitzen in die Höhe und karges Land umgab die Burg. Das flache Hügelland war durchsetzt von Felsklauen und wildem Gestrüpp bestehend aus verschiedenen Berggräsern, Flechten und Tundragras und einige Stellen waren bereits mit weißem Frost bedeckt. 

Das mächtige Burgtor, welches durch ein gewaltiges Fallgitter geschützt wurde, war von den Bannern des Hauses Ikard geziert. Dem weißen Wolf auf grauem Grund. Das Haus seines Schwagers und seiner Schwester. Zwar gehörte Esme noch immer zur Königsfamilie und war eine Prinzessin, jedoch war sie auch die Clanherrin des Hauses Ikard und somit Herrin über diese Burg. Ihr Vater hatte kurz nach der Heirat der jungen Frau sofort bereut, sie an den Clanherren Ikards gegeben zu haben, da Fenral kurz danach Interesse gezeigt hatte. Die drei Söhne waren durchaus eine gute Partie gewesen, um den Frieden im Norden zu stärken und Kartan wäre kaum etwas anderes übrig geblieben, als ein Bündnis auszuhandeln. Denn ein Bündnis zwischen zwei Häusern war eine Bedrohung für ein alleinstehendes Haus. Es war klar, dass sich im Falle eines Krieges, und der Frieden war nun einmal sehr brüchig, die verbündeten Häuser unterstützen würden. Niemand kam ohne Hilfe aus.

Regan klopfte seinem Hengst auf den Hals und gab ihm die Sporen. Er wollte vor Einbruch der Dunkelheit in Ikard sein, denn es sah verdammt nach Regen aus.

Als er näher kam an diese gewaltige Burg, ragten die Türme noch unheilvoller empor, die Mauern waren mit Soldaten besetzt, die allesamt den weißen Wolf trugen und bewaffnet waren mit Bögen, Schwertern und Äxten. Die dunklen Zinnen verbargen vielleicht die Armbrustschützen, aber Regan spürte, dass sie da waren. Und plötzlich merkte er, dass etwas nicht stimmte.

So stark war Ikard sonst nicht bemannt.

Vor dem Tor ließ er seinen erschöpften Hengst vortraben, bis er von einem Wachmann aufgehalten wurde. Genau in diesem Augenblick begann es zu regnen und in nur wenigen Sekunden war Regan durchnässt. Sein rabenschwarzes, kurzes Haar klebte ihm an der Stirn und die Schweißschicht war von seinem Pferd gewaschen.

»Was führt Euch des Weges?«, erkundigte sich der Wachmann.

Regan blickte auf ihn herunter. »Privates«, erwiderte Regan kühl.

»Und wen kann ich für Privates melden?«, zischte der Kerl neben dem Wachmann.

»Ihr könnt Eurem Clanherren sagen, dass der zukünftige König Woberoks vor Eurem Tor steht und bald bis auf die blanken Eier durchnässt ist! Lass mich gefälligst hinein!«

Sofort wurde der überhebliche Ausdruck im Gesicht des Burschen weggeschwemmt und er wurde bleich. »Prinz Regan...«

»Ja, komm, lass mich jetzt rein.«, knurrte Regan und stieg von seinem Pferd herunter, packte die Zügel und wartete, bis die Wachmänner seinem Befehl nachkamen.

Als sich das Fallgitter ratternd öffnete, führte er sein Pferd hindurch, direkt in den Burghof, wo noch reges Treiben herrschte. Soldaten flitzten von einem Ende zum Anderen, Bedienstete kamen ihren Aufgaben nach, der Hofschmied hämmerte ohrenbetäubend laut in seiner Werkstatt und die Stallburschen kuschten vor dem Stallmeister, der sie zur Eile antrieb. Sofort kam ein junger Bursche und nahm ihm den Hengst ab mit dem Versprechen, sich gut um das edle Tier zu kümmern.

»Was ist hier eigentlich los?«, fragte Regan den Soldaten, der ihn in das Innere der Burg führte.

»Es gab einen Wildererangriff in der Nähe in einem kleinen Dorf. Sie haben es gebrandschatzt und die halbe Bauernschaft abgeschlachtet. Nun sind die Flüchtlinge auf dem Weg hierher und viele sind nervös deswegen. Sie werden dreister.«

»Vor gerade erst drei Wochen habe ich einen Trupp gen Norden geführt«, erklärte Regan stutzig. »Wir vernichteten einen ihrer Außenposten. War ihnen das noch nicht Warnung genug?«

Der junge Soldat, dessen Haar so hell war wie frischer Sommerweizen, blickte Regan ernst an. »Sie sind im Herzen, wie wir Woberoker. Würdet Ihr Euch geschlagen geben, wenn ein einziger Außenposten fiele?«

Er hat Recht, dachte Regan. Die Wilderer waren im Herzen wie die Woberoker, stolz und mächtig. Niemals würde sich ein Woberoker geschlagen geben, wenn ein Kampf verloren wäre. Deshalb auch war der Krieg, der zwischen ihren Völkern brannte, noch viel mehr, als reines Kräftemessen. Die Woberoker waren einst wie die Wilderer. Es waren Männer und Frauen, die in den Bergen dieses Landes lebten. Männer, die kriegerische Taten vollbrachten, brandschatzten und vergewaltigten. Ihre Opfer ließen sie verstümmelt zugerichtet für ihre heiknischen Götter da. Die Frauen waren zum Gebären da, ansonsten dienten sie den Männern zum Vergnügen und, um die heiligen Rituale zu vollziehen, in denen öfters ein junges Mädchen geopfert werden musste.

Bis sich eine Gruppe Männer und Frauen von dem Rest ihres Volkes abspaltete. Sie waren es leid, Menschen zu töten und Rituale voller Grauen zu vollziehen und nie eine Antwort auf ihre Gebete zu bekommen. Denn der Gott des Todes kannte keine Gnade, kein Mitgefühl für seine Kinder. In ihrer Not wandten sie sich an die Wintergöttin, die als wachende Schutzgöttin über ihre Neugeborenen wachte. In ihrer Verzweiflung wagten die jungen Woberoker es, der Wintergöttin mehr Achtung entgegen zu bringen, als dem Totengott. Die Wilderer, die ihren Traditionen treu blieben, schmeckte das alles gar nicht. Sie begannen die Ungläubigen zu verbrennen, sie als Ketzer und Hexen zu bezeichnen, obwohl sie es waren, die ihrem Totengott Opfer darbrachten und sich seine Gunst so verdienen wollten.

Und dann erhob sich ein mächtiger junger Krieger, der es wagte, sein neues Volk fortzuführen. Mit seiner Familie und allen mutigen Woberokern floh er von den Bergen in das Flachland. Es hieß, dass dieser Mann mit dem Namen Woberok gerufen wurde und sein Sohn, den sein Weib ihm schenkte, der erste König von Woberok war. Stein um Stein bauten sie die Mauern der Festung. Sie spalteten sich in verschiedene Häuser und verteidigten ihre Heimat von je her vor ihren einstigen Clansgefährten.

»Führe mich zu deinem Clanherren.«, verlangte Regan mit grimmiger Entschlossenheit.

Der Soldat kam seinem Befehl augenblicklich nach, führte Regan durch die finsteren Gänge der Burg bis hin in das Arbeitszimmer des Burgherren. Dort angekommen öffneten zwei grimmig aussehende Männer die schweren Flügeltüren und ein beleuchteter Raum bestehend aus dunklem Stein kam zum Vorschein. Bücherregale säumten die Wände, ein mächtiger Schreibtisch stand in der Mitte direkt vor dem großen verglasten Fenstern. Dunkelgraue Vorhänge hingen zu beiden Seiten, sodass man den Raum auch völlig hätte verdunkeln können. Bücher und Schreibmaterialen lagen verstreut auf dem Tisch und diverse Kerzenhalter sorgten für Licht.

Doch Regan interessierte zu aller erst die kleine Waschschüssel, die auf einem Sockel neben der Tür stand. Er hielt direkt darauf zu und war bereits im Begriff, seine schmutzstarrenden Hände in das Wasser zu tauchen, als eine spöttisch klingende Stimme die Luft zerschnitt.

»Ihr hattet schon immer einen Hang zu dramatischen Auftritten, Prinz Regan.«

Regan schnaubte und tauchte die Finger in das saubere Nass. »Ich freue mich auch, Euch zu sehen, Lord Caspian.«

Als er sich leicht umwandte, erblickte er den Ehemann seiner Schwester. Der hochgewachsene Mann, dessen Alter rund dreißig Winter zählte, trug an jenem Abend ein einfaches Leinenhemd und eine enge Lederhose, die im Licht mattschwarz glänzte. Sein dunkelbraunes Haar war kurz geschnitten, sein Bart säuberlich getrimmt, doch in seinen grünen Augen blitzte der Schalk und er hatte ein markantes Gesicht, wie beinahe alle Männer Woberoks.

Regan schöpfte eine Handvoll Wasser und benetzte sein verschwitztes Gesicht, bevor er sich das saubere Leinentüchlein nahm, das neben dem Bottich lag und sich damit über das Gesicht wischte. Eine schwarze Dreckschicht blieb auf dem einst weißen Stoff zurück.

»Fürchtet Ihr Euch dermaßen vor dem Gedanke, bald ein verheirateter Mann zu sein, dass Ihr nur drei Wochen, nachdem die Nachricht bei mir einging, in meiner Burg auftaucht? Was wollt Ihr hier? Euch vor Eurer Zukünftigen verstecken?«, fragte Caspian amüsiert und ließ sich auf den gepolsterten Stuhl hinter seinem Arbeitstisch fallen.

Regan schnaubte, auch, wenn Caspian vielleicht Recht behielt. Vielleicht floh er tatsächlich vor dem Gedanken, dass die kartanische Prinzessin in nicht allzu ferner Zukunft seine Frau sein würde. Dieses Mädchen, das kaum eine Frau war mit ihren sechszehn Wintern, die sie zählte, würde bald in Woberok einziehen. Würde ein Gemach im Bergfried bekommen und nach der Hochzeit würde sie sein Bett teilen. Er hatte bereits sehr viel über die Frauen im südlichsten Norden des Kaiserlandes gehört. Besonders die adligen Damen, wie man es dort wohl nannte, lernten nicht, wie die Mädchen des wahren Nordens, wie man Tränke braute, Wunden nähte und die wichtigen Aufgaben in der Burg erledigte. Nein. Sie lernten angeblich singen, Instrumente spielen wie ein Barde und wie man Handarbeiten stickte. Wozu war es gut, dass eine Frau sang? Wenn sie nicht ausgerechnet eine Bardin war, was in Woberok ohnehin sehr selten war, brauchte eine Frau doch nicht singen können. Oder Handarbeiten sticken? Sollte sie ihr Leben lang Handarbeiten anfertigen und die Burg damit vollstellen?

Nein. Seine und Esmes Amme hatte Esme vom Tage ihrer Geburt an beigebracht, wie sich eine nordische Frau Woberoks zu verhalten hatte. Sie musste kochen können, wie die Angestellten im Hause, um ihnen entsprechende Anweisungen zu geben. Sie überwachte, sofern sie die Hausherrin war, was seine Frau bald sein würde, den Briefverkehr und entschied, welche Briefe ausgesandt wurden. Eine Hausherrin entschied über die Ernennungen im Hofe, da ihr Gatte meist keine Zeit für solche Dinge hatte. Esme hatte schon mit sieben Jahren gewusst, wie sie eine Fleischwunde nähte und welche Kräuter und Pflanzen heilende, sowie schädigende Wirkungen hatten.

Regan bezweifelte, dass seine Verlobte - er wehrte sich innerlich dagegen, dieses verwöhnte kartanische Mädchen so zu nennen - diese Dinge auch nur ansatzweise beherrschte.

»Ich erinnere Euch daran, dass Euer zukünftiger König vor Euch steht, Caspian. Und wärt Ihr nicht der Gatte meiner Schwester, hätte ich Euch jetzt eine runtergehauen.«, schnaubte Regan, ließ sich auf den Stuhl vor dem Arbeitstisch des Burgherren fallen und schnappte sich einen der blutroten Äpfel, die in einer verziehrten Holzschale lagen. »Und ich verstecke mich hier nicht. Ich wollte nur meine Schwester besuchen.«

Caspian gab sich desinteressiert. Die angedeuteten Drohungen Regans kümmerten den jungen Burgherren schon lange nicht mehr. Schon früher, zu Zeiten, als er Esme noch nicht seine Frau nennen konnte, waren die beiden Männer nicht gut aufeinander zu sprechen gewesen. Doch das Verhältnis hatte sich noch merklich abgekühlt, als Caspian so tollkühn gewesen war, eine Audienz bei König Ragnar zu erbitten, um ihn um die Hand von Prinzessin Esme zu bitten. Und, als der König seiner Bitte auch noch stattgegeben hatte, war die Hoffnung, dass die beiden so etwas wie Freundschaft verbinden könnte eines Tages, zunichte gemacht worden.

»Sie schläft.«, sagte Caspian kühl, während er eine elegant geschwungene Falkenfeder aus dem Tintenfass zu seiner Rechten zog und sich den Unterlagen vor sich wittmete.

»Das hatte ich zu dieser Uhrzeit auch erwartet.«, erwiderte Regan und biss einmal herzhaft von dem Apfel ab.

Genervt von dem schmatzenden Geräusch fuhr Caspian zusammen und legte die Feder zur Seite. »Ohne Euch zu Nahe treten zu wollen, mein Prinz, aber ich habe noch eine Menge Arbeit zu erledigen und der Grund, weshalb Ihr hier seid, schläft tief und fest in meinen Gemächern.«

Regan lächelte süffisant. »Ich störe doch hoffentlich nicht.«

»Um offen zu sein: Doch!«

Herzhaft biss Regan erneut in den Apfel, kaute langsam und merkte, wie es in Caspian anfing zu brodeln. Die offensichtliche Abneigung im Gesicht seines Schwagers amüsierte ihn. Denn Caspian war einer der wenigen, die sie nicht hinter einer vermeindlich ruhigen Fassade verbargen, nur, weil er der Prinz und der zukünftige König war. In gewisser Weise schätzte er Caspian dafür sogar.

»Nun gut«, schmatzte Regan provozierend. »Bevor ich mich allerdings zurückziehe, wollte ich Euch fragen, weshalb ganz Ikard auf den Beinen zu sein scheint? Einer Eurer Gefolgsmänner sagte mir, dass die Wilderer ein Dorf gebrandschatzt haben.«

Caspians Miene wurde von Wütend zu Nachdenklich. »Allerdings. Dieses Dorf war eines unserer größten Nahrungs- und Warenlieferanten. Ich, als Lehnsherr, habe einen Großteil der Güter zugestanden bekommen und nun ist dieses Dorf nur noch Asche.«

Regan runzelte die Stirn. »Was hat Euch das Dorf eingebracht?«

»Rund fünfhundert Scheffel Weizen und Gerste den Monat und durch das Bergwerk in der Nähe genug Eisenerz für Schwert und Panzer. Nun wird die königliche Armee ohne diesen Teil meiner Abgaben zurechtkommen müssen.«, schob Caspian hinterher, ohne einen Hehl daraus zu machen, dass sich seine Abgaben an die Krone verkürzen würden.

Jedoch interessierte es Regan herzlich wenig, ob dadurch weniger Getreide oder Stahl in die Vorratskammern Woberoks gespült wurden. Es gab genug Dörfer und Gehöfte, um Woberok zu versorgen, dies würde an einem einzigen gebrandschatzten Dorf nicht scheitern.

»Das wird der König schon verkraften«, meinte Regan nebensächlich und beugte sich vor. »Werdet Ihr mit den Flüchtlingen fertig?«

Caspian zuckte die breiten Schultern. »Ikard ist schon mit ganz anderen Dingen fertig geworden. Außerdem ist hier immer genug Arbeit zu erledigen, die Flüchtlinge werden sich ihre Mahlzeit und ihren Platz am Herdfeuer der Burgherrin verdienen müssen, denn für Schnorrer gibt es hier keinen Platz. Und wer weiß? Vielleicht lässt die Zeit es zu, dass sie bald in ihr Dorf zurückkehren können. Ich habe nämlich vor, dort eine Kaserne zu errichten und es als Militärbasis zu nutzen.«

Regan wurde hellhörig. »Habt Ihr das schon mit dem König besprochen?«

»Ich bespreche es doch gerade mit seinem Sohn.«

»Es kam Euch also gelegen, dass ich hier aufkreuze, um meine Schwester zu sehen?«

Caspian hob eine Augenbraue. »Sagen wir, es war ein Umstand, der sich allmählich ins Positive wandelt. So muss ich wenigstens nicht nach Woberok reiten, während hier das Chaos herrscht. Die Flüchtlinge werden bald hier sein und rund dreihundert Bauern müssen medizinisch versorgt und gezählt werden. Ich will hier niemanden rein lassen, der nicht mit Name und Siegel eingetragen ist. Zudem will ich meine Frau nicht in diesem Zustand alleine lassen.«

»Zustand?«, fuhr Regan dazwischen.

»Ganz recht«, antwortete der Gastgeber. »Ich konnte schon nicht hier sein, als mein erster Sohn geboren wurde, das werde ich mit Sicherheit nicht wiederholen.«

Regan machte große Augen, da er noch immer nicht begriff.

Caspian lächelte leicht und schüttelte den Kopf. »Ich hoffe doch sehr, dass, wenn Euer erster Sohn geboren wird, Ihr weniger begriffstutzig sein werdet. Eure Schwester erwartet mein zweites Kind.«

Allmählich verging ihm der Appetit auf den Apfel in seinen Händen, sodass er ihn auf den Tisch legte. Esme war schwanger. Seine Schwester bekam ihr zweites Kind und eigentlich hätte es ihn freuen sollen, doch aus einem, ihm unerfindlichen Grund, drehte sich ihm beinahe der Magen um. Ein Gemisch aus Reue, Pflichtgefühl und Freiheitsdrang rumorte in seinen Innereien, wenn er daran dachte, dass die Familienplanung auch bald bei ihm ein Thema sein würde.

Als Esme damals ihren Jungen geboren hatte, hatte sich Regan als freier Mann gesehen. Seine Schwester war schon immer pflichtbewusster gewesen, als er, für den es nur seine stürmische Jugend gegeben hatte. Während das Mädchen wie die meisten woberokischen Töchter erzogen worden war, hatte Regan gekämpft, gevögelt und getrunken. Noch bevor er die junge Magd Igred zu seiner persönlichen Hure gemacht hatte, war er wie alle anderen jungen Kerle durch die Bordelle gehüpft. Und seine Schwester hatte Wunden genäht, Arbeiten verrichtet und früh gelernt, was es hieß, eine woberokische Prinzessin zu sein.

Selbst, als der König ihr mitteilte, dass sie bald nach Ikard ziehen würde, um den zehn Jahre älteren Lord Caspian zu heiraten, hatte sie mit geübter Zurückhaltung reagiert. Es war klar gewesen, dass sie diesem Befehl Folge zu leisten hatte, um dem Hause Woberok Ehre zu bereiten. Und dann, kurz nach der Hochzeit war die Nachricht gekommen, dass Esme ein Kind trug. Neun Monate später gebar sie Caspians gesunden Erben. Einen Jungen namens John.

Würde er es fertigbringen, seine junge Frau gleich in der Hochzeitsnacht zu schwängern und einen Erben für Woberok zu zeugen? Noch nie war ihm bei dem Gedanken an Sex so flau im Magen gewesen. Nicht einmal bei seinem ersten Mal, wo er sich plump und dämlich gefühlt hatte. Bei den Göttern, seine Verlobte war doch selbst noch ein Kind.

»Ihr seid ein wenig blass um die Nase.«, bemerkte Caspian.

»Könnte an Euren Äpfeln liegen«, entgegnete Regan und blickte seinen Schwager an. »Ich gratuliere Euch. Möge es ein weiterer gesunder Junge werden.«

Caspian nickte höflich. »Um auf das wesentliche Thema zurückzukommen: Was haltet Ihr von dem Plan, dort ein Militärlager zu errichten. Die Bauern sollen selbstverständlich ihre Ländereien bewirtschaften, wie gehabt.«

»Grundsätzlich ist es keine schlechte Idee.«, ging Regan auf das Thema ein. »Allerdings bezweifle ich, dass die Bauern mit dieser Entscheidung glücklich sein werden.«

»Weshalb?«

»Ganz einfach: Soldaten, oder Männer allgemein, die sich im Krieg befinden, sind anders, als gewöhnliche Männer. Glaubt Ihr, dass sich die Bauern sicher fühlen, wenn sich um sie herum ein Heerlager befindet? Meint Ihr, dass sich die Frauen sicher fühlen?«

»Es ist ihnen selbstverständlich verboten, die Bauern zu bedrohen und die Frauen zu vergewaltigen.«

Regan hob die Augenbraue, nahm den Apfel wieder in die Hand, drehte ihn im Licht der Kerzen. Dann fuhr sein Blick zu Caspian und stellte den Apfel vor ihm hin, ehe er sich erhob. »Wie vielen Soldaten wurde es im Krieg verboten zu vergewaltigen? Und wie viele Frauen haben in den Jahren darauf Bastarde in ihren Bäuchen gehabt, Caspian? Männer werden zu Bestien, sobald man ihnen eine Waffe in die Hand drückt. Das müsstet Ihr eigentlich wissen.«

Als Regan sich umdrehte und zur Tür schritt, erhob sich Caspian von seinem Stuhl.

»Werdet Ihr mit dem König über das Vorhaben sprechen?«

Aber Regan ließ die Frage unbeantwortet und ließ sich die Flügeltür öffnen. Es war seltsam, wie sehr ihn das Wiedersehen mit seinem Schwager erschöpft hatte. Mehr noch, als der meilenweite Ritt durch Woberoks Landschaften.

 

Der nächste Morgen brach langsam heran. Die Sonne kroch über die Spitzen der Berge, verdrängte seit langem einmal die undurchdringlich erscheinende Wolkenschicht und tauchte den Himmel in goldenes Licht. So klar die Luft an diesem Morgen auch war, so kalt und beißend war sie auch. Frost hatte sich über die wilden Wiesen, über die Steinmauern und dunklen Ziegel der Dächer gelegt und eisige Zapfen hatten sich von den vorspringenden Dächern gebildet. Auch zwitscherten an diesem Morgen kaum Singvögel, um Regan zu wecken.

Glücklicherweise war er bereits früh auf, wie es sich für einen Mann Woberoks gehörte. Er stülpte die schwarzen Stiefel aus weichem Leder über, als die Sonne über den Horizont kletterte. Er liebte die Sonnenaufgänge der letzten späten Herbsttage, die noch etwas Wärme spendeten, bevor die eisige Klaue des Winters dieses Land für mehr als vier Monate festhalten würde und sich das weiße Kind über das Land legte.

Nach dem gestrigen Gespräch mit Caspian hatte er noch eine Magd beauftragt, heißes Wasser in das kleine Zimmer zu schleppen und den Zuber zu füllen. Er musste diese Schmutzschicht loswerden, bevor er in ein sauberes Bett stieg. Denn, obwohl er es gewöhnt war, auf seinen Reisen und Patrouillen durch das Land, nie den Komfort zu besitzen, regelmäßig zu baden, tat er es, sobald er daheim war, beinahe jeden zweiten Tag. Er war gerne sauber und roch angenehm, auch, wenn es ihm nicht ständig vergönnt war.

Manchmal musste man tagelang zu Pferde bleiben, die Nächte durchreiten oder man fand keinen Bach oder Fluss oder gar Tümpel, um sich einer kurzen Katzenwäsche zu unterziehen, geschweige denn, dass man in das eisige Wasser waten wollte, um sich zu waschen.

Nach dem heißen Bad am gestrigen Abend, in dem er noch viel nachgedacht hatte, war er zu Bett gegangen und hatte sich eine Mütze voll Schlaf geholt. Seltsamerweise musste er diese Nacht das erste Mal von dem kartanischen Mädchen träumen, dessen Gesicht er noch nie gesehen hatte. Insgeheim fragte er sich andauernd wie sie wohl aussehen mochte. Von den Kartanern war es bekannt, dass die Angehörigen der königlichen Familie kastanienbraunes Haar besaßen, das kupferfarben leuchtete, wenn das Licht ihr Haar berührte, so wie Mitglieder der woberokischen Königsfamilie das typische rabenschwarze Haar besaßen und Fenraler strohgelbes Haar.

Ob seine Verlobte ebenfalls kastanienbraunes Kupferhaar hatte?

Würde ihm ihr Aussehen Schande machen? War sie schön oder hässlich? Wäre sie dürr oder mollig?

Er schüttelte sich bei dem Gedanken, dass sie hässlich sein könnte.

Rasch verdrängte er alle Gedanken daran, denn diese würden noch früh genug in seinem Kopf herum schwirren, sobald er mit Esme reden würde. Er seufzte, erhob sich von der Bettkante und schnappte sich den dunklen Lederwams, warf sich die restliche Kleidung über und verließ seine Gemächer.

Mehrere dunkle Gänge und Treppenabsätze in dieser Burg später fand er sich in der großen Festhalle wieder. Diese war gleichzeitig der Speisesaal und alle Bänke und Tische waren an die Seiten der Wände gestellt worden, sodass die Bediensteten nicht behindert wurden, während sie an diesem Morgen mit Eimern und drahtigen Schrubbbürsten den Boden reinigten.

Regan schritt zwischen den Dienern hindurch auf den wagerecht stehenden massigen Tisch, der auf einer Anhöhe des Bodens stand, die man mit Stufen erklimmen musste. Direkt in der Mitte stand ein massiver hölzerner Stuhl, der dem Clanherren Ikards vorbehalten war. An diesem Morgen war er leer und auch der blankpolierte Teller und der unbenutzte Kelch wiesen daraufhin, dass Caspian dem Morgenmahl fern geblieben war.

Dafür jedoch saß die Clanherrin auf dem wesentlich kleineren Stuhl direkt nebem dem Leeren und machte große Augen, als sie ihren Bruder erblickte.

Esme war schön, wie eh und je. Die Frauen Woberoks waren schon immer mit einer seltsamen Anmut ausgestattet gewesen, die sie erhaben wirken ließen. Das schwarze brustlange Haar floss ihr in Wellen um den Hals. Sie hatte die obersten Haupthaare zu einem Zopf geflochten, der ihr über dem übrigen Haar auflag. Schon immer hatte sie das Haar offen getragen, genau, wie ihrer beider Mutter einst, als sie noch lebte. Zwar konnte Esme das nicht wissen außer aus Erzählungen, da ihre Mutter im Kindbett gestorben war, nachdem sie Esme geboren hatte.

Die hellblauen, wachen Augen waren mit einer Ruhe versehen, die Regan jedes Mal verwirrte. Sie wirkte so viel älter, als sie war. Vermutlich lag es daran, dass sie bereits mit ihren jungen zwanzig Jahren einen dreijährigen Sohn hatte.

Sie war nicht viel älter als meine Verlobte, als sie ihren ersten Sohn gebar, schoss es Regan heiß siedend durch den Kopf. Und sie war nicht älter als sie, als sie Caspian heiraten musste.

»Regan? Was... was tust du denn hier?«, fragte Esme erstaunt.

»Hat dich dein Göttergatte nicht von meiner Anwesenheit unterrichtet?«, wollte Regan zynisch klingend wissen.

Die junge Frau hatte mittlerweile den Tisch umrundet. Das Kleid, das sie trug, umschmeichelte ihre schlanke Erscheinung und die ausladenden Trompetenärmel verliehen ihr etwas Elfenhaftes, so wie sie herum flatterten. Sie lächelte leicht, als sie vor ihm stand und breitete unbeholfen die Arme aus. Grinsend schlang Regan die seinen um ihre Taille, hob sie hoch und wirbelte sie einmal umher.

Ihr Kichern war Balsam für seine Seele.

»Heute Morgen sagte er nichts dergleichen.«, sagte sie, als er sie wieder auf dem Boden abgestellt hatte.

»Das war ja wieder klar. Das Beste will er nicht preisgeben.« Regan zuckte die Schultern. »Ganz im Geheimen, langsam glaube ich, dass er mich besser leiden kann.«

Esme grinste und schlug ihm spielerisch auf den Arm.

»Onkel Regan?«

Die beiden drehten sich herum und mit der Zweisamkeit war es aus, als Regan seinen kleinen Neffen sah. Es war beinahe unheimlich wie sehr er Caspian glich... und wieder nicht. Denn er sah beinahe aus wie Regan, als er damals ein Kind gewesen war. Kurzes schwarzes Haar saß auf seinem kleinen Kopf, den Regan problemlos in eine Hand hätte nehmen können und sein kleiner Körper, der noch recht wackelig auf den Beinen war, steckte in einem grünen Kinderwams.

»John! Komm her und sag ›Hallo!‹«, wies Esme ihren kleinen Sohn an und streckte die Hand aus.

Der kleine Junge, der seinen Onkel bisher nur zweimal zu Gesicht bekommen hatte, tapste schüchtern zu seiner Mutter hinüber und versteckte sich scheu hinter ihrem Rocksaum. Vorsichtig lächelte sie Regan entschuldigend an, als John nichts weiter sagte.

»Verzeih ihm. Du bist noch ein Fremder für ihn.«

Regan nickte nur verständnisvoll, denn was hätte er auch tun sollen? Er hatte nicht vor den ersten Schritt zu machen und den Sohn seiner Schwester noch mehr zu verschrecken, als er vielleicht ohnehin schon war. Er kannte dieses Kind ja kaum und es stimmte ihn nachdenklich, ein so junges Leben zu sehen. Wäre es tatsächlich so schlimm, mit der kartanischen Prinzessin ein Kind zu haben? Wenn sie in Esmes Alter wäre, könnten sie ebenso einen dreijährigen Jungen haben... War es der Gedanke, dass er Vater werden sollte, der ihn abschreckte? Oder vielmehr der, gebunden an eine Frau zu sein, die er vielleicht niemals lieben könnte? Oder war es die Tatsache, dass sie kartanischen Blutes war, der ihn störte?

Kapitel 7

 

»Ach! Ihr seid schon auf? Zu solch früher Stunde?«

Regan fuhr herum und erblickte Caspian am anderen Ende des Saals. Sein Schwager trug an jenem Morgen einen ordentlichen Wams, geschmückt mit dem Banner seines Hauses, seine kräftigen Schenkel wurden von einer ledernen Hose verhüllt und glänzende Stiefel ließen seine Schritte wiederhallen. Insgesamt verkörperte Caspian das, was Regan zutiefst verachtete. Denn schon immer war sein Schwager ein Mann der großen Worte, jedoch nicht der großen Taten gewesen. Er redete und redete und saß anschließend doch in seiner warmen Burg mit all den Annehmlichkeiten, während andere die grobe Arbeit erledigten. Dafür lobte sich Regan insgeheim öfters: Er stand neben seinen Männern, wenn sie ausrücken sollten, Wilderer abzuschlachten. Er hatte daneben gestanden, als mehr, als ein Freund bei diesen Taten fielen. Er hatte sie auf ihren letzten Weg begleitet, ehe sie den Rest alleine gingen. Außerdem würde Regan sein Schwert darauf verwetten, dass Caspian nicht eine dieser Taten vollbracht hatte.

»Mein Gemahl«, grüßte ihn Esme voller Achtung und vollführte einen Knicks. »Ihr erwähntet heute Morgen gar nicht, dass mein Bruder unser Gast sein würde.«

Caspian grinste spitzbübisch und blickte Regan provozierend an. »Heute Morgen war es mir unter Euren kundigen Händen doch glatt entfallen.«

Regan starrte seinen Schwager finster an und baute sich vor ihm auf. Sein Blick war warnend, dass er es nicht zu weit treiben möge mit seinen Sticheleien. Dass er ihn provozierte war eine Sache, doch die eheliche Beziehungen, mit allem, was dazu gehörte, mit hinein zu ziehen, war gewiss kein Akt der Provokation mehr.

»Hebt Euch Eure Worte für die Männer auf, schließlich ist ein Kind anwesend«, zischte Esme und blickte ihren Gemahl streng an.

Caspian warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe er ihr Gerede mit einer Geste seiner Hand abtat. »Der Junge wird irgendwann auch das Bett mit einer Frau teilen, Weib. Besser er gewöhnt sich daran, denn er wird nicht ewig ein Junge bleiben.«

Esme starrte ihn an, legte eine Hand auf ihren Bauch und mit der anderen griff sie nach Johns kleiner Hand, ehe sie ihn mit sich zog. Anders, als erwartet führte sie ihn nicht zum Tisch, wo das Morgenmahl bereitet war, sondern zu einer der Türen, die hinter dem Tisch in die Tiefe des Bergfrieds führten.

Die Ehe der beiden verlief auch schon harmonischer, dachte Regan.

Er erinnerte sich noch an ihre freudige Erregung, als ihre Koffer gepackt wurden, um gen Osten zu ziehen. Sie hatte es als Ehre empfunden einem der treuesten Vasallen ihres Vaters zur Frau gegeben zu werden und der Gedanke, seine Kinder zu gebären hatte sie entzückt. Auch am Tage ihrer Hochzeit, die in Woberok gefeiert worden war, war sie scheinbar glücklich gewesen. Und auch Caspian war anders. Er wirkte viel härter und strenger und auch auf die Worte seiner Schwester schien er kaum noch Wert zu legen. Vor vier Jahren, als sie frisch verheiratet gewesen waren, hatte er auf jedes Wort gelauscht, das Esme ausgesprochen hatte und er hatte sie mit einem Blick schierer Verzauberung angesehen. Nicht umsonst hatte er König Ragnar um Esmes Hand gebeten.

»Nun ja«, sagte Caspian und blickte Regan an, als wäre soeben nichts weiter vorgefallen. »Da meine Frau augenscheinlich keinen Appetit verspürt, möchte ich Euch an meinen Tisch bitten. Ich habe einiges mit Euch zu besprechen. Gedenkt Ihr länger zu bleiben?«

Bis zu meiner Einkerkerung ins Eheleben, schoss es Regan durch den Kopf, als er sich Caspian gegenüber auf einen Stuhl sinken ließ.

 

Nach einem ernüchternden Morgenmahl, bei dem er Caspians Geschnattere zu ertragen hatte, der immer wieder von dem besagt geplanten Militärlager am Fuße des Wilderergebirges angefangen hatte, hatte Regan sich zurückgezogen. Ihm ging die offentsichtliche Begeisterung des Burgherren über sein Vorhaben allmählich auf die Nerven. War es nicht viel mehr eine Provokation für die Wilderer, wenn sich am Fuße ihres Gebirges ein Militärfort befände? Wären sie nicht gereizt, auch noch andere Dörfer zu überfallen, wenn sich dort woberokische Soldaten aufhalten würden?

Regan war mulmig bei dem Gedanken dieses Vorhaben mit dem König zu besprechen. Er befürchtete, dass König Ragnar ähnlich denken könnte, wie Caspian. Dass es zur Verstärkung der woberokischen Grenzen unverzichtbar wäre, dort eine Basis zu errichten, die die Bauern dort schützen und die Wilderer von woberokischem Boden fern halten würde.

Der junge Prinz fuhr sich nachdenklich über das Gesicht und ließ seine Gedanken zum ersten Mal freiwillig zu seinem eigenen Dilemma gleiten. Die Hochzeit, bei der er bedauerlicherweise anwesend sein musste, würde nur allzu bald stattfinden. Nur noch wenige Wochen trennten ihn von seiner zukünftigen Braut.

Wie sie wohl reagieren würde, wenn die Hochzeitszeremonie stattfinden und sie das heilige Ritual vollziehen würden, indem die Heilige, die sie trauen würde, ihnen jeweils mit einem Dolch in die Handfläche schneiden würde? Sobald das Blut heraus quellte, würden sie die Hände übereinander legen und das Blut ihrer beider Häuser vermischte sich und ihre Wege wären untrennbar verbunden.

Regan wusste, dass in Kartan weit weniger blutige Rituale vollbracht wurden, so war für sie das Ritual der ersten Nacht am wertvollsten. Für Männer und Frauen Woberoks war es gewiss auch wichtig, dass Mann und Frau sich in dieser Nacht begegneten, doch war es sehr viel wichtiger, wie das Blut und die Schicksale zweier Menschen sich verbanden. In der ersten Nacht blutete schließlich nur die Frau und nicht der Mann. Wie sollten sich so Schicksal und Haus verbinden?

Das war Regan schleierhaft.

Grübelnd schritt er durch die Gänge und Tunnel Ikards bis er in einem kleinen Garten landete, der umrundet war von hohen Steinmauern. Nur ein Weg führte unter einem dunklen Steinbogen hindurch in den Innenhof der Burg, wo Mensch und Tier an diesem Morgen fleißig arbeiteten. Das Hämmern des Schmiedes jedoch rückte in den Hintergrund, als er auf einer niedrigen Steinbank seine Schwester vorfand. Hinter ihr auf einem Wiesenstück saß John und spielte mit einem hölzernen Pferd.

Esme hob den Kopf, als er näher trat.

Der Ausdruck auf ihrem Gesicht schockierte ihn beinahe. Er wurde sich erst jetzt gewahr, dass ihre Augen dunkel gerändert waren und ihr Gesicht wirkte fahl und ausgemergelt. Erst in diesem Moment besann er sich und dachte an dem Moment, wie er sie herum gewirbelt hatte. War sie schon immer so leicht gewesen? So mager? Aß sie denn nicht? Wie hatte es ihm nicht vorher auffallen können?

Er wusste, weshalb. Caspian hatte ihn mal wieder provoziert und er hatte nur auf ihn geachtet.

Bedächtig setzte er sich neben Esme, deren Finger nervös an den Falten ihres Kleides zupften.

»Behandelt er dich schlecht?«, wollte Regan zähneknirschend wissen. »Schlägt er dich?«

Esme hob den Kopf, blickte ihn lange an, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein... aber manchmal wünsche ich mir, er täte es.«

»Warum?«

Sie zuckte die Schultern. »Ich liebe meinen Sohn, denke nicht, dass ich eine schlechte Mutter bin. Aber... seit John da ist... Caspian ist kühl und abweisend und ich komme mir vor, dass ich nur noch dafür gut genug bin.« Unauffällig deutete sie auf ihren spielenden Sohn.

Regan folgte ihrem Blick und sah einen Moment zu, wie John sein hölzernes Pferdchen über einen Stock springen ließ und fröhlich kichernd auf den nächsten Stock zusteuerte. Er war ein guter Junge und er wusste, dass Esme ihren Sohn über alles in der Welt liebte. Sie war so stolz gewesen, als ihr eröffnet wurde, dass sie Caspian einen Erben geschenkt hatte und John vor Gesundheit nur so strotzte. Auch Caspians Gesicht hatte gestrahlt, als er von einer mehrmonatigen Patrouille heimgekehrt war und seinen Sohn gesehen hatte. Damals war noch nicht klar gewesen, dass sich seine Reise verlängern würde und er war wütend auf sich selbst gewesen, nicht daheim gewesen zu sein, als seine Frau im Geburtsweh gelegen hatte.

Esme blickte in die Ferne, als sähe sie dort etwas, was allen anderen verborgen blieb. »Seit John da ist, will er, dass ich so schnell wie möglich einen zweiten Jungen bekomme. Er spricht von nichts anderem, als, dass er seine Linie durch einen zweiten Erben gesichert wissen will... und, wenn es nicht klappt und ich geblutet habe...«

»Was ist dann geschehen?« Regan blickte sie ernst an. Wenn er ihr auch nur ein Haar gekrümmt hatte, würde er seinem Gastgeber die Faust in die Fresse rammen!

»Ich weiß, dass er sich auch zu anderen Frauen legt.«, gestand sie ihm.

Am liebsten hätte Regan aufgeschrien! Wie konnte es dieser Bastard wagen, seine Schwester, die Prinzessin, zu hintergehen?! Hieß es nicht, man solle treu und rechtschaffen sein in der Ehe? Die meisten hielten sich zwar eh nicht daran, aber wie konnte Caspian es wagen? Mit anderen Weibern herum zu huren und sich anschließend wieder in das Bett seiner Schwester zu wagen?

»Hast du ihm gesagt, dass du es weißt?«

Esme lächelte ihn traurig an. »Es ist ein offenes Geheimnis. Aber, was soll ich auch tun? Ich bin eine folgsame Ehefrau, Regan. Wenn mein Gatte es für Gut erachtet, sich auch zu anderen Frauen zu legen, dann muss ich das akzeptieren.«

»Du musst gar nichts akzeptieren!«, brauste Regan auf.

Ernst blickte sie zurück. »Regan!«, fuhr sie dazwischen und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Ich habe dir nur davon erzählt, weil ich weiß, dass ich dir vertrauen kann. Unserem Vater ist es gleich, ob Caspian neben mir noch tausend andere Frauen und die Königin Fenrals vögeln würde, er würde die Ehe niemals annulieren. Und ich will das auch gar nicht. Es ist meine Pflicht, das Treiben meines Ehemannes hinzunehmen und nicht weiter zu hinterfragen. Es ist meine Pflicht, verstehst du?«

Während sie sprach, blickte Regan sie die ganze Zeit unverwandt an und war regelrecht entsetzt darüber, was sie dachte. Sie nahm es hin... Aber welches Recht hatte er, sich darin einzumischen. Solange Esme kein Problem mit den außerehelichen Liebschaften ihres Mannes hatte, konnte er nichts dagegen unternehmen. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass er nicht wütend darüber war.

»So wie es die Pflicht deiner zukünftigen Frau sein wird.«, fügte Esme wispernd hinzu.

Ruckartig hob er den Kopf.

»Sieh mich nicht so an, Regan. Glaubst du, die Nachricht aus Woberok ist an mir vorrüber gezogen? Ich weiß, dass Prinzessin Akira gen Norden zieht, um zur Wintersonnenwende deine Frau zu werden.« Ihre hellblauen Augen waren stur auf ihn gerichtet, ehe sie den Kopf leicht neigte. »Du bist nicht ohne Grund nach Ikard geritten, oder?«

Seufzend senkte Regan den Kopf, rieb sich den Nacken und starrte dann in den klaren Himmel, an dem nur kleine Schäfchenwolken vorbei zogen. »Nein. Es gab einen Grund, aber auf meine Fragen habe ich ja nun beinahe genug Antworten.«

Sie zuckte die Schultern. »Wie lauteten sie?«

»Wie hast du dich gefühl, als du ihn heiraten musstest?«

Ihr Gesicht verzog sich grübelnd, ehe sie einen Ellenbogen auf die Oberschenkel stützte, sich vorbeugte und dem Treiben im Hofe zusah. »Zuerst war ich voller Stolz, einem der ehrenhaftesten Vasallen unseres Vaters übergeben zu werden. Kurz danach packte mich die Wut, wie eine Stute an einen Hengst verschachelt zu werden, aber ich konnte ja ohnehin nicht viel dagegen tun. Jedes Mädchen verspürt mit Sicherheit Zorn darüber, wenn ihr Vater Hochzeitspläne schmiedet. Hochzeitspläne, ohne sie einzubeziehen. Ich war nervös vor der Hochzeit, doch während der Zeremonie glaubte ich, so etwas wie Liebe zu Caspian zu verspüren. Weißt du... anders, als man es von einem arrangierten Bräutigam erwarten dürfte, war er sehr sanft. Ich glaube sogar, behaupten zu können, dass wir uns für eine kurze Zeit sehr nahe standen.«

»Und das änderte sich.«, stellte Regan fest und runzelte die Stirn.

»Als ich mit John schwanger war und er dann fortritt... ich flehte ihn an, hier zu bleiben bis unser Kind geboren sei. Wir stritten uns, weißt du. Mitten im Burghof schrien wir einander an, bis er ganz nahe an mich heran trat, meine Oberarme packte und mir zuzischte, dass ich als folgsame Ehefrau meine Zunge zu hüten habe, besonders vor seinen Männern. Ich nahm seine Worte gar nicht so ernst, bis er sagte, ob ich ihn entehren wolle... Er ließ mich los und ich habe zugesehen, wie er mit seinen Männern die Burg verließ.« Nachdenklich blickte er zu John hinüber, der noch immer unbekümmert herum spielte. »Ich glaube, dass ich bis dahin blind dafür gewesen war, was es hieß, eine gute Ehefrau zu sein. Jedenfalls habe ich noch dort gesessen, bis es gedämmert hatte, ehe ich hinein ging. Als Caspian wiederkam, war er wie ausgewechselt. Ich habe es mir abgewöhnt, ihn beim Namen zu nennen und von da an hat es auch angefangen, dass ich fremdes Parfüm an ihm wahrnahm und blondes, braunes und rotes Haar auf seiner Kleidung fand.«

»Und dennoch legst du dich freiwillig zu ihm?«

»Auch, wenn dich das nichts angeht«, entgegnete sie ihm. »Ja. Was bleibt mir anderes übrig? Ich will ihm keine Schande bereiten, deshalb bin ich froh, dass es so schnell ging.«

Regan betrachtete ihre rechte Hand, die sanft und zärtlich auf ihrem Unterbauch ruhte. Eines musste Regan zugeben, sie verbarg ihre Enttäuschung und ihre Trauer über das Verhältnis, das sich zu Caspian entwickelt hatte, hinter einer eisernen Maske des Stolzes. Denn, obwohl Caspian ihr all dies antat, tat sie so, als würde sie sich geehrt fühlen, seine Frau zu sein und sein zweites Kind zu tragen. Und er sah noch etwas: Sie liebte ihre Kinder, obwohl sie Caspians Blut entstammten. Sie liebte ihre Kinder über alles in der Welt und Regan wusste, dass sich das in den nächsten Jahren, in denen sie mit Sicherheit noch mehr Kinder bekommen würde, nicht ändern würde.

»Caspian eröffnete mir, dass du sein zweites Kind trägst.«, murmelte Regan ruhig und blickte ebenfalls in den Burghof, der sich hinter dem Ausgang des kleinen Gartens befand.

Männer und Frauen arbeiteten gleichermaßen. Der Waffenschmied hämmerte auf einem noch unfertigen Stahlschwert herum, während sein Lehrling sich um weniger spektakuläres, jedoch genauso wichtiges kümmerte. Türschlösser, Schlüssel, Hufeisen und Werkzeug wartete darauf, hergestellt zu werden. Währenddessen scheuchte der Stallmeister die Stallburschen umher, sich um Futter und Wasser für die Rösser zu kümmern und Diener und Dienerinnen aller Art erledigten die Tagesaufgaben - Wasser für Kessel und Zuber herbei holen, gerupftes Federvieh vom Schlachter in die Burgküche befördern, Wäsche und Laken waschen und aufhängen, Böden kehren, Spinnennetze entfernen, Töpfe und Pfannen schrubben, Gemüse säubern, Essen zubereiten und noch mehr.

»Ja.«, sagte sie und ihre Stimme klang weich dabei. »Und ich bin stolz, dass wir dennoch so etwas Wunderbares erschaffen können.«

Regan runzelte die Stirn. »Vorhin sagtest du, dass du dich fühlst, als wärst du nur dafür noch gut genug.«

»So ist es auch.«

»Und jetzt meinst du, du seist stolz? Das verstehe ich nicht.«

Esme begann zu lächeln. »Du verstehst es, wenn du eigene Kinder hast. Wenn du diesem Mädchen in die Augen siehst, wenn du weißt, dass sie dein Fleisch und Blut in sich trägt. Wenn du weißt, dass sie deinen kleinen Prinzen oder deine Prinzessin in sich hat. Und, wenn du weißt, dass du neben ihr noch andere Frauen haben wirst. Sie wird dennoch stolz sein.«

Regan senkte den Blick bei ihren Worten, denn er fühlte etwas, das er bisher selten gefühlt hatte. Er bekam ein schlechtes Gewissen. Sofort, nachdem er die Nachricht von seinem Vater bekam, dass er die junge Prinzessin Kartans heiraten müsste, hatte er geschworen, die Liebschaft zu Igred nicht zu beenden. Er hatte regelrechte Witzchen darüber gerissen, wer es ihm verbieten möge, Igred weiterhin zu vögeln. Würde dieses Mädchen sich eines Tages wie Esme fühlen? Während er andere Weiber in sein Bett einlud, würde sie da seine Kinder austragen? Würde sie stolz sein? Oder würde sie ihn verfluchen?

»Woher willst du wissen, dass ich wie Caspian sein werde?«

Esme zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Aber, was denkst du, was sein wird? Würdest du Igred fallen lassen? Nur, damit du treu sein kannst?«

»Woher weißt du von Igred?« Regan hatte es stehts verschlossen gehalten, dass er mit der jungen Magd eine Liebschaft begonnen hatte. Das war vor langer Zeit gewesen, als sie beide beinahe noch Kinder gewesen waren. Schon mit jungen sechszehn Jahren hatte Regan ein Auge auf die selbstbewusste Magd geworfen, die schon dort als Hure am Hofe gegolten hatte, da sie sich zu höher gestellten Männern ins Bett legte. Eines Abends war Regan betrunken und mutig gewesen und war ihr hinterher gelaufen, als sie in die Gärten Woberoks gerannt war. Sie war an dem kleinen Labyrinth stehen geblieben und sie hatten einander angesehen. Die Lust hatte in ihrem Blick getobt, ebenso wie der Sturm des Verlangens in ihm. Es war schnell gegangen, ihr die Kleidungsstücken vom Körper zu reißen, sie vorzubeugen und zu nehmen. Schließlich hatte er Erfahrung darin gehabt, denn mit Sechszehn war er gewiss kein Unschuldslamm mehr gewesen. Danach waren sie getrennte Wege gegangen und er hatte noch öfters die Bordelle in der Unterstadt Woberoks besucht, aber seine Gedanken waren immer wieder zu der unvergleichlichen Nacht mit Igred gewandert. Als er sie das nächste Mal sah, hatte er ihr den Vorschlag unterbreitet, von nun an öfters mit ihm zu schlafen. Sie hatte sich mit lüsterndem Blick auf die Unterlippe gebissen und gesagt, dass sie ihm für dieses Angebot danken wolle, jetzt auf der Stelle.

Von diesem Tage an, war sie öfters zu ihm in die Gemächer geschlichen. Sie kannten sich schon so viele Jahre und nun veränderte sich alles. Er würde neben Igred eine Ehefrau haben. Ein Mädchen, das sehr viel jünger als er und Igred war. Und er wusste, dass er jedes Mal ein schlechtes Gewissen bekommen würde, wenn er Igred sehen würde, weil er wusste, dass dieses junge Mädchen in ihren Gemächern saß und sein Weib war.

»Ich weiß schon sehr lange von ihr, Regan. Glaubst du, mir ist entgangen, wie du sie damals immer angestarrt hast?«

Regan verzog den Mund. »Warum hast du nie etwas gesagt? Ich meine... Ich weiß auch nicht.«

Esme seufzte laut. »Ich weiß, dass du verwirrt bist, Regan. Du bist deshalb hier, oder? Um Abstand zu all dem zu haben, bis es soweit ist?«

Langsam nickte der Bruder zustimmend, ehe er den Kopf hängen ließ und sich den Nacken rieb. »Weißt du, ich will einfach nicht, dass sich etwas ändert! Ich will kein Weib zu Hause sitzen haben in Mitten schreiender Kinder. Ich will kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn ich mich mit Igred treffe und ich will nicht, dass ich das Bett mit einer Kartanerin teilen muss. Verstehst du, was ich meine?«

Esmes Gesichtszüge wurden dunkel. »Du willst keine Verantwortung für ein junges Mädchen übernehmen, das dir als Frau anvertraut wird.«, sagte sie ruhig. »Du willst keine Pflichten auferlegt bekommen, du willst deine Freiheiten und das Gefühl behalten, tun und lassen zu können, was du willst. Regan, hast du dich schon einmal gefragt, was sie will?«

Benommen sah er seiner Schwester in die Augen.

Sie wandte den Blick ab und erhob sich von ihrem Platz, ehe sie sich umdrehte. »John? Schatz, komm. Du musst noch zum Meister, lernen. Bestimmt ist er schon ungeduldig, wann du erscheinst.«

Regan beobachtete, wie John unwillig aufstand und seiner Mutter aus dem Garten folgte, um seine Aufgaben zu erledigen. Er wusste noch, wie sehr er es gehasst hatte, zu Meister Kovir zu gehen, um seine täglichen Aufgaben zu meistern. Rechnen und Schreiben, Lesen und Auswendiglernen. Alle Häuser musste ein Prinz im Schlafe aufsagen können, alle jene Vasallen und Ländereien, Landmassen benennen, Banner und Wappen, Leitsprüche und Mythen. Das alles musste auch John lernen, wenn er eines Tages ein guter Lehnsherr für seine Leute sein wollte.

Für eine ganze Weile blieb Regan noch sitzen, als Esme schon lange fort war. Das Gesagte beschäftigte ihn nicht nur für die nächsten Stunden, sondern für die nächsten Tage und Wochen. Er verbrachte noch eine ganze Weile in Ikard, ertrug seinen widerwertigen Schwager, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Jedoch hatte er sich abgewöhnt, ihn weiterhin zu provozieren. Er schenkte ihm nur regelmäßig einen frostigen, finsteren Blick, der Caspian oft genug auf seine Originalgröße zurecht stutzte. Die Zeit verbrachte er, sofern er Caspians Ausschweifungen über das geplante Militärlager nicht anhören musste, lieber mit seiner Schwester und seinem Neffen.

Esme erwähnte weder das Gespräch, noch die bevorstehende Hochzeit mit der Kartanerin nicht noch einmal, was Regan mehr, als nur begrüßte, denn es schmähte ihn noch immer. Während der Zeit, die er dort war, verbesserte sich das Verhältnis zu dem kleinen John merklich. Morgens beim Morgenmahl, wollte John unbedingt neben seinem Onkel sitzen, viel lieber, als er neben seinem Vater sitzen wollte und Regan machte sich daran, ihm ein wenig über das Spurenlesen beizubringen, wenn er in den Wäldern um Ikard herumstreifte. Leider sah er auch mit Wut und Trauer, wie Esmes Bauch zwar anschwoll, ihr Körper jedoch merklich dünner wurde. Bis er sie eines Abends zurechtwies und ihr befahl, zu essen. Sie hatte zerknirscht gewirkt und genickt, doch fragte sich Regan, weshalb sie keinen Appetit verspürte. Aber sie redete nicht darüber.

Er vermutete, dass es damit zusammenhing, dass Caspian sie ganz offen betrog, sich nicht einmal die Mühe zu machen schien, es zu verbergen. Es brodelte in Regan, wenn er daran dachte, wie dieser schmierige Einfallspinsel seine Schwester verspottete.

Regan konnte dagegen aber nichts unternehmen. Er hatte eigene Probleme und schließlich kam die Zeit, bis es kurz vor der Wintersonnenwende war. Noch wenige Wochen Zeit, zurückzureiten und dann würde er schon vor dem Altar im Göttertempel stehen und das Ritual vollziehen, was das Mädchen für immer an ihn binden würde. Inzwischen würde sie fast in Woberok angekommen sein.

An diesem Morgen packte er sein weniges Hab und Gut zusammen, packte die Scheide, die sein Schwert in sich trug, vom Bett und verließ das Zimmer. Er durchquerte die kleinen, engen Gänge der Burg und schritt ein letztes Mal, bevor er ein verheirateter Mann sein würde, in den großen Saal. An diesem Morgen saß Caspian schon auf seinem Stuhl und verspeiste ein Rebhuhn.

Wie überall im Norden wurde das Morgenmahl recht groß aufgefahren, um über den Tag verteilt genug im Bauch zu haben. Erst Abends gab es noch deftigere Gerichte, die ein Mann nach einem harten Tag auch brauchte. So wurde Morgens vor allem energiereiches gegessen. Skyr mit verschiedenen Früchten oder als Beilage zu Geflügel und Eier, Spek, schwarz angebraten, Linsen oder Erbsen, kleine Fische, Tomaten oder Salzgurken. Dazu meist dunklen Met oder Apfelmost.

»Schwager!« Caspian machte eine ausschweifende Geste. »Setzt Euch an meinen Tisch und nehmt reichlich zu Euch, die Reise wird lang.«

Regan blickte ihn ernst an, dann neigte er nur einmal den Kopf, erklomm die drei Stufen der Erhöhung und packte John unter den Achseln. Der Junge lachte fröhlich, nichts ahnend von dem Zwist seines Vaters und seines Onkels, als Regan ihn ein Stück weiter wieder auf die Bank setzte, um neben ihm Platz zu nehmen. Seine Schwester saß ihm schweigsam gegenüber.

Er warf einen Blick auf die Tafel und nahm sich mit den Händen etwas von dem frisch zubereiteten Rebhuhn, Tomaten und Salzgurken auf seinen Teller. Dazu etwas von dem Met und sein Mahl war komplett. Während er aß, beobachtete er seine Schwester, die jeglich mit etwas Rebhuhnflügel kämpfte und ansonsten schwieg. Der kleine John versuchte seinen Teil des Geflügels mit einer Spießgabel zu erstechen, bevor Regan ihm zeigte, dass man das Huhn mit den Fingern essen musste.

»Nun, Weib, würdet Ihr unseren Sohn zu seinem Unterricht geleiten? Ich muss noch etwas Geschäftliches mit Prinz Regan besprechen.« Caspians Blick ließ keine Widerworte zu.

Esme blickte erst ihn, dann Regan an, bevor sie nickte und sich erhob. »Wie Ihr befiehlt, mein Gemahl.«

»Ich will aber noch nicht gehen!«, quängelte John, als Esme ihn bei der Hand nahm und ihm von der Bank half. Sie zischte nur ein geflüstertes ›Psst‹, bevor sie mit ihm den Saal verließ.

Als seine Schwester fort war, fuhr Regans Blick ganz automatisch zu seinem Schwager herum, der ihn mit nachdenklicher Manier beäugte.

»Ich hoffe doch sehr, dass Ihr, sobald Ihr in Woberok eingetroffen seid, mein Anliegen vor den König bringt.«, begann Caspian und hob die Hand, als Regan zum Protest ansetzen wollte. »Bitte, Regan. Genug der Formalitäten. Ihr wisst, dass Woberok stark ist. Stärker, als alle Königreiche des Kaiserreiches. König Harold von Kartan ist fett und schwach, ein Mann, der sein Königreich kaum mehr kennt. Und Fenrals König Arton ist besessen von seinen Schiffen und das beinahe so sehr wie von seiner Krankheit. Doch die Wilderer sind stark in ihrem Glauben und die Verbrüderung mit unserem einstigen Feind ist eine Provokation und Bedrohung. Das Lager ist ein Schutz und eine Abschreckung.«

Regan schnaubte. »Ihr scheint vollkommen besessen von dem Gedanken an Schutz für Woberok zu sein. Wisst Ihr etwas, das wir nicht wissen?«

Pekiert fuhr Caspian zurück. »Ich sorge mich eben um die Sicherheit unseres Landes! Und vor allem sorge ich mich um die Sicherheit meiner Familie! Ihr könnt das vielleicht nicht nachvollziehen, schließlich habt Ihr nicht Frau und Kind.«

»Erzählt mir nichts über Familie!«, brauste Regan auf, sprang hoch und knallte eine Faust auf den Tisch, sodass die Metkrüge erbebten. »Wenn Ihr tatsächlich wissen würdet, was es heißt, Familie zu haben, würdet Ihr meine Schwester nicht Nacht für Nacht verhöhnen, indem Ihr Euch zu den Huren legt! Ihr würdet den Namen Eures Sohnes nicht beschmutzen, wenn Ihr fremde Frauen vögelt und ihnen Bastarde verabreicht! Also wagt es nicht noch einmal, zu behaupten, ich wüsste nichts von Familie!«

Caspian saß da, die Augen quellten ihm bald aus den Höhlen. »Woher wisst Ihr davon?«

Regan verengte die Augen zu Schlitzen. »Ihr habt nicht einmal den Anstand, es zu leugnen... Wenn ich noch einmal herausfinden sollte, dass Ihr Huren vögelt und Euch dann in das Bett meiner Schwester wagt, um einen weiteren Erben für Ikard zu zeugen, dann werden Eure Kinder bald Halbwaisen sein, das schwöre ich bei Skadi und den neun Göttlichen.«

Bevor Caspian noch ein Wort sagen konnte, wandte sich Regan um und verließ die Halle. Seine schweren Schritte hallten durch die Gänge, als er in den Burghof trat und auf den Stall zuhielt.

Der Stallmeister stand am Eingang zu den Stallungen und hielt den schwarz schimmernden Hengst an den Zügeln. Die Satteltaschen waren bis zum Rand mit Proviant gefüllt und der schwere, woberokische Schild war bereits am Sattel befestigt und baumelte an des Pferdes Flanke. Der woberokische Kriegssattel war aufpoliert, gewachst und gestärkt worden, die Satteldecke ausgeklopft und abgebürstet, die Schafswollfütterung auf der Unterseite ausgewechselt. Zudem hatte man seinem Pferd das Haar geschnitten und gekämmt.

Regan schritt auf seinen Hengst zu und nahm dem Stallmeister die Zügel ab, bedankte sich mit einem Nicken. Der Stallmeister zog sich grunzend zurück, sodass Regan seine Ruhe mit dem Tier hatte. Behutsam klopfte er ihm auf den muskulösen Hals. Die Wochen, die er in Ikard verbracht hatte, waren eine gute Ruhezeit für das Pferd gewesen. Er konnte sich wieder etwas Speck anfressen, hatte mit den übrigen Tieren auf den weitläufigen Wiesen hinter der Burg Kräuter und Herbstgräser fressen können. Nun war es wieder an der Zeit, zu arbeiten.

»Wolltest du dich ohne einen Abschied davonmachen?«

Regan wandte den Kopf und sah seine Schwester im Burghof, direkt hinter ihm, stehen.

Ihr schwarzes Haar war wie immer geöffnet, wie die adligen Woberoks es stehts trugen und das Kleid an ihrem Körper verbarg kaum mehr, dass sich schon eine leichte Wölbung in ihrem Unterleib zu erkennen gab. In etwas mehr, als einem halbem Jahr würde sie ihr zweites Kind zur Welt bringen. Wer wusste, ob er bis dahin ebenfalls werdender Vater sein würde?

»Gewiss nicht. Ich hätte dir vermutlich zugewunken.«

Sie lächelte und gab ihm einen Schlag auf die Brust. »Du hast einen furchtbaren Humor!«, flüsterte sie, als sie sich an ihn schmiegte. »Grüße unseren Vater von mir, wenn du ankommst.«

Regan nickte leicht und küsste sie auf die Stirn. »Ich komme dich nach der Hochzeit besuchen. Ich verspreche es.«

»Dann bring deine Braut mit. Ich würde sie dann gerne kennenlernen.«, sagte sie.

Sofort wurde es Regan schwer ums Herz. Am liebsten hätte er gesagt, dass er alleine kommen wollte, doch er konnte ihr den Wunsch nicht abschlagen, das Mädchen kennenzulernen. Auf einmal kam ihm jedoch ein Gedanke.

»Du wirst nicht dort sein?«

Sie ließ die Schultern hängen. »Ich habe Caspian davon versucht zu überzeugen, aber er ist der Meinung, es würde mir nicht gut tun. Zu viel Aufregung.«

»Unsinn!«, knurrte er. »Und, wenn ich ihm den Befehl dazu geben muss. Wir sehen uns zu meiner Hochzeit in Woberok. Dann kannst du sie dort kennenlernen.«

Esme lächelte und nickte. »Nun gut. Dann also zu deiner Hochzeit. Jetzt aber los mit dir. Sonst kommst du zu deiner Hochzeit noch zu spät.«

Regan atmete durch und neigte den Kopf. Er musste gehen, das wusste er. Zu gerne hätte er den Moment noch weiter hinaus gezögert, doch die Pflicht rief. Zum ersten Mal in seinem Leben gab es eine Pflicht, der er folgen musste. Und so schwang er sich auf seinen Hengst und straffte die Zügel, gab ihm die Sporen und jagte aus dem geöffneten Burgtoren Ikards. Seine Schwester winkte ihm zum Abschied, bevor er wieder die raue Wildnis Woberoks um sich hatte und seine Reise stetig bloß von dem Getrappel der mächtigen Hufe begleitet wurde.

Schließlich näherte sich eine Löwin seinem Königreich.

Kapitel 8

 

Allmählich wich der Wildnis Woberoks die Zivilisation - das, was man in diesem Barbarenland als Zivilisation bezeichnen konnte.

Es war mir schwer gefallen, nach gut drei Tagen auf dem kleinen Anwesen Flusswald, zu gehen, als Gerald zum Weiteraufbruch drängte. Harris war gewiss nicht begeistert gewesen von den harschen Worten, die Gerald gespien hatte, aber ich hatte ihm keinen Anlass mehr geben wollen, mich mit seinen zornigen Blicken zu erdolchen. Der Abschied war dementsprechend recht kurz. Harris hatte mich in den Arm genommen, meine Stirn geküsst und gesagt, dass wir uns zu meiner Hochzeit sehen würden, sobald die Einladung des Königs bei ihm einträfe.

»Tristan hat dir ein Messer gegeben?«, fragte Harris erstaunt, als ich ihm von dem Abschiedsgeschenk meines viertältesten Bruders erzählte.

Ich hatte nur die Schultern gezuckt. »Er wolle sichergehen, dass ich mich gegen meinen zukünftigen Mann verteidigen könnte, wenn es drauf ankäme.«

Er hatte geseufzt. »Gut. Ich kann ja nun doch nichts dagegen tun, schließlich kann ich es dir nicht wegnehmen. Aber bitte sei vorsichtig. Und erinnere dich dabei, was wir dir beigebracht haben.«

Ich hatte genickt und so waren wir aufgebrochen.

Die Tagesritte waren lang und oftmals wusste ich nicht, womit ich mich in den wenigen Ruhepausen beschäftigen sollte, wenn die Männer des Trupps um ein Feuer saßen, Met soffen und sich entweder blutige oder schmutzige Geschichten erzählten. Sie priesen Geschichten über die erste Waffe, die sie in ihrem Leben geführt hatten, selbst, wenn es so etwas unspektakuläres wie ein Brotmesser war, über die ersten Männer, die sie in ihrem Leben je getötet hatten und natürlich, welche Frauen sie zu allererst bestiegen hatten. Meist hatte ich mich dabei in die Nähe der Mägde gesetzt, wenn sie einer Arbeit nachgegangen waren und hatte so getan, als würde ich mich mit etwas beschäftigen. Dabei hatte ich jedoch sehr genau zugehört, was diese Männer geredet hatte, um mehr über sie herauszufinden.

Ich wusste nicht, ob es die reine Neugier war, oder, ob mir meine innere Stimme sagte, dass ich ihnen zuhören sollte. Schließlich würde ich mit diesen Männern unter einem Dach leben und besonders Gerald wäre ein Mann, über den man einiges wissen sollte. Vielleicht konnte mir dieses Wissen eines Tages nützlich sein.

»Wer war Euer Erster?«, fragte ein junger Bursche namens Rodrig. Er hatte kurz geschorenes, blondes Haar an den Seiten seines Schädels, besaß eine Tätowierung unter dem Auge, das einen Fischhaken zeigte, was wohl bedeutete, dass er einst an den Küsten von Hafental gelebt haben musste, und trug das längere Haar auf seinem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden. Alle Männer Hafentals - im Herzen wahre Fenraler - wurden mit dem Fischhaken gezeichnet, sobald sie zum Mann wurden.

Thalmar beugte sich in einer dramatischen Geste nach vorne und stützte eine Hand auf seinem Oberschenkel ab. »Im Wald von Fyrkard. Meine Familie diente damals im Außenposten der Grenze von Fyrkard. Die Ländereien waren reich an wildem Roggen. Ein Großteil davon wandert heute noch in die Kornspeicher Woberoks.«

»Oh! Macht es nicht so spannend!«, beschwerte sich Uldaryk, ebenfalls ein älterer Krieger mit wildem, rotem Bartwuchs und einem goldenen Ring im linken Ohrläppchen. Sein rechtes Auge wurde von einer schwarzen Kappe verdeckt. »Wie ich Euch kenne, schmückt Ihr diese Geschichte noch mehr aus, bis Ihr endlich zum Punkt kommt.«

»Psst! Lasst ihn aussprechen!«, bat Rodrig den älteren Krieger.

Thalmar machte eine ausschweifende Geste. »Ich werde versuchen, mich kurz zu halten. Wo war ich...? Ach ja. Wilder Roggen. Meine Schwester, Sabella Venar ging eines Morgens zum Pilze sammeln in den Wald. Sie hatte vor, meine Mutter zu entlasten und eine Pilzsuppe für die Soldaten zu kochen. Nach einigen Stunden machte ich mir Sorgen und bin ihr nach in den Wald. Da sah ich dieses Schwein über ihr hocken. Wie er sie befleckte. Ich habe das erste gegriffen, was ich zu fassen bekam - ein recht kräftiger Ast - und habe ihm damit den Schädel eingerammt.«

Uldaryk starrte stur ins Feuer, die Arme krampfhaft verschränkt. »Ich hasse diese Geschichte, Schwager.«

Thalmar seufzte und nickte. »Ich hätte vermutlich weniger trinken sollen. Verzeiht.«

Uldaryk nickte und betretenes Schweigen senkte sich über die Runde, bis ein anderer Kerl Gerald fragte, wer seine erste Flamme war.

Gerald lachte dreckig und spuckte zur Seite aus. »Eine kleine Bäuerliche. Mein Trupp, wir waren junge Burschen und suchten Streit oder Spaß, haben ein Landhaus auf unserem Streifzug außerhalb Woberoks gefunden. Der Bauer versuchte zwar noch seine Tochter zu verstecken, aber wir fanden sie recht schnell. Wir hatten unseren Spaß mit ihr und jeder durfte einmal ran!«

»Macht Euch das Spaß?!«, brüllte Thalmar und sprang auf. »Euch damit zu brüsken, dass Ihr Euer erstes Mal damit verbracht habt, ein armes Bauernmädchen zu quälen und zu vergewaltigen?«

Gerald fuhr ebenfalls hoch, stand beinahe mit der Nasenspitze an dem älteren Krieger. »Wir haben sie nicht vergewaltigt. Sie hat dem Reich gedient!«

Thalmar spuckte neben Gerald aus. »Dem Reich gedient... Wenn der König wüsste, was manche seiner Männer so treiben. Er würde sich schämen. Hat sie extra laut geschrien, als sie dem Reich diente?« Thalmar spuckte die Worte bloß, doch dann wandte er sich ab und stapfte davon.

Nachdem ich dieses Gespräch gehört hatte, wusste ich, dass Gerald schon immer grausam gewesen sein musste. Selbst bei seinem ersten Mal hatte er ein Mädchen der Ehre beraubt und drehte es auch noch so, dass er scheinbar sauber aus der Nummer heraus kam. Dem Reich gedient... Thalmar hatte Recht. Ich konnte nur hoffen, dass mein Ehemann nicht die gleichen Absichten und Gedanken teilte, wie einer seiner Generäle. Denn dann wusste ich, hatte ich in meiner Hochzeitsnacht keinerlei Gnade von ihm zu erwarten.

Die Tage zogen vorrüber, wie Wolken, die vom Ostwind getrieben wurden. In der Zeit, die ich nicht dafür nutzte, die Männer zu belauschen und aus ihren, teils grässlichen, Erzählungen Informationen zu filtern, näherte ich mich den recht schweigsamen Mägden an. Eine hies Yarva, die mausblonde mit den hellblauen Augen, die zweite Mera, unter ihrer Haube verbarg sich kurzes braunes Haar und ihre Augen schimmerten ebenfalls braun, und die Dritte trug den Namen Jana, ihr Haar hatte beinahe die gleiche Farbe wie Meras, war nur ein wenig dunkler. Ihre Augen hingegen waren jedoch braungrün.

Ich tat oft etwas mit den jungen Mädchen, die kaum älter, als ich zu sein schienen, da mir ansonsten nichts weiter übrig blieb. Während die Tage und Wochen der beschwerlichen Reise zähflüssig vergingen, erzählten sie mir etwas über den Hof und, welche Aufgaben sie dort inne hatten. Mera und Jana gehörten zu der Magdschaft des Bergfriedes und waren einer Aufseherin namens Magred unterstellt, die sich der Mädchen annahm. Es gab viele junge Frauen, die nach einer Anstellung am Hofe suchten und so meldete man sich wohl zu aller erst bei Magred, um zu beweisen, dass man es auch wert war dem Hause Woberok in solcher Nähe zu dienen. Sie erledigten die gewöhnlichen Aufgaben innerhalb des Bergfriedes. An erster Stelle stand natürlich die Ordnung, da König Ragnar und sein Hofstaat wohl sehr viel Wert auf Sauberkeit legte. Böden wurden gekehrt, Spinnennetze und Getier entfernt, Mäusekot weggefegt, Regale und Kommoden abgestaubt, Kronenleuchter poliert und noch mehr. Yarva hingegen war die Nichte der Köchin, die den Namen Barda trug. Sie half in der Küche und hielt diese in Schuss und war die Stellvertreterin der Köchin, wenn sie einmal nicht zu geben war. So befehligte sie auch einen Teil des Personals.

Ich fragte sie, aus welchen Leuten der Hof noch bestand.

König Ragnar war das Oberhaupt der gewaltigen nordischen Stadt, dessen Mittelpunkt der große, nordische Bergfried war. Neben König Ragnar gab es diverse Fürsten und Grafen, die sich jedoch nur teilzeitlich in Woberok aufhielten. Dann der erste Berater des Königs, der der Bruder seiner verstorbenen Frau gewesen war - Lord Wilmar. Die Bibliothek Woberoks wurde von diversen Gelehrten gefüllt und der Meister der Festung hieß Kovir. Wohl ein alter Kauz, der sich im Rabenturm von Woberok aufhielt und so gut wie nie diesen Turm verließ.

Je mehr Geschichten ich über Woberok hörte, desto nervöser wurde ich. Denn wir näherten uns jeden Tag dieser gewaltigen Feste stetig.

Bald schon hatten wir den Außenposten Fyrkards passiert, von dem Thalmar gesprochen hatte, dann waren wir am Wald Fyrkards vorbei geritten und die Landschaft wurde jediglich mehr von weiten Tundrasteppen geprägt, in die sich ab und zu ein einsames Waldstück verirrte. Die Luft war rauer geworden, je weiter wir Richtung Norden ritten. Der Wind war beißend am Tage und in der Nacht verkroch ich mich unter drei Lagen Decken und Fellen, um es warm zu haben, da der Wind durch jede Ritze meines kleinen Zeltes wehte.

Wir hielten für einen Tag an der Burg Fyrkard, die der woberokischen Festung am nähsten war. Dort erhielten wir Proviant und das Gastrecht wurde von Gerald verlangt. Der Burgherr, ein älterer Mann, dem man ansah, dass er die See liebte, behandelte mich glücklicherweise mit Respekt. Ich wusste, dass dies auch hätte anders kommen können.

Als wir von dort aus aufbrachen war es nur noch ein Steinschlag bis Woberok.

Gerald führte den Trupp auf die Hauptstraße einer großen Kreuzung, aus dem mehrere ebene Pfade entsprossen. So auch der, von dem wir kamen. Nun merkte man, dass hier Leben herrschte, denn im Sonnenschein dieses Mittags gingen viele Menschen ihrer Arbeit nach. Bauern und Feldarbeiter ernteten die letzte Ausbeute dieses Jahres, bevor ihre Felder für den Winter tauglich gemacht und stillgelegt wurden. Die Saat für das nächste Jahr wurde ausgebracht, sodass sie im gefrorenen Boden verweilen mochte und die ersten Triebe im Frühjahr sprossen. Für Viehfarmer war die Zeit genau richtig, ihre braun- und schwarzgefleckten Rinder ins Hochland zu treiben, damit sie das trockene Berggras und Wildkräuter fraßen. Zudem sah ich Schafhirten, die ihre Tiere mit selbstgebauten Peitschen in die Richtung der freien Weideflächen trieben, wo es keine Bäume gab. Kinder folgten den Männern, um ihnen beim Treiben der Herde zu helfen.

Schließlich tauchte hinter einem steilen Hügel Woberok auf. Ich hatte es mir ganz anders vorgestellt, aber wie, das wusste ich selbst nicht so genau.

Es war eine Feste, das sah man sofort. Eine dicke Steinmauer umgab die hohen grauen Steinhäuser, der reicheren Städter, dunkle Ziegeldächer glänzten in der Mittagssonne und dunkle Holzverkleidungen prangten überall. In der Ferne erkannte ich den Bergfried, ein gewaltiger Bau aus Türmen, Mauern und Gebäuden aus hellgrauem Stein. Davor stach das gewaltige Burgtor, das den Eingang in die Unterstadt markierte. Es bestand aus einem gewaltigen, mindestens hundert Fuß hohen Torbogen, dessen Fallgitter hoch gezogen war. Geschützt wurde es zusätzlich durch schwere hölzerne Flügeltüren und einer Zugbrücke, welche stehts heruntergelassen zu sein schien. Im Burggraben plätscherte das Wasser dahin, da es vermutlich von einem Fluss stammen musste und stetig in Bewegung war. Außerhalb der Stadt am anderen Ufer des Burggrabens duckten sich Bauernhütten, Schänken und Tavernen und kleinere Märkte boten Lebensmittel feil.

Mit geschwellter Brust passierte Gerald vorn weg und führte uns geradewegs durch das Dorf vor der Stadt. Gehöfte und kleinere Bauernhütten boten den Bauern von Woberok Platz zum Leben und die Menschen strömten aus den Hütten, als sie Geralds Trupp vorbei kommen sahen. Einige riefen den Männern einen Willkommensgruß zu und die Frauen beäugten vor allem mich.

Ihre Gesichter waren misstrauisch, einige andere waren neugierig und manche lächelten mich auch freundlich an. Wie seltsam! Ich hatte eher damit gerechnet, dass mir die Menschen feindselig entgegenblicken würden. Schließlich hatte der Krieg vor fast zwanzig Jahren vorallem zwischen Kartan und Woberok gewütet und hatte viele Opfer verlangt.

Ich knetete die weichen Lederzügel meines Pferdes fester zwischen meinen Fingern, als wir zum Burgtor gelangten. Ein steinerndes Brückenstück klackte kurzzeitig unter den Hufen der Pferde, dann betraten wir die hölzerne Zugbrücke. Die Wachmänner am Eingang zur Stadt beäugten mich ebenfalls neugierig und ein wenig verwundert, vermutlich, weil ich nicht über und über mit Schmuck behangen war und auf einem Pferd saß.

»Wir bringen die Prinzessin Kartans«, schnaubte Gerald nur kurz und knapp. Der vordere Wachmann blickte mich noch einmal seltsam an, dann nickte er hindurch und wir tauchten in die Stadt ein.

Zuerst passierten wir das Armenviertel von Woberok, wie es in jeder großen Stadt eines gab. Die Häuser waren vernagelt mit Brettern, es gab mehrere Bettler auf der Straße und einige Kinder boten den Wachmännern an, deren Schuhe zu polieren, um einen Kopper zu erhalten. Jedoch verwunderte es mich, dass es so gut wie keine Toten auf der Straße gab oder mehr Bettler. In Kartan sah das Armenviertel ganz anders aus, als hier.

Wir folgten der Hauptstraße, die ordentlicher gepflastert war, je weiter wir in die Stadt vordrangen. Von überall lugten nun Gesichter aus den geöffneten Fenstern und Leute an den Straßenrändern unterbrachen ihre Arbeiten für einen kurzen Moment, um einen Blick auf mich zu erhaschen. Ich senkte den Blick und sah mich weiter um, betrachtete die wenigen, kleinen Marktstände, die am Straßenrand aufgebaut waren, bis wir schließlich den Hauptmarktplatz Woberoks erreichten. Die hohen Häuser waren kreisförmig um den Marktplatz angeordnet. Es waren Schmiede, sowohl Rüstungs- als auch Waffenschmiede, Goldschmiede für Schmuck und diverses, Schneider, Barbiere und Bader betrieben ihre Geschäfte und ein Bankier pries seine Dienste an.

Meine Augen verfolgten jedoch eher das Treiben des Marktes. Rund um eine gewaltige Statue, die eine schlanke Frau zeigte, die in einen Wintermantel gehüllt, den Arm empor streckte, als wolle sie das Licht mit der Hand einfangen, tummelten sich die Marktstände. Es gab Stände mit Dörrfleisch, Schinken und dicken, roten Würsten, die von den Stützstangen der Stände hingen, auf dem Verkaufstisch langen ein Arm lange Würste verschiedenster Art. Mehrere Haufen voll tiefroter Salamie mit nagelgroßen weißen Fettstückchen, die ihren würzigen Duft über den ganzen Markt verteilten, helle dünne Würste und breite, beinahe weiße und recht kurze Würste, Wurstketten aus beinahe schwarzem Fleisch. Daneben stapelte sich grellgelber Käse in ganzen Rädern oder salzig eingelegter Ziegenkäse. Andere Stände boten Handfesteres für große Gemüsebrühen, wie Kartoffeln in groben Stoffsäcken, in großen, ovalen Holzbehältern befanden sich Gerste, Weizen und Roggen und große, noch vom Feld schmutzige Karotten, große weiße Rüben, Rosenkohlköpfe, gewaltige Weißkohlköpfe und wilder Feldsalat neben dicken, roten Fleischtomaten tummelte sich auf dem Verkaufstisch. In großen geflochtenen Körben befand sich Hopfen zur Bierbrauerei. Andere Stände boten Früchte der Saison an, wozu vor allem dicke Boskopäpfel, große Birnen und runde, pralle Trauben in grüner oder weinroter Farbe zählten.

Neben den Lebensmittelständen tummelte sich auf der Rückseite der Statue der Fischmarkt Woberoks. Die Fischhändler priesen ihren Fang an und auf den hölzernen Platten ihrer Marktstände befand sich getrockneter Kabeljau und gesalzener Hering und auch frische Forelle, die soeben in eine flache Kiste gelegt wurde, in der sich grob körniges Meeressalz befand. Mit einer Hölzernen Kelle wurde das Salz alle paar Minuten von dem Fisch herunter geschabt und neu aufgestreut.

Gewürzhändler boten säckeweise grobes oder feinkörniges Salz, Verjus, Gewürzwein oder Essig in hölzernen Behältern an. Auf kleinen Regalen stand auch Honig oder verpackter, importierter Pfeffer, Muskatnus und Safran.

Je weiter wir um den Platz ritten, das Klacken der Hufen als geräuschvoller Begleiter neben dem Murmeln, Rufen, Anpreisen, Überbieten und Rufen der Leute und den Barden, die auf einem kleinen Platz - einer Art Balkon - vor der Statue ihre Lieder zum Besten gaben, desto mehr Stände und Güter wurden enthüllt. Ein Schneider hatte verschiedene Stoffe im Angebot, von Seide bis hin zu grober Schafswolle, Schnüre und Garn zum Nähen, Steckkissen, Nadelkissen, Fingerhüte und, was Frau noch alles zum Nähen benötigte.

Auch ein Schuster hatte seinen Stand aufgeschlagen. Er versuchte soeben einem Soldaten ein gutes, bequemes Paar Schuhe zu verkaufen, der mit kritischer Miene das Leder befühlte. Ich sah noch, wie er nickte und zufrieden die Hand des Schusters schüttelte und einen kleinen Beutel Kopper dafür bekam.

Am Rand, etwas abseits versuchte sich ein Mann daran, den jungen Wurf seiner Bluthündin an den Mann zu bekommen. Sie waren alt genug, um zu Jagdhunden ausgebildet zu werden, waren verspielt und roh und brauchten Disziplin. Mir kam der Gedanke, dass Tristan ganz begeistert wäre und sofort zwei genommen hätte, da er eine Leidenschaft für Hunde hatte. Er führte die königliche Jagdgesellschaft seit gut anderthalb Jahren an und bildete jeden Jagdhund selbst aus, seit er vor drei Jahren einen halbtoten Welpen im Wald fand. Ein Bauer musste ihn sicher am Ufer des Flusses angebunden haben und, als der Fluss anschwoll, war er kurz davor zu ertrinken. Nun war Rasso Tristans erster Jagdhund und führte die Meute an, sobald sie eine Fährte aufgenommen hatten.

Ich hätte den Markt gerne noch weiter erkundet, aber Gerald trieb zur Eile an und wir folgten dem Weg der Hauptstraße weiter. Menschen strömten über die Straßen, da es Mittag war und die meisten nun auf die Straße gingen, auf den Markt, um Besorgungen zu erledigen.

Schließlich erreichten wir den Bergfried, der durch eine dicke Mauer und einem ebenso starkem Burgtor geschützt wurde. Die Flügeltüren des Burgtores waren geöffnet, das Fallgitter erhoben und auch hier gab es Wachmänner, die ihre Schicht schoben. Ohne weitere Worte oder Fragen winkten sie uns in den ausladenen Burghof, der groß genug war, dass diverse Leute ihre Arbeiten verrichten konnten.

In der Mitte des kreisrunden Burghofes befand sich eine gewaltige, knochige Eiche, dessen Stamm ich nicht einmal hätte umfassen können, wenn meine Arme drei Meter lang gewesen wären. Wir umrundeten die Eiche, die ihre knochigen Äste wie die Finger eines Skeletts in alle Richtungen ausstreckte. Beinahe alles Laub war bereits abgefallen und wurde an diesem Nachmittag von Dienern zusammengekehrt.

Es herrschte reges Treiben im Hof. Unter einer Art Unterstand besaß ein Schmied seine Werkstatt, die sich direkt im Schatten des Burgtores duckte und das stetige Hämmern auf Stahl erfüllte die Luft. Heiße Funken sprühten, sobald er auf den Stahl eines formbaren Schwertes schlug und Dampf stieg auf, wenn er es in ein Fass tauchte, das bis zum Rand mit Eiswasser gefüllt war. Der Lehrling huschte umher, um seinem Meister zur Hand zu gehen, falls dieser einen Befehl bellte.

Die Stallungen, eine hohe Scheune, stand sperrangelweit offen, sodass die Wärme, die die Pferdekörper und die Ausdünstungen entweichen konnten, sodass das Stroh trocken blieb. Der Stallmeister, ein großer, bärtiger Bursche stand davor und begutachtete die Arbeiten der Stallburschen. Diese führten die großen Kaltblutrösser hinaus und hinein in den Stall, striegelten die Tiere, stutzten ihnen die Mähne und den Schweif, kümmerten sich um Zaumzeug und Sättel, misteten die Ställe aus, legten neues Stroh und Heu aus und schafften Strohballen auf den Heuboden, der bloß mit einer wacklig aussehenden Leiter erklommen werden konnte.

Gegenüber auf der anderen Seite der Eiche befand sich die Waffenkammer. Soldaten saßen davor und polierten große Breitschwerter, Langschwerter, Kurzschwerter, Doppelklingenäxte und große Kriegsäxte. Einer spuckte gerade aus und spannte einen dicken Bolzen in eine Armbrust, um eine Strohpuppe abzuschießen. Andere hatten Zielscheiben aufgestellt und gaben sich gegenseitig Ratschläge, wie man einen Pfeil in den Bogen einlegte und am besten abschoss.

Unser Trupp hielt direkt vor dem Eingang zum Bergfried. Die großen Flügeltüren zur Eingangshalle waren geöffnet und Bedienstete traten ein und aus, um ihren Aufgaben nachzugehen, als einer der Stallburschen mein Pferd am Zaumzeug packte, damit es stillstand, während ich abstieg.

Der Karren kam ebenfalls ratternd zum Stehen und die Mägde stiegen erschöpft von dieser langen Reise herunter. Sofort eilten Diener und Mägde herbei, um den drei Mädchen beim Tragen meiner Sachen zu helfen. Große Truhen mit meiner Kleidung wurden augenblicklich in den Bergfried geschafft und etwas unschlüssig blieb ich stehen, als man die Pferde fortbrachte und ein Großteil der Soldaten sich in alle Winde verstreute, vermutlich, um ihre Rückkehr zu feiern. Oder sich zu ihren Familien zu gesellen.

Gerade, als ich mich einfach auf den Weg in den Bergfried machen wollte, trat Gerald neben mich und packte meinen Oberarm nicht gerade sanft.

»Ihr bleibt hier stehen, bis Lord Wilmer kommt.«, sagte er finster. »Und wehe, Ihr bewegt Euch vom Fleck.«

»Was dann?« Ich funkelte ihn an. »Wollt Ihr mich vor versammelter Mannschaft schlagen? Bildet Euch nicht ein, dass ich Angst vor Euch hätte.«

Er schnaubte. »Das werden wir noch sehen.« Danach wandte sich Gerald um und verschwand hinter einem niedrigen grauen Steingebäude.

Ich blickte ihm noch eine Weile nach, bis mich eine Hand auf meiner Schulter zusammenfahren ließ und ich herum wirbelte. Ein großgewachsener Mann stand vor mir. Gehüllt war er in einen dunklen Lederwams, darüber ein Ledermantel, eine schwarze Wollhose und kniehohe Lederstiefel, die gewachst und poliert waren. An der Hüfte trug er einen robusten schwarzen Gürtel, an dem eine verzierte Scheide befestigt war. Darin steckte ein meisterlich geschmiedetes Langschwert. Sein Gesicht wurde von Falten geziert, wachen und freundlichen braungrünen Augen und dunkelbraunem Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Das krause, dunkelbraune Barthaar war sorgfältig getrimmt.

»Verzeiht, Prinzessin. Ich hoffe, ich habe Euch nicht erschreckt.«, sagte er brummend.

Ich holte einmal tief Luft und schüttelte den Kopf. »Nein, gewiss nicht, M'Lord. Ihr scheint zu wissen, wer ich bin. Würdet Ihr mich mit demselben Wissen ehren?«

Er stemmte die Hände in die Hüften. »Ihr habt eine feine Ausdrucksweise, Prinzessin. Das wird Euch sicher am kartanischen Hofe gelehrt worden sein. Ich bin Wilmer van Craite, der erste Berater König Ragnars. Folgt mir, der König erwartet Euch in der Festhalle.«

Ich nickte und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Dieser Mann war mir auf Anhieb sympathisch, sodass ich den Rock meines Kleides raffte und ihm folgte, als er mich durch die geöffnete Tür in die Eingangshalle führte. Von dort zweigten drei Gänge ab. Auf meiner linken Seite ein kurzer Gang, von dem eine kleine Treppe ein Stück hinunter führte und dann zu einer geschlossenen, schweren Holztür endete. Zu meiner Rechten führte ein langer Gang vom Torbogen des Eingangssaals weiter bis es einige Stufen hinauf ging und eine Tür den Einblick zu einem weiteren Raum versperrte. Und geradezu führte eine geöffnete Tür in eine große Halle, wie ich sah.

Als wir durch die Eingangshalle schritten, betrachtete ich die Banner, auf der der Rabe des Hauses Woberok prangte. Das Haus, was nun auch meines sein würde. Obwohl all dies fremd und seltsam für mich war, fühlte ich mich sofort wohl, als wir den Festsaal betraten. Die Halle war riesig, ausgestattet mit massiven hölzernen Tischen und Bänken, auf denen dicke Wachskerzen standen und herunter brannten, Halterungen mit Fackeln zierten die Wände, wie sowohl auch Banner und Gemälde. Am Ende der Halle schmückte ein riesiger Kamin den Saal, in dem stetig ein Feuer zu prasseln schien. Gerade wurde von einem Bediensteten Öl nachgegossen und die Flammen leckten in die Höhe. Über der Mitte des Raumes schwebte ein Kronenleuchter, wo die Kerzen wohl vor kurzem erneuert wurden und zur Linken des Saals führte eine Treppe in die oberen Stockwerke des Bergfriedes.

Lord Wilmer führte mich den Mittelgang zwischen den dicken Steinsäulen der Halle und den Bänken entlang zum Kamin. Dort stand auf der Anhöhe vor dem Kamin neben zwei hölzernen Thronen, ein Mann, den ich schon einmal gesehen hatte. Vor wenigen Monaten hatte er noch mit meinem Vater um meine Hand verhandelt. Und nun war ich hier in seinem Königreich.

Er wandte sich um, als er uns kommen hörte. »Prinzessin Akira.«, grüßte er mich und streckte die Hand aus.

Ich blieb stehen, legte meine Hand in seine und machte einen Knicks. »Majestät, König Ragnar.«

Der König nickte und ließ meine Hand los. »Ich hoffe, Eure Reise war nicht allzu beschwerlich?«

»Es hätte komfortabler sein können, aber dagegen tun kann man nun ohnehin nichts mehr, nicht?«

Lord Wilmer neben mir lachte leise. »Ich denke, dass sie genau die Richtige für unseren lieben Regan ist. Eine dornige Rose für den Prinzen.«

König Ragnar nickte zustimmend. »Vorsicht. Nicht, dass er in Euch, statt einer Rose, eine Distel sieht.«

Ich schnaubte abfällig. »Und selbst wenn... Dürfte ich meine Gemächer sehen?«

Der König hob eine Augenbraue. »Aber natürlich. Wilmer zeigt Euch den Weg, dann habt Ihr eine Stunde, um Euch einzurichten oder sonst was zu machen. Danach meldet Ihr Euch bei Barda in der Küche.«

Blinzelnd hielt ich inne und starrte ihn an. »In der Küche melden?«

König Ragnar hatte sich beinahe schon abgewandt, als er sich nochmals zu mir drehte. »Ganz recht. Ihr werdet schnell merken, dass eine Burgherrin und eine Königin in Woberok mehr können muss, als einen halbwegs geraden Knicks zu vollführen. Und, da ich mir sicher bin, dass Eure Mutter Euch keine woberokischen Kenntnisse einer Adligen vermittelt haben wird, wird Euch Barda einweisen.«

Mir schwirrte der Kopf. Einweisen?

»Und glaubt mir, Prinzessin, Ihr habt sicher noch nie so fest geschlafen, wie Ihr diese Nacht schlafen werdet.«, fügte Wilmer hinzu und grinste leicht.

Als der König sich abwandte und ich Wilmer zu meinen Gemächern folgte, rieb ich mir die Oberarme. Nun war ich wahrlich im Nest der Raben gelandet.

Kapitel 9

 

Mit einem unwohlen Gefühl folgte ich Lord Wilmer, der mich die steinernde Treppe auf der linken Seite der Halle hinauf führte. Wir folgten dem Gang, auf dem Boden war Teppich ausgelegt und Ölgemälde hingen an den Wänden. Egal in welchen Gang wir einbogen, überall gab es Bedienstete, die ihren Tätigkeiten nachgingen. Sie wischten Staub, kehrten die Böden oder schrubbten sie mit Wasser und Seife, polierten die Kerzenständer, wischten Bilderrahmen ab und putzten Fenster.

Lord Wilmer blieb an einer Tür stehen und öffnete sie. »Wir haben uns die Freiheit genommen, Euch im Südturm der Burg einzuquartieren.«

Ich ging an ihm vorbei in den Raum. Er war rund und an der gegenüberliegenden Seite der Tür stand ein ausladendes Doppelbett. Das dunkelgrüne Bettzeug spiegelte das Wappen wieder, das auf einem Banner über dem Bettgestell prangte. Neben dem Bett gab es kleine Nachttischchen, auf denen Kerzenschalen standen, auf der linken Seite gab es einen kleinen Kamin, in dem bereits Feuer prasselte. In dem kleinen Korb neben dem Kamin gab es frisches Brennholz, welches regelmäßig aufgefüllt wurde. Mein Blick wanderte weiter über die massiven grünen Vorhänge, die zu beiden Seiten der zwei Fenster hingen. Alles war grün, die Farbe der Woberoker. Es war ja nicht so, dass in Kartan niemand grün trug, doch hier war die Liebe zum eigenen Haus vor allem in den Farben des Wappens ausgedrückt.

Mit unsicheren Schritten ging ich auf das Bett zu, denn davor waren die Truhen mit meinem Gepäck abgeladen. Ich stellte fest, dass meine Staffelei noch fehlte und drehte mich zu Lord Wilmer.

»Meine Staffelei fehlt.«

Wilmer hob eine Augenbraue. »Ihr malt?«

»So gut ich kann, ja.«, antwortete ich und deutete erneut auf mein Gepäck. »Aber ohne Staffelei wird es schwierig, etwas zu malen.«

Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Aber sicher. Dann werde ich mich mal auf die Suche nach Eurer Staffelei machen. Währenddessen könnt Ihr Euch einen Moment ausruhen. Wenn Ihr Euch in der Küche meldet, folgt dem Weg, den wir gekommen sind bis hinunter in die Eingangshalle. Als wir hinein kamen, habt Ihr eine Tür auf der linken Seite gesehen. Dort kommt Ihr zur Burgküche.« Damit wandte er sich ab und verließ meine neuen Gemächer.

Als ich endlich, nach wochenlanger Reise, einen Moment für mich ganz alleine hatte, ließ ich mich tief durchatmend auf das Bett sinken. Die Matratze war fest und gab ein wenig unter meinem Gewicht nach, so, wie ich es mochte. Nachdenklich ließ eine eine Hand an dem kunstvoll geschnitzten Bettpfosten herab gleiten, die andere wanderte wie automatisch an die dünne Silberkette an meinem Hals. Meine Finger tasteten die flammende Form ab.

Meine Mutter sagte, dass ich vielleicht Antworten in Woberok fand, was es mit dieser Kette auf sich hatte, die viele Frauen meiner Generation getragen hatten. Damals hatte sie die Mutter meiner Mutter getragen und deren Mutter vor ihr. Das hieß, dass diese Kette einst in Greifenwald gewesen war, der Heimat meiner Mutter. Bei Gelegenheit musste ich Lord Wilmer nach der woberokischen Bibliothek fragen. Ich war mir sicher, wenn ich Antworten fand, dann dort.

Langsam stand ich auf und kniete mich vor die größte der drei Truhen. Mit zitterigen Fingern öffnete ich die Schnallen und hob den Deckel. Eine Ansammlung bunter Kleider kam zum Vorschein, welche allesamt sehr ordentlich gefaltet in der Truhe lagen. Es waren alle meine Kleider, die ich in der Öffentlichkeit trug, Freizeitkleider und meine beiden Jagdkleider, die in dunkelbrauner und grüner Farbe gehalten waren. Nicht eines war rot, was sicher das Werk meiner Mutter war. Sie wollte nicht, dass ich in Woberok rot trug, die Farbe meines Hauses.

Ich runzelte die Stirn, schloss den Deckel und seufzte. Eigentlich hatte ich keine Lust, meine Sachen auszupacken, zumahl das eigentlich eine Zofe übernehmen sollte. Nur kam niemand, um meine Sachen in die Schränke zu räumen, was mich verwunderte. Es gab doch sicherlich in Woberok Personal, das die Zimmer in Ordnung hielt. Oder nicht?

Verunsichert schob ich die Truhen zu einer freien Stelle und erhob mich dann, schlang das Schultertuch noch enger um mich, da es etwas frisch war in diesem Raum. Vermutlich sollte ich mich allmählich mit dem Unvermeidbaren abfinden und mein Hinterteil Richtung Küche bewegen, aber ich konnte noch immer nicht fassen, was König Ragnar gesagt hatte. Eine Adlige musste mehr können, als einen halbwegs geraden Knicks zu vollführen. Ich verstand nicht recht, wieso ich mich aus diesem Grund in der Küche melden sollte. Was konnte mir diese Barda, die augenscheinlich die Köchin war, schon beibringen?

Ich schüttelte den Kopf, straffte die Schultern und machte mich auf den Weg zur Küche. Die Tür zu meinen Gemächern schloss ich, dann folgte ich dem Weg, den Lord Wilmer mich hierher geführt hatte. Meine Schritte wurden von dem Teppich auf dem Hauptgang gedämpft und, als ich den Weg durch die Festhalle lief, sah ich König Ragnar mit einem Fürsten oder Lord sprechen. Ich wollte die beiden nicht stören, sodass ich beinahe lautlos in die Eingangshalle lief. Dort lieferten gerade zwei junge Burschen große Kisten ab und Lord Wilmer stand am Eingang mit einem recht bunt gekleideten Händler. Er schien ein Geschäft abzuwickeln.

Als Lord Wilmer mich bemerkte, deutete er auf die geschlossene Tür zu meiner Rechten.

Ich nickte bloß und ging auf die Tür zu. Es kostete mich etwas Mühe, die Tür aufzustemmen. Doch, als ich es schaffte, schlug mir ein würziger Duft entgegen. Eine ausladende Räumlichkeit befand sich hinter der Tür, als ich auf die erste Stufe einer kleinen Treppe trat. Der Raum war recht dunkel, nur ein paar Fackeln und das Feuer eines Kamins erhellten ihn. Über dem Feuer hing ein riesiger schwarzer Kessel, aus dem Dampf aufstieg. Neben dem Kamin befand sich ein dicker, fest geflochtener Korb, in dem die Holzscheite bis zum Rand gefüllt waren. Die Wände waren vollgestellt mit Kisten, Körben, Fässern, in denen sich Lebensmittel befanden. An der steinernden Treppe, auf der ich stand, befand sich ein Brotofen, von dem Hitze abstrahlte, da darin vermutlich gerade gebacken wurde. In der Mitte der Küche gab es einen großen Arbeitstisch, in dem sich bereits Kerben von Schneiden von Lebensmitteln befanden und Karotte und Rote Beete hatten bereits Flecken in das Holz gefärbt.

»Wer zum Henker stört mich denn jetzt?«, knurrte die mollige Frau, die neben dem Kamin stand. Sie hielt bedrohlich einen Kochlöffel hoch.

Benommen hob ich die Hände. »König Ragnar sagte, ich solle mich in der Küche melden.«

Sie hob eine buschige Augenbraue. »So so! Ihr seid wohl die kleine kartanische Prinzessin, was? Akreisa oder so?«

»Akira«, verbesserte ich sie schluckend.

»Auch gut.«, entgegnete sie. »Ihr seid die Kleine, die unseren Prinzen heiraten wird. Die ganze Stadt spricht von nichts anderem mehr, außer, wie viele Babys Ihr mit dem Prinzen machen werdet. In ihrem eigenen erbärmlichen Leben passiert nichts aufregendes, aber sobald sich irgendeine Hoheit verlobt, tuen alle so, als würden sie dazu gehören. Furchtbar, nicht?«

Ich nickte nur schüchtern.

Diese Frau schien wirklich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Vor allem, dass sie mit einer Adligen, einer Prinzessin noch dazu, so redete, war ungewöhnlich. In Kartan wäre eine Köchin schon aufgeknöpft worden, hätte sie je so mit meinen Brüdern oder mir oder gar dem Königspaar so gesprochen. Jedoch gefiel mir ihre Art seltsamerweise gut. Sie redete, plapperte geradezu, frei heraus, was sie dachte. So etwas wäre in Kartan nie möglich gewesen und genau das war es, was mich beinahe faszinierte.

Die Köchin hob beide Brauen an und machte große Augen. »Bei Skadi, wie unhöflich ich doch bin! Plappere wie ein altes Waschweib. Komm rein, ich bin Barda, die Köchin. Ich bin gerade dabei einen Karotteneintopf zu machen.«

Ich ging die Treppe hinunter und trat näher an den Kamin. Der würzige Duft kam von einer noch recht plürrigen Brühe, die im Kamin vor sich her köchelte. Die Brühe blubberte unter der Hitze des Feuers.

»Ich nehme an, unser guter Ragnar hat Euch nicht erzählt, worin Eure Aufgaben bestehen werden?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Hätte ich mir denken können...«, brummte sie und strich sich eine lose Strähne ihres hellblonden Haares hinters Ohr. »Wie Ihr bestimmt schon wisst, ist Woberok anders, als Kartan. Wie ich hörte, sollen Frauen dort in jungen Jahren bloß Geschichte, Tanzen und Singen und solche Sachen lernen. Stimmt das?«

»Ungefähr«, antwortete ich, wobei es mehr wie eine Frage klang.

Barda hob eine Augenbraue. »Nun gut. Hier ist es anders, Mädchen. Es wird nicht einfach, glaub mir. Ich bin streng und Abends würdest du dir wünschen, einfach nur dasitzen zu können und deine Ruhe zu haben.«

Das klang nach harter Arbeit. Ich wusste zwar noch nicht, was auf mich zukam, jedoch wusste ich, dass ich Barda aus irgendeinem Grund nicht enttäuschen wollte. Sie sollte sehen, dass auch eine Adlige aus Kartan hart arbeiten konnte. Ich wollte es allen hier beweisen, denn ich wusste, dass sie mich hinter meinem Rücken alle belächelten. Die kleine kartanische Königstochter, die wahrscheinlich bloß singen und hübsch lächeln konnte. Sie wussten alle nicht, ahnten es bestimmt nicht einmal, dass ich weit mehr konnte. Ich konnte jagen, hatte manchmal tagelang Fährten mit meinen Brüdern verfolgt, um ein Tier ausfindig zu machen und zu allem Überfluss konnte ich sowohl mit dem Messer, als auch mit dem Bogen umgehen.

»Gut. Dann weist mich ein.«, sagte ich ruhig.

Barda stemmte eine Hand in die breite Hüfte. »Na schön, Kleines. Als erstes meldet Ihr Euch jeden Morgen bei mir in der Küche. Früh bei Sonnenaufgang. Wir bereiten die Morgenmahlzeit zu, danach werdet Ihr mit dem König, Lord Wilmer und Lord Wilmers Frau und Tochter speisen. Lord Wilmers Tochter Freya geleitet Euch dann zum Meister dieser Festung. Er wird Euch zusammen mit Lord Wilmers Tochter in der Heilkunst ausbilden. Und Lord Wilmer selbst wird Euch in Verwaltungsaufgaben unterweisen. Anschließend, gegen Abend kommt Ihr zurück zu mir, um das Abendessen zu bereiten.«

Das klang nach einem harten Arbeitstag. Und das jeden Tag? Ob ich das durchhielt? Ich musste es durchhalten, wie auch immer ich es anstellte.

»Es gibt kein Mittagessen?«, war meine einzige Frage.

Barda schien erstaunt und senkte den Kochlöffel. »Nein. Die Männer brauchen ein deftiges Frühstück, um Energie für den Tag zu haben. Es ist oftmals keine Zeit zum mittagessen. Deshalb ist das Abendmahl eines Festmahls würdig. Viele sind den Tag über fort und nur wenige essen morgens in der Festhalle, dafür ist Abends die Halle oftmals voll.«

»Isst der ganze Hof in der Festhalle?«, fragte ich neugierig, um mich von dem Druck der vielen Arbeit, die auf mich zukommen würde, abzulenken.

»Nein. Meistens bleiben die höher gestellten unter sich und die Dienstboten, Diener, Mägde und Zofen essen in einem eigenen kleinen Raum direkt neben der Küche.«, erzählte Barda fröhlich. »Die Soldaten hingegen arbeiten hier oft, kehren allerdings zum Essen meist in ihre eigenen Häuser, die sie in der Stadt haben, zu ihren Familien zurück. Oder sie gehen in die Kaserne von Woberok.«

Ich nickte verstehend und sah zu, wie Barda einmal die Brühe umrührte.

»Das wird das Abendessen. Aber wir müssen noch einiges tun. Die Brühe ist fertig, aber nun müssen wir Kartoffeln und Karotten schälen. Dort drüben ist ein Hocker, du kannst schon einmal mit den Karotten beginnen.«

Verwirrt starrte ich auf den kleinen Holzhocker, der vor drei gewaltigen Kisten stand, in dem die orange leuchtenden Karotten hervorlugten. Neben dem Hocker befand sich ein Wassereimer, eine Bürste und ein Messer.

»Nun auf! Steh' nicht so rum, Mädchen! Die Karotten schälen sich nicht von selbst!«

Ich fuhr zusammen bei ihrer harschen Stimme und hüpfte regelrecht auf den Hocker. Als ich die erste Karotte in die Hand nahm, an der noch Sand und Erde klebte, wandte sich Barda zufrieden ab und wittmete sich wieder ihrer Brühe. Etwas unbeholfen begann ich dann, die Karotten mit der harten Bürste abzuschrubben, wobei ich mir nicht selten selbst mit den harten Borsten über die Finger kratzte. Sobald die Karotte sauber war, begann ich mit dem Messer die Schale zu entfernen. Es war nicht einfach und ich schnitt mich oft genug selbst. Eine Karotte nach der anderen folgte in einen großen, hölzernen Bottich. Immer wieder tauchte ich die Bürste ins Wasser, rieb die Karotten ab, sodass das Wasser bald schon dunkelbraun war.

Nach schier unendlicher Zeit, unterbrach Barda meine Arbeit, indem sie den Eimer nahm und ihn mir in den Schoß stellte. »Der Brunnen ist auf der anderen Seite in einem kleinen Hinterhof. Du kommst durch die Tür dort hin.«

Ich rieb mir mit schmutzstarrenden und blutverschmiertem Handrücken über die schweißnasse Stirn und nickte. Zwar war die Arbeit hart und anstrengend und am liebsten würde ich dieser Frau sagen, dass sie ihre verdammten Karotten selber schälen konnte, aber ich schluckte meinen Ärger und die Frusttränen hinunter, legte das Messer beiseite und stand mit dem schweren Eimer auf. Mein Hinterteil war schon ganz taub vom langen Sitzen und ich spürte kribbelnd das Blut zurückkehren, als ich zu der Tür ging, die in den besagten kleinen Hof führen sollte. Als ich die Tür hinter mir schloss, wäre ich beinahe die kleine Steintreppe hinunter gefallen, die sich direkt dahinter befand. Mit zitterigen Beinen ging ich sie hinunter und befand mich dann in dem kleinen Hinterhof.

Die hohe Burgmauer rahmte den Hof ein. In der Mitte befand sich ein steinernder Brunnen, ansonsten gab es hier nichts. Einige verlassene Fässer und Kisten standen an der Mauer, eine Wäscheleine war aufgespannt, über der ein großes, braunes Laken hing. Ich seufzte innerlich, schlurfte zum Brunnen und stellte den Eimer auf der Kante ab.

Einen Moment genoss ich die Ruhe, ohne Bardas Stimme im Hintergrund. Während ich die Karotten geschält und in Scheiben geschnitten hatte, hatte sie ununterbrochen geredet. An das meiste erinnerte ich mich schon gar nicht mehr, doch ich wusste, dass es nervtötend gewesen war. Ich war müde, mein Magen hing mir in den Kniekehlen und außerdem taten mir sämtliche Knochen und Gelenke weh. Lord Wilmer hatte mit seinem Scherz auf jeden Fall recht gehabt. Ich würde schlafen wie ein Murmeltier. Ein Wunder, wenn ich tatsächlich vor Morgengrauen aufstehen könnte.

Mit verschwommenem Blick starrte ich auf meine Hände. An beinahe jedem Finger prangte mindestens ein blutiger Schnitt, sodass mir die Finger bis hinunter zum Handgelenk wehtaten. Zudem waren meine kompletten Hände tief orange gefärbt von den Karotten.

Ich biss mir auf die Unterlippe, drehte mich um und packte den Eimer. Das Wasser schüttete ich neben dem Brunnen ins Gras, ehe ich ihn an dem Seil befestigte und runter ließ. Als ich die Kurbel betätigte und den Eimer wieder hochholte, buckerten meine Finger ganz fürchterlich. Aber ich biss die Zähne aufeinander und zerrte den vollen Eimer hoch. Als er stand, tauchte ich meine Finger in das wunderbar kalte Wasser. Sofort waren die Schmerzen ein wenig betäubt. Jedoch, egal, wie sehr ich meine Finger rieb, die orange Färbung ging nicht weg.

Wütend packte ich den Eimer und kippte das mittlerweile wieder dreckige Wasser aus und wiederholte den Vorgang. Als ich den Eimer diesmal hatte, packte ich den Henkel und schleppte ihn mit neuer Kraft, angefacht durch meine Wut, wieder in die Küche. Ich war wütend, dass ich das alles machen musste. Ich war wütend, dass ich diesen Prinzen heiraten sollte und dann auch noch die Drecksarbeit erledigen sollte. Und ich war wütend, dass ich so empfindlich darauf reagierte, dass hier alles anders war, als in Kartan. Denn ich hatte es mir doch immer gewünscht. Ich hatte mir gewünscht, dass alles anders war, als in Kartan. Schon immer hatte ich mich über die gehobenen Leute in Kartan aufgeregt und nun hatte ich doch eigentlich, was ich wollte. Und trotzdem war ich unzufrieden.

Ich stellte den Eimer ab, ließ mich auf den Hocker fallen und packte eine Karotte nach der anderen. Ich hackte sie alle in Stücke und stellte mir dabei ihre Namen vor: König Ragnar, König Harold, Lord Wilmer, Gerald, Barda, Prinz Regan. Dabei merkte ich kaum, wie ich mir andauernd in die Finger schnitt.

Irgendwann half ich Barda noch bei den Kartoffeln, während sie die Karotten bereits in die Brühe gab und begann sie anzudicken. Als sie dann noch die Kartoffelstücken hinzugab und alles köcheln ließ, trug sie mir auf, sie Schalen zu entsorgen. Alles kam in einen Trog, aus dem die Schweine fressen konnten. Schließlich kam ich zurück und sollte damit beginnen, die Teller abzuwaschen, wozu ich mich wieder in meiner kleinen Ecke neben dem Kamin niederließ. Das Seifenwasser brannte an meinen Fingern, aber auch hier kniff ich die Arschbacken zusammen und tat es einfach.

Jetzt konnte mir ohnehin niemand helfen.

 

Ich fuhr zusammen und öffnete blinzelnd die Augen, als ich eine Berührung an meiner Hand spürte. Mein verschwommener Blick richtete sich auf Barda, die mir soeben die Bürste aus meiner schmerzenden Hand genommen hatte. War ich etwa eingeschlafen? Als ich mich aufrichten wollte, streikte mein gesamter Körper, was ich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen kundtat.

»Komm, Mädchen«, sagte Barda leise. »Das Abendessen ist fertig. Der König wartet in der Festhalle auf dich.«

Ich runzelte die Stirn. Mir war gerade nach allem Möglichen - ein heißes Bad, ein warmes, weiches Bett -, aber garantiert nicht nach Essen zumute. Selbst der Geruch des würzigen Eintopfes, den ich zuvor als sehr angenehm empfunden hatte, löste beinahe Übelkeit in mir aus.

Langsam stand ich auf, meine Knie schlotterten vor Kraftlosigkeit. »Danke, Barda, aber ich werde wohl lieber zu Bett gehen.«

Sie zuckte die Schultern. »Das musst du mir nicht sagen, sondern dem König. Dann sehen wir uns morgenfrüh.«

Ich nickte nur, da ich zu erschöpft war, um noch mehr zu sagen. Als ich die Küche verließ, bemerkte ich, dass es bereits dunkel war draußen und gerade schlossen zwei Wachmänner die Flügeltüren, die zum Innenhof führten. Musik und laute Stimmen drangen von der Festhalle zu mir herüber und, obwohl ich mich hätte fragen müssen, ob ich nicht aussah, wie eine Vogelscheuche, ging ich einfach in die Festhalle. Männer und Frauen saßen an den Tischen, Bier und Essen wurde ausgegeben und alle hatten eine Schale von Bardas Eintopf vor sich, dessen Zutaten ich schmerzhaft geschnippelt hatte.

Am Ende der Halle saß König Ragnar auf dem Thron, ein Tisch war vor ihm aufgebaut, an dem auch Lord Wilmer und zwei Frauen saßen, vermutlich sein Eheweib und seine Tochter. Aber ich hatte kein Auge für sie, sondern ging auf die Treppe zu und schlurfte sie mühevoll hinauf.

Bis mich König Ragnar aufhielt. »Prinzessin! Wo wollt Ihr denn hin? Ihr habt den ganzen Tag noch nichts gegessen, setzt Euch zu uns!«

Ich hörte vereinzeltes Kichern, als würden sie mich verspotten. Wut kochte in mir hoch, wie in einem Dampfkessel und ich spürte die Hitze in meinem Gesicht. Meine Finger ballten sich zu schmerzenden, kraftlosen Fäusten.

»Verzeiht mir, mein König«, sagte ich laut, damit es auch bloß jeder hören mochte. »Ich habe den ganzen Tag, seit ich so freundlich von Euch aufgenommen wurde, gearbeitet. Ich muss sicher stinken, wie die Tiere Eurer Männer und aussehen, wie die Vogelscheuchen auf den Feldern Eurer Bauern. Ich wäre heute Abend sicherlich keine gute Gesellschaft und, Ihr wisst es bestimmt nicht, aber, wenn man so lange mit Lebensmitteln arbeitet, vergeht einem der Appetit!«

Stille antwortete mir und ich wusste, dass ein jeder wusste, dass ich dem König soeben eine recht patzige Antwort gegeben hatte. So etwas hätte ich mich daheim nie gewagt. Mein Vater hätte mich zurechtweisen oder züchtigen lassen. Jedes Mal, bevor ich den Mund aufgemacht hatte, hatte ich meine Worte genauestens abgewägt, da es einst eine sehr rebellische Phase gegeben hatte. Ich hatte nicht das essen wollen, was man mir aufgetischt hatte, ich hatte nicht lernen wollen und hören wollte ich schon gar nicht. So war es des Meisters Pflicht gewesen, mich mit einem Rohrstock zu züchtigen. Natürlich nicht so sehr, dass ich davon bleibende Schäden zurückbehalten würde. Aber ich hatte immer gewusst, dass es dem Meister gefallen hatte, mich zu prügeln, denn Schmerz war immer gleich. Ob er stärker war oder schlechter, daran erinnerte man sich am Besten. Und, seit er einmal mein Gesicht mit dem Stock verdroschen hatte, als ich meinem Vater aus Trotz bei einer Ratsversammlung Ziegendung auf den Tisch geworfen hatte, hatte ich nie wieder auch nur ein böses Wort oder eine böse Tat vollbracht.

König Ragnar lehnte sich in seinem hölzernen Thron zurück, alle Männer starrten ihn an oder blickten in ihre gefüllten Schalen. »Dann hoffe ich doch, dass Ihr uns wenigstens zum Morgenmahl mit Eurer Anwesenheit beehrt, Prinzessin. Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht.«

Ich neigte einmal den Kopf, wie es von mir erwartet wurde, dann lief ich die Treppe fluchtartig hinauf, folgte den nunmehr verlassenen Gängen bis in meine Gemächer, wo ich die Tür schloss und mich mit dem Rücken dagegen lehnte. Tief ein- und ausatmend stand ich da und blickte auf meine zitternden Hände. Und plötzlich liefen mir die Tränen über die Wangen, die ich den gesamten Tag so mühevoll hinunter geschluckt hatte. Niemand sollte sehen, wie furchtbar ich mich fühlte und ich wollte auch nicht, dass jemand jemals meine Tränen sah.

Schlurfend und Schluchzend ging ich zum Bett hinüber. Ich war sogar zu erschöpft, um Öl und Feuer zu bereiten, um die Lichter zu entzünden, sogar zu müde, um mich aus meiner verschwitzten Kleidung zu schälen und neue anzuziehen, zu benommen, um die Bettdecke zurückzuschlagen. Und so kroch ich bloß auf das Bett, stülpte die Schuhe von meinen Füßen und rollte mich mit dem Kopf zum Fußende auf der Matratze zusammen. Vor Erschöpfung fielen mir augenblicklich die Augen zu.

Das letzte, woran ich an diesem Tag dachte, war, dass mein zukünftiger Ehemann seinem Vater hoffentlich nicht so ähnlich war, wie ich vermutete.

Kapitel 10

 

Als es an der Tür klopfte, schaffte ich es kaum meine bleischweren Augenlider zu öffnen. Sofort schoss ein unangenehmer, dumpfer Schmerz in meine Finger bis hinauf zu meinen Ellenbogen. Ein penetranter Geruch stieg mir in die Nase und ich brauchte gar nicht nach der Quelle suchen, denn ich wusste, dass dieser Geruch von mir ausging. So wie ich schwitzend neben dem Kamin in der Küche gesessen und die dreckigen Karotten geschält und geschnitten hatte, war das kein Wunder für mich.

Langsam hob ich den Kopf, wieder klopfte es an der geschlossenen Tür zu meinen Gemächern, sodass ich mich langsam in dem großen Bett aufsetzte. Sofort zog ich meine schmerzenden Hände an meine Brust, da ich mich kaum auf der Matratze abstützen konnte. Die Schnitte, die ich mir am Vorabend selbst zugefügt hatte, waren dick und rot und heiß. Es würde eine Weile dauern, bis meine Finger wieder auf Normalgröße geschrumpft waren. Aber nicht nur meine Hände hatten ein schmerzhaftes Andenken an meinen ersten Tag in Woberok. Mein Rücken tat kurz über dem Gesäß bei jeder Bewegung schrecklich weh, als hätte ich mir in der gebeugten Haltung gestern einen Nerv eingeklemmt und meine Oberarmmuskeln streikten, meine Füße waren heiß und geschwollen in den Schuhen, die ich in meiner Müdigkeit anbehalten hatte. Insgesamt konnte man also sagen, dass mir beinahe jeder Körperteil wehtat.

Wieder klopfte es, diesmal ungeduldiger.

Ich räusperte mich und rief, dass derjenige eintreten konnte. Die Tür öffnete sich und eine schmale, junge Dienerin trat ein. Sie war vielleicht gerade einmal so alt, wie ich, besaß hellbraunes Haar, das im Tageslicht leicht rötlich schimmerte und große, wache haselnussfarbende Augen, die mich neugierig musterten. Ihr Körper war relativ schmal und wenig fraulich, beinahe wie mein eigener, hatte sie doch fast die gleiche flache Brust wie ich. Ihre Hände waren langfingrig, ihr Gesicht sanft und sie war ein kleines Stück größer, als ich. Sogar vom Bett aus erkannte ich ihre langen Wimpern, die ihr bis auf die Wangen reichten, wenn sie blinzelte.

Rasch machte sie einen respektvollen Knicks, ehe sie mit einem Blick um Erlaubnis bat, sprechen zu dürfen.

Ich nickte ihr freundlich zu.

»Meine Prinzessin, ich heiße Edda Vais. Der König persönlich wollte, dass ich ab jetzt Eure Kammerzofe bin.«, sagte sie und wirkte unsicher dabei. »Ich hoffe, Ihr seid damit einverstanden.«

Ich konnte meine Verblüffung kaum verbergen. Bei den Woberokern gab es soetwas wie eine Kammerzofe? Das beeindruckte mich beinahe, doch taten mir die Knochen zu sehr weh, um mich weiter darüber auszulassen. Langsam setzte ich mich aufrecht hin und nickte erneut zustimmend.

»Natürlich bin ich damit einverstanden.«, erwiderte ich freundlich. Ich war eigentlich ganz froh, endlich eine Bezugsperson, außer der strengen Köchin, zu haben. Jemanden, mit dem ich reden konnte und innerlich nahm ich mir fest vor, dass Edda mehr sein würde, als eine Dienerin, für mich. Ich wollte gut mit ihr auskommen und mich ihr anvertrauen können.

Edda begann zu lächeln, als wäre die gesamte Anspannung von eben von ihren Schultern gefallen. Sie stand gleich viel aufrechter. Ihre runden Augen blitzten vergnügt, als hätte sie das Gleiche gedacht, wie ich eben. Ich merkte, dass uns sofort etwas verband. Zwar wusste ich noch nicht, was es war, aber ich war durchaus gewillt, es herauszufinden.

»Soll ich Euch einen Zuber heißes Wasser für ein Bad einlassen?«, fragte sie ruhig und deutete mit einem Blick auf meine schmutzige Kleidung und meine zerzausten Haare.

Ich hätte sie in diesem Moment küssen können. Das war genau das, was ich im Moment brauchte. Meine verkrampften Muskeln in einem heißen Bad zu lockern war so verlockend, dass ich euphorisch von der Matratze rutschte. Mein Blick fiel bedauernd auf das dreckige Bettzeug. Ich hatte sowohl Schuhe, als auch meine schmutzige Kleidung anbehalten. Alles war auf dem Bett verteilt.

»Darum kümmere ich mich, wenn Ihr zur Köchin müsst.«, sagte Edda geschäftig und begann den Zuber für das Bad vorzubereiten. Es schien wirklich aufwändig zu sein, einen Zuber mit heißem Wasser zu füllen. Zuerst erhitzte sie im Kamin in einem Kessel etwas Wasser, das in einem Fass als Vorrat daneben stand, um nicht ständig Wassereimer umher schleppen zu müssen. Dann füllte sie das neu erhitzte Wasser schubweise in den Zuber.

Währenddessen stand ich tatenlos daneben, bis mir die Schuhe irgendwann so auf meine geschwollenen Füße drückten, dass ich mich auf eine kleine Bank an der Seite der Wand setzte und sie vorsichtig von meinen Füßen schälte. Meine Füße pochten unangenehm und ich konnte ein leises, schmerzverzerrtes Stöhnen nicht unterdrücken. Bei der großen Göttin, es war furchtbar...

Ich umfasste meinen schmerzenden rechten Fuß und merkte, dass er ganz heiß war. Wenn ich heute wieder so hart schuften musste, würde ich eingehen, wie eine Topfpflanze. Und dies war ich überhaupt nicht gewöhnt. Von Zuhause kannte ich es nur, dass die Mägde so hart arbeiten mussten, nicht aber die adligen Mädchen. Es war mir fremd, dass Adlige in der Küche mithelfen mussten, Essen zubereiteten oder Wasser für Kochtöpfe holen mussten. Meine Mutter wäre entsetzt darüber, wie ich aussah, wie ich roch und wie ich mich hier benehmen musste.

Ich seufzte innerlich. Sie war wie eine wahre kartanische Lady aufgewachsen und hatte mich entsprechend erzogen. Doch irgendwie hatten König Ragnars Worte mich nachdenklich gestimmt. Hier musste man mehr können, als einen halbwegs geraden Knicks auszuführen...

Als Edda den Zuber gefüllt hatte, fühlte ich die Vorfreude auf ein heißes Bad. Ich stand wackelig auf und gewährte ihr, mir näher zu kommen und mir beim Ausziehen zu helfen. Ich schälte mich aus dem wochenalten Kleid, das wirklich müffelte und streifte auch die Strümpfe von meinen Beinen, bevor ich nackt zum Zuber ging, hineinstieg und mich in das heiße Wasser sinken ließ. Die Hitze lockerte sofort alle angespannten Muskeln in meinem Nacken, meinem Rücken und sonstigen Körperteilen. Seufzend sank ich bis zur Nasenspitze unter Wasser, schloss genießerisch die Augen. Dieses Leben konnte ja nicht nur schlimm sein!

Ich hörte Edda im Raum herum laufen, dann leises Klappern und als ich die Augen öffnete, kippte sie gerade ein durchsichtiges Badeöl in den Zuber. Sofort ging ein süßlicher Duft vom Wasser aus und ich erkannte ihn sofort. Es war Mutters Rosenöl. Hatte sie mir heimlich eine Phiole mitgegeben? Dieser Duft hatte meine Mutter vom ersten Tage an, seit ich sie kannte, umwölkt. Der König Kartans soll es ihr wohl jeden Namenstag schenken, wofür er extra Felderweise wilde Rosen anbauen ließ und die besten Parfümhersteller stellten das Rosenöl nur für meine Mutter her.

Rasch setzte ich mich auf, als Edda die Phiole wieder wegstellen wollte.

»Warte«, sagte ich und streckte fordernd die Hand aus.

Sie reichte mir die Phiole und machte große Augen. »Es duftet wundervoll, Majestät. Was ist es?«

Ich legte den Kopf schief und drehte die kleine Phiole mit dem kostbaren Öl in den Händen. Sie bestand aus Ton, was den Duft besser hielt und einzigartig werden ließ, als würde man eine Glasphiole nehmen. Auf der Vorderseite war klein und kaum zu erkennen das kartanische Wappen aufgezeichnet mit roter Tinte.

»Rosenöl von den Rosenhöfen, die mein Vater in Kartan errichtet hat. Er schenkt meiner Mutter zu jedem Namenstag eine Phiole mit Rosenöl.«

»Das klingt sehr romantisch«, erwiderte Edda verträumt, als stelle sie sich die Beziehung meiner Eltern voller Liebe und Fürsorge vor. Leider war es nicht ganz so.

Ich sah Edda nachdenklich an. »Du siehst so erstaunt aus. Gibt es hier kein Rosenöl?«

Sie schüttelte den Kopf. »Die feinen Ladys bevorzugen Lavendelöl. Rosen gedeihen hier oben im höchsten Norden nicht. Es ist zu kalt, selbst im Sommer.«

Nachdenklich gab ich ihr die Phiole zurück und sank wieder in das heiße Wasser. Sie stellte das kleine Gefäß zu meinen übrigen kleinen Kosmetiksachen auf einen kleinen Tisch. Es war wirklich nicht viel, was ich besaß. Eine Öle für meine Haut, die mir Mutter manchmal von Reisen in ihre Heimat mitgebracht hatte oder, wenn einer meiner Brüder auf dem Markt in Kartan gewesen waren, hatten sie mir etwas gekauft. Aber es hielt sich in Grenzen. Ich mochte dieses Geschmiere nicht auf meiner Haut und jetzt, hier in Woberok, konnte ich dies bei der Arbeit ohnehin nicht gebrauchen. Wen sollte ich damit denn beeindrucken? Die Kartoffeln und Rüben?

Ich wusch mich ausgiebig, wobei Edda etwas unschlüssig daneben stand und zusah, wie ich meine Haut eigenhändig von Sand und Schmutz und Schweiß befreite. Als ich dann auch noch um ein scharfes Messer bat, um meine Haut von dem überschüssigen Haar zu befreien, räusperte sie sich betreten.

»Majestät, ich will nicht unhöflich erscheinen, aber... Dürfte ich eine Frage stellen?«

Ich ließ meine fordernde Hand auf den Rand des Zubers sinken. »Natürlich? Was ist los?«

»Warum macht Ihr alles alleine? Es wäre eigentlich meine Aufgabe, Euch zu waschen und Euch zu rasieren.«

Um ehrlich zu sein, war ich ein wenig verwundert. Dieses Mädchen sollte mir beim Waschen und Rasieren helfen, aber ich musste selbstständig arbeiten und schuften, bis meine Finger bluteten? Das verwirrte mich. Aber selber Waschen musste ich mich nicht? Zwar half mir sonst auch irgendeine Zofe dabei, aber ich genoss die heimlichen Momente, wenn Mutter oder die Hauslehrer mich einmal nicht beobachtet hatten und ich mich vollkommen alleine waschen konnte. Verborgen vor anderer Augen, ganz alleine.

»Weil ich es alleine machen will. Sonst musste immer eine Zofe dabei sein und jetzt, wenn ich schon alleine arbeiten muss, werde ich meine Morgentoilette auch noch alleine schaffen. Gibst du mir jetzt das Messer?«

Edda machte große Augen, dann nickte sie hastig, vermutlich, um mich nicht zu verärgern und gab mir ein scharfes Rasiermesser. Da ich schon mit einem Dolch umgehen konnte, war die Rasur keine große Sache. Ich entfernte alles Haar, das nicht auf meinem Kopf wuchs und spülte mich noch einmal mit einem Eimer warmen Wasser ab, bevor ich meine Haare mit einer frisch duftenden Seife wusch. Als ich fertig war, kam Edda mit einem Morgenmantel, in den ich mich einwickelte. Obwohl ich dieses Mädchen nicht kannte, verbarg ich meine Nacktheit nicht vor ihr. Natürlich war es mir auf eine intime Weise unangenehm, aber sie hatte mit Sicherheit schon viele Ladys nackt aus einem Zuber steigen sehen.

Ich schlang den Morgenmantel um mich, während Edda sich an die Arbeit machte, den Zuber zu leeren und zu säubern. Auch meine dreckigen Kleider würde sie in die Reinigung bringen und mein Bett beziehen, wenn ich nicht hier war. Und sie würde allerleih weiterer Aufgaben bekommen, je länger ich in diesen Gemächern leben würde.

Nachdenklich trat ich zum Fenster und spähte aus meinem Turmzimmer. Der Turm war so ausgerichtet, dass ich einen perfekten Blick auf die Stadt hatte. Die Sonne war noch kaum über den Horizont geklettert und der morgendliche Dunst wich allmählich den Sonnenstrahlen. Tauben stoben von einem Häuserdach zum nächsten und die ersten Lichter flackerten hinter den verglasten Fenstern auf. Allmählich erwachte Woberok.

Ich ging hinüber zu meiner Ankleideecke, meine Füße taten ein bisschen weniger weh, aber noch genug, dass ich mich als erstes auf der kleinen gepolsterten Bank niederließ und wartete, bis Edda sich um meine Kleider kümmern würde. Sie kam sofort, als sie merkte, dass ich wartete und zog mir etwas handliches und wärmendes zum Anziehen aus dem Kleiderschrank. Es war es relativ schlichtes Kleid, über das ich für die Küche noch eine Schürze würde binden können, um den Rock nicht zu beschmutzen. Es war grün, wie die Flagge des Hauses, dazu kramte sie ein violettfarbenes, warmes Schultertuch hervor. Ich legte den Morgenmantel ab und ließ mich von ihr in das Kleid helfen. Das Mieder band sie nicht zu eng, damit ich genug Bewegungsfreiheit hatte und der Rock war fließend und nicht starr. Als sie fertig war, bat ich sie, dass sie mir das Haar hochstecken möge.

»Seid Ihr sicher, Prinzessin? Ihr habt so wundervolles Haar, es glänzt wie die Schale einer Kastanie!«

Ich schüttelte den Kopf. »Bei der Arbeit ist es unhandlich.«

Ich mochte mein Haar nicht. Hatte nie gelernt, es zu mögen. Meine Mutter hatte von je her darauf bestanden, dass es hochgesteckt wurde. Es war beinahe nie offen, nur in den seltenen Momenten, wenn ich es wusch oder schlafen ging. Aber ansonsten... ich hatte mir sogar während der Reise überlegt, ob ich es mir einfach abschnitt. So hatte ich weniger Ärger und könnte den Eindruck der unweiblichen kleinen Kartanerin, die alle in mir sahen, noch verstärken.

Edda nickte verstehend. »Stimmt...«, murmelte sie und holte einige Haarnadeln, um meine Strähnen auf meinem Kopf zu befestigen. Als sie fertig war, war ich zufrieden mit ihr. Sie machte das wirklich gut und ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mich verabscheute, so, wie es immer gewesen war, wenn die Zofen in Kartan sich um mich gekümmert hatten.

Ich verabschiedete mich von ihr, schlüpfte in weitere, bequemere Schuhe und machte mich auf den Weg zur Küche. An diesem Morgen war ich beinahe beflügelt, es Brada heute erneut zu beweisen. Zwar war der gestrige Abend anstrengend gewesen und ich hatte geweint wie ein kleines Mädchen, aber ich wollte es allen beweisen. Auch, wenn ich nicht woberokischen Blutes war, würde ich beweisen, dass ich trotzdem wie eine Woberokin sein konnte. Ich würde lernen zu kochen, zu nähen und zu heilen, wie Barda es mir prophezeit hatte. Ich würde zuerst das Frühstück vorbereiten, dann mit dem König und seinem Gefolge speisen und dann würde mich diese Freyer, Lord Wilmers Tochter, zum Gelehrten der Feste führen. Innerlich brannte ich vor Neugier etwas über die Heilkunst herauszufinden. In Kartan hatte mich die Gelehrte der Heilkunst stehts verscheucht und gesagt, das dies nichts für kleine Prinzessinnen sei.

Hier schien man Wert darauf zu legen, dass die Frauen sich in der Heilkunst auskannten.

Als ich am Treppenabsatz zur Festhalle stehen blieb, begrüßte mich nur das Schrubgeräusch von Bürsten auf Stein. Die Dienerinnen waren an diesem Morgen früh auf, um die Halle für das Morgenmahl aufzuräumen. Sie waren es auch, die die alten Teller und Speisereste vom Vorabend wegräumten.

Ich stieg die Treppe hinunter, bog in die Eingangshalle ab und ging geradewegs in die Küche. Hier duftete es bereits nach Eier, Speck und Hafergrützen. Die Köchin hatte den gewaltigen Kessel über dem Feuer und die helle Grütze schmorte im Topf vor sich hin. Sogar hier bestand sie bloß aus Haferflocken, die mit heißem Wasser aufgegossen worden waren, doch hinzu kamen kleine Tontöpfe, in denen sich ein weißlicher Quark befand, Schalen mit Wildbeeren und zwei Tontöpfe mit süßem, goldenen Honig.

»Da bist du ja, Kleines!«, rief Barda. »Sehr pünktlich. Ich bin beeindruckt. Ich habe auch schon die erste Aufgabe für dich, Kleines! Bitte rühr die Grütze um, damit sie nicht am Boden des Kessels kleben bleibt, dann kann ich mich um die Eier kümmern.«

Ich griff den Holzlöffel, den sie mir in die Hände drückte. Der war beinahe halb so lang wie ich und wog bestimmt auch die Hälfte von mir. Sofort trat ich an den Kessel und rammte ihn in die Grütze, rührte mit ungeheurer Kraftanstrengung im Kessel herum. Schmatzende Geräusche entstanden, als ich wieder und wieder umher rührte. Barda wendete währenddessen die Rühreier und schaufelte alles zusammen mit Speck und Würsten auf ein großes Tablett. Auf den Tisch stellte sie noch saure Gurken, Rohkost und dunklen Most.

Wenig später strömten die Diener in die Küche, um die Speisen in die Festhalle zu tragen. Auch die Grütze wurde in einem großen Topf weggetragen und Barda stemmte zufrieden die Arme in die Seiten.

Als der letzte Rest, samt Teller und Besteck fort getragen war, klopfte sie mir wohlwollend auf die Schulter. »Sehr gut Mädchen, ich bin stolz auf dich. Und? Wie geht es deinen Händen?« Ihr Blick wanderte zu meinen noch immer orangefarbenen, geschwollenen Händen.

Ich zuckte die Schultern. »Das wird schon wieder.«, sagte ich überzeugt.

Barda nickte und lächelte leicht. »Gestern Abend hast du dich in jedem Fall bewährt. Jetzt hast du dir ein Morgenmahl retlich verdient.«

Leicht lächelnd tappte ich die Treppe hinauf und ging Richtung Festhalle. Plötzlich nistete sich ein Flattern in meiner Brust ein. Würde ich jetzt zum ersten Mal den Prinzen sehen? Meinen künftigen Gemahl? Er aß mit Sicherheit mit seinem Vater und seinem Onkel an der Tafel im Festsaal und nun würde ich ihn das erste Mal treffen. Plötzlich fragte ich mich, ob ich Edda nicht doch lieber hätte sagen sollen, dass sie mein Haar offen frisieren sollte, um einen guten Eindruck zu machen. Aber andererseits, warum? Ich wollte ihm doch gar nicht gefallen! Natürlich nicht, schließlich war diese Ehe ohne mein Einverständnis beschlossen worden. Ich hatte mir nicht ausgesucht, ihn zu heiraten. Und dazu einen Woberoker...

Unsicher trat ich in die Festhalle und erblickte König Ragnar. Er trug einen edlen dunkelgrünen Wams und einen Umhang, der schwarz war wie die Flügel eines Rabens. Das Fell an seinem Umhang war mit Sicherheit das eines Wolfes. Neben ihm stand Lord Wilmer und diskutierte angeregt mit ihm, während zwei Frauen bereits an der engen Tafel des Königs saßen. Eine war jung und hatte kupferrotes Haar, ein schmales Gesicht mit einer geraden Nase. Ihr normalgroßer Busen wurde von einem eng sitzenden Mieder in Form gebracht und das ausladene, fließende Kleid war in einem grünen Ton gehalten. Die Frau neben ihr war deutlich älter, ihr Gesicht wurde von Falten geziert, doch sie besaß das gleiche Rot im Haar wie die Jüngere.

Als sie mich erblickten, stand die Ältere auf und kam lächelnd auf mich zu. »Ihr müsst Prinzessin Akira aus Kartan sein, nicht?«

Ich nickte etwas überrascht, als sie meine Oberarme ergriff und mich an sich zog. Diese Art von Körperkontakt war mir fremd, hatte ich von meiner eigenen Familie doch kaum so etwas bekommen. Regelrecht meine Brüder hatten mich ein paar Mal in meinem Leben umarmt. Blinzelnd starrte ich sie an, als sie mich langsam losließ.

»Überfalle sie nicht so, Mutter!«, sagte die Jüngere und kam ebenfalls auf mich zu. »Siehst du nicht, dass das arme Ding völlig verschreckt ist?«

Die Ältere legte eine Hand an meine Wange. »Hab keine Angst, Mädchen. Ich nehme an, dass der König und mein Gemahl gestern nicht besonders... nun ja, höflich zu dir waren, oder?«

Ich schüttelte seufzend den Kopf.

»Mach dir nichts daraus. Mein Vater und der König sind ungehobelte Dummköpfe, wie es Männer nun einmal sind. Dagegen kann keine Frau etwas tun, man muss nur die schlagfertige Antwort parat haben.«, sagte die Jüngere und zog mich ebenfalls in eine Umarmung.

Plötzlich hatte ich das Bedürfnis weinen zu wollen. Die beiden Frauen waren so ausgesprochen nett zu mir, dass ich mich fühlte, als wäre ich doch nicht vollkommen alleine auf dieser Welt. Das Gefühl hatte ich am gestrigen Abend im Bett gespürt. Als wäre ich in Mitten tausender Fremder, die mich nicht hier haben wollten. Nun aber hatte ich das Gefühl, wenigstens einige Verbündete in dieser Festung zu haben.

»Aber jetzt fort mit den finsteren Gedanken«, sagte die Ältere neben mir. »Mein Name ist Dagmar und das ist meine Tochter Freyer. Komm, Kindchen, setze dich zu uns und iss mit uns.«

Ich folgte Dagmar zum Tisch und ließ mich zwischen ihr und Freyer nieder, als sie mir einen Stuhl anbot. So saß ich dem König leider direkt gegenüber. Als er und Wilmer ihr Gespräch beendeten und sich ebenfalls an den Tisch setzten. Das erste, was der König tat, war, sich einen großen Krug süßen Mosts einzuschenken. Suchend blickte ich mich um und runzelte immer wieder die Stirn. Neben mir begannen die Frauen bereits stumm sich etwas auf den Teller zu packen. Stille herrschte am Tisch, aber ich merkte, dass Wilmer mich beobachtete, wie ich umher sah.

»Sucht Ihr etwas, Prinzessin?«, fragte der König nach einer gefühlten Weile.

Eine seltsame Frage. Natürlich suchte ich etwas. Wo war sein Sohn, den ich doch jetzt kennenlernen sollte? Hatte er verschlafen und wir fingen deshalb schon an zu essen? Ich war ganz nervös, ob er gleich kommen würde, denn schließlich war dieser Mann meine Zukunft. Da war es doch mein Recht, mich zu wundern, weshalb er nicht zum Essen erschien. Wenn ich es mir recht überlegte, war er schon gestern nicht beim Abendessen gewesen... oder? So einen Mann hätte ich mit Sicherheit nicht übersehen. Pflegte er es, alleine zu speisen? Manche Menschen gab es, die nicht in der Anwesenheit anderer essen wollten. Jeff aß oft alleine auf seinen Gemächern über den Büchern hockend.

»Beehrt uns mein Verlobter nicht zum Morgenmahl?«, fragte ich ehrlich verwirrt.

Wilmer sah den König nachdenklich an.

»Mein Sohn befindet sich im Moment nicht auf Woberok.«

Verblüfft riss ich die Augen weit auf. »Wo ist er denn?«

»Als er von der Hochzeitsplanung erfuhr, ritt er nach Ikard, um die Tage bis zur Hochzeit dort zu verbringen.«, erwiderte König Ragnar und nahm einen kräftigen Schluck Most, der ihm den Bart hinunterrann.

Wie versteinert saß ich da, konnte kaum glauben, was ich da hörte. Er war weggeritten? Meinetwegen?

.

 

 

 

 

 

Sie breiteten die mächtigen Schwingen aus, drückten sich mit den kräftigen Hinterläufen vom rauen Gestein ab

und erhoben sich in die Lüfte.

 Heiße und Kalte Luft zirkulierte unter den mächtigen Flügeln und sie wurden die Bändiger des Himmels und der Winde.

 

Kinder der Luft, Das Vermächtnis des Feuers Band IV

Kapitel 11

 

Nachdem ich einen kleinen Teil meines Morgenmahls herunter gewürgt und den Gesprächen meiner Tischnachbarn gelauscht hatte, folgte ich Freyer, die mich zu dem Gelehrten dieser Burg führte. Jeden Tag bekam sie Unterricht von ihm, wie man heilte, die Geschichte Woberoks und noch mehr Dinge, die eine Frau hier einfach wissen und können musste. Sie würde so lange hier Unterricht haben, bis sie eines Tages heiraten würde und ihre eigenen Töchter zum Gelehrten schickte, vorausgesetzt, sie würde Woberok nicht verlassen müssen.

Als ich ihr durch die verschlungenen Gänge der Burg folgte, vorbei an arbeitendem Personal, dachte ich über die Worte des Königs nach. Mein Verlobter befand sich zu meiner Ankunft nicht einmal auf Woberok. Ich war verwirrt. Er schien regelrecht vor mir geflohen zu sein, denn direkt nach der Ankündigung über seine geplante Heirat mit mir, die Burg zu verlassen und bis zur Hochzeit woanders zu verweilen, war für mich ein recht deutliches Zeichen. Die Heirat mit mir schien also ein solch unerträglicher Gedanke zu sein, dass man Hals über Kopf fliehen musste!

Ich fühlte mich elend. Nicht nur, dass ich meine Heimat verlassen musste wegen dieser Hochzeit, sondern auch zu wissen, dass mein Verlobter mich nicht einmal kennenlernen wollte, war ein herber Schlag für mein kleines, verkümmertes Herz. Ich hatte mir den ganzen Weg nach Woberok Hoffnungen gemacht, dass er nicht so sein würde, wie die Männer, die mich eskortiert hatten. Dass er mich vielleicht ganz nett finden würde und wir uns irgendwie arrangieren konnten in dieser, mehr oder weniger, unfreiwilligen Beziehung. Aber nun sank mir der Mut immer mehr. Ich saß hier, schuftete bis mir die Finger bluteten, damit ich zeigen konnte, dass ich nicht so war, wie die Woberoker uns Kartaner sahen und nun war er nicht einmal da, um zu sehen, wie viel Mühe ich mir gab. Und ich gab mir wirklich Mühe. Ich wusste, dass es niemanden überrascht hätte, wenn ich gestern Abend brüskiert die Türen meiner Gemächer verrammelt und mich geweigert hätte, auch nur eine der schmutzigen Karotten in die Hände zu nehmen. Stattdessen hatte ich getan, was man von mir verlangt hatte und hatte Karotten geputzt und geschält, dass mir die Finger jetzt noch schmerzten und orange waren.

Mutlos tappte ich hinter Freyer her, die ununterbrochen redete. Das meiste bekam ich kaum mit, war ich noch zu sehr mit dem Gedanken an meinen künftigen Gemahl beschäftigt. Sie zeigte aus einigen der winzigen Turmfenster in den Hof, beschrieb, was man von dort aus sehen konnte. Direkt unter dem Fenster, aus dem sie zeigte, befand sich die breite Burgmauer, die den Inneren Ring schützte. Gefechttürme bohrten sich meterhoch in den Himmel und zwischen den Zinnen befanden sich unbemannte Balisten. Wachmänner zogen über der Mauer ihre Bahnen, warfen immer wieder Blicke in alle Himmelsrichtungen.

Eines musste man Woberok lassen. Militärisch waren sie bestens gerüstet. Jetzt konnte ich meinen Vater teilweise sogar verstehen, dass er lieber seine einzige Tochter im Bett des Kronprinzen wissen wollte, als dass der zerbrechliche Frieden eines Tages eventuell zu brüchig wurde. Im Felde wären wir Woberok haushoch unterlegen. Nicht nur von der Anzahl der Soldaten her - diese war überragend - sondern auch vom Kampfgeist. Wofür lohnte es sich in Kartan zu kämpfen? Einen fetten König, der sein Königreich kaum kannte und sich fast nie blicken ließ? Einzig und alleine Harris wäre ein Grund, den Kampf aufzunehmen, denn er verhieß die Aussicht auf einen glorreichen König. Und Astrid war längst nicht mehr ein Störenfried, der den Kronprinzen Kartans verführt und an sich gebunden hatte. Sie war bereits beliebter, als meinem Vater lieb war und würde eine hervorragende Königin abgeben. Dazu war sie auch noch schwanger und bekam bald Harris' erstes Kind. Und selbst, wenn es kein Junge wurde, wusste jeder, dass ihnen sicher noch viele Kinder vergönnt waren.

Die Männer Woberoks jedoch kämpfen des Stolzes wegen. Sie waren stolz die Banner mit dem Raben zu tragen, sie sind stolz, wahre Nordmänner zu sein und sie waren sogar stolz von ihren grausamen Clansgenossen abzustammen. Und, was ich auch noch ganz genau gesehen hatte in den stahlblauen Augen des Königs, war, dass Ragnar für jeden Mann in seinem Königreich die Hand ins Feuer legen würde. Er war ein König, dem seine Männer aus Überzeugung folgten. Mein Königreich hingegen hatte seine Glanzzeiten längst hinter sich gelassen...

Ich hoffte nur, dass Harris Kartan eines Tages wieder ein wenig von diesem Glanz wiedergeben möge.

Freyer zupfte an meinem Schultertuch und riss mich somit aus den Gedanken. Sie lächelte leicht und ihre feuerrote Mähne hüpfte auf und ab, als sie die Stufen des Turmes, den wir gerade herabstiegen, hinunter ging. Ich folgte ihr etwas weniger euphorisch und fragte mich, wie lange wir noch durch die endlosen, verschlungenen Gänge Woberoks laufen würden. Ob ich mir jemals diese vielen Gänge merken würde? Oder würde ich mich ständig verlaufen?

»Ist alles in Ordnung? Seit dem Essen und deiner Frage, ob mein Cousin da ist, hast du kaum etwas gesagt!«

Ich schüttelte perplex den Kopf. »Dein Cousin?«

Freyer blieb auf einem Absatz stehen und gestikulierte aufgeregt. »Natürlich! Prinz Regan ist mein Cousin. Sieh' mal, die Königin war die Schwester meines Vaters, Lord Wilmer, und ergo meine Tante. Und sie ist die Mutter von Prinz Regan und Prinzessin Esme. Also, bin ich ihre Cousine!«

Spätestens bei Tante hatte ich kaum noch zugehört. Apropos, was war mit der Königin geschehen? Ich hatte gehört, dass sie gestorben sei, als die Prinzessin noch ganz klein gewesen war. Und die Prinzessin lebte auch schon seit Jahren nicht mehr in Woberok, das wusste ich auch.

»Ich verstehe... was ist eigentlich mit der Königin passiert?«

Freyers Gesicht verdunkelte sich ein wenig, als sie sich nach vorne richtete und drei Stufen abwärts ging. »Ich weiß es nicht genau. Mein Vater spricht nie über sie. Gerüchten zufolge sollte sie wohl in den Wald gelaufen sein und kehrte nie wieder zurück. Andere, böse Zungen sagen, dass die Wilderer aus ihr eine Hexe gemacht haben und sie in den dunklen Wäldern herum streift und die Herzen von kleinen Rehkitzen frisst. Roh!«

Ich fuhr zusammen und ein Schauer lief mir über den Rücken. »Also ist sie gar nicht tot?«

»Der König selbst sagt, dass sie gestorben ist. Aber die Geschichten über sie, sagen andere Dinge. Auch Regan spricht nicht über sie, niemand! Deswegen hat mir Mutter verboten, über sie zu reden. Sie will König Ragnars Zorn nicht auf sich ziehen. Und dir würde ich das Gleiche raten, wenn du Regan nicht verärgern willst!« Sie fuhr zu mir herum und wedelte mit ihrem dünnen Zeigefinger vor meiner Nase herum.

Rasch schüttelte ich den Kopf. Natürlich nicht!

»Sehr schön!«, sagte sie erfreut. »Jetzt mal ein anderes Thema. Ich habe gehört, dass ihr in Kartan überhaupt nicht solch einen Unterricht bekommt, zu dem wir gerade gehen. Sag mal, stimmt das?«

Ich folgte ihr bis wir am Fuße des Turms ankamen. »Das stimmt. Wir müssen dort nicht kochen und heilen lernen. Ich habe gelernt zu singen und zu tanzen, Instrumente zu spielen, das allerdings kann ich nicht so gut.«

Freyer runzelte die Stirn. »Wozu soll denn Singen nützlich sein?«

Ich zuckte die Schultern. »Das habe ich mich auch immer gefragt. Aber weil ich es gut konnte, hat meine Mutter darauf bestanden, dass ich zum Unterricht mit den Musiklehrern gehe.«

»Also Kovir ist sicher nicht daran interessiert, ob du singen kannst, aber ich finde es toll! So ein Unterricht würde mir gefallen. Oh bitte sing mir etwas vor!«

Ich lachte. Allmählich beruhigte ich mich, ja entspannte ich mich geradezu. Freyer bot einen starken Kontrast zu all dem Ernst, den ich die letzten Tage erlebt hatte. In Kartan war kein Mädchen so aufgeweckt und neugierig wie sie. Sie glich einem schillernden Vogel, der aufgeregt in seinem Käfig umher flatterte, um endlich hinaus zu dürfen. Irgendwie erinnerte sie mich ein wenig an mich selbst.

»Ich... ich weiß gar nicht was ich singen soll. Und bestimmt wird der Gelehrte wütend, wenn wir zu spät kommen.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und verzog böse das Gesicht. »Das befürchte ich allerdings auch. Dann eben später, aber du musst mir etwas vorsingen!«

Ich grinste. »Versprochen!«

Es dauerte nicht lange, bis wir die Räumlichkeiten des Gelehrten erreichten. Es war ein dunkler Saal, den wir durch einen weiteren Turm erreichten. Der Raum bildete sich durch eine halbkugelförmige Kuppel aus Stein. Am höchsten Punkt dieses gewaltigen Saals war Glas eingelassen, das tausende kleine Lichtfunken auf den Boden projektierte. An den mächtigen Steinwänden des Saales befanden sich meterhohe Bücherregale gefüllt mit Unmengen an Büchern, Schriftrollen und Pergamenten. Der Saal mündete in einem großen Balkon, der jediglich von gewaltigen grünen Vorhängen verdeckt werden konnte. An diesem sonnigen Herbsttag jedoch waren sie an den Seiten zusammen gebunden, doch das ließ auch wenig Licht hinein, da sich die Sonne noch auf der Vorderseite der Festung befand. Dieser Raum war im Moment im Schatten. Mitten im Raum standen viele Tische mit Öllampen herum, darauf ausgebreitet waren offene Bücher, Schriftrollen, Pergamente, Tintenfässchen und einen Haufen Federn. Ein durch mächtige Steinsäulen getrennter zweiter Bereich beherbergte einige Feldbetten. Ein Krankenlager, wie es mir schien, abgetrennt von der Bibliothek. Und auf der rechten Seite, eingerahmt von den dunklen Bücherregalen befand sich eine verschlossene Holztür.

»Wen bringst du mir da, Freyer? Was soll das?« Eine knarzige, alte Stimme ertönte und eine gebrochene Gestalt humpelte auf uns zu. Der Mann, dessen Buckel so gewaltig war, dass man darauf einen Kelch hätte abstellen können, trug eine grüne Robe mit einem edlen, goldenen Muster. Der lange Saum schleifte am Boden und war bereits dunkelgrau vom Staub des steinernden Bodens. Die Kapuze hatte er nicht auf dem Kopf, sodass ein weißer, langer Haarschopf entblößt wurde und seine beinahe weißen Augen mich ungeniert mustern konnten.

»Erinnert Ihr Euch nicht, was der König sagte? Das ist Prinzessin Akira!«, stellte Freyer mich vor.

»Akira... Akira... Irgendwas war da...«

»Sie wird den Prinzen heiraten...?«, half Freyer dem verwirrt scheinenden Mann nach.

»Ahhhhh! Ja. Jetzt erinnere ich mich. Das kleine, dumme Ding von dem König Ragnar sprach. Genau. Das Mädchen, das nicht einmal weiß, wie man die einfachste Schnittwunde näht.«

Mit jedem Wort, das der alte Mann sagte, fühlte ich mich elender. Das klang ja, als würde ich mir nicht einmal die Schuhe alleine binden können. Was hatte König Ragnar denn nur über mich gesagt?

»Aber, Kindchen, wie wollt Ihr denn die Wunden Eures Gatten nähen, wenn Ihr es nicht wisst? Hä? Eine seltsame Sitte, den Frauen nicht beizubringen, ihrem Mann die Wunden zu versorgen.«

»Das tun bei uns die Heilerinnen.«, sagte ich zögerlich.

»Heilerinnen? Bei Euch wird Frauen das Heilen vollständig gelehrt?«

Ich nickte verwundert. »Das ist Frauenwerk.«

Er begann zu lachen und spuckte mich dabei beinahe an. »Dass ich nicht lache! Frauenwerk! Frauenwerk ist es in der Küche zu stehen, Wunden zu nähen und Abends gefälligst die Schenkel zu spreizen. Nichts anderes ist Frauenwerk, verstanden?!«

Ich schluckte. Bei den Göttern, was war das denn für ein seltsamer Kerl? Ich nickte, damit er mich bloß in Ruhe ließ und sah zu, wie er zu einem prall gefüllten Tisch humpelte.

Freyer beugte sich zu mir. »Mach dir nichts draus. Kovir ist ziemlich... konservativ. Noch konservativer, als alle anderen Woberoker. Bisher hat er mich nach jedem meiner Namenstage, seit ich zehn Jahre alt bin, gefragt, weshalb ich noch keinen Gemahl habe.« Sie kicherte. »Ich helfe dir beim Unterricht, dann verstehst du es alles ganz schnell.«

 

Als ich Abends nach dem Abendessen in meine Gemächer schlurfte, war ich vollkommen ausgelaugt. Der Unterricht mit Kovir, dem Gelehrten, war alles andere als ein Zuckerschlecken. Er war wirklich konservativ. Er war der festen Meinung, dass Frauen das schwache Geschlecht waren und tatsächlich den ganzen Tag in der Küche stehen sollten oder Nachts mit ihrem Gemahl das Bett teilten und deren Kinder gebären sollten. Seiner Meinung nach sollten Frauen nicht einmal besonders gut Lesen oder Schreiben können, denn es war wichtiger, dass Männer dies konnten. Doch er vertrat auch die Meinung des Königs, dass adlige Frauen diese Fertigkeiten beherrschen sollten, um ihren Männern keine Schande zu machen. Das einzige, was ich den ganzen Tag bei ihm mit Freyer tat, war, seine ausgeräumten Pergamentstücke zurück in die Regale zu sortieren. In chronologischer Reihenfolge.

Anschließend war Freyer zu ihrem Geschichtsunterricht gegangen, den ich ja zum Glück in Kartan schon hinter mir hatte. So konnte ich Barda beim Abendessen helfen. Sie hatte frisches Fladenbrot gebacken, dazu kleine Fasane und den Rest des Eintopfes zubereitet. Diesmal hatte ich sogar in der Halle am Tisch des Königs gesessen und zu Abend gegessen.

Auf die zynisch gestellten Fragen des Königs antwortete ich beherrscht und ruhig. Er sollte nicht wissen, dass ich jeden Moment kurz davor war, vor Frust in Tränen auszubrechen. Vor allem, weil mir der ganze Tag der Gedanke durch den Kopf gespukt war, dass Prinz Regan nicht da war und mich vermutlich vollkommen verabscheute. Umso besser tat es mir, dass sich Lady Dagmar und Freyer für mich interessierten. Sie waren völlig fasziniert, als ich von Kartan erzählte und, wie es dort aussah. Ich beschrieb ihnen die Thronhalle meines Vaters, die gewaltige Statue unserer Göttin und erzählte von meinen Brüdern. Natürlich ließ ich jene Geschichten aus, die Rikkon, Tristan und ich öfters mal auf der Jagd erlebt hatten. Noch sollte niemand wissen, dass ich trotz meiner sinnlosen Unterrichtsstunden in Kartan, etwas mehr konnte, als hübsch zu lächeln und einen halbwegs eleganten Knicks zu vollführen.

Vor allem erzählte ich davon nichts, weil ich Angst hatte, dass König Ragnar mir verbot, zu jagen oder mir eventuell meinen Dolch wegnahm.

In meinen Gemächern angekommen warf ich das violette Schultertuch auf die Bank vor meinem Bett und sah mit Freude, dass Edda das Bett frisch bezogen hatte. Die Decke schillerte in einem hellblauen, zarten Ton und das Kopfkissen passte perfekt dazu. Doch, das, was mir sofort auffiel, war, dass neben dem Fenster meine Staffelei stand. Aufgeregt ging ich darauf zu und nahm das kleine Pergament, das dabei lag. Darauf stand ein Gruß von Lord Wilmer, dass es etwas gedauert hatte, aber er sie schließlich gefunden hatte. Erleichtert seufzte ich und packte die Staffelei, stellte sie direkt neben das Fenster und postierte daneben den kleinen Korb mit meinen Farbtöpfchen und den Pinseln. Zwar wusste ich nicht, wann ich endlich die Zeit finden könnte, um wieder zu malen, aber ich war fest entschlossen, wenigstens ein paar Striche zu ziehen.

Ich blickte mich im Zimmer um, runzelte die Stirn und griff nach einer der beiden gepolsterten Bänken. Halb zog, halb schleppte ich sie zu meiner Staffelei und setzte mich. Nachdenklich griff ich nach der Leinwand und zog das Tuch hervor. Ich runzelte die Stirn, als mir das halb fertige Bild von Kartan ins Auge stach. Irgendwie verspürte ich keine Motivation dieses Bild zu vollenden. Leicht schüttelte ich den Kopf, griff nach der zweiten Leinwand. Ich hatte sie mir aufgehoben für ein besonderes Motiv und so stellte ich sie gerade in die Staffelei.

Mit meiner Rechten griff ich nach einem Pinsel, tauchte ihn in eines der Farbtöpfchen und begann die Striche zu ziehen. Wie von selbst flossen sie über die Leinwand. Draußen war es bereits stockdunkel, als ich mich entschließe, ins Bett zu gehen. Ich legte das Tuch über die Leinwand und wusch mir die Farbe in dem kleinen Waschtopf von der Farbe frei. Danach schlurfte ich erschöpft zu meinem Bett und legte das Kleid ab. Edda hatte mir ein schönes, beigefarbenes Nachthemd raus gelegt, das ich auch prompt überzog. Erschöpft fiel ich in die Kissen, kroch unter die Decke, die sich weich an meine nicht vorhandenen Kurven schmiegte und zog die Beine eng an meinen Körper. Es dauerte nicht lang, bis ich einschlief.

Meine letzten Gedanken jedoch kreisten sofort wieder um den Mann, den ich in nicht einmal einer Woche heiraten würde.

Die Wintersonnenwende nahte.

 

Die Tage vergingen schnell, beinahe wie im Fluge. Morgens badete ich mich, näherte mich meiner Kammerzofe Edda an, um eine weitere Freundin in diesen düster erscheinenden Gemäuern zu finden und Edda schien es sogar zu genießen, wie ich mich nach ihrem Leben erkundigte. Sie erzählte mir von ihrem Leben in dem unteren, etwas ärmeren Stadtteilen Woberoks, wo sie eine eigene kleine Hütte besaß und diese mit ihrer älteren Schwester und deren Ehemann teilte. Ihre Schwester arbeitete in einer Taverne als Bedienung und ihr Ehemann in der städtischen Kaserne, als Schwertschleifer. Edda versicherte mir, dass es ihnen finanziell ganz gut ging und sie zwar ein einfaches, aber gutes Leben hatte. Das glaubte ich ihr aufs Wort, so wie sie bei ihren Erzählungen strahlte und beinahe beneidete ich sie um ihr ruhiges, einfaches Leben. Sie war nicht dazu gezwungen, einen fremden Mann zu heiraten und das in bereits drei Tagen und, falls sie sich weigerte, würde kein Krieg zwischen den Königreiches des Kaiserreiches losbrechen. Bei den Göttern, sie hatte es wirklich gut.

Nach den morgendlichen Bädern eilte ich in die Küche und half Barda beim Morgenmahl. Ich zapfte Apfelmost von den Fässern ab, stellte Krüge voller Ziegenmilch, Wasser und Most bereit, wendete die Eier in den großen runden Pfannen, backte Fladenbrote, kleine Brötchen mit Kürbiskernen und lange knusprige Teigstangen, bevor ich selbst zum Morgenmahl ging.

Beim Morgenmahl war es beinahe schon Routine, dass ich Lady Dagmars und Freyers Fragen beantwortete, während im Hintergrund der Lärm der Vorbereitungen für die Hochzeit zu hören war. Es so greifbar zu spüren, dass meine Heirat schon im vollen Gange war, verlieh mir ein seltsames Gefühl. Mir war kalt und gleichzeitig heiß, wenn ich all die weißen Girlanden, Bänder und Blumen sah. Dabei schoss es mir ständig durch den Kopf, dass ich mir den Hochzeitsschmuck niemals so... elegant vorgestellt hätte. Nach den unheimlichen Geschichten über Woberok und seine Bewohner hätte ich - ich wusste, es war albern - eher tote Kaninchen vorgestellt, die von der Decke hingen.

Bei jedem Mahl erzählte ich Freyer und ihrer Mutter mehr über Kartan. Ich berichtete vom Festplatz in der Mitte der Stadt und die Feste, die dort ausgetragen wurden, die Musik, die beim Frühjahrsfest gespielt wurde, sobald es Kunde über die ersten blühenden Blumen des Frühlings gab, oder dem Herbstfest, bei dem mehrere Stände mit hunderten von Kürbissen bestückt waren und eine unglaubliche Farbenpracht in der sonst so weißen, kahlen Stadt herrschte. Freyer bekam bei meinen Worten immer leuchtendere Augen und ich konnte beinahe erahnen, welches Fernweh sie bekam. Mir ging es ähnlich, als ich in meinen Freiheiten immer weiter eingeschränkt wurde, bis Mutter und Vater mich nicht mehr mit Rikkon und Tristan aus Kartan heraus ließen. Ich wollte immer wieder meine Fesseln sprengen, die mich Zuhause festhielten und deswegen war ich auch beinahe froh um diese Hochzeit. Zwar vermisste ich all das, worüber ich berichtete, ich vermisste sogar meine Mutter, die mir jeden Morgen sagte, eine Prinzessin erwachte mit den Vögeln, aber ich war erleichtert. Ich sah endlich andere Dinge, als staubige Pergamentrollen, auf denen irgendwelche alten Mönche unsere Geschichte mit Gänseblut aufgeschrieben hatten, oder das gleiche Zimmer, das ich seit Jahren bewohnte. Und endlich sah ich andere Gesichter, als die, die ich seit Jahren sah.

An diesem vierten Tag - noch drei Tage bis zur Wintersonnenwende - saß ich bei Kovir in seinem Hoheitsgebiet und versuchte mir die Stichweise der Nähte einzuprägen, die er mir gezeigt hatte. Freyer saß neben mir und flickte den Riss in ihrem Probestoff in weniger als zehn Sekunden, während ich noch zögerlich dasaß und versuchte, mich daran zu erinnern, was diese besondere Naht ausmachte. Allein der Gedanke, das Stück Stoff, das in einem kleinen Rahmen eingespannt war und mit dem ich übte, würde die warme, feste Haut eines Mannes sein, der eine furchtbare klaffende Wunde im Fleisch hatte, versetzte mir ein flaues Gefühl im Magen. Würde ich tatsächlich mit dieser dicken Nadel, die ich in der rechten Hand hielt, durch lebendiges Fleisch stechen können?

»Versuche ein bisschen weniger nachzudenken«, hörte ich Freyers sanfte Stimme, als sie ihre fertige Arbeit in ihren Schoß sinken ließ.

Ich seufzte verzweifelt. »Prinz Regan wird mich noch mehr hassen, als er es jetzt schon tut, wenn er sieht, dass ich nicht einmal ein Stück Stoff zusammen nähen kann, geschweige denn sein Fleisch.«

Freyer schüttelte verwirrt den Kopf. »Woher willst du wissen, dass er dich hasst?«

Unverständlich starrte ich sie an. »Zum Beispiel, weil mein Name mit ›von Kartan‹ endet, statt mit ›von Woberok‹?«

»Und du meinst, es interessiert ihn, dass dein Hausbanner rot statt grün ist? Oder man dich Löwin statt Rabe nennt? Komm schon, Kira, das ist nicht wahr. Natürlich macht es einen Unterschied, wo du geboren wurdest, aber die Leute hier schauen darauf, was du tust und nicht, wer du warst. Wenn du dich auch benimmst, wie alle Woberoker die Kartaner sehen, zickig, launisch, zu fein, sich die Hände schmutzig zu machen, dann werden sie dich auch damit aufziehen, dass du die kleine Kartanerin bist, die sich ziert einen Kochlöffel in die Hand zu nehmen.« Freyers Worte wurden von einem strengen Unterton begleitet, als wolle sie mir eine Lektion erteilen. »Wenn du dich allerdings anstrengst, die Hände schmutzig machst und dir Mühe gibst, was glaubst du, sagen die Leute dann?«

Ich zuckte die Schultern, fühlte mich wie ein kleines Kind, das von seiner Mutter zurechtgewiesen wurde.

»Sie werden sagen: ›Das ist genau die richtige Frau, um eines Tages Königin zu werden. Sie ist beinahe wie eine richtige Woberokin.‹«

Nachdenklich sah ich sie an. Ich musste zugeben, dass sie recht hatte. Die Leute würden mich immer als Kartanerin betiteln, Diejenige, die sich zu fein war, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn ich mich zierte und aufgab. Wenn ich kämpfte und mich anstrengte, würden die Menschen mich vielleicht irgendwann akzeptieren. Vielleicht sogar mögen. Und man konnte nicht sagen, dass ich mich nicht anstrengte. Jeden Morgen quälte ich mich aus dem Bett, wenn Edda an die Tür klopfte und mich unsanft weckte, jeden Morgen ging ich bei Sonnenaufgang in die Küche und half Barda, führte jeden ihrer Befehle ohne zu Murren aus, ging fleißig zu meinem Unterricht mit Kovir, ließ mich jeden Mittag - nicht immer sanft - belehren, was eine Frau hier zu können hat und bereitete jeden Abend das Abendmahl vor, um dann noch eine Stunde Freizeit zu haben und wenige Striche auf meiner Leinwand zu vollführen. Anschließend sank ich vollkommen erschöpft in die Kissen und schlief tief und traumlos.

»Besser?«

Ich sah Freyer an und musste schmunzeln. »Ja, besser.«

»Gut. Jetzt komm, wo hast du Schwierigkeiten?« Sie lehnte sich vor, um meinen eingespannten Stoffrahmen und den Riss zu begutachten.

»Ich weiß nicht. Immer, wenn ich mir vorstelle, das das lebendige Haut sein könnte, hemmt mich etwas, die Nadel darin zu versenken.«

Freyer legte den Kopf schief und deutete auf den Rand, des sauberen Schnittes. »Sieh her. Stell dir vor, das wäre ein Stück Haut und dies würde einem Mann gehören, der dringend Hilfe braucht. Glaube mir, da denkst du nicht lang nach, du tust es einfach. Bisweilen ist es nur ein Stück Stoff. Versuche es so zu nähen, dass du erst einmal einen Stich setzt, ein Stück von dem Schnitt entfernt. Und dann-«

»Ihr könnt Eure Arbeit für einen Moment unterbrechen.«, riss uns Kovirs alte, gebrechliche Stimme aus der Arbeit. »Ein Rabe von einem unserer Außenposten kam. Der Prinz wird morgenfrüh hier sein.«

Ich erstarrte und mein Herz begann bei dieser Neuigkeit zu klopfen, als wäre ich mehrere Meilen weit gerannt. Entfernt hörte ich Freyer vor Freude in die Hände klatschen, da sie sich augenscheinlich freute, ihren Cousin wieder zu sehen. Ich jedoch bekam Panik. Er war morgen hier? Ich hatte erwartet, ihn erst vor dem Altar zu treffen und die Aufregung wäre kein Wunder gewesen, da ich ihn nur wenige Sekunden, nachdem ich ihn getroffen hätte, heiraten würde. Aber nun würde ich ihn schon vorher sehen? Was war, wenn er mich nicht ausstehen konnte? Oder er schrecklich hässlich war? Wer wusste das schon? Zwar bezeugte jeder, dass er ein attraktiver Mann war, aber was war, wenn sie alle positiv über ihn sprachen, damit ich kooperierte?

Mir schossen noch eine Millionen anderer furchtbarer Gedanken durch den Kopf, als Kovir sich abwandte und zu seinem Balkon schritt. Ich folgte seinen Schritten mit dem Blick und blickte in den sturmgrauen Himmel. Mir blieb die Luft weg, als ich sah, die tausende kleiner weißer Flocken auf die Erde herab fielen und begannen, alles mit einer dünnen Schicht Schnee zu überdecken.

Freyer war bereits aufgestanden und ich erhob mich ebenfalls langsam, um ihr zum Balkon zu folgen. Als ich neben ihr und Kovir stand, drehte sie den Kopf zu mir und blickte mich wachsam an.

»Nicht nur Prinz Regan nähert sich Woberok.«, sagte sie leise. »Der Winter ist gekommen.«

 

Kapitel 12

 

Am Abend saß ich vor meinem Bild und starrte es an, wusste nicht, was ich machen sollte. Ich fühlte mich wie leergefegt, hatte kaum einen anderen Gedanken, als, dass mein zwölf Jahre älterer Verlobter morgen auftauchen würde und ich ihm zum ersten Mal gegenüberstehen würde. Es war unvermeidbar, hatte der König beim Abendmahl doch verkündet, dass sein Sohn morgen heimkehre und mich treffen würde. Dass die Götter uns dabei segnen würden und unsere Ehe unter einem guten Stern stand, wie er noch hinterher schob, hatte mich umso nervöser gemacht.

Ich schluckte einmal kräftig und seufzte, ließ die Schultern hängen. Was würde er wohl sagen? Wie würde er reagieren, wenn ich vor ihm stand? Mein Magen kribbelte, wenn ich daran dachte, dass wir uns bei der Hochzeit küssen würden. An die Hochzeitsnacht durfte ich gar nicht erst denken. Allein der Tatsache wegen, dass der Gelehrte in Kartan mich als Kind so oft verprügelt hatte, hatte ich ein regelrechtes Trauma, was Berührungen anging. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn mich Fremde berührten, wenn ich sie noch nie im Leben gesehen hatte. Bei Lady Dagmar und Freyer war es anders. Sie waren Frauen und die Umarmung war auch nicht dazu gedacht, mir wehzutun. Aber, wenn er mich berührte...

Ich schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. Rasch stand ich auf und ging zu meinem Bett hinüber, kroch auf die Matratze und zog die Beine eng an meinen Körper. Nachdenklich, meine Gedanken schweiften wieder zu meiner baldigen Hochzeit ab, spielte ich mit den Fingern an meiner Halskette herum. Sie scharfen Kanten des Flammenanhängers drückten sich in meine Haut und nach zwanzig Minuten des Grübeln und Fummelns waren meine Finger rot und wund. Ich ließ von meinem Hals ab und betrachtete meine Finger. Sie waren dünn und klein, zierlich und wenn ich sie bewegte, sah man die Knochen leicht unter meinen Knöcheln zucken. Besser, als wenn sie dick und wurstig waren.

Wie würde es sein unter ihnen nackte, heiße, feste Männerhaut zu spüren?

Ich fuhr zusammen und verbot mir augenblicklich diesen Gedanken. Nein. Nein, nein, nein! Es war Sünde darüber nachzudenken und daran war auch nichts schön. Es tat weh, eine Strafe der Götter für unsere Sünden in der Vergangenheit. Wie konnte etwas, das so wehtun sollte und so sündhaft war, gut sein? Nichts. Absolut nichts daran war gut! Meine Mutter musste sich geirrt haben. Sie predigte mir zwar ihr ganzes Leben vor, es sei schlimm, aber zum Schluss, als ich aufgebrochen war nach Woberok sagte sie auf einmal, es sei gut? Das konnte nicht sein. Vielleicht wollte sie mich beruhigen, damit ich nicht solche Angst hatte. So musste es sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Geschlechtsakt mit dem kartanischen König besonders angenehm sein sollte. Auch nicht in frühen Jahren, wo er noch nicht solch einen Wanzt vor sich her geschleppt hatte.

Seufzend ließ ich mich seitlich auf die Matratze fallen, die Beine eng an meine kleine Brust gezogen. Ich war verzweifelt und zwar sehr. Wie sollte ich nur schlafen können, wenn ich wusste, dass Prinz Regan morgenfrüh hier sein würde?

Ich schloss die Augen und atmete zittrig aus.

 

Klopfen weckte mich.

Ich riss die Augen auf und fuhr hoch. Mein Haar versperrte mir die Sicht, als ich Edda hereinrief, die die Tür hinter sich schloss und leise kicherte, als sie mich sah. Rasch strich ich mir die kastanienbraunen, gewellten Strähnen aus dem Gesicht und rutschte zur Bettkante. Edda machte sich wie jeden zweiten Morgen daran, den Badezuber zu füllen und mir passende Kleidung rauszulegen. Irgendwie musste ich gestern Abend also doch eingeschlafen sein, wobei es mir ein Rätsel war, wie ich das geschafft hatte. Vermutlich war ich so aufgeregt gewesen, dass mich die Erschöpfung übermannt haben musste.

Edda zeigte mir ein ausladenes, fließendes grünes Kleid, das lange, etwas geweitete Ärmel besaß und an der Vorderseite geschnürt wurde. Das kleine Mieder zum Schnüren reichte jedoch nur knapp unter die Brust, darunter führte das weiße Unterkleid mit einer hübschen Raffung über die Brust. Es würde meinen schlanken Hals und mein Dekolleté betonen, meine schmale Taille perfekt in Szene setzen und ging an der Hüfte auseinander, damit ich darin trotzdem nicht aussah, wie eine kleine Bohnenstange.

Ich musste lächeln. Es sah wundervoll aus.

Ich nickte anerkennend. »Es ist wunderschön. Wo hast du es her?«

»König Ragnar hat es heute Morgen für Euch ausgesucht.«

Das trübte den Gedanken nicht im Mindesten. Auch, wenn der König es wahrscheinlich nur ausgewählt hatte, um mich schön und positiv aussehen zu lassen für seinen Sohn, fand ich, dass er ein schönes, nicht zu aufdringliches Kleid ausgewählt hatte.

Nach dem Bad, zog ich das Kleid über und fühlte mich gleich sehr wohl darin. Edda war ebenfalls begeistert und betrachtete mich mit glänzenden Augen. Dann band sie mir, wie gewünscht, die Haare zu einem lockeren Knoten zusammen und ließ zwei längere, gewellte Strähnen lose, die mein zartes, blasses Gesicht einrahmten. Allmählich begann sich eine gewisse Röte vor Aufregung in meine Wangen zu pumpen. Meine Finger zitterten und mein Herz begann schneller zu pochen, je weiter die Sonne über den Horizont schritt. Für diesen Morgen war ich von meinem Küchendienst entbunden und wartete mehr oder weniger geduldig in meinen Gemächern, bis mich Lord Wilmer abholen würde, um mich zu meinem ersten Treffen mit meinem Verlobten zu geleiten.

Die Minuten verstrichen, beinahe eine Stunde, als ich einen lauten Ruf hörte. Sofort fuhr ich hoch, Edda unterbrach ihre Arbeit und sah mir zu, wie ich zum Fenster ging und hinaus spähte. Leider sah ich so gut wie gar nichts, da das Fenster und der gesamte Turm zur Stadt, als zum Burgtor ausgerichtet war. Ich presste mich in die äußerste Ecke des Fensters und erhaschte für einen Sekundenbruchteil den Blick auf einen großgewachsenen Mann auf einem pechschwarzen, riesigen Hengst. Und dann war der Moment auch schon vorbei und er war im Inneren des Hofes. Ich konnte ihn nicht mehr ausmachen, aber das war vielleicht auch ganz gut, denn mein Herz schien mir aus der Brust springen zu wollen.

Benommen ging ich zurück zu der gepolsterten Bank neben meiner Staffelei und beobachtete Edda weitere endlos erscheinende Minuten dabei, wie sie das Bett neu bezog und die Kissen ausschüttelte. Es dauerte noch länger, bis Edda schließlich das Zimmer verließ und dafür Lord Wilmer eintrat.

Er trug heute einen grauen Wams und eine dunkelbraune Lederhose. Am Gürtel um seiner Taille hing eine Schwertscheide. Der verzierte Knauf stach daraus hervor. »Nun Prinzessin, Euer Verlobter ist eingetroffen. Lasst mich Euch zu ihm führen.«

Ich nickte nur schwach und bekam weiche Knie, als ich aufstand. Glücklicherweise bot mir Lord Wilmer seinen Arm an, den ich prompt ergriff, um im Falle eines Versagens meiner zitterigen Muskulatur, jemanden zu haben, der mich festhielt. Mein Herz pochte unter meinen Rippen, als wollte es sie sprengen und herausspringen. Jeder Schritt wurde von einem Zittern meines Körpers begleitet, als mich Lord Wilmer die Gänge der Burg entlang führte. Er lief schnell und selbstsicher, wobei ich das Gefühl hatte, dass ich immer mehr zusammensank. Mein Rücken kribbelte, meine Handflächen wurden feucht und als wir schließlich vor einem gewaltigen Torbogen standen, der in eine weite Halle führte, schlug mir das Herz bis zum Halse.

Lord Wilmer ließ mich los, nickte kurz und verschwand dann den Weg zurück, den wir entlang gekommen waren.

Unsicher ging ich ein paar Schritte vorwärts, faltete meine Hände auf Hüfthöhe, um irgendwas mit ihnen zu tun und sie nicht nur baumeln zu lassen. Und dann erblickte ich ihn das aller erste Mal. Er war vollkommen alleine in dieser riesigen Halle, nicht einmal eine Dienerin machte hier sauber, nicht einmal der König war dort. Nur er. Ganz alleine. Mein Herz stockte kurz und schlug dann stolpernd weiter.

Er hatte mir den Rücken zugekehrt, sodass ich einen freien Blick auf seine Kehrtseite hatte. Mein Verlobter war riesig, sehr groß, sogar ein Stückchen größer, als sein Vater, aber man erkannte sofort, dass König Ragnar in seiner Jugend ungefähr genauso ausgesehen haben musste, wie er. Prinz Regan besaß einen muskulösen, im Kampf erprobten Körper, den er in jedem Fall regelmäßig trainierte. Solche Muskeln bekam man nicht, indem man ab und zu das Schwert schwang. Er trainierte mit Sicherheit jeden Tag, denn seine Oberarme waren breiter, als meine Oberschenkel. Dass seine Oberarme so muskulös waren, sagte mir, dass er mit schweren Waffen kämpfte. Ein Schwert oder eine Axt... ich ließ den Blick an ihm herab wandern. Ein lederner, schwarzer Gürtel hing ihm locker um die Taille, daran war eine lange Schwertscheide befestigt, daraus hervor ragte ein verzierter Knauf und eine noch verziertere, flügelförmige Parrierstange. Er war ein Schwertkämpfer. Seine muskulösen Oberschenkel waren in schwarzes Leder eingeschlagen, die polierten Stiefel reichten bis zum Knie. Er musste sich umgezogen haben, denn so sauber sah man nicht aus, wenn man wochenlang zu Pferde unterwegs war.

Als er sich regte, zuckte ich zusammen und blieb wie versteinert stehen.

Langsam drehte er den Kopf über die Schulter und registrierte, dass ich hier war. Sofort drehte er sich vollkommen herum und bei der Bewegung spannte sich sein lederner Wams über seine muskulöse Brust. Auf dem Wams war der Rabe seines Hauses eingestickt und er sah in der schwarzen Kleidung elegant und gleichzeitig verrucht aus. Mir wurden die Knie noch weicher, als ich den Blick in das attraktivste männliche Gesicht richtete, das ich jemals gesehen hatte. Kräftige dunkle Augenbrauen lenkten den Blick eines jeden auf ausdrucksstarke azurblaue Augen, denen ich zutraute genauso weich wie hart blicken zu können. Seine ausgeprägten Wangenknochen bildeten einen perfekten Bogen in seinem Gesicht und richteten meine Aufmerksamkeit auf seine untere Gesichtshälfte. Ein gepflegter Dreitagebart umrahmte seinen starken Mund. Sein rabenschwarzes Haar war relativ kurz, vielleicht eine Fingerlänge lang, lud jedoch dazu ein, die Finger darin zu vergraben.

Mit Entsetzen stellte ich fest, dass er mich unverhohlen anstarrte, vermutlich genauso wie ich ihn ebenso anstarrte. Sofort wurde ich in den Bann seiner blauen Augen gesogen und konnte nur noch vergeblich versuchen, seinem intensiven Blick zu entkommen. Sein Gesicht war ernst, sein Blick schätzte ab, wie ich reagieren würde, aber ich konnte nur zurückstarren, mich nicht rühren, kaum atmen. Mit Sicherheit lief ich bereits rot an.

Plötzlich stieß er die Luft aus. Im nächsten Moment ging er bereits an mir vorbei zum Ausgang. Verwirrt blinzelte ich und drehte mich in seine Richtung. Was... was war denn los? Seine Schritte waren sicher, stark und irgendwie gehetzt.

Verzweifelt sah ich mich um.

Was bedeutete das? Er hatte kein Ton gesagt! Roch ich seltsam? Oder hatte ich Spucke am Mundwinkel? Irgendwas, das ihn abstieß?

»Prinz Regan?«, sagte ich leise, um ihn aufzuhalten, eine Erklärung zu bekommen.

Er blieb abrupt stehen, drehte den Kopf kurz über die Schulter, schien zu warten. Auf was? Sollte ich noch mehr sagen?

Ich öffnete den Mund, um noch irgendetwas zu sagen, aber er wandte sich endgültig ab und verschwand hinter der Säule, die den Raum stützte und zum Ausgang des Saals führte. Benommen stand ich da, meine Knie gaben beinahe nach, doch irgendwie schaffte ich es, stehen zu bleiben. Meine Finger hatten sich in meinem Rock verkrallt und ich bemerkte wenige Sekunden später, wie mein Blick verschwamm. Zitternd atmete ich ein, meine Brust bebte von ausgestoßenen Schluchzern. Dieses Gefühl würde ich niemals mehr vergessen.

Er hatte mich zurückgewiesen.

Und dabei hatten wir nicht ein Wort miteinander gewechselt. Ich kannte seine Stimme gar nicht und er hatte mich abgewiesen, als wäre ich ein nerviges Insekt auf seinem Mittagessen. Sein kalter Blick ging mir durch Mark und Bein und nun brachen alle Dämme, die ich mühsam aufgebaut hatte. Die letzten Tage hatte ich nicht gewagt zu weinen, damit mich niemand als schwach sieht. Ich hatte mich beherrscht, wenn Lord Wilmer und der König ihre Witzchen über die Kartaner und deren angebliche Scheu vor Arbeit gemacht hatten. Ich hatte sämliche Erniedrigungen hingenommen und die Tränen stets runtergeschluckt. Nun konnte ich nicht mehr.

Ich sank auf die Knie, spürte den kalten Steinboden an meinen Knien und ließ das Gesicht in meine noch immer verbundenen, schmerzenden Händen sinken. So stark wie in diesem Moment hatte ich, glaube ich, noch nie geweint.

Irgendwann spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter und als ich aufblickte, hockte Freyer neben mir und blickte mich mitleidig an.

Oh nein! Dieser Blick sagte mir, dass sie genau wusste, was gerade passiert war. Schnell wischte ich mir die Tränen von den Wangen und blinzelte ein paar Mal kräftig, um nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen.

»Was ist denn passiert?«

»Er hasst mich«, krächzte ich.

Freyer hob die Augenbrauen. »Bist du sicher? Was hat er denn gesagt?«

»Gar nichts. Das ist es ja! Er hat gar nichts gesagt. Er hat mich nur angestarrt, als wäre ich irgendein ekliger Käfer und dann ist er raus gerannt, als könne er nicht schnell genug von mir wegkommen.« Ich seufzte und ließ die Schultern hängen.

Sie blieb still und strich mir nur beruhigend über den Rücken. Das sagte mir schon, dass sie das gleiche dachte. Prinz Regan verabscheute mich.

 

 

Seine Hände waren schweißnass, als er endlich ins Freie kam und gierig die kalte Morgenluft einatmete. Schnee bedeckte die Burgmauern und Häuserdächer Woberoks und die Menschen hatten sich für den Winter gewappnet, hatten festere Schuhe und dickere Kleidung am Leib, wenn sie draußen arbeiteten. Auch er hatte warme gefütterte Kleidung an, doch im Moment kam er sich ziemlich eingeengt vor. Viel zu schwer erschien ihm plötzlich das Schwert an seiner Hüfte, viel zu warm die Kleidung und viel zu eng die Hose. Bei Skadi, das war nicht normal!

Er schnaubte und ballte die Hände zu Fäusten.

So hatte er sich die erste Begegnung mit seiner jungen Braut nicht vorgestellt. Vor allem überraschte ihn sein eigenes Verhalten. Er hatte ihr ruhig und sachlich erklären wollen, dass diese Ehe rein zwecksmäßig sein würde, so wie es von seinem Vater und ihrem Vater geplant worden war. Den ganzen Weg nach Woberok hatte er die Worte auswendig gelernt, die er sagen würde. Abends, bevor er sich auf seine Fellmatte gelegt und eingeschlafen war, hatte er die Worte aufgesagt, um sie nicht zu vergessen und zu verinnerlichen. ›Prinzessin Akira, vergebt mir, Euch dies sagen zu müssen, aber diese Ehe wird für mich nicht viel Wert haben. Ich habe eine Geliebte und werde sie weiterhin treffen, auch, wenn uns der Bund der Ehe verbindet, jedoch werde ich pflegen, Euch nur zu feierlichen Anlässen zu sehen und, wenn wir unsere Ehepflichten erfüllen müssen. Aber zu mehr bin ich nicht bereit.‹

Genau so hatte er es ihr sagen wollen, aber er hatte die Beherrschung verloren. Das passierte ihm nie! Nicht einmal, als er hörte, dass seine kleine Schwester von ihrem Mann betrogen wurde, hatte er so sehr die Fassung verloren. Er hatte ruhig mit Caspian gesprochen, um ihm klar zu machen, dass er sich nicht in Esmes Bett wagen sollte, wenn er Mägde vögelte. Doch hier war all diese Beherrschung fort! Sie hatte ihn nur angesehen, nur angesehen! Dieses kleine, zarte Etwas hatte ihm in die Augen geblickt und er war sich nackt und schutzlos vorgekommen, als könne sie mit ihren waldgrünen Augen direkt in seine Seele blicken. Er konnte sich beinahe nicht von ihrem intensiven Blick losreißen und dieses verdammte Kleid, das an ihr gesessen hatte, wie eine zweite Haut, das sie erstrahlen lassen hatte.

Grün stand ihr wirklich hervorragend. Diese Farbe unterstrich ihre zarte Erscheinung, bildete einen guten Kontrast zu ihrem kastanienbraunen Haar, das im Licht rötlich geschimmert hatte und ihren grünen Augen, die wie smaragde funkelten. Ihre Wangen waren gerötet und augenblicklich, als er das gesehen hatte, hatte er sich gefragt, wie ihre roten Wangen aussehen würden, wenn er gleichzeitig tief in ihr war und sie vor Lust stöhnte.

Sein Gemächt pochte wütend in seiner Hose. Mehrere Wochen Entzug hatten ihm ganz und gar nicht gut getan. Jetzt befand er seine kleine Braut sogar schon als anziehend, obwohl vor ihm nichts anderes, als ein junges Kind gestanden hatte. Kindsbraut hatte er sie vor einigen Monaten noch genannt und jetzt flüsterte ihm eine satanische Stimme verzückt ins Ohr, wie sehr sich diese auf die Hochzeit in wenigen Tagen freute. Er musste widerstrebend zugeben, dass ihn der Gedanke an die Ehe nicht mehr so sehr abstieß, wie einst.

»Wie ich feststelle, hast du deine Braut bereits kennengelernt.«

Regan musste sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, dass sein Vater hinter ihm am Rande des Innenhofes stand. Er bemühte sich, nicht mehr an seine Lenden zu denken und den Burschen beim Bogenschießtraining zuzusehen. Aber es war nicht leicht, denn immer wieder schlich sich der Gedanke ihrer kleinen Hände in seinen Kopf und wie es sich anfühlen würde, wenn sie in der Hochzeitsnacht endlich auf seiner Haut lagen.

»Was denkst du über sie?« König Ragnar stand nun neben ihm.

»Das Gleiche, was ich vor einigen Monaten schon zu Euch sagte, Vater. Sie ist noch kindlicher, als ich sie mir vorgestellt habe.« Regans Stimme war gepresst und er bemühte sich um einen wütenden Ton.

»Nicht alle Weiber können große Brüste und pralle Schenkel haben«, sagte Ragnar. »Du wirst dich mit ihr arrangieren müssen, Regan. Sie wird in drei Tagen deine Frau sein und ich erwarte, dass die Hochzeit richtig von Statten geht. Haben wir uns verstanden?«

Sein Vater ahnte kaum, dass Regan in jedem Fall dafür sorgen würde, dass sie ›richtig‹ von Statten ging. Sobald die Türen seiner Gemächer geschlossen waren, würde er sicherlich über sie herfallen und sie ohnmächtig vögeln. Genau das machte ihm Sorgen. Dass er sich nicht im Griff hatte und ihr wehtat, denn nichts wollte er weniger. Er presste die Kiefer aufeinander.

»Regan, tu nicht so, als würde die Welt untergehen, nur, weil du eine Kartanerin heiraten musst. So schlimm ist sie nicht, glaube mir. Ich habe sie kennengelernt in den letzten Wochen.«

Er warf seinem Vater einen kurzen Blick zu. Dieser starrte mit dunkelblauen Augen zurück.

»Und?«, fragte Regan möglichst desinteressiert.

König Ragnar nickte anerkennend. Anerkennend? Das tat sein Vater nur äußerst selten, meist dann, wenn er wirklich beeindruckt war. Es hatte Jahre mit Schwert und Lanze gebraucht, bis Regan endlich ein anerkennendes Nicken seines Vaters bekommen hatte und ihm bestätigt wurde, dass er ein guter Kämpfer war. Er hatte anerkennend genickt, nachdem Esme ihren Jungen geboren hatte. Solche Opfer brachte man, um ein Nicken zu ernten. Was hatte dieses kleine Geschöpf getan, um das Nicken seines Vaters zu erlangen? Für kurze Zeit kam ihm ein widerlicher Gedanke, doch nein. Das war eher Igreds Variante, die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu lenken, aber dieses Mädchen strahlte Unschuld und Reinheit aus.

»Sie hat gearbeitet. Und zwar sehr hart.«

Regan runzelte die Stirn. »Eine Kartanerin, die sich die hübschen Hände dreckig macht?«

»Hübsch waren ihre Hände nicht mehr, nachdem sie sich schier eine Millionen Mal mit dem Schälmesser hinein geschnitten hatte, aber ja. Sie hat Barda geholfen und ich habe sie gefragt und sie sagte, sie hätte kaum einen Mucks gemacht und die Aufgaben erledigt, die ihr aufgetragen wurden. Und Kovir sagt dasselbe. Sie lernt schnell.«

Das überraschte Regan tatsächlich. Auch, wenn ihn der Gedanke abstieß, dass sie sich in die Finger geschnitten hatte. Deswegen waren sie vorhin bandagiert gewesen, er hatte sich schon gewundert. Stur blickte Regan auf einen jungen Burschen mit aschblondem Haar, der seinen Pfeil in der Zielscheibe versenkte. Unter Rafaels Führung würde er noch einmal ein guter Bogenschütze werden. Doch leider schweiften seine Gedanken wieder zu seiner kleinen Braut, die dort im Bergfried saß und sich vermutlich fragte, was für einen Hornochsen sie zum Gatten bekam.

Er hatte ihre zarte Stimme gehört, als sie seinen Namen und Titel ausgesprochen hatte. Ihm war eine Gänsehaut gekommen, die ihm die Nackenhärchen zu Berge stehen ließ. Sein Name aus ihren Mund hatte den Schlamassel in seiner Hose erst ausgelöst, da er sich augenblicklich vorgestellt hatte, dass sie ihn stöhnen würde. Er schüttelte den Kopf und blickte seinen Vater wieder an.

»In drei Tagen ist die Hochzeit.«, stellte Regan fest.

König Ragnar hob eine Augenbraue. »Allerdings. Ich bin gespannt, was du zu ihrem Kleid sagst.«

»Kleid?«

Sein Vater nickte und lächelte beinahe teuflich. »Ich habe Lady Dagmar völlig freie Hand gelassen und sie hat sich selbst übertroffen. Es ist fantastisch und wird diese glorreiche Verbindung unserer Häuser optisch untermalen. Es sieht aus, als würde es Skadi persönlich gehören. Zudem meint Kovir eure Verbindung steht unter einem glücklichen Stern, denn genau zur Wintersonnenwende ist auch Vollmond. Das gibt es nur alle dreitausend Jahre.«

Allmählich kam Regan das Gefühl, dass die Göttin wirklich ihre Finger im Spiel hatte. Ausgerechnet zur Wintersonnenwende, der längsten Nacht und des kürzesten Tages, auch noch die Nacht des Vollmondes zu treffen, glich wirklich göttlicher Fügung. Vielleicht war diese Verbindung kein Zufall. Vielleicht wollte jemand, dass er dieses kleine blasse Mädchen heiratete, das ihm nach nur einem Blick völlig den Kopf verdrehte.

»Regan! Kommst du und trainierst mit uns?«

Rafaels Stimme am anderen Ende des Innenhofes riss ihn aus den Grübeleien. Neben ihm stand Ferrin, der aufgeregt mit dem Bogen in der Hand auf und ab hüpfte. Der Junge hatte auch einen Haufen Energie. Vielleicht war eine Trainingsstunde genau das Richtige, um seinen überhitzten Körper abzukühlen und auf andere Gedanken zu kommen. Regan verabschiedete sich mit einem Schnauben von seinem Vater, der ihm nur vielsagend hinterher blickte.

Schließlich kam er neben Rafael und Ferrin zum stehen.

»Wer als Erstes auf dem Trainingsplatz ist!«, rief Ferrin und raste schon die Mauer entlang zum südlichen Burgtor, durch das man auf den Trainingsplatz für die Schwertkämpfer gelangte.

Rafael hob eine Braue und schüttelte den Kopf. »Ich weiß immer noch nicht, ob ein Kriegshammer für ihn nicht eine bessere Waffe wäre.«

»So könnte er immerhin besser seine überschüssige Energie loswerden.«, meinte Regan und legte eine Hand auf den Knauf seines Schwertes.

»Oder ich schleife ihn demnächst in ein Bordell, dann können sich die Huren um ihn kümmern, aber ich glaube, selbst das bremst ihn nicht aus.«, schnaubte Rafael und sah Regan von der Seite her. »Wo wir gerade über Frauen reden, wie lief das Treffen mit der Auserwählten?«

Regans Gesicht verdüsterte sich.

»So schlimm?«

»Frag nicht.« Er machte sich langsam auf den Weg zum südlichen Burgtor, von wo Ferrin ihnen zurief, dass sie sich beeilen sollten.

»Schwingt die Hufe!« Ferrin raste durch das Tor.

»Ich habe sie ein paar Mal in den letzten Wochen im Burghof gesehen, als sie mit Barda Töpfe geschrubt hat. Sie wirkt eigentlich ganz umgänglich, hat sich ziemlich abgerackert. Und vom Aussehen her ist sie nicht zu verachten.«

Regan biss die Zähne so fest zusammen, dass ihm der Kiefer schmerzte. Warum sagte ihm eigentlich jeder, dass sie schön war und sich abrackerte wie ein Tier, um allen zu gefallen? Sollte ihn das milder stimmen? Im Gegenteil, er war vielmehr entsetzt, dass sie arbeitete wie ein Tier. Ihre zarten Hände sollten überhaupt kein Messer halten, sondern Nähgarn! Sie sollte nicht bis zur Erschöpfung arbeiten und vor allem sollte sie niemand als hübsch bezeichnen. Das ärgerte ihn beinahe am meisten, schließlich würde sie seine Frau werden, von niemand anderes!

Er atmete geduldig ein. Diese Gedanken waren nicht gut. Er regte sich jetzt schon viel zu viel auf und sie war ihm jetzt schon nicht mehr gänzlich egal. Dieses Gefühl war furchtbar.

»Aber mal ganz doof gefragt: Was ist mit Igred?«

Regan erstarrte wie eine Steinsäule. Igred... Igred... Bei den Göttern, da war noch Igred. Seine Geliebte, die er seit Jahren kannte und mit ihr schlief und ihr seine Geheimnisse anvertraute. Sofort spürte er, dass es mit Igred etwas anderes war, als mit diesem Mädchen. Er kannte Igred länger, das war nicht zu leugnen, aber die Prinzessin... Er hatte bei Igred nicht das starke Bedürfnis gehabt, sie beschützen zu wollen. Ihr ein Anker zu sein.

Er schüttelte den Kopf. »Das weiß ich noch nicht.«

Zusammen mit Rafael folgte er dem platt getrampelten Pfad zum Trainingsplatz, denn er musste schleunigst auf andere Gedanken kommen.

Kapitel 13

 

 Zum Abend hin saß ich niedergeschlagen in Bardas Küche, während die Diener bereits alles Gekochte nahmen und in die Festhalle trugen. Wie versteinert klammerte ich mich an den Apfel für Bardas Apfelkuchen fest, den ich schälen sollte und mir dabei wieder zweimal in die Finger geschnitten hatte. Allmählich wurde es zur Gewohnheit. Ich spürte den Schmerz, das Brennen der Schnitte kaum noch, während ich die Äpfel zerschnitt und in einen Eimer fallen ließ.

Die Ereignisse des Tages hatten mich zu sehr aufgewühlt, als dass ich mich noch auf irgendwas konzentrieren konnte. Geschweige denn darauf, ordentlich zu arbeiten, weshalb ich schon zweimal Ärger von Barda und Kovir bekommen hatte. Meine Lehrmeister hatten gewiss gemerkt, dass ich nicht ganz anwesend heute war, was daran lag, dass all meine Gedanken der Abscheu meines Verlobten mir gegenüber galten. Er hatte mich so kalt und abwertend gemustert, als wäre ich ein Eindringling, der hier nicht her gehörte. Plötzlich waren all die positiven Gefühle der letzten zwei Tage, die so gut gelaufen waren, verschwunden. Er hatte dafür gesorgt, dass das Gefühl der Zugehörigkeit, das ich empfunden hatte, wenn ich Barda geholfen hatte oder in Kovirs Augen nicht so nichtsnutzig war, nun weg war.

»Mädchen? Wie wäre es, wenn du jetzt einfach in die Festhalle gehst und isst. Wenn du so weitermachst, haben wir bis zur Wintersonnenwende noch keinen Apfelkuchen.« Barda stand mit in die Hüfte gestemmten Händen vor mir und blickte mich mit erhobenen Augenbrauen nachdenklich an.

Ich seufzte und ließ den halb fertig geschälten Apfel und das Messer sinken. Der Eimer war nicht einmal bis zur Hälfte gefüllt. Ich war wirklich zu nichts zu gebrauchen...

Jedoch hinderte irgendwas mich daran, die Sachen ganz wegzulegen. Vermutlich war es der Gedanke, dass ich diesem Mann gleich erneut begegnen würde. Zum Abendessen würden sich unweigerlich alle in Leute in der Festhalle einfinden, auch er. Ich würde mit ihm an einem Tisch sitzen und das Mahl teilen und bald würde ich viel mehr teilen müssen, als ein Abendessen. Das Bett zum Beispiel.

Es fröstelte mich bei dem Gedanken daran. Er hatte mich mit so viel Abscheu angesehen, dass ich nur erahnen konnte, wie er in der Hochzeitsnacht mit mir umgehen würde. Sicher würde er bloß seine Pflichten erfüllen, mich nehmen und mich dann von der Bettkante stoßen. Er, der alle Frauen der Welt haben konnte musste ausgerechnet mich heiraten. Ich seufzte innerlich vor Unbehagen.

»Ist gut.«, antwortete ich Barda nur, stand auf und raffte den Rock meines nunmehr einfachen Kleides. Nach dem Treffen mit dem Prinzen war ich in meine Gemächer geflüchtet und hatte dieses lächerliche, prunkvolle Kleid ausgezogen und es in die Ecke geworfen. Ich hatte mich bis auf die Knochen blamiert, weil ich unbedingt einen positiven Eindruck machen wollte. Kein bisschen hatte ich mich gegen die Kleiderwahl des Königs aufgelehnt oder hatte sie abgelehnt, nein. Ich hatte es sogar noch für gut befunden, dass er mir solch ein figurbetontes, schönes Kleid ausgesucht hatte, um seinen Sohn zu beeindrucken. Vermutlich hatte Prinz Regan sich nach seiner Flucht halb tot gelacht, weil dieses kleine Mädchen versuchte so zu tun, als sei sie eine Frau.

Niedergeschlagen tappte ich die Treppen zum Gang hinauf und schritt durch die Eingangshalle in den Festsaal. Dort hatten sich schon einige Männer und Frauen für das Mahl zusammengesetzt, redeten leise, während sie eine herzhafte Kürbissuppe von Barda schlürften und dazu frisch gebackenes Brot aßen. Der König saß wie gewohnt vorne vor dem ausladenen Kamin und redete mit Wilmer, der jedoch nicht wie gewohnt neben König Ragnar saß, sondern ihm gegenüber neben seiner Familie. Ich blieb neben dem Tisch unschlüssig stehen, da dies eigentlich mein Platz war.

Freyer lächelte mir aufmunternd zu. Ihre Worte hatten mich den Tag über etwas aufgeheitert, doch ihre Worte, dass Prinz Regan eigentlich schon immer relativ kühl und distanziert war, hatten mich nicht unbedingt fröhlicher gestimmt.

»Meine Liebe, kommt her. Ihr sitzt heute hier neben mir.« König Ragnars dunkle Stimme riss mich aus meinen Grübeleien.

»Aber ich saß doch sonst auch neben Lady Dagmar und Freyer«, versuchte ich ihn umzustimmen, da mir nicht wohl dabei war, direkt neben meinem künftigen Schwiegervater zu sitzen.

König Ragnars sturmblauer Blick ließ keinerlei Widerworte zu. »Da mein Sohn nun wieder auf Woberok ist, hat sich die Sitzordnung etwas gewandelt.«

Das sollte wohl freundlich heißen ›Ihr sitzt hier und zwar plötzlich!‹

Ich senkte den Blick und kam um den Tisch herum. Nur widerwillig ließ ich mir den Stuhl zurückziehen und mich darauf fallen. Zufrieden lächelte König Ragnar mich an und am liebsten hätte ich es ihm mit irgendwelchen barschen Worten aus dem Gesicht gewischt, doch mir kam ein Gedanke. Die Worte von Freyer spukten mir im Kopf herum, dass, wenn ich mich auflehnte und aufmüpfig war, alle in mir die feine Kartanerin sehen würden. Doch mittlerweile fragte ich mich, ob ich tatsächlich noch eine Woberokin sein wollte.

Plötzlich dämpften sich die Gespräche ab und, als ich aufsah, versank mein Blick in zwei azurblauen Augen, die zu Prinz Regans perfektem Gesicht passten. Mein Herz schlug schneller und meine Hände, die ich im Schoß krampfhaft festhielt wurden feucht. Sofort veränderte sich die Atmosphäre im Raum von entspannt zu elektrisierend. Eine Gänsehaut fuhr mir über den Rücken, als er um den Tisch herum ging. Genau in dem Moment, als er hinter meinem Stuhl vorbei lief, traf mich die Wucht seines berauschenden Duftes. Er roch nach würziger Kiefer und Zitronenmelisse und einen Hauch frischen Schweißes.

Als sich Prinz Regan auf der anderen Seite neben seinem Vater auf den freien Stuhl sinken ließ, wurde mir unglaublich warm. Wie sollte ich nur beinahe direkt neben einem Mann sitzen und essen, der mich nicht hier haben wollte?

»An diesem Abend möchte ich meinen Sohn willkommen heißen, der doch recht lange unterwegs gewesen ist. Willkommen mein Sohn, auch im Namen deiner zukünftigen Braut.« König Ragnar verkündete die Worte mit solcher Euphorie, dass sich ein kalter Klumpen in meiner Magengegend einnistete. Er richtete die Worte an sein Volk, an jene Menschen, die hier vor uns saßen und gespannt unsere erste öffentliche Begegnung beobachteten. Sie waren alle gespannt auf das zukünftige Königspaar.

Ich teilte diese Spannung leider nicht.

»Ich danke Euch, Vater.«, stieß Prinz Regan zwischen knirschenden Zähnen hervor.

Als ich einen Blick auf ihn wagte, erkannte ich mit Entsetzen, dass er mich anstarrte. Unverhohlen, vor aller Leute Blick, stierte er zu mir herüber, während die Finger seiner rechten Hand auf der Tischplatte direkt neben seinem leeren Teller trommelten. Seine azurblauen Augen waren weit geöffnet und verengten sich ein kleines Bisschen, als ich einfach nur zurück blickte.

Rasch senkte ich den Blick wieder auf meine verkrampften Finger. Wieso nur konnte ich seinem eisigen Blick nicht einfach standhalten? Ich hatte das Gefühl, wenn ich es täte, dass er mich vor aller Augen dafür bestrafen würde. In welcher Form auch immer...

»Wollt Ihr Euren Verlobten nicht auch begrüßen, Prinzessin?«

Zuerst registrierte ich die Worte des Königs kaum, bis mich Freyers Fuß unter dem Tisch anstieß. Ich fuhr ein Stück in die Höhe und starrte den König an. Hitze strömte mir durch alle Glieder und wieder begannen meine Handflächen feucht zu werden. Mit Sicherheit gewannen meine Wangen bereits an Farbe, als ich mich langsam erhob, in die Menge starrte. Alle Augenpaare in diesem Raum galten mir.

Ich wusste, was in ihren Köpfen vorging. Was würde die Kartanerin zu ihrem woberokischen Prinzen sagen? Welche Dinge würde sie in schöne Worte verpacken und ihm ins Ohr säuseln? Ich wusste selbst nicht, was ich sagen sollte, geschweige denn, was von mir erwartet wurde. In diesem Moment dachte ich irritierender Weise an meine Mutter und, was sie tun würde. Ohne jeden Zweifel würde sie ihre Pflichten erfüllen, so, wie sie es bereits seit Jahren tat, ohne auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten. Sollte ich nun rebellisch sein oder mich dem Unvermeidbaren fügen? Ich wusste es nicht.

Doch plötzlich ergriff die kleine gemeine Stimme in meinem Inneren das Wort: »Natürlich, mein König. Ich grüße Euch, Prinz Regan und hoffe doch sehr, dass Eure Reise angenehm war.«

Prinz Regan verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Tut Ihr das, ja?«

»Aber gewiss«, erwiderte ich und ließ mich, ohne auf eine Erlaubnis zu warten, zurück auf meinen Stuhl sinken und griff nach meinem Weinkelch, um einen Schluck der scharfen Flüssigkeit hinunter zu stürzen. Die Wärme breitete sich sofort in meinem Hals bis in meinen Magen aus, minderte jedoch nicht im Geringsten die Kälte, die mir aufgrund der Situation in den Knochen saß.

Stille legte sich über die Halle und ich wusste, dass mich jeder anstarrte, auch er. Jedoch wagte ich es nicht, auch nur noch einmal den Blick zu heben und starrte stattdessen wieder auf die Flüssigkeit in meinem Kelch, den ich krampfhaft in meinen Händen hielt. Eigentlich mochte ich Wein nicht. Vater hatte nur selten gestattet, dass ich Wein trank und ich befand es auch für gut. Dieses Zeug machte Männer weich im Hirn und ihre Bewegungen unkoordiniert, sie wurden ungehobelt und ungezügelt. Genauso geschah es einer Frau, wenn sie zuviel trank, außerdem konnte ich nichts an dem Geschmack finden. Es brannte nur.

Schließlich, nach einigen Sekunden, in denen nichts geschah, verkündete der König endlich, dass alle essen durften. Die Gespräche begannen wieder und irgendwo im Raum wurde leise Musik angestimmt, als wären wir auf einem Fest. Ich hörte das vertraute Geräusch von genüsslichem Schmatzen und Schlürfen, dazwischen einige Wortfetzen, die sich die Leute sagten, Planungen für den nächsten Tag oder Ereignisse vergangener Tage. Doch mir war im Moment überhaupt nicht nach einem ausgelassenen Abend am Tisch bei Speis und Trank. Meine Gedanken wirbelten immer wieder unweigerlich zu jenem Abend, der in drei Tagen stattfinden würde. Meine Hochzeit. Meine Hochzeitsnacht. Wie würde mich dieser Mann behandeln, wenn er schon so gereizt mit mir sprach. Der Ton seiner dunklen Stimme, die in einer anderen Situation betrachtet vielleicht sogar warm und herzlich sein konnte, war herablassend und herausfordernd gewesen.

Völlig in meinen düsteren Gedanken versunken spielte ich mit der linken Hand an meiner Silberkette herum. Die scharfen Kanten des flammenförmigen Anhängers bohrten sich in meine wunden, wieder einmal zerschnittenen und bandagierten Finger, während ich mit der Rechten den Löffel umklammert hielt und lustlos in der Kürbissuppe rührte. Um ehrlich zu sein, war mir der Appetit schon beim Anblick meines Verlobten wieder vergangen.

Der einzige Lichtblick in dieser ganzen Sache war, dass meine Familie zu meiner Hochzeit nach Woberok kommen würde. Zwar glaubte ich nicht wirklich daran, dass mein Vater seinen bequemen Sitz verlassen würde, um sich hier im höchsten nordischen Königreich den Hintern blau zu frieren, aber ich wusste, dass meine Mutter und meine Brüder kommen würden. Mit Sicherheit waren sie schon beinahe hier, denn ihre Reise hatte kaum ein paar Wochen nach meinem Aufbruch nach Woberok begonnen. Meine Laune hellte sich ein wenig auf, wenn ich daran dachte, dass Harris und Astrid kommen würden. Sicher würde mich Tristan fragen, ob ich den Dolch noch hatte und Rickon würde mir raten, dennoch weiter auf die Jagd zu gehen, damit ich meine Fähigkeiten beibehielt. Auch, wenn es etwas schwer werden dürfte, sich hier heimlich davonzustehlen, um jagen zu gehen. Und Jeff... er würde sicher gar nichts sagen. Er war wie Vater.

Dinge, die getan werden mussten, sollten getan werden.

Ich wusste, dass mich dieser Satz bestimmt bis an mein Lebensende verfolgen würde.

»Schmeckt Euch die Suppe nicht?« Als Lady Dagmars Stimme mich aus den Grübeleien riss und ich den Kopf hob, merkte ich, dass mir die Aufmerksamkeit meiner Tischnachbarn gehörte.

Sogar er sah mich an.

Sofort blickte ich weg und schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht, nein.«

Lady Dagmar beugte sich besorgt ein Stück vor und tauchte ihr Haar beinahe in ihre Suppe. »Geht es Euch nicht gut? Fühlt Ihr Euch nicht wohl?«

»Ich bin nur sehr müde. Wenn Ihr erlaubt, Majestät, würde ich mich zurückziehen?« Bittend sah ich den König an, versuchte die Blicke des Prinzen zu ignorieren.

Nachdenklich musterte mich König Ragnar, bevor er endlich zustimmend den Kopf neigte und mir somit die Erlaubnis gab, mich vom Tisch zu erheben und das Abendmahl zu verlassen.

Ich stieß mich vom Tisch ab und stand auf. So schnell mich meine Beine trugen, ohne, dass es gehetzt aussah, ging ich um die Stühle des Königs und des Prinzen herum, um zur Treppe zu gelangen. Doch, als ich Prinz Regans Stuhl fast hinter mir gelassen hatte, hielt mich eine kräftige Pranke an meiner Hand fest. Sofort durchzuckte mich das schmerzhafte Pochen der bandagierten Schnitte und ich fuhr zusammen, drehte mich ruckartig um. Prinz Regan war aufgestanden und hatte meine Hand ergriffen und, obwohl die Gespräche im Hintergrund nicht verstummten, hörte ich kaum noch etwas, denn das Blut rauschte wie wild in meinen Ohren. Für einen kleinen Moment, von dem ich nicht wusste, ob er real war oder nicht, wurde der stählernde Ausdruck in seinen Augen weich.

»Ich hoffe, dass es Euch morgen wieder besser geht.« Seine Worte waren leise, kaum laut genug, dass es über den Lärm hinweg jemand anderes hören konnte, als ich. Dann ließ er meine Hand ruckartig los, wandte den Blick ab und setzte sich wieder.

Verwirrt drehte ich mich um und lief zur Treppe, doch auch, als ich sie erklomm, schenkte er mir keinerlei Aufmerksamkeit mehr. Erst, als ich endlich in meinen Gemächern war, meine Kleidung abgelegt und das Nachtkleid angezogen hatte, wagte ich es, intensiver über diese seltsame Situation nachzudenken. Warum hatte er mich die ganze Zeit angesehen, als wäre ich ein Feind, den es zu besiegen galt, um mir dann gute Besserung zu wünschen? Ich war verwirrt. Verwirrt ob seiner Intensität. Ja, dieser Mann war intensiv. In allem, was er tat. In seinem Aussehen, seiner Art, einen anzusehen und einem den Verstand mit so widersprüchlichen Dingen zu verwirren.

Frustriert zog ich die Bettdecke bis an mein Kinn, nachdem ich die Kerzen gelöscht hatte.

Zwar fühlte ich mich viel zu aufgewühlt, als, dass ich hätte schlafen können, doch aus einem mir unerfindlichen Grund gelang es mir.

 

 

Seine Kiefermuskeln arbeiteten diesen Abend doppelt so stark, wie gewöhnlich. Allmählich nistete sich hinter seinen Augen ein gemeiner Kopfschmerz ein und er seufzte frustriert auf, als er nach dem Abendessen seinen Wams auszog und auf eine Truhe unter einem der Fenster warf. Genervt von sich selbst rieb er sich mit der flachen Hand über das Gesicht und ließ sich auf die Kante seines Bettes sinken. Die weichen Laken waren frisch gewaschen und neu bezogen worden, die dunkelgrüne gefütterte Überdecke verströmte den angenehmen Duft nach Kiefernholz und Zitronenmelisse, was seltsam beruhigend auf seine gespannten Nerven wirkte.

Warum nur verwirrte ihn dieses kleine Mädchen? Sie war blutjung, erst sechzehn Jahre alt und doch hatte sie eine stärkere Wirkung auf ihn, als jede Frau in seinem bisherigen Leben. Nicht nur die körperliche Anziehung machte ihm zu schaffen, sondern das Gefühl, die beschützen zu wollen. Als er sah, wie sie lustlos und mit betrübtem Blick in ihrem Essen rührte, hätte er nichts lieber getan, als sie zu trösten. Ihre blattgrünen Augen, die wie neugeborene Smaragde funkelten, waren dunkel und traurig gewesen und er konnte ahnen, wie sehr sie ihre Familie vermisste. Zwar wusste er nicht viel über Kartans Königspaar, aber er wusste, dass sie noch vier Brüder hatte. Wie das Verhältnis war, wusste er ebenso wenig, aber er wusste doch, wie reagieren würde, wenn es seiner Schwester nicht gut ginge.

Er hoffte nur, dass sich die Prinzessin erholte und es ihr bald besser ging. Alleine ihre kleine, bandagierte Hand festzuhalten und gespürt zu haben, wie sie vor Schmerz zusammen gezuckt war, ließ ihn eine unglaubliche Wut empfinden. Regan wusste nicht einmal, auf wen er wütend sein sollte. Auf seinen Vater, der ihr diese Unterrichtsstunden bescherte? Auf seinen Onkel Wilmer, der die Prinzessin immer wieder mit einem recht amüsierten Blick musterte, als würde er sich über sie lustig machen? Er wusste, dass sie lernen musste, wie eine woberokische Adlige lebte und, dass die Frauen hier andere Pflichten hatten, als nur Kinder in die Welt zu setzen, aber ihm gefiel die Methode immer weniger.

Wenn sie so weiter machte, steckten ihre zerschnittenen Finger noch bei der Hochzeit in Verbänden und würden schmerzen, wenn er sie zu seiner Frau machte. Allein der Gedanke an seine Hochzeitsnacht ließ sein Herz etwas höher schlagen. Noch nie hatte er mit einer Frau geschlafen, die zuvor nicht noch mit anderen Männern intim gewesen war. Dieser Gedanke, er könne sie verletzen, machte ihn nervös. Doch, was ihn noch nervöser machte, war, dass ihn der Gedanke an die Hochzeit selbst, ihn kaum mehr störte. Eher wartete er gespannter Erwartung auf die Nacht in drei Tagen.

Plötzlich öffnete sich die Tür und eine alles andere als zierliche Gestalt stand im Türrahmen. Igreds rote Lippen formten sich zu einem koketten Lächeln, als sie in den Raum geschlendert kam. Vor nur wenigen Wochen hätte er dieser offensichtlichen Einladung sofort Folge geleistet, doch jetzt, als seine Geliebte wortlos auf ihn zukam, packte ihn ein seltsames Gefühl, das er noch nie gespürt hatte. Es war das schlechte Gewissen.

Hatte er Caspian, dem Mann seiner Schwester, nicht vor einigen Wochen noch gesagt, er solle sich nicht in Esmes Bett wagen, wenn er mit anderen Frauen schlief? Regan wusste, dass, wenn er die Liebschaft mit Igred fortsetzte und seine Verlobte betrog, er nicht ein Stückchen besser war, als Caspian. Er würde gegen seine eigenen Spielregeln verstoßen und das ging gar nicht.

Igred blieb stehen, als sich seine Miene verdüsterte. »Ist alles in Ordnung?«

Regan schüttelte betrübt den Kopf. Spätestens jetzt war der Zeitpunkt gekommen, dass sich Igreds und sein Weg trennte. Er wusste nicht, woran es lag, dass er das dringende Gefühl verspürte, seiner kleinen Braut treu zu sein, doch es war so alles überwältigend, dass er es nicht einmal wagte, Igred einen letzten Kuss zu stehlen, bevor er seine jahrelange Liebschaft beendete.

»Igred, es ist vorbei.«

Sie legte den Kopf schief, ihre Locken hüpften leicht. Wie oft nur hatte er seine Hände darin vergraben, um sie besitzergreifend zu küssen oder, wenn sich sein Körper vor Ekstase gebogen und gekrümmt hatte? Er verspürte so etwas wie Bedauern, hatte er doch viele Jahre mit ihr zusammen verbracht. Gute Jahre, sehr gute Jahre. Er hatte ihr Dinge anvertraut, die er nicht jedem anvertrauen würde, aber er dachte dabei an seine Zukunft. Er könnte nicht guten Gewissens neben diesem jungen Ding liegen, sie nehmen und sehen, wie sie seine Kinder austrug, wenn er wusste, dass er neben ihr auch noch eine andere Frau in sein Bett ließ. Vielleicht war Caspian so ein Mann, aber er nicht.

»Was sagt Ihr da?« Ihre Stimme war nur der Hauch eines Tones, als sie die Tür schloss und auf ihn zuging.

»Wir müssen damit aufhören, Igred. Verstehst du nicht? Das alles!« Er machte eine ausladene Geste, die sie und ihn mit einschloss, alles beschrieb, was zwischen ihnen geschehen war.

Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, ihre Augen wurden wässrig, als sie endlich verstand, was er meinte. Was seine Worte bedeuteten. Aufgebracht fuchtelte sie mit den Armen umher. »Ist es, weil ich den anderen Lords von uns erzählt habe? Seid Ihr wütend deswegen? Ich tue es nie wieder, ich schwöre es!«

Regan schüttelte erneut den Kopf. »Es ist nicht deswegen. Das Thema ist längst vom Tisch. Nein. Es muss sein.«

Plötzlich veränderte sich ihr Blick. »Ist es wegen ihr

Sein Herz tat einen wütenden Hüpfer, als Igred den Ton verschärfte, als sie von seiner Verlobten sprach. Der abwertende Ton in ihrer Stimme machte ihn wütend und er biss die Zähne zusammen, um nicht zu barsch zu antworten, aber Igred kam ihm zuvor.

»Ist es, weil sie einen kleinen Arsch und feste Titten hat? Was an ihr ist so toll, dass Ihr alles aufgebt, was wir über Jahre hinweg hatten? Ihr kennt sie nicht einmal einen ganzen Tag und schmeißt mich weg, als wäre ich ein Insekt auf Eurem Mittagsmahl! Diese Bohnenstange kann Euch nicht im Entferntesten das bieten, was ich Euch biten kann, was ich Euch seit Jahren geboten habe. Wie will sie Euch denn mit ihrem flachen Körper überhaupt beglücken, hm?«

Regan schoss vor, seine großen Hände umklammerten in Sekundenbruchteilen Igreds Oberarme und drückten sie so fest, dass sie nach Luft japste. Er sah schlichtweg rot, als sie so von ihr sprach. Sie hatte große Freiheiten genossen, als sie seine Geliebte war. Sie hatte in Teile der Burg gedurft, die für die übrigen Dienerinnen tabu gewesen waren, die hatte in seiner Anwesenheit offener sprechen dürfen, als es Mägden gestattet war und er hatte über die ein oder andere Widrigkeit hinweggesehen. Doch nun ging sie sein Liebesleben und, ob seine baldige Ehefrau dazu in der Lage war, ihn zu befriedigen oder auch nicht, wirklich nichts mehr an!

»Sprich nie wieder so von ihr! Hast du das verstanden?!« Seine laute Stimme war sicher auch auf dem Gang draußen zu hören, als er sie so anfuhr. »Und halte dich ab jetzt aus meinem Leben heraus, Igred. Das, was einst zwischen uns war, ist hier und jetzt vorbei.«

Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen, blauen Augen an. In ihren Augenwinkel sammelte sich das Wasser und floss ihr in dünnen Rinnsalen die runden Bögen ihrer Wangen hinab bis zum Kinn. Eine Träne tropfte ihm sogar auf die Hand, als sie sich in seinem Griff wand. Er ließ sie langsam los und wusste, während sie fluchtartig das Zimmer verließ, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Er hatte Igred in die Wüste geschickt und ab jetzt würde sie sich in den Betten fetter Fürsten wälzen. Auf irgendeine Art stimmte ihn das traurig, war sie doch auch mehr gewesen, als eine Bettgespielin.

Regan wurde bewusst, dass er in ihr nicht nur eine Geliebte, sondern auch eine Freundin verloren hatte, die er niemals wieder bekommen würde.

Ob es das wert gewesen war?

Benommen von den Ereignissen stapfte er zur Tür, die Igred offen gelassen hatte, um sie zu schließen. Als er einen Blick auf den schwach beleuchteten Gang vor der Tür warf, stand sein Vater mitten auf dem Gang und hob mit ernstem Gesicht eine Augenbraue. Regan war bewusst, dass es seinem Vater nur recht war, was soeben geschehen war. Egal, wie viel der König mitbekommen hatte, er hatte wieder einmal seinen Willen durchgesetzt.

Als Regan schließlich im Bett lag, merkte er, dass sein Vater diese Auseinandersetzung, die bereits wochenlang ging, gewonnen hatte. Er hatte Igred verlassen, würde sich nicht mehr mit ihr treffen und er würde das kartanische Mädchen freiwillig heiraten. Sobald diese sein erstes Kind trug, würde er die Siegesfreude seines Vater mit voller Wucht zu spüren bekommen.

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Und die Kinder des Alten Blutes werden auferstehen, Schicksale verwoben und das Feuer auf die Erde zurückkehren.

 

Kinder des Alten Blutes, Unbekannt.

Kapitel 14

 

Die Tage vergingen zähflüssig wie Honig und dennoch passierte so vieles. Beim Morgenmahl und Abendmahl saß ich nun immer neben dem König und meinem Verlobten und mich gruselte es jedes Mal vor seinen finsteren Blicken, jedoch wirkte er die nächsten Tage sehr zurückhaltend und wagte es kaum, mich anzusehen. Nur ab und zu spürte ich, wie er mich beobachtete, es fühlte sich jedes Mal an wie ein kühler Wind, der mir in den Nacken blies. Wenn ich anschließend zu Meister Kovirs Unterricht ging, sah ich Prinz Regan den gesamten Tag nicht, noch nicht einmal, wenn ich einen der Gänge entlang ging, um etwas zu erledigen. Ich fragte mich, wo er sich den ganzen Tag aufhielt, dass ich ihn kaum zu Gesicht bekam. Allerdings war es mir auf der anderen Seite auch ganz recht.

Ich genoss die Belehrungen von Freyer, die mir zeigte, wie man ordentlich nähte und mittlerweile, mit viel Übung, wurden meine Stiche immer besser. Wenn wir nicht gerade das Nähen an unseren bespannten Rahmen übten, mussten wir vor allem Kovirs rausgesuchte Bücher und Schriftrollen wegsortieren, die Böden kehren und in alten Lexikas wälzen. Mit unter wurde es dann ziemlich langweilig und Freyer und ich begannen herumzualbern, jedoch nur, um dann ertappt zu verstummen, sobald der Meister in die Bibliothek eintrat.

Was ich noch seltsam fand, war, dass Barda mir kein einziges Mal nach dem merkwürdigen Abend beim Mahl mit dem Prinzen, ein Messer in die Hand gedrückt hatte. Persönlich fand ich es gut, da sich meine geschundenen Hände endlich erhohlen konnten und die Schnitte kaum mehr zu sehen, geschweige denn zu spüren waren. Mich überraschte nur, dass ich nunmehr noch gut genug war, um Wasser zu holen und sauber zu machen.

An diesem Vormittag, es war der Tag vor meiner Hochzeit und alle waren schon ganz aus dem Häuschen, stand ich nachdenklich vor Meister Kovirs Bücherregalen.

»Weißt du nicht, wohin damit?«

Ich drehte den Kopf zu Freyer, die auf das dünne, in Stoff geschlagene Buch in meiner Hand deutete.

»Doch schon. Ich habe mich nur mal umgesehen.«

»Wieso? Suchst du was bestimmtes?« Freyer trat neben mich und ihr Gesicht wurde auf einmal ernst. »Du suchst nicht zufällig nach etwas für die Hochzeitsnacht oder?«

Verwirrt sah ich sie an, ihr Blick wurde etwas dunkler. »Wie meinst du das?«

»Nun ja... ich habe mal gehört, dass viele Frauen irgendwelche Kräuter nehmen, damit sie in der Hochzeitsnacht kein Kind von ihrem Mann empfangen.«

Überrascht hob ich die Brauen. Tatsächlich? Ich hätte niemals gedacht, dass einige Frauen mit Absicht verhinderten, ein Kind zu empfangen, aber ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Ich wüsste auch nicht, was ich täte, wenn Prinz Regan eventuell sogar grausam sein sollte. Ob ich dann verhindern würde, ein Kind zu bekommen oder würde ich es nur zu gerne haben wollen, um von ihm in Ruhe gelassen zu werden?

»Nein. Das mache ich nicht. Natürlich kann ich mir kaum vorstellen, jetzt... von ihm ein Kind zu bekommen, aber, wenn es das Schicksal so will, dann ist es so. Aber, darf ich dich etwas fragen?«

Freyer wirkte erleichtert, aus welchem Grund auch immer. »Selbstverständlich. Was willst du wissen?«

»Wie ist er so? Ich meine... denkst du, er ist...« Fieberhaft suchte ich nach Worten. Ich konnte sie schließlich nicht direkt fragen, ob ihr Cousin eventuell irgendwelche sadistische Adern hatte und Frauen eventuell schlug, um sich an ihrem Schmerz zu ergötzen. Selbst, wenn es so wäre, ich wäre nur gerne auf das vorbereitet, was mich in der Hochzeitsnacht, in meiner Hochzeitsnacht, erwartete.

Plötzlich begann Freyer zu lächeln. »Er ist vielleicht kühl und distanziert, aber nicht grausam. Ich denke, dass du keine Angst haben musst vor Morgenabend.«

Etwas beruhigter atmete ich aus.

»Aber, jetzt sag mal, was hast du jetzt gesucht?«

Ich runzelte die Stirn und fragte mich, was ich ihr anvertrauen konnte und, was nicht. Schließlich war ich hier noch immer auf fremden Gebiet und ich vertraute den Menschen noch nicht so, als, wenn ich sie gut kannte. Wenn ich es recht bedachte, hatte ich noch nie jemandem so sehr vertraut, dass ich ihm alles sagen würde. Nicht einmal meinen Brüdern, da ich befürchtete, dass meine Eltern etwas davon erfuhren.

»Ich habe mich nur gefragt, ob man in Meister Kovirs Büchern, etwas darüber herausfinden könnte. Sie gehörte meiner Mutter und sie wusste ihr Leben lang nicht, ob diese Kette vielleicht wertvoll wäre. Sie hat sie mir vor meiner Abreise nach Woberok geschenkt.« Ich deutete auf den flammenförmigen Anhänger meiner silbernen Kette.

Freyer kniff angestrengt nachdenkend die Augen zusammen und starrte die Kette an. »Hm... diese Flamme kommt mir bekannt vor. Ich glaube, ich habe sie schon einmal gesehen.«

»Wirklich?«

Sie nickte und hob feierlich den Zeigefinger. »Allerdings! In Meister Kovirs Gemächern hat er eine kleine private Sammlung an Büchern. Ich musste einmal seinen Schreibtisch aufräumen und dachte noch, warum er seine Bücher wegschließt. Na klar. Es hat auch einen Namen, aber ich konnte den Titel nicht lesen. Es war eine seltsame Schrift, die ich nicht kenne.«

Ich runzelte die Stirn. Warum sollte Meister Kovir Bücher wegschließen? Dinge wegzuschließen diente nur einem Zweck: es war nicht für fremde Augenpaare bestimmt. Und dann war der Titel des Buches, auf dem offensichtlich meine kleine Flamme abgezeichnet war, auch noch in einer fremden Sprache geschrieben? Ich dachte an den Unterricht in Kartan zurück und, wie meine Mutter darauf bestanden hatte, dass ich alle alten Sprachen auswendig lernte. Nur aus diesem Grund hatte ich ein großes Talent darin, die verschiedenen Sprachen zu erlernen. Ich war schon immer gut darin gewesen, die Schriften zu entziffern, verschiedene Dialekte und Wortzusammensetzungen auseinander zu halten und dem jeweiligen Volk anzupassen.

»Weißt du noch, wie die Schrift aussah?«

Freyer rollte nachdenklich mit den Augen. »Es waren Runen, aber welche? Das weiß ich nicht mehr. Und ich glaube auch, dass du nicht an Meister Kovirs Sammlung heran kommst, um nachzusehen. Seine Gemächer sind stets abgeschlossen und den Schlüssel trägt er unter seiner Robe um den Hals.«

Grübelnd blickte ich zu der Tür, die in mitten der Bücherregale in der Wand eingelassen war. Das waren seine Gemächer. Auch jetzt saß er hinter dieser Tür und saß mit Sicherheit über seinen Büchern und Pergamenten und grübelte über irgendwas nach. Fürs erste ließ ich es dabei, denn so kam ich nicht an das Buch, um etwas über meine Kette herauszufinden. Aber die Tatsache, dass Freyer meinen Anhänger auf einem Buch wiedererkannt hatte, war seltsam. Ich hätte nicht gedacht, etwas darüber zu finden, schien es mir doch ein einfaches Familienerbstück zu sein, das mir die Frauen meiner Familie vermacht hatten.

Auf einmal hallten kleine, schnelle Schritte durch die große Bibliothek und Freyer und ich drehten uns zum Eingang. Edda stand da und machte einen ordentlichen Knicks, bevor sie mit einem kurzen Blick um Erlaubnis zum Sprechen bat.

Ich neigte den Kopf.

»Prinzessin Akira, der König schickt mich, Euch zu sagen, dass Ihr Euch in Euren Gemächern einfinden sollt. Lady Dagmar hat Euer Hochzeitskleid fertig und bittet Euch zur Anprobe.«

Noch bevor ich etwas sagen konnte, quietschte Freyer neben mir wie eine Maus. »Oh, da komme ich mit. Das will ich sehen!«

Edda machte noch einen Knicks und wartete, bis ich mich in Bewegung setzte. Meine Gefühle fuhren auf und ab und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, jetzt mein Brautkleid anzuprobieren. Innerhalb der letzten Tage, in denen die Festhalle geschmückt wurde, die Händler mit ihren Wein- und Essenslieferungen gekommen waren und sich bereits allerleih Gäste in der Burg eingefunden hatten, hätte ich mich daran gewöhnen müssen, dass meine Hochzeit unmittelbar bevorstand und ich keine Chance mehr hatte, alles rückgängig zu machen. Auch vorher hatte ich natürlich keine Chance gesehen. Aber nun war alles so endgültig.

In meinen Gemächern angekommen, waren ein Dutzend Leute darin versammelt. Lady Dagmar stand in der Mitte, direkt neben einer hölzernen Kleiderpuppe, über die jedoch ein helles, cremefarbenes Laken hing, damit ich keinen Blick auf das Kleid erhaschen konnte. Rund herum saßen viele bunt gekleidete Ladys aus höheren Adelsschichten, die ich zuvor teilweise gar nicht oder nur flüchtig gesehen hatte. All diese Frauen, die mich überhaupt nicht kannten und dennoch hier waren, um dazu zu gehören, zerrten an meinen Nerven.

Unsicher warf ich Lady Dagmar einen flüchtigen Blick zu. Sie lächelte leicht, doch ihr Blick verriet mir, dass sie meine Gefühle nachvollziehen konnte. Natürlich, sie war noch nicht sehr alt, was bedeutete, dass sie Lord Wilmer sicher auch als junges Mädchen hatte heiraten müssen und ihm dazu auch nur eine einzige Tochter geschenkt hatte. Sie musste den Druck verstehen, der auf meinen Schultern lastete. Ich hingegen heiratete nicht den Bruder der Königin, sondern den zukünftigen König, von dem man erwartete, dass er viele Nachkommen zeugte.

»Kommt zu mir, meine Liebe. Ich habe mir etwas besonderes einfallen lassen! An dieses Kleid wird man noch in Jahrzehnten sprechen!«, sagte sie aufgeregt, nahm meine Hand und führte mich hinter die Trennwand. Edda und eine andere Magd, die ich nicht kannte, folgten ihr. Die blondhaarige Magd mit den großen Korkenzieherlocken und wässrig blauen Augen, die rot gerändert waren, hielt unter dem Laken das Kleid fest und stand neben Edda, die sich sofort daran machte, mein Mieder zu öffnen und mich aus meinen Arbeitssachen zu schälen.

Hinter der Trennwand, wo die übrigen Ladys saßen, wurde wild geschnattert. Mit unter darüber, wie viele Kinder ich dem Prinzen gebären würde, wie viele davon Söhne seien, dass unsere Mädchen so schönes kastanienbraunes Haar haben würden, wie ich und wie extravagant die Hochzeitsfeier sein würde. Sie sprachen über zweihunderttausend Scheffel Weizen, Hafer und Gerste, die zum backen der Kuchen, Brote und sonstiges gebraucht wurde, über jeweils eintausend Stück Vieh für das Fleisch und wie viele Köche sich bereits in der Küche eingefunden hatten, um Barda beim Kochen der Köstlichkeiten zu unterstützen. Ich schnappte nach Luft, als Lady Dagmar und Edda das Hochzeitskleid über meinen nackten Körper zogen und zeitgleich die Rede über Zitronentörtchen fiel.

Ich kniff die Augen zusammen. Das war alles zu viel für mich. Nur mit großer Mühe unterdrückte ich die Tränen und biss die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzte, als Edda das Mieder an meiner Brust zusammen zog und meine Brüste an Ort und Stelle gepresst wurden. Lady Dagmar richtete die fließenden Ärmel an meiner Schulter, die kaum als Ärmel zu erkennen waren, denn meine Arme waren nackt und frei. Etwas breitere Träger hielten das Kleid an meinen Schultern fest und die Ärmel hingen als Stofffetzen von meinen Armen herab. Der Ausschnitt war in einer betonten V-Form geschnitten, der meine Brust fülliger aussehen ließ, als sie war. Das Mieder schnürte meine Taille so, dass sie sehr schmal und zierlich wirkte, dafür ging das Kleid an der Hüfte auseinander und ein ausladener Rock mit Schleppe lockerten die feste Schnürung etwas auf. Der strahlend weiße Stoff war seidenweich und fließend und fühlte sich an, als hätte ich nichts weiter an, als meiner nackten Haut. Es war wirklich schön, wie sich der Stoff hier und da raffte, mich unschuldig und rein wirken ließ. Die Farbe unterstrich diesen Effekt noch. Auch in Kartan war Weiß die Farbe der Unschuld und Reinheit.

»Wunderschön«, flüsterte Freyer.

»Es passt wie angegossen!«, freute sich Lady Dagmar.

Auch die anderen Magd und Edda sahen mich ungläubig an.

Ich selbst konnte es nicht richtig sehen, da mir niemand gestattete in einen Spiegel zu schauen. Erst zur Hochzeit, hatte Dagmar gesagt, als sie mich um die Trennwand herum führte und mich den anderen Ladys präsentierte. Freudig klatschten sie in ihre Hände und sprachen begeistert und wild durcheinander. Ihre Begeisterung war für mich kaum nachvollziehbar, denn schließlich heiratete ich und nicht sie. Aber sicherlich war solch ein besonderer Anlass eine großartige Gelegenheit war, um Beziehungen zu knüpfen. Und diese Ladys, wie ich soeben feststellte, versuchten, eine Beziehung mit mir zu beginnen. Nun, da die Hochzeit unmittelbar bevorstand, da war das kartanische Mädchen auf einmal sehr interessant. Vor allem aber, da dieses kleine kartanische Mädchen eines Tages Königin sein würde und ihr Wort beinahe genauso viel Gewicht hatte, wie das ihres Gatten. Man stelle sich also lieber gut mit seiner zukünftigen Königin.

Nachdem sich endlich jeder über das wundervolle Kleid ausgelassen hatte und verschwunden war, konnte ich in meine eigene Kleidung zurück schlüpfen. Dabei beobachtete mich die andere Magd seltsam intensiv, während sie mein Brautkleid umklammerte. Edda zog die letzten Schnüre des Mieders fester, sodass ich sie ansehen konnte. Sie war hübsch, ihr herzförmiges Gesicht mit den großen blauen Augen war sicherlich die Verführung eines jeden Mannes, genauso wie ihr kurviger Körper. Sie hatte einen weitaus weiblicheren Körper, als ich und jeder Mann konnte sich an ihren weichen Körper schmiegen, ohne Angst haben zu müssen, sich ein Auge an einem spitzen Knochen auszustechen.

Ich wollte sie gerade fragen, ob etwas mit meinem Gesicht sei, als Lady Dagmar sie schon fort scheuchte.

»Ab mit dir, Igred. Bring das Kleid in meine Gemächer, damit ich mich noch bis morgenfrüh darum kümmern kann.«

Die Magd nickte hastig und lief schnellen Schrittes aus dem Raum, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen. Seltsam.

»Und du, Mädchen, ruhst dich nun aus. Ich befehle dir, einen Schönheitsschlaf zu halten. Außerdem soll ich dir von König Ragnar sagen, dass dein Küchendienst die nächsten Tage gestrichen ist. Außerdem wirst du heute hier essen.«

»Hier? Warum nicht in der Festhalle?«

Freyer schüttelte den Kopf. »Das ist Tradition! Der Bräutigam darf seine Braut vor der Hochzeit nicht sehen. Und außerdem soll die geschmückte Festhalle eine Überraschung sein. Also hast du Stubenarrest.« Sie grinste, denn das sollte ein Scherz sein.

Ich lächelte leicht, um ihr zu zeigen, dass das ein guter Scherz war. Sie sollte sich keine Sorgen machen oder denken, dass ich mit allzu düsteren Gedanken an die ganze Hochzeitsgeschichte heran ging.

Dann verließen Lady Dagmar, Freyer und Edda meine Gemächer und ich war alleine. Endlich etwas Ruhe und Frieden nach dieser anstrengenden Kleideranprobe. Ich seufzte müde und setzte mich auf die gepolsterte Bank vor meiner Staffelei. Zuerst überlegte ich einen Moment, aber dann überkam mich der Drang, wieder ein paar Striche auf mein Gemälde zu bringen. Meine Finger sammelten ganz schnell die nötigen Tiegel und Pinsel zusammen und schon fuhr die Spitze des Pinsels über die Leinwand. Strich für Strich nahm das Bild allmählich Formen an. Ich wechselte die Farbe, ließ sie ineinander laufen und seufzte zufrieden nach einigen Stunden, als die Sonne längst unterging.

In diesem Moment tauchte Edda mit einem Speisebrett und einem Krug Apfelmost auf und stellte beides auf meinen Nachttisch. Dann näherte sie sich mir und legte den Kopf schief.

»Ihr könnt wirklich außergewöhnlich gut malen!« Ihre glockenhelle Stimme war fröhlich. »Das ist wunderschön.«

Ich lächelte. »Danke. In Kartan habe ich oft gemalt, wenn mich meine Mutter mal nicht zu einer Unterrichtsstunde geschleift hat.«

»Wie ist Eure Mutter denn so? Ich hörte nur Geschichten über die unnahbare kartanische Königin.«

Nachdenklich zuckte ich die Schultern. Unnahbar. Das traf es ziemlich genau auf den Punkt. Und zu gerne würde ich sagen, dass ich nicht so war, wie sie, aber das stimmte nicht. Ich war genau wie sie, vertraute keiner Menschenseele und wollte auch niemanden so nahe an mich heran lassen, dass mir dieser Jemand wehtun konnte. Die Angst, verletzt zu werden, war so tief in mir verwurzelt, dass ich es lieber hatte, wenn man mich mit Ignoranz strafte, als mir wehzutun.

»Sie ist... eine stolze Frau, sanft und geduldig. Sehr pflichtbewusst, aber distanziert und unnahbar. Mein Leben lang habe ich versucht, ihr zu gefallen. Vielleicht habe ich das mit der Hochzeit geschafft.«

Edda schwieg einige Momente. »Hm... meine Mutter starb, als sie mich geboren hat im Wochenbett. Unser Vater zog mich und meine Schwester groß bis sie heiratete und mich mit aufnahm. Nun komme ich mir manchmal vor, wie ein Klotz am Bein.«

Mir schnellten die Augenbrauen in die Höhe. »Warum das denn?«

Sie seufzte leise. »Ich möchte Euch nicht mit den Problemen einer Magd belästigen.«

»Edda«, sagte ich streng und klopfte neben mir auf die gepolsterte Bank.

Sie musste etwas schmunzeln, ließ sich neben mir nieder und wir saßen zusammen vor dem großen Gemälde, das ich begonnen hatte zu malen. Ihre Finger umklammerten sich selbst. Ich merkte, dass sie herumdruckste.

»Was ist los?«

»Ich habe manchmal das Gefühl, dass meine Schwester will, dass ich heirate, damit ich ausziehen kann. Wisst Ihr... sie versuchen schon lange, ein Kind zu bekommen. Sehr lange. Manchmal höre ich sie in der Nacht.«

Mir schoss eine Gänsehaut über den Körper, mein Nacken kribbelte und sofort hatte ich das Bild von azurblauen Augen vor mir, die mich intesiv musterten. Wie würde es sein, wenn wir versuchten, ein Kind zu bekommen? Würde er sich über mich beugen, mich berühren und mich hart nehmen? Oder wäre er vielleicht auch sanft? Ich könnte mir kaum vorstellen, dass dieser Mann auch sanft zu einer Frau sein könnte.

»Was meinst du damit, du kannst sie hören? Tut er... tut er ihr weh?«

Edda schüttelte schnell den Kopf. »Ich glaube, es gefällt ihr. Ich weiß nicht, es hört sich nicht an, als ob er ihr Schmerzen zufügt. Manchmal... ertappe ich mich dabei, wie ich zuhöre.«

Das ließ mich benommen dasitzen und grübeln. Noch eine Frau, der der Geschlechtsakt gefiel? Wie... ich verstand es nicht und mein Hirn war zu dieser späten Stunde auch kaum mehr auf der Höhe, diese Information zu verarbeiten. Gemeinsam saßen wir nebeneinander und hingen eine Weile unseren eigenen Gedanken nach. Dann meinte Edda, sie müsse weitermachen, damit sie heimkehren konnte und ich ließ sie gehen, da sie augenscheinlich ziemlich durcheinander war.

Es verwirrt mich, dass Edda zugegeben hatte, dass sie ihrer Schwester manchmal beim Geschlechtsakt mit ihrem Mann zuhörte. Hörte es sich gut an? Nachdenklich und irgendwie rastlos an diesem Abend, verließ ich meine Gemächer. Das Essen konnte warten, bis ich zurückkehrte und außerdem hatte mir niemand gesagt, ich dürfe nicht raus, um spazieren zu gehen. Mein Weg führte mich durch die Gänge und einen kleinen Turm hinab, der in einer Tür mündete, die nach draußen führte. Die Sonne war beinahe vollständig hinter dem Horizont verschwunden und der eisig weiße Mond hing beinahe komplett am schwarzen Nachthimmel. Allmählich tauchten die glitzernden Punkte am schwarzen Himmelszelt auf und ließen ihr kaltes Licht über der Stadt erleuchten.

Noch herrschte reges Treiben, ich hörte die arbeitenden Menschen, den Lärm der Stadt. Die Tavernen wurden jetzt erst so richtig gut besucht und noch immer strömten Händlerkarren durch das geöffnete Burgtor in den Innenhof, um ihre Güter für die Hochzeit abzuladen.

Meine Hochzeit. Ich seufzte.

Unbemerkt von den Wachmännern, die in kleinen Trupps den Innenhof bewachten und ihre Runden zogen, schlich ich die dicke Burgmauer entlang um den Bergfried herum und entdeckte dabei ein kleineres, südlich ausgerichtetes Burgtor. Auch dort standen Wachen, sodass ich es nicht näher erkundete und den Weg zurück schlich. Mit flinken Füßen, einigen Karren als Deckung und genug Glück erreichte ich die Stallungen. Geschickt schlüpfte ich hinein und fand mich in der Stallgasse wieder, in mitten dem Duft warmer Pferdekörper und frischen Strohs. Im Stall befand sich kein Stallbursche mehr, der sich um die Tiere kümmerte, sodass ich unbesorgt die stattlichen Tiere mustern konnte.

Ich wusste, dass dies nicht die einzigen Stallungen in Woberok waren, sondern nur die königlichen Stallungen innerhalb des Bergfriedes. Hier befanden sich nur die Tiere des Königs und seiner engsten Gefolgsleute. Etwas weiter Unterhalb der Stadt gab es einen großen Platz, wo sich die woberokischen Stallungen befanden. Dort wurden die besten Kaltblüter des nördlichsten gelegenen Landes gezüchtet und ausgebildet. Vielleicht konnte ich meinen baldigen Ehemann einmal dazu überreden, dass er mir diese Stallungen und die Weiden zeigte, denn ich liebte Pferde. Mich faszinierte der wilde Charakter der Tiere, die Art, wie sie frei herum galoppierten und die treusten Freunde des Menschen waren. Ohne Furcht trug es seinen Herrn in die Schlacht, es floh nicht vor Lanze und Speer und erzittert nicht ob der Trompete Hall.

Es dauerte nicht lange, bis ich das große, dunkelbraune Kaltblut fand, das mich nach Woberok getragen hatte. Auch der kräftige Wallach schien mich wieder zu erkennen und spitzte aufmerksam die Ohren, als ich die Finger hoch streckte. Sie berührten die weichen Nüstern nur leicht, so riesig war das Tier, aber es kam mir schließlich entgegen und beugte den Kopf herunter.

Gedankenverloren streichelte ich dieses stattliche Tier. Dabei fiel mir wieder ein, wie Rickon mir versucht hatte beizubringen, vom Pferd aus mit Pfeil und Bogen zu schießen. Leider war es erst der Beginn meines Trainings gewesen, als wir durch die Heiratspläne meiner Eltern unterbrochen worden waren. Ob ich das Training irgendwann wieder aufnehmen könnte? Bei Mara, ich wollte gar nicht wissen, was mein baldiger Ehemann dazu sagen würde, wenn er wüsste, dass ich mit einer Waffe umgehen konnte.

»Und? Wie gefällt Euch Euer Verlobter?«

Ich fuhr zusammen, da ich diese Stimme sehr gut kannte.

An der geöffneten Scheunentür stand Geralt, der sich an den Rahmen der Tür lehnte. Die verschränkten Arme vor seiner Brust, die zerzausten roten Haare und der finstere Blick schüchterten mich ein Stück weit ein, aber ich gab mir die größte Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Auch, wenn ich zunehmend nervöser wurde, dass wir beide bei Dämmerlicht alleine in den Stallungen standen und niemand hier war, außer er.

»Was wollt Ihr hier, Geralt?«

Er zuckte die Schultern. »Die letzten Tage habe ich mit den übrigen Soldaten vor der Stadt in einem Wachturm verbracht. Ihr könnt Euch sicher denken, dass es für einen Mann, der den ganzen Tag eingepfercht mit anderen Männern ist und dasitzen und Wache schieben muss, ziemlich eintönig wird. Ich habe mich nach Eurem vorlauten Mundwerk gesehnt.«

Genervt zog ich die Brauen zusammen und streichelte noch einmal die Nüstern des Pferdes, um mich selbst zu beruhigen. »Und ich gebe zu, dass ich mich so überhaupt gar nicht nach Euch gesehnt habe.«

Geralt legte den Kopf schief. »Nicht ein bisschen? Kommt schon, Prinzessin, morgen ist es so weit. Es ist noch nicht zu spät, Eure Jungfernschaft an mich abzutreten. Kommt, legt Euer Gewand ab, ich werde auch ganz sanft sein.«

Ich funkelte ihn an. »Ihr seid widerwertig!«, zischte ich.

Geralt schoss hervor und packte mein Handgelenk, zog mich ungeheurer Wucht an seine Brust und sein heißer Atem prallte gegen meinen nackten Hals. »Glaubt Ihr tatsächlich, dass Euer geliebter Prinz Regan besser mit Euch umgehen wird? Ich habe ihn beobachtet und er kann bestimmt an nichts anderes denken, als seinen Schwanz in Euren kleinen Arsch zu schieben! Und auch ich werde nicht locker lassen, bis Ihr mich einmal in Euch hattet. Diese perfekten kleinen Titten und Eure kleine Möse werden mir gehören, verlasst Euch darauf!«

Meine Hände stemmten sich gegen seine Brust, Panik schnürfte mir die Kehle zu und ich begann wie verrückt zu zappeln. »Lasst mich sofort los!«, knurrte ich. »Nichts an mir wird jemals irgendwem gehören! Verstanden? Also fasst mich nicht an!«

Geralt ließ mich so plötzlich los, dass ich mit dem Rücken gegen die Boxentür hinter mir prallte und nach Luft japste. Er trat noch einmal ganz nahe an mich heran und presste seinen Mund auf meine Hauptschlagader an meinem verwundbaren Hals. Ich erbebte unter diesem ekelerregenden Gefühl, zitterte vor Furcht, konnte mich aber nicht weiter rühren.

»Wehrt Euch nicht dagegen, Prinzessin. Wir sind füreinander bestimmt und ich werde Euch sicher nicht mit irgendeinem woberokischen Prinzen teilen.« Dann ließ er mich so plötzlich los, dass ich benommen an der Boxentür auf den strohbedeckten Boden sank und ihm schwer atmend und zitternd hinterher blickte, wie er die Stallungen durch die geöffnete Tür verließ.

Was bei allen Göttern meinte er damit? Wir seien füreinander bestimmt? War es das verwirrte Gefasel eines Irren oder hatte er irgendwas vor? Sollte ich Prinz Regan davon erzählen? Ich wusste es nicht, war viel zu verwirrt von diesem erneuten Vorfall mit Geralt, dass ich für Stunden nur so dasitzen und in den dämmrigen Stall starren konnte, der bloß von kleinen Öllampen erhellt wurde. Fröstelnd rieb ich mir irgendwann über die nackten Oberarme, da mir mein Schultertuch heruntergefallen war. Ich stemmte mich hoch und hob es vom Boden aus, klopfte das Stroh ab und zerrte es mir um den Oberkörper.

Dann torkelte ich benommen den Weg zurück, den ich gekommen war und schlug die Tür zu meinen Gemächern zu. Zum Glück hatte ich eines Abends einen Schlüssel gefunden, mit dem ich die Tür absperren konnte, denn, wenn ich dies nicht getan hätte, hätte ich nun diese Nacht vor meiner Hochzeit kein Auge zu machen können. Es dauerte noch länger, bis ich mein Nachtkleid übergezogen und in mein Bett geschlüpft war. Doch mein Schlaf war unruhig und geplagt von seltsamen Träumen. Flammenförmige Anhäger, verdrehte, fremdartige Runensprachen, glühend rote Augen und schwarze Schwingen größer als die Segel eines Dreimasters spukten mir im Kopf herum, während der Mond draußen bald seine komplette Fülle erreichen sollte.

Der kürzeste Tag und die längste Nacht des Jahres brach mit den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages an.

Mein Hochzeitstag.

Kapitel 15

 

Meine Finger fühlten klamm an, als ich am frühen Nachmittag in meinen Gemächern stand und in den hohen Standspiegel starrte. Mein Haar hing mir feucht über die Schultern und mein nackter Körper wurde von einem weißen Morgenmantel mit Spitzenaplikationen verdeckt, während immer wieder fremde Gesichter um mich herum schwirrten. Die ganze Zeit über, die ich bereits nach dem ausgiebigen Bad im Zuber hier stand, starrte ich mein Spiegelbild an und das Herz hämmerte mir gegen die Brust.

Als ich im Zuber gesessen hatte, hatten mich gleich fünf fremde Mägde gesäubert, meine Beine mit heißem Wachs übergossen und es ruckartig abgezogen, sodass meine Beine nun weicher und glatter waren, als jemals zuvor. Sogar meine Mitte war von ihnen gewachst wurden, wobei dies weitaus unangenehmer gewesen war, als meine Beine. Auch unter meinen Armen war jedes noch so winzige Haar entfernt worden. Eine Magd hatte mich mit einer frisch duftenden Seife gewaschen, die nächste hatte meine Haut mit einer Bürste geschrubbt, bis sie rot und wund war und die übernächste hatte mein Haupthaar gewaschen und mit duftenden Ölen so weich und geschmeidig gemacht, wie es nicht eine der Zofen in Kartan hinbekommen hätte.

Als sie endlich mit meinem Körper fertig waren, hatte mir die blonde Magd mit den schönen Kurven den Morgenmantel gereicht und ich hatte ihn übergezogen. Und nun stand ich vor dem Spiegel und um mich herum huschten allerlei Frauen herum, die mich vorbereiten sollten. In nur zwei Stunden würde die Sonne untergehen, der Tag hatte wirklich nicht sehr lange gedauert, dafür würde die Wintersonnenwende bald ihren Höhepunkt erreichen und der Mond würde in seiner vollen Pracht am Himmel stehen. Lady Dagmar hatte mir gesagt, als sie zu meinem Bad ins Zimmer kam, das Kleid unter einem Leinentuch haltend, dass meine Hochzeit unter einem bestialisch guten Stern stand. Alles traf in dieser Nacht aufeinander. Die Wintersonnenwende dieses Jahres, der Vollmond des Monats und der kalendarische Winteranfang.

Der Winter war wahrhaftig in die Kaiserlande gezogen. Nichts im Kaiserreich des Nordens war so bedeutsam und wichtig, wie der Winter. Schon immer sagte man, dass Eis in den Adern der Nordmänner strömte, statt Blut und, dass die Kälte ein Teil von jedem Nord war, egal welchem Königreich er entstammte. Wer wusste es schon? Vielleicht würde meine Hochzeit auch einem Zweck dienen, dass wir an diesem Abend alle gleich waren. Nicht Kartaner und Woberoker, sondern Nordmänner und Nordfrauen.

Eine Magd näherte sich mir mit einer Bürste und begann mein Haar so lange zu bearbeiten, bis es seidig glänzte und trocken war. Allmählich kehrten die widerspenstigen Wellen in meine Mähne zurück, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. Ihr braunes, dunkles Haar hatte von Natur aus Wellen, was ich oftmals in ihren Hochsteckfrisuren erkannt hatte. Sie hatte es nie offen getragen, dennoch hatte ich gesehen, dass sie sehr schönes Haar haben musste.

Eine andere Magd machte sich daran, mein Gesicht und meinen Körper mit einer duftenden weißen Creme einzureiben, die sofort einzog und meiner Haut Feuchtigkeit gab. Eine andere derigierte mich auf einen Stuhl und begann meine Füße seidig weich zu feilen, die nächste machte sich an meine Nägel. Ich wurde von Kopf bis Fuß verwöhnt, aber es fühlte sich nicht an, als würde diese Aufmerksamkeit mir gelten. Ich wusste, dass es dazu diente, dass mich der Prinz trotz meiner wenig weiblichen Vorzüge in einem Mindestmaß attraktiv fand. Wenigstens so attraktiv, um mit mir die Ehe zu vollziehen.

Als sie damit fertig waren, trat Lady Dagmar auf mich zu und legte ihre Hände auf meine Schultern. »Ach Kindchen, ich habe dich in den letzten Tagen schon sehr lieb gewonnen.«

Ich musste trotz der Situation lächeln. Es stimmte. Ich mochte die Herzlichkeit dieser Frau sehr gerne, ihre ruhige Art. Sie hatte mich in den letzten Tagen ein wenig aufgemuntert, wenn ich schon das Gefühl hatte, zu verzweifeln. Schließlich war es nicht einfach gewesen mit dem Gedanken einschlafen zu müssen, bald eine verheiratete Frau zu sein. Und dann auch noch die Frau eines Mannes zu werden, der irgendwann zu den mächtigsten Männern unseres Landes gehören würde.

Lady Dagmar lächelte ebenfalls leicht, dann deutete sie auf das Kleid, das noch verdeckt auf einem Bügel an der Trennwand hing. »Nun kommt schon, Mädchen! Zieht eurer zukünftigen Königin ihr Hochzeitskleid an.«

Das ließen sich die Mägde nicht zweimal sagen. Eine schälte mich aus dem Morgenmantel, wobei der kühle Luftzug mich erzittern ließ, eine andere schnappte sich das Kleid und eine dritte postierte sich neben mir, um der anderen zu helfen. Zuerst stülpten sie mir das Unterkleid über den Kopf, dann zogen sie das Mieder fest, sodass meine Brüste in die richtige Position gequetscht wurden und dann folgte der Überwurf. Der fließende Stoff schmiegte sich perfekt an meinen schmalen Körper, die luftigen Stoffbahnen an meinen Armen schmeichelten meiner empfindsamen Haut. Der leichte Rock schwebte um mich herum, so leicht, dass es sich anfühlte, wie Luft.

Anschließend steckte eines der Mädchen mein Haar zu einem lockeren Knoten nach oben, ließ jedoch zwei längere Strähnen meines Ponys bis auf meine Schultern fallen. Eine andere Magd brachte einen Haarreif, an dem viele kleine weiße Blumen befestigt waren und der eigentliche Reif gar nicht mehr zu sehen war. Es wirkte beinahe, als würde er bloß aus Blumen bestehen. Erst, als sie den Haarreif in meinem Haar befestigte, erkannte ich, dass das Mädchen Edda war.

»Verzeiht mir die Verspätung, Prinzessin. Aber ich habe den ganzen Vormittag nach Blumen für Euren Kopfschmuck gesucht.«

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, aber ich bekam keinen Ton heraus. Es war bestimmt sehr schwierig, noch weiße Blüten zu finden, wo das Land doch schon von einer leichten Schneeschicht überdeckt war. Schließlich schenkte ich ihr ein kleines Lächeln.

»Danke, Edda.«

Sie neigte respektvoll den Kopf, denn sie wusste, dass sie mich in der Öffentlichkeit nicht berühren durfte. Wenn wir zu zweit waren, war das etwas anderes.

Zu guter Letzt, die Sonne berührte bereits den Horizont, steckte mir Freyer den hellen, durchsichtigen Schleier ins Haar. Der dünne, durchsichtige Stoff lag über meinem Kopf und umschloss meinen Rücken wie eine Decke aus einem Hauch von Nichts. Feine Spitze war darin eingearbeitet und, als ich mich schließlich im Spiegel betrachtete fiel mir nur ein einziges Wort zu meinem gesamten Erscheinungsbild ein. Unschuld. Das reine Weiß des Kleides gepaart mit der sanften Spitze des Schleiers und die weißen Blumen in meinem Haar unterstrichen das unschuldige Aussehen. Ich war überwältigt, wie schön ich aussehen konnte. Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass man es schaffen könnte, mich so herzurichten. Es war unglaublich.

»Gefällt dir etwas nicht?« Freyers Stimme riss mich aus den Gedanken.

»Es ist wundervoll«, sagte ich leise und bekam ein Lächeln von ihr zurück.

Sie sah so schön aus in ihrem roten Kleid, das sie sich extra für meine Hochzeit besorgt hatte. Die weiten Trompetenärmel standen ihr hervorragend, während sich der Rock leicht und etwas enger an ihre schlanken Beine schmiegte. Ihre pralle Oberweite wurde perfekt in Szene gesetzt. Dafür dämpfte eine vergleichsmäßig zarte Kette um ihren Hals den Ausschnitt etwas ab und lenkte den Blick auf ihren sehnigen Hals und letztendlich in ihr schmales Gesicht. Ihr flammenfarbenes Haar trug sie in offenen Wellen, die ihr bis zur Brust reichten.

Lady Dagmar trat näher. »Es wird Zeit, Kleines. Die Sonne ist fast untergegangen und der Mond erobert den Himmel.«

Ich nickte leicht, nun begann mein Herz wie wild in meiner Brust zu schlagen. Die Mägde setzten sich in Bewegung, verließen meine Gemächer, dafür wartete eine Horde Wachmänner vor meiner Tür. Sie würden uns zum Göttertempel geleiten, in dem ich Prinz Regan heiraten würde. Meine Atmung wurde immer flacher, je mehr Schritte ich in die Richtung meines zukünftigen Gemahls tat. Wir verließen den Bergfried, schritten durch den Burghof ins Innere der Stadt und folgten der Straße, die direkt zum Göttertempel führte. An den Straßenseiten standen die Einwohner und starrten mich an. Noch immer konnte ich kaum einschätzen, wie sie mich sahen. Als Eindringling? Als Chance auf eine gute Zukunft? Als Fremde?

Das war ich in jedem Fall noch. Vermutlich würde ich auch für immer die fremde Kartanerin bleiben, die den Prinzen geheiratet hatte, so, wie es bei meinen Eltern der Fall gewesen war. Zwar war meine Mutter nicht gänzlich aus einem anderen Königreich gekommen und war auch immer schon eine Kartanerin, dennoch wusste ich, dass sie sich ihr Leben lang fremd gefühlt hatte.

Allmählich lichteten sich die Häuser und machten einem gewaltigen Platz frei. Der Wegesrand wurde von meterhohen Statuen gesäumt, die allesamt Richtung Himmel blickten. Es waren die Bildnisse der Götter. Anderer Götter, als ich sie verehrte. Es waren jene Götter, an die mein baldiger Ehemann glaubte. Würde er mir befehlen, seine Götter statt meinen zu verehren? Daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Was wäre, wenn er mir verbot, zu meiner Göttin und meinem Gott zu beten? Wäre es in meiner Götter Augen Sünde, wenn ich meinem Mann Gehorsam schenkte und von nun an seine Götter anbetete? Oder würde Mara Verständnis zeigen?

Der Platz endete mit steinernden Stufen, die zu einem gewaltigen Bauwerk hinaufführten. Der Tempel war rund, besaß in gebührendem Abstand mehrere Steinsäulen, die in großen flachen Platten endeten, auf denen ein gewaltiges Feuer brannte. Qualm stieg von den Feuern in den dunkler werdenden Himmel auf und die Raben des Nordens hockten auf den Rändern der offenen Fenster und starrten in die Ferne. Der Eingang bestand aus einem großen Torbogen, den mehrere Wachen im Blick hatten. Insgesamt bestand alles aus dunkelgrauem Stein.

Ich raffte den Rock und folgte Freyer und Lady Dagmar, die voraus gingen, neben uns noch immer die Wachmänner. Es gab kein Zurück mehr, keine Flucht aus dieser Situation.

Als ich am Eingang stand und in den Tempel spähen konnte, flatterte mein Herz verräterisch, aber ich durfte jetzt nicht in Panik geraten. Abertausende Menschen befanden sich im Inneren und starrten zum Eingang, als sie bemerkten, dass ich angekommen war. Am anderen Ende des Tempels erkannte ich eine Art Erhöhung, die durch mehrere Stufen zu erklimmen war und ein Priester stand neben einer Art Altar. Neben ihm - mein Herz hüpfte einmal kurz und meine Atmung kam flach - stand Prinz Regan. Zwar konnte ich auf die Entfernung sein Gesicht nicht erkennen, aber über meine Haut schossen kleine elektrische Blitze, als ich erkannte, wie gut er aussah.

Eines konnte man auf jeden Fall sagen, einen hässlichen Mann musste ich zumindest nicht heiraten.

Freyer und Lady Dagmar lächelten mir aufmunternd zu, ehe sie mich alleine am Eingang stehen ließen und ins Innere schritten, um relativ weit vorne ihre Plätze einzunehmen. Was sollte ich nun tun? Stehenbleiben und warten, dass etwas passierte? Oder sollte ich schon hineingehen? Eigentlich war es üblich, dass der Vater die Braut zu ihrem Verlobten führte und er sie an ihn übergab. Aber mein Vater war nicht hier, war ihm das Leben seiner Kinder doch schon vor langer Zeit gleichgültig geworden.

Plötzlich ergriff eine feste Hand meine Finger und ich fuhr zusammen.

»Verzeiht, Prinzessin. Ich wollte Euch nicht erschrecken.« König Ragnar ergriff meine beiden Hände und küsste meinen Handrücken. »Ich muss sagen, dass ich stolz auf Euch bin.«

»Stolz?« Das Wort war mir fremd. Zwar kannte ich seine Bedeutung, allerdings hatte mir bisher nur ein Mensch gesagt, dass sie stolz auf mich war und zwar nur, weil ich gelächelt und den Mund gehalten hatte. Es war an jenem Tag gewesen, als meine Mutter und mein Vater mich an Prinz Regan verkauften.

»Ja, stolz. Ich hätte erwartet, dass Ihr Euch vom ersten Tage an gegen alles sträuben würdet, was ich Euch sage. Ihr habt mir und allem im Bergfried das Gegenteil bewiesen, auch meinem Sohn.«

Ich nickte leicht mit dem Kopf. »Ich tue meine Pflicht, meinem Land gegenüber.«, antwortete ich sachlich. »Es war mir klar, dass es angenehmer ist, wenn ich mich fügte.«

König Ragnar lächelte schief. »Und dennoch lasst Ihr Euch nicht herumkommandieren, wie es beispielsweise Eure Mutter getan hätte. Ihr seid anders, das habe ich schon damals in Kartan gesehen.«

Darauf fiel mir nichts mehr ein, sodass ich kurzzeitig schwieg.

König Ragnar senkte den Blick auf meine Hände, die er immer noch festhielt. »Es tut mir leid, Euch das sagen zu müssen, Prinzessin, aber Euer Vater ist nicht mit Eurer Mutter und Euren Brüdern angereist.«

Ich hatte es geahnt. Dennoch spürte ich eine leichte Enttäuschung in mir, die ich mit einem leichten falschen Lächeln überspielte. In meiner Kindheit in Kartan hatte ich gelernt, wie man ein perfektes falsches Lächeln lächelte. Meine Mutter war die beste Lehrmeisterin der Welt gewesen.

»Ich weiß.«, flüsterte ich und seufzte, dann sah ich ihn an.

Sein Blick wurde ein Stück finsterer.

Ich bekam große Augen. »Ist etwas mit ihm?«

»Nein, Prinzessin, aber... Euer Bruder, Kronprinz Harris, ist ebenfalls nicht erschienen. Er lässt sich entschuldigen.«

Nun spürte ich die Enttäuschung wie eine Welle kalten Wassers über mich hinweg rauschen. Harris war nicht angereist? Zuerst packte mich kalte Wut, da ich sein Versprechen noch in Erinnerung hatte, dass wir uns zu meiner Hochzeit in Woberok sehen würden und er sogar Astrid mitbringen würde. Ich hatte mich schon gefreut, meine quirlige Schwägerin wiederzusehen, mit der ich mich von Anfang an gut verstanden hatte. Sie würde bald ihr Kind bekommen, aber Harris meinte, die Reise nach Woberok würde sie noch schaffen können. Dann kam mir ein anderer Gedanke und ich blickte König Ragnar besorgt an.

»Ist etwas mit der Frau meines Bruders? Geht es ihr nicht gut?«

»Ich weiß es nicht, Prinzessin. Nur, dass er sich entschuldigen ließ und versprach, nach Eurer Hochzeit nach Woberok zu reisen.«

Ich bekam ein schlechtes Gefühl in der Magengegend, unterdrückte es jedoch. Vielleicht konnten mir meine Mutter oder meine Brüder mehr sagen. Ich wusste, dass meine Mutter noch sehr engen Kontakt zu Harris hatte und sie sich sogar gegen meinen Vater durchsetzen konnte, dass sie Harris Briefe schicken und ihn sehen durfte. Sie wusste mit Sicherheit mehr darüber, weshalb Harris nicht zu meiner Hochzeit kam.

»Nun, Prinzessin. Seid Ihr bereit?«

Nicht wirklich.

Panik stieg in meiner Kehle auf, machte sie ganz eng, sodass ich bloß ein Nicken zustande bekam. An meiner Vater Statt, brachte mich nun mein Schwiegervater zum Altar und würde mich an seinen Sohn übergeben. König Ragnar bot mir seinen Arm und ich umklammerte ihn, hielt mich an ihm fest, während wir in den Göttertempel eintauchten. Der Mond hatte seine volle Größe erreicht und leuchtete durch ein riesiges rundes Loch in der Tempeldecke auf uns herab. Der Himmel war sternenklar, jedoch konnten sie ob ihrer Leuchtkraft dem riesigen Vollmond nicht das Wasser reichen. Silbern schimmerte das Licht und verwandelte das Gestein des Tempels in schimmernden Granit. Mein Kleid glitzerte im Licht wie tausend Sterne, als wir einen Schritt nach dem anderen näher zum Altar kamen.

Und dort stand er, wie ein junger Gott.

Das tiefschwarze Haar hing ihm zerzaust im Gesicht, als wäre er gerade erst aufgestanden, seine eisblauen Augen funkelten wie Kristalle in diesem besonderen Mondlicht und seine Kleider glänzten mattschwarz, verbargen seinen durchtrainierten, unfassbar attraktiven Körper. Er hatte die Hände gefaltet und richtete sich gerader auf, als ich die zwei Stufen zum Altar erklomm.

Vor ihm blieb König Ragnar stehen und ergriff meine Hand.

»Als Vater des Landes übergebe ich dir Kartans Tochter. Nimm sie an und zu deinem Weib.«

Als König Ragnar meine Hand vorstreckte, damit Prinz Regan sie nahm, kochte in mir die Hitze hoch und färbte meine Wangen mit Sicherheit dunkelrot, sodass man es bestimmt unter dem durchsichtigen Schleier sehen konnte. Mein Herz wummerte in meiner Brust und ich atmete so schnell, dass mir beinahe schwindlig wurde. Endlich, nachdem er mich eine schiere Ewigkeit einfach nur angesehen hatte und ich das Gefühl hatte, er könnte mir direkt in meine Seele blicken, ergriff er meine Hand. Ein elektrischer Blitz knisterte meinen Arm hinauf bis in den Ansatz meiner Haare hinein und ich hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen.

»Von Euch, mein König, nehme ich diese Frau an und zu meinem Weib.«, sagte Prinz Regan mit tiefer Stimme, die in den Tiefen meines Körpers wiederhallte.

König Ragnar ließ uns stehen und verließ die Anhöhe, um sich zu den anderen Gästen zu gesellen.

Der Priester, ein dürrer, großer Mann in einer tiefblauen Robe und weißem Haupthaar, trat näher an uns heran. »Wir haben uns heute im Göttertempel der Skadi eingefunden, um die eheliche Verbindung von Prinz Regan aus dem Hause Woberok und Prinzessin Akira aus dem Hause Kartan zu feiern. Nun, Prinz Regan nehmt diesen Umhang, legt ihn Eurer Braut um die Schultern und stellt sie somit unter Euren Schutz.«

Lord Wilmer kam herbei. Er trug einen wunderschönen dünnen Seidenumhang in den Händen. Er besaß eine weite Kapuze, an deren Ränder weiße Ornamente eingestickt waren, genauso auch auf dem Umhang selbst. Er war wunderschön und sicher sehr teuer gewesen.

Prinz Regan ergriff den Umhang zaghaft und blickte mich auffordernd an.

Erst da lernte ich wieder, wie man atmete, denn ich schnappte kurz nach Luft und drehte mich dann um. Kühler Stoff streifte meine nackten Oberarme, als er mir den Umhang um die Schultern legte und ihn zurechtrückte. Seine warmen Finger berührten meine nackte Haut und ich erschauderte unwillkürlich. Beinahe fühlte es sich an, als wäre niemand anwesend, sondern nur er und ich. Wie konnte sich eine Heirat, mit der ich von Anfang an nicht einverstanden war, auf einmal nicht mehr so erzwungen anfühlen? Ob er merkte, was er da mit mir anstellte?

Als ich mich wieder umdrehte, war er mir so nahe, wie bei unserer ersten Begegnung in der Halle des Bergfrieds. Doch diesmal war sein Blick seltsam anders. Er blickte mich nicht mit diesem herausfordernden Blitzen in den Augen an, sondern mit etwas anderem, was ich nicht benennen konnte. Meine Hände zitterten, als er sie nahm und einfach nur festhielt. Ich hörte kaum, was der Priester sagte, nur Fetzen von Traditionen und Pflichten und Dingen, die ich nicht hören wollte. Ich konnte nur ihn ansehen und daran Denken, dass ich in nur wenigen Augenblicken seine Frau sein würde.

»Nun seht einander an und sprecht das Gelübde.«, forderte uns der Priester auf.

Ich erinnerte mich noch, wie ich die letzten zwei Tage damit zubrachte, die Worte zu lernen. Es war mir fremd, dass man ein Gelübde sprach, denn in meiner Heimat war es üblich zu fragen, ob beide die Ehe wollten und beide mit Ja antworteten, auch, wenn eine Partei dagegen wäre. Doch hier war so einiges anders, als in meiner Heimat, das hatte ich vom ersten Tage an gelernt.

»Ich bin dein und du bist mein«, sprachen wir gleichzeitig die Worte. »von diesem Tage an bis zu meinem letzten Tag. Du wirst mir treu sein, so wie ich dir Treue schwören will. Du wirst meine Wunden versorgen, so wie ich die deinen versorge. Ob Schmied, Bauer, Mutter, Jungfrau oder König. Von diesem Tage an sind wir durch Schicksal und Blut verbunden bis die Götter uns zu sich nehmen und wir erneut vereint sind. Das will ich schwören bei meinen Göttern, meinem Blut und meinem Leben.«

Als wir endeten, war es im gesamten Göttertempel gespenstisch still. Mein Herz pochte mir noch immer heftig gegen die Rippen und mein Atem kam stoßweise, sodass sich mein Brustkorb immer wieder auf- und absenkte. Auch er atmete etwas schwerer, hatten uns die Worte doch etwas die Luft zum Atmen geraubt.

Plötzlich aber reichte der Priester einen verzierten Kelch zwischen uns, der zwei ineinander verschlungene Griffe besaß. Da Regan der Mann war, wurde ihm natürlich der Kelch zuerst gereicht und er hielt ihn mir hin, damit ich den zweiten Griff nahm. Ich tat es und unsere Hände berührten sich erneut, was wieder warme Schauer über meinen Arm bis zu meinem Gesicht sandte. Er zog den Kelch zu seinem Mund hinauf und ich sah wie gebannt dabei zu, wie er einen Schluck von der tiefroten Flüssigkeit nahm. Seine Zungenspitze fuhr einmal kurz über seine Lippen und mein Herz tat einen aufgeregten Hüpfer. Anschließend ließ er mich einen Schluck nehmen und ich spürte seinen Blick auf mir, als mir der brennende Wein die Kehle hinunter rann. Obwohl ich nicht gerne Wein trank, tat mir dieser starke Wein im Moment sogar ganz gut.

Der Kelch wurde uns so plötzlich wieder weggenommen, wie er uns gereicht wurde, dafür drückte man Regan nun einen Dolch in die Hand. Auf einmal verflog das warme Gefühl des Weins in meinem Bauch ganz schnell wieder. Der Dolch war insgesamt sicher so lang wie mein kompletter Unterarm und, als Regan die Scheide entfernte, glänzte das scharfe Metall im Licht des prallen Mondes.

»Das Blutsband wird nun geschlossen!«, verkündete der Priester.

In diesem Moment schloss Regan die linke Hand um die Klinge und ließ sie einmal ruckartig an seiner Handfläche entlang schneiden. Sofort quoll tiefrotes Blut aus dem Schnitt und ich verspürte das starke Bedürfnis, seine Hand zu versorgen. Das Blutsband? Hieß das etwa...?

Er kam näher und griff nach meiner linken Hand, aber ich zuckte ganz von selbst zurück und starrte ihn durch den hellen Schleier hinweg erschrocken an. Wollte er mir mit diesem Ding in die Hand schneiden?!

»Vertraut mir«, flüsterte er so, dass es niemand anderes hörte, außer ich.

Ihm vertrauen? Wie könnte ich das? Ich kannte ihn gar nicht und mit Vertrauen hatte ich mich schon immer sehr schwergetan. Dafür hatte man mir zu oft in meinem Leben weh getan, nicht nur körperlich. Seelisch war ich ebenfalls ein schieres Wrack und dabei war ich nicht älter als sechzehn Jahre. Und dennoch wurde es von mir verlangt. Tausende Menschen standen um uns herum und sahen uns an, warteten darauf, dass auch dieses Ritual vollzogen wurde, um die Heirat wirksam zu machen. Ich musste es tun, auch, wenn es mir barbarisch erschien, sich in die Hände zu hacken.

Ich schluckte meine Furcht ein stückweit hinunter und ließ meinen Arm locker, damit er meine Hand umfassen konnte. An meinem Handrücken spürte ich das heiße Blut des Mannes vor mir und atmete tief ein, als er die scharfe Klinge über meine Hand gleiten ließ. Heißer Schmerz schoss mir durch die Hand und das Brennen war bestialisch, doch ich zuckte jediglich zusammen. Er hob meine Hand an und legte unsere Handflächen aneinander, verflocht meine Finger mit seinen. Der Priester umwickelte unsere Hände mit einem seidenen Tuch, sodass sie aneinander gepresst wurden.

Ich schnappte nach Luft, als Blut zwischen unseren Händen hervor quoll und auf den Boden des Göttertempels tropfte. Nun waren wir nicht nur durch unser Gelübde verbunden, sondern auch durchs Blut. Und ich würde diese Nacht nicht zum letzten Mal bluten.

Der Priester löste endlich das Band von unseren Händen und wir bekamen mit Wasser getränkte Tücher, um unsere Hände vom Blut zu reinigen, dann kamen zwei geduckte Priesterinnen in weißen Roben zu uns und verbanden unsere Handflächen mit dünen Leinenstreifen. Sie huschten genauso schnell wieder davon, wie sie herbei gekommen waren, dann blickte der Priester uns auffordernd an.

»Und jetzt besiegelt Euren Bund durch einen Kuss!«

Ein Kuss?! Das hatte mir niemand zuvor gesagt! Dass ich den Prinzen irgendwann küssen würde, war mir bewusst gewesen, aber nicht, wenn uns tausende Menschen dabei zusahen. Besonders nicht, wenn meine Brüder dabei zusahen, die dort irgendwo zwischen den Menschen saßen und ebenfalls alles verfolgten. Tristan würde kochen, wenn er sah, wie mich Prinz Regan berührte.

Auf einmal war mir genau dieser Mann unglaublich nahe. Ich spürte die Wärme, die von ihm ausging und wir waren wieder alleine in dieser riesigen Halle. Die Menschen um uns herum existierten nicht, nur er war da. Sein großer, massiger Körper erschien mir die Zuflucht einer jeder Frau zu sein. Er könnte jede Frau haben und doch heiratete ich ihn heute. Ich durfte ihn küssen.

Regan blickte mich mit dunklen Augen an, seine Finger ergriffen den Rand meines Schleiers und hoben ihn über meinen Kopf, sodass ich ihm das erste Mal an diesem Abend richtig in die azurblauen Augen sehen konnte. Sein Blick wurde dunkler, als er auf meine Lippen gerichtet wurde. Auch meine Augen wanderten tiefer. Sein Mund war leicht geöffnet, sein warmer, minziger Atem traf mein Gesicht, so nahe war er mir auf einmal. Bestimmt waren meine Wangen feuerrot, als er seine Hände an meinen Hals legte. Sie waren so groß und ich fühlte mich nur winzig klein in seinen Armen. Wie von selbst schloss ich die Augen und spürte dann warme, weiche Lippen auf meinen Mund. Zuerst ganz zaghaft und sanft, dann fordernder, wilder, ausgehungerter.

Entfernt hörte ich Jubeln und Klatschen.

Wir waren rechtmäßig verheiratet. Meine Eltern hatten ihren Willen bekommen und auch König Ragnar hatte das, was er wollte. Eine junge Braut für seinen Sohn.

Ich keuchte an Regans Lippen auf und er nutzte die Gelegenheit, dass meine Lippen einen Spalt breit geöffnet waren. Sanft tastete er mit seiner Zunge meine Lippen ab und ich war in diesem Augenblick so überwältigt davon, dass dieser Mann, der zuerst einen bedrohlichen, abgeneigten Eindruck erweckt hatte, so sanft zu mir war, als könne er mich bei der kleinsten Berührung zerbrechen, dass ich den Mund willig öffnete. Seine Zunge strich über meine und feurige Hitze flutete meine Adern. Meine Hände umfassten seine Handgelenke, um Halt zu haben. Er wollte mich kaum loslassen.

Irgendwann löste er sich schwer atmend von mir und auch ich musste nach Luft schnappen. Seine Lippen waren geschwollen von unserem Kuss und seine Wangen wurden von einer leichten Röte erleuchtet. Ich wusste, dass ich mindestens genauso benommen aussah wie er. Er schluckte heftig, starrte mich noch immer an, wandte den Blick kein einziges Mal ab, als der Priester verkündete, dass wir nun verheiratet waren.

Selbst, wenn ich gewollt hätte, ich hätte nicht aufhören können, diesen wunderschönen Mann anzusehen. Dann ließ er mich langsam los, umfasste meine Hand und im nächsten Moment wurden wir auch schon von Gästen belagert, die uns zurück zum Bergfried führen wollten. Die ganze Zeit über hielt Regan meine Hand fest umklammert und ich fühlte eine Art des Schutzes, die ich noch nie gefühlt hatte.

Ich wusste selbst nicht, was ich von all dem halten sollte.

Eines wusste ich.

Es fühlte sich weitaus angenehmer an, einen Mann zu küssen, als ich mir in meinen Vorstellungen ausgemalt hatte.

Kapitel 16

 

Die Festhalle war wundervoll geschmückt. An den masiven Steinsäulen rangten sich Seidengirlanden und Blumen, die man diese Jahreszeit noch fand, entlang. Alles war in einem zarten Weißton gehalten und unterstützte die ausgelassene Stimmung bei der Hochzeitsfeier. Sogar Tische und Bänke sowie Stühle waren mit Blumen und Seidenbänder geschmückt. Auf den Tischen standen Kerzenhalter mit dicken Wachskerzen, die Licht und Wärme spendeten. In dem gewaltigen Kamin, über dem das große woberokische Banner mit dem schwarzen Raben in leuchtendem Dunkelgrün hing, prasselte ein großes Feuer und spendete Licht und fiebrige Hitze. Mägde und Diener trugen Bardas Köstlichkeiten zu den Tischen und den hungrigen Gästen. Sie stellten Tabletts, runde Teller, Platten, Holzbretter und Schalen mit Leckereien auf die ohnehin überfüllten Tische. Überall dampfte frisch gebackenes Brot auf großen Holzbrettern mit scharfen Brotmessern. Die Männer verteilten Brötchen, Fladenbrote und knustbrige Brotstangen, reichten Schüsseln mit Dinkelreis und großen schweren Nudeln herum und schaufelten bergeweise Kürbis und Kartoffeln auf die großen Silberteller. Auch große Töpfe mit Bardas Eintöpfen machten die Runde. Darin schwammen vor allem Kartoffeln, Kürbisse, Karotten und verschiedene Rüben herum und dem Duft nach zu urteilen hatte sie frische Kräuter hinzugefügt. Ich saß sogar gebratenen Fisch und die Keulen eines großen Vogels - vielleicht ein Truthahn - auf den Platten liegen und auf unserem Tisch stand sogar ein Spanferkel.

Mir lief das Wasser im Munde zusammen, als mich der Duft des Festmahls umwölkte. Während wir aßen und den Geschichten der Gäste lauschten, spielte im Hintergrund ein Minnensänger auf einer Laute und Flöten trällerten im Takt der Musik. Die Menschen unterhielten sich angeregt und im Moment machte keiner einen Unterschied zwischen Woberoker und Kartaner. Die Leibgardisten meiner Familie hatten sich zwischen den übrigen Gästen eingefunden und unterhielten sich, lauschten Geschichten und aßen und tranken, während sie ihre Aufgabe jedoch nicht außer Acht ließen.

Ich hob den Kopf von meinem prall gefüllten Teller und warf einen Blick die Tafel herunter. Prinz Regan saß direkt neben mir, daneben sein Vater und Lord Wilmer, mit denen er sich unterhielt. Ihnen gegenüber saßen Lady Dagmar und meine Mutter, die sich ebenfalls etwas zu erzählen hatten. Die Begrüßung mit meiner Mutter war sehr herzlich ausgefallen, als mein frisch angetrauter Gemahl und ich am Eingang zum Bergfried gestanden und die Gäste begrüßt hatten. Sie hatte mich fest in ihre Arme gezogen und der nur allzu vertraute Duft von Rosenöl hatte mein klopftendes Herz etwas beruhigt. Etwas weniger herzlich hatte mich Jeff begrüßt, denn er war jediglich mit einem anerkennenden Nicken an uns vorbei gezogen und hatte sich ins Innere der Festung begeben. Zwar hatte ich überhaupt nicht mit seinem Auftauchen gerechnet, aber seine kühle Art hatte mich dennoch etwas enttäuscht. Wenigstens zu meiner Hochzeit hätte er doch wenigstens so etwas wie Stolz auf seine kleine Schwester zeigen können...

Aber ich schob den Gedanken fort und ließ den Blick über Tristan gleiten, der am anderen Ende der Tafel saß und mit einem jungen Burschen redete. Er war alles andere als begeistert von meiner Heirat gewesen, das wusste ich. Wir waren uns vom Alter her näher, als ich mit irgendeinem meiner Brüder sonst war. Schon früher hatte Tristan mich ständig an sich kleben gehabt, weil sich sonst kaum jemand um mich kümmerte. Aus diesem Grund und, weil er nicht wusste, was er sonst mit dem kleinen Mädchen anstellen sollte, hatte er mir gezeigt, wie man mit einem Dolch umging. Heimlich hatten wir auf dem Heuboden der kartanischen Stallungen unseres Vaters geübt. Ich konnte die Tode der selbstgebauten Strohpuppe kaum zählen, die Tristan und ich abwechselnd erdolcht hatten. Für ihn war es sicher genauso unbegreiflich, dass ich nun eine verheiratete Frau war, wie für mich.

Ich schob mir noch ein Stück zarter Pute in den Mund und kaute langsam, während ich darüber nachdachte, was mir diesen Abend noch bevorstand. Das Fest hatte erst begonnen, aber schon in zwei Stunden, wenn mehr als die Hälfte der Gäste angetrunken waren, würde mich Prinz Regan auf seine Gemächer führen und die Beischlafzeremonie wäre die letzte Hürde, die unsere Verbindung noch nehmen musste, um rechtskräftig zu werden.

Plötzlich spürte ich warme Finger auf meinem Handrücken und ich fuhr erschrocken zusammen. Mein Blick begegnete dem meines Ehemannes und mein Herz schlug wieder schneller.

»Schmeckt Euch das Essen nicht?« Seine Stimme war rau.

Ich schluckte kräftig. »Doch... sehr gut sogar.«

»Aber Ihr habt kaum etwas gegessen.« Regan betrachtete meinen noch immer prall gefüllten Teller.

Ich wusste nicht, ob es an dem Gedanken lag, dass jeder in diesem Raum wusste, dass Regan noch heute mit mir schlafen würde oder, ob es der Gedanke an den Beischlaf an sich war, oder einfach das Gefühl, dass ich nun eine verheiratete Frau war, dass ich kaum Hunger hatte. Aber vielleicht hatte ich mir vorhin etwas zu übereifrig die gebackenen Kartoffeln, das Gemüse und das Fleisch auf den Teller geschaufelt. Dabei gab es ja auch noch Nachtisch, wie mir Freyer grinsend versichert hatte. Barda hatte angeblich die ganze Nacht an den Pasteten und Törtchen gesessen, die nach dem üppigen Mahl folgen würden.

»Es ist etwas warm hier drinnen, findet Ihr nicht?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

Regans tiefschwarze Augenbrauen hoben sich. »Meint Ihr?«

Ich nickte nur und wurde unter seinem intensiven Blick schon wieder rot. »Allerdings. Ich... ich werde mal kurz frische Luft schnappen gehen, bitte entschuldigt mich.«, sagte ich, als ich aus dem Augenwinkel beobachtete, wie Tristan sich erhob und sich einen Weg durch die Menschenmassen bahnte. So konnte ich wenigstens kurz mit ihm unter vier Augen sprechen und dem intensiven Blicken meines angetrauten Ehemannes entkommen. Und den Gedanken an meine bevorstehende Hochzeitsnacht.

Noch bevor Prinz Regan mir widersprechen oder mir befehlen konnte, sitzen zu bleiben, erhob ich mich und raffte mein Brautkleid, um die wenigen Stufen der Anhöhe hinunter zu steigen. Der Schleier war mir vor dem Festessen vor aller neugierigen Augen entfernt worden, sodass ich nur noch den Blumenschmuck im Haar trug. Ich durchquerte den Raum, versuchte dabei nicht allzu gehetzt zu wirken, aber ich musste mich beeilen, denn Tristan lief schnell. Die Gäste schenkten mir bei meiner Flucht kaum Aufmerksamkeit, denn die meisten von ihnen waren bereits zu angetrunken, um sich noch um etwas anderes zu kümmern, als um ihre eigenen Belangen.

Als ich den Bergfried verließ, schlug mir eiskalter Wind entgegen. Im Innenhof war es verhältensmäßig ruhig. Jediglich ein paar Wachmänner am Tor feierten mit einem Humpen Bier und duftendem Schinken meine Hochzeit. Sie alle mussten die Veränderungen bemerkt haben. Nun gab es Hoffnung auf eine glorreiche Zukunft durch die Verbindung unserer Königreiche. Sobald Harris den Thron bestiegen hatte, würde diese Hoffnung geschürt werden, denn im Vergleich zu unserem Vater, war er ein Mann von Ehre und Pflichtbewusstsein. Er würde Kartan zu dem Glanz verhelfen, den es früher hatte.

Mit den Augen suchte ich den Innenhof ab und fand Tristan in der Nähe des Stalles. Der Lärm des Festes war hier draußen kaum zu hören, die Musik dudelte stumpf zu mir herüber. Ich raffte mein Kleid und ging auf Tristan zu. Dabei erschauderte ich jedes Mal, da mich die kleinen Eiskristalle, die in diesem Moment vom Himmel fielen, auf meine nackten Schultern trafen und schmolzen.

»Tristan?«

Mein Bruder hob den Kopf. Sein Blick war glasig, seine Wangen gerötet und der Duft von starkem Wein wehte zu mir herüber. Er hatte getrunken. Und zwar nicht wenig. Tristan und Wein? Das war etwas ganz Neues. Obwohl eher Rickon derjenige war, der sagte, dass Wein bei der Jagd tabu war, weil er die Sinne trübte, hatte er ein Gläschen stets nicht ausgeschlagen. Jedoch Tristan hatte Alkohol immer schon abgelehnt. Zwar sagte er immer, dass er den Geschmack einfach nicht leiden konnte, aber ich wusste, dass er nicht trank wegen unserem Vater.

Tristan torkelte ein Stück weit zur Seite und stieß mit dem Arm gegen die hölzerne Wand des Stalls. »Was... tust du hier draußen, Kira?«

»Das Gleiche könnte ich dich fragen. Was ist los?«, stieß ich aufgebracht hervor, wollte einen Schritt auf ihn zu machen, aber er entzog sich meiner Hand sofort wieder. »Du benimmst dich den ganzen Abend schon seltsam, seit wir uns hier begrüßt haben! Du sagst kaum ein Wort zu mir.«

Er schüttelte den Kopf und kniff die Augen zu. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammen gepresst und ein Muskel trat an seinem Kiefer hervor, sodass ich ahnen konnte, dass er die Zähne fest zusammen biss.

»Was ist los?«, wiederholte ich.

»Du solltest wieder rein gehen. Dein Ehemann wartet sicher auf dich.«

Ich starrte ihn entgeistert an. Er betonte das Wort ›Ehemann‹ so abwertend, dass ich sofort roch, woher der Braten rührte.

»Bist du etwa wütend? Auf mich?!« Meine Stimme schnellte in die Höhe, ich konnte es kaum fassen. »Weil ich Prinz Regan geheiratet habe? Deswegen?«

Tristan schnaubte abfällig.

»Das ist nicht dein Ernst!«, fuhr ich ihn an. »Vater und Mutter haben mich zu dieser Ehe gezwungen! Ich habe nicht darum gebeten, einen zwölf Jahre älteren Mann zu heiraten, Tristan! Das weißt du. Warum verurteilst du mich?«

Seine grünen Augen mit den besonderen braunen Sprenkeln darin verengten sich augenblicklich. »In der Septe sah es allerdings nicht so aus, als würde dich irgendjemand zwingen, diesen Mann zu küssen.«

Mein Herz pochte wütend unter meinen Rippen und ich konnte ihn nur anstarren. Über meinen Armen schoss eine Gänsehaut, denn ich wusste, dass er recht hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte mich wahrlich niemand gezwungen, ihn zu küssen. Im Gegensatz, es hätte mich wahrscheinlich niemand abhalten können, ihn zu küssen. Meine Hände ballten sich dennoch zu kleinen Fäusten, wodurch der Schnitt in meiner Rechten begann böse zu pochen.

»Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen?« Meine Stimme war kaum zu hören. »Was mein Ehemann und ich tun, geht dich überhaupt nichts an, Tristan!«

Er packte meine Hand und drückte sie meinem Gesicht entgegen. »Das ist es, was er ist, Kira! Nichts anderes! Diese Menschen sind Barbaren, nicht anders als ihre Verwandten, die in Höhlen und Zelten in diesen Bergen dort leben! Sie sitzen hier in Burgen und Steinhäuser und tun so, als wären sie zivilisiert, aber sie sind Wilde! Haben nicht einmal die gleichen Götter wie wir! Erinnere dich daran, wenn er dich heute Nacht besteigt und sich deinen Schoß zu Eigen macht!«

Mein ganzer Körper zitterte, in meinen Augen brannten Tränen. Wie konnte er nur? Warum sagte er mir all diese Dinge? Wollte er, dass ich Prinz Regan verabscheute? Dass es noch schwerer für mich wurde, seine Frau zu sein? Es war so schon schwer genug für mich gewesen, meine Heimat zu verlassen, meine geliebten Brüder zu verlassen. Alles hatte ich zurückgelassen, weil meine Eltern es so gewollt hatten. Und nun machte er mir einen Vorwurf, dass ich meine Pflichten erfüllte.

Ich wandt mich in seinem festen Griff und konnte meinen Arm von ihm losreißen. »Fass mich nicht noch einmal an.«, knurrte ich. »Und, wenn du noch einmal darüber sprichst, was mein Mann und ich im Schlafzimmer tun, bist du ab sofort für mich gestorben.«

Tristan schnaubte wütend, drehte sich wortlos um und torkelte davon. Ich wusste nicht, ob ich sein Verhalten damit erklären konnte, dass er eine Menge getrunken haben musste und er diese Mengen an Wein nicht gewohnt war, oder, ob er tatsächlich klar im Kopf war und wirklich der Meinung war, ich hätte einen Barbaren geehelicht. Niedergeschlagen ließ ich in jedem Fall die Schultern hängen und seufzte leise. Das war alles so viel für mich, dass ich mich am liebsten verkrochen hätte und weinen würde. Ein Kloß saß mir in der Kehle, schwoll zu einem dicken Klumpen an und in meinem Kopf saß ein gemeines Pochen. Die stickige Luft, der Duft nach Wein und Schweiß in der Festhalle und die Ereignisse des Abends forderten ihren Tribut. Ich war völlig ausgelaugt und wünschte mich am liebsten in meine ruhige Kammer an meine Staffelei. Dabei stand mir meine schwerste Prüfung am Abend noch bevor.

Ich atmete einmal tief durch.

Tristans Worte hatten mich in die Realität zurückgeholt. Für einen winzigen Moment hatte ich geglaubt, den Gedanken an meine Hochzeitsnacht verfliegen lassen zu können, aber er hatte mich daran zurückerinnert. Wie abwertend er darüber gesprochen hatte, saß mir jetzt noch in den Knochen. Müde rieb ich mir die Oberarme, bevor ich den Rock raffte und zurück in die Festhalle ging. Dort waren die meisten Gäste nun aufgestanden und unterhielten sich oder tanzten wild um die Musiker herum. Schlängelnde Körper schmiegten sich an steinharte Muskeln und die verschiedenen Düfte der Ladys umwölkten mich.

Ich blieb kurz stehen, um mich zu orientieren und hob überrascht die Augenbrauen, als ich Freyer in einer kleinen Niesche entdeckte. Und zwar mit meinem Bruder. Rickon stand ganz nahe bei ihr, sie hielten beide verzierte Kelche in der Hand, tranken und unterhielten sich angeregt. Freyers Augen glitzerten wie Sterne, wenn er etwas sagte und plötzlich wurde mir ganz warm bei diesem Anblick. Auch mein Bruder schien von der quirligen Cousine meines Mannes begeistert zu sein, denn auf seinen Lippen lag ein Lächeln, dass ich bisher nicht kannte. Natürlich hatte ich als kleine Schwester meines Bruders schon einiges mitbekommen, was die Beziehungen zu Frauen meiner Brüder anging. So hatte ich schon bemerkt, dass Rickon ein oder zwei Mädchen gehabt hatte, aber, dass er so verträumt dreinblickte, das kannte ich gewiss nicht. Und mit einem Mal sagte mir eine kleine Stimme, dass es gut war. Freyer war ein schönes Mädchen. Ihr feuerrotes Haar zog sicher viele Männerblicke auf sich und ihr wohlgeformter, weiblicher Körper war die Versuchung eines jeden Mannes. Doch ihre schönen, hellgrünen Augen waren die Fenster ihrer Seele. Und genau diese schien mein sonst so ruhiger, beherrschter Bruder im Moment öffnen zu wollen.

Ich musste bei dem Anblick ein wenig lächeln. Die beiden würden in der Tat sehr gut zusammen passen. Freyer war wild und aufgedreht und Rickon besaß die Besonnenheit, ihr Feuer zu zügeln.

»Kira«, riss mich eine allzu bekannte Stimme aus den Gedanken.

Ich fuhr herum und blickte in die tiefgrünen Augen meiner Mutter. Mein Herz machte ein paar Hüpfer, als ich einen ruhigen Knicks vollführte. In der Öffentlichkeit würde sie mir niemals so viel Zuneigung entgegen bringen, wie sie mir in dem Moment meiner Abreise zugebracht hatte. In meinen Gemächern war niemand gewesen, niemand hatte diesen intimen Moment zwischen uns gesehen oder gehört. Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass dies der einzige Moment in meinem Leben gewesen war, den ich so mit ihr erlebt hatte. Nie wieder würde ich eine ähnliche Situation erleben.

»Wir hatten noch keine Gelegenheit zu reden.«, erklärte sie mir.

Ich neigte leicht den Kopf. »Gewiss nicht, Mutter. Ich wollte schon den ganzen Abend mit Euch sprechen. Was ist mit Harris? Warum ist er nicht hier?«

 

 

Seine Handflächen waren feucht und in seiner Brust hämmerte sein Herz so heftig, wie lange nicht, als seine kleine Braut aufstand, ohne seine Erlaubnis einzuholen und einfach davon eilte. Sie bahnte sich einen Weg durch die Massen hindurch und irgendwann verschwand ihr mit Blumen geschmücktes Haupt zwischen den anderen feiernden Gästen. Er presste die Zähne aufeinander und starrte auf seine rechte Hand hinunter. Unter der blütenweißen Bandage brannte der Schnitt des Ritualdolches noch immer etwas, besonders jetzt, wo er an den Moment dachte, wo sich ihre Schicksale verbanden. Von nun an war er nicht nur durch seine Ehe, sondern auch durch sein Blut mit diesem Mädchen verbunden.

Seine kleine Braut... nein, seine kleine Frau. Sie war seine kleine Frau.

Götter, wie er sie geküsst hatte im Göttertempel. Es war ihm plötzlich so gleich gewesen, dass hunderte Menschen ihnen zugesehen hatten. Es hatte plötzlich nur noch dieses kleine Geschöpf vor ihm gegeben, das in diesem reinen weißen Kleid, das perfekt ihre zierliche Figur umschmeichelt hatte, im Licht des Vollmondes gestrahlt hatte. Er musste sie küssen, ansonsten wäre er verreckt. Es hatte sich richtig angefühlt, wie sie sich an seinen harten Körper geschmiegt hatte, ganz weich und warm in seinen Armen geworden war. Was machte dieses kleine schüchterne Ding nur mit ihm?

»Gaff ihr doch nicht hinterher, als wärst du ein Köter, dem man den Schinken vor die Nase hält«, lachte Raphael plötzlich neben ihm und ließ sich auf den freigewordenen Stuhl fallen. Er schnappte sich die Gabel, die zuvor Akira benutzt hatte und schaufelte sich ihr Essen in den Mund.

Regan ballte seine Hand zur Faust. »Wie ich meine Frau ansehe, ist doch wohl meine Sache.«

Raphael hob unschuldig die Hände. »Ich meine nur. Du musst sie nicht mit Blicken verschlingen, schließlich hast du sie diese Nacht eh für dich ganz allein.«

»Hm«, machte er nur, denn da war er sich noch nicht so sicher. Natürlich würde er sich sofort auf sie stürzen, wenn es ginge, doch aus irgendeinem Grund, wollte er das nicht. Er wollte nicht wie ein geiler Hund wirken, der sich das nahm, was ihm zustand, nur, weil sie verheiratet waren. Er wollte... dass sie es auch wollte. Dessen war er sich noch nicht vollkommen sicher. Zwar hatte sie ihn im Göttertempel geküsst, als wäre er der einzige Mann auf der Welt, aber er konnte noch nicht einschätzen, ob sie eventuell nur gut geschauspielert hatte für ihre Familie.

»Warum wirkt es auf mich so, als hättest du gar nicht vor, die Kleine flachzulegen?«

Regan warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Lass mich einfach, kapiert? Was ich mit meiner Frau mache, geht dich nichts an!«

»Schon gut, schon gut. Ich sehe schon, dieses kleine Ding hat dir ordentlich den Kopf verdreht. Ach... sieh mal, wer da kommt!«, Raphael sprang auf, als eine schwarzhaarige Schönheit zu ihnen auf die Anhöhe schritt. Das wundervolle grüne Kleid umspielte ihre Kurven und man sah die kleine Wölbung in ihrem Unterleib deutlich hervor blitzen.

»Esme«, sagte Regan leise.

Seine Schwester lächelte. »Du sagtest doch, wir sehen uns zu deiner Hochzeit! Hier bin ich! Leider etwas zu spät, aber...«

»Das ist völlig egal. Du bist hier, das ist alles, was zählt«, raunte er, sprang auf und umarmte sie. Er wirbelte sie einmal im Kreis herum. Als er sie wieder abstellte, waren ihre Wangen gerötet und ihr Atem ging schneller. Er musste zugeben, dass die Schwangerschaft ihr stand, sie wurde seltsamerweise immer schöner. Unweigerlich musste er an seine kleine Frau denken. Noch konnte er sich nicht vorstellen, dass sie seine Kinder im Leib tragen und gebären würde.

»Du siehst nachdenklich aus, Regan.«, sagte sie leise, damit nur er es hören konnte.

Er schüttelte kurz den Kopf. »Lass uns nicht darüber sprechen, Esme. Wo ist Caspian?«

Auf einmal sackten Esmes Schultern herab und sie seufzte. »Er kam nicht mit mir. Er zog es vor, auf Ikard zu verweilen mit unserem Sohn zusammen.«

»John ist nicht hier?«

Sie schüttelte den Kopf. Ihm fiel plötzlich auf, dass sie viel dünner geworden war, im Vergleich zu seinem letzten Wiedersehen mit ihr. Aß sie nicht? Sie war eigentlich schon immer eine weibliche Frau gewesen, mit Rundungen an den passenden Stellen, doch sie war niemals dürr gewesen. Aber nun sah sie beinahe so klein und zierlich aus, wie seine Braut.

»Hast du heute schon etwas gegessen?«

Esme wich seinem intensiven Blick aus, der nach Antworten verlangte. Sofort merkte er, dass ihr das Thema unangenehm war, denn er hatte sie auf frischer Tat ertappt. Augenblicklich packte er ihren Arm und zog sie zum Tisch. Er setzte sie auf den Platz, auf dem Prinzessin Akira gessen hatte, schob den Teller beiseite, den Raphael geleert hatte und zog einen neuen heran. Raphael war bereits zwischen den Gästen verschwunden, was Regan ganz recht war, da es schon immer eine seltsame Situation zwischen ihm und seiner Schwester gewesen war. Regan wusste, dass Raphael sie einmal sehr vergöttert hatte und, dass sich die beiden auch heimlich getroffen hatten. Doch, seitdem der König sie an Caspian gegeben und sie Woberok verlassen hatte, war Raphael verbitterter geworden und der Tod seiner eigenen Schwester hatte das nicht unbedingt verbessert. Wahrscheinlich war es nicht einfach für ihn, zu sehen, dass Esme nun zum zweiten Mal ein Kind empfing.

Regan schaufelte einen Haufen kleiner Babykartoffeln auf den Teller und reichte dazu gebratenen Fisch und Bohnen. Er wusste, dass Esme Fisch liebte. Doch, als er den Teller vor ihr abstellte, sah sie mit wenig Begeisterung auf das Essen.

»Was ist los, Esme?«

Sie wandt sich unter seinem eindringlichen Blick. »Nichts, Regan. Alles ist gut.«

»Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt!«, fuhr er sie an und griff nach ihrem Handgelenk.

Sie zuckte augenblicklich zusammen und kniff die Augen zu. Hatte sie Schmerzen? In der gleichen Sekunde, in der ihm das durch den Kopf schoss, zerrte er den Ärmel ihres Kleides ein Stück höher und starrte benommen auf die grünlich verfärbten Fingerabdrücke an ihrem Unterarm. Jemand musste mit solch ungeheurer Kraft zugedrückt haben, dass davon blaue Flecken übrig geblieben waren. Ihn packte eine ungeheure Wut. Hatte Caspian sie verletzt, weil er ihm gedroht hatte? Hatte er es mit Absicht getan?

»War das Caspian?«

Esme starrte ihn mit ihren schönen eisblauen Augen an. Eine tiefe Traurigkeit lag in ihrem Blick und er fürchtete, dass sie auf ihrem Körper noch mehr Male trug. Doch irgendwas sagte ihm, dass das nicht alles war. Es gab noch etwas anderes und das schien sie ihm verheimlichen zu wollen.

»War er es?«, hakte Regan nach.

Wieder schüttelte sie den Kopf. »Können wir über etwas anderes reden? Meine Ehe geht dich nichts an, Regan.«

»Wenn er dich schlägt geht mich das auf jeden Fall etwas an, Esme!«, stieß er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, die Feier um sie herum und seine Hochzeit mit dem kartanischen Mädchen war wie weggeblasen.

Sie funkelte ihn an und zerrte den Ärmel des Kleides wieder herunter. »Lass es, Regan. Caspian schlägt mich nicht und damit ist das Thema beendet.« Seine Schwester stand so ruckartig auf, dass der Stuhl beinahe umkippte, dann rauschte sie davon, verschwand zwischen den feiernden Gästen und ließ ihn verwirrt und teilweise wütend zurück. Was sollte das heißen, Caspian schlug sie nicht? Wer tat ihr dann diese grauenhaften Dinge an?

Regan runzelte die Stirn und grübelte noch eine Weile darüber nach. Und wieder hatte sie nichts gegessen.

Nach einer Weile fiel ihm auf, dass seine Frau ebenfalls schon sehr lange fort war. Suchend blickte er sich in der Festhalle um, entdeckte seinen Vater am anderen Ende der Halle, wie er mit einigen Männern redete und eine junge Magd auf dem Schoß hatte, die ihm wahrscheinlich süße Worte ins Ohr säuselte. Genervt suchte er weiter, erkannte den seltsam stillen Bruder seiner Frau in einer Ecke sitzend über einem Buch hängen. Regan fragte sich, wie er sich bei dem Lärm konzentrieren konnte.

Schließlich entdeckte er das weiße Gewand seiner kleinen Frau in Mitten der Menschenmassen. Sie sprach mit der Königin Kartans, ihrer Mutter. Ihr Gesicht wirkte betrübt und ihre Schultern sackten herab, als die Königin etwas zu ihr sagte. Er runzelte die Stirn und machte sich auf den Weg zu ihr. In der Nähe fing er ein paar Wortfetzen auf.

»... wünschte, Harris wäre hier. Er hat versprochen bei mir zu sein, wenn ich...«

Harris? Wer war das?

Regan blieb stehen, sodass die beiden Frauen ihn nicht sehen konnten. Ihre Haltung und ihr Gesichtsausdruck verrieten, dass sie unglücklich darüber war, dass dieser besagte Harris nicht da war. Auf einmal kam ihm ein furchtbarer Verdacht und er spürte heiße Wut in sich. Hatte sie etwa...? Es war nicht abwegig, schließlich hatte seine eigene Schwester schon vor ihrer Ehe etwas mit Raphael gehabt. Sie hatten zwar nie das Bett geteilt, aber sie hatten sich geküsst, das wusste er. Einmal hatte er die beiden beobachtet und war ausgerastet. Das war das erste Mal gewesen, wo er Raphael die Nase gebrochen hatte, danach hatten sich die beiden jedoch ganz schnell wieder vertragen. Aber... wer wusste, ob Prinzessin Akira nicht auch eine Liaison mit diesem Harris hatte. Wer er wohl war? Ein Soldat? Ein einfacher Bediensteter? Und... wenn die beiden mehr geteilt hatten, als nur Küsse?

Kurzerhand trat er zu den beiden Frauen, die er um einiges überragte. »Darf ich mich dazu gesellen?«

Seine Frau hielt den Atem kurz an, ehe sie schüchtern nickte. Auf ihren Wangen befand sich wieder ein leichter rötlicher Schleier, was ihn sofort wieder an seine bevorstehende Hochzeitsnacht erinnerte. Sofort stellte er sich vor, wie ihr zierlicher nackter Körper unter ihm lag und ihre Wangen eine ebenso rote Farbe hatten, wenn er sie überall streichelte und küsste. Beinahe war der Streit mit Esme vergessen.

Die Königin lächelte ihn leicht an. »Das Fest ist wirklich sehr schön. Die Diener haben sich mit dem Schmücken alle Mühe gegeben.«

Regan neigte den Kopf. »Allerdings. Tag und Nacht sind sie hier herum geschwirrt.«

Auf einmal wurde im Raum alles still, als der König laut in die Menge rief. Allen war klar, was nun folgen würde.

»Jetzt wird es Zeit, dass das frisch angetraute Ehepaar, die Beischlafzeremonie vollzieht, damit die Ehe ihre Gültigkeit bekommt! Also mein Sohn, führe deine Braut auf deine Gemächer!« Manche Worte konnte sein Vater von dem vielen Wein schon kaum mehr aussprechen. Die übrigen Gäste, die in etwa genauso angetrunken waren, gröhlten und lachten, machten anzügliche Bemerkungen.

»Nimm sie dir!«

»Mal sehen, ob sie danach gut eingeritten ist!«

Regan spannte den Kiefer an, dann sah er auf das Mädchen herunter. Sie atmete schwer und er konnte das Pochen ihres Herzens an ihrem Hals erkennen. Ihr musste das Herz rasen, so aufgeregt war sie. Sanft fasste er ihre Hand und sie starrte ihn augenblicklich an. Diese grünen Augen faszinierten ihn zutiefst. Sie hatten etwas Magisches, Verborgenes, Geheimnisvolles. Sie musste Unmengen von Geheimnissen hüten und alles in ihm verlangte danach, diese zu erfahren.

Er schob seine Finger in ihre, die so zierlich und klein waren, dass er ihre Hand fast verschluckte. Sie klammerte sich an ihn, atmete noch immer schnell und aufgeregt, als er sie sanft mit sich zog. Als die beiden dem Rest der Menge den Rücken zukehrten, begann leise die Musik wieder. Die beiden hatten eine Aufgabe zu erledigen, während die restlichen Menschen ihre Hochzeit feierten.

Als er am Durchgang mit ihr angelangte und hindurch ging, der direkt zu seinen Gemächern führte, stand dort Igred und funkelte ihn hasserfüllt an. In diesem Moment flammte ein Zorn in ihm auf, den er nicht kannte. Sie verurteilte ihn dafür, dass er Prinzessin Akira geheiratet hatte. Sie verurteilte ihn dafür, dass er nun mit ihr in seine Gemächer ging, um mit ihr zu schlafen und die Ehe zu vollziehen. Im Moment verurteilte sie ihn für alles. Aber er fühlte einen heißen Trotz in sich. Er musste sich vor seiner ehemaligen Geliebten nicht rechtfertigen.

Sie gehörte zu seiner Vergangenheit.

Akira war seine Zukunft.

Kapitel 17

 

Mein Herz wummerte in meiner Brust, meine Hände waren klamm und mir saß kalter Schweiß im Nacken, als Prinz Regan mich bei der Hand nahm und mich aus der Festhalle führte. Niemand begleitete uns, was seltsam war, da in meiner Heimat für gewöhnlich ein Zeuge hinterher kam und vor der Tür wartete. Das schien mir erspart zu bleiben - allein der Gedanke, uns würde jemand beim Geschlechtsakt zuhören, hatte mich halb ohnmächtig werden lassen -, doch das beruhigte mich nur minimal. Die Gäste schien es jedenfalls kaum zu interessieren, was mir nun bevorstand, denn sie feierten weiterhin lautstark unsere Hochzeit, kümmerten sich wieder um sich und das Buffet. Jediglich meine Mutter sah mir mitleidig hinterher und in diesem Moment wusste ich, dass sie in Gedanken bei mir war. Bei dem, was nun geschehen würde.

Wir liefen an mehreren Gästen vorbei, wobei ich mich so fest an Regans Hand klammerte, dass ich sie eigentlich zerdrücken müsste, doch wahrscheinlich merkte er den Druck kaum, so winzig wie meine Hand in seiner lag. Schließlich gelangten wir in den langen Gang, der direkt an die Eingangshalle angrenzte und stiegen drei kleine Stufen hinauf, wobei ich den langen Rock anheben musste, um nicht zu stolpern. Und dann öffnete Prinz Regan die Tür und schloss sie hinter mir, als ich in den Raum dahinter eingetreten war.

Benommen blinzelte ich im dämmrigen Halblicht. Meine Augen untersuchten den Raum. Es war ein weitläufiges Schlafgemach. Zu meiner Rechten stand ein gewaltiges Bett, dessen Himmelgestell beinahe bis an die Decke reichte. Dunkelgrüne, seidende Vorhänge, die leicht tranzparent waren, hingen ordentlich mit goldenen Seilen umbunden an den Seiten und gaben den Blick auf das frische Bettzeug frei. Weiße Laken und Kissen waren aufgeschüttelt worden und die große, grüne Überdecke war so glatt gestrichen worden, dass keine einzige Falte mehr zu sehen war. Darüber hing das Banner seines Hauses. Zu beiden Seiten des Bettes standen dicke, klobige Nachttische aus dunklem Holz, darauf Kerzenhalter, die das Bett erleuchteten. Gegenüber dem Bett befand sich ein Kamin, in dem ein kleines Feuer prasselte, um den Raum zu wärmen. Auf dem Sims standen Bücher ordentlich in einer Reihe, darüber hing ein gewaltiges Hirschgeweih als eine Art Trophäe. Vor dem Kamin lag ein plüschiges Fell, daneben stand ein hoher Sessel, in den man sich schmiegen konnte, wenn einem danach war. Hinter einer Trennwand sah ich den Rand eines Badezubers hervorblitzen. Insgesamt war es recht gemütlich eingerichtet, doch das minderte meine Aufregung und Nervosität nicht.

»Das... sind Eure Gemächer?« Meine Stimme klang unsagbar dünn, in dem Versuch, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Ich kannte ihn doch kaum, jediglich der Kuss im Göttertempel hatte eine Art Verbindung zwischen uns geschaffen, doch worauf sollte man das aufbauen? Meine Handflächen rieben aneinander, während ich beobachtete, wie er zu einem Tisch hinüber ging, auf dem ein Krug und zwei Kelche standen.

Er nickte abwesend, während er tiefroten Wein in die beiden Kelche eingoss. »Ja. Gefällt es Euch?«

Überraschenderweise musste ich nicken. Es gefiel mir in der Tat. Es war warm eingerichtet, wirkte nicht so prunkvoll, wie ich es erwartet hatte, aber prunkvoll genug für ihn. »Ja. Es ist gemütlich.«

»Es werden nach dieser Nacht auch Eure Gemächer sein.«, sagte er und reichte mir den zweiten Kelch.

Meine Hände zitterten so stark, dass ich ihn beinahe fallen ließ und den Wein auf mein weißes Kleid verschüttet hätte. Den Göttern sei Dank hatte ich noch so viel Kraft, eben das nicht zu tun. Unsere Fingerspitzen berührten sich dabei nur einen winzigen Augenblick, doch das genügte, um es mir heiß und kalt den Rücken hoch und runter fahren zu lassen.

Mein Magen kribbelte und mein Herz wummerte so stark, als er so nahe vor mir stand. Ich konnte die Hitze seiner Haut in der Luft und seinen intensiven blauen Blick auf mir spüren, während ich den Kelch in meinen Händen anstarrte. Meine Fingerkuppen betasteten die Erhebungen und Absenkungen der woberokischen Runen darauf, nur, um etwas zu tun zu haben. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Innern, denn das Bild des grausamen Barbaren, das meine Kindheit über geschürt wurde, wollte noch immer nicht vollständig vergehen. Unsere erste Begegnung war seltsam gewesen und ich wusste nicht, was genau er von mir hielt. Tat er alles nur aus der Pflicht seinem Land gegenüber heraus? Die Heirat, die Fragen, die scheinbare Freundlichkeit? Ich wusste nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Mal war er kühl und warf mir einen Blick zu, als wäre ich ihm unglaublich lästig, auf der anderen Seite sah er mich mit einem seltsamen Blick an, der mein Herz höher schlagen ließ.

»Trinkt, Prinzessin.«, befahl er mir plötzlich.

Ich fuhr zusammen, hob kurz den Kopf und starrte in das intensive Azurblau seiner Augen. Er deutete mit einem Nicken auf meinen Kelch. Ich tat, wie er befahl und setzte den Kelch an meine Lippen, dabei sah ich aus dem Augenwinkel, dass er mich ganz genau beobachtete, wie bei dem Ritual im Göttertempel von Woberok. Ich verzog das Gesicht, als ich den brennenden Wein auf der Zunge schmeckte und er mir siedend heiß den Rachen hinunter rann. Kurz hustete ich und schluckte heftig.

Er lächelte leicht. »Ihr seid Weinbrand wohl nicht gewohnt, Prinzessin.«

Ich schüttelte den Kopf. »Gewiss nicht«, krächzte ich heiser und beließ den größten Teil der bernsteinfarbenden Flüssigkeit in dem Kelch.

»Ich habe in meinem Leben sicher schon so viel davon getrunken, dass es nicht einmal in den Burggraben von Woberok passen würde.«, murmelte er und kippte den Inhalt seines Kelches in einem einzigen Zug hinunter.

Bei den Göttern, war er etwa ein Säufer? Den Anschein hatte er mir zwar nicht gemacht, aber seine Worte behaupteten ja wohl das Gegenteil. Unsicher stellte ich meinen noch vollen Kelch auf den Esstisch und blieb nervös stehen. Meine Finger umklammerten sich, wobei mir das Kleid allmählich entsetzlich eng und schwer vorkam. Wie sollte ich diesen Abend nur überstehen, wenn er das belanglose Reden einstellte, um zum wahren Grund zurückzukehren, weshalb wir in seinen Gemächern standen.

»Warum?«, fragte ich leise, um die Unterhaltung noch ein wenig aufrecht zu erhalten.

Regan drehte nachdenklich den Kopf und beobachtete meine Bewegungen ganz genau. Seine Miene verdüsterte sich und auf einmal hatte ich Angst, etwas falsch gemacht zu haben.

»Die Nächte dort draußen sind kalt und, wenn man kein Feuer oder Essen hat, dann wärmt uns der Weinbrand die Bäuche.«, sagte er mit rauer, tiefer Stimme. Natürlich, ich hätte mir denken können, dass er das meinte. Er roch nämlich nicht nach Alkohol, sondern nach Nordmann: Kiefer, Zitrusgras und ein Hauch von frischem Schweiß. Eine berauschende Mischung. Ich hätte wissen müssen, dass die Nächte draußen als Soldat nicht leicht waren und man nicht immer etwas warmes zu Essen oder genug Holz für ein wärmendes Feuer hatte, sondern, dass sich die Männer auch mit Satteldecken und Stofffetzen umhüllen, aneinander kauern und den Weinbrand tranken, um sich zu wärmen. Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass er keineswegs ein einfacher Prinz war, der seinen sauberen Hintern auf einen Stuhl positionierte und sich bedienen ließ. Nein, er war ein Woberoker, ein Krieger. Nun begriff ich auch, weshalb ich, als Frau, lernen musste, seine Wunden zu versorgen und in der Küche zu helfen. Wenn sich nur Heiler um Wunden kümmern würden, hätte Kovir den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Schnittwunden zu nähen. Eine Frau musste ihren Mann versorgen können, genauso, wie er sie mit Schutz, Nahrung und Gütern versorgte. Unser Tribut für die Ehe war es den Mann medizinisch zu versorgen, ihm einen Erben zu schenken und eine Einheit mit ihm zu bilden.

Es schien mir so viel mehr in einer woberokischen Ehe zu geben, als nur des Mannes kleines Püppchen zu sein und seine Kinder auszutragen. Ich hatte auf der Feier Lady Dagmar und Lord Wilmer beobachtet. Sie waren sehr liebevoll miteinander umgegangen, hatten sich ständig berühren müssen und er hatte sie mehr als ein Dutzend Mal auf die Wange geküsst. Und das in ihrem Alter mit einer jungen Tochter. Ich wusste nicht, ob mir das Hoffnung darauf geben sollte, dass meine Ehe mit Prinz Regan genauso harmonisch sein würde.

»Seid Ihr oft... in den Nächten dort draußen?«, murmelte ich, ohne wirklich über meine Worte nachgedacht zu haben.

Er warf mir einen intensiven Blick zu. »In meinem bisherigen Leben schon«, erwiderte er und trat einen Schritt auf mich zu. »Aber... der König wird mich jetzt wohl kaum mehr so oft raus lassen, wenn ich hier daheim ein Weib habe, das auf mich wartet.«

Langsam nickte ich mit dem Kopf, weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Ja, er hatte jetzt eine Frau. Mich. Und ich würde warten, immer. Das war meine Pflicht. Es wurde von mir erwartet.

Plötzlich berührten Regans Finger meinen Arm und ich fuhr abermals an diesem Abend zusammen. Ich hob den Kopf und sah direkt in seine stechend blauen Augen, die mich so intensiv ansahen, wie noch niemand zuvor in meinem Leben. Seine Hand auf meiner Haut ließ mich erschaudern und mein Herz, das sich durch unser Gespräch etwas beruhigt hatte, bekam neue Energie und pochte wild in meiner Brust.

Er wandte den Blick auf seine Hand, die unter den Stoff der Schulterflügel an meinen Armen glitt bis zu meinem Oberarm und dort verweilte. »Wir sollten zu Bett gehen.«, raunte er.

Ich verschluckte mich beinahe an der Luft, die ich einatmete. Obwohl er bisher sehr höflich war und das Gespräch auch mehr oder weniger normal war, überkam mich plötzlich eine Welle der Panik. Jetzt war es soweit. Er würde mich zu seinem Bett führen und wir würden die Ehe vollziehen. Mir wurde auf einmal ganz kalt und ich zitterte vor Furcht, als ich pflichtbewusst nickte und um Worte rang. Meine Hände hatten sich verkrampf und rieben nervös übereinander und ich hoffte inständig, dass er gnädig mit mir sein würde. Dass er es schnell machen würde.

»Ich...«, stammelte ich und sah ihn an. »Ihr müsst das Kleid lösen.«

»Das Kleid?«, fragte er verwundert.

Ich nickte abermals und auf einmal erfasste mich eine innere Ruhe, die ich nicht kannte. Mein Körper war nicht annähernd so ruhig, wie mein Verstand. Dinge, die getan werden mussten, sollten getan werden. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Was blieb mir anderes übrig, es zu akzeptieren? Hier drin war ich mit einem Mann in einem Raum eingesperrt, der sicher dreifach so stark war, wie ich und dort draußen warteten genug Männer, dass die Ehe zwischen uns vollzogen wurde. Ich konnte nicht entkommen, auch, wenn ich es so sehr hoffte.

Mein Körper jedoch sah das alles nicht so rational wie mein Kopf, denn ich zitterte wie Espenlaub, in meinem Nacken bildete sich kalter Schweiß und mein Herz wollte mir glatt aus der Brust springen.

»Ich kann es nicht alleine ablegen... die Schnührung.«, flüsterte ich angsterfüllt, drehte mich langsam um, so schnell, wie es mir meine schlotternden Knie erlaubten und deutete auf die Korsage.

Ich hörte ihn hinter mir atmen, spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken, doch er zögerte. Ich wollte mich schon wieder herum drehen und fragen, ob etwas nicht stimmte, aber da ergriff er schon die Bänder des Mieders und begann es zu öffnen. Schwer atmend starrte ich auf den Branntwein und befand es, als keine schlechte Idee, das brennende Gesöff doch auszutrinken. Kurzerhand griff ich nach meinem Kelch und stürzte die bernsteinfarbene Flüssigkeit in wenigen Zügen jauchzend hinunter, während ich spürte, wie meine Brüste immer mehr an Halt verloren. Auf einmal hielt er inne und für einen Moment passierte gar nichts, bis ich seinen Daumen auf meinem blanken Rückgrat spürte und nach Luft schnappte.

Eine Gänsehaut bildete sich auf meinem Rücken.

Beinahe sanft schob er mir das Hochzeitskleid von den Schultern, samt des Unterkleides, der Kissenpolster und allem, was dazu gehörte. Jediglich meine Strümpfe umschlangen nach wie vor meine Beine bis zur Hälfte meines Oberschenkels. Kühle Luft streifte meine Brustwarzen, als das Kleid sich schließlich um meine Knöchel bauschte und ließ sie sich aufrichten. In einem Anflug von Panik presste ich meine Handflächen so fest auf meine Brüste, wie ich konnte. Ich zitterte noch immer wie verrückt und konnte es einfach nicht unterdrücken, so sehr ich es auch versuchte.

»Ihr zittert«, sagte er leise und seine Finger berührten meinen Nacken.

Ich presste die Lippen aufeinander, denn, wenn ich versucht hätte, zu sprechen, wäre vermutlich nur ein klägliches Schluchzen heraus gekommen. Auf einmal spürte ich etwas kühles auf meiner rechten Wange und begriff mit Entsetzen, dass es der Lufthauch auf einer Träne war, die mir die Wange hinab floss. Bei den Göttern, wie konnte man nur solch eine Angst empfinden? Das war doch lächerlich, oder? Tausende, Millionen von Frauen vor mir hatten das durchgemacht, wieso nur war es so schwierig für mich?

Hinter mir hörte ich, wie Prinz Regan sich bewegte, dann sah ich, wie er um mich herum ging. Er hob die Hand und ich befürchtete schon, dass er mich für mein furchtbares Verhalten rügen würde, aber er ließ jediglich den Daumen über meine Wange gleiten und wischte die Träne somit fort. Doch sein Gesichtsausdruck wirkte alles andere als sanft und freundlich. Es wirkte verschlossen, beinahe gleichgültig.

Er sah mir in die Augen, wobei sein Blick eisig war und scheinbar weit entfernt. Wie hätte ich auch denken können, dass er verständnisvoll wäre, mir die Angst nehmen würde. Nein, daran war nichts schön. Gar nichts. Es war nur dazu da, damit die Männer einen angenehmen Zeitvertreib hatten, aber für die Frauen gab es nichts.

»Legt Euch auf das Bett.«, befahl er mir.

Ein stechender Schmerz durchfuhr meine Brust. Die Kälte seiner Stimme sagte mir schon alles, was ich in diesem Moment wissen musste. Für ihn war das Pflicht. Kein Vergnügen, keine schöne Verbindung. Das alles, die Feier, die Rituale im Göttertempel, alles war Pflicht. Ich nickte, spürte das Zittern meiner Lippe, als ich nach Luft schnappte und spürte noch mehr Tränen meine Wangen hinunter flossen. Aber ich riss mich so gut es mir möglich war, zusammen und führte seinen Befehl aus, indem ich meine Füße zwang, sich in Bewegung zu setzen.

Der Stoff war beinahe warm an meiner eiskalten Haut, als ich umständlich, nur um nicht noch mehr von meinem unverhüllten Körper preiszugeben, auf das Bett kroch. Er hatte ohnehin schon meine blanke Mitte und meinen Hintern gesehen, aber ich wollte nicht, dass er auch noch meine Brüste sah. Ich legte mich auf die Seite, zog die Beine so fest an mich, wie ich konnte und hatte nach wie vor die Arme über meinen Brustkorb gelegt. Meine Atmung ging flach und ich fühlte mich schwindelig, so sehr pochte mein Herz.

Bald war es vorbei.

Bald.

 

 

Ihm wurde ganz heiß, als er die Schnüre ihres hautengen Hochzeitskleides immer weiter löste und es schon beinahe von selbst herunter rutschte und ihre sahneweiße Haut entblößte. Sein Herz pochte so kraftvoll und schnell in seiner Brust, als wäre dies sein erstes Mal, doch eine Sache trübte seine begehrenden Gefühle ihr gegenüber. Sie zitterte wie Espenlaub und er wusste, dass sie Angst vor ihm hatte. Die ganze Zeit hatte er versucht, eine lockere, weniger beklemmende Situation zu schaffen, indem er ihr etwas zu Trinken anbot und mit ihr redete, doch das alles löschte den Gedanken an ihre Ehepflichten natürlich nicht aus.

Bei den Göttern, sie war noch vollkommen unschuldig, natürlich hatte sie Angst, dachte er sich, aber aus irgendeinem Grund war er wütend. Er wusste nicht, ob auf sich selbst oder auf sie, aber er wurde immer wütender, je mehr er von ihrer Haut entblößte. Das alles war doch nur die Schuld ihrer Eltern. Hätten sein Vater und ihr Vater nicht miteinander verhandelt, wäre es nie so weit gekommen und dann würden sie nun nicht hier stehen und sich ihrer Pflicht gegenübersehen, miteinander das Bett teilen zu müssen.

Aber sie schien es tatsächlich nur als Pflicht zu sehen. Woran lag es? Fühlte sie sich etwa diesem Mann gegenüber verpflichtet? Diesem Harris von dem sie gesprochen hatte? Hatte er Anspruch auf sie? Auf ihr... Herz? Hatte Regan überhaupt eine Chance, zu beweisen, dass er mehr war, als der Barbar, den die Kartaner in jedem Woberoker sahen? Oder war dies alles für sie auch nur eine Pflichterfüllung, die ihre Eltern für sie vorgesehen hatten?

Er ließ von ihr ab, obwohl seine Hand nach so viel mehr gierte, als nur ihren zarten Rücken zu berühren. Obwohl sie so zierlich und dünn war, stachen ihre Knochen nicht unnatürlich hervor. Ihre Schulterblätter, auf die er eine gute Sicht hatte, da ihr Haar noch immer hochgebunden war, zeichneten sich sanft unter der straffen, überaus weichen Haut ab. Auch die Wirbelsäule lugte leicht hervor, zeichnete einen Bogen bis hinunter zu ihrem wohlgeformten kleinen Hintern, der aus zwei straffen, runden Pobacken bestand. Auch ihre schlanken, nicht zu dürren Beine waren perfekt.

Zwar war er eher der Typ Mann gewesen, der rundlichere Frauen angesehen hatte, so wie seine vergangene Flamme Igred, doch die Prinzessin hatte etwas, das er nicht benennen konnte. Sie war zierlich und diese körperliche Unterlegenheit weckte das Gefühl in ihm, sie beschützen zu müssen.

Regan trat um sie herum und erschrak innerlich. Sie zitterte noch viel stärker, als er von hinten gemerkt hatte. Ihr ganzer Körper war vollkommen verkrampft, sie zitterte, ihre Arme hatte sie krampfhaft um ihren Brustkorb geschlungen, um ihre Brüste zu verdecken und über ihre Wange lief eine Träne. Es erschreckte ihn, wie viel Angst sie offenkundig zu haben schien. Wirkte er so... angsteinflößend?

Es machte ihn wütend, dass sie ihm zuzutrauen schien, er würde sich gewaltsam nehmen, was ihm zustand. Solche Furcht hatte er bei einer Frau, mit der er schlafen wollte, nie gesehen. Er kannte so etwas nicht. Die Mädchen waren immer freiwillig zu ihm ins Bett gestiegen, aber das hier... das war etwas vollkommen anderes. Aber, was sollte er tun? Wenn er jetzt versuchen würde, sie zu berühren, um sie gefügig zu machen... sie würde ihm niemals vertrauen. Sie würde noch mehr Furcht empfinden, als sie bereits jetzt besaß. Doch er konnte sie auch nicht einfach in Frieden lassen, schließlich warteten vor der Tür hunderte Gäste darauf, dass sie die Ehe vollzogen und ohne den blutigen Beweis ihrer verlorenen Unschuld auf dem Laken wäre diese Ehe ungültig. Er musste sie nehmen!

Es gefiel ihm nicht, das zu tun, aber er sah sie kühl an, nachdem er die Träne auf ihrer Wange fort gewischt hatte und deutete auf das Bett. »Legt Euch auf das Bett.«

Sie nickte auf seinen Befehl hin, schien zu akzeptieren, was er ihr gleich antun würde und folgte seinem Befehl, ohne ein Zeichen des Widerwillens. Er beobachtete sie dabei, bis sie auf dem Bett lag und darauf wartete, was passieren würde. Erst dann schaffte er es, sich ebenfalls zu entkleiden. Der Gürtel, die Weste, das Hemd, die Hose, die Schuhe. Alles landete neben ihrem Hochzeitskleid, bevor er zu ihr auf das Bett stieg.

Ihre Wangen glühten rot, als sie den Kopf von ihm wegdrehte, die Lippen fest zusammen gepresst, um ein Schluchzen zu unterdrücken, doch ihre Haut war eiskalt. Er berührte sanft ihren Oberschenkel, aber sie zuckte wie zuvor immer wieder heftig zusammen. Was sollte er nur machen? Er war völlig überfordert mit allem. Sogar mit sich selber. Wegen ihrem abgeneigten Verhaltens kam auch er nicht wirklich in Stimmung. Das war ihm auch noch nie passiert. Für gewöhnlich, wenn eine willige Dame in der Nähe war, meist war das Igred, durchbohrte sein Geschlecht bereits die Hose, bevor überhaupt etwas geschehen war. Aber nun?

Alles in ihm sträubte sich dagegen, sie gewaltsam zu seinem Eigentum zu machen, aber er hatte keine Wahl. Schwer atmend, da es für ihn auch nicht leicht war, sie dabei anzusehen, spreizte er ihre Beine. Vielleicht kam er durch den Anblick ein wenig in Fahrt, aber auch das erledigte sich schnell. Sie war wunderschön, keine Frage, aber wie in allem bei ihr, sehr klein. Ihre nackten Schamlippen waren trockener als die weit entfernten Wüsten und ihre Beine zitterten unkontrolliert an seinen Seiten, als er sich zwischen ihre Beine hockte.

Und, als ihr Dekolleté und ihr Gesicht vor Scham rot anliefen, legte sich in seinem Hirn ein Schalter um.

Sie schämte sich.

Seine Frau schämte sich vor ihm.

Weil er sie zwingen würde, mit ihm zu schlafen.

Nur deshalb schämte sie sich!

»Ich kann das nicht!«, knurrte er wütend und sprang auf, als hätte er sich an ihrer eiskalten Haut verbrannt.

Sie quietschte im selben Moment wie eine erschossene Ente und fuhr in eine sitzende Position. Ihre schlanken Beine presste sie an ihren nackten Körper und rutschte rückwärts bis sie an das Kopfende des Bettes stieß.

Er schüttelt Kopf und runzelte wütend die Stirn. »Verdammte Scheiße!«, fluchte er, drehte sich um und schnappte sich seine Hose, um sich zu bedecken. Dann tigerte in dem Raum auf und ab, nicht wissend, was er tun sollte. Die Verträge mit dem Königreich Kartan, das Abkommen, die ganze Hochzeit wäre ungültig, wenn er sie nicht bestieg. Er würde einen Krieg auslösen, nur weil er nicht in der Lage war, ein kleines Mädchen zu vögeln! Aber genau das widersprach allem, was er gelernt hatte, was er kannte. Die Nordmänner des Hauses Woberok waren vielleicht grob, barbarisch, aber jeder kannte Ehre. Wer wäre er, würde er die Ehre seiner eigenen Frau beschmutzen, indem er sie bestieg wie ein Hengst seine Stute?

Fieberhaft suchte er nach einer Lösung, suchte den ganzen Raum mit den Augen ab, bis sein Blick wieder zu ihr ging. Sie hatte sich inzwischen eines der Kissen vor den Körper gehalten und starrte ihn mit großen, angsterfüllten Augen an. Aus ihrem Hochzeitsknoten hatten sich einige kastanienbraune Strähnen gelöst, die ihr nun in dem unschuldigen Gesicht hingen. Doch ihre Augen waren so intensiv, wie keine Augen in ganz Woberok. Dieses Grün, vermischt mit einem Hauch von Blau. Ihr Blick ließ einfach nicht zu, woanders hinzusehen, als in ihre schönen Augen. Und sie war sein... und doch auch nicht. Ihm wurde in diesem Moment bewusst, dass er sehr viel mehr brauchte, als eine unterschriebene Urkunde, um sie endgültig sein nennen zu können.

Auf einmal fiel sein Blick auf ihre bandagierte kleine Hand. Dann wanderte sein Blick zu seiner eigenen Hand, wo vor wenigen Stunden die Klinge in sein Fleisch gedrungen war, um das Blutsband zu vollziehen. Es war so leicht.

Er runzelte die Stirn.

Er würde damit gleich zwei Königreiche hinters Licht führen. Er würde seinen Vater betrügen, ihren Vater, das ganze Land. Aber eine schalkhafte kleine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass es ein kleines Opfer wäre, um den Frieden zu bewahren und ein reines Gewissen zu haben. Alles würde normal weitergehen. Sein Vater wäre zufrieden, ihre Familie würde abreisen und sie würden ein mehr oder weniger normales Leben führen. Beginnend nur mit einer winzigen Lüge.

Regan presste die Kiefer so fest aufeinander, dass die Kiefermuskeln hervortraten, dann hob er ruckartig den Kopf. Wieder zuckte die Prinzessin zusammen, da sie ihn die ganze Zeit beobachtet haben musste. Glaubte sie, er würde es sich anders überlegen und sie doch noch nehmen?

Er schüttelte den Kopf, ging straffen Schrittes auf das Bett zu, wobei sie sich keinen Zentimeter bewegte und griff unter das linke Kopfkissen. Die Klinge seines Dolches blitzte im fahlen Kerzenschein, aber er bemerkte dennoch ihr entsetztes Lufthohlen.

»Beruhigt Euch«, blaffte er härter, als er beabsichtigt hatte und schlug die Bettdecke zurück bis auf das weiße Laken.

»Was... was habt Ihr vor?«, flüsterte sie und versuchte ihren Körper noch immer unter dem Kissen zu verhüllen.

Er warf ihr einen finsteren Blick zu, damit sie endlich ruhig war und löste die Bandage um seine Hand. Der Schnitt war schon wieder dabei, zu verheilen, aber er beließ es nicht dabei, sondern zog die blutige Linie mit seinem Dolch nach, der immer unter seinem Kissen lag. Vorsichtshalber. Sofort quoll frisches, tiefrotes Blut hervor. Er zischte leise, da es gewiss nicht angenehm war. Leicht drückte er gegen die Haut, bis sich ein dicker roter Tropfen von seinem Handballen löste und auf das weiße Laken tropfte.

Mit riesen großen Augen starrte Prinzessin Akira auf das Blut auf dem Laken, das Regan auch etwas verwischte, damit es glaubhaft aussah. Wenn schweißbedeckte, von der Ekstase pulsierende Körper sich im Bett wälzten, dann verschmierte der Blutfleck selbstverständlich auch. Er ließ sich zurücksinken und starrte sein Werk an.

Er hatte tatsächlich Blut für sie vergossen, damit niemand sehen würde, dass sie nach ihrer Hochzeitsnacht noch immer unberührt war. Alles nur, weil er sie nicht entjungfern konnte.

»Soll ich Eure Hand verbinden?«, wisperte sie, traute sich nicht, ein Wort über seine Tat zu verlieren.

Das ist auch besser so, dachte er und schüttelte den Kopf. »Legt Euch schlafen, Prinzessin. Morgen wird ein anstrengender Tag.«

Er stieg vom Bett hinunter, hob mit der unverletzten Hand ihr Unterkleid auf und gab es ihr. Sie sandte einen dankbaren Blick zu ihm, doch das wollte er im Moment nicht sehen. Vermutlich wusste sie nicht im Mindesten, was sie ihm abverlangt hatte. Nicht nur auf ihren verführerischen Körper zu verzichten war ein Kraftakt gewesen, auch noch alle in diesem Königreich zu hintergehen ging nicht spurlos an ihm vorbei.

Er wandte sich ab, ohne den Blick zu erwidern, schnappte sich den Krug mit Branntwein und setzte sich an den Kamin. Während er einen Becher nach dem anderen leerte, hörte er das Rascheln der Kleidung, als sie sich ankleidete und dann unter die Decke schlüpfte. Morgen würde er definitiv Kopfschmerzen haben, aber das war ihm gleich. Wichtig war nur, dass dieser Abend rum war.

Wenn auch anders, als er sich ersehnt hatte.

.

 

 

 

Die Flammen des Krieges werden wüten, Zorn und Stolz die Welt beherrschen und das Leben wird das seltenste Gut.

 

Kinder des Alten Blutes, Unbekannt.

Kapitel 18

 

Meine Finger zitterten, als ich die Augen vor Schreck aufriss. Kühles Gras streifte meine nackten Beine, sodass ich den Kopf senkte und auf die verdorrte, kahle Wiese um mich herum blickte. Dicke Nebelschwaden hingen in der Luft, der Himmel war grau in grau und eisiger Wind peitschte um meinen spärlich bekleideten Körper herum. Wie war das möglich? Eben noch hatte ich in meinem Ehebett gelegen und hatte versucht, einzuschlafen. Nun stand ich auf einer endlos riesigen Wiese und drehte mich verwirrt um die eigene Achse. Wo war ich?

Ich ging einen Schritt und erschrak ob dem platschenden Geräusch, das mein nackter Fuß auf dem Gras verursachte. Nässe breitete sich auf meinem Fuß aus und ich schrie erstickt auf, als ich das tiefrote Blut sah, das das Gras tränkte. Der Saum meines Nachtkleides sog sich damit voll und ich schlug meine rechte Hand vor den Mund, in der der Schnitt des Blutsrituals brennend klaffte. Panisch blickte ich mich um und plötzlich, wie in Zeitraffer verdorrte das übliche Gras restlos und verging zu Asche. Wohin sollte ich? Auf einmal stieg der blutige See an, am Horizont stieg tiefrotes Feuer auf, verwandelte alles um mich herum in einen Käfig aus Feuer und Blut.

Wie in Trance, von meiner Angst in diesem Blutmeer zu ertrinken, watete ich um mein Leben durch das dickflüssige Blut. Panisch strampelte ich mit den Armen, spürte die klebrige Schmiere an meinen Händen, Beinen, bis es zu meiner Brust reichte. Dann schwappte eine gewaltige Welle über mich. Ich schmeckte Metall und Eisen in meinem Mund, sah nur noch rot vor mir und glaubte in den Flammen zu ertrinken.

 

Ich schreckte aus dem Schlaf hoch und atmete schwer ein und aus. Benommen, ohne viel zu sehen, blickte ich mich um und das erste, was mir in die Augen fiel, war mein Ehemann, der auf der Bettkante direkt neben mir saß und eine Hand an meinen Oberarm gelegt hatte, um mich aufzuwecken. Ich zuckte zusammen und setzte mich augenblicklich auf. Dabei bemerkte ich auch, dass es bereits Tag war, denn das Sonnenlicht dieses schönen ersten Wintertages grellte direkt durch die großen Fenster in das Zimmer hinein. Mein Blick glitt zurück zu Prinz Regan.

Er saß da wie ein junger Gott, das Haar war zerzaust, er hatte nur ein lockeres Hemd und seine Hose übergestreift, seine Füße waren nackt. Seine intensiven azurblauen Augen suchten meinen Blick, bis ich es endlich schaffte ihm in die Augen zu sehen.

Eine Gänsehaut fuhr über meinen Körper.

»Der König, Eure Mutter und eine Magd sind vor der Tür, um zu sehen, ob wir die Ehe vollzogen haben.«, sagte er leise und mit dunkler Stimme.

Unser beider Blick ging automatisch zu der aufgedeckten Betthälfte, wo auf dem Laken noch immer sein Blut prangte, das er gestern für mich vergossen hatte. Die Erinnerungen an die Nacht stürzten sofort wieder auf mich ein. Wie er mir befohlen hatte, mich auf das Bett zu legen. Für ein paar Augenblicke hatte ich fest damit gerechnet, einen unbarmherzigen Mann geheiratet zu haben, der mich auf die übelste und brutalste Weise entjungfern würde. Sogar in dem Moment, als er nackt zwischen meinen Beinen gekniet und ich nicht gewagt hatte, die Augen zu öffnen, hatte ich geglaubt, die schlimmsten Schmerzen erleiden zu müssen, die ich mir vorstellen konnte. Umso mehr hatte es mich verwundert, ja beinahe schockiert, als er fluchend aufgesprungen war, um sich eine Hose überzuziehen. So perplex wie ich ihn angesehen hatte, musste ich sicher wie eine blinde Kuh gewirkt haben. Noch verwirrter war ich, als er sich für mich in die Hand schnitt, um Blut zu vergießen.

Erst jetzt, als ich die Ereignisse revue passieren ließ und nicht alles verdrängte, was am gestrigen Abend geschehen war, begriff ich, was das bedeutete. Um mir nicht wehzutun, hatte er alle getäuscht. Er vergoss sein Blut, damit es so aussah, als hätten wir die Ehe ohne weiteres vollzogen. Das Blut auf dem Laken würde alle zufriedenstellen, denn sie würden denken, dass es meins war. Jeder würde es als ein Zeichen meiner verlorenen Unschuld sehen.

Wieso hatte er das alles getan? Er hätte doch auch einfach...

Was hätte er gekonnt? Er hätte mich auch einfach nehmen können, das war es. Er hätte mich jammern und weinen lassen können und hätte sich meinen Körper zu Eigen machen können, so, wie es tausenden Mädchen in ihrer Hochzeitsnacht geschah. Ich erinnerte mich an ein Mädchen, mit dem ich in Kartan stets gut befreundet gewesen war, bis ihr Vater, der ein wichtiger Berater in den Reihen meines Vaters gewesen war, sie an einen älteren Lord verheiratet hatte, da war sie nicht einmal fünfzehn. Sie hatte mir vor ihrer Abreise gesagt, dass die Liebe eine Lüge sei und die Götter sie nur für die Frauen erfunden hätten, damit die männlichen Wesen etwas zum spielen hatten. Ob ich mir ihren Ratschlag zu Herzen nehmen sollte?

Doch sollte ich ihn verurteilen, dass er meine Unschuld bewahrte und mich in Frieden ließ? War es nicht genau das, wovor ich solche Angst gehabt hatte? Dass er mir wehtun würde? Nun hatte er es nicht getan. Warum beließ ich es nicht dabei?

Vielleicht weil ich noch viel mehr Furcht davor hatte, was er nun von mir erwartete.

Ich sah ihn benommen an. »Aber... aber wir haben nicht...-«

»Wir haben!«, zischte er eindringlich und packte meine Hände so fest, dass ich erneut zusammen schreckte.

Würde ich jemals aufhören können, mich zu erschrecken, wenn dieser große Mann eine plötzliche Bewegung machte?

Einen Moment herrschte Stille, dann klopfte es an der Tür.

Regan drehte den Kopf. »Sofort! Sie muss sich noch anziehen!«, knurrte er laut und deutlich, woraufhin hinter der Tür alles verstummte, dann sah er zu mir. »Sie werden gleich reinkommen. Ihr sagt am besten gar nichts. Verstanden? Wir haben die Ehe genauso vollzogen, wie es von den Göttern gewollt ist. Behauptet nie etwas anderes, Prinzessin.«

»Warum?«

»Ihr würdet schneller nur mit der Kleidung am Leib vor den Toren Woberoks sitzen. Unsere Eltern dürfen niemals erfahren, was in diesem Raum letzte Nacht geschehen ist. Oder auch nicht geschehen ist, niemals.«

Ich nickte langsam. Es war ihm wirklich ernst, dass ich kein Wort zu niemandem über diese Sache verlor. Aber... würde sein Vater mich tatsächlich verbannen, wenn er wüsste, dass wir die Ehe nicht vollzogen hatten? Unsicherheit erfasste mich und ich grübelte schweigend über all das nach, bis ich den Blick auf unsere ineinander verschlungenen Hände sah. In diesem Moment fragte ich mich, was geschehen wäre, wenn gestern alles anders gekommen wäre. Hätte ich auch solche Angst vor ihm gehabt, hätte er mich bloß so geküsst, wie im Göttertempel? Der Kuss war durchaus sehr angenehm gewesen. Hätte ich mich ihm hingeben können? Meine Angst vergessen?

»Wir sollten aufstehen.«, murmelte er leise.

Ich hob den Kopf und begegnete seinem tiefblauen Blick. Mein Atem stockte und ich fühlte mich mit einem Mal noch verwundbarer. Sein Blick wanderte tiefer und ich begriff im selben Moment, wie durchsichtig mein Nachtkleid war, durch das sich meine Brustspitzen ihm entgegen drückten. Sofort zog ich meine Hände unter seinen hervor und zog die dünne weiße Bettdecke und die grüne Überdecke an meinen Körper.

Er räusperte sich und sah kurz weg.

»Eines habe ich noch vergessen.«, murmelte er und griff in seine Hosentasche.

Neugierig sah ich ihm zu, bis er aus den Tiefen der Hose ein glänzendes silbernes Ding hervor zog und mir vor die Nase hielt. »Ein Ring?«

Er nickte und lächelte leicht, was ein tiefes Grübchen in seine rechte Wange zauberte. »Wenn wir schon das ganze Land belügen und so tun, als wären wir rechtmäßig verheiratet, darf das hier nicht fehlen. Es ist ein Brauch, dass der Mann seiner Braut erst am Morgen nach der Hochzeitsnacht den Ehering übergibt. Er muss aus etwas sehr persönlichem des Mannes gefertigt werden, um die... Liebe zu seiner Frau zu symbolisieren.«

Ich starrte den metallern glänzenden Ring an. Er war dunkler, als Silber, sodass ich vermutete, er war aus Eisen gefertigt. Es war ein schöner Brauch, den Ring erst am Hochzeitsmorgen zu übergeben. Ich kannte es, dass man die Ringe in der Zeremonie der Hochzeit tauschte und sie auch gewöhnlichem Metall für das Brautpaar geschmiedet wurden.

Sanft hob Regan den Ring an, um ihn mir zu geben. Ich nahm ihn so vorsichtig, als wäre er aus Glas.

Dann sah ich ihn entsetzt an. »Aber ich habe keinen für Euch.«

Er lächelte. »Ich bin sicher, dass Euch noch ein geeigneter Gegenstand einfällt. Bis es soweit ist, warte ich gerne.«, sagte er. »Macht Euch keinen Kopf, Akira. Ihr wusstet es nicht und niemand ist Euch böse deswegen. Wenn es soweit ist, geht zu Vinz, dem Schmied. Er fertigte auch Euren Ring an.«

Schuldbewusst starrte ich auch das Schmuckstück, dann stülpte ich ihn vorsichtig über den Ringfinger meiner rechten Hand. Er passte perfekt. Woher wusste er nur, welche Ringgröße ich trug?

Als es diesmal klopfte, seufzte Regan leise und stand auf. »Kommt, Akira. Sie werden nicht ewig warten.«

Ich nickte unsicher, als er mir die Hand entgegen streckte und ergriff sie mit etwas mehr Mut. Als er mich zur Mitte des Raumes führte und meine Hand fest umklammerte, fühlte ich mich etwas sicherer, als zuvor. Mein Mann stand neben mir und in diesem Moment redete ich mir selbst ein, dass wir die Ehe tatsächlich sachgemäß vollzogen hatten. Ich reichte meinem Ehemann gerade einmal bis zur Schulter, als ich mich an seine Seite drückte und seine Hand mit meinen beiden Händen umklammerte.

»Kira«, verbesserte ich ihn leise, als die Tür auch schon aufgestoßen wurde.

Es kamen sogar mehr Leute herein, als ich erwartet hatte.

»Kira«, wiederholte er genauso leise.

Der König ging an der Spitze der Kontrolleure, danach folgte meine Mutter, dann Lord Wilmer und zwei Dienerinnen. Eine davon war Edda, die andere war die hübsche Blondhaarige, die mich immer mit einem finsteren Blick musterte, als wäre ich ein Eindringling.

Lord Wilmer blieb an der Tür stehen und wahrte die Diskretion, während meine Mutter voran ging und zum Bett eilte. Prüfend beugte sie sich über die Matratze, dann warf sie mir einen ernsten Blick zu. Und ich tat das, was unser Abkommen von mir verlangte. Ich trug die Nase so hoch, als wäre ich sehr stolz darauf, die Ehe mit meinem Mann vollzogen zu haben. Ich starrte zu ihr zurück und für eine Weile herrschte Stille.

War sie noch nicht zufrieden?

Ahnte sie, was in diesen Gemächer nicht geschehen war?

Doch nach schier endlosen Augenblicken, neigte sie das Haupt. »Die Ehe ist vollzogen.«

Der König atmete erleichtert aus. Hatte auch er daran gezweifelt, ob sein Sohn tatsächlich das Bett mit einer Kartanerin teilen würde? Wenn ja, dann war er soweit mit seiner Vermutung nicht von der Realität entfernt.

»Sehr gut. Los, Mädchen! Bezieht das Bett neu und lasst dem Paar Wasser zum Säubern zukommen.«, befahl König Ragnar und sofort setzten sich Edda und die andere Magd in Bewegung.

Während sie still begannen, das Bett abzuziehen und die blutigen Laken waschen zu gehen, traten König Ragnar und Lord Wilmer auf mich zu.

»Sogar den Ring hast du ihr schon gegeben.«, bemerkte der König.

Ich biss mir auf die Unterlippe, als Regan meine Hand in seiner drehte, damit man den eisernen Beweis unserer Ehe im Licht betrachten konnte. Seltsamerweise fühlte sich der Ring an, als würde er dorthin gehören. Nun war es offiziell und wir hatten unsere Eltern auch erfolgreich getäuscht. Wir waren Mann und Frau, nur nicht so, wie man es vermutete.

»Ich werde gleich veranlassen, dass man Eure persönlichen Sachen in deine Gemächer bringen lässt«, sagte Lord Wilmer zu uns gewandt.

»Sehr gut«, antwortete Prinz Regan und drückte sachte meine Hand.

Es fühlte sich seltsam an, hier neben ihm zu stehen und so zu tun, als wären wir einander besonders nahe. Aber auch ich nickte und zwang mich zu einem leichten Lächeln, um den Schein zu wahren. Denn Regan hatte Recht. Niemand durfte wissen, dass wir überhaupt nicht auf diese Weise verbunden waren, wie wir sein sollten.

»Ich veranlasse, dass die Diener Eure Sachen zusammen packen und hier abstellen. Wo Ihr Eure Staffelei und das alles hinstellt, ist dann Euch überlassen.«

»Staffelei?«, fragte Regan erst an Lord Wilmer, dann an mich gewandt.

Ich nickte leicht. »Ich... male.«

Mein Ehemann hob neugierig die Augenbrauen, als wäre er überrascht, dass ich mich solch einer Tätigkeit wittmete. Taten die Ladys in Woberok andere Dinge? Das Malen hatte mir immer ein paar kostbare Momente in meinem Leben gegeben, in denen ich keinerlei Geschichtsdokumente auswendig lernen musste und für den gesamten kartanischen Hof hübsch lächelte. Das und das wertvolle Traning mit meinen Brüdern. Ansonsten hatte ich nicht viel aufzuweisen. Noch nie hatte ich besonders gut tanzen oder die hohen Psalme singen können, wie es von einer Prinzessin Kartans stets gewollt war. Wie meine Mutter es schon die ganze Zeit gewollt hatte.

Leicht drückte Prinz Regan meine Hand, als wolle er sagen, dass er es akzeptierte.

Damit war er der Erste, der meine Leidenschaft fürs Malen hinnahm. Ich entsinnte mich an einen Tag in meiner Kindheit, kurz bevor ich zur Frau geworden war, als meine Mutter in meine Gemächer geplatzt war und sah, wie ich mit blanken Fingern in den Farbtöpfen hing, um ein Bild zu malen. Sie hatte meine Farben, samt Staffelei aus dem Fenster werfen lassen und mein Hauslehrer hatte mich mit dem Rohrstock gezüchtigt, da ich durch diesen ›Unfug‹ meinen Unterricht verpasst hatte. Drei Tage hatte ich nicht sitzen können, so blau geschlagen war mein Hinterteil gewesen.

Aber so war schon immer die Erziehungsmethode in Kartan gewesen. Es war normal gewesen und nicht nur ich, sondern auch meine Brüder hatten sie genossen. Jedoch war es bei ihnen weitaus seltener vorgekommen, da sie sich nun einmal wie Männer verhalten konnten und ihnen ihre Pflichten als Prinzen nicht so sehr gegen den Strich gegangen war, wie die meinen als Prinzessin.

Und meine Mutter hatte sich jedes Mal umgedreht und hatte den Raum verlassen, wenn mein Hauslehrer mich erzog.

Ich erschauderte unwillkürlich bei dem Gedanken an diesen fetten Sack mit dem immer fettigen Strähnen auf dem Kopf, wie er in seinen wurstigen Fingern den Rohrstock hielt und nur darauf wartete, dass ich einen Fehler beging, der ihn auf den Plan rief. Und ich wusste, dass seine Schläge teilweise für meine furchtbare Angst in der vergangenen Nacht waren. Seit er mich einmal so heftig verprügelte, dass ich mich kaum hatte bücken können, war in meinem Innern etwas zerbrochen, was vielleicht nie mehr würde heilen. Seitdem hasste ich Berührungen, wenn sie von jemand Fremden ausgingen und nicht von mir. Vor allem, wenn sie durch plötzliche Bewegungen ausgelöst wurden, dann zuckte ich jedes Mal, in der Erwartung des Schmerzes, zusammen.

Lord Wilmer und der König verabschiedeten sich mit einem Nicken, da ihre Aufgabe erledigt war. Sie hatten den blutigen Beweis meiner verlorenen Unschuld und die damit verbundene Besiegelung der Heiratsverträge auf dem Laken gesehen. Für sie war es nur wichtig gewesen, mit eigenen Augen zu sehen, dass unsere Ehe vollzogen und unsere Königreiche verbunden waren.

Doch während die Mägde um uns herum huschten und Regan darauf achtete, was sie taten, trat meine Mutter zu uns. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas von unserer List ahnte. Aber woher sollte sie es wissen? Schließlich hatte der Blutfleck mehr als realistisch ausgesehen. Er hatte ihn sogar leicht verwischt, wie es im Gewühle zweier Körper tatsächlich passiert wäre.

Aber ihr Blick sagte mir, dass sie irgendwie Bescheid wissen musste.

Sie blieb direkt vor uns stehen und lächelte das falsche Lächeln, dass sie schon immer gelächelt hatte. Zu jedem Anlass hatte ich es gesehen. Zu jedem Namenstag, zu jeder Feier. Mein ganzes Leben lang.

»Ich wollte euch beiden meine Glückwünsche aussprechen.«, sagte sie ruhig und mit einem beherrschten Gesichtsausdruck, der nicht im Entferntesten verriet, was sie dachte. »Ich bin sehr stolz auf dich, Akira. Schließlich weiß ich, wie schwer es ist, die eigene Heimat zu verlassen, um einen Fremden zu heiraten. Und ich sage euch bestimmt nichts Neues, wenn ich behaupte, dass ich deinen Vater auch nicht von Anfang an lieben konnte. Sicher wird das bei euch anders, nicht? So wie ihr einander umklammert haltet, war die letzte Nacht auch kein Problem.«

Mit jedem Wort, das sie sagte, spürte ich, wie die Hitze in mir empor wallte. Scham flutete mein Innerstes. Wie sie mit meinem Mann sprach! Es war so peinlich! Doch in das Gefühl der Scham mischte sich auch Wut. Sie verglich ihre Ehe mit meiner Ehe. Als wäre mein Mann genauso wie Vater und, dass mich in Zukunft ein fetter Mann erwartete, der sein eigenes Königreich kaum kannte und seine Frau nur zu feierlichen Anlässen sah.

Ich verstand in diesem Moment nicht, warum sie so war? So... herablassend. Ich erinnerte mich noch an ihre ersten sanften Worte, die sie mir vor meiner Abreise zugeflüstert hatte, als dürfe es niemand erfahren. Warum tat sie nun so, als hätte es nie so einen intimen und schönen Moment zwischen uns gegeben? Hatte ich doch recht gehabt, als ich ihr vorwarf, mich zu hassen? Stimmte das etwa doch? Hasste sie mich? Weil sie sich im Gegensatz zu meinen Brüdern mehr um mich kümmern musste?

»Wir haben die Ehe sachgemäß vollzogen, wenn Ihr das damit sagen wollt.«, erwiderte Regan unbeeindruckt von den zynischen Worten meiner Mutter. »Und ja, ich hatte Glück eine junge Braut aus einem fernen Land zu bekommen. Auch, wenn der Anfang nicht leicht ist, bin ich sicher, dass Eure Tochter sich hier irgendwann einleben wird, oder, Kira?«

Ich biss mir auf die Unterlippe, als er den Kopf zu mir wandte und mich auf die Stirn küsste.

Er hatte sofort bemerkt, was meine Mutter mit ihrer Fragerei bezwecken wollte. Aber er ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Und ich begriff mit einem Mal, was er damit tat. Er spielte das Spiel weiter. Natürlich... wir hatten unsere Eltern noch lange nicht so getäuscht, wie ich geglaubt hatte. Für eine Sekunde hatte ich geglaubt, mit dem Blutfleck auf der Matratze wäre alles getan, aber es war so viel mehr. Wir würden den König und Lord Wilmer, die mit Sicherheit ein Auge auf uns haben würden, auch weiterhin täuschen müssen.

Ich setzte ein perfektes falsches Lächeln auf und sah Regan beinahe verliebt an, bevor ich meine Mutter ansah. »Ja, dessen bin ich mir ganz sicher. Schließlich habt Ihr das auch geschafft.«

Die dunkelgrünen Augen meiner Mutter schienen mich mit einem Mal zu durchbohren. »Dann werde ich sicher bald eine Nachricht über ein zukünftiges Enkelkind erwarten dürfen, nicht?«

Ich fuhr augenblicklich zusammen und starrte sie an. Daran hatte ich nicht mehr gedacht. Eine Ehepaar bekam ja schließlich auch irgendwann Kinder. Allerdings, wenn Regan und ich überhaupt nicht beieinander lagen, konnte auch kein Kind entstehen.

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Regan die Zähne zusammen biss, denn an seinem markanten Kiefer zuckte ein Muskel. Er war dieses Verhör leid, das erkannte ich sofort, sodass ich die Situation rasch entschärfen musste.

Ich legte eine Hand auf seinen Unterarm. »Das hoffen wir. Aber... bei Euch und Vater hat es schließlich auch drei Jahre gedauert, bis Ihr endlich ein Kind empfangen habt.«

Innerlich schämte ich mich, denn das war ziemlich hart. Vor allem, da sie noch immer meine Mutter war, aber im Moment wollte ich meinem Ärger über ihre bissigen Worte nur Luft machen. Außerdem ging sie mein Leben nichts mehr an. Sie war Mitverantwortliche dafür, dass ich meine Heimat verließ, um in den höchsten Norden zu reiten und einen mir völlig fremden, zwölf Jahre älteren Mann zu heiraten. Ihretwegen war ich gezwungen, ein Leben mit ihm zu verbringen.

Sie fuhr zusammen, denn mit dieser Antwort hatte selbst sie nicht gerechnet. So kannte sie mich nicht und ich war mir bewusst, dass sie dafür bereits meinen Hauslehrer hätte holen lassen, damit er mir beibrachte, wie eine Prinzessin sprach. In ihren Augen erkannte ich sogar, dass sie im Moment dasselbe denken musste wie ich. Und wir beide wussten, dass mein Hauslehrer nie wieder die Möglichkeit hätte, mir Manieren beizubringen. Dieses Gefühl allein verlieh mir eine unglaubliche Selbstsicherheit und Stärke. Ich war nicht mehr das kleine Mädchen, die kleine Prinzessin, die man schlagen konnte, wenn sie etwas tat, was einem nicht gefiel. Nein.

Mir wurde klar, dass ich frei war.

»Wie... recht du hast.«, sagte meine Mutter und lächelte entschuldigend, doch es war so falsch, wie das einer Schlange. »Dann hoffen wir mal, dass es bei euch nicht so lang dauert. Wenn ihr mich entschuldigt, ihr wollt sicher ein Bad nehmen, da will ich natürlich nicht stören.«

»Natürlich nicht«, pflichtete ihr Regan bei.

Wir warteten, bis sie aus den Gemächern verschwunden war und auch die Mägde fort waren.

Erst dann ließen wir einander los und atmeten durch.

»Eure Mutter ist wirklich...«, murmelte mein Ehemann und rieb sich nachdenklich den Hinterkopf.

»Ihr könnt es ruhig sagen. Ich weiß, dass sie eine Furie ist, so war sie schon immer.«, sagte ich bitter und spielte mit meiner rechten Hand an meiner Halskette herum. Nicht immer, fügte ich in Gedanken hinzu. Am Tage meiner Abreise war sie seltsamerweise anders.

»Schon immer?«

Ich zuckte die Schultern. »Seit ich auf der Welt bin ist sie so. Ich weiß nicht, ob sie mit mir ein Problem hat, oder mit sich selbst. Aber die dreckige Arbeit hat sie anderen überlassen.«

Er trat auf mich zu. »Welche dreckige Arbeit?«

Benommen starrte ich ihn an. Verdammt! Hatte ich das laut gesagt? Eigentlich wollte ich nicht mit ihm über meinen Hauslehrer sprechen, denn dafür traute ich ihm viel zu wenig. Zwar hatte er in der vergangenen Nacht für mich geblutet, das hieß aber noch lang nicht, dass ich ihm meine ganze Lebensgeschichte erzählen würde. Wobei es eine recht kurze und langweilige Erzählung wäre.

»Ah... nichts weiter. Das ist unwichtig.«

»Für mich ist es nicht unwichtig.«, sagte er ruhig, aber in seiner Stimme war etwas Drängendes.

Ich schüttelte den Kopf. »Bitte... ich... ich möchte nicht darüber sprechen. Zwingt mich nicht dazu.«

Plötzlich wurde sein Blick sehr eindringlich und seine azurblauen, intensiven Augen brachten mich augenblicklich zum Schweigen. Als er sanft meine Oberarme umfasste, zuckte ich nicht einmal zusammen, was ich als Fortschritt erachtete. Von oben sah er auf mich herab.

»Ich werde Euch zu nichts zwingen. Vor allem werde ich Euch nicht dazu zwingen, mit mir das Bett zu teilen. Ich werde es erst tun, wenn Ihr mich ausdrücklich darum bittet. Solange Ihr es nicht wollt, werde ich Euch nicht anrühren. Aber ich erwarte, dass das auch kein anderer Mann darf, verstanden? Wir haben uns die Treue geschworen.«

Benommen sah ich zu ihm auf, sah in seinen Augen, dass er es ernst meinte. Er würde mich nicht anfassen.

»Und... wenn... wenn ich es niemals will?«, fragte ich ängstlich und meine Stimme zitterte so stark, dass ich befürchtete, sie könne versagen.

Regan hob den Kopf etwas, in seinen Augen war plötzlich etwas anders. Überraschung? Enttäuschung? Ein Quentchen Wut? Ich konnte es nicht benennen, aber ich merkte sofort, wie die Situation zwischen uns noch komplizierter wurde, als ohnehin schon.

Er seufzte und fuhr sich durch das dichte schwarze Haar. »Dann beginnt ab heute meine Wacht.«, sagte er leise und lächelte mich schwach an, wobei er sanft die Hand ausstreckte und meinen Anhänger mit der kleinen Flamme berührte. »Ihr solltet ein Bad nehmen und dann Barda zur Hand gehen. Sie ist sicher noch mit dem Essen von unserer Feier beschäftigt.«

»Und Ihr?«, fragte ich heiser und deutete auf den gefüllten Badezuber, merkte kaum, wie seltsam meine Frage klang.

Er schüttelte den Kopf und ließ von mir ab. »Ich habe auch Pflichten zu erfüllen, obwohl es der Tag nach meiner Hochzeit ist. Und da wir den Tag nicht wie ein gewöhnliches Hochzeitspaar verbringen... kümmere ich mich lieber um die Patrouillen.«

Am liebsten hätte ich noch etwas gesagt, wagte es aber nicht, als er sich schon mitten im Satz abwandte, um sich seine Kleidung zusammen zu suchen und sich anzuziehen. Er war wütend, das spürte ich sofort. Ich wusste, dass er wütend auf sich war, aber vor allem auf mich, da ich mich nicht willig mit ihm in den Kissen wälzte, wie er es sich vielleicht von seiner jungen Braut erhoffte. Ja, es war wahrlich viel komplizierter, als gedacht. Für die Außenstehenden mussten wir das frisch getraute Ehepaar spielen, aber in Wahrheit schwiegen wir einander an und hatten uns nichts zu sagen.

Als sich mein Mann angezogen hatte und tatsächlich wie ein wilder, woberokischer Krieger aussah, starrte ich ihn an. Er war ein schöner Mann, das konnte man nicht anders sagen und er wirkte sicher auf jede Frau hier mehr als attraktiv, aber er war noch immer ein Fremder für mich. Zwar war das unser erster Tag, als verheiratetes Ehepaar, aber ich fragte mich bereits jetzt, ob dieses Gefühl, immer während fremd zu sein, sich jemals einstellen würde.

Regan lächelte mich noch einmal schwach an, bevor er sich umdrehte, unsere Gemächer verließ und mich vollkommen durcheinander zurückließ.

Als die Tür ins Schloss fiel und ich endlich alleine war, brachen die Tränen nur so aus mir heraus und ich sank in die Hocke, umschlang meinen Körper mit den Armen und schluchzte ungehemmt in das Unterkleid hinein. So aufgewühlt war ich noch nie gewesen, aber nun brach alles aus mir heraus, was sich seit meinem Aufbruch, vielleicht sogar seit der Hochzeitsnachricht meiner Eltern, in mir aufgestaut hatte. Alles hatte ich so mühsam unterdrückt, doch nun ging nichts mehr.

Und der Tag war noch nicht einmal zur Hälfte herum.

Kapitel 19

 

Den ganzen Tag lang konnte ich mich kaum auf meine Aufgaben konzentrieren. Nach einem ausgiebigen Bad hatte ich mich angekleidet und war zu Barda in die Küche gegangen, um ihr mit den übrig gebliebenen Speisen zu helfen. Alles musste verpackt und verstaut werden, doch so viel Mühe ich mir auch gab, ich driftete mit meinen Gedanken immer wieder zu meinem Ehemann und seinen Worten an diesem Morgen ab. Zudem nervten mich Bardas besorgte Blicke und ihre Fragen, ob es mir gut ginge. Natürlich glaubte jeder, ich hätte eine schmerzhafte Entjungferung hinter mir, aber dem war ja nicht so. Niemand durfte allerdings etwas davon erfahren.

Nachdem mein Dienst bei Barda beendet war, machte ich mich auf den Weg zu Kovirs Bibliothek und fand den alten Mann an einem der Schreibtische über einem dicken, verstaubten Buch hängend vor. Als ich näher trat, hob er den Kopf und schob sich seine Lesebrille zurück auf die Nase.

»Euch scheint es gut zu gehen.«, bemerkte er und hob eine seiner buschigen grauen Augenbrauen.

Ich runzelte die Stirn. »Warum auch nicht?«

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Die Männer Woberoks nehmen ihre Frauen hart, aber der Prinz scheint bei Euch eine Ausnahme gemacht zu haben, schließlich steht Ihr noch relativ gerade.«

Mittlerweile hatte ich an Kovirs Umgangston gewöhnt. Der alte Mann sagte alles so, wie es ihm gefiel und nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Er sprach ohne Scheu über die Vereinigung von Mann und Frau, über ekelhafte Krankheiten und Ausscheidungen, als würde er mit einem über das Wetter plaudern. Seine Art hatte mich vor ein paar Wochen noch völlig entsetzt, aber vielleicht war ich auch schon viel woberokischer, als ich geglaubt hatte, dass ich nun damit umgehen konnte.

Ich zuckte nur die Schultern, auf seine Aussage hin. »Vielleicht haben die Männer Woberoks doch nicht so eine starke Ausdauer, ihre Frauen hart zu nehmen, wie Ihr glaubt, Gelehrter.«, erwiderte ich, nahm ein Buch vom Stapel, der vor ihm lag und drehte es beiläufig in meiner Hand.

In diesem Moment schoss es mir durch Mark und Bein. Auf dem Einband waren Runen golden eingraviert worden und unter dem Titel prangte eine goldene Flamme, darunter etwas kleiner ein Stein, eine Welle und ein Tropfen. Der Autor stand winzig klein am unteren Rand, aber leider auch in einer fremden Runensprache, die ich nicht zu lesen vermochte. Meine Finger glitten über das weiche Leder.

Das musste das Buch sein, das Freyer erwähnt hatte!

»Dementsprechend scheint Euer Ehemann also keine Ausdauer im Bett zu haben?« Kovir beobachtete mich, wie ich auf das Buch starrte.

»Eine gute Ehefrau verspottet nicht die Verführungskünste ihres Gatten, nicht? Schließlich bilden sie eine Einheit.«, bemerkte ich, um das Thema damit zu beenden. »Was bedeutet diese Runenschrift?«

Kovir schien froh, um den Themenwechsel zu sein und winkte mich heran. Neugierig blickte er auf den Einband, als hätte er überhaupt keine Ahnung, dass er dieses Buch besaß. Er drehte das Buch ein wenig umher, bevor er sich den Titel ansah.

»Das ist... eine sehr alte woberokische Sprache. Unsere Vorfahren haben sie benutzt, bevor sie die gemeine Zunge kannten.«, erklärte er und kniff die alten Augen zusammen. »Ich konnte sie einmal lesen, aber... Hm... Nur noch wenige Woberoker kennen die Runensprache. Die Wilderer sprechen sie noch heute...«

»Könnt Ihr es lesen?«

»Lasst mich kurz nachdenken.«, bat er und runzelte die Stirn. »Ich hatte einmal ein Übersetzerband für woberokische Sprachen. Es gibt rund zwölf verschiedene Dialekte. Darunter Altnordisch, Gotisch... Geht an das Regal für Sprachen. Relativ weit rechts befinden sich Übersetzerbände für alle Sprachen des Nordens.«

Ich tat, wie er mir befahl und flitzte zu einem der riesigen Regale. Erst vor kurzem hatten Freyer und ich das Regal sortiert, sodass ich sofort wusste, wo ich suchen musste. Ein Griff und ich hatte ein winziges Büchlein, das in tiefdunkles Leder geschlagen war, heraus gefischt und kehrte damit zu Kovir zurück. Der Alte nahm es mir aus der Hand und blätterte ein paar Mal darin herum, ehe er wieder das Runenbuch in die Hand nahm.

»Aber natürlich! Dass ich nicht eher darauf gekommen bin.«, brummelte er und blickte mich an. »Das Buch handelt von einer uralten Legende. Ihr kennt doch sicher die Entstehungsgeschichte unseres Landes.«

»Dass die Götter uns einst aus einem fernen Land hier her brachten, damit wir in Frieden leben können.«, bestätigte ich.

»Genau. Und jede Nation beherbergt die Kinder eines bestimmten Elementes, den Bausteinen unserer Welt. Kartan, das Kind des Feuers. Woberok, Kind des Eises und Fenral, Kind der Erde. Von den Verrätern, der Drachen sprechen wir lieber nicht.«, sagte Kovir und zeigte mit seinem Finger auf das Buch. »Doch damals, als die Kriege um diese Welt von wüteten und jedes Königreich sich seinen Platz in diesem Land suchte, gab es einen Orden. Verrückte Taugenichtse, die jedem weiß machen wollten, dass es statt vielen Göttern, einen einzigen Gott gibt. Dieser Gott soll ein fünftes Element auserkoren und dessen Kinder auf die Erde geschickt haben.«

Verwirrt blickte ich ihn an.

Noch nie hatte ich von solch einer seltsamen und widersprüchlichen Legende gehört. Ich kannte jediglich die Mythen, die ich von meinem Geschichtslehrer gelernt hatte. Stundenlang hatte ich dafür in seiner Bibliothek unter seinen wachsamen Augen die Bücher durchforsten müssen. Dort hieß es nur, dass jede Nation einst aus einem Land stammte, in dem die jeweiligen Götter wie Könige verehrt wurden, doch aus irgendeinem Grund mussten sie fort. Und jeder Gott führte seine Kinder ins Kaiserland, wo sie sich miteinander arrangieren mussten, um eine neue Heimat aufzubauen. So waren Fenral, Kartan und Woberok nie miteinander verbunden gewesen, jediglich dadurch, dass wir uns den Norden teilten.

Doch, dass es einen Orden gegeben haben sollte, der bloß an einen einzigen Gott glaubte? Das widersprach allem, was ich jemals gelernt hatte.

»Und welche Kinder waren das?«

Kovir blickte auf das Buch, schien zu hadern, ob er mir darüber etwas erzählen sollte, oder, ob er lieber den Mund hielt. Aber augenscheinlich entschied er sich, dass er bereits so viel gesagt hatte, dass er nun unmöglich aufhören konnte. Ich würde ihn ohnehin löchern, bis er mir Antworten gab.

»Sie nannten sich die Kinder des Alten Blutes.«, gestand Kovir, wobei er den Titel mit einem Finger nachzog. »Sie hielten sich für eine Art... übersinnige Wesen, die spezielle Kräfte haben sollten. Angeblich sahen sie in ihren Träumen Vergangenheit und Zukunft und durch ihr Blut konnten magische Tore zu anderen Welten geöffnet werden. Das behaupteten jedenfalls sie.«

»Wer waren sie?«

Kovir schnaubte. »Spinner, wenn Ihr mich fragt! Sie waren wie eine Sekte. Vor allem Fenraler haben sich ihnen angeschlossen, aber auch einige kartanische Desateure und woberokische Gelehrte waren der Meinung, diesem Orden beizutreten und an den einzig wahren Gott zu glauben, würde ihre Seelen von ihren Sünden reinwaschen.«

»Das klingt irgendwie unheimlich«, murmelte ich und schüttelte mich. »Was geschah mit ihnen?«

»Sie verschwanden irgendwann. Woberok, der erste König unseres Königreiches jagte sie, aus der Angst heraus, sie könnten die Wilderer unterstützen, vor denen er sich am meisten fürchtete. Er ließ sie alle einfangen und klagte sie der Hexerei an, um sie verbrennen zu lassen. Doch eine kartanische Meisterin sprach während ihres Feuertodes auf dem Scheiterhaufen eine Prophezeiung aus.«

Ich machte große Augen. »Eine Prophezeiung?«

»Ganz genau erinnere ich mich nicht an die Worte, aber sie sagte wohl irgendwas von Blut, das auferstehen wird. Wenn Euch das interessiert, dass nehmt das Buch ruhig. Ich habe keine Verwendung dafür, denn die woberokischen Legenden stapeln sich in meinen Regalen. Den Übersetzerband könnt Ihr auch nehmen. So wird es wenigstens ein wenig leerer hier.«

Ich lächelte ihn herzlich an und umarmte ihn. »Ich danke Euch, Kovir!«

»Ja, ja, ja, ja, ja! Schon gut! Geht lieber an die Arbeit und sorgt dafür, dass Freyer nächstes Mal pünktlich ist! Sie ist den ganzen Morgen nicht aufgetaucht!«, brummte er und schob mich genervt weg, als wäre ihm zu viel Nähe lästig.

Doch ich stand nur wie versteinert da. »Sie ist nicht aufgetaucht? Aber sie ist doch immer schon vor mir hier.« Jetzt wo er es sagte, merkte ich auch, dass sie tatsächlich nicht da war. Eine solch spannende Geschichte, wie sie mir Kovir gerade erzählt hatte, hätte sie sich nie entgehen lassen. Vor allem nicht, da sie mir erst von dem kleinen Buch erzählt hatte, das irgendwas mit meiner Kette gemeinsam haben musste.

Kovir schüttelte genervt den Kopf. »Diesmal nicht. Ihr könnt sie ja suchen gehen, heute brauche ich Euch nicht mehr.«

Ich nickte ihm dankbar zu, nahm mir die beiden Bücher vom Tisch und flitzte aus der Bibliothek. In den Gängen begegneten mir nur Mägde und Diener, die ihren täglichen Aufgaben nachgingen. Zuerst kehrte ich in Regans Gemächer zurück. Meine Sachen waren bereits her gebracht worden und stapelten sich auf einem kleinen Haufen neben dem Kamin. Ich war überrascht, da es weitaus weniger war, als ich erwartet hatte. Hier würde es genügend Platz für meine Sachen geben, denn die Gemächer meines Ehemannes waren riesig.

Ohne weiter auf mein Gepäck einzugehen, versteckte ich die beiden kleinen Bücher in dem Nachtschränkchen auf meiner Seite des Ehebettes, damit Regan sie nicht sah. Ich wusste nicht, wie er darauf reagierte, dass ich seine Muttersprache, die er vielleicht selbst gar nicht mehr sprechen konnte, studieren wollte, um mehr über die Kette herauszufinden, die ich seit meiner Abreise um meinen Hals trug.

Im nächsten Moment wittmete ich mich aber einer viel wichtigeren Frage. Wo war Freyer? Um ehrlich zu sein, machte ich mir Sorgen und hatte auch eine ferne Ahnung wo sie sein könnte, doch ich hoffte, dass es anders war. Sollte sie gestern Abend mit meinem Bruder heimlich das Fest verlassen haben, wäre die Hölle los. Rickon war besonnen, doch, so wie er Freyer gestern Abend angesehen hatte, könnte er gut alle Vorsätze über Bord geworfen haben und sich seinen Gefühlen hingeben. Hoffentlich hatten die beiden keine Dummheit begangen.

Ich war mir sicher, dass mein Ehemann nicht begeistert sein würde, wenn er herausfand, dass Rickon eventuell seiner Cousine die Unschuld geraubt hatte. Das wäre ein Skandal.

Aus diesem Grund machte ich mich schnellstens auf den Weg und suchte schier die ganze Festung ab. Nachdem ich nach einer halben Stunde Freyer noch immer nicht gefunden hatte, verließ ich die Feste und blickte mich im Burghofinneren um. Auch hier war Freyer nicht, sodass ich auf das Tor zuhielt. Dort standen nicht weniger, als zehn bis an die Zähne bewaffnete Männer. Ich hörte sie sagen, dass es heute eine relativ ruhige Schicht war, da durch die gestrigen Feierlichkeiten die halbe Stadt noch in den Federn lag. Offenbar hatte die gesamte Bevölkerung meine Hochzeit gefeiert, nicht nur das Königshaus.

»Ich störe Euch ungern, aber wisst Ihr durch Zufall, wo Lady Freyer ist?«, sagte ich, als ich vor ihnen stehen blieb.

Sofort hoben alle Männer die Köpfe und mir galt die gesamte Aufmerksamkeit.

Einer der Soldaten trat hervor, er trug die unverwechselbaren dunkelgrünen Farben des Hauses, dem er diente. Ein Kettenhemd, darüber ein Wams mit dem Wappen des Raben auf der Brust und einem edel gefertigten Wehrgehänge, das mit Sicherheit nicht sehr billig gewesen sein dürfte. Auf seinem Rücken trug er eine breite Zweiklingenaxt.

»Majestät«, sagte er mit einem Kopfnicken.

Ich erkannte einen kleinen goldenen Orden an seiner linken Brust auf dem Wams stecken. Er musste ein oberer Offizier oder etwas ähnliches sein.

»Ich habe sie heute Morgen auf dem Kampfplatz in der Nähe des südlichen Burgtores gesehen. Euer Bruder und Euer Gemahl liefern sich den gesamten Morgen schon einen ausladenen Übungskampf. Leider konnte ich nicht mehr dort bleiben, meine Schicht begann schließlich.«

»Regan macht ihn fertig!«, lachte ein junger Bursche, der kaum älter, als ich selbst aussah. Sein kupferrotes, wildes Haar sprang in kurzen Locken um seinen Kopf herum und sein Kinn zierte drei kleine Stoppeln, die man kaum als Bart bezeichnen konnte. Er schien noch recht grün hinter den Ohren zu sein, denn er bekam gleich einen Schlag auf den Hinterkopf von einem größeren, erfahreneren Krieger.

»Halt die Klappe, Ferrin. Oder weißt du nicht, wie du in der Gegenwart einer Prinzessin dein Schandmaul zu benutzen hast?«

Der Angesprochene senkte den Blick, bevor er mich entschuldigend ansah. »Verzeiht, Majestät.«

»Und?«, wollte der Größere mit dem dunkelbraunen Haar wissen, der ihm den Schlag verpasst hatte.

»Entschuldigung, Raphael.«, murmelte der Bursche.

Der Große nickte zufrieden. »Gut. Und jetzt rauf mit dir. Die Jungs aus dem Turm wollen ihre Mittagspause.«

Ferrin nickte nur, sah mich noch einmal entschuldigend an, dann flitzte er durch eine Tür an der Mauer, die in den ersten der beiden Gefechttürme führte, die über die Stadt ragten.

»Verzeiht ihm, Majestät. Der Junge ist noch nicht lange Soldat. Er kommt aus einer... unteren Schicht und weiß noch nicht ganz, wie es am Hofe zugeht.«, meinte der Große mit dem Namen Raphael.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe auf meiner Reise weitaus schlimmere Dinge gehört, als die unüberlegten Worte, eines Jungen.«, erwiderte ich und wandte mich wieder an den Offizier mit dem kurzen, goldenen Haar. »Ihr sagtet, mein Bruder kämpft mit Prinz Regan?«

Der Angesprochene nickte leicht, schien verwundert wegen meiner Wortwahl.

»Äh... mit meinem Ehemann?«

»Ja. Auf dem Platz. Nachdem Regan heute Morgen unsere Patrouillen in der königlichen Kaserne organisierte, wollte er mit Thorald, einem Soldaten unserer Einheit, trainieren. Euer Bruder... Tista? Trist...«

»Tristan?«, fragte ich ungläubig.

Raphael kam einen Schritt näher. Auch auf seiner Brust prangte ein kleiner goldener Orden. »Bitte nehmt es nicht persönlich, Prinzessin, aber Euer Bruder war sturzbetrunken heute Morgen. Er torkelte auf den Platz und meinte... nun ja. Er sagte etwas ungehobelt, dass er besser kämpfen könne, als ein Woberoker es jemals vermochte. Und dann schnappte er sich eines der Übungsschwerter und...«

Der Blonde rieb sich den Nacken. »Und Regan ist meist ein geduldiger, beherrschter Mensch, aber er verliert auch irgendwann die Geduld.«

Ich schnappte nach Luft und machte große Augen. Sie konnten nicht wissen, was mir im Moment durch den Kopf schoss, aber sie hatten schließlich am gestrigen Abend nicht mit Tristan gesprochen. Er war so betrunken gewesen und die Wut hatte man in seinen Augen gesehen. Und er war weitaus jünger und unerfahrener als mein Ehemann. Hoffentlich schlug er nicht über die Stränge!

»Ich danke Euch. Euer Name war noch gleich?«

Der Blonde schlug sich auf die Brust und deutete eine Verbeugung an. »Ofnak Grauherr, Hauptmann der Axtkämpferbataillon von Woberok.«

Ich nickte, dann dankte ich den anderen noch einmal und machte mich auf den Weg zum Übungsplatz. Er befand sich direkt hinter dem südlichen Tor. Der Platz war jediglich ein freier Sandplatz, der von der woberokischen Königskaserne umrahmt wurde. Überall wimmelte es von Soldaten und mir wurde die militärische Stärke Woberoks wieder einmal bewusst. Zudem das nicht alle Soldaten in Woberok waren. Es befanden sich in jedem Stadtring eine Kaserne, die Stadtwache war eine eigene Militäreinheit rein für die Stadt zuständig und außerhalb Woberoks gab es schier endlose Heerlager und Stützpunkte, sowie besetzte Außenposten. Ich konnte mir die Anzahl der Militärs gar nicht zusammenzählen. Dagegen wirkte Kartan winzig. Aber ein Teil davon war meinem Vater geschuldigt, der sich kaum noch für sein Königreich begeistern konnte, sondern nur das Nötigste tat.

Ich hielt mich nicht lange mit dem Anblick der prunkvollen Kaserne auf, sondern folgte einem schmalen Pfad zwischen den Soldaten hindurch. Am Rand des Sandplatzes entdeckte ich Rickon und Freyer. Sie standen nebeneinander und starrten auf das Spektakel, das sich ihnen bot. Direkt in der Mitte des Platzes kloppten sich mein Bruder und mein Ehemann vor aller Augen.

Prinz Regan war oberkörperfrei und zum ersten Mal bekam ich wirklich einen Blick auf seine muskulöse Gestalt. Am gestrigen Abend hatte ich gewiss kein Auge für ihn, sondern hatte nur meine Angst im Kopf gehabt, sodass ich ihn kaum angesehen hatte. Er war ein Hühne von einem Mann, groß und die Haut glänzte schweißnass von dem anstrengenden Kampf. Seine definierten Brust- und Bauchmuskeln spielten bei jeder Bewegung. Regan atmete große Dampfwolken in die kalte Winterluft und wich Tristans Schlag gekonnt zur Seite aus.

Mein Bruder, der ebenfalls mit nacktem Oberkörper immer wieder zum Angriff ansetzte, torkelte bei einem nicht gelungenen Schlag zur Seite. Daraufhin wartete Regan, bis er erneut angriff.

Nun verstand ich auch, was seine Strategie war. Er griff kein einziges Mal an, sondern steckte jeden Schlag, den Tristan zufällig landete, weg und wich weiter aus. Er wollte meinen betrunkenen Bruder nicht verletzen, er wollte ihn ermüdigen.

»Was, bei Mara, geht hier vor sich?«, fragte ich Rickon atemlos.

Dieser stand mit verschränkten Armen am Rand und schnaubte abfällig. »Unser dämlicher Bruder ist sturzbesoffen! Das ist los, Kira«, knurrte er.

»Was ist denn passiert?«

»Dein Ehemann hat auf dem Platz trainiert und auf einmal kam Tristan und meinte, ihn herausfordern zu müssen.«

»Wir haben dort hinten gesessen und alles gesehen.«, sagte Freyer aufgebracht. »Wenn das ein echter Kampf wäre, hätte Regan ihn längst zu Boden geworfen.«

Ich funkelte sie an. »Das ist doch unwichtig, oder? Wichtig ist, dass er damit aufhört, sonst verletzt er sich noch selbst. Warum machst du denn nichts?«

»Fahr mich nicht so an, Kira! Ich kann schließlich nichts dafür, dass er so getrunken hat. Außerdem habe ich schon versucht, ihn wegzuzerren. Daraufhin hatte ich beinahe seinen Ellenbogen in den Eiern und die brauche ich noch.«

In mir schäumte die Wut hoch. War wirklich keiner in der Lage dem Einhalt zu gebieten? Musste wirklich erst ich auf den Platz treten, um die beiden Streithähne zu trennen? Würden sie sich überhaupt von mir trennen lassen?

Ich blickte ihn an, dann bedeutsam zu Freyer. »Das sehe ich.«, zischte ich gereizt, dann kämpfte ich mich durch die Soldaten weiter auf den Platz. Viele der woberokischen und kartanischen Soldaten gröhlten und stachelten die beiden sogar noch an, weiterzukämpfen und, dass Regan endlich richtig zuschlagen sollte, statt wie eine Tänzerin um ihn herum zu hüpfen.

»Prinzessin, nicht!«, rief Talmar mir zu und fasste mich am Arm, aber ich riss mich sofort los und lief zu den Beiden hinüber.

»Verdammt nochmal, Tristan! Hör auf!«

Aber mein Bruder reagierte kaum, stürmte im Gegenteil mit einem wahnsinnigen Schrei auf Regan zu und prallte gegen ihn. Regan hielt ihn fest, das Gesicht verzerrt, als Tristan wie ein Irrer auf seinen Rücken einprügelte.

»Ich mach dich fertig, du woberokischer Hurensohn!«, kreischte Tristan und in diesem Moment erkannte ich meinen Bruder kaum wieder. Was war nur los mit ihm?!

»Tristan!«, schrie ich, wollte näher kommen, aber Regans Brüllen hielt mich zurück.

»Bleibt gefälligst dort!«, fuhr er mich an.

Mein Herz pumpte so heftig, dass ich kaum Luft bekam.

»Du fasst meine Schwester nicht nochmal an!«, brüllte Tristan und seine Stimme klang kehlig und wund, als würde er schon den ganzen Morgen damit zubringen, herum zu brüllen.

Mir schossen die Tränen in die Augen, weil ich mich so sehr schämte. Bei den Göttern, was sollte Woberok bloß von uns Kartanern denken, wenn sie sahen, wie der jüngste Prinz Kartans auf den Kronprinz von Woberok losging. Was sollten sie nur von mir denken? Wahrscheinlich hielten sie nun uns für die Barbaren, statt wir sie. Benommen sah ich zu, wie Regan Tristan in den Schwitzkasten nahm und dieser mit hochrotem Kopf herum schrie und versuchte, sich auf dem Klammergriff zu befreien. Mehrere Minuten lang rangen die beiden Männer, bis Tristan seinen Widerstand endlich aufgab.

Keuchend vor Erschöpfung ließ Regan ihn los und Tristan fiel auf die Knie.

Ich stolperte zu den beiden und hockte mich vor Tristan auf die Knie. Seine Knöchel waren aufgeplatzt und seine Hände blutgetränkt von den Schlägen, die er Regan verpasst hatte, ansonsten war er unverletzt. Aber auch nur, weil Regan ihn verschont hatte. Vorsichtig griff ich nach Tristans Hand, um sie mir anzusehen, aber er zog sie fort, als hätte meine Berührung ihn verbrannt.

Er starrte mich durch wahnsinnige Augen an. »Du wärst liebend gerne seine Hure, oder?«

Ich sah ihn ungläubig an. So kannte ich ihn nicht und ich verstand nicht, was mit ihm los war. Weshalb sah er mich so? Weshalb hasste er Regan so sehr, dass er ihm vermutlich den Schädel eingeschlagen hätte, wenn man ihn gelassen hätte.

»Warum sagst du so etwas?«

»Du bist so viel mehr, als er oder ich oder Vater. Oder irgendjemand hier. Und dennoch lässt du dich herab, sein Bett zu wärmen. Ich habe gehört, was die Wachen gesagt haben. Du sollst dir ja die Kehle wund geschrien haben, gestern Nacht. Ist es das was du willst? Sein Hurenweib sein?«

Ich funkelte ihn an, konnte nicht fassen, dass er so sprach, wenn so viele Leute anwesend waren und uns anstarrten. Egal, was mit ihm los war, das würde ich ihm nie wieder verzeihen. »Ich habe meine Pflicht erfüllt. Und du solltest an die deinen denken.«

Tristan starrte mich an, streckte die Hand aus und ich wollte schon zurückweichen, aber er berührte jediglich den Anhänger meiner Silberkette. Ein unscheinbares, schiefes Lächeln, das so viel Schmerz und Sarkasmus ausdrückte erschien auf seinem Gesicht. »Kind des Feuers... das ich nicht lache...« Dann zuckte seine Hand zurück und er stand auf. Benommen vom Alkohol torkelte er davon und die Menge machte ihm Platz, damit er gehen konnte.

Eine schiere Ewigkeit saß ich da und starrte ihm nach, auch, als er längst verschwunden war. Was bei allen Göttern, hatte er damit gemeint? Kind des Feuers? Natürlich war ich ein Kind des Feuers!

Ich zuckte zusammen, als ich schwere Schritte hinter mir hörte.

Regan stand leicht gekrümmt da und hielt mir eine Hand hin, um mir aufzuhelfen.

Ich legte meine Hand in seine und ließ mich hoch ziehen. Dann erst sah ich, was mein Bruder angerichtet hatte. Er hatte Regan wirklich nicht verschonen wollen. Seine Seiten wurden bereits von blauen Flecken geziert und auf seinem Oberarm prangten Kratzer, die Tristan ihm wohl mit den Nägeln zugefügt haben musste.

»E-es tut mir so leid...«, flüsterte ich und rieb mir eine Träne von der Wange.

»Euch muss gar nichts leid tun.«, sagte Regan ruhig und hob seine Hand an meine Wange.

»Es ist mir so unangenehm. Er hat gestern schon getrunken und wirres Zeug geredet, ich hätte Euch warnen müssen.«

Er schüttelte den Kopf, rieb mir die Tränen von den Wangen, sodass ich erschauderte. »Euer Bruder handelt selber, da könnt Ihr nichts für. Wenn er meint, auf mich losgehen zu müssen, müsst Ihr Euch nicht dafür schuldig fühlen. Ihr konntet es nicht wissen.«

Ich nickte nur schwach, aber ich fühlte mich dennoch schuldig. »Ihr solltet das untersuchen lassen. Das sieht heftig aus.«

Er schüttelte den Kopf. »Nur ein paar Prellungen und Kratzer. Ich bin schlimmeres gewohnt, Prinzessin. Woher wusstet Ihr eigentlich, wo wir sind?«

»Hauptmann Ofnak hat mir gesagt, wo ich Euch und meinen Bruder finden kann. Er sagte, dass er sich mit Euch prügelt.«

Regan schnaubte. »Ofnak liebt gute Prügeleien. Wenn seine Wachschicht am Tor nicht angefangen hätte, wäre er wahrscheinlich hier geblieben und hätte Wetten entgegen genommen.«

»Na wunderbar.« Ich verzog das Gesicht, dann deutete ich noch einmal auf die Wunde. »Kovir sollte sich den Kratzer dennoch ansehen. Er muss gesäubert und vielleicht verbunden werden.«

Regan hob die Augenbraue. »Ihr sprecht schon, wie meine Cousine, die wegen jedes Kratzers gleich das halbe Feldlazerett zusammenrufen würde.«

Ich bekam ein schlechtes Gewissen, dass ich sie vorhin so angefahren hatte. Mit den Augen suchte ich die Menge ab, aber sowohl sie, als auch Rickon waren verschwunden. Bei der nächsten Gelegenheit musste ich mit ihr sprechen und mich entschuldigen. Ich musste ihr erklären, weshalb ich so wütend gewesen war, denn eigentlich war es nicht meine Aufgabe, sie zu suchen, weil sie Kovirs Unterricht verpasste.

»Vielleicht ist genau deswegen noch nichts ernsteres passiert.«, entgegnete ich und folgte ihm vom Platz herunter, um mit ihm, Kovirs Bibliothek und Krankenstation aufzusuchen.

Dabei grübelte ich noch immer über Tristans Worte nach und, was er damit gemeint haben könnte.

Kapitel 20

 

Am Abend saß ich nervös auf Regans riesigem Himmelbett und bürstete gedankenverloren mein Haar, während ich die Geschehnisse des Tages revue passieren ließ. Den restlichen Tag hatte ich mit Regan bei Meister Kovir verbracht, der den Kratzer sorgfältig ausgespült und gereinigt hatte, wobei er mir jedes Mal einen grimmigen Blick zugeworfen hatte. Ich wusste, dass Kovir erwartet hatte, dass ich mich um so etwas Simplem wie den Kratzer auf Regans Arm kümmern konnte, aber ich fühlte mich so matt und erschöpft, dass ich sicher war, ihm nicht einmal die Nase hätte putzen zu können. Schließlich hatte Kovir gesagt, dass er den Kratzer nicht verbinden würde, damit er an der Luft trocknen und verschorfen konnte.

Danach beim Abendessen hatte uns der König über die Vorkommnisse des Nachmittags ausgefragt und meine Mutter war früher vom Abendessen verschwunden, da sie sich angeblich unwohl fühlte. Ich vermutete eher, dass sie nun auf die Suche nach Tristan gehen würde, der nicht zum Essen erschienen war, um ihm die Leviten zu lesen. Aber das war mir auch ganz recht, schließlich hatte er ein furchtbares Verhalten an den Tag gelegt. Und ich wurde diesen Abend sowohl mit finsteren Blicken, als auch mit Schweigen von Freyer gestraft. Rickon hingegen verhielt sich noch am normalsten, obwohl er nicht einmal das Wort an mich richtete.

Ich wusste, dass ich Mist gebaut hatte und nahm mir vor, mich bald möglichst mit Freyer zu versöhnen.

Nun saß ich hier und wartete, bis mein Ehemann von einer Unterredung mit dem König in unsere Gemächer kam. Ich war noch unschlüssig, was genau er von mir erwartete. Wir waren schließlich Mann und Frau und in dieser Beziehung passierten einige Dinge, die für ein Ehepaar normal waren, aber nicht für uns. Würde er tatsächlich Wort halten und mich nicht anrühren? Würde er wirklich für immer auf mich verzichten, wenn ich niemals bei ihm liegen wollte? Oder würde er eines Tages doch nach mir greifen?

Meine Finger zitterten angespannt, als ich die Bürste beiseite legte und ein Haargummi nahm, um mir das Haar hochzubinden. Unschlüssig saß ich schließlich in den weichen Decken und Fellen und blickte mich um. Nach zehn Minuten, in denen er noch immer nicht auftauchte, stand ich auf und lief barfuß zu meinen Gepäckstücken hinüber. Ich hatte noch keine Zeit gehabt, alles auszupacken, sodass ich nun das Kästchen mit meinen Farben nahm, mich auf die kleine gepolsterte Bank setzte und das Kästchen auf meinen Schoß stellte.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Regan trat ein. Er stockte kurz, als hätte er vergessen, dass ich hier war und wir uns seine Gemächer ab jetzt teilten. Langsam schloss er die Tür, ohne den Blick von mir abzuwenden und ich begriff auch, weshalb.

Ich, Närrin, hatte ein überaus durchscheinendes Nachtkleid an, das mir jediglich bis zu den Knien reichte. Errötend stellte ich das Kästchen weg und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Was... was wollte Euer Vater denn von Euch?«

Regan zuckte nur die Schultern. »Er wollte wissen, was genau geschehen war, aber ich sagte ihm dasselbe, wie beim Abendessen.«, erklärte er und ging zum Bett hinüber, um sich auf die Bettkante zu setzen. »Dieser Vorfall wirft kein gutes Licht auf Eure Familie.«

Ich senkte den Blick. »Ich weiß... aber hier hält doch eh niemand viel von mir.«

»Das stimmt nicht«, entgegnete er. »Viele sind beeindruckt von Euch.«

Ich hob verwirrt den Blick. »Tatsächlich?«

Er nickte. »Ich höre die Soldaten andauernd darüber sprechen, dass Ihr Biss habt. Und ich muss ihnen zustimmen.«

Ich wurde unter seinem intensiven Blick rot und zuckte die Schultern. »Ich versuche halt, mich einzufügen.«

»Und deshalb bewundern viele Euch. Wisst Ihr, in Wirklichkeit hat kaum ein Woberoker eine Ahnung von den Menschen aus Kartan. Jediglich diejenigen unter ihnen, die tatsächlich mal einen getroffen haben, können Geschichten über sie erzählen. Und so wurde über Jahrzehnte das Bild des hochnäsigen Kartaners geschürt, der sich zu fein ist, um sich seine gepuderten Hände schmutzig zu machen. Nun gerät dieses Bild ins Wanken. Durch Euch.«

Unwillkürlich musste ich lächeln und strich mir eine lose Strähne meines kastanienbraunen Haares aus der Stirn. »Ihr seid auch nicht so, wie ich mir einen Woberoker vorgestellt habe.«

Er legte den Kopf schief. »Lasst mich raten. Ihr hattet einen vollbehaarten Wilden erwartet, der sich die Knochen seiner Feinde um den Hals hängt und mit seinen Tieren schläft.«

Ich musste kichern. »Nicht ganz.«, erwiderte ich. »Ich hätte erwartet, dass Ihr so zivilisiert seid, nicht das Bett mit einer Ziege zu teilen.«

Er grinste mich schief an. »Wir sind schon ein Pärchen, was? Die ›hochnäsige, gepuderte, schnöselige‹ Kartanerprinzessin und der ›wilde, bebärtete, knochentragende‹ Barbarenkronprinz von Woberok.«, lachte er, dann verzog er schmerzerfüllt das Gesicht und hielt sich die Seite. »Und glaubt mir, ich sage nie wieder, dass die Männer Kartans Weicheier sind.«

Ich stand auf. »Besser wäre es. Wenn Rickon das hören würde, würde er Euch gleich noch eine verpassen. Er ist schließlich erfahrener und von meinem größten Bruder will ich gar nicht erst anfangen.«

»Ihr meint diesen stillen Schluck, der ständig in der Bibliothek rumhängt?«, fragte er mit erhobener Augenbraue, als könne er nicht glauben, dass Jeff jemals jemandem etwas zuleide tun konnte.

»Nein, nicht Jeff. Er begeistert sich nicht wirklich für die Waffenkunst. Er hängt mit der Nase lieber in einem Buch.«, antwortete ich und lehnte mich gegen den Bettpfosten. »Mein großer Bruder, Kronprinz Harris, war leider nicht auf der Feier gestern. Meine Mutter sagte, dass seine Frau sich unwohl fühlte, als sie aufbrechen wollten und, da sie ein Kind erwartet, ist er in Koge geblieben.«

Regan starrte mich für einen Moment entgeistert an, dann schluckte er heftig. »Kronprinz Harris

Ich nickte. »Ja. Er lebt eine ganze Weile schon auf dem Landsitz seiner Frau.«

Er runzelte die Stirn, als verstünde er etwas nicht. »Also... habt Ihr vier Brüder?«

»Ja. Warum fragt Ihr?« Obwohl ich seine Verwunderung nicht ganz verstand, genoss ich dieses zwanglose Gespräch mit ihm beinahe. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dadurch, dass ich ihm etwas über mich erzählte, kamen wir uns näher und erfuhren mehr über den anderen. Er kam mir nicht mehr so groß, bedrohlich und fremd wie am vorherigen Tag vor.

Er rieb sich über die Stirn und strich sich das tiefschwarze Haar zurück. »Ich hatte in Erinnerung, dass mein Vater sagte, Ihr hättet nur drei Brüder. Aber es stimmte... ich habe Euren Bruder schon einmal gesehen. Auf einem Schlachtfeld, als noch Krieg zwischen den Königreichen herrschte. Er ist verheiratet?«

Ich nickte nachdenklich. »Ich weiß nicht, vermutlich ist meine Familie für Skandale zu haben... er verbrachte einen Sommer in der Provinz von Koge und verliebte sich dort in eine verarmte Adlige. Als er heim kam, eröffnete er unserem Vater, dass er sie heiraten würde. Und das tat er.«

Regan zuckte die Schultern. »Er wird Kartans zukünftiger König sein. Wenn er meint, eine verarmte Adlige heiraten zu wollen, kann Euer Vater nicht viel dagegen sagen.«

Ich starrte ihn an. »Aber... Euer Vater hat Euch auch befohlen, mich zu heiraten, oder?« Ich begriff erst, was ich gesagt hatte, als die Worte schon längst meinen Mund verlassen hatten. Bei den Göttern, wie dumm war ich?

Für einen Moment herrschte Stille zwischen uns und ich zog den Kopf immer mehr ein. Meine Körperhaltung war angespannt. Wie konnte ich nur so dumm sein und ihn so etwas fragen? Unsere Situation ließ sich nicht im Geringsten mit der meines Bruders von damals vergleichen! Sicher kochte bereits die Wut über mein furchtbares Verhalten in ihm hoch. Frauen hatten den Mund zu halten und nicht solche Sachen zu fragen.

»Ja. Mein Vater befahl mir, Euch zu heiraten. Aber ich hätte genauso gut fortreiten und irgendein Mädchen vom Lande vor einen Priester zerren und heiraten können, es wäre legitim gewesen. Stattdessen habe ich meine Pflichten gegenüber meines Königreiches erfüllt und eine Prinzessin geehelicht. Was nicht heißen soll, dass Euer Bruder kein Pflichtgefühl besitzt. Nur er hatte bereits ein Mädchen, für das er seine Pflicht eine Prinzessin zu heiraten, in den Schatten stellte und seinem Herzen folgte.«

Ich senkte den Kopf. Aus irgendeinem Grund versetzte seine Worte mir einen Stich in die Brust. Er hatte seine Pflicht erfüllt. War das alles, was er zu unserer Ehe sagen konnte? Konnte ich überhaupt noch mehr fordern, wo er schon meine Unschuld bewahrte und allen Menschen eine Lüge auftischte? Sogar Tristan hatte gesagt, er hätte von den Wachen gehört, wie ich geschrien haben sollte. Das war schlicht eine Übertreibung, schließlich hatte hier nie eine Vereinigung stattgefunden.

»Wir sollten vielleicht zu Bett gehen. Der Tag war ziemlich anstrengend.«, murmelte Regan, der mein Grübeln bemerkt haben musste.

»Ihr habt recht.«, wisperte ich und wollte mich schon abwenden, als er meine Hand ergriff und mich aufhielt. Eine Gänsehaut jagte meine Arme auf und ab.

»Ich weiß, dass das vielleicht ein wenig seltsam klingt, aber könntet Ihr mir das Hemd ausziehen? Euer Bruder hat einen fabelhaften rechten Haken drauf und ich befürchte, dass ich Stunden bräuchte, es über den Kopf zu streifen.«

»Oh«, machte ich. »Natürlich. Geht es wenigstens mit dem Bewegen? Es tut mir immernoch leid, was mein Bruder...«

»Macht Euch keine Gedanken. Ich komme klar. Es wäre nur sehr hilfreich mit dem Hemd.«

Ich nickte geschäftig und griff nach dem Saum seines Leinenhemdes. Ich spürte seine warme Haut unter meinen Fingerspitzen und erschauderte, als ich ihm das Hemd gänzlich über den Kopf streifte. Auf einmal war ich ihm so nahe, dass ich seinen heißen Atem an meiner Schulter spürte und zwischen seinen gespreizten Beinen stand. Ich fühlte mich in seiner unmittelbaren Nähe so klein und verletzlich.

Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe und presste sein Leinenhemd an meinen Oberkörper, um mich ein wenig zu bedecken. »Wir sollten... zu Bett gehen.«, stammelte ich atemlos und drückte ihm das Hemd in die Hand, bevor ich mich rückwärts von ihm entfernte und dann rasch das Bett umrundete, um auf meiner Seite unter die Bettdecke zu schlüpfen.

Regan blieb noch eine ganze Weile auf der Bettkante sitzen und mühte sich mit seinen Stiefeln und der Hose ab, bevor er nur mit einer dünnen Leinenhose bekleidet die Lichter löschte und auf seiner Seite des Bettes unter die Bettdecke stieg. Eine ganze Weile lag ich noch wach da und ich hörte an seinem Atem das er ebenfalls wach war, bis mir vor Erschöpfung irgendwann die Augen zufielen.

 

 

Nachdenklich blickte er in die Ferne, während er sich im Sattel nach vorne beugte und das Gewicht verlagerte. Seit Stunden saß er sich im Sattel den Hintern platt, während der Wind ihm das kurze schwarze Haar zerzauste. Wenigstens war es unter seiner woberokischen Rüstung warm und der gefütterte Wams schützte ihn vor dem eisigen Nordwind. Der Winter war hier, das wusste nun jeder. Zwar lag noch verhältensmäßig wenig Schnee, aber der Frost hatte den Boden überzogen, machte ihn hart und unnachgiebig und von den Laubbäumen waren nur noch kahle, nackte Äste übrig.

Drei Wochen waren seit der Wintersonnenwende vergangen und er spürte bereits jetzt die Frusttration seines eintönigen Ehelebens. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und umklammerte die Zügel fester, wenn er daran dachte, wie die letzten Wochen von Statten gegangen waren. Kiras Familie war abgereist, eine Woche nach ihrer Hochzeit und nun kehrte der Alltag in ihrer beider Leben ein. Regan hatte oft in der Kaserne zu tun, musste trainieren, Patrouillen organisieren und sich um die militärischen Truppenbewegungen rund um Woberok kümmern, während seine Frau weiterhin Meister Kovirs Unterricht besuchte und ab und zu noch in der Küche aushalf. Ansonsten, sobald die beiden erschöpft Abends in seinen Gemächern aufeinandertrafen, redeten sie ein wenig und gingen dann schlafen. Es frustrierte ihn, dass sie kaum eine Berührung zuließ und ihm scheinbar nicht zu vertrauen schien.

Zwar ermahnte er sich, dass es seine eigene Idee gewesen war, zu warten, bis sie es zulassen würde, aber es fiel ihm immer schwerer, wirklich die Hände von ihr zu lassen. Er war genervt darüber, dass er seine Frau kaum anfassen durfte. Wenn das so weiter ging, überlegte er sicher ernsthaft, eines der Bordelle aufzusuchen.

»Willst du jetzt drei Stunden auf diesem beschissenen Hügel stehen und da runter starren?«

Regan wandte den Kopf zu Thorald, der neben ihm auf einem kräftigen dunkelgrauen Kaltblüter saß und sich mit der behandschuhten Hand durch den gekräuselten Bart fuhr. Allmählich ging ihm Thorald mächtig auf die Nerven. Denn er war es, der Regan andauernd löcherte, wie das Eheleben so war und wie es sich anfühlte, statt eine Woberokin, eine Kartanerin zu vögeln. Er wusste gar nicht mehr, wie viele finstere Blicke er ihm bereits zugeworfen hatte. Er hatte aufgehört zu zählen.

»Halts Maul, Thorald«, knurrte Regan genervt.

»Haben wir heute wieder besonders gute Laune? Bei den Göttern, man könnte meinen, du knallst dein Weib nicht ausreichend, schließlich sollte sich durchs Ficken Stress abbauen.«, brummte er und trieb sein Pferd ohne einen Befehl bekommen zu haben vorwärts, dem kleinen Stützpunkt unter ihnen entgegen.

Regan presste die Kiefer zusammen und widerstand dem Drang, ihm nachzureiten und ihn vom Pferd zu werfen.

An seiner Stelle führte Raphael seine Stute vorwärts. »Jetzt mal im Ernst, Regan. Was ist los mit dir? Auch, wenn ich Thoralds Sprachweise nicht nachahmen werde, hat der Vollidiot recht. Du benimmst dich seltsam.«

»Inwiefern?«

»Deine Laune ist zum Kotzen.«, schnaubte Ofnak schräg hinter ihm.

Regan ließ den Kopf hängen, dann rieb er sich mit der offenen Handfläche über das Gesicht. Es war klar gewesen, dass seine Waffenbrüder irgendwann Lunte riechen würden. Sie kannten ihn eigentlich anders. Eher beherrscht, selbstsicher, ruhig. Und er benahm sich in den letzten Wochen wirklich anders durch seinen andauernden Frust. Dass ihm dazu ständig Igred über den Weg lief und versuchte, ihm schöne Augen zu machen, half ihm nicht weiter. Diese Schlange, so hatte er das Gefühl, wusste sehr genau, dass zwischen ihm und seiner Frau rein gar nichts passierte.

»Es ist nichts mit mir, in Ordnung? Alles bestens.«, winkte er ab.

»Bist du sicher?«, fragte Raphael. »Du weist, das du mit uns reden kannst. Von Mann zu Mann... wenn irgendwas zwischen dir und dem kartanischen Mädchen nicht läuft, dann...«

»Wovon sprecht ihr, bitte?«, fuhr Regan ihn an.

Ferrin neben Raphael zog bereits den Kopf ein, als fürchte er einen Schlag, obwohl er rein gar nichts gesagt hatte.

Raphael hingegen machte sich ein Stück größer. »Ich spreche davon, dass du dich seit deiner Hochzeit wie ein Hornochse aufführst und jedem Mädchen in Woberok anzüglich nachschaust, nur, wenn deine Frau durch die Tür kommt, alles interessanter zu sein scheint, als sie!«

Regan schüttelte wütend den Kopf. »Ich habe keine Lust mehr, darüber zu reden.«, knurrte er, dann trieb er seinen schwarzen Hengst vorwärts und ritt dem Stützpunkt entgegen.

 

Am Abend lag er auf der Pritsche im Stützpunkt, nachdem er den gesamten Nachmittag damit zugebracht hatte, mit den Offizieren und Kommandanten Taktiken zu besprechen. Der Stützpunkt umfasste eine einfache Palisadenmauer aus Holzspießen, in dessen Innern mehrere Baracken aufgestellt waren. Darum war alles mit Zelten gespickt, dazwischen lagerten verschiedene fahrende Händler, die ihre Waren an den Stützpunkt verkauften, um dann weiterzuziehen.

Es war die erste Nacht außerhalb seines Ehebettes und er genoss beinahe den üblen Schweißgeruch und das Schnarchen der übrigen Soldaten, so, wie er es früher verflucht hatte. Ein Drittel seines Lebens hatte er genau auf solchen Stützpunkten verbracht und wie ein normaler Soldat der Armee seines Vaters gedient, der ihn mit fünfzehn Jahren fort schickte, um ein Mann zu werden. Damals hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, sich über den Geruch und alles zu beklagen, was hier nicht dem Komfort Woberoks gleichkam. Nun war er froh darum, nicht neben dem kleinen, verführerischen Körper in seinem Bett zu liegen und sich Nacht für Nacht beherrschen zu müssen, sie nicht anzurühren.

Zwar hatten Raphael und die anderen den Tag über kein Wort mehr über Kira verloren, aber sie alle hatten Recht, sogar Thorald, wie er missmutig feststellte. Er dachte an nichts anderes, als, wie es wäre, sich im Bett an ihren kleinen festen Hintern zu drücken, ihre kleinen gerundeten Brüste mit seiner Hand zu umschließen und sie endlich zu seiner Frau zu machen.

Wann nur hatte sie endlich so viel Vertrauen zu ihm gefasst, um sich ihm hinzugeben?

Regan atmete zittrig ein und aus und rieb sich mit beiden Händen frustriert über das Gesicht, als er bemerkte, dass es bei den Gedanken um seine Frau, ziemlich eng in seiner Hose wurde.

Ja, er sah jedem Mädchen in Woberok hinterher. Aus einem bestimmten Grund: weil er an kein anderes mehr denken konnte, als an Kira und, wie sie unter diesen Stoffbahnen aussehen mochte. Und er senkte jedes Mal den Blick, weil er wieder die Begierde in sich spürte. Bei den Göttern! Er wusste überhaupt nicht, was in letzter Zeit los war mit ihm!

Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und durchquerte lautlos die Baracke, in der die oberen Offiziere nächtigten. Er öffnete die Tür und blieb einen Moment auf der Veranda stehen. Im Innern des Stützpunktes herrschte Stille, nur vereinzelte kleine Lagerfeuer brannten, um die sich die Wachmänner hockten, um etwas Wärme zu ergattern. Er jedoch genoss die frostige Luft, die sein erhitztes Gemüt ein wenig abkühlte.

Ein leises Quietschen der Tür sagte ihm, dass jemand seine Flucht bemerkt hatte.

Es war Raphael.

»Kannst du nicht schlafen?«

Regan schüttelte den Kopf. »Du?«

»Nein.«, murmelte er. »Schon seit einigen Nächten nicht mehr.«

Der Kronprinz drehte den Kopf zu ihm und betrachtete seinen engsten Freund. Zusammen hatten sie schon so viel zusammen durchgemacht. Der Tod seiner Schwester Kath hatte Raphael zu einem kühlen Mann gemacht, aber dennoch hatten die beiden das irgendwie überstanden und, nachdem Raphael die Rache bekommen hatte, nach der er sich gesehnt hatte, schien er eine Art Frieden gefunden zu haben.

»Ist es wegen Esme?«, fragte Regan und blickte wieder in den sternenklaren Himmel.

Er wusste noch, wie schön es gewesen war, als er Esme seiner Frau vorgestellt hatte. Sofort schienen Kira und sie sich gut zu verstehen und das hatte ihn im Moment glücklich gemacht, auch, wenn es wahrlich kompliziert zwischen ihnen war. Wie die beiden sich unterhalten und gelacht haben, war wunderbar gewesen und, bei Esmes Abreise zurück in ihre Heimat, hatte Kira sich von ihr verabschiedet und freute sich auf das nächste Wiedersehen. Er hatte ihr noch stundenlang über seine Schwester erzählen müssen.

Aber er wusste, wie schwer es für Raphael gewesen sein musste, sie gehen zu lassen.

Raphael senkte den Kopf. »Seit ihrer Abreise träume ich schlecht. Aber verdammt, ich bin sicher, dass du nicht darüber reden willst, dass ich deine Schwester immer noch liebe.«

Regan seufzte. »Ich habe damals nicht viel mitbekommen durch meinen Aufenthalt auf den Rabeninseln.«

Sein Freund zuckte die Schultern. »Darüber gibt es auch nicht viel zu wissen, Regan. Ich liebte sie, wir trafen uns zum Picknick und dann kam dein Vater mit dem Heiratsvorschlag für diesen Lord, der seit Jahren in Ikard sitzt. Und dann war sie weg. Wahrscheinlich hätte dein Vater mich einen Kopf kürzer gemacht, hätte ich bei ihm um ihre Hand angehalten.«

»Das weißt du doch nicht.«

»Wie auch immer. Es ist zu spät und das bereits seit Jahren.«

Regan seufzte und schwieg dann eine Weile.

»Und bei dir und der Prinzessin? Was ist los? Du weißt, dass du mit mir reden kannst.«

Er sah seinen Freund einen Moment an, dann schüttelte er den Kopf. »Über manche Dinge kann ich nicht mal mit dir reden, Raphael. Nimm es mir nicht übel, aber... das muss ich alleine klären.«

Raphel verzog ein wenig das Gesicht. »Ich weiß ja nicht, was das zwischen euch ist, aber sie sah traurig aus, als wir zur Patrouille aufgebrochen sind.«

Regan runzelte die Stirn und sah weiter in die Ferne. Sah sie traurig aus? Das wusste er gar nicht mehr, denn er hatte nicht wirklich auf ihren Gesichtsausdruck geachtet. Er hatte sich nur mit einem Kuss auf ihre Wange von ihr verabschiedet, damit die List, die sie noch immer geheim hielten, nicht auffiel. Seit heute Morgen war sie alleine in Woberok und dies war ihre erste getrennte Nacht seit ihrer Hochzeit.

»Ich gehe wieder rein, ja?«

Er nickte Raphael zu. »Ich bleibe noch etwas.«

Raphael neigte den Kopf, dann wandte er sich um und verschwand wieder im Innern der Kaserne. Regan seufzte und seltsamerweise ließen seine Gedanken erstmals von Kira ab und glitten zu seiner Schwester und seinem Freund. Wie viel wohler er sich fühlen würde, wäre sie noch immer auf Woberok und mit Raphael verheiratet, statt mit diesem schmierigen Lord Caspian, den er noch nie hatte leiden können. Er wollte sich nicht vorstellen, wie es für ihn war, zu wissen, dass Esme mit diesem Kerl das Bett teilen musste und bereits sein zweites Kind in sich trug. Er selbst würde wahnsinnig werden, wenn er sich vorstellte, das gleiche mit seiner Frau durchzustehen. Ein fremder Mann, der sie in die Kissen drückte und ihr ein Kind machte? Seine Hände umklammerten das Geländer der Veranda.

Umso erleichterter atmete er aus, als er an das Gespräch in der ersten Nacht nach der Hochzeit dachte. Harris... ihr Bruder. Wie konnte er nur so dumm sein und ihn für ihren Liebhaber halten? Natürlich hatte sie vier Brüder. Wie hatte er das nur verwechseln können? Er hatte schlichtweg an das falsche Königreich gedacht, denn in Fenral gab es eine Prinzessin, die drei Brüder hatte.

Er schüttelte den Kopf wegen den vielen seltsamen Gedanken, ehe er ebenfalls zurück in die Baracke ging.

 

Zehn Tage verbrachten sie im woberokischen Hochland und ritten ständig von einem Stützpunkt zum anderen, um nach dem rechten zu sehen. Dabei beobachteten sie auch, den Wechsel einer Streitmacht, die zur Hauptstadt zurückkehrte, dafür verließ eine andere diese und zog in den Stützpunkt ein. Wieder einmal war Regan von dem Organisationstalent seiner Leute beeindruckt. Schließlich mussten immer frisch ausgeruhte Soldaten die Grenzen ihrer Ländereien bewachen, denn es konnte jeden Moment zu einem Überfall der Wilderer kommen. Niemand konnte voraussagen, wie sie sich formieren würden und wann sie angriffen. Aus diesem Grund mussten die Grenzposten eine schier unüberwindbare Barrikade darstellen, das ein unerschütterliches Reich darstellte.

Regan und sein Trupp ritten anschließend weiter gen Süden und nächtigten mehrere Tage in der Wildnis, bevor sie den nächsten Stützpunkt erreichten. Ihm wurde klar, dass diese Reise ihn noch weit mehr Tage außerhalb der Hauptstadt und fern von seinem ehelichen Bett halten würde und beinahe erkannte er dahinter eine List, die nur von seinem Vater stammen konnte. Entweder Regan wäre nach diesem Umherreisen so ausgehungert, dass er direkt am ersten Abend in Woberok über seine Frau herfallen würde, oder er nahm sich eine Hure.

Er wusste noch nicht recht, was sein Vater damit bezwecken wollte, war doch er es, der ihn auf diese Patrouille gesandt hatte.

»Ich muss mit dir reden, Junge«, hatte der König an diesem Tag gesagt und ihn in sein Taktikzimmer gebeten, in dessen Mitte ein gewaltiger Tisch mit der gesamten nordischen Weltkarte lag. »Ich werde dich auf eine Patrouille schicken. Es wird sicher eine Weile dauern, aber ich vertraue dir an, den gesamten neunzehn Stützpunkten unseres Terretoriums einen Besuch abzustatten und dich über die dortige Lage zu informieren.«

Zuerst hatte Regan es als Ehre empfunden, dass ihm sein Vater eine solch große Aufgabe anvertraute, jedoch empfand er das Quengeln oberer Militärdiener über den wenigen Komfort allmählich als lästig.

Schließlich erreichten sie den neunzehnten Außenposten von Fyrkard. Der größte und mächtigste Turm ihres Landes bildete das Zentrum des Briefverkehrs Woberoks. Im Turm im obersten Stockwerk beheimateten die Wrober ihre Raben, die in die gesamte Welt ausgesandt werden konnten. Von weitem schon erkannten sie die mächtige schwarze Wolke dunklen Gefieders, aus der sich ständig einzelne Raben lösten und fort flogen.

Regan trieb sein Ross an und seine Männer gaben ihren eigenen Pferden die Sporen, um mit ihrem Anführer mitzuhalten. Schließlich erreichten sie das Tor des befestigten Außenpostens. Mit Zufriedenheit bemerkte Regan, dass es mehr als ausreichend bewacht wurde. Nachdem die Wachmänner festgestellt haben, dass es sich bei ihm um ihren Kronprinzen handelte, wurden sie eingelassen.

Sofort eilten Bedienstete herbei, die sich um ihre erschöpften Pferde kümmerten und ihnen wurde ein Platz im Offiziershaus angeboten, wo sie sich ausruhen und waschen konnten. Am Nachmittag wurden sie zum Kommandanten geleitet.

Regan blieb vor einem runden Tisch in mitten des Besprechungszimmers des Kommandanten stehen, auf dem sich allerleih Landkarten befanden, die mit mehreren Markierungen versehen waren.

Thorald bediente sich sofort an einer Flasche Branntwein, die auf einer Kommode stand und Ofnak und Ferrin folgten ihm, was Regan nur Recht war, so hatte er ein wenig Ruhe mit dem Kommandanten. Nur Raphael blieb eisern an seiner Seite.

»Bitte setzt Euch doch, Majestät.«

Regan folgte der Aufforderung des Kommandanten und setzte sich an den Tisch.

»Ich hoffe, die Reise war nur allzu anstrengend für Euch. Der König schickt selten einen Mann durch ganz Woberok, um die Außenposten kontrollieren zu lassen. Besonders sein eigen Fleisch und Blut nicht.«

»Nun... diese Kontrolle wurde schon lange überfällig und ich nehme an, dass er diese nicht irgendeinem Trottel anvertrauen konnte. Deshalb bin nun ich hier und sehe nach dem Rechten.«, erwiderte Regan gelassen und legte eine Hand auf die Tischplatte.

Der Kommandant legte den Kopf schief. »Ich bin sicher, dass es dieser Grund sein wird. Aber ich denke mir, dass es bestimmt schwer war, Eure junge Braut daheim zurückzulassen, wo Ihr sie gerade geheiratet habt.«

Regans Kiefer mahlten bereits. »Ja. Schwer. Aber sie wird auch ein paar Tage ohne mich auskommen.«

Der Kommandant lächelte schmallippig und verengte die seltsamen, frostig grauen Augen zu schmalen Schlitzen. »Das stimmt. Wenn man die Weiber ein paar Tage zappeln lässt, desto erkenntlicher zeigen sie sich bei der heimkehr, nicht wahr? Ich nehme an, es ist etwas Besonderes, eine kartanische Blume unter sich zu haben.«

Das Klirren der Gläser verstummte und Ofnak, Thorald und Ferrin hatten die Ohren gespitzt. Sie waren Kira schon lange nicht mehr so abgeneigt wie früher, da sich das Mädchen wirklich gemausert hatte. Sie arbeitete hart und abgesehen von den persönlichen Problemen mit ihm, gab sie sich alle Mühe die woberokischen Bräuche zu akzeptieren und ihnen nachzukommen. Er weiß nur, wie er sie kurz vor seiner Abreise ermahnt hatte, nicht wieder in Bardas Küche mit irgendwelchen Messern herum zu hantieren, da sie gewiss kein Talent im Umgang mit Messer und Kartoffel hegte und ihre Finger von dem Wäschaufhängen oftmals trocken und rissig waren, weil sie die Arbeit nicht gewohnt waren. Und dennoch beklagte sie sich nie.

»Sie ist eine Frau wie jede andere.«, erwiderte Regan.

Der Kommandant lächelte erneut und tippte abwechselnd mit den Fingern auf die Tischplatte, lehnte sich entspannt zurück und musterte Regan gründlich. »Gewiss, gewiss. Eine Frau wie jede andere, schließlich haben sie ihr Honigtöpfchen alle zwischen den Schenkeln, aber Kartanerinnen benehmen sich anders. Woberokeninnen sind offener mit einem Mann, als Kartanerinnen. Ich weiß noch... ich hatte mal eine, sie wurde ständig rot und hat versucht, sich zu bedecken. Und am Ende hat sie gebettelt, ich würde sie härter ficken. Ist das zu glauben? Erst so zimperlich und am Ende betteln sie doch alle nach einem Schwanz. Die Weiber...«

»Wunderbar«, unterbrach ihn Raphael genervt. »Der Prinz ist nicht hier, um sich Eure schmutzigen Bettgeschichten anzuhören und wen Ihr alles gefickt habt in der Vergangenheit. Wir sind hier, um ernstere Themen zu besprechen. Und zwar...«

Der Kommandant funkelte ihn an. »Lasst Ihr einen Diener immer für Euch sprechen, Prinz Regan?«

Raphael weitetete die Augen und starrte ihn an. »Diener?!«

Regan legte eine Hand auf Raphaels Arm. »Zu allererst einmal heißt es ›Kronprinz‹ Regan und zweitens ist das mein Berater und Stellvertreter. Und er hat jegliche Erlaubnis, in meinem Interesse zu handeln. Wenn er Euch also den Schädel einschlägt, werde ich kein Wort des Widerspruchs geben, ist das klar?«

Der Kommandant runzelte die Stirn. »Glasklar.«

»Wunderbar. Ich will wissen, weshalb bei jedem Außenposten, bei dem wir ankommen, mindestens ein Dutzend Soldaten Wache halten. So eine Wachsamkeit war selbst zu der Zeit, als meine Frau nach Woberok reiste, nicht vorgesehen. Weshalb jetzt?«

Der Kommandant zuckte die Schultern und zupfte sich einen imaginären Fussel vom Wams. »Als Vorsichtsmaßnahme.«

»Wozu?«, bohrte Raphael.

»Ihr müsstet doch gut genug wissen, dass sich die Wilderer an den Grenzposten vorbei schleichen können. Was wäre, wenn ein Trupp dieser Wilden bis zu einem Außenposten vordringt und die sonst zwei eingeteilten Torwachen überwältigt? Wir hätten schneller einen Außenposten verloren, als man denkt.«

Regan bemerkte, wie Raphaels Kiefer aufeinander bissen. Natürlich wusste der Kommandant, wen er vor sich hatte. Die Kunde von Lady Kath grausamen Tod hatte zu diesem Zeitpunkt überall in Woberok die Runde gemacht, denn sie war die Tochter des zweiten Berater des Königs gewesen und jeder hatte spekuliert, welchen Lord sie eines Tages heiraten würde. Dass Raphael als Sohn des Beraters in der königlichen Armee diente war ebenfalls überall bekannt gewesen, genauso auch die Nachricht von Kath' Tod und Raphaels Rachplänen, nachdem sein Vater an einem Herzschlag auf diese Nachricht hin verstorben war.

»Verstehe.«, sagte Regan und ließ dieses Thema genauso schnell wieder fallen, wie er es begonnen hatte. Irgendwas stimmte nicht, aber er wusste irgendwie, dass er nicht viel mehr aus dem Kommandant herausbekommen würde, sowie aus den übrigen Generälen der Außenposten zuvor. Jedenfalls im Moment.

»Da das Thema nun beendet ist, wünsche ich Euch eine gute Nacht und eine gute Weiterreise.«, sagte der Kommandant.

»Wir werden nicht noch weiterreisen. Wir reiten heim. Woberok war schon viel zu lange ohne Kronprinz.«, sagte Raphel mit gepresster Stimme.

Der Kommandant hob die Brauen. »Achso? Die Nachricht, die ich bekam, verwies darauf, dass Ihr gen Nordwesten reitet, um der Jagdgesellschaft des Königs beizuwohnen.«

Regan runzelte die Stirn. »Der Jagdgesellschaft?«

»Ja. Der König hat für die kommenden Tage auf Fyrkard seine Jagdgesellschaft einquartieren lassen, um Wildschweine zu jagen. Eure Frau soll wohl auch mit der Gesellschaft mitziehen?«

Regan quollen beinahe die Augen aus den Höhlen. Warum wusste er davon nichts?! Und seine Frau reitete mit nach Fyrkard? Bei den Göttern, auf einer Jagd hatte sie nichts zu suchen! Wenn sie verletzt wurde, wusste er nicht, wie er reagieren würde! Er wusste noch, wie ein junger Bursche bei einer Wildschweinjagd von einem wilden Keiler aufgeschlitzt worden war. Man hatte seine Gedärme noch zehn Meter weiter aufsammeln müssen!

Er sprang auf und neigte den Kopf. »Ich danke Euch, Kommandant. Wir finden alleine hinaus.«

So schnell er konnte, floh er aus der Baracke und blieb draußen schnaubend stehen. Raphael folgte ihm genauso schnell, etwas langsamer die anderen.

»Was ist denn los?«, fragte Thorald genervt.

»Wir reiten morgen nach Fyrkard. Ruht euch aus, wir reiten bei Tagesanbruch ohne Pause.«

»Was?«, fragte Ferrin erschöpft und zog das Wort gequält in die Länge. So eine Reise hatte der Bengel noch nie hinter sich, kein Wunder, dass er erschöpft war, aber darauf konnte Regan keine Rücksicht nehmen.

»Warum denn das?« Ofnak runzelte die Stirn.

»Kira ist dort. Ich muss hin.«

Thorald verdrehte die Augen. »Bei den Göttern, dann lernt sie endlich mal etwas übers verarzten. Kovirs Spitzendeckchen kann man nun wirklich nicht als realistisches Beispiel sehen.«

Regan funkelte ihn an. »Erinnerst du dich an den schwarzen Keiler vor zwölf Jahren? Der das Lager verwüstet hat und dreizehn Menschen getötet hat? Darunter Frauen und Kinder? Verzeih mir, wenn ich mir dabei ein wenig Sorgen um mein Weib und deine zukünftige Königin mache!« Er hatte kaum gemerkt, wie er begonnen hatte zu brüllen, erst, als alle Soldaten im Umkreis ihn anstarrten, fluchte er lauthals und floh in die Richtung seiner Baracke.

»Allmählich wird er mir unheimlich. Wenn er mich anbrüllt, weil ich ihm auf den Sack gehe, verstehe ich das ja, aber so...«, brummte Thorald und machte sich zu den Stallungen auf, um sein Pferd zu satteln.

.

 

 

 

Wenn die Sterne auf die Erde regnen und der Wind über das Land tobt, wenn Träume Wahrheit werden und Blut die Bäche hinab fließt,

kehrt das Feuer zurück in jedes Herz.

 

 

Kinder des Alten Blutes, Unbekannt.

Kapitel 21

 

Meine Finger waren klamm von dem eisigen Wasser, in dem ich schon seit Stunden Kleider eintauchte, auswrang und mit der Kleiderbürste schrubbte. Bardas brennende Fichtenseife zog auch den letzten Rest Feuchtigkeit aus meinen Fingerspitzen und ließ sie aussehen, wie die Hände einer alten Frau. Genervt verzog ich das Gesicht und kniff schmerzerfüllt die Augen zusammen, als ich mich endlich wieder in eine aufrechte Position begab. Für einen Moment beobachtete ich die Frauen um mich herum, die das gleiche taten wie ich. Wasser klatschte um uns herum, jedes Mal, wenn sie ein neues Hemd schwungvoll in den mit Seifenwasser gefüllten Bottich tauchten. Dampfwolken stoben in die kalte Vormittagsluft auf und meine Gedanken schweiften zu den letzten Wochen ab.

Prinz Regan war nun seit einem Monat fort und ich gewöhnte mich allmählich an den Gedanken, dass eine schier ganz anders war, als ich es mir vorgestellt hatte. Nach unserer Hochzeit, nachdem meine Familie abgereist war - Tristan hatte ich kaum mehr zu Gesicht bekommen - und ich Regans Schwester kurz kennenlernen durfte, hatte sich alles verändert. Ruhe war in unseren Alltag eingekehrt. Solange Prinzessin Esme noch in Woberok gewesen war, hatte ich mich jeden Nachmittag nach Kovirs Unterricht mit ihr in der großen Halle getroffen und wir hatten nebeneinander vor dem Kamin gesessen, geredet und dabei Handarbeiten angefertigt. Sie war eine schöne, aufgedrehte Frau, dessen Humor keine Grenzen kannte. Doch mir war auch eine düstere Seite an ihr aufgefallen, wenn ich ihr ein Stück Gebäck angeboten hatte, was sie stets abgelehnt hatte. Außerdem war sie meinen Fragen bezüglich ihrer Kinder aus dem Weg gegangen. Alles, was ich erfahren hatte, war, dass sie einen kleinen Jungen namens John hatte und, dass Lord Caspian ihr Ehemann war. Stattdessen hatte sie mich gelöchert, wie mein bisheriges Leben gewesen war.

Nach ihrer Abreise wurde jedoch auch diese Freude zunichte gemacht, denn der Alltag verschlang meinen Ehemann und mich. Tagsüber trainierte er vor allem in der Königskaserne die jungen Rekruten oder organisierte die Patrouillen für die nördlichen und südlichen Grenzen, sowohl half er auch bei der Taktikbesprechung des Reiches mit, in dessen oberen Militärrat besonders previligierte Offiziere und Generäle saßen. Ich hingegen mühte mich den ganzen Tag mit Kovirs und Bardas Launen ab und versuchte die Pflichten einer woberokischen Frau, besonders Ehefrau, zu erfüllen und allen Erwartungen gerecht zu werden. So saß ich auch oft einfach nur hübsch lächelnd neben dem König, wenn er Fremde begrüßte oder Gäste in Woberok Willkommen hieß.

Doch Abends kehrte die gewohnt bedrückte Stimmung ein, wenn es daran ging, dass Regan und ich zu Bett gingen. Wir rangen jedes Mal um Worte, spürten die Blicke des jeweils anderen auf uns und landeten schließlich doch nebeneinander im Bett und warteten angespannt bis einer eingeschlafen war. Ich wusste jedes Mal, dass er sich zwang, mich nicht anzurühren und, dass es ihm schwer fiel. Sicher hatte er sich seine Ehe gewiss anders vorgestellt, aber ich fühlte mich schlichtweg nicht bereit, einen Schritt auf ihn zuzugehen. Vielleicht stellte ich mich auch einfach dumm an, schließlich hatten tausende Frauen zuvor schon das Bett mit ihrem Ehemann geteilt. Aber keine hatte mit ihrem Mann ein Komplott ausgeheckt, in dem es Teil war, das gesamte Königreich zu täuschen.

Manchmal dachte ich auch darüber nach, dass meine Ablehnung ihm gegenüber, ihn zu ganz neuen Möglichkeiten führen könnte. Es war immerhin nicht Teil unserer stummen Übereinkunft gewesen, einander treu zu sein. Ob er vielleicht andere Wege in Betracht ziehen könnte, seinem eintönigen Eheleben zu entkommen?

»Kira, arbeite endlich weiter und hör auf, Löcher in die Luft zu starren!«, fuhr mich Freyer von der Seite an, die gerade einen hartnäckigen Fleck aus einer braunen Wollhose bürstete.

Ich antwortete nicht, beugte mich nur über den Wasserbottich und tauchte das Hemd, das ich hielt, erneut ins kalte Wasser, das meine Finger taub werden ließ. Benommen dachte ich darüber nach, was ich mit meiner Ablehnung eventuell bewirken konnte. Würde er sich irgendwann damit abfinden und sich anderweitig umsehen? Es wäre nur natürlich, schließlich nahmen sich viele Männer nach der Ehe eine Geliebte oder gesellten sich zu den Huren in den Bordellen.

Genervt runzelte ich die Stirn und seufzte.

Als wäre das alles noch nicht genug, war die Anspannung zwischen Freyer und mir beinahe greifbar. Nachdem meine Familie abgereist war, gab es einen riesigen Streit zwischen uns, in dem sie immer wieder bestritt, dass der junge kartanische Prinz mit dem kastanienbraunen Haar und den schönen grünen Augen ihr etwas bedeutete. Aber ich wusste es längst. So wie sie errötete, wenn jemand über ihn sprach und so, wie auch Rickon sich benommen hatte, hatten die beiden einander schöne Augen gemacht. Und der Kontakt hielt, denn Freyer bekam seit Rickons Abreise ziemlich viele Briefe zugestellt.

Wie zur Bestätigung kam ein junger Bursche auf einem fuchsrotem Hengst angeritten und hielt kurz neben uns an. »Ein Brief für Euch, Lady Freyer!«

Freyer ließ die Hose über dem Rand hängen und wischte sich die Hände an der Schürze ab, die sie über dem Kleid trug. »Ich danke Euch«, sagte sie und nahm den Brief entgegen, dessen Siegel ich zu gut kannte. Es war der brüllende Löwe Kartans.

Sie wandte sich um. »Ich mache jetzt eine Pause.«

Ich schielte genervt auf den Brief. »Dein kartanischer Verehrer scheint es ziemlich ernst mit dir zu meinen. Schließlich erreicht dich fast jeden Tag ein Brief.«

Sie drückte den Brief an sich, sodass ich das Siegel nicht mehr sehen konnte. »Woher willst du wissen, dass er ein Kartaner ist?«, fragte sie schnippisch und stapfte an mir vorbei.

»Ich erkenne das Siegel meines einstigen Hauses noch sehr gut!«, rief ich ihr wütend hinterher und erntete verwunderte Blicke von den anderen Frauen. »Kümmert euch um eure Sachen!«

Brüskiert wandten sie sich wieder ihren Arbeiten zu und ich wischte mir die Hände an meiner Schürze ab, drehte mich um und lief genervt weg. Ich hatte ebenfalls keine Lust mehr, zu arbeiten, während sich Freyer andauernd Zeit nahm, um ihre vielen Liebesbriefe zu lesen. Ständig machte ich ihre Arbeit und niemand dankte es mir. Nun hatte ich die Nase voll. Zumahl mir die ständige Weiberarbeit allmählich auf die Nerven ging.

Wir waren vor einer Woche nach Fyrkard geritten, die gesamte Jagdgesellschaft des Königs hinter uns. Der Lord von Fyrkard hatte uns mit offnen Armen empfangen und seine Gastfreundschaft würde ihm nach der erfolgreichen Jagd entlohnt werden. Er bekam schließlich einen großen Teil der erlegten Beute ab. So hatte sich rund um Fyrkard ein großes Zeltmeer gebildet, in denen die königlichen Jäger nächtigten. Einen Zwinger für die Jagdhunde, große zottige Ungeheuer, und ein Gatter für die leichteren Jagdpferde gab es ebenfalls.

Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich den Jägern beim Üben zusah und mir wünschte, ich könnte etwas anderes tun, als Wäsche waschen oder Essen kochen. Allmählich kam ich mir wie der Abklatsch einer niederen Magd vor, nur mit hübscheren Kleidern.

Und dann tat ich im Prinzip noch doppelte Arbeit, weil Freyer sich vor Verliebtheit kaum noch konzentrieren konnte. Ich runzelte beim Laufen genervt die Stirn. Ich wusste nicht einmal, was mich mehr störte. Dass sie nicht offen zugab, dass sie meinen Bruder toll fand, oder, dass sie an nichts anderes mehr zu denken schien, als an Rickon. Sie waren Meilen voneinander entfernt und es war unwahrscheinlich, dass aus dieser Verliebtheit etwas anderes werden könnte, als eine bloße Schwärmerei. Vielleicht nervte mich aber auch nur, dass Rickon sie im Gegensatz zu meinem Ehemann, auch toll fand.

Wütend lief ich zu meinem Zelt, das sich in der unmittelbaren Nähe des Zeltes des Königs befand, um mich ein wenig frisch zu machen. Schmutz klebte an meinem Gesicht und Schweiß perlte unter den Kleidern auf meiner Haut. Als erstes brauchte ich einen heißen Badezuber, den mir Edda fertig machen würde. Ich sehnte mich nach Wasser und Seife!

Gerade, als ich die beige- und dunkelgrüngestreifte Plane des Zeltes beiseite schieben wollte, ertönte ein Horn.

Ich hielt Inne und lief neugierig um mein Zelt herum und zum Zelt des Königs. Direkt davor hatten sich die Menschen versammelt, die ihre Arbeit vor Neugierde niedergelegt hatten.

Mein Atem stockte, als ich das tiefschwarze Haar und die eisblauen Augen meines Ehemannes erblickte. Was tat er hier? Er war doch auf Patrouille zu den Außenposten aufgebrochen, die er auf Befehl des Königs kontrollieren sollte. Was machte er dann hier? Alle aus seinem Trupp, mit dem er vor über einem Monat aufgebrochen war, waren ebenfalls bei ihm.

Der junge Ferrin, Ofnak, der Axtkrieger, Raphael, Kaidan, ein junger Bogenschütze, der noch unter Raphaels Lehre stand und der Hühne Thorald. Alle Männer stiegen von ihren Tieren ab und Bedienstete eilten herbei, um die verschwitzten Pferde mit sich zu nehmen und sie zu versorgen. Sofort, nachdem die Männer festen Boden unter den Füßen hatten, wurden sie sowohl von anderen Soldaten, Jägern und Frauen begrüßt und ausgefragt. Auch der König trat zu ihnen und hieß die erschöpften Männer Willkommen.

Dann wandte er sich plötzlich in meine Richtung und ich erstarrte.

»Kommt, Prinzessin! Heißt Euren Ehemann Willkommen!«

Ich stand da wie angewurzelt und spürte die Blicke der übrigen Leute auf mir.

Regan hingegen ergriff die Initiative und kam schnellen Schrittes auf mich zu. Seine großen schmutzstarrenden Hände ergriffen mein ebenso dreckiges Gesicht. Kurz hielt er inne und bat mit seinen Augen um Erlaubnis. Da begriff ich den Sinn seiner Handlung. Er spielte das Spiel weiter und die Show musste ebenso weitergehen. Wenn er heimkam nach über einem Monat und nicht über seine Frau herfiele, wie glaubwürdig wäre unsere Geschichte dann? Wer wäre nicht verwundert, wenn wir uns jediglich die Hand schütteln würden oder einander nur Blicke zuwarfen?

Ich nickte kaum merklich und im nächsten Augenblick hatte ich seinen fordernden Mund auf meinen Lippen. Vor Überraschung auf seinen Angriff keuchte ich an seinen Lippen auf. Mein Gesicht war zwischen seinen Lippen eingesperrt und meine Finger gruben sich in die vielen Nischen und Kanten seiner Rüstung. Dieser Kuss war so anders, als der sanfte und vorsichtige Druck in der Septe zu unserer Eheschließung. Er war grob, wild, gierig, ausgehungert. Mir fielen kaum noch mehr Worte ein, denn mein Hirn war in diesem Moment mit den Informationen überfordert.

Meine Gefühle fuhren wie verrückt auf und ab und ich war mehr als durcheinander. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, spielte das Spiel aber mit und erwiderte dem gierigen Druck seines Mundes, woraufhin er noch fordernder wurde. Sein kräftiger Bartschatten kratzte meine Wangen. Er musste sich seit einiger Zeit nicht mehr rasiert haben und auch sein Haar wirkte etwas länger als gewöhnlich.

Er ließ von mir ab und lehnte schwer atmend die Stirn an meine.

Ich atmete auch schwer, hatte er mir doch glatt den Atem geraubt.

»Was glaubt ihr, wie oft er sie heute Nacht ficken wird!«, lachte Thorald und stupste Raphael in die Seite, der bloß desinteressiert die Augen verdrehte.

Regan funkelte den Übeltäter an und brachte ihn damit zum Schweigen.

Daraufhin trat der König auf uns zu und legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. »So gerne ich dich in die Arme deiner jungen Frau übergeben würde. Die Jagdgesellschaft zieht gleich los. Was meinst du? Die erste Jagd gehörte schon immer der Königsfamilie, oder?«

Regan schien tatsächlich mit sich zu hadern, sodass ich das Wort ergriff. Immerhin spielte ich das Spiel immer noch weiter.

»Ich kann warten«, sagte ich leise und trat einen kleinen Schritt von Regan zurück, um Abstand zu gewinnen. »Ich muss mich ohnehin waschen und habe noch Arbeit zu erledigen.«

König Ragnar lächelte, wobei sich die Falten um seine Augen in alle Richtungen auffächerten. »Deine Frau ist ziemlich fleißig, Sohn. Das hätte kaum jemand von einer Kartanerin erwartet.«

Ich verzog den Mund, hielt mich aber zurück. Das hatte ich in den letzten Wochen ziemlich oft gehört. ›Für eine Kartanerin arbeitest du ziemlich hart‹ oder ›Obwohl du eine Kartanerin bist...‹. Ich konnte es schlichtweg nicht mehr hören!

Regan nickte nur leicht. »Ich schließe mich der Jagdgesellschaft gerne an. Allerdings brauche ich fünf Minuten mit meiner Frau.«

»Meinst du, in fünf Minuten schaffst du das...?«, grinste Thorald.

»Halt die Klappe!«, fuhr Regan ihn an, denn es war klar, worauf Thorald wieder einmal hinaus wollte.

Ich errötete und schluckte.

König Ragnar stimmte nickend zu. »Wir treffen uns am Waldrand. Wir wollen heute Abend schließlich Wildschweinbraten haben!«

Die umliegenden Leute jubelten, dann zerstreute sich die Menge.

Raphael stieß Ferrin vorwärts. »Los jetzt! Sonst hauen die ohne uns ab.«

Ferrin stöhnte erschöpft und lief schlurfend hinter Regans übrigen Männern her zum Waldrand. Sicher war der arme Junge ziemlich müde von der Reise, aber ich konnte ihn nicht danach fragen, da mich Regan schon an der Hand nahm und los lief.

»Mein Zelt ist dort«, sagte ich und deutete in die entgegengesetzte Richtung.

Er runzelte die Stirn. »Oh.« Dann steuerte er mein Zelt an und hielt mir höflich die Zeltplane zur Seite, sodass ich eintreten konnte. Im Innern empfing uns wohlige Wärme, da Edda das Feuer in der Mitte geschürt hatte. Der Rauch entwich durch ein Loch in der Decke. Mein Zelt war ziemlich gemütlich eingerichtet, in dieser Situation mit ihm vielleicht schon zu gemütlich. An der rechten Seite stand ein großes Bett, das mit Fellen und Kissen bedeckt war, sodass man es Abends warm hatte. Zudem hatte ich noch eine Truhe, in der meine Kleider waren und zwei Stühle und einen kleinen Tisch, an dem Edda und ich Abends oft saßen und redeten.

Regan setzte sich seufzend auf einen der Stühle und streckte mit schmerzerfülltem Gesicht, seinen Rücken durch. »Typisch König. Man ist kaum angekommen und schon verlangt er nach einem.«, brummte er.

»Habt Ihr Schmerzen?«, fragte ich besorgt.

Er lächelte leicht. »Wenn Ihr tagelang auf einem Gaul sitzt, hättet Ihr die auch.«, murmelte er. »Ein Wunder, dass ich noch keine O-Beine habe.«

Ich verdrehte die Augen. »Ist es der Rücken? Ihr solltet Euch lieber ausruhen, anstatt wieder auf ein Pferd zu steigen. Euer Körper braucht Ruhe.«

»Wenn der König ruft, ist alles andere gleich. Heute Abend kann ich mich ausruhen.«

Genervt stemmte ich die Hände in die Hüften. »Wenn Ihr vom Pferd kippt, hilft das niemandem etwas. Nicht einmal dem König.«

Regan hob eine Braue. »Euer Mundwerk ist ganz schön scharf. Ihr sprecht beinahe wie eine Woberokin.«

»Vielleicht war ich schon immer mehr Woberokin, als Kartanerin.«, schnaubte ich und trat auf ihn zu. »Wenn Ihr schon nicht auf mich hören wollt und Euch ausruht, dann legt wenigstens die schwere Rüstung ab. Die hilft Euch bei der Jagd bestimmt nicht.«

Er seufzte. »Nun gut. Wenn meine Frau darauf besteht.«

»Tut sie«, entgegnete ich und half ihm aufzustehen und die schweren Platten abzulegen. Ich stellte seine Rüstung in eine Ecke des Zeltes, das wir uns nun unweigerlich bis zum Ende der Jagd teilen würden.

»Schon viel besser«, brummte Regan und ließ sich noch einmal auf den Stuhl fallen.

Ich setzte mich ihm gegenüber hin. »Warum wolltet Ihr unbedingt einen Moment mit mir haben?«

Er zuckte die Schultern. »Vielleicht nur, damit alle denken, dass ich hier drinnen über Euch herfalle? Schließlich sollte unsere Lüge realistisch aussehen, oder?«

Beinahe spürte ich, wie mir das Blut in den Kopf schoss und ich knallrot anlief. Ich biss mir nervös auf der Unterlippe herum und runzelte immer wieder die Stirn. Ich zuckte nur die Schultern, als Zeichen, dass ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. Schließlich wusste ich es tatsächlich nicht. Mir war irgendwie komisch dabei, wenn ich daran dachte, dass alle Leute dort draußen denken könnten, dass wir hier drinnen übereinander herfielen.

»Euer Kuss war anders, als in der Septe.«, murmelte ich, ohne nachzudenken.

Er schwieg eine Weile und ich sah ihn ertappt an.

»Ich wollte, dass es realistisch aussieht.«, sagte er und sah dabei weg. »Die Leute müssen immernoch denken, dass zwischen uns mehr läuft, als bloße Küsse. Es wird nicht einfacher, besonders wenn mein Vater irgendwann auf uns zukommt und fragt, wo sein versprochener Enkel bleibt.«

»Wolltet Ihr das mit mir besprechen? Was ist, wenn...?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Eigentlich wollte ich nur sehen, ob es Euch gut geht. Ich hatte mir Sorgen gemacht, als ich die Nachricht bekam, Ihr wärt mit der Jagdgesellschaft losgezogen.«

Eine Weile lang sagte ich nichts, da ich kaum glauben konnte, dass er sich Sorgen um mich gemacht hatte. Ich verdrängte seine vorherige Anspielung auf das Thema eines möglichen Enkelkindes für den König, da ich selbst nie darüber nachgedacht hätte, was wäre, wenn er eines Tages Antworten verlangte, warum wir noch kein Kind gezeugt hatten. Es war vielmehr die Möglichkeit, dass er denken könnte, ich sei unfruchtbar, als dass wir gar nicht beieinander lagen. Ich wusste nicht, was wäre, könnte der König tatsächlich glauben, ich könne keine Kinder empfangen.

Zum Glück lag das noch in ferner Zukunft.

Als Regan scheinbar merkte, dass ich nicht antwortete, stand er langsam auf. »Wie dem auch sei. Ich muss los, sonst zerrt mich mein Vater sicher noch an den Haaren aus diesem Zelt. Wir sehen uns heute Abend bei meiner Rückkehr.«

Ich nickte leicht und stand ebenfalls auf. »Bitte seid vorsichtig. Und überanstrengt Euch nicht.«

Er grinste mich schief an und mein Herz schmolz auf eine Art dahin, die ich bisher noch nicht kannte. »Versprochen, Eure Hoheit.«

Dann lief er an mir vorbei und verließ das Zelt, um sich der Jagdgesellschaft anzuschließen.

 

Den Rest des Tages verbrachte ich mit einem heißen Bad. So konnte ich wenigstens die Gedanken vertreiben, die in meinem Kopf hin und herwirbelten und mich völlig durcheinander brachten.

Ich wusste nicht, was ich von meinen seltsamen Empfindungen halten sollte, wenn ich an den Kuss zurückdachte, den Regan mir vor aller Augen gegeben hatte. Insgeheim musste ich zugeben, dass mich diese grobe Art zu küssen seltsam faszinierte und ich mich irgendwie danach sehnte, es wieder zu tun.

Benommen biss ich mir auf die Unterlippe und ließ meine Hand unter Wasser und direkt zwischen meine leicht gespreizten Schenkel gleiten. Ich atmete scharf ein, als meine Finger die weiche Haut berührten, durch die zarten Hautfalten fuhren und mich selbst liebkosten. Der Punkt, den ich mit der Fingerkuppe streifte, fing an zu pochen und ich erschauderte unwillkürlich. Die weiche, glatte Haut an meiner Hand fühlte sich angenehm an und ich seufzte leise auf. Schon immer, wie es für Kartanerinnen üblich war, war ich dort unten haarlos und es fühlte sich sehr angenehm an.

Unwillkürlich, als ich meine Finger bewegte, dachte ich daran, wie es wäre, wenn Regan mich so berühren würde.

Wütend und frustriert zog ich meine Hand fort und krallte sie am Rand des Zubers in das Holz hinein.

Niemals würde Regan mich auf diese Weise wollen. Er hatte es nicht einmal über sich gebracht, mich in der Hochzeitsnacht zu nehmen. Schon die ganze Zeit vermutete ich, dass es weit weniger der Grund war, dass er mich schützen wollte, sondern, dass er sich einfach nicht hatte überwinden konnte, mich zu besteigen. Bestimmt war ihm der Anblick meines kindlichen Körper schon zu viel gewesen. Niemals würde er mich jemals als Frau sehen, vielmehr als Kind, das seinen Schutz bedürfte.

Ich schüttelte wütend über mich selbst den Kopf und erhob mich. Röte stieg mir ins Gesicht über den Gedanken, wie ich mich selbst angefasst hatte, nur, um einmal zu wissen, wie es sich anfühlte, dort berührt zu werden. Es war lächerlich!

Zielsicher griff ich nach einem Handtuch und rubbelte mich ab, bis meine Haut glühte, dann ging ich hinüber zur Truhe und kniete mich davor. Ich griff nach einem dünnen Unterkleid, das ich mir rasch über den Kopf stülpte, bevor ich ein neues Kleid herausnahm.

Gerade, als ich auch das anziehen wollte, wurden Stimmen vor meinem Zelt laut.

Die Zeltplane wurde beiseite gerissen und ich atmete erschrocken ein, als Thorald ins Zelt gestolpert kam. Auf ihn stützte sich vor Schmerz stöhnend Regan. An seiner Seite sickerte Blut durch das Hemd.

»W-was ist passiert?«, rief ich erschrocken und lief rasch zum Tisch, zog einen Stuhl zur Seite, auf den er ihn setzen sollte.

Raphael half mit, ihn aufzurichten. »Dieser Idiot hat sich von dem Keiler erwischen lassen!«

In einer anderen Situation hätte ich ihn wegen seinem Tonfall ermahnt, aber im Moment dachte ich beinahe das Gleiche wie er. Wut kochte in mir hoch. Hatte ich ihm nicht gesagt, er solle vorsichtig sein?! Ich kniff wütend die Lippen zusammen und starrte ihn an.

»Es tut mir so leid, ich wollte nicht im Weg stehen!«

Ich drehte mich um und sah Ferrin zitternd am Zelteingang stehen.

»Du kannst nichts dafür, Junge.«, sagte Ofnak neben ihm und legte eine Hand auf seine Schulter.

»Bringt ihn raus und gebt ihm etwas zu Essen.«, wies ich ihn an und winkte ihn raus.

Er zögerte kurz, dann nickte er, als hätte er sich besonnen, dass die Frau seines Truppenführers mit ihm sprach und geleitete Ferrin hinaus. Der Junge brauchte Ruhe, schließlich waren sie alle erschöpft und mussten auch noch mit auf die Jagd, weil der große König rief. Meine Wut darüber wurde aber nicht gemindert, wenn ich Regans verzerrtes Gesicht so ansah. Sie wurde noch geschürt.

Ich schob Raphael zur Seite und zog Regans Leinenhemd über den Kopf, schmiss es in eine Ecke und betrachtete die Wunde. Es war ein klarer Riss an seiner Seite. Der Hauer war tief ins Fleisch gedrungen und die Wunde blutete stark. Er würde in jedem Fall eine Narbe beibehalten, die ihm quer über die Rippen verlaufen würde.

»Wir müssen Kovir Bescheid geben«, sagte Thorald grimmig.

Ich schüttelte den Kopf. »Der ist im Wald, Kräuter sammeln...«, murmelte ich und stand aus meiner kauernden Haltung auf. »Ich mache es.«

»Ihr?«, wollte Thorald zweifelnd wissen.

Ich funkelte ihn an. »Glaubt Ihr, ich kann das nicht? Ich werde ihm schon nicht den Daumen an der Nase festnähen!«

Raphael lachte leise und schlug Regan freundschaftlich auf die Schulter. »Deine Frau hat auf jeden Fall Biss bekommen. Sogar Thorald ist ganz still auf einmal.«

»Wunderbar«, presste Regan zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. »Wenigstens eine, die sein vorlautes Maul stopfen kann.«

»Und Ihr seid am besten still«, sagte ich zu meinem Ehemann und hob mahnend einen Finger. »Ich habe Euch heute Mittag gesagt, Ihr sollt vorsichtig sein. Und? Was ist? Jetzt kann ich mich um Eure Wunden kümmern.«

Regan verstummte und sah betreten zur Seite, als würde er sich tatsächlich schämen. Gut so!

»Was ein Weib. Deine kleine kartanische Blume hat wirklich Feuer im Hintern.«, sagte Thorald.

Ich schnaubte. »Macht Euch lieber nützlich und holt mir Verbandszeug und Garn und Alkohol.«

»Mit Letzterem kann ich dienen.«, meinte Raphael und nahm eine kleine Feldflasche von seinem Gürtel. »Branntwein.«

Ich nickte, nahm die Feldflasche entgegen und hörte hinter mir, wie Thorald das Zelt verließ. Geschäftig kniete ich mich vor meinen Mann, wobei Raphael ihm ein Stück Leder zwischen die Zähne schob, damit er sich nicht vor Schmerz die Zunge abbiss. Ich ließ den hochprozentigen Alkohol über die fleischige Wunde strömen und reinigte sie vorsichtig mit den Fingern, die ich zuvor auch desinfiziert hatte.

Regan spannte sich an und knurrte an dem Lederstück vorbei unverständliche Flüche.

In der Zwischenzeit tauchte Thorald wieder auf und legte alles auf den kleinen Tisch neben uns. Ich wusch meine blutigen Finger erneut mit dem Branntwein ab und griff nach Nadel und Faden. Ein Schauder durchlief mich, als ich das Garn in die Nadel einfädelte und gut verknotete. Dann wandte ich mich wieder zu Regan. Mein ganzer Körper handelte wie automatisch, ohne, dass ich ihm bewusst den Befehl zum Handeln gab. Mein Kopf war ausgeschaltet, denn es ging nur darum, schnell die Wunde zu schließen. Danach würde ich ihm erst den Kopf abreißen!

Ich kniete mich erneut vor ihn, wobei er mich zwischen seine Beine lassen musste, damit ich richtig an die Wunde heran kam. Er ließ alles über sich ergehen, ohne zu murren. Mit zusammen gepressten Lippen führte ich die Nadel zum ersten Mal unter lebendiges Fleisch. Ich tat es schnell, präzise, wie ich es gelernt hatte und es ging einfacher, als ich es mir vorgestellt hatte. Freyer hatte recht. Man musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren, dann ging es leicht. Immer wieder stach ich mit der Nadel in Regans Fleisch hinein und führte die Enden der Wunde zueinander, fest zusammen, damit die Narbe nicht allzu groß wurde.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und setzte den letzten Stich, bevor ich das Garn mit dem Eckzahn durchbiss und verknotete. Meine Finger waren blutrot verschmiert, aber mich überkam ein Glücksgefühl. Ich hatte es geschafft! Ich hatte die Wunde meines Mannes versorgt und das wirklich gut. Ich atmete erleichtert aus, dann nahm ich noch etwas Branntwein und säuberte die genähte Wunde damit. Den letzten Schluck trank ich selbst, um mich zu beruhigen.

Raphael gluckste. »Eigentlich war der ja für die Wunde.«

»Genau. Eigentlich.«, entgegnete ich und gab ihm die Feldflasche zurück. »Ihr könnt jetzt gehen, er wird es überleben.«

»Wenn Ihr mit ihm fertig seid, bin ich mir da nicht so sicher.«, brummte Thorald. »Ich hoffe, wir sehen uns morgen, Regan.«

»Jaja, hau bloß ab, du Idiot!«, knurrte Regan und richtete sich in dem Stuhl etwas auf.

Raphael und Thorald verließen daraufhin das Zelt und ließen uns alleine.

Sofort fuhr mein Blick zu ihm hinauf und ich funkelte ihn so vernichtend an, wie ich konnte. Ich kochte wirklich vor Wut und hätte ihm am liebsten zur Belohnung eine reingehauen. Am Mittag sagte ich noch, er solle aufpassen. Und? Was tat er?

Ich griff nach dem Verband und presste es etwas zu fest gegen seine Seite.

Er fuhr zusammen. »Verdammt! Das tut weh!«

»Das soll es auch!«, knurrte ich und stand zwischen seinen Beinen auf, um es um ihn herum zu wickeln. »Ihr seid wirklich der größte Trottel, der mir je unter gekommen ist! Soll ich mir den Mund eigentlich fusselig reden, oder hört Ihr irgendwann auch mal auf mich?«

»Macht jetzt kein Drama drauß, Weib. Das ist nur ein Kratzer, eine weitere Narbe in meiner Sammlung, mehr nicht.«, antwortete er und zuckte zusammen, als ich den Verband über seiner Wunde straffte.

Ich funkelte ihn an. »Ich mache ein Drama daraus, wie ich will! Ihr habt mir gar nichts zu sagen, vor allem nicht, wenn ich Eure Wunde versorgen muss, weil Ihr zu dumm wart, auf mich zu hören und Euch auszuruhen. Wie lange habt Ihr nicht geschlafen?! Eure Tränensäcke kriegen schon Tränensäcke und Ihr habt Euch gekrümmt wie ein alter Mann.«

Ich redete und redete und mir vielen noch ein Dutzend Dinge ein, die ich hätte sagen wollen, als ich den Verband über der Wunde zuknotete, aber er brachte mich zum Schweigen. Anders, als ich erwartet hätte.

Kapitel 22

 

In Bruchteilen von Sekunden packte Regan meine Taille und zog mich geschickt auf seinen Schoß. Ich krallte mich erschrocken aufkeuchend an seinen Schultern fest und spürte ihn mit einem Mal so dicht an mich gepresst, dass mir die Luft weg blieb. Hitze strömte mir durch alle Gliedmaßen, als ich fühlte, wie mein Unterkleid ein ungezogenes Stück weit hinauf rutschte. Meine Füße baumelten zu beiden Seiten des Stuhles in der Luft, da er so groß war, dass ich den Boden nicht mehr berührte. Unsere Gesichter schwebten so dicht voreinander, dass ich seinen süßen Atem auf meiner Wange spüren konnte. Mein Herz begann in meiner Brust zu wummern.

»Was... was tut Ihr da?«, flüsterte ich kaum hörbar.

Regan schwieg, sah mich nur an und die Pupillen seiner Augen weiteten sich augenblicklich, als sein Blick auf meine Lippen gerichtet wurde, auf denen ich herum kaute. Seine Hände hielten mich eisern fest.

Ein seltsames Gefühl kroch in mir empor, gestützt von dem unbändigen Verlangen, ihm noch näher zu sein. Ich war völlig durcheinander, wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Bis mein Blick auf meine blutverschmierten Hände fiel, die sich noch immer an seine Schultern klammerten. Ein Stückchen drückte ich mich von ihm ab, aber er ließ nicht zu, dass ich mich zurückzog.

»Meine Hände«, sagte ich leise. »Sie sind voll Blut, ich mache Euch noch ganz dreckig.«

Auf Regans Gesicht erschien ein schiefes Grinsen. »Glaubt Ihr tatsächlich, dass ich mich darum schere, dass Ihr mein Blut an den Fingern habt?«

Darauf wusste ich keine Antwort.

»Schließlich habt Ihr meine Wunde versorgt und sie genäht. Wenn Ihr keine Hemmungen habt, mein Blut an den Händen zu haben, warum sollte ich welche haben, wenn Ihr Euch damit an mich klammert?«

Empört drückte ich mich von ihm ab. »Ich klammere mich an Euch

Regan lachte leise. »Im Moment ja.«, grinste er und ließ mich los, sodass ich locker auf seinem Schoß zum Sitzen kam.

Ich saß direkt auf seinem Unterleib und fragte mich, ob er das gleiche fühlte, wie ich. Oder sah er mich tatsächlich als Kind, so wie ich es vermutete?

Plötzlich beugte er sich ein Stück nach vorne und strich mir eine Haarsträhne meines kastanienbraunen Haares hinters Ohr, die sich aus meinem Knoten gelöst haben musste, als ich seine Wunde versorgt hatte. Ich runzelte die Stirn auf diese Geste hin und senkte den Blick auf seine Brust.

»Warum tragt Ihr Euer Haar nie offen?«

Verwundert sah ich ihm wieder in die eisblauen Augen, die mich neugierig musterten. »Offen?«

Er nickte. »Bisher habe ich Euch nie mit offenem Haar gesehen. Nicht einmal zu unserer Vermählung.«

»Bisher... hat es niemanden interessiert, ob ich es offen getragen habe oder nicht. Es war immer meine Mutter, die es hoch gesteckt hat und ich habe es einfach immer genauso gemacht.«, erwiderte ich.

Regan hob eine Augenbraue. »Dann will ich das mal ändern.«, entschied er und beugte sich vor. Geschickt zupften seine Finger die vielen Haarnadeln aus meiner Frisur, die nötig gewesen waren, meine kartanische Mähne zu bändigen. Immer mehr verlor mein dichtes dickes Haar an Halt und fiel mir schließlich als dichter, rostbrauner Wasserfall über den Rücken. Mein Haar, das von Natur aus die sanften Wellen hatte, kräuselte sich durch die ständige Hochsteckfrisur nun in engen Locken bis über meine Brust.

»Bei den Göttern, was für Haar«, murmelte Regan wie benommen und strich mit seinen Fingern durch mein Haar. »Dunkel wie die Schale einer Kastanie und im Licht so rot wie züngelne Flammen... Ich habe beschlossen, meine Position als Euer Ehemann auszunutzen und Euch zu verbieten, es je wieder hochzustecken.«

Ich musste leicht lächeln. »Habt Ihr das?«

»Allerdings«, antwortete er und beugte sich eine Winzigkeit vor, schob seine Lippen dicht an mein Ohr. »Wisst Ihr noch, was ich Euch am Morgen nach unserer Hochzeitsnacht sagte?«

Ich erschauderte.

Natürlich wusste ich das noch!

»Ihr würdet mich niemals anrühren. Erst, wenn ich Euch darum bitten würde... und es ausdrücklich sage.«

»Es fällt mir immer schwerer, meinen eigenen Worten Glauben zu schenken und mich daran zu halten.«, gestand er und seine Hand glitt zart über mein Rückgrat bis zu meiner Lendenwirbelsäule und er setzte die Haut unter dem dünnen Hemd in Flammen. »Ich hätte Thorald und die anderen vorhin umbringen können, dass sie Euch in diesem Aufzug sahen.«

Ich seufzte benommen auf, meine Wut von eben war so gut wie weggeblasen. Alles was ich fühlte, war seine unmittelbare Nähe und das, was das in mir auslöste. Seine Worte verwirrten mich, gaben mir einen völlig anderen Eindruck, als ich von ihm erwartet hätte. Eigentlich glaubte ich, ich sei ihm zu kindlich, zu jung. Schließlich trennten uns ganze zwölf Jahre. Anscheinend sah er das vollkommen anders.

»Seid Ihr eifersüchtig?«, fragte ich neckend, um auszutesten, wie er reagierte.

Er runzelte die Stirn, ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. »Um ehrlich zu sein, ein wenig. Sie sollen Euch so nicht sehen. Niemand.«

Ich leckte mir nervös über die Lippen. »Als was seht Ihr mich? Manchmal denke ich einfach, dass Ihr mich für ein Kind haltet, auf das man aufpassen muss und dann tut Ihr so widersprüchliche Dinge, die ich nirgendwo einordnen kann... ich weiß, dass ich unerfahren bin und so etwas bringt mich dann durcheinander.«

»Wie das?« Er hob eine Hand und sein Zeigefinger glitt über meinen Hals, setzte die Haut dort in Flammen.

Warum lenkte er mich jetzt ab? Ich schüttete ihm mein Herz aus, redete über die Probleme, die ich hatte und wie sehr mich all das durcheinander brachte. Ich versuchte endlich, etwas Grundlegendes zwischen uns zu klären, um eine Basis zu haben für unser zukünftiges Zusammenleben. Denn das, was die letzten Wochen zwischen uns gewesen war, das konnte kein Dauerzustand bleiben. Wir konnten einander nicht tagsüber und Abends im Bett ignorieren und so tun, als wären wir zwei Bekannte, obwohl wir Mann und Frau waren. Immer wieder dachte ich darüber nach, was er von mir halten könnte und, wo mein Platz in unserer etwas seltsamen Ehe war. War ich das kleine Mädchen für ihn, das er zwangsweise zur Wintersonnenwende heiraten musste, oder war ich eine Frau für ihn, mit der er sein Leben teilte. Egal, was dabei heraus kommen mochte, wir waren aneinander gebunden, durchs Blut, durch die Ehe, durch unsere Königreiche.

Ich seufzte sehnsüchtig, als er den Daumen über meine Unterlippe gleiten ließ und alle Gedanken und Überlegungen verschwammen. »Bitte...«

Er beugte sich so schnell zu mir, dass mir beinahe schwindelig wurde. Seine Lippen umschlossen meinen Mund und ich keuchte auf, berührte seinen Hals, hielt mich daran fest, als er die Hände auf meine Oberschenkel legte und mich an ihnen so fest an sich zog, das mein Unterleib direkt auf seinen gepresst wurde. Benebelt wimmerte ich auf, spürte seinen fordernden Mund auf meinen Lippen, spürte, wie er heftig atmete. Meine Finger umschlossen sein Gesicht zaghaft, ich spürte seine Bartstoppeln unter meinen Fingerkuppen. Seine eine Hand rutschte ziemlich weit unter mein Nachtkleid, aber ich fühlte weder das Verlangen ihn fort zu schieben, noch, ihm Einhalt zu gebieten.

»Ihr seid schon lange kein Kind mehr für mich«, raunte er zwischen zwei Küssen.

Er grub eine Hand tief in meine dunkelbraune Mähne, um meinen Kopf zu fixieren, woraufhin ich meinen Unterleib gegen seinen drückte. Meine Hände suchten nach Halt.

Scharf sog er den Atem ein und löste sich von mir.

Ich zuckte zurück. »Verzeiht mir«, murmelte ich geknickt, da ich mit der Hand direkt auf seine frische Wunde gedrückt hatte.

Leise gluckste er. »Ich bin ja selbst schuld«, brummte er und lehnte sich an die Rückenlehne des Stuhls an. »Ich nehme an, dass ich mir von Euch ab nun immer eine Standpauke für so dämliche Aktionen anhören darf?«

Augenblicklich verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Verlasst Euch darauf.«

»Ich hatte befürchtet, dass Ihr das sagt.«, seufzte er und fuhr aufreizend mit der Hand über meinen Oberschenkel, der nackter war, als im Moment vielleicht förderlich gewesen wäre. »Wenn Ihr dabei immer solche durchsichtigen Unterkleider tragt, dann höre ich mir das vielleicht sogar gerne an.«

Ich errötete und biss mir auf die Unterlippe. »Wie ist das eigentlich genau passiert?«

Er folgte meinem Blick auf die Wunde. »Wir sind auf eine Rotte Wildschweine gestoßen und Ferrin hat den Keiler für sich beansprucht. Wir sagten, dass das noch zu heikel sei für ihn ganz alleine, aber er wollte nicht hören. Schließlich hat Raphael schon zwei Pfeile verschossen, aber das Mistvieh wollte einfach nicht umfallen und Ferrin ist bloß mit einer Axt bewaffnet auf ihn losgestürmt. Ich habe ihn beiseite gestoßen und natürlich den Hauer abbekommen.«

Nachdenklich runzelte ich die Stirn. »Wir müssen aufpassen, dass die Wunde sich nicht entzündet. Ich werde sie morgen noch kontrollieren und auch Kovir sollte sie sich ansehen.«

Als ich Anstalten machte, von seinem Schoß zu steigen, hielt er mich fest und grinste leicht. »Wisst Ihr, ich ziehe Euch Kovirs Beobachtungen vor.«

Gespielt boxte ich ihm auf die Brust. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Schließlich habe ich geringfügig mehr Oberweite als Kovir.«

Sein Blick wurde dunkel. »Dem kann ich nur zustimmen.«

»Regan...«, murmelte ich leise, als er sich erneut zu mir beugte. »Ich... ich weiß nicht, ob das so gut ist.«

»Was sagte ich am Morgen nach unserer Hochzeitsnacht zu Euch?«, fragte er und berührte ganz zart meine Lippen mit seinen, als warte er auf die Erlaubnis.

Erleichterung durchflutete mich und ich musste lächeln. Er wartete tatsächlich, bis ich bereit war, den nächsten Schritt zu gehen? Freude strömte mir durch jede Adern und ging mir durch sämtliche Poren und ich schmunzelte, als ich meine Lippen erstmals selbst auf seine drückte. Regan seufzte süchtig an meinem Mund auf, schlang die Arme um meinen Körper und ich quietschte, als wir erneut aneinander gepresst waren.

Bis die Zeltplane zur Seite geschoben wurde und uns jemand unterbrach.

 

 

Regan hielt Inne und blickte über Kiras schmaler Schulter den Störenfried böse an. Wieder einmal war es sein Vater, der zu den unpassensten Gelegenheiten auftauchte und seine Nase überall hinein stecken musste. Langsam ließ er Kira von seinem Schoß hinunter gleiten, die sichtlich beschämt von ihm Abstand nahm und mit einem bereits rausgesuchten Kleid hinter der Trennwand verschwand, hinter der sie sich unbeobachtet anziehen konnte. Allmählich nervte es ihn, dass jeder Mann seine Frau halb nackt zu Gesicht bekam.

Vorhin hätte er Thorald, Raphael, Ferrin und Ofnak am liebsten in den Hintern tretend raus geworfen, weil seine Frau kaum mehr am Körper trug, als ein dünnes Leinenkleid, durch das man auch, wenn man sich anstrengte, jede noch so kleinste Rundung gesehen hatte. Sein Zorn hatte sich gemildert, als sie ihm ihren präsentiert hatte. Ihr Worte waren nicht im Mindesten so wirksam gewesen, wie ihre stille Wut, als sie ihn genäht hatte. Er hatte gespürt, wie sie ihn mit jedem Stich durch sein Fleisch bestraft hatte, dafür, dass er nicht hatte hören wollen. Auch ihre Standpauke hatte Eindruck auf ihn gemacht und Thorald hatte Recht behalten. Seine kleine Frau hatte in den übrigen Wochen Feuer im Hintern bekommen. Sie ließ sich kaum mehr so leicht einschüchtern wie an jenem Tag, als er sie in der Halle der Tänze in Woberok zum ersten Mal getroffen hatte.

Insgeheim war Regan sehr froh darum, dass Kira ihren Platz in Woberok gefunden hatte.

›Wer weiß? Vielleicht war ich schon immer mehr Woberokin als Kartanerin.‹

Diese Worte hatten ihn beinahe aus dem Konzept gebracht. Es war seltsam, dass sie sich mehr als eine seines Volkes fühlte, als ein Mädchen ihres eigenen Volkes. Zwar war es gut, dass sie sich so sah, doch er kannte die Worte, die einem Kind Woberoks von Kindesbeinen an eingebläut wurden. Man sollte sich immer daran erinnern, wo wo man stammte.

»Wie ich sehe, hat dein Weib sich bereits um deine Wunden gekümmert. Verzeih mir, dass sie sich nicht noch um den Rest kümmern konnte«, grinste sein Vater und Regan verdrehte die Augen.

Er stand auf und nahm sich eines der Hemden, die während der Jagd für ihn her geschafft worden waren. »Was wollt Ihr, Vater?«

König Ragnar zuckte die Schultern. »Ich wollte nur sichergehen, dass es dir gut geht. Eine weitere Narbe?«

»Gewiss«, sagte Regan. »Ist alles halb so schlimm.«

Kira tauchte hinter der Trennwand wieder auf. Sie hatte ein eng anliegendes Kleid übergestreift, dass die typischen Landesfarben Woberoks aufwies, eine eng geschnürte Taille und das Haar floss offen über ihren Rücken und ihre Brust. So sah sie tatsächlich viel schöner aus. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, weshalb ihre Mutter dieses wundervolle Haar immer zugesteckt hatte. Der rötliche Schimmer erinnerte ihn an die Flammen des Feuers. Wunderschön.

»Ganz im Gegenteil. Euer Sohn hätte sich ausruhen sollen, statt auf Keilerjagd zu gehen. Das hätte seinen übrigen Männern auch gut getan.«, zischte Kira, dann stolzierte sie an ihm vorbei zu dem Tisch, um die Materialien zusammen zu packen. Ihre blutigen Finger hatte sie sich schon gewaschen.

Der König hob eine Augenbraue und warf Regan einen vielsagenden Blick zu.

Regan verstand, dass auch der König die Veränderung seiner Frau mitbekommen hatte und Regan musste daraufhin grinsen. Ja, seine kleine Frau war schon eine Weile keine kleine verschreckte Katze mehr. Sie war eine Löwin geworden und er wusste, dass sein Vater dazu beigetragen hatte. Von Anfang an hatte er sie nicht geschohnt oder ihr Privilegien zukommen lassen, da auch keine andere adlige Woberokin so etwas genoss. Jede war von Anfang an darin unterwiesen worden, zu arbeiten und zwar hart. Denn hier im hohen Norden konnten sich die Ladys es nicht leisten, nur Teekränzchen zu halten, zu tanzen und vor sich her zu lächeln. Hier musste jeder seinen Beitrag leisten, auch die Frauen.

»Wie dem auch sei. Draußen hat Barda das Wildschwein schon ausweiden lassen. Es brät über dem Feuer. Beehrt ihr uns?«

Regan lief ungewollt das Wasser im Munde zusammen. Nach Wochen mit Trockenobst und Trockenfleisch, das so zäh wie Schuhleder war, konnte er sich nichts besseres vorstellen, als ein ordentliches saftiges Stück Wildschweinbraten abzubekommen. Nicht einmal die Aussicht auf weitere Küsse von seiner Ehefrau könnten ihn dazu verführen noch länger in diesem Zelt zu verweilen.

»Wir kommen gleich nach. Ich ziehe mir nur etwas anderes an.«, antwortete Regan auf die Einladung des Königs.

König Ragnar wandte sich ab und nickte Kira noch einmal zu, die alles in einem Beutel verstaut hatte und beiseite legte.

Dann kam sie auf ihn zu und nahm ihm das Hemd ab. Sie half ihm, sich einzukleiden und einen wärmenden Umhang um die Schultern zu legen, dann zog sie ihren eigenen Umhang über. Dabei fiel ihm auf, wie hässlich und zerfleddert dieses Teil war und er beschloss kurzerhand, den Gerber aufzusuchen und ihr von dem ersten erlegten Wolf einen neuen Fellumhang fertigen zu lassen.

Er ergriff ihre Hand, dann führte er sie aus dem wärmenden Zelt hinaus in die nächtliche Kälte. Die Sonne war bereits vor einer halben Stunde vollkommen hinter den weit entfernten Bergen verschwunden und hatte der Nacht Platz gemacht. Der Mond hing nur als dünne Sichel am sternenbesetzten klaren Himmel. Überall im Jagdlager war es hell und es herrschte noch immer reges Treiben. Überall brannten Lagerfeuer und die Jäger und Soldaten hatten sich um die Feuer zusammen gekauert und tauschten Geschichten aus.

Kira lief neben ihm her und blickte sich immer wieder neugierig um, was ihm bestätigte, dass sie noch nie mit auf einer königlichen Jagd war. Und das, obwohl Kartan berühmt für die Fuchsjagden in den milderen nordischen Sommern war, wo die Füchse von rostrot zu dunkelbraunem oder grauem Fell wechselten. Die kartanischen Jagdhunde waren teilweise so gut darauf trainiert, auch bloß weiße Polarfüchse zu jagen. Ein Wunder, dass sie da so begeistert war.

Er und seine Frau erreichten das gewaltige Lagerfeuer vor des Königs Zelt, wo Barda ihre komplette Küche aufgebaut zu haben schien. Ein großer bulliger Diener drehte ununterbrochen den Spieß, auf dem der Keiler steckte, der ihn zuvor noch so lebendig verwundet hatte. Um das Feuer lagen Baumstämme, auf denen Männer und Frauen saßen und sich unterhielten. Etwas abseits stand Barda mit zwei Mägden und reichte Fladenbrote und Skyr herum, was als Vorspeise diente, bevor die besten Stücke des Keilers die Runde machen würden.

Sein Vater winkte die beiden zu sich heran und Regan ließ Kira neben ihm Platz nehmen, bevor er sich selbst auf dem Baumstamm niederließ. Sofort wurde ihnen von einem Burschen Skyr und Fladenbrot gereicht, das sie zusammen vertilgten. Währenddessen lauschten sie einer ausführlichen, leicht übertriebenen Ausführung, Thoralds, der den Sturz des bratenden Keilers beschrieb. Dass der Keiler in seiner Geschichte sehr viel größer war und Rauch und Feuer zu spucken schien, interessierte eigentlich niemanden. Alle amüsierten sich, auch seine Frau.

Und während sie alle so durcheinander redeten und sich Geschichten erzählten, stellte er fest, dass niemand mehr Kira als Außenseiterin wahrnahm. Sie redete so selbstverständlich mit, nahm etwas vom Skyr, das ihr früher nie geschmeckt hatte und lachte, wenn Thorald den Keiler in einen feuerspuckenden Drachen verwandelte, den sie in den Wäldern dort besiegt hatten. Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile entspannte sich Regan etwas und legte seinen Arm um Kiras Taille.

Sie versteifte sich kurz, dann blickte sie lächelnd und mit roten Wangen zu ihm auf und legte ihre Hand in seine, die er auf ihren Oberschenkel gelegt hatte. Der Abend verlief heiter und fröhlich. Bald wurde der Keiler von Barda angeschnitten und das erste Stück galt ihm, der das Ungeheuer erlegt hatte. Er teilte sich sein Stück mit seiner Frau, da er dieses riesige Stück kaum schaffen würde und war froh um ihren gesunden Appetit.

Unweigerlich dachte er an seine Schwester und wie mager sie geworden war. Sie war bei ihrer Abreise von Woberok beinahe dürrer gewesen, als Kira, die von Natur aus sehr schlank war. Umso beruhigter war er, dass Kira gesund aß. So musste er sich wenigstens darum keine Sorgen machen.

Schließlich zogen sich die meisten Jäger und Soldaten zu ihren Zelten zurück, um sich für die morgige Jagd auszuruhen. Auch Barda und die Bediensteten verschwanden nach einiger weiterer Zeit und Regan blinzelte überrascht, als sich Kira gegen seine Schulter lehnte und ihren Kopf darauf ablegte. Er runzelte leicht die Stirn. Heute, so wusste er, hatten sie einen gewaltigen Schritt aufeinander zu gemacht. Sie hatten sich einander anvertraut und nun wusste er auch, wo Kiras Hemmungen lagen. Das Vertrauen, das sie heute zueinander aufgebaut hatten, war eine wichtige Basis für ihr künftiges Zusammenleben. Schon eine Weile lang hatte er sie nicht mehr als Kind betrachtet. Nach ihrer ersten Begegnung hatte er sich immer wieder eingeredet, dass sie erst sechzehn war und er eigentlich nicht so für sie empfinden sollte, aber so war es schlicht und ergreifend nicht mehr.

Gähnend rieb sich Ferrin ihnen gegenüber die Augen.

Thorald lachte leise. »Geh ins Bett, du Knirps. Bevor du hier noch im Sitzen einschläfst.«

Die Männer und Frauen um sie herum kicherten leise, sogar Raphael, der mit verschränkten Armen schräg neben ihnen saß.

Ferrin schüttelte den Kopf. »Nein! Erst will ich die Prinzess noch singen hören!«

Kira neben ihm hob verwundert den Kopf. »Singen?«

»Ja...«, murmelte er. »Vor ein paar Wochen habe ich Euch im Wäschehaus neben dem Burgtor singen gehört. Es klang so schön, welche Sprache war es?«

Regan blickte auf seine kleine Frau hinunter.

Sie wurde rot und begann zu stottern. »Äh... e-es war eine... woberokische Legende. Ich habe sie wohl irgendwo bei den Wachen aufgeschnappt.«

»Könnt Ihr es singen?«, beharrte Ferrin.

»Ich weiß nicht, ob ich die Worte richtig ausspreche. Aber ich versuche es«, sagte Kira und räusperte sich.

Alle hörten ihr gebannt zu und mit jedem Wort, das sie sprach, runzelte er weiter die Stirn. Er selbst verstand kaum ein Wort, nur einzelne Wortfetzen kamen ihm bekannt vor. Es war eine alte woberokische Sprache, die schon sehr alt war. Sie stammte aus der Zeit, als die Wilderer und die woberokischen Völker sich trennten und verschiedene Wege gingen. Das meiste war noch kaum von der Sprache der Wilderer abgeleitet. Die Worte waren hart und schienen für ihren zarten Mund kaum geeignet, dennoch sprach sie sie perfekt aus.

»K'rachs kamai gr'ren remar, kev gemar, t'orach kach gerin drac'os.«, summte sie leise vor sich hin.

Ferrin klatschte in die Hände und lächelte. »Ihr singt wunderbar!«

Der Bursche war als einziger von ihren Summereien begeistert und Regan gab zu, dass sie eine schöne Singstimme hatte, aber die Worte waren seltsam und fremd. Vor allem, schien niemand begeistert darüber, dass sie eine woberokische Sprache sprechen konnte. Ob sie wusste, was ihre Worte bedeuteten? Kannte sie die Übersetzung?

Regan stand auf, bevor irgendjemand der Anwesenden ihr die Fragen stellen konnte, die ihm bereits im Kopf herum schwirrten. »Wir verabschieden uns jetzt. Wir sollten zu Bett gehen, Frau.« Seine Worte klangen härter, als beabsichtigt.

Kira legte die Stirn in Falten, war aber so schlau, nicht zu widersprechen. Stattdessen nickte sie, stand auf und verabschiedete sich noch von Ferrin, dann folgte sie ihm zurück in ihr Zelt. Im Innern angekommen scheuchte er Edda hinaus, die gerade das Bett bezogen hatte und riss sich den Mantel von den Schultern.

»Was ist denn los?«, fragte Kira verwirrt.

Regan fuhr zu ihr herum. »Ihr sprecht eine woberokische Sprache?«

Benommen prallte sie zurück und zuckte die Schultern. »Ich sagte doch, ich habe das Lied aufgeschnappt. Keine Ahnung, was es bedeutet.«

»Tatsächlich?«, hakte er nach und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.

Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ja! Tatsächlich! Glaubt Ihr mir nicht?«

»Nicht so richtig.«, gestand er aufgebracht und stapfte hinüber zu dem Tischchen und schnappte sich den Krug, der darauf stand, um sich etwas Wein einzuschenken, dann drehte er sich wieder zu ihr. »Ihr habt die Worte perfekt ausgesprochen, sowas lernt man nicht, wenn man etwas aufschnappt

Sie funkelte ihn vernichtend an. »Ach ja? Was glaubt Ihr dann? Egal, was es ist, es interessiert mich nicht. Denkt was Ihr wollt, ich gehe zu Bett!« Ihre Stimme wurde immer lauter und schriller, bis sie sich den Umhang von den Schultern riss und hinter die Trennwand stapfte.

Wie ein geprügelter Hund stand er mitten im Raum. Seine Frau hatte ihn jetzt tatsächlich so stehen lassen und die Diskussion beendet. Einfach so, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen! Was war nur in sie gefahren? Wütend stürzte er den Kelch Wein in wenigen Zügen hinunter und wartete, dass sie wieder vorkommen und sie weiterreden würden. Stattdessen lief sie ruhig und in einem aufreizend kurzen Nachtkleid an ihm vorbei, die Nase beinahe bis in den Himmel gerichtet und stieg auf der linken Seite des Bettes unter die Decke. Wie ein begossener Pudel stand er da und starrte sie an, während sie sich das Kopfkissen zurecht rückte.

»Ist das alles, was Ihr zu sagen habt?«, fragte er schrill.

Sie hielt Inne und warf ihm einen pikierten Blick zu. »Ich dachte mein Standpunkt ist klar: Ihr glaubt mir nicht und es ist mir egal, was Ihr darüber denkt.«

»Und Ihr glaubt, dass sich das Thema damit erledigt hat?«

Kira verschränkte die Arme vor der Brust und er wusste, dass sie ihn damit herausforderte. »Seid Ihr wütend, dass ich Eure einstige Muttersprache besser ausspreche als Ihr?«

Wut packte ihn. »Darüber bin ich bestimmt nicht wütend. Es geht darum, dass wir diese Sprache aus gutem Grund nicht mehr sprechen, weshalb es mich verwundert, dass Ihr das Lied angeblich bei irgendwelchen Wachen aufgeschnappt habt. Mich würde zu gerne interessieren, welche Wachen es waren.«

Sie blinzelte verwirrt. »Warum spricht niemand mehr diese Sprache?«

Er seufzte wegen ihrer Unwissenheit, dann stellte er den Kelch beiseite und setzte sich neben ihr auf die Bettkante. »Die Wilderer und Woberoker sind schon lange keine Verbündeten mehr. Sie sind die wahren Barbaren und wir tun alles, um uns von ihnen abzusprengen. Also wurden diese Sprachen verboten. Ich weiß nicht genau weshalb, aber niemand sollte diese Sprachen in den Mund nehmen, deswegen kennt kaum ein Woberoker sie noch.«

 

 

Wie versteinert saß ich da, spürte, wie er mir sanft über die Hand strich und die Versöhnung suchte. Ich wusste selbst nicht, weshalb ich gesagt hatte, dass ich es aufgeschnappt hatte, aber ich spürte eine Art Vorwarnung, dass ich meine kleine Entdeckung bei Kovir vorerst für mich behalten sollte. Dieses kleine Buch, das so unscheinbar in braunes Leder geschlagen war und das ich in den letzten Wochen, in denen ich das Zelt und unser Ehegemach für mich alleine hatte, immer wieder gelesen hatte, war nicht für aller Augen bestimmt.

Auch die Verse, die ich vorgesungen hatte, schienen für Verwirrung zu sorgen. Regan war nicht besonders begeistert darüber gewesen, dass ich diese Worte aussprechen konnte und ich wollte nicht unbedingt wissen, was die anderen darüber dachten, die mein Lied mit angehört hatten. Vielleicht sollte ich die Worte des Buches fürs Erste weiterhin für mich behalten, wenn mein eigener Ehemann schon so darauf reagierte.

Ich nickte verstehend. »Ich werde sie nicht noch einmal aussprechen.«

Sanft legte er seine große warme Hand an meine Wange. »Gut. Meinetwegen könntet Ihr sie die ganze Zeit singen, aber andere reagieren weniger begeistert als ich.«

»Noch weniger meint Ihr?«, neckte ich ihn.

Er grinste. »Und nicht jeder ist begeistert von Eurer scharfen Zunge.«

»Und Ihr?«

Sein Blick verlor sich auf meinen Lippen. »Ihr wisst, was ich darüber denke, Prinzessin.«, murmelte er mit rauer Stimme. »Wir sollten lieber schlafen, bevor das noch Ausmaße annimmt.«

Ich lächelte schüchtern und gehorchte, legte mich bequemer hin und wartete, bis er die Lichter gelöscht hatte und nur noch das Herdfeuer unser Zelt in dämmriges Halblicht tauchte. Dann spürte ich, wie die Matratze unter seinem Gewicht nachgab und er einen Kuss auf meine nackte Schulter hauchte. Bevor ich noch etwas sagen konnte, war ich bereits weggedämmert.

Kapitel 23

 

Am nächsten Mittag hatte Kovir endlich Zeit für Regan, um sich die Wunde an seiner linken Seite noch einmal genauer anzuschauen. Zwar hatte ich den Verband heute Morgen schon einmal gewechselt, aber ich war mir dennoch unsicher, sodass ein erfahrenerer Heiler lieber ein Auge darauf werfen sollte. Während die beiden Männer in Regans und meinem Zelt waren, suchte ich Freyer, die heute Früh wieder einmal nicht zur Arbeit aufgetaucht war, sodass ich ihre Portion Wäsche erledigen konnte. Meine Hände schmerzten von der Kälte des Wassers in dem riesigen Bottich, da wir die Wäsche draußen an der kalten Winterluft waschen mussten.

Der Winter war mittlerweile vollständig im Norden eingekehrt, jedoch war es ein verhältensmäßig milder Winter, was den Menschen um mich herum Angst einjagte. Ein milder Winter dieses Jahr, bedeutete einen doppelt so harten Winter im nächsten.

Ich rieb mir die kalten rissigen Hände und stapfte quer durch das halbe Lager auf der Suche nach ihr. Und ich fand sie erst auf einer niedrigen Mauer sitzend, wieder ein Brief mit dem kartanischen Siegel in der Hand. Blind vor Wut raste ich auf sie zu und schnappte mir blitzschnell den Brief aus ihren Händen.

Empört schrie sie auf. »Kira! Gib mir sofort den Brief zurück!«

»Warum sollte ich?«, fuhr ich sie an. »Seit Wochen schwärmst du nur noch für meinen Bruder! Es nervt! Ständig muss ich deine Arbeit erledigen.«

Freyers Wangen wurden feuerrot. »Wer sagt, dass du sie erledigen musst?«

Ich hielt inne und runzelte die Stirn, da ich ihre Frage nicht ganz verstand. Wer sagte eigentlich, dass ich sie erledigen musste? Die Antwort kam mir genauso schnell, wie die Frage aufgetaucht war. Niemand sagte mir, dass ich ihre Aufgaben erledigen musste. Nur ich sagte mir das andauernd, da ich nicht wollte, dass Freyer deswegen Ärger bekam. Weder ihr Vater noch ihre Mutter waren bei der Jagdgesellschaft dabei, um ihre Tochter in Schutz zu nehmen, falls sie von Barda oder dem König selbst Ärger bekommen würde. Ich schützte sie andauernd, indem ich ihre Aufgaben mit erledigte und es so aussah, als hätte sie sie getan.

Wütend über mich selbst warf ich einen Blick auf den Brief und erstarrte.

Freyer packte das Papier und riss es mir aus der Hand, dann faltete sie es und schob es in die Falten ihrer Kleider.

»Er will dich heiraten?«, kam es stotternd über meine Lippen.

Sie sah zur Seite, dann nickte sie. »Rickon will euren Vater überzeugen, dass er mich zur Frau nehmen kann... ich wollte es dir sagen, aber ich habe nach einem Zeitpunkt gesucht, indem wir uns nicht...«

»... ankeifen wie die Krähen?«, beendete ich zögernd ihren Satz.

Innerlich versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Rickon? Und heiraten? Noch nie hatte ich mir vorstellen können, dass Rickon heiraten würde. Er war ein Jäger durch und durch, beherrschte den Bogen wie kein anderer und war oft tagelang in der Wildnis unterwegs. Er selbst hatte immer Witze darüber gemacht, dass er vermutlich niemals eine Ehe führen würde. Welche Frau hielte es schon lange mit einem Mann aus, der beinahe nie daheim war? Und jetzt sollte er Freyer heiraten? Kinder mit ihr bekommen? Mit dem Mädchen, das bereits zu einer Freundin geworden war?

Andererseits hatte ich mir auch nie vorstellen können, dass Harris eines Tages heiratete und nun erwartete seine Frau Astrid bereits ihr erstes Kind. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie schnell die Zeit verging und wie wenig wir alle hatten Kinder sein dürfen. Nun würde die Zeit der großen Veränderungen auf uns zukommen und jeder, den ich kannte, würde seine eigenen Wege einschlagen. Genau, wie Rickon und Freyer.

»Dann... dann wirst du Woberok ja verlassen.«, sagte ich benommen.

Freyer nickte nachdenklich. »Das werde ich wohl müssen.«

»A-aber Woberok ist deine Heimat.«

»Du hast deine Heimat auch verlassen, um zu deinem Ehemann nach Woberok zu kommen.«

Ich runzelte die Stirn. »Kartan war nie meine Heimat.«, murmelte ich kaum hörbar. »Aber gut. Das ist etwas anderes.«

»Ist das... schlimm für dich?«, wollte Freyer wissen. »Dass ich deinen Bruder heiraten werde?«

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. »Nein. Natürlich nicht... ich freue mich für euch.«

Sie blickte mich zerknickt an. »Wirklich?«

»Ja, wirklich«, lächelte ich und hob die Arme. »Komm her.«

Sie musste leise lachen und schlang die Arme um mich, drückte mich fest an sich.

Ich genoss die Nähe zu ihr und war froh, dass wir uns nach Wochen des Streites endlich versöhnt hatten. Es war dennoch immernoch schwer zu begreifen, dass sie nach Kartan gehen würde, um Rickon zu heiraten und ab da bei ihm leben würde. Ich hatte, trotz der Freude für sie und meinen Bruder, das Gefühl, einer Freundin Lebe Wohl sagen zu müssen.

Freyer lächelte mich an, drückte mich noch einmal und machte sich dann an die Arbeit. Sie versprach mir, ab jetzt pünktlicher zu sein und Rickons Briefe in den Pausen zu lesen.

So war ich erst einmal zufrieden und durchquerte erneut das Lager, um zu meinem Zelt zurückzukehren und zu sehen, wie es Regan ging. Die Erkenntnisse, die ich durch Rickons Brief gewonnen hatte, brachten auch noch einen anderen Teil meines Gefühlslebens durcheinander. Nämlich den Teil, in dem es um Regan und mich als Ehepaar ging. Vermutlich wäre es allmählich an der Zeit, dass wir unsere Ehe vollzogen und zwar wirklich, ohne List und Heimtücke. Ich wusste, dass er mich erst anrühren würde, sobald ich ihn darum bat und ich wusste nicht, ob ich schon dazu bereit war. Aber etwas in mir, sagte mir, dass unsere Täuschung vielleicht nicht mehr lange aufrecht stehen würde. Jeden Moment könnte jemand herausfinden, dass wir nicht Mann und Frau waren und unsere Ehe im Prinzip ungültig ist.

Grübelnd über all diese Dinge zog ich die Zeltplane beiseite und trat ein.

Regan saß auf dem gleichen Stuhl wie am gestrigen Abend mit nacktem Oberkörper.

In meinem Bauch kribbelte es seltsam, wenn ich ihn so ansah.

»Eure Frau hat das wirklich hervorragend genäht, Ihr habt Glück gehabt, dass sie so schnell gehandelt hat.«, brummte Kovir, als er den neuen Verband fest zog.

»Danke für das Kompliment«, sagte ich und legte das Schultertuch auf den anderen Stuhl. »Wird die Narbe sehr groß?«

Regan schnaubte leise. »Eine Narbe mehr oder weniger macht auch keinen Unterschied.«

»Sie wird nicht riesig sein, aber klein auch nicht.«, sagte Kovir, als hätte er Regan überhaupt nicht zugehört.

Ich nickte nachdenklich und blickte auf Kovirs kleines Arztköfferchen, in dem sich allerleih Utensilien befanden. Dann wanderte mein Blick über den alten Mann, der noch immer an dem Verband herum zupfte. Innerlich war ich ganz froh, dass er nicht die Worte erwähnte, die ich am letzten Abend gesungen hatte. Mit Sicherheit hatte er sie auch gehört oder Ferrin hatte ihm davon erzählt und er kannte die woberokischen Sprachen schließlich ein wenig, sodass er mit den Worten sicher etwas anfangen konnte. Was genau, wusste ich nicht. Aber wenigstens hielt er sich in der Gegenwart meines Mannes zurück.

Kovir erhob sich ächzend und packte den Griff seines Arztkoffers. »So. Morgen sollte sie noch einmal mit Alkohol desinfiziert werden, damit sie sich ja nicht entzündet.«

Ich nickte verstehend. »Das kann ich machen.«

Er neigte den Kopf. »Gut. Ich lasse Euch alleine, Majestät.«

Regan nickte nur, dann nahm er sein Hemd und schlüpfte in einen Ärmel.

Als Kovir weg war, trat ich zu ihm und half ihm, auch in den anderen zu kommen.

Sanft ergriff er meine Hände und sah zu mir auf. »Eure Hände sind eiskalt.«

»Ich musste Freyers Arbeit erledigen, weil sie heute nicht gekommen ist.«

Regan runzelte die Stirn und hob eine seiner tiefschwarzen elegant geschwungenen Augenbrauen. »Sie ist sonst so zuverlässig.«

Innerlich haderte ich mit mir, wusste nicht genau, ob ich ihm erzählen sollte, dass Freyer bald meinen Bruder heiraten würde. Mein Vater hatte mit Sicherheit nichts gegen eine solche Verbindung. Im Gegenteil, sie wäre von Vorteil für Kartan. Nicht nur, dass Rickon eine ranghohe Adlige zur Frau bekäme, sie stammte auch noch aus der Königsfamilie von Woberok, denn sie war die Tochter des Bruders der verstorbenen woberokischen Königin. Das festigte unser frisch geschmiedetes Bündnis um einen weiteren Strang und sobald eine der beiden Ehen Früchte trug, sprich also, ein Kind geboren war, konnte niemand mehr etwas an dem Bündnis zwischen Kartan und Woberok rütteln. Allerdings wusste ich nicht, ob Regan so begeistert wäre, dass seine Cousine meinen Bruder heiratete.

»Wir haben uns gestritten... aber wieder vertragen. Sie ist jetzt wieder pünktlicher.«, sagte ich, ließ die Nachricht über eine geplante Hochzeit zwischen Freyer und Rickon jedoch mit Absicht aus.

Regan blickte nachdenklich auf meine Hände und rieb mit den Daumen über meine Handrücken. »Ich will nicht mehr, dass Ihr Wäsche wascht. Eure Hände sind eiskalt und rauer als meine Schwerthände.«

Überrascht hob ich die Brauen. »Was soll ich stattdessen machen?«

Er zuckte ratlos die Schultern. »Eine Waffe werde ich Euch nun nicht in die Hand drücken, aber irgendwas anderes werden wir schon finden.«

Im Innern war ich beinahe etwas enttäuscht darüber, dass er mir keine Waffe geben würde. Ich wusste, dass das als Scherz gemeint war und jede andere Frau hätte vermutlich gelacht, aber ich nicht. Denn in Wahrheit wusste ich nun, was er davon halten würde, wenn ich eine Waffe halten würde. Das war nichts für eine Frau. Jedenfalls weder in Woberok, noch in Kartan.

Ich wollte das Thema wechseln und befand es als passende Gelegenheit, mit ihm über unsere unvollzogene Ehe zu sprechen und, wie wir das Problem lösen konnten.

»Regan... ich wollte mit Euch über etwas...«

In diesem Moment wurde die Zeltplane beiseite gezogen und zum unpassensten Zeitpunkt überhaupt, tauchte der König in unserem Zelt auf. Er trug einen dunklen Lederharnisch, darunter einen gefütterten Wams, der ihn vor der Kälte draußen bewahrte. An der Seite trug er einen Gürtel mit dem Schwert, das er beinahe immer getragen hatte, solange ich ihn kannte.

Er legte eine Hand auf den Knauf, als hätte er meinen Blick bemerkt. »Verzeiht mir die Störung eurer ehelichen Pflichten«, bemerkte König Ragnar mit einem schelmischen Lächeln.

Ich errötete. Hitze kroch mir ins Gesicht, wenn ich daran dachte, dass ich genau darüber gerade mit Regan hatte sprechen wollen. Sofort stellte ich mir vor, dass der König vielleicht zu dem unpassenden Moment hätte kommen können, wenn ich Regan sagte, dass ich unsere Ehe als vollzogen wissen wollte und ich ihn wohlmöglich, wenn er mir dabei Zeit ließ, um mich an ihn zu gewöhnen, wollen würde, dass er die Ehe nun vollziehen würde.

Zum Glück war er einen winzigen Augenblick zu früh gekommen, denn, wenn er mitbekommen hätte, dass wir noch überhaupt nicht beieinander gelegen hatten, wäre die Hölle los.

Ich ließ von Regan ab und nahm den alten Verband vom Tisch, den Kovir da gelassen hatte, um wenigstens etwas sinnvolles zu tun.

»Und? Wie sieht die Wunde aus?«

»Kovir meint, sie sähe gut aus. Kira soll morgen die Wunde noch einmal ausspülen.«, antwortete Regan und stand von dem Stuhl auf, bevor er sich etwas zu Trinken eingoss. »Was wollt Ihr hier? Doch sicher mehr, als zu sehen, dass Euer Sohn noch alle Gräten besitzt.«

Konig Ragnar lachte herzhaft. »Du schätzt deinen alten Herrn etwas zu hart ein, aber ja. Es gibt einen anderen Grund, weshalb ich hier bin... und dieses Gespräch ist nichts für ein Weib.«

Ich fuhr zusammen und ließ beinahe das Kästchen fallen, das ich soeben auf den Tisch stellen wollte, dann starrte ich den König und meinen Mann an. Zuerst den König, dessen Blick klar sagte, dass dieses Gespräch, das er mit Regan führen wollte, nicht für Frauenohren bestimmt war. Diese Tatsache empörte mich nicht einmal so sehr, da ich König Ragnars Einstellung zu Frauen schon an dem Tag spürte, an dem er zum Unterschreiben der Verträge nach Kartan kam. Was mir viel mehr gegen den Strich ging, war, dass Regan mich ebenso erwartungsvoll musterte, wie sein Vater. Hatte er etwa dieselbe Meinung, wie sein Vater? Glaubte er auch, dass, weil ich eine Frau war, mich gewisse Dinge nicht zu interessieren hatten? Ich kam erschreckend schnell zu einem Ergebnis. Ja, natürlich glaubte er das. Er war schließlich auch der Meinung, dass Waffen nicht in Frauenhände gehörten.

Ungewollt schoss mir die Zornesröte ins Gesicht und ich presste vor Wut die Zähne aufeinander.

»Fein«, knurrte ich und knallte das Kästchen auf den Tisch, dann funkelte ich Regan wütend an. »Dann werde ich mal hinaus gehen und mir Frauenarbeit suchen, um die Herrn nicht weiter mit meiner Anwesenheit zu belästigen.«

Ich umrundete den Tisch und schnappte mir mein Schultertuch vom Bett.

»Kira«, sagte Regan ruhig und griff nach meinem Arm.

Ich entzog mich ihm. »Lasst mich. Ich habe schon verstanden, dass Euer Gespräch mit dem König nicht für Frauenohren bestimmt ist. Aber seit Euch sicher, dass Ihr Euch nicht wundern müsst, wenn besagte Frau auch den Rest des Tages woanders verbringt.«, zischte ich ihm giftig entgegen und rauschte an ihm vorbei und aus dem Zelt. Die eiskalte Luft kühlte mein erhitztes Gemüt kein Stückchen herunter.

 

 

Wie ein geprügelter Hund stand er vor dem Zelteingang und starrte auf die geschlossenen Zeltplanen. Das hatte sie jetzt nicht wirklich getan! Das konnte doch nicht wahr sein! Ihn vor seinem Vater und dazu dem König Woberoks so bloßzustellen und so mit ihm zu sprechen! Wahrscheinlich würde ihr eine Tracht Prügel ganz gut tun, jedoch verabscheute er diese Art von Bestrafung für eine Frau. Es war eigentlich keine Seltenheit, dass eine Frau bei Fehlverhalten, von ihrem Mann übers Knie gelegt wurde und mit einem Gürtel zweimal oder dreimal kräftig auf das Hinterteil geschlagen wurde, damit sie sich ihres Fehlers besah, es verinnerlichte. Aber Regan war noch nie ein Befürworter dieser Methode.

Heute Abend würde er mit ihr reden müssen und zwar ein ernstes Wort.

So konnte es einfach nicht weitergehen. Ihr vorlautes Mundwerk nahm in letzter Zeit Überhand und er sah keinen Grund dafür. Wäre der Umstand, dass sie miteinander schliefen, hätte er darauf getippt, dass ihre Launenhaftigkeit daher rührte, dass sie ein Kind erwartete. Da dies jedoch nicht der Fall war, konnte er diese Möglichkeit ausschließen. Die andere Möglichkeit, dass sie ihre Blutungen hatte, wäre wahrscheinlicher, aber auch das zog er nicht in Erwägung. Dass sie so plötzlich an Mut gewann und ihren Mund sogar vor dem König so weit aufriss musste einen anderen Grund haben.

»Bei Skadi, dieses Mädchen ist ganz schön aufsessig. Hätte ich das gewusst, hätte ich dich vielleicht eher an Prinzessin Jette von Fenral verheiratet.«, brummte König Ragnar und nahm sich den Krug, der auf dem Tisch stand und goss sich etwas von dem Branntwein in einen Becher.

Regan seufzte. »Ich hätte bezweifelt, dass sich eine Beserkerprinzessin gut in Woberok und bei der Frauenarbeit macht.«

Er stutzte innerlich, als er dieses Wort aussprach. Früher hatte es ihn nicht weiter interessiert, wie sich eine Frau dabei fühlen würde, wenn man diese Worte in den Mund nahm und so von ihrer Rolle in der Welt sprach. Doch so, wie Kira das Wort Frauenarbeit soeben ausgesprochen hatte, hatte er das Gefühl, er würde sie damit ein Stück herabwürdigen. Als wäre ihre Rolle in ihrer Ehe nicht so wichtig, wie die seine. Als würde man von ihr bloß erwarten, Kinder zu gebären und Wäsche zu waschen.

Regan runzelte die Stirn, dann gesellte er sich zu seinem Vater auf den Stuhl.

Der König schwenkte ein wenig die Flüssigkeit in seinem Becher herum, dann sah er ihn von unten nach oben her an. »Was hast du auf deiner Patrouille erfahren?«

»Nicht besonders viel.«, sagte Regan und goss sich etwas von dem Branntwein in einen zweiten Becher. »Eigentlich war alles ziemlich ruhig. Die Außenposten werden gut bewacht, die freien Händler verkaufen ihre Waren an die Generäle und Kommandanten. Außerdem wechseln die Wachtrupps regelmäßig zwischen Außenposten und Hauptstadt. Wieso?«

Er ließ mit Absicht seine Beobachtung außen vor, dass seltsamerweise bei jedem Außenposten, zu dem sie gelangt waren, sehr viel mehr Torwachen eingesetzt worden waren, als üblich waren. Die seltsame Begründung des Kommandanten des gewaltigen Wachturms im Osten Woberoks hatte ihn stutzig gemacht und ihm erst aufgezeigt, dass hier etwas nicht stimmte. Und das Königshaus wusste anscheinend nicht Bescheid. Warum auch immer. Er hatte schon vor, einen Agenten darauf anzusetzen und kannte schon die richtige Person dafür.

König Ragnar trank einen Schluck und runzelte die Stirn, worauf eine steile Falte zwischen seinen Brauen entstand. »Das ist seltsam. Vor einer Woche fing mein Spion einen Kurier ab, er sollte einen Brief übermitteln. Wohin wollte er nicht sagen, aber in dem Brief stand, dass jedem Kommandanten Woberoks eine große Summe geboten würde, wenn sie besonders viele Wachen an die Tore schleusen würden, die jedoch verdächtige Aktivitäten ignorieren sollten.«

Regan verschluckte sich beinahe an seinem Getränk. »Was?«

Ragnar nickte. »Ich weiß nicht recht, was ich von dieser Information halten soll.«

»Das würde erklären, weshalb sich sonderbar viele Torwachen an den Ein- und Ausgängen befunden haben. Aber... Meint Ihr, jemand wagt es, uns anzugreifen? Hatte der Brief ein Siegel?«

»Eines, das ich nicht kannte.«, sagte König Ragnar. »Ein Kreis mit einer Flamme im Innern. Aus rotem Wachs. Die Farbe Kartans.«

Regan runzelte die Stirn. »Weshalb sollte Kartan uns angreifen wollen? Schließlich haben wir ein Bündnis mit Ihnen geschlossen. Ich habe die Prinzessin geheiratet und wenn ein Junge geboren ist, dann...«

»Sobald«, unterbrach ihn der König. »Noch ist dieses Bündnis nicht eisern besiegelt durch einen Erben für Woberok. Das Bündnis ist noch brüchig und, wenn der König Kartans meint, diese Ehe ist ohne Wert für ihn, dann sieht es schlecht aus. Ein erneuter Krieg nach zwanzig Jahren Frieden könnte jeden von uns vernichten.«

Regan legte die Hände auf den Tisch und schüttelte den Kopf. »Wir wissen nicht einmal, ob Kartan diesen Brief schickte. Und zweifelt Ihr etwa an der Loyalität Eurer eigenen Männer?«

»Männer sind so lange loyal, wie die Essen in den Mägen haben und zwischen die Schenkel einer Frau liegen können und gegebenenfalls die Anzahl der Münzen in ihren Taschen stimmt. Solange sind Männer ihrem Land treu ergeben. Es gibt die Ausnahmen, in denen die Männer einem König folgen aus Überzeugung, aber das passiert selten.«, sagte König Ragnar. »Ich wollte nur wissen, was du darüber denkst. Ich weiß, dass du gespaltener Meinung bist, da deine Frau eine Kartanerin ist, aber ich muss objektiv auf die Sache blicken. Ich werde Spione nach Kartan und Fenral entsenden, um mehr herauszufinden. Bis dahin will ich, dass dieses Gespräch unter uns bleibt.«

»Ich verstehe«, sagte Regan nachdenklich, denn seine Gedanken überschlugen sich im Moment. »Wir werden schon herausfinden, was das alles bedeutet.«

»Davon bin ich überzeugt.«, sagte König Ragnar unheilvoll und stand auf, um das Zelt zu verlassen.

Bevor er hinausgehen konnte, sprang er auf. »Was habt Ihr mit dem Kurier getan?«

Ragnar drehte kurz den Kopf. »Ich habe das getan, was er verdient hat, als Verräter.«

Damit verschwand sein Vater aus seinem Zelt und Regan blickte sich nachdenklich um. Nicht nur, dass er Probleme mit seiner Frau hatte, jetzt konnte er sich auch noch Sorgen um sein Königreich machen. Dass Kartan etwas damit zu tun hatte, wollte er kaum glauben, auch, wenn die Flamme das einstige Symbol für Kartan gewesen war, sowie es der Löwe heute war. Aber ein Krieg, den Kartan auslösen wollte? Ein Angriff auf Woberok, dem bestbefestigten Königreich überhaupt? Kartans König wäre ein Narr, eine Armee gegen Woberok zu führen, aus welchem Grund auch immer. Aus dem, was man alles über den Vater seiner Frau hörte, war der kartanische König schwach und kränklich, zudem ein Fremder für sein eigenes Volk. Wie sollte er eine Armee formieren, um das militärisch stärkste Reich anzugreifen? Warum sollte er das tun?

Das alles ergab für ihn keinen Sinn.

 

Am nahenden Abend wurde ihm allmählich unwohl.

Kira war den ganzen Tag nicht mehr aufgetaucht und allmählich machte er sich Sorgen, da es bereits zu dämmern anfing und das Abendessen bald anfangen würde. War sie noch immer bei der Arbeit? Er suchte Barda und Freyer auf, doch keine von beiden hatte Kira seit dem Morgen gesehen, sodass die Unruhe in ihm wuchs und ein schlechtes Gefühl in seinem Magen saß.

Er entdeckte Raphael bei den Pferdegattern, wie er über die Nüstern seines braunen Wallachs strich und ihm gut zuredete. Raphael war nämlich nicht nur ein begnadeter Bogenschütze, der seines Gleichen suchte, sondern auch ein Pferdekenner durch und durch. Pferde, die niemand sonst einbrechen konnte, hörten bei Raphael aufs Wort und der wildeste Hengst wurde zahm wie ein Lamm. Wenn Regan ihn suchte, dann sah er zu allererst bei den Pferden nach.

Doch im Moment kümmerten ihn die Pferde kaum.

»Und? Ist sie schon zurück?«, fragte Raphael grinsend, als Regan näher kam.

»Wer?«

Raphael hob eine Braue. »Wer? Na deine Frau, du Hohlkopf!«

»Hast du sie etwa gesehen?«

»Äh... ja klar. Vorhin kam sie zu mir. Wir haben geplaudert.«

»Worüber?«, wollte Regan wissen.

Raphael runzelte verwirrt die Stirn und ließ von seinem Wallach ab. »Sie fragte mich, was du gerne isst, da sie heute Abend wohl für dich kochen wollte. Sie sagte, es sei wichtig, weil ihr euch gestritten habt und sie sich mit dir versöhnen wollte.« Raphael sprach das Wort Versöhnen langsam und gedehnt aus. »Sie meinte, es soll etwas Besonderes werden. Ich habe ihr erzählt, dass du gerne Pilzeintopf mit Kaninchen ist. Daraufhin hat sie mich gefragt, ob ich die Kaninchen schießen kann.«

Als Raphael auf die zwei aneinander gebundenen Wildkaninchen deutete, die über dem Zaun hingen, starrte Regan einen Moment wirr vor sich hin. Hatte sie etwa vorgehabt...? Versöhnen? Sie wollte ihm etwas kochen? Es sollte etwas Besonderes sein? Wollte sie etwa mit ihm zusammen sein? So richtig?

Benommen sah er zu Raphael, der verwirrt dastand.

»Ist sie etwa noch nicht zurück? Sie wollte Pilze sammeln gehen.«

Regan schüttelte den Kopf. »Wann hat sie mit dir gesprochen?«

»Vor ein paar Stunden.«

Angst kroch in seinem Magen empor und er drehte sich zum Waldrand. »Irgendwas stimmt nicht. Wir müssen sofort da raus und sie suchen. So lange braucht doch niemand, um ein paar Pilze zu sammeln.«

Raphael nickte nur ernst, denn er wusste, wie schnell es gehen konnte, dass vom Pilze sammeln niemand mehr heimkehrte. Er selbst hatte es erlebt bei seiner Schwester und Regan wollte gewiss nicht riskieren, dass Kira das selbe wiederfuhr, wie Lady Kath. Sie riefen einen Burschen herbei, der ihre Pferde satteln sollte und, obwohl ihm Kira verboten hatte, zu reiten, schwang er sich auf seinen Hengst und trieb sein Tier vorwärts.

 

 

Nachdenklich blickte ich mich zwischen dem Gestrüpp um, dann sah ich auf meine magere Ausbeute. Der Korb, den ich unter den Arm geklemmt hatte, war nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Wie sollte ich daraus einen Pilzeintopf kochen? Vermutlich wurde daraus eher Kanincheneintopf, wenn Raphael mir die versprochenen Wildkaninchen schoss und ich sie mit in den Eintopf geben konnte. Vielleicht würde es ja trotzdem schmecken.

Fröstelnd zog ich mir mein Schultertuch enger um den Körper und stapfte weiter durch diesen endlosen Wald, auf der Suche nach mehr Pilzen. Meine Wut von vorhin war beinahe verraucht, denn ich hatte mich besonnen, dass es vielleicht ein wenig töricht von mir gewesen war, meinen Mann vor seinem Vater und König so anzufahren. Manchmal sollte ich eben nachdenken, bevor ich handelte. In diesem Fall war mein Temperament mit mir durchgegangen in der verzweifelten Sehnsucht, endlich gehört zu werden.

Aber bei Regan und seinem Vater würde ich damit vielleicht nie weiter kommen, als bis hier. Für beide war ich eine Frau, die die Schenkel zu spreizen und zu gebären hatte.

Ich seufzte beim Laufen.

Aus diesem Grunde hatte ich mein Abendessen für Regan geplant. Nicht unbedingt, um Kinder zu gebären, aber, um ihm vielleicht heute Abend etwas näher zu kommen und mit ihm über meinen Wunsch zu sprechen, unsere Ehe zu vollziehen, um so, jeglichen Irrglauben zu zerstreuen. Wer wusste es schon? Vielleicht würde er mich anhören und mir zustimmen.

Aus meinem Augenwinkel sah ich etwas aufblitzen und drehte neugierig den Kopf. Ein umgefallener Baumstamm lag an einer freieren Stelle im Wald. Ich stapfte durch den Schnee dorthin und kniete mich nieder, holte meinen Dolch heraus, den ich von Tristan zur Abreise geschenkt bekommen hatte und schnitt die Pilze, die sich unter dem Baumstamm hockten und der Kälte noch trotzten sorgsam ab. Dies waren die letzten Pilze des Jahres und ich würde sie in meinen Eintopf geben.

»In so eine Blume habe ich meinen Schwanz noch nie gesteckt«, grunzte eine mir unbekannte Stimme.

Ich erschrak und drehte den Kopf.

Ein Mann stand nur wenige Meter von mir entfernt, seine Gestalt war rundlich unter dem dicken Wams, seine Erscheinung ungepflegt und er stank bestialisch sogar auf die Entfernung. Doch, was ich ganz klar sah, war, dass auf seinem Wams das Wappen Fenrals eingestickt war.

Der Bär mit seinen scharfen Klauen und seiner ungeheuren Kraft.

Er stolperte auf mich zu und ich schrie.

Kapitel 24

 

Mein Herz begann in meinem Brustkorb zu rasen, mein Blut rauschte mir in den Ohren und mir wurde mit einem Mal eiskalt, als ich diesem betrunkenen Mann auf mich zustolpern sah. Meine Augen weiteten sich vor Unglauben, da ich noch nicht realisierte, was seine Absichten waren. Hingegen schrillten in meinem Kopf alle Alarmglocken und alles in meinem Körper schrie nach Flucht. Die Muskeln in meinen Armen und Beinen spannten sich bereits zum zerreißen stark und ich sprang aus der Hocke hoch, als er schon beinahe bei mir war. Ich wusste, was er vorhatte. Denn solche Männer, die alleine durch die Wälder streiften, hatten nur eines im Sinn, wenn sie eine Frau entdeckten, die vollkommen schutzlos war. Er wollte mir mit Sicherheit keine Blumen schenken!

Ich schrie auf, als er mich auf den Boden stieß und ich hart mit dem Gesäß auf der halb gefrorenen Erde auftraf. Mein Schultertuch verhedderte sich in meinen Armen und ich spürte, wie ich den Dolch fallen ließ.

Nein!, schrie es in meinem Kopf. Der Dolch, der Dolch!

Meine Finger kratzten über die dünne Schicht Schnee, auf der Suche nach dem Dolch, als ich schon das Gewicht des ekelhaften Kerls auf mir spürte. Er stank bestialisch nach Fäkalien und mir drehte sich beinahe sofort der Magen um. Beinahe hätte ich mich an Ort und Stelle übergeben, hielt meinen Magen jedoch unter Kontrolle. Mit meiner ganzen Kraft stemmte ich mich gegen ihn, schlug und trat nach ihm.

Er packte meine Oberarme. »Du kleines Flittchen, halt still! Glaub mir, es wird nur schlimmer für dich, wenn du dich wehrst!«

»Lass mich in Ruhe, du Schwein!«, kreischte ich, als er meine Beine mit seiner Hüfte scheinbar mühelos spreizen konnte. »Lass mich!«

Der Mann griff so schnell nach dem Saum meines Kleides, dass ich heftig zusammen zuckte, wie rasch der Stoff unter einem kräftigen Ruck nachgab und knirschend riss. Wieder kreischte ich auf und kratzte wie eine wilde Furie über seine Arme, strampelte mit den Beinen, ruderte mit den Armen, warf mich hin und her und wandt mich unter ihm wie ein Wurm, nur, um ihm keine Chance zu lassen, mir etwas furchtbares anzutun. Doch er war so kräftig und schwer, dass meine Versuche, mich zur Wehr zu setzten, mich mehr ermüdeten, als dass sie etwas ausrichteten.

»Hör endlich auf zu zappeln!«, knurrte er bedrohlich und nestelte am Bund seiner Hose herum.

Meine Atmung war kaum noch vorhanden, mein Herz pumpte das Blut so rasend schnell durch meinen Körper, dass mir schwindlig wurde.

Ich schrie wieder, diesmal so laut ich konnte. Irgendjemand musste mich doch hören! Jemand musste mir helfen, bitte! Andererseits war ich so weit weg vom Lager, dass es mich nicht wundern würde, wenn mich niemand hören würde. Dennoch tat ich alles, um genau diesem Schicksal zu entgehen. Ich kreischte mir die Kehle wund, bis ein Schatten auf mich zuflog und ich einen betäubenden Schlag spürte, der mich kurzzeitig bewusstlos machte.

Benommen öffnete ich die Augen und schnappte nach Luft, als ich einen grässlichen Schmerz an meiner Schläfe spürte und warme, klebrige Flüssigkeit, die mir ins Haar lief. Meine Unterlippe pochte wütend und ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Wie benebelt und kaum etwas sehend, da alles vor meinem inneren Auge verschwommen war, drehte ich den Kopf. In meinen Ohren saß ein gemeines Pfeifen.

Ich spürte einen Ruck und blinzelte. Kälte streifte meine Brustwarzen und ich begriff beinahe zeitgleich, dass er mein Kleid zerrissen haben musste. So würde es also enden? Dass er mich vergewaltigte und ich dann verletzt und schmerzerfüllt zurück humpeln würde? Wenn er mich überhaupt am Leben ließ... Oder würde mich hier jemand finden, die Kleider herunter gerissen und geschändet? Mein Ehemann sogar? Oder würden sie mich hier tot finden, wenn mein Peiniger es nicht für nötig hielt, mich am Leben zu lassen?

Wimmernd vor Scham, wandt ich mich halbherzig, als ich etwas warmes, feuchtes an meiner Brust spürte und hob den Kopf. Ekel flutete meine Adern, als ich sah, wie er meine Brust ableckte und daran saugte. Wieder bäumte ich mich auf, aber der Schlag, den er mir mit seiner gepanzerten Hand - er trug teilweise eine Rüstung aus Stahl - war zu heftig gewesen, als dass ich noch einmal die Kraft aufwenden konnte, um ihn fortzustoßen.

Er ließ von meiner Brust ab und richtete sich auf, dann richtete er den Blick nach unten, zerrte seine Hose auf und ich quietschte erstickt auf, als er sich befreite und sein errigiertes Glied sich mir fordernd entgegen streckte. Das war das erste Mal, dass ich das Geschlecht eines Mannes aus nähster Nähe sah und mir wurde augenblicklich schlecht. Wimmernd schüttelte ich den Kopf und ich spürte, wie mir heiße Tränen vor Angst über das Gesicht liefen. Kälte kroch mir durch den Körper und Panik machte die Wunde an meiner Schläfe beinahe taub. Nur meine Lippe pochte im gleichen Takt wie mein Herz.

Der Kerl lächelte dreckig, dann beugte er sich über mich und wollte sein Glied unter die Röcke meines Kleides führen, als ich plötzlich in meiner rechten Hand etwas noch kälteres und festeres, als den blanken Schnee zu fassen bekam. Sofort umklammerte ich das Metall, spürte die scharfe Klinge meines Dolches und hielt mich nicht lange mit Überlegungen auf. Mein Körper handelte beinahe von alleine, als wüsste er genau, was zu tun war.

»Kira, hampel nicht so herum und halte den Dolch fest in der Hand. Du musst wissen, was du mit dieser Waffe tun willst, das kannst du nur, wenn du ihn fest gepackt hälst.«, hatte mir Tristan damals gesagt, als ich noch vierzehn, jung und dumm gewesen war. Er hatte mir gezeigt, wie ich den Dolch führen musste, um damit wirksamen Schaden anzurichten und, wie ich mich verteidigen konnte. Er hatte mich gelehrt, wie es sein würde, eine Waffe zu halten. »Wenn du einen Gegner mit dieser kleinen Waffe wirksam verletzen willst, der ein großes Stück stärker ist, als du, musst du in Bruchteilen von Sekunden wissen, wohin du zielen musst. Die meisten wollen zuerst auf das Herz einstechen, aber das ist der größte Fehler, den du begehen kannst. Das Herz ist von Rippen geschützt, das Risiko eine davon zu treffen ist höher, als, das Herz zu verletzen. Viel wirksamer ist es, vorne in der Bauchregion den Magen und Darm zu verletzen oder hinten in die Nieren zu zielen. Wenn man es schafft, kann man sich auch die Halsschlagader vornehmen, aber die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass er deinen Hieb vorher abblockt und dir eher noch die Arme bricht, bevor du etwas ausrichten kannst. Und nun... Greif mich an!«

Ich holte so weit aus, wie ich wagte und rammte dem Mann meinen Dolch in die Nieren, so tief, wie meine erschöpften Arme es vermochten. Dann noch einmal und noch einmal und noch einmal, bis meine Hand glitschig war vom Blut. Der Mann schrie auf wie ein abgestochenes Schwein, bäumte sich auf, doch da hatte ich schon ein weiteres Mal zugestochen. Er bäumte sich noch einmal auf, dann verdrehten sich seine Augen nach hinten, sodass ich nur noch Weiß sah. Anschließend fiel er vorne über, direkt auf mich drauf.

Geschockt atmete ich ein und aus und das so schnell, dass mir erneut schwindlig wurde. Mein Herz begann erneut zu rasen, meine Hände hielt ich in der Luft, vor Schock zitterten sie und ich blinzelte immer wieder. Niemals würde ich das Gefühl vergessen, wie es war, meinen Dolch zum ersten Mal in lebendigem Fleisch zu versenken und damit jemanden zu töten. Ich hatte tatsächlich jemanden getötet!

Noch nie hatte ich jemanden umgebracht, natürlich nicht! Alles, was ich jemals getötet hatte, waren Kaninchen und Eichhörnchen, wenn ich mit meinen Brüdern auf der Jagd war. Und ich hatte noch nie einen Dolch in pulsierendes Fleisch gerammt. Ich hatte doch noch nicht einmal die Tiere ausgenommen, die wir erlegt hatten.

Ich wimmerte auf, als ich endlich realisierte, was soeben geschehen war. Dann drückte ich den Mann an den Schultern von mir herunter, so fest, wie ich konnte, aber er ließ sich kaum bewegen. Erst, nach mehreren Anläufen, mit Schieben und Zerren und Drücken, konnte ich mich endlich unter ihm hervor winden. Mein Rock war beinahe bis zu meinem Bauch zerfetzt und entblößte meine Beine, die noch in die Strümpfe gehüllt waren und mein Oberteil war so zerrissen, dass ich meine blanken Brüste kaum zu bedecken vermochte. Mein Schultertuch lag zwei Meter von mir entfernt und war vom Schnee, auf dem ich die ganze Zeit herum rutschte, völlig durchnässt. Zitternd und benommen schluchzend presste ich die Fetzen meines Oberteiles mit meinen blaugefrorenen Händen an meine Brust. Ein Blick auf den Mann und ich wusste, dass er nie wieder aufstehen würde. Eine, im Dämmerlicht beinahe schwarze, Blutlache bildete sich im Schnee unter ihm.

Bebend vor Kälte kroch ich halb auf allen Vieren, halb auf dem Hintern runtschend kroch ich zu einer dicken, knochigen Eiche hinüber, die nur wenige Meter von dem toten Körper entfernt stand und lehnte mich schwer atmend dagegen. Ich spürte, wie mir Blut über die Wange und das Kinn herab floss, konnte mich darauf aber nicht konzentrieren. Dafür war ich viel zu traumatisiert.

Zitternd, da das anfängliche Adrenalin nun wich und die Kälte in meinen Körper zurückkehrte, saß ich da und starrte benommen vor mich hin. Dieses Erlebnis würde ich so schnell nicht vergessen können.

 

 

Die Kälte und Nässe peitschte ihnen beiden ins Gesicht, doch sie trieben ihre Tiere weiter in leichtem Galopp durch die Wälder, suchten mit ihren Augen jeden Winkel ab, der ihnen sagen könnte, ob sich die Prinzessin hier befand. Regan spürte mit jedem weiteren Schritt seines Hengstes, wie die Unruhe und Sorge in ihm wuchs und ihm war schon ganz flau im Magen, wenn er daran dachte, was hier draußen alles passieren konnte. Es kam immer wieder vor, dass junge Frauen oder Kinder von wilden Tieren angefallen wurden. Der Eiswolf, das Wappensymbol seines Schwagers, war eines dieser gefährlichen Raubtiere, das keinen Halt vor Menschen machte. Im Gegensatz zu seinem Vetter dem normalen Grauwolf, wurde der Eiswolf weit größer und war aggressiver. Von Bären und Berglöwen wollte er gar nicht erst reden.

Plötzlich scheuten die Pferde und die beiden Männer mussten die Zügel anziehen, um sie unter Kontrolle zu bringen, als ein gellender Schrei durch die Luft hallte. Kalter Schweiß bildete sich in seinem Nacken und eine Gänsehaut fuhr über seinen Rücken.

Das war Kiras Stimme!

Ein kurzer Blicktausch und die beiden gaben ihren Tieren die Sporen. Regan trieb sein Pferd beinahe in getrecktem Galopp zwischen den Bäumen hindurch, direkt auf die Stimmen zu, die laut geworden waren, bis sie plötzlich verstummten. Er zögerte, verlangsamte das Tempo, Raphael direkt hinter ihm, bis sie an einer kleineren Lichtung angelangten.

Es lief ihm augenblicklich kalt den Rücken herunter, als er das Schaubild sah.

Seine Frau lehnte stocksteif an einer dicken Eiche, die Kleider halb herunter gerissen. Sie rührte sich gar nicht, als die beiden angeritten kamen, sondern saß nur da und starrte auf einem ihm unbekannten Punkt ins Leere. Neben ihr, nur wenige Meter weiter lag ein rundlicher Mann auf dem Bauch, unter ihm quoll Blut hervor und sickerte in den Schnee. Heiße Wut stieg in ihm auf, als er sah, dass seine Hose bis zu den Kniekehlen hinunter geschoben war und der blanke Hintern freilag.

»Kira!«, rief er, als er seinen Hengst knapp neben ihr zum Stillstand brachte und beinahe von Kastars Rücken herunter sprang, auf sie zuhechtete.

Sie rührte sich keinen Millimeter, als er neben ihr hockte und ihre Schultern packte.

»Kira? Was ist passiert? Hat er dir etwas angetan?«, wollte seine aufgebrachte Stimme wissen, aber sie starrte weiter in die Leere, schien ihn gar nicht zu bemerken. Aufgebracht rieb er über ihre Oberarme, an denen das Kleid vollkommen herunter gerissen worden war und auch ihr Oberteil war am Brustkorb völlig zerfetzt. Sie hielt sich die Fetzen krampfhaft mit blaugefrorenen kleinen Händen am Brustkorb fest, als fürchtete sie, dass man sie gleich wieder angehen könnte. Als er den Blick über sie gleiten ließ, bemerkte er, dass auch der Rock zerrissen war.

Bei den Göttern, hatte er sie etwa vergewaltigt?

Angst stieg in ihm auf und, als er auch noch die heftige Platzwunde an ihrer Schläfe bemerkte, aus der Blut quoll und ihre aufgeplatzte Unterlippe, wusste er, dass dieser Kerl dort drüben nichts halbes im Sinne gehabt hatte. Er hätte sie vergewaltigt und sie zum Sterben hier liegen lassen, das wusste er.

Er rieb sanft über ihre nackten Oberarme. Sie war so kalt.

»Kira, Kleines, geht es dir gut? Hat er dir etwas getan? Was ist passiert?«, fragte er wieder, aber sie antwortete nicht.

»Sie steht unter Schock, Regan. Aus ihr bekommst du jetzt gar nichts heraus«, sagte Raphael hinter ihm. »Kommst du kurz? Das solltest du dir ansehen.«

Es ging ihm ziemlich gegen den Strich, sie jetzt hier sitzen zu lassen, um sich Raphaels Entdeckung anzusehen, aber er begriff, dass er im Moment nicht viel tun konnte, sodass er Kira losließ.

»Ich bin gleich zurück.«, sagte er ihr, auch, wenn er bezweifelte, dass sie das wirklich realisierte. Dann stand er auf und folgte Raphael zu dem Körper, der nur wenige Meter entfernt im Schnee lag. Das Blut war in den Schnee gesickert und hatte ihn nahe des Körpers, der noch warm sein musste, geschmolzen. Sofort, als Regan einen Blick auf die Kleidung des Mannes warf, erkannte er, dass dieser ein Fenraler sein musste. Der Bär prangte deutlich auf dem Wams an seinem Rücken und der Bär war von je her das Wappen der Berserker Fenrals gewesen. Doch sein Blick wanderte ebenso schnell weiter zu dem kleinen, filigranen Dolch, der kurz über seinem Gesäß tief in seinem Fleisch steckte.

Raphael kniete sich neben den Körper. »Ein Deserteur Fenrals.«, bemerkte er. »Er trägt die Kleidung der Berserkertrupps. Gepanzerte Handschuhe, Brustpanzer, gefüttertes Wams... mit Schafswolle gefüttert. An Geld mangelte es ihm nicht, wahrscheinlich ein Kerl aus gehobenem Hause.«

Regan nickte auf Raphaels Analyse hin. »Was macht ein Deserteur von Fenral so weit in woberokischem Terretorium?«

Sein Freund zuckte die Schultern. »Kannst ihn ja fragen, aber ich befürchte, er wird nicht viel dazu zu sagen haben.«, meinte er trocken, griff nach dem Dolch und zog ihn aus dem Leichnam heraus. Fasziniert drehte er ihn im dämmrigen Halblicht des nahenden Abends. »Ein kartanischer Dolch.«

Regan runzelte die Stirn, dann warf er einen Blick zu seiner Frau, die noch immer wie betäubt am Baum hockte. »Meinst du, er gehört ihr?«

Langsam erhob sich Raphael, nachdem er die blutbesudelte Klinge an den Kleidern des Toten abgewischt hatte. »Von wem sonst? Oder siehst du hier noch irgendjemanden?«

»Natürlich nicht!«, fuhr Regan ihn an und nahm ihm den Dolch ab, betrachtete die Waffe selbst. Es war eine elegante Waffe. Eine schmale, äußerst scharfe Klinge, doppelseitig geschärft. Der Schaft war silbern verziert und an der winzigen Parierstange war ein roter Rubin als Schmuck eingelassen worden. Die Waffe war durch und durch kartanischer Schmiedekunst zuzusprechen, sehr edel und dennoch tödlich. Dieser Dolch war gewiss keine Dekoration, sondern darauf ausgelegt, sie schnell in einen Stiefel zu schieben und, wenn nötig, zu töten.

»Seltsam«, murmelte Raphael.

Regan sah ihn an. »Was? Dass sie einen Dolch besitzt und ich nichts davon wusste?«

Raphael schüttelte den Kopf. »Nein. Woher wusste sie, dass sie in dieser Lage, direkt in die Nieren stechen musste? Das ist doch seltsam. Eine Frau, die keinerlei Waffenerfahrung hat, hätte doch eher auf den Bauch oder die Brust gezielt. Weißt du, wie damals, als wir als Burschen anfingen die Waffenkunst gelehrt zu bekommen. Unser Lehrer fragte uns, welches Körperteil wir anvisieren. Jeder wollte das Herz verletzen, aber sie entscheidet sich für die Nieren? Einem Organ, das innerhalb weniger Sekunden zum Verbluten führt? Das ist doch seltsam, oder nicht?«

Jetzt wo Raphael es sagte, bemerkte er, dass sein Freund recht hatte. Woher wusste dieses junge Mädchen, dass man in solch einer Position besser die Nieren oder den Nacken nahm, als frontal auf einen Gegner einzustechen. Jeder Mann, der keine Waffenerfahrung besaß, würde sofort das Herz anvisieren, da es das Organ war, was einen Menschen am Leben erhielt. Dass es umgeben war von einem kräftigen Brustkorb, das es schützte, bedachten die wenigsten. Aber ausgerechnet sie wusste es? Hinzu kam, dass er rein gar nichts davon wusste, dass sie einen Dolch besaß. Diesen musste sie schon besessen haben, als sie nach Woberok kam, denn er stammte aus Kartan und hier bekam man so gut wie keine kartanischen Gegenstände zu kaufen. Überall wurde die woberokische Waffenkunst angepriesen, da gab es keinen Platz für kartanische Waffen.

»Allerdings seltsam.«, murmelte Regan gedankenverloren und schob den Dolch in seinen Gürtel, ehe er sich abwandte. »Lass uns zurückreiten, bevor sie bis auf die Knochen durchgefroren ist.«

Raphael schwieg zu der ganzen Sache und nickte gehorsam, blickte aber noch einmal auf den fenraler Deserteur. »Und was wird mit ihm?«

Regan starrte hinunter. »Den können die Krähen haben, schließlich hat er versucht, meine Frau zu vergewaltigen.«, schnaubte er und kehrte zu Kira zurück, die noch immer zitternd und benommen am Baum saß und scheinbar nichts von ihrem Gespräch mitbekommen hatte. Er strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht, aber auch darauf reagierte sie nicht. Nachdenklich blickte er sie an, dann schob er vorsichtig einen Arm unter ihre Kniekehlen und einen unter ihren Rücken und hob sie mühelos auf seine Arme. Bei den Göttern war sie leicht und eiskalt!

»Keine Angst, Kleines, ich bringe dich nach Hause«, flüsterte er beruhigend an ihrer Stirn.

 

Er saß auf dem Stuhl und presste die Hand um den Kelch zusammen, während er zusah, wie Edda sich um seine Frau kümmerte. Zu aller erst hatte sie die zerrissenen Kleider von ihrem Körper geschält und hatte sie direkt weggeworfen, dann hatte sie ein heißes Bad für die Prinzessin eingelassen und nun saß sie in dem Badezuber, der so groß aussah, dass sie darin glatt verloren ging. Wenigstens bekam ihre eiskalte, bleiche Haut schon wieder Farbe im Gesicht. Danach hüllte Edda sie in ein weites Nachthemd, darüber legte sie ein weiches Schultertuch und half ihr, warme Strümpfe anzuziehen.

Sanft setzte Regan sie auf einen Stuhl und dann kam auch schon Kovir, um sich die Platzwunde anzusehen und auch der König war in das Zelt gekommen, um sich über ihren Gesundheitszustand zu informieren. Natürlich fürchtete er, dass weit mehr im Wald passiert war, als diese Wunden in ihrem Gesicht. Nicht, dass ihn das nicht gleich wieder zum Kochen brachte, aber er hatte Angst, dass dieser Deserteur sie tatsächlich vergewaltigt hatte.

Kovir sollte das feststellen.

»Die Wunde sieht nicht weiter besorgniserregend aus. Sie muss nicht einmal genäht werden, aber er hat sie schon hart erwischt. Ihr solltet auf Anzeichen eines Hirntraumas achten. Schwindel, Übelkeit... Weiter kann ich erst einmal nichts feststellen, scheint so, als hätte sie ihn wirklich in letzter Sekunde getötet, bevor mehr passieren konnte. Sie hatte Glück.«, sagte Kovir, als er fertig war und eine Tinktur auf Kiras Kopfwunde geträufelt hatte, wobei sie kaum eine Miene verzogen hatte.

Der König atmete erleichtert auf. »Es war ein fenraler Deserteur. Das bedeutet, er gehörte zu einer fenraler Truppe. Ich werde die Gegend durchkämmen lassen und den Jagdausflug abbrechen. Es wäre zu gefährlich noch länger hier zu verweilen mit drei Zielscheiben im Lager. Wenn es tatsächlich einen Trupp gibt, der uns vielleicht nicht wohlgesonnen ist, werde ich das Leben keines Einzelnen hier aufs Spiel setzen. Vor allem nicht noch einmal meine Schwiegertochter in Gefahr bringen, das war ja schon schlimm genug.«

Regan sagte nichts, war aber innerlich erstaunt darüber, dass ihm dieser Vorfall so nahe ging. Seine Schwiegertochter... so hatte sein Vater Regans Frau noch nie genannt, aber ihm ging auch gleich auf, weshalb dem König das alles so nahe ging. Dieses Mädchen hatte sich nicht nur heimlich in sein Herz geschlichen und machte ihn vom ersten Augenblick an ganz verrückt, sondern auch die anderen. Sie war vorlaut und gedachte gar nicht daran, sich manche Dinge vorschreiben zu lassen. Das machte bei allen Eindruck.

»Das heißt, wir reiten nach Woberok zurück?«, wollte Regan wissen.

Sein Vater nickte ernst. »So schnell wie möglich. Übermorgen reiten wir.«

Regan neigte verstehend den Kopf, dann ging er zu seiner Frau. Die übrigen verließen ihr Zelt und auch Edda schickte er weg, da sie schon genug getan hatte. Sanft umfasste er Kiras Hände, die noch immer eisig waren. Das musste der Schock sein, denn nun ließ das Adrenalin nach, das zuvor ihren Körper warm gehalten hatte.

»Kira?«

Benommen blinzelte sie und hob den Kopf.

Wenigstens eine Reaktion, dass sie wusste, dass er hier war! »Erzählst du mir, was passiert ist?«

Wieder zwinkerte sie ein paar Mal mit den Augen, antwortete aber nicht auf seine Frage. Er wusste, dass es sicherlich schwer war, darüber zu sprechen, aber er wollte mehr wissen. Trotzdem wusste er, dass er sich zurückhalten sollte und ihr die Zeit geben musste, um sich von dem Schrecken zu erholen.

Zart strich er ihr das Haar aus dem Gesicht, dann schob er wieder die Arme unter sie, wobei sie sich diesmal sogar an seinen Schultern festhalten konnte, als er sie zum Bett hinüber trug. Vorsichtig bettete er sie auf ihrer Seite des Bettes auf die Matratze und zog die weichen Bettfelle über ihre Beine, bevor er sie sanft zum Hinlegen derigierte. Nun zog er die Felle und Decken bis über ihre Schulter, bevor er ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte.

»Schlaf. Ich bleibe bei dir, die ganze Nacht. Ich passe auf dich auf.«, versprach er ihr, bevor er sich selbst neben sie auf seine Seite legte, sich dicht an ihren Rücken schmiegte, darauf bedacht, dass sie sich nicht unwohl fühlte und nachdenklich blinzelte. »Dir wird niemand je wieder wehtun.«

Sie spannte sich etwas an. »Versprich mir nichts, was du nicht halten kannst.«

Ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum hörte, aber ihre Worte waren voller Ernst ausgesprochen.

Innerlich sträubte er sich dagegen, ihr etwas zu versprechen, wovon er gar nicht wissen konnte, ob er es halten konnte. Vielleicht ergaben sich tatsächlich irgendwann Situationen, mit denen er auf keinen Fall rechnen konnte, in denen er sie nicht beschützen könnte. Aber er war fest davon überzeugt, es niemals so weit kommen zu lassen, weshalb er ihr dennoch dieses Versprechen aussprach.

Vorsichtig küsste er ihre Schulter, um sie zu beruhigen. »Ich werde es halten. Dir wird nicht noch einmal jemand wehtun.«

Sie seufzte zittrig auf und begann leise zu weinen. Es zerriss Regan beinahe das Herz und er spürte wieder diese Wut in sich, dass er am liebsten noch einmal in den Wald stapfen würde und sonst was mit diesem fetten Kerl angestellt hätte, der seine Frau beinahe vergewaltigt hatte. Er stellte sich unweigerlich vor, was passiert wäre, wenn sie keinen Dolch dabei gehabt hätte. Götter, was jetzt los wäre, hätte sie sich nicht selbst verteidigen können. Das Gefühl, sich vorzustellen, dass er diesen kleinen Körper, den er eben in den Armen hielt und tröstete, geschändet und vielleicht sogar tot, nackt bis auf die bloße Haut, im Wald zu finden, bescherte ihm Bauchschmerzen. Übelkeit breitete sich in seinem Innern aus und augenblicklich musste er darüber nachdenken, wie viel ihm Kira bereits bedeutete. Das starke Gefühl, sie beschützen zu müssen, sogar vor sich selbst in der Hochzeitsnacht, machte ihn im Moment halb wahnsinnig vor Sorge.

Er spürte, wie sie sich herum wälzte und schluchzend das Gesicht unter seinem Kinn vergrub. Er schlang die Arme fest um sie und hielt sie nur fest, damit sie einen Halt hatte. Nun fiel allmählich der Schock von ihr ab, sie zeigte wieder Reaktionen und Emotionen und das gefiel ihm weitaus besser, als, wenn sie nur dasaß und ihn gar nicht zu bemerken schien. Den ganzen Ritt zurück zum Lager hatte sie nur vor ihm auf seinem Pferd gessen und hatte sich kaum einen Millimeter gerührt.

Sie lagen noch Stunden so da, auch, als Kira längst eingeschlafen war. Er ließ sie dennoch nicht los, da er fürchtete, dass man sie ihm gleich wieder rauben könnte. Er entschied sich jediglich, sie sanft hinzulegen, damit er es auch etwas bequemer hatte.

Doch gerade, als auch er am Einschlafen war, fuhr sie wie von der Tarantel gestochen hoch und schrie aus voller Kehle.

Erschrocken setzte er sich auf und packte ihre Oberarme. »Kira! Du bist hier, es ist alles in Ordnung! Alles gut!«

»Nein, nein!«, wimmerte sie und wandt sich in seinem Griff, ihre Augen waren weit aufgerissen, das sah er sogar im dämmrigen Halbdunkel.

»Es ist alles gut, du bist Zuhause! Zuhause! Ich bin hier!«, rief er wieder und rüttelte sie vorsichtig.

Plötzlich flatterten ihre Augenlider, bevor sie scheinbar zur Besinnung kam und benommen den Kopf schüttelte. Seufzend erschlaffte sie und er presste sie beschützend an seine Brust.

»Es war nur ein Traum, nur ein Traum«, sagte er immer wieder und strich ihr zart über das kastanienbraune Haar.

Wieder schüttelte sie benommen den Kopf unter seinem Kinn. »Fenral... Fenral ist der Feind...«

Regan erstarrte und riss die Augen weit auf. »Was hast du gesagt?«

Aber da war sie bereits wieder in seinen Armen eingeschlafen.

Kapitel 25

 

Am Morgen wachte Regan als Erster auf und streckte sich neben Kira aus. Seine Frau schlief noch tief und fest, was kein Wunder war, nachdem, was sie am Vorabend erlebt hatte. Sie hatte sich neben ihm zu einer kleinen Kugel zusammen gerollt, die Arme und Beine schützend an sich gezogen, als wäre sie eine Katze. Langsam setzte er sich auf und blickte auf ihr friedliches Gesicht herunter. Prompt fiel ihm diese seltsame Sache vom Vorabend wieder ein, als sie aus einem Traum aufgeschreckt war und wimmernd in seinen Armen gelegen hatte. Fenral war der Feind... Was sie wohl damit meinte? Wusste sie überhaupt, was sie da vor sich hin murmelte? Hatte der Deserteur etwas gesagt, als er sie angriff? War es möglich, dass Fenral sich gegen Woberok verschworen hatte?

Wusste Kira mehr, als sie alle zusammen?

Er seufzte, strich ihr sanft über das Haar, aber sie rührte sich nicht, schlief friedlich weiter. Solange sie schlief, wollte er sie nicht stören, sodass er aufstand und sich frisch machte. Nach einer ausgiebigen Wäsche und frischer Kleidung am Leib, wachte seine Frau noch immer nicht auf, weshalb er sich entschloss, erst einmal etwas zu essen. Er verließ das Zelt, ließ sie ausschlafen und Kraft tanken, bevor er sie mit der Frage konfrontieren würde, weshalb sie einen Dolch besaß und, was sie mit ihren Worten vom Vorabend meinte.

Regan durchquerte das Lager und stellte fest, dass sein Vater es wirklich ernst meinte. Die Männer packten bereits alles zusammen, brachen teilweise sogar schon die Zelte ab und verstauten alles auf den Karren. Er traf Barda vor ihrem Kochzelt an, aus dem bereits die Lebensmittel geschafft und verpackt wurden. Sie fluchte, als einer der Burschen einen Sack Getreide fallen ließ.

»Hast du keine Augen im Kopf, Junge!«, fuhr sie den Jungen an und befahl ihm, besser aufzupassen, dann wandte sie sich Regan zu. »Wie geht es ihr?«

Regan blieb stehen und legte eine behandschuhte Hand auf den Knauf seines Schwertes, das an seiner Seite baumelte. »Den Umständen entsprechend. Sie schläft noch.«

»Ach das arme Ding«, murmelte Barda und stemmte die Hände in die Hüften. »Sie war schon die letzten Tage so unruhig und ständig gereizt und jetzt auch noch das.«

Er wurde stutzig. »Sie war unruhig und gereizt?«

Sie nickte. »Immer, wenn sie mir helfen sollte oder, wenn Freyer ihren Aufgaben nicht nachging, war sie wütend und... nun ja, man durfte sie wirklich nicht ansprechen, sonst ist sie beinahe explodiert. Und manchmal musste ich sie ermahnen, sich zu konzentrieren. Sie starrte die ganze Zeit die Jäger an, wenn sie trainiert haben. Ich dachte schon, dass...«

»Dass was?«, wollte Regan wissen und blitzte sie von der Seite an.

Kira hatte sich nicht auf ihre Aufgaben konzentriert? Er musste unweigerlich an den Vorfall vor ihrem Ausflug in den Wald denken. Wie sie aufbrausend und laut geworden war vor seinem Vater und besonders das Wort Frauenarbeit betont hatte, als sie sich kurz stritten. Und ihm war ebenfalls aufgefallen, dass sie ein loseres Mundwerk bekommen hatte seit seiner Rückkehr. Was war in den Wochen passiert, als er fort gewesen war, um die Außenposten zu kontrollieren?

»Dass es zwischen euch Spannungen gibt.«, sagte Barda offen. »Sie sah so interessiert aus... ich dachte, dass sie sich vielleicht in einen der Männer verguckt hatte.«

Hitze schoss ihm ins Gesicht. »Das glaube ich wohl kaum.«, knurrte er mit zusammen gepressten Zähnen, da in ihm die Wut empor stieg. Jetzt glaubte doch tatsächlich die Burgköchin, dass seine Frau anderen Männern hinterher sah, kaum, dass ihre Hochzeit ein paar Wochen her war? Ihm kam sofort der unangenehme Gedanke, dass nicht nur Barda, sondern auch andere solche Dinge denken könnten.

Barda hob entschuldigend die Hände. »Verzeih mir, aber man weiß ja nie. Nicht jede Frau fühlt sich in ihrer Ehe wohl.«, bemerkte sie. »Ich beispielsweise habe mich in keiner meiner drei Ehen besonders gut gefühlt.«

»Ja, aber wir sprechen ja nicht von dir, oder?«, fragte Regan gereizt, da ihm das Thema gehörig auf die Nerven ging. »Entschuldige mich, bitte.« Damit wandte er sich von der entrüsteten Barda ab und stapfte zu der Feuerstelle vor des Königs Zelt. Er würde sich später bei der Köchin entschuldigen, denn dafür war er im Moment zu aufgewühlt. Er wusste nicht, warum, aber es machte ihn wütend, dass jemand denken könnte, seine Frau würde anderen Männern hinterher schauen. Vielleicht ärgerte ihn auch nur die Tatsache, dass es vielleicht wirklich so sein könnte. Seit seiner Hochzeit hatte er sich nicht wirklich wie ein Kavalier benommen, hatte selber allen möglichen Weibern hinterher gesehen, um an etwas anderes zu denken, als seine kleine Frau. Dass sie eventuell das Gleiche tun könnte, wäre ihm bis jetzt nie in den Sinn gekommen. Und ihn machte der Gedanke wütend, ein anderer Mann würde sie anfassen und, dass sie es dulden würde.

Bei der Feuerstelle angekommen saßen Ofnak und Raphael auf den Baumstämmen und flößten sich gerade warme Brühe ein.

Als Regan näher kam, hob Raphael den Kopf. »Wie geht es ihr?«

Regan zuckte die Schultern. »Den Umständen entsprechend. Sie hat die ganze Nacht Alpträume gehabt.«

»Hätte ich auch, wenn mich so ein Fettwanzt fast vergewaltigt hätte.«, knurrte Ofnak düster und nahm noch einen Schluck von seiner Brühe.

Nachdenklich nickte Regan und setzte sich ihnen gegenüber auf einen freien Baumstamm. »Sie ist erst sehr spät eingeschlafen.«

Raphael setzte seinen Becher von den Lippen. »Hast du schon herausgefunden, was es mit dem Dolch auf sich hat?«

Er schüttelte den Kopf. »Sie schläft noch tief und fest. Sie merkte gar nicht, dass ich aus dem Zelt gegangen bin. Außerdem wollte ich sie nicht gleich damit überfallen.«

»Verständlich«, bemerkte Ofnak und nahm einen weiteren Schluck Brühe, bevor er sich seufzend durch das kurze blonde Haar fuhr, das ihm an diesem Morgen wirr vom Kopf abstand. Dann sah er sich nachdenklich um. »Darf ich den Dolch mal sehen?«

Regan zuckte nur die Schultern und nickte, dann zog er die kleine, filigrane Waffe aus seinem Gürtel. Jetzt, im Tageslicht, glänzte das Metall noch viel heller. Er bestand aus sehr hellem Stahl und war perfekt für die schmale Hand einer Frau angefertigt worden. Als er ihn Ofnak gab, betrachtete er sehr interessiert die kleine Waffe, die seiner Frau vermutlich das Leben gerettet hatte. Ofnak war von je her sehr an Waffen interessiert. Zwar bevorzugte er seine beiden Kriegsäxte, denen er sogar Namen gegeben hatte - Ofdaril und Svenar - aber er kannte sich auch in jeder anderen Waffenklasse gut aus.

»Es gibt wirklich keinen Zweifel daran, dass er extra für die Prinzessin angefertigt wurde«, sagte Ofnak und wog den kleinen Dolch in seiner rechten, dann in der linken Hand. »Ja, tatsächlich. Akira ist Rechtshändlerin und der Dolch wurde genauso geschmiedet, dass ihn nur ein Rechtshändler wirklich benutzen kann. Auch das Gewicht ist für ihre schlanke Gestalt, relativ schwer gehalten, damit sie ihn gut in der Hand balancieren kann und er nicht zu leicht ist und ihr runterfällt. Und die Klinge ist kurz und doppelseitig geschärft. Genau richtig, um ihn mit wenig Kraftaufwand in einem Gegner zu versenken. Ich bin mir sicher, hätte sie eine andere Waffe gehabt, wäre sie jetzt nicht so unversehrt geblieben.«

Er hörte Ofnak aufmerksam zu und all diese Dinge, die er erklärte, sagten ihm, dass Kira den Dolch tatsächlich schon besessen haben musste, als sie nach Woberok ritt. Hatte sie ihn sich selbst anfertigen lassen? War es, um sich zu verteidigen oder wollte sie ihn... Regan schüttelte innerlich den Kopf. Das wäre absurd. Damit wäre sie niemals durchgekommen, hätte sie es geplant. Aber es blieb weiterhin eine Möglichkeit.

Regan streckte die Hand aus und Ofnak gab ihm den kleinen Dolch zurück, den er wieder nachdenkend im Licht drehte. »Also hat sie ihn besessen, als sie nach Woberok kam.«

»Vermutlich«, bemerkte Raphael zögernd.

Ofnak schüttelte den Kopf. »Nicht nur vermutlich. Sie hat ihn in jedem Fall in Kartan bekommen. Hier gibt es nirgends kartanische Waffen zu kaufen. Nicht einmal die Ramschhändler besäßen eine so edel gefertigte Waffe. Dieser Dolch ist einer Königin würdig.«

Regan sah sich um, dachte über die Möglichkeiten nach, die ihm blieben. Er könnte sie jetzt direkt danach fragen. Aber er bezweifelte, dass sie schon wieder so sehr auf dem Damm war, dass sie seine Fragerei in den rechten Hals bekam. Wohlmöglich würde sie es als Angriff auf sich sehen. Und das wollte er auf gar keinen Fall. Denn, so schrecklich der gestrige Tag auch gewesen sein mochte, hatte er das Gefühl, als er gestern Abend neben ihr im Bett gelegen und sie gehalten hatte, ihr einen großen Schritt näher gekommen zu sein. Eine Nähe, die sie zuvor nie zugelassen hatte.

»Da gibt es noch etwas«, sagte Regan.

Raphael hob den Kopf.

»Und was?«, wollte Ofnak wissen.

»Der König lässt die Gegend durchkämmen nach fenraler Truppen. Der Deserteur war ein Fenraler.«

»Und?« Raphael hob eine Augenbraue, verstand wohl den Sinn hinter seinen Worten nicht.

Ofnak zuckte die Schultern. »Ich bin im Nachmittagstrupp eingeteilt, der die Gegend absuchen soll. Aber man sagte uns schon, dass es wohl ein Fenraler war.«

Regan hob die Hände, um anzuzeigen, dass sie leiser sprechen sollten. »Kira schreckte gestern aus einem Alptraum auf. Sie war völlig benommen und ich habe sie getröstet. Da murmelte sie im Halbschlaf ›Fenral ist der Feind.‹ Was könnte sie damit meinen?«

Ofnak war verstummt, genauso wie Raphael. Beide sahen verwirrt, beinahe entsetzt aus, wobei Raphael sich noch unter Kontrolle zu halten versuchte. Das war natürlich eine große Neuigkeit, aber Regan würde in jedem Fall darauf bestehen, dass die beiden das für sich behielten. Er wollte nicht, dass sein Vater schon etwas davon wusste. Zwar vertraute er dem König bedingungslos, aber er machte schnell mal aus einer kleinen Sache, ein riesiges Theater, sodass er diese kleine Information erst einmal geheimhalten wollte. Zudem konnte er es gewiss nicht gebrauchen, dass Thorald oder der geschwätzige Ferrin oder Kaidan etwas davon mitbekamen.

»Meinst du, sie hat es vielleicht nur geträumt?«, fragte Ofnak.

Regan schüttelte ernst den Kopf. »Nein. Dessen bin ich mir sicher. Sie sagte es zwar im Halbschlaf, aber so etwas behauptet man nicht, wenn man sich nicht ganz sicher wäre.«

»Könnte dieser Deserteur ihr irgendwas gesagt haben? Dass sein Trupp gen Woberok reitet zum Beispiel? Vielleicht war das auf eine Kriegshandlung bezogen.«

Regan blickte Raphael an. »Genau darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber vermutlich werde ich es erst herausfinden, wenn ich mit ihr darüber rede.«

Raphel nickte verstehend.

»Ich will, dass das unter uns bleibt. Haben wir uns verstanden?« Er blickte seine Kameraden an, die respektvoll den Kopf neigten und ihm somit zeigten, dass sie verstanden hatten. So wusste er, dass kein sterbens Wörtchen über ihre Lippen kommen würde und er sich auf die beiden Männer verlassen konnte.

Damit stand er auf und ging.

Nachdem er sich eine Kleinigkeit zu Essen geholt hatte und auch für seine Frau etwas eingepackt hatte, kehrte er zu ihrem gemeinsamen Zelt zurück.

 

 

Meine Finger waren bereits ganz wund von dem ständigen Scheuern des rauen Waschlappens und auch meine Haut war mit roten Striemen übersät. Wie eine Besessene rieb ich immer wieder über die Stellen, die dieser widerliche Mann angefasst hatte. Ich zitterte am ganzen Körper und ignorierte Eddas besorgte Blicke, die sie mir von ihrer Position am Zelteingang zuwarf. Ich hatte sie angeschrien, sie solle mir bloß heißes Wasser einlassen und mich ansonsten zufrieden lassen. Und nun stand ich in dem Badezuber, das kochend heiße Wasser bis zu meinen Knien, während ich mich immer wieder herunter beugte, neues Wasser mit dem Lappen aufsog und mich abrieb. Ich fuhr über die Innenseiten meiner Schenkel, über meinen haarlosen Intimbereich, der bereits vom heißen Wasser und dem Reiben heftig brannte und dann scheuerte ich über meine Brüste, die dieser stinkende, ekelhafte Kerl in den Mund genommen hatte.

Wieder und wieder tat ich das. Das Wasser spritzte um mich herum, bis beinahe das ganze Zelt unter Wasser stand.

Und dann öffnete sich die Zeltplane und mein Ehemann trat ein.

Für Sekundenbruchteile starrte ich ihn an, dann begann meine Haut aber wieder so unangenehm zu prickeln und ich rieb wieder wie eine Irre über meine Brust.

Regan weitete die Augen. »Was tust du denn da?«

Ich antwortete nicht, rieb wieder und wieder über meinen Körper.

»Das tut sie schon geschlagene zwanzig Minuten. Sie erlaubt mir nicht, näher zu kommen«, hörte ich Edda verzweifelt murmeln.

Regan schnaubte. »Leg das auf den Tisch und gib mir ein Handtuch«, knurrte er und kam auf mich zu.

Ich schrie: »Fass mich nicht an! Komm mir bloß nicht zu nahe!«

»Was redest du denn da? Verdammt, hör auf damit!«, knurrte er und riss mir den Lappen aus der Hand, schmiss ihn in eine Ecke des Zeltes.

»Was soll das?!«, keifte ich. »Ich kann mich doch wohl waschen, wann ich will!«

»Hast du dich schon mal angesehen? Deine Haut ist knallrot, du hast sie dir beinahe herunter gescheuert! Verdammt, was ist los mit dir?!«, schrie er zurück und riss Edda das Handtuch aus der Hand, das sie geholt hatte.

Ich stieß mich von ihm ab, als er mich darin einwickeln wollte. »Was los ist? WAS los ist?! Ich sage dir, oh großer Kronprinz von Woberok, was los ist! Ein widerlicher, stinkender, ekelhafter Kerl hat mich gestern im Wald angefallen und ich musste mir gefallen lassen, dass er mich begrapscht und mir die Zunge in den Hals steckt, während du mit deinem Vater feucht fröhlich geplaudert hast, weil euer Gespräch ja nichts für Frauenohren gewesen ist!«, brüllte ich ihn an und packte das Handtuch. »Und hör endlich auf, so zu tun, als wäre ich ein Baby, das eine Amme benötigt. Weil ich erstens eine Frau bin... und zweitens machst du als Amme keine besonders gute Figur!«

Regan stand da, als hätte ich ihm eine runtergehauen. Er ließ sogar das Handtuch los, das ich um mich herum wickelte und dann aus dem heißen Zuber stieg. Sofort fröstelte ich, als die viel kältere Luft meine Beine umwehte. Es war, als wäre in mir endlich ein dicker Knoten aufgeplatzt, der schon seit Wochen in meiner Kehle feststeckte. Zum ersten Mal seit meiner Hochzeit, hatte ich das Gefühl, frei atmen zu können. Sogar, dass ich nackt war, war mir gerade vollkommen egal.

»Sofort raus mit dir!«, fauchte er plötzlich Edda an.

Sie starrte ihn an wie ein erschrockenes Kaninchen, das zum ersten Mal eine Schlange sah und huschte dann erschrocken aus dem Zelt.

Als sie weg war, kam Regan so schnell und wutschnaubend auf mich zu, dass ich sogar befürchtete, dass er jetzt zum ersten Mal die Hand gegen mich erheben würde, aber er packte jediglich meine Oberarme. Und das so eisern, dass ich zusammen fuhr. Meine Arme waren so schmal, dass sich seine kräftigen Finger beinahe überlappten. Erschrocken starrte ich ihn an.

»Da ich als deine Amme ja so schlecht bin und du dich ohnehin gerade auslässt, dann kannst du mir gleich sagen, was dein verdammtes Problem ist. Was willst du überhaupt? Willst du, dass ich dich in Frieden lasse, dich das tun lasse, was du willst? Hättest du es lieber gehabt, wenn ich gestern Abend einfach zu Bett gegangen wäre, statt auf die Suche nach dir zu gehen! Dann sei dir gewiss, dass du da draußen erfroren wärst!«

Wut kochte siedend heiß in mir empor. »Was mein Problem ist? Gut, ich sage dir, was mein Problem ist! Mein Problem ist, dass jeder verfickte Mann hier und im Umkreis von hunderten Meilen, der Meinung ist, eine Frau ist ein schwächliches kleines Ding, das man beschützen muss, weil sie selber zu dumm dazu sind! Mein Problem ist, dass du und auch jeder andere Mann denkt, dass wir zu weichlich sind, eine Waffe zu führen! Dass manche Gespräche nichts für Frauenohren sind! Und, dass wir gefälligst die Beine zu spreizen haben, wenn es euch danach gelüstet und sie wieder spreizen, wenn wir eure Kinder zur Welt bringen. Genau das ist mein verdammtes Problem, Regan!« Ich stieß mich von ihm ab und er ließ mich auch tatsächlich los, sodass ich das Handtuch um mich schlingen konnte und es an meiner Brust verknotete.

Er sah mir ganz genau dabei zu und seine Augen wurden dunkel. Und ich wusste nicht, ob vor Zorn oder vor Lust.

»Schön«, brachte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, blieb dabei erstaunlich ruhig. »Du kommst also alleine klar, ja? Ich habe gesehen, wie du gestern Abend alleine klar gekommen bist und ich hasse mich dafür, dass ich nicht da war. Aber erklärst du mir, wie es dazu kommt, dass ich das bei diesem Toten finde? Hä? Woher hast du ihn?«

Ich fuhr zusammen, als er meinen Dolch aus seinem Gürtel zog und ihn mir vor die Füße warf. Blinzelnd starrte ich die kleine Waffe an, die mir am Vorabend vermutlich das Leben gerettet hatte und mich vor einem grausamen Schicksal bewahrte. Noch zu gut war mir in Erinnerung, wie die Klinge das Fleisch dieses widerlichen Kerl durchstoßen hatte. Zu gerne hätte ich gesagt, dass ich es bereute, einem Leben ein Ende bereitet zu haben, aber das konnte ich nicht. Das ekelhafte Prickeln meiner Haut, dort, wo er mich angefasst hatte, rief mir ins Gedächtnis, dass ich nichts hatte, was ich bereuen musste. Hätte ich es nicht getan, konnte ich mir nur zu gut ausmalen, was er mir angetan hätte.

»Ist es das, was du mir sagen willst, Kira? Dass du lieber ein Mann wärst, Waffen schwingen willst, statt daheim in Sicherheit zu sein? Ich habe Schlachtfelder gesehen, Mädchen, so viele. Ich habe Männer, Frauen und Kinder sterben sehen, badend in ihren eigenen Gedärmen und ersticken an ihrem Blut. Ich habe Männer gesehen, die sich, vor Angst vor dem Tod eingeschissen haben, bevor die Klinge über ihre Kehlen glitt. Ich habe sie um Gnade winseln hören, habe mit angehört, wie sie um ihr Leben bettelten. Dass sie Zuhause Weib und Kinder hatten und ich habe diese Männer auf einen Befehl hin getötet. Ich trage davon Narben auf dem Körper und meiner Seele und würde es keinem wünschen, das gleiche Schicksal zu teilen. Und genau das ist es, was wir tun, damit unsere Frauen in Sicherheit sein können.«, sagte er und war ganz ruhig dabei, seine Miene zeigte keine einzige Emotion. »Ich weiß, dass es als Frau auch nicht einfach sein mag. Natürlich nicht. Ihr müsst unsere Launen und Wünsche ertragen und auch die Beine spreizen, wenn wir es wollen. Aber denkst du wirklich, dass ich so ein Mann bin? Ich habe darauf verzichtet in meiner eigenen Hochzeitsnacht, Kira. Ich habe dir die Wahl überlassen und ich habe dir geschworen, dich niemals anzurühren, wenn du mich nicht darum bittest. Verdammt, ich hätte eine Ewigkeit darauf verzichtet, wenn du es so wolltest. Was willst du eigentlich noch?«

Zitternd, nicht wissend, ob vor Kälte oder Unbehaben, starrte ich ihn an. Blinzelnd, da ich ihm nicht länger in die intensiven blauen Augen sehen konnte, starrte ich auf den Dolch herunter. Es war, als hätte ich das Sprechen verlernt und im Moment kam ich mir tatsächlich wie das Baby vor, das ich um keinen Preis sein wollte. Ich wollte, dass er mich als Frau sah und ich hatte die ganzen Wochen, in denen wir bereits verheiratet waren und uns einigermaßen kannten, das Gefühl, dass ich... für nichts gut genug war. Er war enttäuscht gewesen von unserer Hochzeitsnacht, davon wie dämlich ich mit dem Messer in der Küche umging, da ich andauernd bandagierte Hände gehabt hatte. Ja sogar, wie ich mich um die Wäsche kümmerte. Auch, wenn mich so viele gelobt hatten, wie hart ich schuftete, hatte ich das Gefühl, dass ich nur dafür gut genug war. Erst, als er zur Patrouille aufgebrochen war und ich die Zeit nutzen konnte, in der er nicht da war, um die kleinen Bücher von Kovir zu studieren war es endlich so, als würde ich etwas Sinnvolles tun.

»Und? Hast du deine Zunge auf einmal verschluckt?«, knurrte er nun lauter.

Ich sah ihn beschämt an.

Aufgebracht raufte er sich die Haare, atmete laut ein und aus und begann in unserem Zelt auf und ab zu laufen, bevor er wieder vor mir stehen blieb und auf den Dolch zeigte. »Wolltest du mich damit abstechen, wenn ich mir in unserer Hochzeitsnacht das von dir genommen hätte, was mir zusteht? Und? Hättst du mir in die Nieren gestochen, so wie dem Fetten aus dem Wald oder hättest du mir den Schwanz abgeschnitten? Wie wäre es Euch genehm gewesen? Oder lieber doch die Kehle? Ich meine, du musst dich damit ja auskennen, so gezielt, wie du ihn getötet hast. Bist du stolz darauf?«

Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Antworte mir endlich!«

»Hör auf mich anzubrüllen!«, schrie ich ihn an.

»Warum? Du schreist doch auch ständig herum. Woher hast du den Dolch, Kira? Ich will es verdammt nochmal wissen! Hast du ihn anfertigen lassen, um mich umzubringen? Wolltest du mich schon von Anfang an töten?«

Klatsch!

Ich konnte kaum fassen, was er mir da unterstellte. Die Wut in mir und die Trauer, dass er mir so etwas zutraute, ließen meinen Körper zittern und von ganz alleine handeln. Meine Handfläche pochte so heftig, dass die Ohrfeige, die ich ihm verpasst hatte, durch meinen ganzen Körper vibrierte. Schwer atmend stand ich vor ihm, während ich zusehen konnte, wie sich mein Handabdruck flammend auf seiner Wange abzuzeichnen begann.

Blinzelnd, da er wohl noch nicht ganz fassen konnte, was ich getan hatte, stand er vor mir, überragte mich beinahe um zwei Köpfe. Langsam führte er seine linke Hand zu seiner Wange und betastete sie, als könne er nicht glauben, dass ich ihm tatsächlich eine Ohrfeige gegeben hatte.

»Wenn du wirklich glaubst, ich hätte mir den Dolch besorgt, um dich umzubringen, dann bist du nicht mein Mann.«, sagte ich ganz ruhig, meine Stimme bebte. »Mein Bruder gab mir den Dolch, um mich zu verteidigen. Ich hatte niemals vor, ihn gegen dich zu benutzen. Selbst wenn du mich... selbst wenn du unsere Ehe in der Hochzeitsnacht vollzogen hättest. Ich hätte niemals gewagt, dir etwas anzutun.«

Er starrte mich an.

Ich presste die Lippen aufeinander und rieb mir eine dumme Träne zornig von der Wange. »Weißt du, ich will jetzt nicht alles schön reden und ich will auch kein Mitleid von irgendwem, deswegen habe ich nie darüber gesprochen. Aber... mein Leben lang wurde mir der Mund verboten. Ich durfte nicht denken, was ich wollte. Nicht sagen, was ich wollte. Ich durfte nicht tun, was ich wollte. Meine Brüder nahmen mich heimlich mit auf die Jagd und unterwiesen mich in der Waffenkunst, damit ich wenigstens heimlich der Mensch sein kann, der ich wirklich bin.«

Regan schwieg und beinahe bezweifelte ich, dass er mir wirklich zuhörte, aber ich redete weiter, während meine Unterlippe zitterte, wie sie es immer tat, wenn ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen.

»Als ich Kartan zum ersten Mal wirklich verließ, um nach Woberok geschickt zu werden und dich zu heiraten... kam es mir vor, als würde mir endlich jemand das Band lösen, das seit Jahren meine Brust einschnürte. Ich dachte, dass ich jetzt... frei sein könnte. Aber dann kamen die Aufgaben, die mir dein Vater gab und all das fühlte sich an, als... wollte man aus mir eine gute Dienerin machen oder so etwas. Ich fühle mich einfach... einfach nicht bereit eine Ehefrau zu sein, zu kochen und sauber zu machen. Ich weiß nicht, vielleicht bin ich die untalentierteste Ehefrau der Welt. Ich meine, andere haben es auch geschafft, warum dann ich nicht? Und dann, als... du mich geküsst hast, hat es sich schön angefühlt. Und das brachte mich noch mehr durcheinander.«, ich redete und redete und war froh, dass er still war. »Und gestern, als ich unter diesem... diesem Mann gelegen habe, habe ich mich so hilflos gefühlt. Ich dachte wirklich, dass es das jetzt wäre. Eigentlich hatte ich es doch ganz anders geplant. Ich wollte etwas für dich kochen und darüber reden, dass wir... dass wir unsere Ehe vollziehen sollten. Dass ich jetzt bereit bin. Und dann kam er und ich hatte solche Angst. Bis ich den Dolch wieder in der Hand hatte. Ich habe mich plötzlich so sicher gefühlt und war so froh, dass Tristan ihn mir gegeben hat. Was ist mit dir? Hättest du es besser gefunden, wenn ich ihn nicht gehabt hätte?«

Plötzlich schloss er die Augen und seufzte. »Nein. Natürlich nicht.«, murmelte er. »Ich hatte nur solche Angst um dich, dass ich wütend geworden bin. Mir sind tausend absurde Dinge durch den Kopf geschossen, warum du diesen Dolch haben könntest. Einfach, weil du dir mich immer wieder entzogen hast in den ersten Wochen nach unserer Hochzeit, glaubte ich, dass du von Anfang an eine Abneigung gegen mich und diese ganze arrangierte Ehe gehabt haben könntest.«

Ich schüttelte den Kopf und sah ihn an.

Regan seufzte. »Du kennst dich also in der Waffenkunst aus? In welchem Bereich?«

»Tristan hat mir den Umgang mit dem Dolch beigebracht und Rickon den Umgang mit dem Bogen.«

Er hob eine Augenbraue. »Bogenschießen? Mit deinen dünnen Ärmchen?«

Ich musste schmunzeln. »Ich habe es lange nicht mehr getan.«, meinte ich. »Bist du noch wütend auf mich?«

»Nicht mehr so sehr.«, sagte er zerknirscht, dann deutete er auf mich. »Du solltest dir in jedem Fall etwas anziehen. Sonst erkältest du dich noch. Und der hier kommt ab sofort in deinen Nachttisch. Sobald du nach draußen gehst gehört er in deinen Stiefel.« Er hielt mir den Dolch hin.

Vorsichtig nahm ich ihn entgegen. »Ich darf ihn behalten?«

»Ich fühle mich wohler, wenn du dich verteidigen kannst. Das gestern hat mir gezeigt, was einer Frau erspart bleiben kann, wenn sie eine Waffe bei sich trägt. Versprich mir aber, ihn nur im Notfall einzusetzen.«

Ich nickte ernst. »Das werde ich. Aber... du bist auch nicht wütend, dass ich mit Waffen umgehen kann? Es ist ja nicht üblich in Woberok.«

Regan grinste leicht, streckte die Hand aus und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Man muss auf Überraschungen gefasst sein, wenn man einer Ehe mit einer Löwin zustimmt.«

Ich musste leicht lächelnd, zuckte aber leicht zusammen, als er meine lädierte Wange berührte.

»Und jetzt zieh' dir etwas an, bevor ich die Situation möglicherweise noch ausnutzen könnte, dass du unter diesem Handtuch völlig unbekleidet bist.«, raunte er, ließ von mir ab und ging zu dem Tisch und den Stühlen.

Ich seufzte leise, dann verschwand ich hinter der Trennwand und beruhigte mich. Einerseits bewirkten seine Worte, dass warme Schauer meinen Rücken hoch und runter eilten, andererseits fühlte ich mich noch immer beschmutzt durch diesen fenraler Deserteur. Es würde noch eine Weile dauern, bis ich mich durch seine anzüglichen Bemerkungen nicht mehr unwohl fühlen würde.

.

 

 

 

 

Meine Träume sind die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

 

 

Kinder des Alten Blutes, Aenna.

Kapitel 26

 

Am letzten Abend vor unserer Heimreise zurück nach Woberok saß ich alleine im Zelt, da Regan raus war, um mit den anderen das Abendessen einzunehmen und mit seinen Männern zu plaudern. Ich hingegen hatte kaum Appetit, da mir die Ereignisse des Vorabends noch immer schwer wie ein Stein im Magen lagen. Stattdessen hatte ich mich vor den kleinen Ofen auf ein weiches Fell gesetzt und hatte die kleinen Bücher hervor gekramt, die ich sonst so sorgsam vor Regan verbarg. Ich wusste nicht weshalb, aber mein Vertrauen reichte noch nicht weit genug, als dass ich ihm sagen würde, was ich in Kovirs Bibliothek entdeckt hatte. Seine Reaktion, als ich die Verse gesungen hatte, die ich mir aus irgendeinem Grund gemerkt hatte, war nicht positiv gewesen. Eher war er mir mit Argwohn und Misstrauen begegnet und so wollte ich nicht riskieren, dass er mir die Bücher vielleicht sogar wegnahm, wenn er merkte, dass ich eine ganze Ansammlung solcher Verse besaß.

Nachdenklich stützte ich meinen Ellenbogen auf mein nacktes Knie und blätterte weiter durch den kleinen Gedichtenband.

Was ich noch nicht ganz verstehen wollte, war, weshalb genau kein Woberoker diese Sprache nicht mehr sprechen konnte. Regan sagte, dass er Wortfetzen verstanden hatte, so musste er sie doch auch einst gelernt haben. Aber warum niemand anderes? Ferrin hatte rein gar nichts von dem verstanden, was ich gesungen hatte. War es wirklich nur, weil die Woberoker ihre frühere Verbindung zu den Wilderern vergessen wollten? Oder war da nicht noch viel mehr?

Ich runzelte die Stirn und stockte einen Moment, als ich am Ende des Buches angelangt war. Dort waren Seiten herausgerissen worden.

Mit dem Zeigefinger meiner rechten Hand strich ich sachte über die Fetzen, die noch von den entwendeten Seiten übrig geblieben waren, aber man konnte nichts mehr erkennen. Doch auf der Innenseite des Buchrückens waren woberokische Worte mit Hand eingeschrieben worden. Die Schrift besaß viele Schnörkel und elegante Schlaufen, sodass ich vermutete, dass eine Frau sie eingeschrieben haben musste.

Eine Frau? Weshalb sollte eine Frau solch ein Buch lesen? Immerhin war es den meisten Frauen verboten, ein Buch in die Hand zu nehmen, vor allem, wenn es sich um solche Bücher handelte. Dass Kovir es mir einfach überlassen hatte, war bloß ein Zufall. Oder? Wieder zog ich die Stirn kraus und versuchte die Worte zu entziffern.

»Mách tas krach halach, tenach á kam'ach.«, murmelte ich.

Solche Worte hatte ich noch nie gesehen. Sie waren auch in einem ganz anderen Dialekt geschrieben als der übrige Gedichtenband, wie ich feststellte. Die Worte waren noch immer in einem harten nordischen Dialekt, aber noch lange nicht so hart wie die Worte, die ich gesungen hatte. Sie waren weicher auf der Zunge und ließen sich gut von den übrigen Worten ableiten. Jedoch verstand ich die Bedeutung nicht, sodass ich aufstand und rasch zum Nachttisch hinüber eilte. Ich holte den Übersetzerband heraus und eilte zurück zum Ofen. Wieder ließ ich mich davor fallen und zog mein Schultertuch heran, um es mir über die Beine zu legen. Es wurde allmählich kühl mit diesem dünnen Nachthemd.

Ich blätterte die Seiten des Übersetzerbandes durch, fand jedoch keinerlei Ähnlichkeit zu den Worten, die am Buchrücken mit Hand eingeschrieben worden waren. Nichts ergab einen Sinn.

Frustriert schlug ich das Buch zu und nahm mir erneut den Gedichtsband vor. Ich legte ihn auf mein Knie und blätterte noch einmal jede Seite Stück für Stück durch, aber es gab keinen Anhaltspunkt, weshalb die letzten Seiten entfernt worden waren und jemand etwas mit Tinte hinein schrieb, das überhaupt keinen Sinn ergab.

Ich seufzte schließlich.

So kam ich nicht weiter. Egal, wonach ich auch suchte, ich würde nicht mehr erfahren. Der Übersetzerband war in diesem Fall nutzlos und ich würde keine Antworten auf meine Fragen finden. Wer hatte diese Worte hinein geschrieben? Warum waren die letzten Seiten rausgerissen? Weshalb verwarte Kovir dieses Buch sicher in seinen persönlichen Gemächern und überließ es mir dann freiwillig? Und die größte Frage war wohl: Warum besaß meine Mutter eine Kette, die ein Symbol trug, das auf diesem Buchumschlag abgebildet war? Was hatte das alles miteinander zutun?

Ich schlug das Buch zu, nahm beide in meine Hände und verwarte sie wieder in meinem Nachttisch, bevor mich Regan noch beim Grübeln über den Büchern hängend vorfand. Immerhin konnte ich es mir nun nicht leisten, dass er mir die Bücher wegnahm und mir noch mehr misstraute. Ich wusste, dass ich ihn enttäuscht hatte, als ich ihm verschwieg, dass ich einen Dolch besaß und damit auch umgehen konnte. Was mich noch mehr erschreckte, war nicht seine Wut darüber, sondern, dass er mir zugetraut hätte, dass ich ihn mir vorsätzlich besorgt hätte, um ihn umzubringen. Das wäre nicht nur Mord gewesen, sondern Verrat an unseren Königreichen und eine kriegerische Handlung.

Mein Kopf schmerzte nicht nur von diesen vielen Gedanken, die mir alle gleichzeitig kamen, sondern auch noch von der Wunde an meiner Schläfe. Prüfend hob ich eine Hand und betastete die Wunde. Es hatte sich bereits Schorf über Nacht gebildet, aber es pochte noch immer widerlich, genau, wie meine Unterlippe, die so geschwollen war, dass ich kaum sprechen konnte.

Auf einmal hörte ich, wie die Zeltplane zur Seite geschoben wurde und blinzelte, als Regan herein kam. In der Hand hielt er ein Speisebrett, das er auf dem kleinen Tisch abstellte. Als er mich entdeckte, lächelte er zaghaft.

Ich tat es ihm gleich. »Ist der König noch wütend auf mich?«

Regan hob fragend eine Augenbraue.

»Er hat MIttags kein Wort mit mir gewechselt.«, entgegnete ich und legte mein Kinn auf meinen angewinkelten Knien ab.

»Nun ja, er konnte sich bestimmt besseres vorstellen, als dass diese Jagd so endet.«, bemerkte Regan, während er sich des dicken Umhangs und der Rüstung entledigte, bis er nur noch eine enge schwarze Lederhose trug und ein weites Leinenhemd, das blütenweiß strahlte. »Aber ich denke, eher nicht. Er ist viel wütender darüber, dass dieser Kerl versucht hat... dich zu vergewaltigen. Mein Vater zerbricht sich jetzt eher den Kopf darüber, wo er herkam und weshalb er hier in den Wäldern herum streift, als darüber, dass seine Schwiegertochter ausgebückst ist und sich deshalb in Gefahr brachte.«

Zerknirscht sah ich auf meine nackten Zehen, die sich dem Ofenfeuer entgegen streckten. »Es tut mir leid.«

Er kam näher und stellte das Speisebrett neben mir ab. Darauf befanden sich lauter Leckereien, die er liebevoll angerichtet hatte. Käse, eine kleine Schale Skyr, zwei Scheiben Keilerfleisch, eine Schale Eintopf aus dicken dunklen Bohnen und Kartoffeln, der noch dampfte und ein Stück Fladenbrot. Langsam setzte er sich neben mich, zwischen uns das Brett.

»Was genau?«

Ich verzog den Mund. Er forderte mich heraus, wollte hören, was genau mir von alldem, was ich angerichtet hatte, leid tat.

Aber ich war nicht in der Verfassung, um einen neuerlichen Streit anzufangen oder auf sein Spielchen einzugehen. »Alles«, gestand ich. »Dass ich dich so angefahren habe, als dein Vater daneben stand. Meine Worte und, dass ich einfach abgehauen bin. Ich wollte nur Ruhe, weißt du? Ich brauchte Zeit, um den Kopf frei zu bekommen.«

Regan nickte leicht, wobei ihm ein paar seiner wirren, schwarzen Strähnen in die Stirn fielen. »Mein Vater hätte am liebsten gewollt, dass ich dich dafür bestrafe.«

Ich fuhr zusammen und starrte ihn an. »Bestrafen?«, krächzte ich.

»In Woberok ist es üblich, die Frauen zu bestrafen, wenn sie ungehorsam oder faul sind. Es wird von jedem Mann erwartet, dass er seine Frau dann übers Knie legt und sie mit einem Gürtel züchtigt, damit sie ihren Fehler eingesteht und ihn verinnerlicht. Wie die Erziehung eines Kindes, das widerspenstig ist.«, erklärte er.

Mir schoss eine unangenehme Gänsehaut über den Körper und ich begann zu zittern. Meine Ohren klingelten und ich hörte bereits die Stimme meiner Mutter, spürte die Hände des Hauslehrers auf meinem Körper. Ich hatte jedes Mal gezappelt, als wäre ich ein Schwein, das sie schlachten wollten. Bis der erste Schlag des Rohrstocks auf meinen Hintern niederging und der brennende Schmerz sich durch meinen Körper fraß. Er hatte es nie so weit getrieben, dass ich Narben davon behalten würde, aber er hatte seinen Stock in regelmäßigem Abstand mit einem Tuch von meinem Blut befreien müssen.

Nach dem einen Mal, als er so heftig zuschlug, dass ich tagelang nicht hatte sitzen können, oder stehen oder sonst etwas, hatte ich mich damit abgefunden, von da an, nichts mehr anzustellen. Meine Versuche, endlich gehört zu werden, verliefen doch eh jedes Mal auf dieses Ergebnis hinaus. Das einzige Positive daran war, dass mein Hauslehrer enttäuscht war, dass er mich dürres Mädchen nun nicht mehr anfassen und bestrafen musste. Ich wusste, dass es ihm Freude bereitet hatte.

Mein Blick verlor sich in den züngelnden Flammen, die im Ofen vor uns dahin stoben. Unbemerkt hatte ich mich zusammengekauert, fühlte ich mich doch in diese Zeit zurück versetzt, wie ich halb nackt über seinem Schoß hing, seine dicken Wurstfinger entweder in meinem Haar oder meinem Nacken gespürt hatte und dann, wie er zuschlug.

»Wirst du mich bestrafen?«

Eine Weile lang schwieg Regan, dann schüttelte er den Kopf. »Das werde ich nicht.«

Ich drehte den Kopf schlagartig zu ihm, mir wackelten Tränen in den Augen. »Nicht?«

»Nein, Kira. So ein Mann bin ich nicht und will ich auch nicht sein.«, sagte er ernst. »Zwar habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, als du mich so hast stehen lassen, aber... ich finde, dass das keine Lösung ist. Es ist Tradition und es gehört zur Geschichte unseres Landes, aber ich finde, dass es bessere Möglichkeiten gibt, als eine Frau zu verprügeln, damit sie ihren Fehler eingesteht und ihr anzudrohen es wieder zu tun, wenn sie erneut einen Fehler macht. Das ist für mich barbarisch. Zwar ist es normal für mein Volk und ich weiß nicht, ob ich in der Ehe so unerfahren bin, dass ich es so sehe, aber du hast deinen Fehler eingestanden und dich von selbst bei mir entschuldigt. Ich weiß nicht... ich sehe einfach keinen Grund dafür, dich dafür dann im Nachhinein zu schlagen.«

Ich starrte ihn nur an, dann wieder in die Flammen und schwieg eine ganze Weile.

Irgendwann schien er die Stille nicht mehr zu ertragen und berührte meinen Oberarm. »Was hast du denn?«

Ich schüttelte den Kopf und schluckte heftig. »Ich musste nur an meine Kindheit denken.«

Er zog die Stirn kraus. »Woran genau?«

»Als du... als du sagtest, dass du mich bestrafen müsstest«, murmelte ich leise und überlegte einen Moment, ob ich ihm wirklich davon erzählen sollte. Aber wie sollte er verstehen, wie sollte sich etwas ändern, wenn ich ihm nicht endlich reinen Wein eingoss? Es war etwas, was schon die ganze Zeit zwischen uns stand. Der Grund, weshalb ich Berührungen verabscheute, weshalb ich es lieber mochte, alleine für mich zu sein, als in der Gemeinschaft, der Grund, weshalb ich mich so sehr vor der Hochzeitsnacht gefürchtet hatte. Und der Grund, weshalb am gestrigen Abend, als ich unter diesem Mann gelegen hatte, alles wieder hoch gekocht war.

Ich befeuchtete meine Lippen. »Ich will ehrlich sein.«

»Das bist du doch. Du hast mir von dem Dolch erzählt.« Er schüttelte unwissend den Kopf und blickte mich aufrichtig an.

»Darum geht es nicht.«, flüsterte ich mit brüchiger Stimme und spürte wieder und wieder, wie mir die Erinnerungen an damals durch den Kopf schossen. Ein Geheimnis, das ich so lange gehütet hatte und von dem nur eine einzige Person etwas wusste.

»Worum dann?«, fragte er und schob das Speisebrett zur Seite, damit er näher rücken konnte. »Du zitterst ja.«

Mein Kinn zitterte, da mich die Erinnerungen überwältigten. »Ich habe dir nicht alles erzählt und es tut mir leid, dass ich wieder nicht ehrlich war. Dass ich mit Waffen umgehen kann und unsere Hochzeitsnacht ruiniert habe... und, dass ich mich dir immer wieder entziehe, hat einen bestimmten Grund.«, murmelte ich und griff nach seiner Hand, die auf seinem Knie lag. Er drehte sie sanft und ich ließ meine Hand in seine Handfläche gleiten. »Diese Berührungen waren für mich einst eine Qual.«

»Warum?«

»Als ich zehn Jahre alt war, starb mein Hauslehrer. Er war ein alter Mann und immer gut zu mir. Er hat mich vieles über Sprachen gelehrt, als er mein Talent entdeckte, dass ich sehr schnell, alte Sprachen erlernen kann. Aber ich war zehn Jahre und musste noch viel lernen, also stellte der König einen neuen Hauslehrer an. Dieser... war ein großer, rundlicher Mann. Er hatte immer fettiges Haar und stank nach Schweiß. Von Anfang an hasste ich ihn, und ich wurde aufsessig. Ich kam nicht mehr zum Unterricht oder störte ihn dabei, wenn er mir etwas erklärte.« Ich spielte nervös an Regans Fingern herum. »Als es irgendwann... Überhand nahm, befahl meine Mutter, dass er mich bestrafen dürfte. Ich wusste, dass ihm diese Aussicht gefiel. Es bereitete ihm Freude, als er mich, nichtsahnend, packte und quer über den Schoß nahm. Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschieht, als er mir die Röcke rauf zerrte und seinen Rohrstock benutzte, um... um auf mich einzuprügeln. Ich schrie so laut ich konnte bis meine Kehle wund und meine Stimme heiser war, aber es interessierte niemanden. Meine Mutter hatte es gestattet, um mich zu Erziehen, um diese aufsessige Phase auszustreichen, damit ich lernte, wie sich eine Prinzessin Kartans zu verhalten hatte. Fügsam, Duldsam, Ergeben.«

Angespannt strich Regan mit dem Daumen über meinen Handrücken, schwieg aber, als spürte er, dass ich noch mehr zu sagen hatte.

Und das hatte ich.

»Nach dem ersten Mal, als er das tat, habe ich tagelang in meinen Gemächern gesessen und geweint. Ich habe das Essen verweigert und wollte Niemanden sehen. Meine Mutter habe ich gehasst, weil ich mich immer fragte, warum sie mir so etwas antat. Warum sie mich so sehr verabscheut, dass sie es zulässt, was dieser Mann mir antat.«, flüsterte ich weiter. »Aber dann habe ich es weiter provoziert. Ich wollte nicht, dass mir jemand verbot, was ich tun und sagen sollte. Ich kam meinen Aufgaben nicht nach, weigerte mich zu essen, was man mir auf den Tisch stellte oder zu tun, was man mir vorschrieb zu tun. Meine Brüder haben sich Sorgen gemacht, als das alles passierte, aber auch sie hatten nicht die Macht, etwas zu ändern. Bis mein Hauslehrer eines Tages so gereizt war, dass er mich in seinem Arbeitszimmer übers Knie legte und mich verprügelte, bis das Blut seine Pergamente bespritzte. Als er fertig war befahl er mir, zu gehen. Ich konnte kaum krauchen, so sehr hat er mich malträtiert. Ich konnte tagelang nicht laufen, geschweige denn sitzen oder gerade liegen. Aber auch da schritten meine Eltern nicht ein, weil sie die Hoffnung hatten, dass ich mich irgendwann fügen würde. Und ich tat es. Ich hörte auf, aus Angst, er würde mich irgendwann noch umbringen.«

Beim letzten Wort umklammerte Regan meine Hand so fest, dass es beinahe schmerzte. »Was«, stieß er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. »Was hat dieses Schwein noch getan?«

Ich atmete zitterig ein und strich beruhigend mit dem Daumen über seinen Handrücken. »Er war wütend. Ich wusste, dass es ihm gefiel, wie er mich tagtäglich quälen konnte, zwei Jahre lang bis ich zwölf war. Als ich ruhiger wurde, begann jedoch... mein Körper sich zu verändern. Ich wurde fraulicher... Zwar war ich noch keine Frau, aber das war unwichtig für ihm. Ich bemerkte, wie er mir andauernd auflauerte, auch nach dem Unterricht. Bis ich einen Abend unbewacht in meinen Gemächern geschlafen habe. Er verschaffte sich Zutritt und... kam zu mir ins Bett. Zuerst habe ich nicht bemerkt, was los war, bis ich wach wurde. Er hockte auf mir, hielt mir den Mund zu, damit ich nicht schreien konnte. Ich lag so stocksteif unter ihm, dass ich nicht glauben konnte, was gerade passierte. Ich wusste ja nicht, was er im Sinn hatte, ich war ein Kind! Er berührte mich überall, auch... auch zwischen den Beinen und irgendwann zog er seine Hose herunter. Ich weinte schon still, ohne einen Ton. In diesem Moment kam meine Mutter ins Zimmer, ich wusste nicht, woher sie wusste, dass er da war, aber sie befahl den Wachen ihn fortzuschaffen. Von da an war das unser Geheimnis. Niemand, nicht einmal mein Vater weiß, was in jener Nacht passiert ist.«

»Er hat es nicht geschafft, dich zu vergewaltigen?«, wollte Regan wissen.

Ich schüttelte den Kopf. »Meine Mutter ist rechtzeitig eingeschritten.«

Langsam nickte er, dann rieb er sich mit der rechten Hand über das Gesicht, als müsse er diese Informationen erst einmal verdauen. Ich konnte es nachvollziehen, schließlich hatte ich ihm gerade den Grund erklärt, weshalb es solche Spannungen zwischen uns gab. Das grundlegendste Problem zwischen uns lag nämlich nicht bei ihm, sondern bei mir. Und ich hatte ihm gerade gesagt, weshalb dieses Problem überhaupt zwischen uns existierte.

Regan stieß hörbar die Luft aus und fuhr sich aufgebracht durch das Haar. »Deswegen warst du so verkrampft in der Hochzeitsnacht.«, stellte er fest. »Du hattest Angst vor mir.«

Ich nickte leicht, drückte seine Hand aber fester. »Jetzt aber nicht mehr.«, sagte ich leise und rückte näher an ihn heran. »Ich hatte damals Angst, ja. Aber nicht vor dir direkt, sondern davor, was passiert. Ich dachte, es würde sich immer so... widerlich anfühlen wie damals bei ihm. Ich war sicher, dass es wehtun würde, so wie er mir immer wehtat und es in dieser Nacht bestimmt auch getan hätte.«

»So ist es nicht«, entgegnete er ruhig und sah mich mit seinen intensiven eisblauen Augen an, schien in meine zermürbte Seele blicken und alle Wunden heilen zu wollen, die in der letzten Nacht wieder an die Oberfläche geraten waren. »Es ist vielleicht unangenehm beim ersten Mal, aber ich würde dich niemals verletzen, Kira. Das wollte ich nie. Deshalb konnte ich es einfach nicht. Ich konnte nicht einfach über dich herfallen, egal, wie stark mein Verlangen danach war in der Hochzeitsnacht. Ich hätte dir nicht mit gutem Gewissen in die Augen schauen können.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Ich weiß, das merkte ich, als du von mir abgelassen hast.«

»Ich finde es schade, dass du die Verbindung zwischen Mann und Frau immer so gesehen hast. Ich meine, es kann auch schön sein. Sehr schön sogar«, raunte er und seine Finger tanzten über mein Handgelenk. »Es ist kein Zwang.«

»Ich weiß«, flüsterte ich seufzend. »Ich habe es gespürt, nachdem ich deine Wunde versorgt habe. Es war schön und eigentlich bin ich bereit dazu. Darüber wollte ich mit dir reden, bevor dein Vater uns unterbrochen hat und ich in den Wald gegangen bin. Ich wollte dir etwas kochen und...«

»Raphael hat mir erzählt, dass er dir zwei Kaninchen schießen soll, damit du mein Lieblingsessen kochen kannst. Warum hast du sie nicht selbst geschossen?« Er grinste mich spitzbübisch an und ich musste kichern.

»Ich wollte wenigstens den Schein wahren«, grinste ich.

»Das hast du«, raunte er mir zu, dann deutete er auf das Speisebrett. »Zwar hast du jetzt nicht für mich gekocht, aber ich habe dir etwas mitgebracht. Bitte iss etwas davon.«

Ich nickte, als er mir das Speisebrett auf den Schoß stellte und dann aufstand, um Besteck und einen Becher zu holen. Als er wieder neben mir war, drückte er mir das Messer, einen Holzlöffel und eine Gabel in die Hand, ehe er sich damit begnügte, mir den Becher mit Obstwein zu füllen und neben mir abzustellen. Während ich mich dem Eintopf mit den dicken schmackhaften Bohnen wittmete, stocherte er mit einem dünnen Spieß in den Holzscheiten des Ofens herum, um die Glut anzufachen und uns noch weiter zu wärmen.

»Ich verstehe jetzt endlich, warum alles zwischen uns etwas komplizierter ist.«, sagte er nach einer Weile, in der ich schon das halbe Speisebrett geleert hatte. »Und, dass ich mich nicht einfach auf dich stürzen kann, wie ein Springbock und erwarten kann, dass du mich mit offenen Armen empfängst. Ich verstehe es nun besser, Kira. Wirklich. Ich will mich zusammennehmen. Aber ich kann das nur, wenn du in Zukunft ehrlicher bist zu mir. Sag mir einfach, wenn dir was nicht gefällt.«

Ich ließ das Stück Brot sinken. »Das werde ich.«

Regan nickte zufrieden und lächelte leicht. »Gut. Wie geht es eigentlich deiner Kopfwunde?«, fragte er dann nachdenklich und legte eine Hand an meine Wange.

Wusste er, was er damit in mir auslöste?

Hitze schoss mir durch die Adern und ich errötete unter seinem prüfenden Blick.

Es fühlte sich gut an, wenn er mich berührte.

Rasch nickte ich. »Ein bisschen Kopfschmerzen noch, aber es ist nicht weiter wild.«, meinte ich, damit er mich schnell wieder los ließ, bevor er noch sah, dass ich rot wurde.

Er lächelte leicht verschmitzt und beugte sich vor. »Du wirst rot.«

»Es ist so warm hier drinnen, deswegen.«, sagte ich verlegen.

Er hob eine Augenbraue und ließ von mir ab. »Wie sehr ich den Tag herbei sehne, an dem wir einander nahe sein können, ohne, dass ich das Gefühl habe, dich zu zwingen.«

Mein Lächeln verschwand. »Regan, du zwingst mich nicht zu irgendwas.«

»Stimmt. Das kann ich gar nicht, schließlich weißt du dich zu wehren... dennoch...«

Ich schüttelte heftig den Kopf und stellte das Speisebrett beiseite, dann hob ich sachte die Hand und legte sie an seine Wange. Seine Bartstoppeln kratzten angenehm unter meinen Fingerspitzen. »Verdammt nochmal, du zwingst mich nicht. Das, was ich dir erzählt habe war, weil ich ehrlich zu dir sein wollte. Ich wollte, dass du alles über mich weißt und nicht verwundert bist, wenn ich manchmal seltsam reagiere auf manche Dinge. Nicht, weil ich dir ein schlechtes Gewissen machen wollte!«

»Ich werde es dennoch immer im Hinterkopf haben, wenn ich dich berühre.«, murmelte er betreten.

Ich presste die Lippen aufeinander. Wie konnte ich ihn nur davon überzeugen, dass er keine Schuld an allem trug?

Kurzentschlossen packte ich mit den Händen seinen Nacken und zog mich auf seinen Schoß, blickte ihn ernst an. Meine Finger griffen an die Schnüre seines Hemdes, aber er packte meine Hände sanft und sah mich durchdringend an. Sein eisiger blauer Blicke erinnerte mich an den stürmischen Wind des Nordens, an berstende Gletscher, an den Schnee. Sie waren so klar und ausdrucksstark, dass es schwierig war, woanders hinzusehen. Ich musste zugeben, dass auch sein Vater, der alte König Ragnar eine solche Ausstrahlung besaß. Alle Männer der woberokischen Familie hatten eine solch starke Präsenz. Sie waren stolz und mächtig und ihre Blicke ließen einen vor Unbehagen frösteln oder vor Verlangen glühen. Auch seine Schwester hatte diesen Stolz, den auch ihr Bruder inne hatte.

»Das tue ich nicht.«, raunte er. »Ich erfahre von dir, dass ein Mann dich als Kind permanent gequält hat und beinahe vergewaltigt. Dann werde ich das zwischen uns nicht ausnutzen, um jetzt mit dir zu schlafen.«

»Ich bin bereit dazu«, flüsterte ich zurück.

»Ich weiß, das du es bist. Aber ich nicht.«

Verdutzt blickte ich ihn an.

»Ich will, dass es gut wird.«, seufzte er und ließ seine Hände an meine Taille sinken, die Berührung jagte wohlige Schauer durch meinen Körper. »Nicht hier in einem Zelt am Arsch der Welt, wo uns jeder hören kann und jeder ungehindert einfach hier hinein platzen und dich sehen könnte. Nein. Ich will dich nur für mich alleine haben. Ich will, dass du mich darum bittest und es wirklich willst. Ich will nicht, dass du es bereust. Und ich will, dass du mich anbettelst, dass du unter meinen Händen zitterst vor Ekstase und glühst. Ich möchte deine großen Augen sehen, wenn du spürst, wie gut es sich anfühlt.«

Ich erbebte, als er seine Hände an meine Hüfte führte und mich auf seinen Unterleib drückte, und keuchte auf. »Regan!«

Er lächelte an meiner Haut, während er seine Lippen auf meinen entblößten Hals drückte. »Und ich will, dass du meinen Namen flüsterst, ihn keuchst, ihn wimmerst, ihn schreist vor Lust.«

»Warum lässt du mich zappeln?«, wollte ich frustriert wissen und musste an den Morgen zurückdenken, an dem ich im Zuber gelegen und mich selbst berührt hatte.

»Weil du mich auch hast zappeln lassen. Wie du mir, so ich dir, Kleines.«, sagte er leise.

Ich fuhr zurück und schlug ihm spielerisch auf die Brust. »Du bist wirklich furchtbar!«

Er lachte. »Ich nehme das als Kompliment. Und jetzt komm, wir müssen morgen sehr früh raus, bevor die unser Zelt abreißen, bevor wir wach sind. Morgen geht es zurück in Richtung Heimat.«

Ich nickte und war überrascht, wie leicht es sich anfühlte, das auszusprechen. »Nach Hause.«

Regan lächelte glücklich. »Ja. Nach Hause.«

 

Kapitel 27

 

Die Tage flogen dahin.

Wir kehrten einen Tag, nachdem ich Regan alles aus meiner Vergangenheit gestanden hatte, was für unser zukünftiges Eheleben im Moment von Bedeutung war, nach Woberok zurück. Unsere Jagdgesellschaft löste sich auf, die Patrouillen, die der König aussandte, brachen ihre Suche ab und für ein paar Augenblicke kehrte Ruhe in unser Leben ein. Aber ich spürte, dass diese Ruhe nur oberflächlich war. Im Innern Woberoks schien etwas zu pulsieren. Etwas gefährliches und ich spürte es jedes Mal, wenn Regan angespannt in unser Ehegemach zurückkehrte. Abends saßen wir oft in trauter Zweisamkeit an unserem Tisch in unseren Gemächern und aßen und tranken und redeten nur. Ich genoss es sehr, dass er mir so viel Freiraum gab und ich mich in seiner Nähe nicht gezwungen fühlte, jemand zu sein, der ich nicht war. Er kannte nun meine dunkelsten Geheimnisse, die Dämonen meiner Vergangenheit, sodass ich mich nicht verstellen musste. Wenigstens in seiner Gegenwart.

Eines jedoch nagte noch immer an mir.

Die handgeschriebenen Worte der Unbekannten in meinem Gedichtenband und die seltsame Einstellung aller Woberoker gegenüber dieser alten Sprache, die ich an jenem Abend am Feuer gesungen hatte. Ich hütete mich stets davor, sie zu benutzen oder noch einmal davon zu sprechen, wenn jemand in der Nähe war. Leider war das eines der Dinge, die ich nicht mit Regan besprechen konnte, da ich seine Einstellung zu diesem Thema kannte.

Und noch etwas störte den Frieden zwischen uns.

Die Träume, die ich seit jenem Abend im Wald hatte. Es passierte immer öfter, dass ich des Nachts hoch schreckte und von meinem eigenen Schrei erwachte. Ich wusste, dass ich nicht nur mir den erholsamen Schlaf raubte, sondern auch meinem Mann. Immer wieder bemerkte ich, wie er verschlafen und erschöpft hoch fuhr, um mich zu beruhigen. Und ich konnte nicht einmal sagen, woran es lag, dass ich so seltsame Dinge träumte. Die Nacht, in der mich der fremde Fenraler anfiel, hatte ich beinahe meisterlich verdrängt und musste kaum noch daran denken. Aber die Träume, die ich seitdem hatte, zermürbten mich.

Auch diese Nacht erwachte ich von meinem Schrei.

Regan schoss aus seiner liegenden Position neben mir hoch und beugte sich verschlafen über mich. Sein Haar war zerzaust und unter seinen Augen prangten dunkle Ringe, sodass ich sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Aber diese Nacht war anders.

Benommen setzte ich mich auf und krallte meine Finger in die Decke. Zitternd saß ich neben ihm und blinzelte. Mein Schädel dröhnte und die bereits gut verheilte Platzwunde pochte im gleichen Takt wie mein pulsierendes Herz. Keuchend rieb ich mir die Augen.

»So kann das nicht weitergehen, Kira«, flüsterte Regan vor Erschöpfung ganz matt.

Ich drehte den Kopf zu ihm und fuhr zusammen, als ein alles zerreißender Schmerz durch meinen Schädel jagte.

 

 

Gerade, als er vorschlagen wollte, dass sie zu Kovir gehen sollte, damit er vielleicht helfen könnte, fuhr sie heftig zusammen und ein markerschütternder Schrei entrang sich ihrer Kehle. Regan drehte sich schlagartig zu ihr und packte sie. Tränen rollten ihr über die Wangen und sie riss die Augen so weit auf, dass er das Gefühl hatte, sie würden ihr aus den Höhlen quellen.

»Hilfe!«, brüllte er. »Helft mir, verdammt!«

Sofort öffnete sich die Tür und eine Heerscharr an Bediensten eilte herbei. Gleich darauf tauchte Kovir auf und auch der König, Lord Wilmer und Lady Dagmar waren nicht weit. Kovir nahm sich sofort der jungen Prinzessin an und beruhigte sie, während Regan sich frustriert zurückzog.

Er verstand nicht, was in letzter Zeit mit ihr los war. Sie verstanden sich besser, als jemals zuvor und er wusste, dass Kira sogar bereit wäre, mit ihm zu schlafen. Alles könnte so wunderbar sein und er spürte bereits, dass er allmählich Gefühle für dieses Mädchen entwickelte. Natürlich war sie ihm nicht egal gewesen, aber er spürte echte Gefühle für sie. Der unendlich starke Drang, sie beschützen zu wollen, wuchs mit jedem Tag, den er neben ihr erwachte. Doch seit diesem Abend im Wald, war sie manchmal seltsam abwesend und, obwohl sie es zu verbergen versuchte, kritzelte sie oftmals wirre Zeichnungen, die ihm allmählich Angst einjagten. Immer, wenn er fragte, was sie da tat, knüllte sie das Blatt schnell zusammen und tat seine Frage mit einer dahergelaufenen Erklärung ab. Und die Nächte waren das Schlimmste.

Erst dachte er, es wäre von dem Trauma, dass sie damals als kleines Mädchen erlitten hatte und, dass dieses durch diesen Vorfall aufgefrischt wurde. Jedoch nahm es langsam Überhand. Sie schrie sich beinahe jede Nacht die Kehle wund und murmelte seltsame Dinge im Halbschlaf. Es gab kaum noch eine Nacht, in der sie durchschlief. Und er machte sich Sorgen um sie.

Als Kira endlich durch Kovirs Schlafmittel benommen zusammen gesackt war und Lady Dagmar und Freyer sie behutsam zudeckten, standen sie alle ratlos um das Bett herum.

»Das ist doch nicht normal«, murmelte König Ragnar, der auch nur ein einfaches Hemd und eine Hose am Körper trug, da er ebenfalls aus dem Schlaf gerissen worden war.

Freyer seufzte und strich Kira eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Sie ist in letzter Zeit auch so abwesend.«

»Ich mache mir Sorgen um sie«, gestand Regan und trat näher an das Bett. »Ich dachte erst, es läge an der Sache, die im Wald passiert ist. Ich meine, das war ja auch schockierend, aber... ich weiß nicht. Ich hatte gehofft, dass Ihr etwas tun könnt, damit sie besser schläft.«

Kovir nickte nachdenklich, zwischen seinen Brauen hatte sich eine steile Falte gebildet. »Ich werde mich darum kümmern und mit ihr reden, sobald sie wieder wach ist. Fürs Erste müsste sie durchschlafen. Wir sollten alle zu Bett gehen und uns ausruhen. Morgen soll sie zuerst zu mir kommen, bevor sie ihre Aufgaben erledigt.«

König Ragnar und die anderen nickten und verließen anschließend Regans Gemächer. Auch Kovir verabschiedete sich mit einem letzten prüfenden Blick auf seine Patientin, ehe er ebenfalls ging.

Regan seufzte nachdenklich und setzte sich auf die Bettkante. Sanft strich er seiner Frau über die Wange. Die Wunde an ihrem Kopf war beinahe verheilt, dennoch würde er sich jeden Tag daran erinnern, was dieser Mistkerl ihr angetan hatte. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie es für sie gewesen sein musste, unter diesem dicken Soldaten zu liegen, ihm vollkommen ausgeliefert. Er wüsste nicht, was er getan hätte, wenn er sie tatsächlich vergewaltigt hätte. Er wollte es sich nicht noch näher ausmalen.

Seufzend gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und kehrte auf seine Seite des Bettes zurück, um wieder zu schlafen.

 

Am Morgen stand er bereits früher auf, als seine Frau. Die Sonne war über den Horizont geklettert und die Stadt erwachte unter dem klaren blauen Himmel zum Leben. Als er halb bekleidet am Fenster stand, ließ er den Blick über die Stadtmauern und die Häuserreihen Woberoks gleiten. Die dunklen Ziegeldächer glänzten vom Frost der vergangenen Nacht und an den Rinnen hingen Eiszapfen so lang wie ein Mann. Das war der wahre Norden. Eisige Kälte, Atemwolken, die man in die Luft ausstieß, Schnee hoch wie ein Mensch und ein Wind, der einem sagte, dass der Winter hier war. Jedoch war es ein verhältensmäßig milder Winter. Das hatten alle gemerkt und, was es bedeutete, wussten auch alle. Wenn dieser Winter mild war, wurde der nächste umso härter.

Er rieb sich die Augen und fuhr sich dann mit der Hand durch sein Haar.

Nachdenklich stand er am Fenster und runzelte immer wieder die Stirn. Die letzten Wochen seit sie wieder zurück waren, waren anstrengend gewesen, da sich die Routine wieder einstellte. Seine kleine Frau musste nach wie vor hart arbeiten und war Abends dank der Alpträume oft stets müde. Dennoch war sie, den Göttern sei Dank, nicht wortkarg und sie unterhielten sich viel, was er genoss. Wenn sie auch noch schweigen würde, wäre seine Ehe und die andauernde Enthaltsamkeit wohl kaum zu ertragen.

Regan fuhr zusammen, als er die Auswirkungen seiner Gedankengänge am Körper spürte. Frustriert biss er die Zähne aufeinander und blickte über die Schulter hinweg zu dem Mädchen, das dort in seinem riesigen Bett schlief. Zu gerne würde er sich jetzt zu ihr gesellen, sie mit Küssen und Streicheleinheiten wecken und sie dann zu seinem zu machen, aber er erinnerte sich schlagartig wieder an das, was sie ihm anvertraut hatte. Beinahe zeitgleich ließ die Spannung in seinem Körper nach und er blickte zurück aus dem Fenster.

Es hatte ihn mehr als nur geschockt, was sie ihm erzählt hatte.

Sie war so jung, so unschuldig und hatte schon so vieles durchgemacht. Er spürte, dass, wenn er sie jetzt darum bitten würde, sie bereit dazu wäre. Aber er wollte sie schlichtweg nicht drängen, nachdem er erfuhr, was ihr Hauslehrer ihr angetan hatte. Seit diesem Abend fragte er sich immer wieder, was mit dem Mann geschehen war, der versucht hatte, sie als Zwölfjährige zu vergewaltigen. Zumindest wusste er, was hier in Woberok geschehen wäre.

Hätte jemand versucht, die Prinzessin zu entehren, hätte ihn ein grausames Schicksal ereilt und in dieser Hinsicht war sein Vater auch nicht gnädig. Man hätte ihm die Ohren abgeschnitten und den Sack und wahrscheinlich hätte man ihm sein Geschlecht bis in den Himmel lang gezogen, um ihn anschließend zu erhängen. Ein Tod, wie es so ein Scheusal verdiente.

Schnaubend stieß er sich vom Fensterbrett ab und ging zum Bett. Als er sich auf die Bettkante setzte, verzog Kira im Schlaf das Gesicht und eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauen. Sanft drückte Regan den Daumen zwischen ihre Brauen und sofort entspannte sich ihre Miene.

Leicht lächelnd blickte er auf sie herunter.

Sie war so schön.

Diese Gedankengänge hätte er bis vor kurzem niemals zugelassen, zumahl sie sich noch nicht lange kannten. Dennoch fühlte es sich an, als wäre es bereits eine Ewigkeit. Seine Gesichtszüge wurden ungewollt weich, wenn sie in der Nähe war und jeden Abend, wenn sie gemeinsam ihr Abendmahl in den Gemächern, zur Abwechslung fern von fremden Augen, einnahmen, spürte er die Verbundenheit zu ihr. Ihre Nähe beruhigte ihn und ließ ihn den Stress des Altags vergessen. Außerdem spürte er allmählich die Gefühle für sie in ihm aufkeimen. Jedes Mal, wenn sie nach ihm erschöpft in ihre gemeinsamen Gemächer kam und sich ihre schönen grünen Augen bei seinem Anblick aufhellten, hüpfte sein Herz freudig in seiner Brust.

Plötzlich regte sie sich unter ihm und unterbrachen seine Gedanken.

»Hm...«, seufzte sie und blinzelte verschlafen.

Er grinste. »Geht es dir besser?«

Sie runzelte kurz die Stirn, als würde sie nicht verstehen. »Was meinst du?«

»Letzte Nacht?«, stellte er die Gegenfrage und hob eine Braue. »Du bist wieder schreiend aufgewacht. Kovir musste dir ein Schlafmittel geben.«

Ihr Gesicht schlief ein. »Wirklich?«, fragte sie entsetzt und richtete sich neben ihm auf.

Er nickte. »Ich habe nach Hilfe gerufen, weil ich nicht wusste, was ich tun soll. Dir schien der Kopf zu schmerzen, bis du endlich eingeschlafen bist. Kovir will dich heute noch einmal sprechen deswegen.«

Verwirrt strich sie sich eine ihrer rostroten Strähnen hinters Ohr und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Dabei sah sie einfach nur wunderbar aus.

»Hast du es vergessen?«

Langsam nickte sie mit dem Kopf. »Ich weiß gar nichts mehr... es war so seltsam.«, murmelte sie und schüttelte den Kopf, bevor sie ihn anlächelte. »Es tut mir leid, dass ich dich wieder geweckt habe.«

Besorgt neigte er den Kopf und griff nach ihrer kleinen Hand. Auch dieses Gefühl war so neu für ihn, dieses leichte Kribbeln im Bauch, wenn er sie berührte und das starke Bedürfnis, sie nur zu halten und vor allem zu beschützen. Er wusste, dass die Nacht, die sie erlebt hatte, an ihr nagte und er wünschte sich nichts sehnlicher, als diese Gedanken für immer zu vertreiben.

»Du solltest zu Kovir gehen«, überging er ihre Entschuldigung.

Sofort senkte sie den Blick und er spürte die Anspannung ihrer Muskeln unter seiner Hand. Sie wollte nicht, aber das war unwichtig. Sie musste endlich ihre Dämonen loswerden und über die Dinge sprechen und, wenn sie schon nicht mit ihm über ihre Alpträume sprechen wollte, dann eben mit diesem alten Mann.

»Bitte, Kira«, flüsterte er.

Sie starrte weiterhin stumm auf ihre ineinander verschlungenen Hände.

»Kira«, bat er leise und hob ihr Gesicht sanft mit seiner freien Hand an. »Bitte. Ich kann nicht mehr schlafen neben dir... und jede Nacht zerfrisst mich der Gedanke daran, dass du dich im Schlaf so quälst. Du willst nicht mit mir darüber reden...«

Sie schüttelte den Kopf. »Es reicht schon, dass du dir Vorwürfe machst, weil wir einander nicht nahe sein können. Aber mit Kovir...?«

»Vielleicht kann er dir helfen?«

Sie seufzte. »Lässt du mich in Ruhe, wenn ich zu ihm gehe?«

Regan nickte aufrichtig.

Er spürte, dass es Kira missfiel, sich dem alten Heiler anzuvertrauen, aber mit irgendjemandem musste sie sprechen, damit sie das Erlebte nicht zerstörte.

 

Nachdem Kira sich angezogen, mit ihm das Morgenmahl eingenommen und die Gemächer schließlich verlassen hatte, zog auch er sich an, um seinen täglichen Aufgaben nachzugehen. Es hieß schließlich nicht, nur, weil er der Prinz war, dass er auf die faule Haut legen konnte. Und so folgte er in voller Montur - Rüstung, Umhang und Schwert - dem gleichen Weg, den er jeden Morgen nahm. Er grüßte den Wachposten am Burgtor, das in die Stadt führte, dann bog er ab und machte sich auf den Weg zur Königskaserne. Dort angekommen ertönte bereits das Klirren von Stahl.

Thorald stand oberkörperfrei auf dem Übungsplatz, seine Haut dampfte in der morgendlichen Kälte vor Hitze und er stieß den Atem stoßweise aus, während er Ferrin eine Unterweisung in der Schwertkunst zu geben schien.

Regan blieb einen Moment stehen und beobachtete das Spektakel, als Raphael zu ihm stieß und sich die Faust auf die Brust schlug, zum Zeichen des Grußes.

»Er macht sich gut«, bemerkte Regan nachdenklich, als er Ferrins flinke Ausweichmanöver beobachtete, während der große schwere Thorald versuchte mit dem Breitschwert nach ihm zu langen.

Raphael nickte zustimmend und verschränkte die Arme vor der Brust. »Allerdings. Wenn Kaidan nächsten Sommer seinen Rang zum vollwertigen Soldaten erreicht, bin ich mir sicher, dass Ferrin seinen im Winter nächstes Jahr inne hat. Der Bursche lernt schnell und ich bin mir sicher, dass es auch das ist, was ihn antreibt.«

»Das oder das Schicksal seiner Mutter und seiner Schwester. Ein Junge wie er hätte nicht auf diese Weise zum Mann werden sollen.«, murmelte Regan.

Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie eines Wintertages vor zwei Jahren durch die Stadt geritten waren, auf dem Weg zu einer Patrouille, als sie das Häufchen Elend auf der Straße vorgefunden hatten. Ferrin war damals halb verhungert gewesen, die Knochen hatten hervor gestanden und für einen dreizehn Jahre alten Burschen war er erstaunlich ernst gewesen, in den Augen die Wahrheit der ganzen Welt. Er hatte erlebt wie grausam die Welt sein konnte und, was man für einen Preis für einen Krümel des Ruhms zahlen musste.

»Ich erinnere mich daran, als wäre es heute, als wir ihn vor diesem Bordell aufgelesen haben.« Raphael beobachtete, wie Ferrin eine geschickte Seitwärtsrolle machte, um einem donnernden Schlag auszuweichen.

Regan erinnerte sich genauso gut daran. Der Junge war dreizehn Jahre in diesem Bordell aufgewachsen, seine Mutter musste eine Hure gewesen sein, die von irgendeinem ihrer Freier einen Bastard empfangen hatte. Dieser war Ferrin. Jahrelang hatte er im Auftrag des Bordellbesitzers die Gäste bestohlen, während seine Mutter ihr Geld damit verdiente, sich von sämtlichen Männern vögeln zu lassen. Bis seine Mutter plötzlich starb, woran wollte er nie sagen, und man ihn vor die Tür setzte. Draußen hätte er nicht lange überlebt und so war er halb verhungert, dreckig und mit Flöhen zu seiner Truppe gestoßen. Eigentlich durfte kein dahergelaufener Bastard ein Soldat werden, jedoch hatte sich Regan persönlich für den Burschen eingesetzt und nun wurde er schon zwei Jahre lang zum Soldaten ausgebildet. Nächstes Jahr wäre seine Ausbildung abgeschlossen und er wäre ein Woberoker mit Titel und Ansprüchen. Er dürfte ein Haus in der Oberstadt besitzen, eine bürgerliche Frau heiraten und Kinder in die Welt setzen, die nicht den Titel Bastard tragen mussten.

Es erfüllte Regan mit Stolz, dass aus dem kleinen verdreckten Straßenbengel ein Mann Woberoks geworden war.

Doch Regan hatte keine Zeit, um weiterhin in Erinnerungen zu weilen. Er musste etwas mit Raphael und den anderen besprechen, was fürs Erste unter ihnen bleiben musste. Etwas Ernstes.

Als Regan und Raphael in der Kaserne verschwanden und sich ein ruhiges Besprechungszimmer suchten, ging Regan immer wieder das Thema durch den Kopf, das er gleich anschneiden würde. Die Situation war ernst und er wusste, dass auch der König unruhig schlafen musste, angesichts dieser Sache. Es nagte an ihm und Regan musste es endlich jemanden anvertrauen, denn sein Vater war zu sehr damit beschäftigt über alles nachzugrübeln, statt etwas zu tun.

Im Besprechungszimmer legte er den Umhang ab und setzte sich an einen runden Tisch, auf dem eine Platte mit Obst und ein Krug mit Bechern stand. Sofort schenkte er sich etwas von dem süßlichen Obstwein in einen Becher und nahm einen Schluck.

»Wenn du zu solcher Stunde schon Alkohol trinkst, muss es ernst sein.«, bemerkte Raphael, als auch Thorald, Ferrin, Ofnak und Kaidan zu ihnen stießen.

Ofnak fuhr sich erschöpft über das Gesicht, was nur daher rühren konnte, dass auch er kaum ein Auge mehr zutat. Der junge Axtkrieger hatte nämlich seit kurzem Nachwuchs, denn seine Frau hatte einen kleinen Jungen geboren. Dieser schien die jungen Eltern die Nacht über wach zu halten.

»Deswegen wäre das Eheleben nichts für mich«, brummte Thorald und nahm einen kräftigen Schluck Wein. »Das Geplärre der Bälger und die Frauen zieren sich im Bett, als hätten sie einen Mann noch nie nackt gesehen.«

Regan biss die Kiefer zusammen.

Oder sie zieren sich aus anderen Gründen, schoss es ihm durch den Kopf.

Ofnak überging Thoralds Kommentar. »Warum hast du uns alle hier her geholt, Regan? Es muss ernst sein, wenn du mich zu so einer Zeit aus dem Bett holst. Ich habe versprochen, heute auf unseren Sohn aufzupassen, damit Reana zum Markt kann. Sie war stinksauer.«

»Womit will sie dich strafen? Nicht mehr die Schenkel zu spreizen?«, bemerkte Thorald.

Ofnak funkelte ihn an. »Kannst du auch an andere Dinge denken, als daran, wie eine Frau unterhalb ihrer Kleider aussieht? Es nervt!«

Thorald hob unschuldig die Hände. »Das ist es doch, was jeden von euch interessiert. Die Klinge und Sex, ist es nicht so?«, fragte er aufgebracht. »Unser lieber Herr Prinz kann auch kaum an etwas anderes denken, als seinen Pinsel einzutunken, tut aber so, als wäre alles andere interessanter. Bei den Göttern, es steht dir ins Gesicht geschrieben! Man könnte beinahe meinen, dass du deine Frau noch nie gevögelt hast.«

Regan fuhr hoch und knallte die Fäuste auf den Tisch. »Thorald, hör auf! Hier hat es niemanden von euch zu interessieren, was meine Frau und ich im Bett tun. Oder was Ofnak und sein Weib im Bett tun! Ich habe euch wegen ernsten Angelegenheiten her gerufen und zur Abwechslung brauche ich euren Rat!«

Thorald schwieg und starrte griesgrämig in seinen Becher.

Tief durchatmend setzte sich Regan wieder auf seinen Stuhl und verdrängte alle Gedanken an seine Frau, die ihn ablenken könnten. Er musste nun an wichtigeres denken. Es gab Dinge, die seine volle Aufmerksamkeit erforderten.

»Vor meiner Hochzeit ritt ich nach Ikard«, begann Regan und blickte seine Männer an. »Ich redete dort mit Lord Caspian. Er begann die ganze Zeit etwas von einem Militärlager an der Grenze zum Wilderergebirge zu errichten, angeblich, um die Wilderer auf Abstand zu halten und die Dörfer um Umkreis zu schützen.«

Raphael schwieg und hörte nachdenklich zu.

Auch die anderen waren still und warteten, bis ihr Anführer weiter sprechen würde.

»Ich glaube, dass es einen anderen Grund für sein Vorhaben gibt, dort ein Militärlager zu errichten.«, fuhr Regan fort. »Ich meine, auf unserer Patrouille behauptete jeder Kommandant, dass seine Tore nur aus Sicherheitsgründen so gut bewacht werden. Fandet ihr es nicht auch seltsam, dass beinahe doppelt so viele Wachen die Tore und Mauern bewachten, als üblicherweise vorgesehen?«

Thorald legte eine Hand an sein Kinn. »Ich selbst stelle die Anzahl der Wachleute zusammen. Ich weiß genau wie viele Torwachen gerade an der Zugbrücke stehen, auf der Mauer des inneren Rings. Ich weiß sogar, wie viele im Moment pissen gehen dürfen! Es stimmt, Regan. Das ist mir auch aufgefallen«, bemerkte er. »Für gewöhnlich sind es sechs, es waren auf der Patrouille immer mindestens zehn.«

Ofnak nickte nachdenklich. »Zehn Augenpaare sehen mehr, als sechs.«

Regan ballte eine Hand zur Faust. »Die Frage ist, wozu sie so viele Augenpaare brauchen und, weshalb das Königshaus davon nichts weiß.«

»Man stellt nicht umsonst so viele Wachen auf«, meldete sich Kaidan zu Wort. »Zwar war ich nicht bei der Patrouille dabei, ich bin ja erst zum Schluss zu euch gestoßen, aber, wenn ihr sagt, dass euch das seltsam vorkommt, dann muss etwas dahinter stecken.«

Regan wandte sich an Raphael, der noch nichts dazu gesagt hatte. »Was denkst du darüber?«

Er beobachtete, wie Raphael gedankenverloren an seinem Becher herum spielte, die Flüssigkeit im Innern hatte er noch nicht angerührt. Als Regan ihn ansprach, hob er den Kopf und verzog den Mund. »Das klingt alles nach einer Verschwörung, wenn du mich fragst. Vor allem glaube ich, dass ein Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen und dem fenraler Deserteur besteht.«

Regans Augen wurden größer. »Der Deserteur?«

Raphael nickte entschlossen. »Jetzt sieh doch mal. All diese Zufälle und niemand will etwas darüber wissen? Sehr verdächtig, wenn du mich fragst.«

»Das stimmt«, meinte Ferrin leise und hob die Hände, um von seinen Fingern abzuzählen. »Das Militärlager, das Euer Schwager zur Verteidigung bauen will. Die verstärkten Wachposten und die nichts ahnende Haltung der Kommandanten. Und ein fenraler Deserteur, der ganz in der Nähe unserer Jagdgesellschaft im Wald umher lief, betrunken, wie wir im Nachhinein festgestellt haben. Er muss doch irgendwoher Alkohol genommen haben, um betrunken zu werden und was tut er in voller Rüstung im Wald? Dass er die Prinzessin überfallen hat, war vielleicht nur Zufall. Aber der Rest...?«

Thorald grinste finster. »Du hast einen scharfen Verstand, Kleiner.«

Ferrin zuckte die Schultern. »Das stinkt doch alles zum Himmel.«

»Da hat Ferrin ausnahmsweise mal Recht«, sagte Ofnak. »Der Fenraler war betrunken, woher soll er den Alkohol nehmen, wenn kein Lager im Wald gefunden wurde? Ich war selbst bei einer der Suchkommandos dabei, die der König nach dem Überfall auf deine Frau entsandt hatte. Und glaube mir, jeder meiner Männer an diesem Tag war auf Blut aus. Sie alle bewundern deine Frau und wollten Vergeltung für das, was man ihr beinahe angetan hätte. Es wurde nicht einmal eine erloschene Feuerstelle gefunden!«

Regan seufzte frustriert.

Das alles ergab überhaupt keinen Sinn. Natürlich waren diese Vorfälle auf irgendeine Art und Weise miteinander verbunden, aber noch ganz erschloss sich ihm der Sinn nicht. Ferrins Überlegungen waren klug und wohlmöglich hatte jemand die Kommandanten Woberoks bestochen, um die Wachen zu verstärken und Caspian wusste vielleicht auch mehr, als er zugeben mochte. Wollten sie sich wohlmöglich alle vor einer Invasion schützen, die von Seiten Fenrals drohte? Aber welchen Zusammenhang gab es dann mit dem mysteriösen Boten, den ein Spion Woberoks an der woberokischen Grenze abgefangen und in die Hauptstadt gebracht hatte? Und was hatte der Brief zu bedeuten, dessen Siegel eine rote Flamme darstellte, das Zeichen des Hauses Kartan? Was hatte die Familie seiner Frau damit zu tun, dass Woberoks Außenposten seine Wachsamkeit erhöhen sollte? Gab es einen Pakt zwischen Fenral und Kartan, um Woberok anzugreifen?

»Mein Vater hat vor ein paar Wochen einen Boten abgefangen«, gestand Regan, um alle Karten offen zu legen.

»Einen Boten?«, hakte Thorald mit zerfurchter Stirn nach.

Regan nickte ernst und blickte in die Runde. »Er trug einen Brief, in dem stand, dass alle Kommandanten ihre Wachsamkeit erhöhen sollten. Der Bote selbst sagte nichts, aber... aber der Brief trug die rote Flamme Kartans.«

Ofnak machte große Augen und meldete sich als Erster zu Wort. »Die Flamme? Dieses Symbol ist doch bereits über dreihundert Jahre alt. Wenn Kartan einen Brief schickt, dann zeigt er doch immer den Löwen. Das Wappentier des Hauses.«

»Früher verwendete man jedoch die Symbole der alten Zeit.«, entgegnete Raphael. »Kartan mit der Flamme, Woberok mit dem Eiskristall und Fenral mit dem Berg. Es war die Entscheidung neuer Könige, jedem Haus ein Wappentier hinzuzufügen, als...«

Heftig schüttelte Regan den Kopf. »Wir kennen alle die Legenden der alten Zeit. Und wir wollen sie nicht weiter ausführen. Es waren dunkle Zeiten, beherrscht von Finsternis. Aber irgendjemand scheint sich diesen alten Zeichen zu bedienen.«

»Vielleicht jemand, mit dem deine Frau bekannt ist?«

Regan starrte Thorald unverständlich an. Was sagte er da?

»Was?«

Thorald zuckte die Schultern. »Schließlich hat sie den Abend auch von Drachen gesungen in ihrem Lied. Auch wenn kaum jemand mehr die Sprache kann, aber wir haben es doch alle verstanden. Und diese Zeichen stammen immerhin aus der gleichen düsteren Zeit wie diese Sprache. Meinst du nicht, das Haus deines Eheweibes könnte etwas damit zu tun haben?«

Regan fuhr hoch und kippte dabei seinen Becher um, wobei sich der Inhalt über den Tisch ergoss. »Wag es nicht noch einmal in meiner Anwesenheit meiner Frau einen Verrat zu unterstellen. Sie ist Woberok treu ergeben, sie verließ ihre Heimat, um mein Weib zu werden. Und jeder hier weiß, wie sehr sie sich anstrengt, um ein Teil dieses Königreiches zu werden!«

Thorald sprang ebenfalls auf und beugte sich vor, forderte ihn wie so oft heraus, doch diesmal war sein Blick nicht schelmisch, sondern finster. »Aber sie wird immer eine Kartanerin bleiben, geboren von der Löwin und fremd in diesem Land. Du kannst gerne versuchen, zu ignorieren, wer sie ist, aber sie wird immer ein Kind des Feuers bleiben. Nachkomme der Verräter unseres Reiches und eines Tages wird sie hier regieren. Du weißt es doch. Ein König ist in Wahrheit nur der Schein, denn in Wahrheit kontrolliert seine Königin alles, was er denkt und tut, nur, indem sie sich des Nachts ein wenig leicht bekleidet und einem Hirngespinste ins Ohr flüstert. Sie wird noch einmal dein Untergang sein.« Damit drehte der Krieger sich um und stürmte aus dem Raum.

Regan stand da und starrte ihm hinterher.

Wenn Regan jemals gedacht hatte, dass man Kira hier akzeptiert hatte, wurde er spätestens in diesem Augenblick eines Besseren belehrt.

Kapitel 28

 

Zwei Wochen vergingen, nachdem Regan sein Wissen mit seinen Männern geteilt hatte. Thorald wagte sich kaum noch in die Nähe seines Kommandörs, da er wahrscheinlich ahnte, welch einen Groll er nun gegen ihn hegte. Schließlich hatte Thorald nicht nur ihn, sondern auch seine Frau angegriffen, was Regan nicht länger duldete. Daraufhin war es ruhig geworden im Norden. Die Tage zogen vorüber und das Leben war gut, wenn Kiras Alpträume nicht wären. Doch auch das ließ nach, seitdem sie mit Kovir gesprochen hatte. Manchmal schreckte sie stumm aus dem Schlaf empor, aber wenigstens schrie sie nicht länger, sodass Regan wenigstens des Nachts zur Ruhe kam. Dennoch spürte er eine immer währende Anspannung bei seinem Vater, der Spione entsandt hatte, herauszufinden, was es mit diesen seltsamen Vorkommnissen auf sich hatte.

Aber Regan verließ sich nicht auf die Männer, auf die sich sein Vater verließ.

Er schickte selbst zwei Spione aus, um zu erfahren, was genau los war.

Er erwartete sie allerdings nicht allzu bald zurück.

Während das alles stattfand, rückte das Fest zum Jahreswechsel immer näher. Am Abend dieses Festes wurde Wein und Met in großer Menge ausgeschenkt und die Männer und Frauen im Bergfried hatten sich in der Festhalle zusammen gefunden, um den Jahreswechsel gebührend zu feiern. Ganz Woberok liebte dieses Fest, da es das baldige Ende des Winters ankündigte. Auch auf dem Marktplatz in der Stadt würden die Bürger mit Wein, Met und gutem Essen feiern. Auf dem Lande rings um Woberok würden die Menschen in ihren Hütten ihre besten Getränke und Speisen auf den Tisch bringen und den Göttern für einen warmen Sommer und den milden Winter danken.

Musik spielte laut, während die Stimmen der Feiernden im Saal tobten und Regan beobachtete, wie Kira sich auf einer gepolsterten Bank am Rand des Saals mit Freyer unterhielt, die völlig euphorisch etwas zu erzählen schien. Ihre Armbewegungen waren ausladend und gestenreich. Grinsend nahm Regan noch einen kräftigen Schluck seines Obstweins und konnte für einen kleinen Moment die Sorgen vergessen. Zwar hatte es ihm ziemlich zugesetzt, als er von Thorald zu hören bekam, dass seine Frau, das Mädchen, das ihm immer mehr bedeutete, scheinbar immer noch nicht akzeptiert wurde in Woberok, aber er verdrängte diese düsteren Gedanken.

»Ich glaube, ich muss gleich mal ein Mädchen aufreißen«, brummte Kaidan neben ihm und blickte in die Richtung, in der eine kleine Gruppe junger Mädchen standen, die alle prächtige Kleider zum Festanlass trugen.

Regan hob eine Braue. »Sei vorsichtig, wenn du dir eines dieser Mädchen aussuchst.«, bemerkte er und stützte den Ellenbogen auf der Tischplatte ab. »Von allen drei sitzen die Väter im oberen Rat von Woberok. Ich würde mich nicht mit einem von ihnen anlegen, wenn du seiner Tochter die Unschuld raubst und vielleicht noch einen Bastard in die Welt setzt.«

Kaidan wurde blass. »Jetzt wo du es sagst... die Nasen und hohen Wangenknochen haben mir eh nicht zugesagt.«

Regan lachte leise. »Weil man ja auch etwas gegen hohe Wangenknochen einzuwenden hätte.«

»In der Tat. In Sachen Wangenknochen macht deiner Frau so leicht niemand etwas vor. Ich nehme an, es wird diese Nacht laut in euren Gemächern?«, grinste Kaidan ihn an.

Regan seufzte und folgte seinem Blick zu der jungen kartanischen Prinzessin, die nun herzhaft über etwas lachte, was Freyer sagte. Ihre weißen Zähne blitzten auf und ihre roten Wangen, ließen seine Hormone verrückt spielen. Zu gerne würde er Kaidans Worten Glauben schenken, dass es zwischen ihnen diese Nacht soweit sein könnte, aber Regan war sich unsicher, ob es wirklich dazu kommen würde. Vielleicht musste er Kira noch ein wenig Zeit geben, damit sie sich näher kamen. Bisher hatten sie nicht mehr geteilt, als ein oder zwei flüchtige Küsse, leichte Berührungen und ein paar pikante Worte.

Plötzlich wurde Kaidan von einem jungen Mädchen von seinem Platz gezerrt und auf die Tanzfläche vor ihnen geschleift. Es war eine der Töchter der Ratsmitglieder und der junge Bogenschütze zuckte nur unschuldig grinsend mit den Schultern, als Regan den beiden lachend hinterher sah. Dann griff er nach seinem Becher und ließ den Blick schweifen, da bemerkte er plötzlich vom Durchgang, der zu seinen Gemächern führte, dass die Holztür, die zuvor verschlossen gewesen war, gerade geschlossen wurde.

Wer verschaffte sich gerade Zutritt zu seinen und Kiras Gemächern?

Er drehte den Kopf zurück zum Festsaal.

Kira saß nach wie vor auf der kleinen Bank neben Freyer und Raphael war zu den beiden Frauen gestoßen und hatte ihnen Wein gebracht, während sie sich unterhielten. Es konnte also nicht seine Frau sein, obwohl sie den einzigen Zweitschlüssel zu seinen Gemächern besaß.

Regan entschuldigte sich kurz von der Tischrunde und stand auf. Langsam ging er zum Durchgang und grüßte die Wachen, die an den Seiten standen, um trotz der Feier für Sicherheit zu sorgen, bevor er auf dem langen, einsamen Gang stehen blieb. Die Musik des Festes erklang selbst noch hier, zwar gedämpft aber laut genug, um zuhören zu können, während er darauf wartete, dass die Person wieder aus seinen Räumlichkeiten hinaus treten würde.

Nach nur wenigen Momenten öffnete sich die Tür und Regan starrte das Mädchen vor ihm verdutzt an.

Es war Igred.

Sie stockte kurz und starrte ihn mit großen blauen Augen erschrocken an, als hätte man sie bei etwas Schlimmen erwischt. Dann schloss sie langsam die Tür hinter sich und kam die drei Stufen zögerlich hinunter, bevor sie vor ihm auf dem Gang stand.

»Was tust du hier?«, fragte er ernst, betonte jedes Wort, das er sagte mit mehr Nachdruck.

Igred biss sich von Innen in die Wange und strich sich nervös eine ihrer blonden Locken hinters Ohr. »Ich... ich wollte dich sprechen.«, murmelte sie dann zögerlich.

Regan runzelte die Stirn. »Meine Gemächer sind leer, wie du weißt.«

»Das habe ich auch bemerkt«, antwortete sie.

»Was hast du da drinnen gemacht? Du weißt ganz genau, dass ich bei meinem Vater am Tisch sitze und dem Fest beiwohne.«

Sie verzog unwillig das Gesicht und zuckte die Schultern. »Ich hatte es halt vergessen. Das ist doch jetzt auch unwichtig, oder?«, zischte sie giftig und schob sich an ihm vorbei und lief den Gang entlang bis zur Eingangshalle.

Aber so leicht war Regan nicht abzuschütteln. Er folgte ihr in einigem Abstand und fing sie schließlich im Innenhof, wo Stille herrschte ab. »Igred, jetzt bleib verdammt noch mal stehen! Du sagtest, du wolltest mit mir reden. Worüber?«

Igred blieb stehen und seufzte, wobei sie weiße Atemwölkchen in die eisige Abendluft ausstieß. Sie zitterte leicht vor Kälte, da sie nur ein einfaches Dienergewand trug und noch nicht einmal ein Schultertuch hatte, das sie wärmte. Sie hatte sich kein Bisschen für das Fest hübsch gemacht, was sie sonst jedes Jahr tat. Sie hatte immer Bänder in ihrem aufwändig frisiertem Haar gehabt und jedem gezeigt, dass selbst eine einfache Magd umwerfend aussehen konnte. Jedoch war es noch zu der Zeit gewesen, als sie des Kronprinzen Geliebte gewesen war.

Sie drehte sich langsam zu ihm um und ihr Gesicht verzerrte sich, als ob sie Schmerzen litt. »Worüber glaubst du, wollte ich sprechen? Ich vermisse dich, Regan und dir scheint das alles vollkommen egal zu sein. Hast du dich einmal gefragt, wie ich mich am Tage deiner Hochzeit fühlte?«

Er starrte sie für wenige Augenblicke ratlos an. Natürlich hatte er oft an sie gedacht. Sehr oft sogar, vor allem in den Nächten, in denen sich Kira ihm entzog, weil ihr die Berührungen unangenehm gewesen waren und er den Grund dafür noch nicht gekannt hatte. Er hatte sich oft gefragt, wie es nun wäre, wäre Igred sein Weib. Er wusste, wie viele wilde Nächte er mit ihr verbracht hätte. Wahrscheinlich wäre sie in ihrer Hochzeitsnacht nicht vor Morgengrauen zum Schlafen gekommen, so wild hätte er sie genommen. Und ihm waren die Jahre, die sie gemeinsam verbracht hatten selbstverständlich auch nicht gleichgültig. Sie war das erste Mädchen, das er länger als zehn Minuten neben sich ertragen hatte, weil sie nie den Anspruch gestellt hatte, sie solle ihm etwas bedeuten. Aber seit dem Tag seiner Hochzeit war etwas anders geworden. Kira war so unverhofft in sein Leben gestolpert. Ein Mädchen, das er niemals erwartet hätte, zu mögen. Er hatte von seinem Leben mit ihr erwartet, dass sie eine steife Kartanerin sein würde, so wie man es sich durchs ganze Land von ihrer Mutter erzählte. Und er hatte gedacht, dass er sie immer nur dann sehen würde, wenn er Abends mit ihr zu Bett ging, dass sie seine Söhne austrug und sie ansonsten nichts verbinden würde. Regan stellte fest, dass sie jetzt, obwohl sie noch kaum intimen Kontakt gehabt hatten, mehr verband, als ihn mit Igred.

Er senkte den Blick. »Igred«, sagte er ernst, aber sie fiel ihm ins Wort.

»Verdammt, Regan!«, knurrte sie und sah ihn hilflos an, ihr Gesichtsausdruck wirkte verzweifelt. »Ich habe dich geliebt. Ich hätte alles für dich getan, alles. Und du wirfst zehn Jahre, unsere zehn Jahre, einfach so in den Dreck. Und für was?«

Sofort sah er sie an. »Igred, nicht...«

»Für dieses kleine kartanische Flittchen«, knurrte sie und funkelte ihn eifersüchtig an. »Was hat sie bitte, was ich nicht habe? Sie ist dürr und eine Fremde in diesem Land! Sie kann dir niemals geben, was du brauchst. Wie soll sie aus ihrem Kindskörper jemals einen Sohn herauspressen?«

»Das geht dich nichts mehr an«, sagte er streng und blickte sie finster an. »Hör auf, so von meiner Frau zu reden. Unsere zehn Jahre sind mir gewiss nicht gleichgültig, aber sie ist meine Zukunft. Nicht du!«

»Du redest von deiner Frau? Sie könnte beinahe deine Tochter sein!«

Regan packte sie am Oberarm. »Du solltest nachdenken, bevor du den Mund aufmachst.«

Sie starrte ihn an. »Ich liebte dich«, flüsterte sie und berührte seine Hand. »Fühlst du überhaupt nichts?«

Er schüttelte unwillig den Kopf. »Ich fühle nur noch die Erinnerungen an früher... aber ich habe nie Liebe für dich gefühlt, Igred. Das sagte ich dir damals und auch heute.«

»Aber es hat sich doch nichts verändert, Regan.«

»Alles hat sich verändert! Ich bin ein verheirateter Mann, Igred! Kein Prinz mehr, der auf eine Geliebte aus ist. Dort drinnen sitzt meine Ehefrau und ich habe ihr vor dem Altar geschworen, ihr treu zu sein. Und ich habe nicht vor, diesen Eid zu brechen. Sie ist meine Zukunft, sie ist die Frau, die meine Kinder auf die Welt bringen wird. Die Frau, mit der ich alt werden will. Sie ist mein und ich gehöre zu ihr. Und du bist meine Vergangenheit. Ich will das nicht verdrängen, weil wir gute Jahre hatten, aber, wenn du es wagst, dich zwischen sie und mich zu stellen, dann erwarte keine Gnade.«

Igred starrte ihn fassungslos mit ihren großen blauen Wasseraugen an, in denen sich die Tränen sammelten. »Liebst du sie etwa?«

Regan stutzte.

Diese Worte brachten ihn durcheinander. Er wusste es selbst nicht so genau. Die letzten Wochen hatte er oft mit Kira gesprochen, er hatte viel Zeit mit ihr verbracht und er kannte ihre dunkelsten Dämonen, die sie die ganze Zeit geplagt hatten. Außerdem hatte er mit ihr viele schlaflose Nächte verbracht, nachdem sie von dem Fenraler angegriffen worden war und so waren sie sich unweigerlich näher gekommen. Zwar fehlte bei alldem, was er mit ihr erlebt hatte, das Körperliche, das er zuvor so ausgiebig mit Igred ausgelebt hatte, aber er bemerkte plötzlich, dass das nicht mehr den Hauptteil seiner Beziehung ausmachte.

Doch konnte er schon von Liebe sprechen?

Nach so kurzer Zeit, die sie sich kannten?

Er wusste es selbst nicht so genau und wollte auch nicht unbedingt mit seiner vergangenen Flamme darüber sprechen, bevor er sich nicht selbst im Klaren über seine Gefühle war.

»Liebst du sie?!«, knurrte sie ihn an.

Er starrte sie mit unverholenem Zorn an. »Lass es sein, Igred. Ich spreche nicht mit dir über meine Gefühle gegenüber meiner Frau.«

»Also liebst du sie nicht. Und mich auch nicht? Ist das dein Ernst?«

»Hör auf! Es ist vollkommen egal, was ich fühle. Ich liebe dich nicht und für uns gibt es kein Zurück. Akzeptier es endlich und halte dich aus meinem Leben raus.«

»Kein Zurück?«, schnurrte sie plötzlich und ihre Körperhaltung wurde ganz weich, als sie die Hand hob und an seine Wange legen wollte.

Aber Regan fiel nicht länger auf diese Spielchen rein. Er kannte diese Art von ihr, um ihm ihren Willen aufzudrängen und er ließ sich nicht länger von ihr manipulieren. Dafür kannte er sie zu gut. Er packte ihr Handgelenk fest und blickte ihr finster in die Augen, um zu zeigen, dass das alles für ihn kein Spiel mehr war. Sie versuchte ihn hier öffentlich zu verführen, während seine kleine Frau nichts ahnend im Festsaal saß und sich mit seiner Cousine unterhielt. Nein. Auf dieses Niveau würde er sich niemals herab begeben.

»Fass mich nicht an.«, zischte Regan und machte sich von ihr los.

Sie blickte ihn erschrocken an.

»Halt dich fern von mir«, sagte er noch ernst, dann wandte er sich ab und ging wieder ins Innere des Bergfrieds.

Innerlich hoffte er, dass Igred sich seine Worte zu Herzen nehmen würde. Er wusste, dass er ihr damit sehr weh tat, aber es ging nun einmal nicht anders, damit sie endlich verstand, dass ihre gemeinsame Zeit endgültig zu Ende war und eine neue Frau in sein Leben eingekehrt war und dort bleiben würde. Kira war alles, was er im Moment wollte und auch Igreds süffisante Anäherungsversuche würden daran nichts ändern können.

Er trat wieder in die Festhalle und stellte fest, dass Kira nicht mehr auf der Bank saß.

Bei den Göttern... hatte sie etwas mitbekommen? Schließlich hatte er ihr noch nicht von Igred erzählt, da er bisher nicht den Mut aufgebracht hatte und sich keine passende Gelegenheit geboten hatte. Zumahl er Angst vor ihrer Reaktion hatte. Er selbst wusste, wie er reagiert hatte, als sie Harris für ihren Liebhaber gehalten hatte und nicht für ihren Bruder. Wie würde sie reagieren, wenn er ihr sagte, dass er bis zu ihrer gemeinsamen Hochzeit eine Liebschaft mit einer Magd hatte, die sie auch noch regelmäßig bediente.

Regan rieb sich unschlüssig über den Nacken und trat zu Raphael, der ein Gespräch mit Ofnak und dessen Frau begonnen hatte.

Er grüßte Ofnak und Reana, die gesund und munter aussah. Vermutlich kümmerte sich jemand anderes um ihren kleinen Sohn, den sie vor wenigen Wochen geboren hatte.

»Hat jemand Kira gesehen?«

Raphael nickte und schluckte rasch den Wein hinunter, den er getrunken hatte. »Sie sagte, sie ist müde und wolle sich schlafen legen.«

Regan runzelte die Stirn. »So früh?«

Ofnak zuckte die Schultern.

Nachdenklich blickte Regan zum Durchgang, durch den man rasch zu seinen Gemächern gelangte, dann runzelte er die Stirn. Ob sie doch etwas mitbekommen hatte von seiner Auseinandersetzung mit Igred? Sie war nicht dumm und naiv, sie würde eins und eins zusammenzählen können, nachdem worüber sie gesprochen hatten. Hoffentlich hatte sie nicht so herausgefunden, was einst zwischen den beiden war. Falls doch, würde der Jahreswechsel sicher nicht angenehm für ihn verlaufen.

»Ich sehe mal nach ihr. Danke.«, murmelte Regan und bahnte sich einen Weg durch die feiernden und tanzenden Menschenmassen, um zurück zu seinen Gemächern zu gelangen.

 

 

Nachdenklich saß ich in unseren Gemächern auf der kleinen Bank vor meiner Staffelei und runzelte immer wieder die Stirn. Ich hatte mich von den Festlichkeiten zum Jahreswechsel zurückgezogen, da nun allmählich die Phase anbrach, in der so gut wie jeder Mann betrunken herum torkelte und sich die Frauen langsam vom Fest entfernen sollten. Außerdem hatte ich Kopfschmerzen von den vielen Informationen, die auf mich eingeprasselt waren. So hatte ich mir in unseren Gemächern endlich dieses furchtbar unbequeme Kleid abgestreift und hatte ein kurzes Nachthemd übergezogen, das am Dekolleté mit Spitze versehen war und mir bis zur Hälfte des Oberschenkels reichte. Dann hatte ich mir mein Schultertuch genommen, es um mich geschlungen und hatte den Kamin angefacht. Nun prasselte ein wunderbar heißes Feuer im Kamin und füllte den Raum mit angenehm dichter Wärme.

Ich blickte auf das Tuch in meinen Händen und biss mir auf die Unterlippe.

Zwar wusste ich nicht genau, ob es eine gute Idee gewesen war, da ich noch immer zu wenig darüber wusste, aber es hatte sich richtig angefühlt, als ich heute Mittag zum Schmied gegangen war, um endlich einen Ring für Regan anfertigen zu lassen. Vinz, ein Mann mittleren Alters mit Glatze, die im Schein der Glut glänzte, und einem Krausbart, hatte genauso ausgesehen, wie man sich einen Nordmann vorstellte. Er war der königliche Schmied von Woberok und fertigte die Waffen für die königliche Festungswache und die Männer des Königshauses. Also hatte er sowohl das große Breitschwert des Königs, wie auch das silbrig glänzende Schwert von Regan geschmiedet. Als ich ihm sagte, wer ich war, hatte er freundlich gelächelt. Und, nachdem er den Grund für mein Auftauchen kannte, war er völlig hin und weg gewesen. Wir hatten uns sofort wunderbar verstanden und er hatte mich an einen großen warmherzigen Bären erinnert, als er meinen Gegenstand entgegen nahm, um daraus Regans Ehering zu fertigen.

Jedoch hatte mich der Rest des Abends mehr als durcheinander gebracht.

Als ich vorhin mit Freyer bei dem Fest auf einer kleinen gepolsterten Bank am Rand des Geschehens saß, hatte die gute Stimmung sofort nachgelassen. Sie sah am Boden zerstört aus, denn, wie sie mir anvertraute, es kamen keine Briefe mehr von Rickon. Ich war völlig verwirrt, da ich doch gemeint hatte, dass es Rickon ernst war. Er stürzte sich nicht Hals über Kopf in irgendwelche Dinge, um dann einen Rückzieher zu machen. Schon gar nicht, wenn es um so etwas Ernstem ging, wie eine mögliche Heirat ins Königshaus, was das frisch geschmiedete Bündnis zwischen Kartan und Woberok nur noch mehr stärken würde.

Freyer erzählte, dass sie den letzten Brief vor drei Wochen abschickte, in dem sie ihm gestand, dass sie sich in ihn verliebt habe. Danach folgte keine Erwiderung und sie fürchtete schon, dass sie etwas falsch gemacht hatte, aber ich versicherte ihr, dass es nicht an ihr lag. Rickon würde sich nicht von solchen Worten abschrecken lassen. Es gab bestimmt genug Männer, die das taten, aber nicht mein Bruder.

Das beschäftigte mich doch sehr.

Was war in meiner Heimat nur los?

Was taten meine Brüder?

Warum hatte sich Harris noch nicht einmal gemeldet?

Was machte Tristan?

All diese Fragen bereiteten mir Kopfzerbrechen und ich spürte ein leichtes Puckern an der Stelle, an der der Soldat Fenrals geschlagen hatte. Zwar war die Wunde längst verheilt, nicht einmal eine Narbe war zurückgeblieben, aber ab und zu schmerzte die Stelle dennoch.

Ich legte das kleine Tuch mit Regans fertigem Ring zur Seite und kuschelte mich enger zusammen, als sich die Tür mit einem Mal öffnete. Zögerlich trat Regan in unsere Gemächer ein und schloss die Tür.

»Geht es dir gut?«

Ich blinzelte ein wenig. »Ja, warum nicht?«

Er schüttelte den Kopf, dann lächelte er leicht. »Nur, weil Raphael und Ofnak sagten, du hättest dich verabschiedet, um zu Bett zu gehen.«

»Ich hatte nur ein wenig Kopfschmerzen von der lauten Musik. Außerdem dachte ich, dass du hier bist, weil du auf einmal weg warst.«, sagte ich lächelnd und stand auf.

Sein Blick fiel sofort auf meine nackten Beine und wurde dunkel. »Ich war nur kurz raus frische Luft schnappen.«

Ich schlang das Tuch enger um mich und senkte den Blick auf meine Füße. »Ich habe nachgedacht.«

Regan legte den Kopf schief und kam langsam auf mich zu. Sanft nahm er meine Hand in seine und spielte zärtlich an meinen Fingern herum. »Über was?«

»Über uns«, murmelte ich kaum hörbar und hob den Kopf, wobei ich ihn beinahe in den Nacken legen musste, weil er mich beinahe um zwei Köpfe überragte.

»Uns?«

Ich nickte. »Du warst so lieb zu mir, als ich jede Nacht durch die Alpträume aufgewacht bin.«, erklärte ich ihm und seufzte zittrig, als ich die Anziehungskraft zwischen uns beinahe mit Händen greifen konnte. »Und ich bin dir dankbar, dass du... so umsichtig warst in der Hochzeitsnacht.«

»Kira«, seufzte er genüsslich.

Ich atmete zitterig ein. »Regan... danke.«, flüsterte ich und streckte mich ihm entgegen.

Er lehnte nur sanft die Stirn an meine. »Ich muss dir etwas sagen.«

»Was?« Spürte er denn nicht, dass ich bereit dazu war?

»Ich hatte vor dir schon etwas mit einer Frau.«, gestand er.

»Und? Ich war mir sicher, dass du nicht vollkommen unschuldig bist«, flüsterte ich grinsend.

»Nein«, sagte er ernst und griff sanft nach meinem Gesicht. »Direkt vor der Hochzeit... ich hatte eine Geliebte. Und habe unsere Beziehung vor der Hochzeit beendet, aber... sie ist eine deiner Mägde. Eine blondhaarige und sie ist eifersüchtig... Ich weiß, ich hätte es dir vorher sagen sollen, aber...«

Er hatte eine Geliebte gehabt, das wollte er mir damit sagen. Es war also die Blonde, die mich immer so seltsam ansah und nun kannte ich den Grund dafür. Weil sie früher einmal mit meinem Mann das Bett geteilt hatte und mich für einen Eindringling hielt. Ich wusste erst nicht, wie ich reagieren sollte, aber die Tatsache, dass er mir davon erzählte, beruhigte mich.

Ich schüttelte den Kopf. »Hör auf«, flüsterte ich und beugte mich zu ihm. »Das ist Vergangenheit.«

»Es ist nicht schlimm für dich?«

»Nein«, murmelte ich leise und legte meine Hände auf seine Brust. »Und jetzt küss mich.«

Er sah mich einen Moment lang durch seine eisig blauen Augen an, die mich so sehr faszinierten, bevor er sich zu mir herunter beugte, mein Gesicht noch immer zart zwischen seinen Händen. Dann presste er seine Lippen besitzergreifend auf meinen Mund und ich keuchte an seinen Lippen benommen auf. Hitze schoss mir durch sämtliche Gliedmaßen und eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen und Beinen. Ein Zittern kroch meinen Körper empor, ließ mich, mich noch näher an ihn pressen.

Für einen Moment kam der Gedanke, dass es sich falsch anfühlen könnte, weil ich wieder an damals denken musste. Aber Regan war nicht so. Sein Körper war stark und fest und fühlte sich nur gut an meinem an. Er würde mich beschützen und zwar vor allem und jedem. Und er würde mir niemals weh tun.

Er seufzte an meinen Lippen auf und ließ einen Arm um meinen Rücken gleiten, um mich näher an ihn zu drücken und ich schlang die Arme um seinen Nacken. Es fühlte sich einfach nur unglaublich an.

»Regan«, flüsterte ich atemlos.

»Was ist los?«, wollte er besorgt wissen.

Ich lächelte und löste mich ein Stückchen von ihm, um ihm in die klaren Augen zu sehen. »Bitte«, wisperte ich.

Auf seinem Gesicht erschien ein schiefes Grinsen. »Erinnerst du dich noch daran, was ich dir am Morgen nach unserer Hochzeitsnacht sagte?«, raunte er mit rauer Stimme, ehe er wieder hervor schoss und erneut Besitz von meinem Mund ergriff.

Ich quietschte leise auf, vergrub meine Finger in seinem kurzen, rabenschwarzen Haar, um ihn enger an mich zu ziehen. Meine Gefühle spielten verrückt, mein Kopf war wie leer gefegt, während er meinen Körper immer fester an sich drückte, sodass zwischen uns kein Blatt Papier mehr gepasst hätte. Mein Körper wurde von einer plötzlichen Hitze erfüllt, die ich so noch nicht kannte. Es schien, als käme sie aus meinem Innern und schien sich auf ihn zu übertragen, denn er wurde ungestümer. Leidenschaft flammte auf, wie ein lodernes Feuer, das sich durch einen Wald fraß.

Er ließ von meinem Mund ab und vergrub das Gesicht in meiner Halsbeuge.

Ich keuchte benommen auf, als seine Lippen meine empfindsame Haut liebkosten.

So etwas hatte ich noch nie erlebt. Seine Leidenschaft zu spüren, sein Begehren...

»Sag es, Kira«, murmelte er an meinem Hals und sein warmer Atem tanzte über meine Haut.

»Bitte...«, wimmerte ich und biss mir auf die Unterlippe.

Ich spürte ihn an meiner Haut grinsen. »Oh nein, Prinzessin. So nicht...« Seine Hand fuhr über mein Gesäß zur Rückseite meiner Oberschenkel.

»Bitte«, flehte ich. »Schlaf mit mir.«

Das Grinsen wurde breiter und plötzlich fuhr ein Ruck durch meinen Körper und Feuer knisterte zwischen uns. Er hob mich ohne große Kraftanstrengung auf seine Hüften und blickte mir tief in die Augen, sodass ich mir vollkommen nackt und schutzlos vorkam. Das Schultertuch war auf dem Boden gelandet und meine Hände klammerten sich an seinen Schultern fest, während ich zurück starrte. Leicht hob ich eine Hand und legte sie an seine Wange, berührte mit dem Daumen seine Unterlippe. Dann brach das Feuer aus und sein Mund fiel über meinen her, ich klammerte mich so fest an ihn, wie ich konnte, als er mich zu seinem gewaltigen Bett trug.

Meine Gedanken verschwammen und alles war vergessen.

Der Fenraler im Wald.

Meine Kindheit.

Der Hauslehrer.

Seine Geliebte.

Alles.

Es gab nur uns beide.

Und ich fühlte noch nie mehr Vertrauen zu einem Menschen, wie zu ihm.

Feuer.

Eis.

Flammen der Leidenschaft.

Kapitel 29

 

Meine Haut stand in Flammen.

Als Regan mich vor dem Bett wieder auf den Boden stellte, sah ich benommen zu ihm auf. Seine Augen wirkten dunkel wie die See und sein Blick hing auf mir, als wäre ich das Wichtigste auf der Welt für ihn. Und ich spürte ein neues Gefühl in mir aufkeimen. Ein Gefühl, das ich bis dahin noch nicht gekannt hatte. Ich fühlte mich begehrenswert. Zu Anfang dieses Abenteuers hatte ich nicht geglaubt, mich jemals so zu fühlen. Nicht einmal, als ich in der Hochzeitsnacht nackt unter ihm gelegen hatte und gefürchtet hatte, Schmerzen erleiden zu müssen. Doch jetzt, als er mir diesen dunklen, lüsternen Blick zuwarf und sich auf die Unterlippe biss, fühlte ich mich weiblicher denn je. Er wollte mich und das zu spüren, war unglaublich.

Zart wanderte Regans linke Hand über meine Wange, dann zu meinem Hals und meinem Kinn, um meinen Kopf anzuheben. Ich gehorchte ihm, tat, was er wollte, denn ich spürte, dass er gerne die Kontrolle über die Situation behalten wollte.

Im Gegenzug jedoch schob ich sachte meine Finger unter sein lockeres Leinenhemd. Seine Bauchmuskeln erzitterten unter meinen Händen und ich kaute mir sehnsüchtig auf der Unterlippe herum. Entschlossen schob ich den Stoff nach oben und Regan erleichterte mir meine Erkundungstour, indem er sich rasch das Hemd über den Kopf streifte. Dabei sah ich zu, wie sich seine Muskeln im Halblicht bewegten. Der Feuerschein tanzte über seine leicht angebräunte Haut, brach sich in den Hügeln und Tälern seiner Muskeln und mein Bauch begann zittrig zu kribbeln bei dem Anblick.

Neugierig ließ ich die Finger über seine Haut gleiten, als das Hemd zu Boden fiel.

Mein Zeigefinger berührte die Narben auf seinem Körper. Er hatte eine schlimme Narbe, die seinen Bauchnabel entzwei teilte, dann zwei kleinere auf seinen Bauchmuskeln und die Narbe, die ihm der Keiler im Wald zugefügt hatte und die ich genäht hatte. Ich berührte auch diese und er erbebte unter meiner Berührung. Er trat noch näher, sodass ich seinen warmen Atem im Haar spürte. Er streichelte über meinen Arm, zu meiner Schulter hinauf und diese Berührung jagte Feuer über meine Haut. Ich kaute mir wieder auf der Lippe herum, bis er den Daumen daran legte und sie aus meinen Zähnen befreite.

»Heute Nacht bin ich der Einzige, der an dieser Lippe herum kaut, verstanden?«

Ich sah ihn benommen an, mein Verstand war vollkommen ausgeschaltet und mein Körper hörte nur noch auf die niedersten Triebe in mir. Wie konnte ein Mann, einen so willenlos machen und mich in einen alles verschlingenen Rausch versetzen, sodass ich kaum mehr einen zusammenhängenden Satz heraus bekam? Es war verrückt!

Er beugte sich schlagartig vor und presste seine Lippen auf meine. Ich schaffte es kaum zu antworten, konnte nur seinen leidenschaftlichen Kuss erwidern, in einen Strudel aus Gier und Lust versinken, als er seine Worte wahr machte und meine Unterlippe zwischen seine Zähne nahm. Ich keuchte erstickt auf, da der leichte Schmerz vom Ziehen seiner Zähne an meiner Lippe, mir direkt zwischen die Schenkel fuhr. Bei den Göttern! Wie gut sich das anfühlte!

Dieses Gefühl hätte ich niemals erreicht, wenn ich mich, wie in dem Badezuber, selbst berührt hätte. Dieses Gefühl vermochte nur ein Mann auszulösen!

Seine Hände umklammerten meine schmale Taille, bis sie hinauf zu meinen Schultern wanderten und die dünnen Träger meines Nachthemdes ergriffen. Sanft schob er sie mir die Arme hinunter und ein kühler Lufthauch streifte meine freigelegten Brüste. Mit einem Mal fühlten sie sich wunderbar schwer und gereizt an, sodass sich meine Knospen aufrichteten. Ich seufzte sehnsüchtig und erstarrte, als Regan von meinem Mund abließ.

Plötzlich sank er vor mir auf die Knie und streifte das Nachthemd immer weiter hinunter. Über meine Taille, meine Hüfte, meinen Hintern bis meine Beine herunter, sodass es sich letztendlich um meine Knöchel raffte. Das war es also. Ich stand nackt und zitternd vor ihm, jedoch nicht wie damals vor Angst. Ich zitterte in gespannter Erwartung, in Sehnsucht und Lust, die er noch kaum gestillt, sondern immer weiter angefacht hatte. Ich traute mich kaum, ihn in seinem Tun zu stören und mich zu bewegen, sodass ich reglos vor ihm stand und hinunter sah.

Leicht lehnte er sich vor und drückte seinen Mund auf meinen Bauch, da er selbst in der Hocke so groß war, dass er mich problemlos überall küssen könnte. Ich legte benebelt den Kopf in den Nacken und vergrub meine Finger leicht in seinem Haar, spürte, wie er meine glatten Unterschenkel berührte, mich wahnsinnig machte. Langsam wanderte sein Mund hinauf, tauchte in meinen Nabel ein und ich stöhnte zum ersten mal heiser auf. Aber er ließ sich nicht beirren, küsste sich weiter hoch bis zwischen meine Brüste, die er jedoch nicht anrührte.

Frustriert blickte ich ihm in die dunklen Augen, die mich begierig musterten, bevor er wieder den Mund auf meinen drückte. Ich schmeckte den Geschmack meiner Haut auf seinen Lippen, als er die Arme um mich schlang und mich an sich drückte. Es war ein unglaubliches Gefühl, wie sich meine Brüste gegen seinen kraftvollen Oberkörper drückten, Haut auf Haut. Regan hielt mein Gesicht in einer Hand und vergrub das Gesicht an meinem Hals. Aber das war mir nicht genug. Ich wollte mehr! Wollte ihn überall spüren.

Meine Finger griffen an den Bund seiner Hose und rissen ungeduldig an dem Gürtel herum.

Er packte meine Oberarme und schob mich ein Stück zurück.

Auf seinem wundervollen Gesicht lag ein verschlagenes Grinsen.

Er wusste genau, wie willenlos er mich machte.

»Ich bitte um ein wenig mehr Geduld, Euer Majestät«, grunzte er und griff an den Gürtel, um ihn zu öffnen.

Bitterböse blickte ich zurück. »Du kennst mich mittlerweile, ich habe keine Geduld.«

»Eine grantige Katze habe ich da erwischt.«, murmelte er und zog den Gürtel aus den Schnallen. Er krachte zu Boden und mit meiner kurzzeitigen Selbstbeherrschung war es dahin.

Ich begnügte mich damit, seine Bauchmuskeln zu berühren, während er die Schnüre der Hose öffnete.

Und dann rutschte der Stück Stoff auch schon zu Boden. Zwar hatte ich das Geschlecht eines Mannes schon einmal gesehen, aber aus dieser Nähe und ohne Angst davor zu haben noch nicht. Er war groß... um nicht zu sagen, gigantisch für meine Verhältnisse. Ich schluckte leicht und fragte mich ernsthaft, wie er in mich hinein passen sollte, ohne mir ernsthaften Schaden zuzufügen. Aber in dieser Hinsicht musste ich wohl Vertrauen zu Regan haben.

Ich legte leicht den Kopf schief, während er sich runter beugte, um seine Beine aus der Hose zu befreien und die Schuhe auszuziehen. Er sah... unglaublich aus. Feines schwarzes Haar kräuselte sich von seinem Bauchnabel hinunter bis zu seinem Glied, rahmten es ein. Er war wirklich... schön.

Wieder musste ich mir auf die Lippe beißen und wurde sogleich von ihm ermahnt.

»Was habe ich eben gesagt?«

Ich seufzte frustriert und stand unschlüssig vor ihm, wusste nicht, was ich machen sollte. Da waren wir nun. Er stand vor mir, ein Gott von einem Mann. Sein durchtrainierter Körper war die Versuchung einer jeden Frau, seine markanten Gesichtszüge waren gierig und verlangten nach mehr. Aber ich... ich war so... dünn. Meine winzigen Brüste wölbten sich ihm gierig entgegen, aber ich hatte das Gefühl, nicht genug zu sein. Wie immer tauchten die Zweifel auf.

»Willst du mich wirklich?«, fragte ich zweifelnd und sah zu ihm auf.

Er legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue. Seine Miene war spöttisch.

»Meinst du das ernst?«, raunte er und deutete an sich herunter.

Ich schnappte nach Luft, als ich bemerkte, dass er erregt war. Sein Glied zuckte unruhig in meine Richtung.

»Du bist alles, was ich will«, flüsterte er mir zu und seine Stimme klang rau.

Er küsste mich wieder und unsere Körper schmiegten sich zum ersten Mal nackt, wie uns die Götter geschaffen hatten, aneinander und es fühlte sich perfekt an. Mein zierlicher dünner Körper passte perfekt an seine starke männliche Brust. Seine Arme schlangen sich um mich und unsere Finger erkundeten den anderen auf stürmische, wilde Art. Seine Hände berührten meine Brüste, die genau die richtige Größe zu haben schienen, meine Brustwarzen wölbten sich in seine Handflächen, während meine Hände über seinen Rücken, Nacken und durch sein Haar wanderten. Alles wurde begleitet von unserem erregten Keuchen und Stöhnen. Bis er mich irgendwann herum wirbelte und mich mit dem Rücken an seine Brust presste. Seine Hände lagen auf meiner Taille, seine Lippen auf meinen freien Nacken, nachdem er mein Haar nach vorne gestrichen hatte.

Ich legte den Kopf in den Nacken, damit er meinen Hals küssen konnte.

Und das tat er... und noch mehr.

Seine Hand wanderte hinunter und ich quietschte auf, als er sie zart zwischen meine Beine schob.

Ich schloss die Augen und atmete geräuschvoll ein und aus.

Seine Finger glitten sanft zwischen die Hautfalten und ich erschauderte, als ich ein glitschiges Schmatzen hörte. War ich etwa feucht geworden?

Er atmete tief ein, sodass sich seine Brust an meinem Rücken stark hob und senkte, dann biss er mir vorsichtig ins Ohrläppchen und zog daran.

»Regan...«, seufzte ich seinen Namen vor Sehnsucht und legte meine Hand auf seine, die sich zwischen meinen Beinen noch immer bewegte.

»So weich«, raunte er, um mich anzustacheln. »Und... haarlos. Macht man das in deiner Heimat so?«

Ich öffnete blinzelnd die Augen und nickte. »Ja... die adligen Mädchen... sie müssen immer...«

Sein Grinsen drückte sich gegen meine Haut. »Es gefällt mir.«

Ich erschauderte und kniff die Augen zu, als er den Zeigefinger plötzlich über einen sehr empfindsamen Knoten gleiten ließ und mehrmals darüber rieb. Meine Füße begannen zu kribbeln bis hinauf zu meinen Fingerspitzen. Bei den Göttern, das fühlte sich unglaublich an!

»Regan, bitte! Bitte...«

»Habe ich dir nicht versprochen, dass du betteln würdest?«

»Ja, bei der Götter Willen! Nimm mich doch endlich!«, knurrte ich und drückte gegen seine Hand, um ihn daran zu hindern, dass ich explodieren würde, wenn er weiter machte.

Er ließ blitzartig von mir ab, wirbelte mich herum und packte meine Taille, um mich hoch zu heben. Ich schlang benommen die Arme um ihn und schrie erstickt auf, als er mich auf seine Hüfte setzte. Ich spürte sein Glied direkt an meinem Po, als er mich zum Bett trug und mich darauf ablegte. Das weiche Laken unter mir reizte meine übersensible Haut bis aufs Äußerste, als ich zum Kopfende rückte, um ihm Platz zu machen. Wie ein Raubtier krabbelte er auf das Bett und beugte sich über mich.

Meine Hände streckten sich seinem Gesicht entgegen und zogen es zu mir herunter. Ich küsste ihn so leidenschaftlich, wie ich es vermochte, um ihm zu zeigen, wie sehr er mich um den Verstand brachte. Wie viel er mir bereits bedeutete. Langsam senkte er seinen Körper auf mich, bedeckte mich mit seinem wundervollen Körper und stützte sich neben mir mit den Unterarmen auf dem Bett ab. Leicht spreizte er meine Schenkel mit seiner Hüfte, drängte sich an meine bereits sehr feuchte Mitte.

Ich öffnete keuchend den Mund an seinen Lippen, als sein heißes, pulsierendes Geschlecht an meinen glänzenden Hautfalten rieb.

Er seufzte leise, als würde er diesen Hautkontakt genauso sehr genießen wie ich.

Zu allem Überfluss bewegte er dazu auch noch leicht die Hüfte auf und ab.

»Oh Gott, du machst mich wahnsinnig«, knurrte er.

»Frag mich mal«, flüsterte ich zurück und öffnete die Augen.

Er sah benebelt zu mir herunter, seine Augen waren beinahe schwarz in dem dunklen Halblicht, sein Haar war von meinen Fingern völlig zerwühlt und seine Lippen von unseren Küssen genauso geschwollen, wie meine. Er begehrte mich... bei den Göttern, mich! Das hätte ich niemals für möglich gehalten.

Für mehrere Augenblicke herrschte Stille zwischen uns, die nur von unserem erregten Keuchen gefüllt wurde, da er die Spitze seine Gliedes immer wieder über meine Lustperle rieb. Seine Hand legte er an meinen Oberschenkel, der nicht einmal so breit wie sein Oberarm war. Dann lehnte er die Stirn schwer atmend an meine und sog meinen Duft tief in seine Lungen ein.

Ich konnte kaum glauben, was wir hier im Begriff waren zu tun. Es fühlte sich so ganz anders an, als ich immer erwartet hatte. Hatte meine Mutter doch recht mit dem, was sie mir kurz vor meiner Abreise nach Woberok erzählt hatte? Dass es unglaublich war? Sich so unfassbar gut anfühlte?

Plötzlich presste sich Regans Geschlecht zwischen meine Beine und ich keuchte erstickt auf. Meine Hände krallten sich in seine Schultern, als ich einen stechenden Schmerz spürte, je tiefer Regan sich in mich drückte. Er keuchte angestrengt an meiner Schulter und ich quietschte leise auf. Der Druck war unangenehm, je weiter er in mich vordrang. Der Schmerz glich einem Insektenstich bloß im Innern, aber dennoch war es unangenehm. Ich bog den Rücken durch, versuchte mich ihm zu entziehen, doch da traf auch schon sein Unterleib auf meinen und wir atmeten beide zitterig ein und aus. Meine Brust klebte an seiner und ich spürte seinen heißen Atem an meinem Hals.

Benommen blinzelte ich, als ich ihn in meinem Innern spürte.

Es war... seltsam. So anders, als ich gedacht hatte.

Meine Finger lösten sich von seinen Schultern und er hob gleichzeitig den Kopf, um mir in die Augen zu sehen. Sein Blick war angespannt, er suchte in meinen Augen nach Zeichen des Schmerzes.

Ich lächelte ihn beruhigend an, denn der Schmerz war beinahe komplett verschwunden. »Wow«, murmelte ich leise.

Er grinste schief. »Das ist noch gar kein Ausdruck.«

Völlig hypnotisiert von seinem Lächeln, hob ich die Hand und strich zart mit den Fingern über seine Lippen. Er öffnete den Mund und saugte meinen Daumen ein, liebkoste ihn mit seiner Zunge und diese winzige Berührung zwischen uns, jagte ungeahnte Schauer in meinen Unterleib, ließ ihn zusammen krampfen. Er keuchte und ließ von meiner Hand ab, die ich an seine Wange legte.

»Gott, bist du eng«, flüsterte er erstickt und ich spürte, wie sehr ihn mein Körper erregte.

Mein Körper! Das hätte ich niemals bei einem Mann wie ihm für möglich gehalten!

Ich öffnete den Mund und atmete laut ein und aus, als er sich sachte aus mir zurückzog. Er achtete dabei auf jede noch so kleine Reaktion in meinem Gesicht, bis er vollkommen aus mir heraus geglitten war. Er rieb mit seiner feuchten Spitze erneut über mein nasses Geschlecht und diese Berührung jagte Hitzewellen durch meinen elektrisierten Körper. Ich stöhnte leise und genüsslich, als er sich wieder in mir versenkte. Diesmal mischte sich nur eine kleine Spur Schmerz in das überwältigende Gefühl ihn in mir zu haben. Meine freie Hand lag an seiner Seite, während er sich mit einem Arm über meinem Kopf abstützte, die Hand des anderen hatte meinen Oberschenkel fest gepackt, um Halt zu haben. So schob er sich langsam in mich, dann wieder raus.

Meine Wangen glühten bei den Gefühlen, die er in mir weckte.

Lust, Begehren, unstillbaren Hunger nach mehr.

Er löste seine Hand von meinem Oberschenkel und rieb mit dem Daumen über meine Brust, sodass sie begann unter seiner Berührung erneut zu erblühen. Ich legte den Kopf in den Nacken und bog meinen Rücken zu einem Hohlkreuz, um ihn intensiver zu spüren. Meine Beine presste ich fest an seine Seiten, wimmerte nach mehr, spürte seinen heißen Mund an meiner anderen Brust. Es fühlte sich so gut an!

»Bitte, Regan!«, stöhnte ich ungehemmt.

Vor ihm musste ich mich nicht mehr verstecken. Ich musste nicht mehr so scheu und zurückhaltend sein. Ich konnte sein, wer ich war. Wenigstens zu einem großen Teil.

Er bog meine Beine enger an meinen Körper, sodass ich an meinem Unterleib nichts anderes fühlte, außer ihn. Er schob sich so tief in mich, dass mir Sterne vor den Augen tanzten. Dann beugte er sich tief über mich, seine Lippen schwebten vor meinen und ich blinzelte benommen, sah das intensive Eisblau seiner ausdrucksstarken Augen. Er beobachtete mich ganz genau.

»Was möchtest du, Prinzessin?«, wollte er wissen und ließ seine Hand lasziv zwischen meine Beine gleiten.

Ich keuchte auf und musste die Augen schließen.

Es war so intensiv.

»Mach was, dass es aufhört... dieses unerträgliche Ziehen!«, wimmerte ich flehend.

Er sagte nichts, verharrte so in mir, sodass ich die Augen öffnete.

Er grinste mich schief an. »Du weißt nicht, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe.«, murmelte er und strich mir zart über meine Wange, die glühend rot sein musste. So fühlte es sich jedenfalls an.

Ich schrie erstickt auf, als er sich ruckartig aus mir heraus zog und mich gebieterisch auf die Seite derigierte. Benommen sank mein Kopf seitlich ins Kissen, ich spürte, wie er sich neben mir ebenfalls auf die Seite legte und sich an mein Gesäß presste. Keuchend wartete ich ab, was er tun würde. Regan packte meinen Oberschenkel mit seiner großen Hand und zog ihn von hinten über seine Hüfte, dann ließ er die Hand zwischen meine weit gespreizten Beine gleiten. Ich wimmerte leise, als er mit seiner Hand zwischen meine nassen Hautfalten strich, die Nässe überall verteilte. Ich drehte den Kopf über die Schulter, um ihn ansehen zu können. Sein Gesicht war konzentriert, er achtete noch immer auf jede Regung und, ob es mir noch immer gefiel oder nicht.

Das musste er doch gar nicht überprüfen!

Natürlich gefiel es mir!

Ich legte ihm zur Bestätigung einen Arm um den Nacken und strich an seinem Hinterkopf durch sein dichtes schwarzes Haar, das ich mittlerweile so sehr liebte. Er blickte mir für einen Moment in die Augen, suchte nach meiner Erlaubnis und ich nickte leicht mit dem Kopf. Daraufhin küsste er meinen Nacken und ließ mich erneut wimmernd vor Lust in die Kissen sinken. Er schob sich schnell und kraftvoll von hinten in mich hinein und ich spürte die Spannung in meinem Innern erneut. Wie er mich dehnte und ausfüllte. Wie er mir alles von sich gab und noch mehr. Wir gaben einander hin, spürten die körperliche Lust zum ersten Mal zusammen und es war unglaublich.

Er schob sich langsam in mich, immer wieder, als wolle er die Verbindung zwischen uns so intensiv wie möglich spüren. Wie musste es sich für ihn anfühlen? Meine Gefühle kannte ich sehr gut, aber wie war es für ihn?

Ich keuchte, wimmerte, stöhnte für ihn, um ihn anzustacheln, bis er das Tempo anzog und sich wie ein Pendel in mir versenkte. Sein schwerer Hoden schlug gegen meine empfindsamste Stelle und ließ mich Sterne sehen. Bis sich in meinem Unterleib ein wilder Tornado anbahnte. Das reißende Gefühl wurde immer stärker und ich konnte nur noch heiser ein und aus atmen, als er mich über eine Kante schleuderte, von deren Existenz ich bis hier hin noch nichts geahnt hatte.

Ich schrie auf und mir kamen die Tränen, so intensiv fühlte es sich an.

Ruckartig schob er eine Hand zwischen meine Schenkel, um es in die Länge zu ziehen und ich stöhnte heiser auf.

Plötzlich ging ein Zittern durch seinen Körper und er presste sein Glied so fest zwischen meine Beine, dass ich das Gefühl hatte, aufgespießt zu werden. Laut und kehlig stöhnte er in meinen Nacken, vergrub das Gesicht an meinem Hals und drückte mich besitzergreifend an mich. Ich spürte, wie er in mir pulsierte und das Gefühl ließ mich aufkeuchen. Dann wurde es ganz warm und nass in meinem Innern.

Wir verharrten schwer atmend, um uns von diesem Erlebnis zu erholen.

Es war einfach... unfassbar gut gewesen.

Warum nur hatte ich immer geglaubt, dass es schlimm war? Mit ihm war es wundervoll. Wie sollte das jemals Sünde sein?

Ich leckte mir über die geschwollenen Lippen, spürte, wie er aus mir herausglitt und seinen Samen in mir beließ, als Zeichen, dass ich nun seine Frau war. Er hatte mich zur Frau gemacht, hatte mich als sein Eigentum markiert. Und ich würde immer ihm gehören.

Langsam ließ er von mir ab und küsste meine nackte Schulter, als wolle er sich für diese Nacht bedanken.

 

Blinzelnd öffnete ich die Augen, als Regan mir die weiße, dünne Bettdecke über meinen allmählich auskühlenden Körper legte. Wir hatten eine ganze Weile nur so nebeneinander gelegen, einander zärtliche Berührungen geschenkt, uns geküsst und die Nähe des anderen genossen. Er ließ die Lippen zart über meine Schulter gleiten und vergrub dann anschließend sein Gesicht in meinem Haar.

»Hm... du riechst immer noch nach Rosen. Und das, obwohl wir gerade ziemlich wild miteinander geschlafen haben.«, bemerkte er und ich hörte das Grinsen aus seiner Stimme heraus.

Ich spielte lächelnd mit seinen Fingern. »Obwohl ich Mutters Rosenöl schon ziemlich lange nicht mehr benutzt habe.«, erwiderte ich.

»Du riechst trotzdem nach Rosen. Jedenfalls für mich.«, murmelte er an meiner Haut und sog meinen Duft tief in seine Lungen ein.

Eine Weile lang schwieg ich und genoss es, wie er mir über meine Arme strich, meine Hand nahm und jeden meiner Knöchel einzeln küsste. Diese Berührungen fühlten sich so vertraut und sanft an, dass ich am liebsten in ihn hinein gekrochen wäre. Seine Sanftheit mir gegenüber gab mir ein tiefes Vertrauen, das ich noch nie zu einem Menschen gefühlt hatte. Selbst zu meinen Eltern und meinen Brüder hatte ich nie so ein Vertrauen empfunden, wie zu ihm in diesem Augenblick.

»Hast du sie eigentlich geliebt?«, kam es plötzlich aus meinem Mund.

Er erstarrte augenblicklich, dann richtete er sich hinter mir auf und beugte sich über mich, um mich besser ansehen zu können. Sein Gesicht war ernst.

»Warum willst du das wissen?«

Ja... Warum wollte ich das eigentlich wissen? Ich wusste es selbst nicht so genau. Vielleicht um zu verstehen, was das zwischen den beiden war und, weshalb er die Beziehung zu ihr beendete. Vielleicht wollte ich auch nur hören, dass er sie nicht mehr liebt, wenn er es denn einst getan hatte. Ich wollte wissen, weshalb er sich von ihr lossagte, obwohl es in den Königshäusern nicht untypisch war, dass der Ehemann eine Geliebte neben seiner Ehefrau hatte. Für gewöhnlich war die Ehefrau nur ein Mittel zum Zweck. Sie gebar die Kinder, vertrat das Königshaus nach Außen heraus und brauchte ihren Mann für gewöhnlich nur zu feierlichen Anlässen zu sehen oder, wenn es darum ging, die Ahnenlinie zu sichern.

»Ich weiß nicht genau... es interessiert mich einfach. Ich habe dir so ziemlich alles über mich erzählt, was wirklich wichtig ist. Aus deiner Vergangenheit kenne ich nicht viel. Und dieses Mädchen war doch sicher auch wichtig für dich, oder?«

Er runzelte die Stirn, dann ließ er sich auf den Rücken fallen und seufzte, als hätte er keine Lust darüber zu sprechen.

Hatte ich etwas falsch gemacht? Hätte ich lieber den Mund halten sollen?

Ich setzte mich auf und hielt die Decke an meiner Brust fest, sagte aber nichts, weil ich ihn nicht drängen wollte.

Regan merkte das und seufzte wieder. »Weißt du, ich war als junger Bursche ganz schön... schwierig. Mein Vater schickte mich mit fünfzehn Jahren dort raus in die Welt und wollte, dass ich endlich zum Mann wurde. Fünf Jahre lang, bis ich zwanzig war, pendelte mein Zuhause zwischen all den Außenposten Woberoks herum, die es dort draußen gab. Und... nun ja, als junger Bursche zwischen lauter Männern in den Heerlagern bekommt man einige Dinge mit. Die Kerle dort treiben es mit ihren Frauen nicht brav im Bett, sondern mitten in der Öffentlichkeit und es sind auch nicht ihre Ehefrauen, sondern... Trosshuren. Und so habe auch ich meine ersten Erfahrungen gesammelt.«

Ich senkte den Blick.

Natürlich war das nicht sein erstes Mal, das hatte ich mir selbstverständlich schon gedacht. Und er war schon um einiges älter als ich, deswegen hatte er mehr Lebenserfahrung, das war auch klar. Das Leben eines Mannes verlief eben anders, als das einer jungen Frau. Doch, dass er schon so früh solche Erfahrungen gesammelt hatte...

»Eines Abends, wir lagerten gerade in einem Außenposten nahe der schwarzen Berge, bekam ich im Hurenzelt eine Auseinandersetzung zwischen einer jungen Hure und einem oberen Offizier mit. Sie hatte ihm Geld gestohlen, das sie sich noch nicht verdient hatte.«

»Das war deine spätere Geliebte, oder?«

Regan nickte. »Ihr Name war Igred und sie war gerade einmal sechszehn Jahre alt. So alt, wie du.«

Ich runzelte die Stirn und spielte nervös mit meinen Fingern herum.

»Ich bin dazwischen gegangen und habe mir ein paar Schläge des Offiziers eingefangen, aber letztendlich hat er sie in Ruhe gelassen. Ich nahm sie mit in mein Zelt und habe mich um ihre Wunde gekümmert. Sie hatte eine Platzwunde an der Stirn und sie kümmerte sich um mein Veilchen. Wir kamen uns sehr schnell näher und ich beschloss, sie mit nach Woberok zu nehmen, wo sie ein anderes Leben erwarten sollte. Ich brachte sie bei den Mägden unter und als Gegenleistung, wurde sie meine Geliebte. Dass sie neben mir noch mit anderen Männern schlief, war mir egal. Wir kümmerten uns beide um unsere Dinge und hatten unseren Spaß zusammen. Mehr wurde daraus nicht. Aber sie war zehn Jahre lang meine Geliebte.«, sagte er und berührte meine Hand sanft. »Ich empfinde etwas für sie, ja. Aber es ist keine Liebe.«

Langsam nickte ich und strich mir mit der freien Hand eine Strähne meines kastanienbraunen Haares aus der Stirn. »Wie lange war sie deine Geliebte?«

»Zehn Jahre«, antwortete er. »Mit achtzehn habe ich sie kennengelernt.«

Ich nickte nachdenklich.

»Ist das ein Problem für dich?«

Unwillig verzog ich das Gesicht. »Nein. Ich dachte, es würde mich stören, aber, wenn du sagst, dass zwischen euch nichts mehr ist...«

»Ist es nicht«, sagte er mit fester Stimme und setzte sich ebenfalls auf, sodass die Decke an seinem Oberkörper hinunter rutschte und seine muskulöse Brust freilegte.

Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte, ihn nicht anzustarren. »Dann glaube ich dir das.«

Er lächelte sanft und legte den Kopf schief. »Du bist jetzt meine Zukunft, Kira. Meine kleine Frau.«

»Deine was?«, fragte ich empört und sah ihn beleidigt an. »Kleine Frau?«

»Ich finde den Spitznamen süß«, grinste er.

»Ich bin gar nicht klein«, brummte ich.

Er lachte herzhaft. »Für mich schon. Zu reichst mir ja gerade einmal knapp über den Nabel.«

Ich schnaubte. »Sehr beruhigend«, murmelte ich gereizt, lachte aber, als er mich an sich zog und leidenschaftlich küsste. Ich seufzte genüsslich an seinem Mund und vergrub meine Hände in seinem Haar, bis mir etwas einfiel. »Warte. Ich hab was vergessen!«

Er stutzte, wollte mich aber nicht loslassen, als ich Anstalten machte, mich aus seiner Umarmung zu lösen. »Hat das nicht Zeit bis morgen? Ich will deinen süßen kleinen Hintern eigentlich nicht hier aus dem Bett lassen.«

»Zwei Minuten nur!«, sagte ich aufgeregt und strampelte mich aus seinen Armen frei, stieg aus dem Bett und ließ flink - und nackt - zu der kleinen gepolsterten Bank, um mein Geschenk zu holen, dass ich am Nachmittag doch bei Vinz hatte anfertigen lassen. Das konnte nicht bis morgen warten, schließlich hatte ich dafür drei Stunden in der Kälte gestanden und gewartet, dass es fertig würde.

Ich flitzte zurück ins Bett und unter die warme Bettdecke, kuschelte mich an ihn, dann nahm ich seine Hand und legte das kleine Tuch hinein.

Er runzelte die Stirn, als er sich mit mir an der Seite zurück in die Kissen fallen ließ. Ich schmiegte mich an seine Seite.

»Was ist das?«

Ich grinste. »Mach es auf«, befahl ich und wartete gespannt auf seine Reaktion.

Unsicher faltete er das Tuch auseinander und das glänzende, polierte Metall des Ringes leuchtete im dämmrigen Feuerschein auf. Der Ring war massiv und schwer, genau passend für einen Mann wie ihn. Ich hatte gehofft, dass das Metall reichte, das ich Vinz dafür zur Verfügung gestellt hatte, aber wie durch Zauberhand hatte es tatsächlich für diesen Ring gereicht. Neugierig suchte ich in Regans Blick nach einem Zeichen der Freude. Er sah überrascht aus und drehte den massiven Silberring in seiner Hand, dann blickte er zu mir.

»Freust du dich nicht?« Ich sah ihn fragend an.

»Doch! Doch natürlich!«, sagte er schnell. »Ich hatte nur nicht mehr damit gerechnet, dass du mir einen Ehering schenken würdest. Ich dachte, du hättest es vergessen. Hat Vinz ihn angefertigt?«

»Ja. Ich war heute Mittag bei ihm und habe mir dafür drei Stunden die Beine in den Bauch gestanden.«, sagte ich grinsend und nahm ihm den Ring ab, griff nach seiner Rechten und schob ihn vorsichtig auf seinen Ringfinger. Er passte perfekt. Als ich seine Hand los ließ, drehte er sie im Licht und ballte prüfend die Hand zur Faust. Sein Gesichtsausdruck drückte Zufriedenheit aus, was wohl hieß, dass ihm die Art des Ringes gefiel.

»Woraus hast du ihn anfertigen lassen?«, fragte er und blickte mich neugierig an.

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Aus der Kette, die meine Mutter mir vor meiner Abreise gegeben hat.«

Er machte große Augen. »Die mit dem Flammenanhänger?«

Ich nickte und dachte einmal mehr an mein kleines Buch, die Worte, die darin geschrieben waren und daran, weshalb ich eine Kette besaß, die diese Symbole hatte. Nun hatte ich diese Kette eingeschmolzen, war es das Einzige war, was ich aus Metall besaß, das mir etwas bedeutet hatte. Ich hatte sie von meiner Mutter geschenkt bekommen und nun trug mein Ehemann die Kette als Ring am Finger. Genau das war es gewesen, was ich gewollt hatte.

Regan beugte sich zu mir, griff nach meinem Gesicht und küsste mich. Ich schmolz in seinen Armen wie Butter, krabbelte auf seinen Schoß und ließ mich erneut von ihm in Flammen setzen. Als wir dieses Mal miteinander schliefen war es sanft, gleichzeitig wild und vereinnahmend. Ich schloss immer wieder überwältigt die Augen und wusste innerlich, dass ich mich diese Nacht in meinen Ehemann verliebt hatte.

In meinen Prinzen.

In meinen künftigen König.

Kapitel 30

 

Schlagartig öffnete ich die Augen und fand mich in mitten eines gewaltigen Feldes wieder. Ich lag im Schnee und mein Blick war gen Himmel gerichtet, der glasklar und blau strahlte. Unter mir fühlte ich das kalte weiß an meinen Fingern und blinzelte, als ich den Kopf drehte. Die Kälte kroch mir in die Glieder, ergriff Besitz von mir, schien mich zu verschlingen bis ich nicht mehr atmen konnte. Der Schnee schmolz nicht unter mir, eher schien er seine Kälte auf mich zu übertragen, mir die Körperwärme zu rauben, sie aus mir heraus zu saugen bis mein Herz stolperte.

Ich versuchte mich aufzurichten, aber es ging nicht.

Meine Glieder waren wie versteinert und auf einmal war es, als würde das helle luftige Kleid, das dieselbe Farbe wie der Schnee besaß, mit dem Boden zu verschmelzen. Mich in die Tiefe zu ziehen. Ich spürte eine einzelne eiskalte Träne an meiner Wange hinab gleiten, bevor ich die Augen schloss und mich dem kalten Grab hingab.

Bis ich plötzlich etwas zu fassen bekam.

Es schnitt mir in die Haut. Meine Finger brannten, ein heißer Schmerz schoss mir durch die Adern und ich riss erneut die Augen auf. Ich keuchte, schnappte nach Luft, als eine ungeheure Hitze von meinen Fingern überallhin ausstrahlte. Es fraß sich wie glühende Lava durch meinen Körper, setzte ihn in Flammen, aber auf unangenehme Art und Weise. Ich schrie, so glaubte ich.

Ich brachte all meine Kraft auf, die ich besaß und richtete mich auf.

Meine Augen weiteten sich.

Ein Bär in der Ferne, eine Bestie.

Ein Banner, dessen Wappen mir verborgen war.

Blut, das über den Boden strömte.

Ein Wolf.

Dornen, die stachen.

Eine Warnung. Eine Vorsehung. Eine Prophezeiung.

»Wehre dich nicht länger gegen das, was in deinem Innern schlummert, Akira. Die Zeichen sind deutlich, deine Zeit wird kommen.«

 

Ich fuhr zusammen und riss die Augen auf.

Dunkelheit umpfing mich, mein schwerer Atem und Regans Schnarchen neben mir waren die einzigen Geräusche, die ich vernahm. Unsere Gemächer waren in Finsternis getaucht, der Kamin flimmerte nur noch von der Glut des Feuers vom letzten Abend. Die dünne Bettdecke lag bis zu meiner Brust über meinem Körper und erfüllte ihn mit fiebriger Hitze. Regan hatte sich an meinen Rücken geschmiegt, sein Arm lag über meiner Taille, als wolle er mich sogar noch im Schlaf beschützen. Sein Atem blies mir warm in den Nacken.

Ich schob seinen Arm sanft von meiner Taille fort und setzte mich auf.

Bei den Göttern, was hatte ich da geträumt? Das war alles so wirr... Und diese Stimme, die ich in meinem Kopf gehört hatte. Eine warme Frauenstimme, die mit deutlichem Ernst gesprochen hatte, als hätte mir tatsächlich jemand diese Worte zugeflüstert und nicht Irrsinn aus einem Traum. Und diese Dinge, die ich gesehen hatte. Das Blut im Schnee, ein fremdes Banner, das ich nicht zu deuten vermochte, ein Bär in der Ferne, der unruhig umher streifte. Ein Wolf, dessen goldene Augen mich durchdrangen, als wollte er mir in die Seele blicken. Dieses intensive Gold.

Ich schüttelte den Kopf und blickte auf meine Hand. Verwirrt runzelte ich die Stirn, als ich die vielen geröteten Punkte sah, die sich auf meiner Hand befanden und langsam verblassten. Es brannte.

Benommen rutschte ich an die Bettkante, schlang meine Bettdecke um meinen langsam auskühlenden Körper und stand auf. Ich warf einen kurzen Blick auf meinen Ehemann, der friedlich auf seiner Seite des Bettes schlief. Das schwarze Haar hing ihm ein Stückchen in der Stirn, was ihn noch verwegener aussehen ließ. Bei dem Gedanken an die letzte Nacht musste ich lächeln. Es war unglaublich intensiv gewesen. Er hatte sich meinen Körper zu eigen gemacht, mich genommen, mich zu seinem Weib gemacht. Es hatte sich einfach so unglaublich angefühlt. Und den eisernen Beweis unserer Ehe nun an seinem Finger stecken zu sehen, erfüllte mich mit unfassbarer Zufriedenheit.

Ich verließ kurz unsere Gemächer, spürte dabei die brennende Auswirkung unserer Liebe zwischen meinen Schenkeln. Beim zweiten und dritten Mal, als wir uns diese Nacht zum neuen Jahr liebten, war er weniger vorsichtig gewesen und ich hatte seine Wildheit genossen. Seine Leidenschaft.

Gemächlich schlich ich in die Festhalle. Es musste mitten in der Nacht sein, alle hatten das neue Jahr gefeiert, während Regan und ich uns durch unser Bett gewühlt hatten. Bisher hatte noch niemand aufgeräumt, was die Mägde und Diener später tun würden, wenn die Sonne aufgegangen war. Ich schlang meine Bettdecke fester um mich, um niemanden einen Einblick zu gewähren, falls doch noch eine einsame Wache im Bergfried herum lief. Doch, als ich durch die Reihen der Tische lief, auf denen überall noch Schalen und Krüge mit Lebensmitteln standen, tauchte niemand auf.

Ich setzte mich kurz und ließ alles auf mich wirken.

Obwohl ich diese Nacht diesen seltsamen Traum hatte - bisher hatte ich noch nie so klare Träume gehabt - musste ich sagen, dass ich rundum glücklich war. Meine einzige Sorge, dass ich mich niemals gut mit Regan verstehen würde, hatte sich diese Nacht in Luft aufgelöst. Ich fühlte mich regelrecht verbunden mit ihm. Fühlte ein Vertrauen, das ich noch zu keinem Menschen jemals gefühlt hatte. Ich würde an seiner Seite sein, würde irgendwann, wenn es die Götter so wollten seine Kinder zur Welt bringen. Eines Tages wäre ich seine Königin.

Ich musste lächeln und berührte mit den Fingern meine Lippen dabei.

Ich wusste gar nicht, wann ich in meinem Leben jemals so viel gelächelt hatte, wie seit dem Augenblick, seitdem ich hier war. Die Reise war anstrengend gewesen, hatte mich viele Nerven, viel Anstrengung gekostet. Aber letztendlich bin ich doch Zuhause angekommen. Ich hatte Menschen kennengelernt, die mir bereits jetzt nach knapp drei Monaten fest ans Herz gewachsen waren.

Auf einmal hallten Schritte durch den Saal.

Ich drehte mich auf der Bank um und augenblicklich, als ich ihn sah, wurde das gute Gefühl in mir zunichte gemacht. Mein Magen wurde flau und ich stand sofort auf, um eine Verteidigungshaltung einzunehmen und nicht so verwundbar zu wirken. Woher kam er schon wieder so plötzlich? Er tauchte immer nur zu den Momenten auf, wenn ich vollkommen alleine und schutzlos war.

Gerald kam langsam durch den Mittelgang zu mir geschritten. Er trug ein gewöhnliches Leinenhemd, eine braune Lederhose und kniehohe schwarze Stiefel und lief damit so galant, dass ich glauben könnte, dass er den Jahreswechsel nicht mit Bier oder Obstwein gefeiert hatte.

Ich hatte noch nicht einmal meinen Dolch dabei.

»Was tut Ihr hier?«, knurrte ich und schlang das Bettlaken enger um mich.

Er blieb eine Armeslänge vor mir stehen und legte den Kopf schief. »Das könnte ich Euch auch fragen?«

Ich verzog genervt das Gesicht. »Ich habe Euch zuerst gefragt.«

Er wölbte eine Augenbraue nach oben. »Hm«, merkte er an. »Da habt Ihr allerdings recht. Ich streife nur ein wenig durch die Gegend und als ich Euch gehört habe, da musste ich doch nachsehen, wer da ist. Und siehe da, unsere kleine kartanische Prinzessin ist dort.«

»Ich bin nicht Eure kartanische Prinzessin.«, sagte ich ernst.

»Aber die unseres guten Prinzen Regan von Woberok?«, fragte Gerald und funkelte mich mit seinen unheimlichen, tot aussehenden Augen an. »Jetzt glaubt Ihr vielleicht noch, ihn zu lieben. Aber er ist auch nur ein Mann, der diese Nacht sein Geschenk ausgepackt hat und sah, wie gut man damit spielen kann. Er ist ein Woberoker, nicht anders als die Männer vor ihm, die den Thron bestiegen. Nicht anders, als die Verräter, die alles an sich rissen. Ihr erkennt den Sinn hinter meinen Worten nicht, oder?«

Ich schnaubte. »Nicht wirklich. Ihr redet wirres Zeug.«

Er grinste hämisch. »Noch seht Ihr den Sinn nicht, aber sehr bald schon. Es gibt mehr, als Ihr, als ich, als alle Menschen in dieser Festung. Sehr viel mehr. Denkt an meine Worte, wenn es soweit ist.«

»Wenn was soweit ist?« Sein seltsames Gerede ging mir allmählich auf die Nerven. Ich wollte doch schließlich nur einen Krug Obstwein holen!

»Das, Prinzessin, gilt es herauszufinden.«, murmelte er leise und kam auf mich zu. Ich wollte schon nach ihm schlagen, als er einfach an mir vorüber zog und dann in einer Seitentür am Ende der Halle verschwand.

Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Was für ein seltsamer Mann. Dass er des Nachts hier herum schlich beruhigte mich nicht unbedingt und bevor ich mein Schicksal herausforderte und er eventuell zurück kam, schnappte ich mir einen halbvollen Krug und tapste zurück in meine Gemächer. Regan schlief noch immer, sodass ich mir leise einen Becher schnappte, ihn füllte und das Feuer im Kamin anfachte, da unser Raum bereits auskühlte. Dann stellte ich mich ans Fenster und betrachtete die Stadt im Schein des Halbmondes. Es sah alles so friedlich da unten aus und zufrieden trank ich den süßen Wein, der mir warm in der Kehle brannte. Dabei versuchte ich tunlichst nicht an diese neuerliche, seltsame Begegnung zu denken. Das war mehr als merkwürdig.

Mein Blick glitt über die Häuserreihen der Stadt, die friedlich in dem fahlen Mondlicht dalag. Die Dächer glänzten im Schein des zunehmenden Halbmondes und kleine Fackeln erleuchteten die Hauswände. Ab und zu sah ich Schatten, die sich regten, wenn eine Stadtwache seine Runden drehte, aber ansonsten war alles friedlich.

Plötzlich hörte ich, wie Regan sich im Bett regte und das leise Knarzen des Bettgestells sagte mir, dass er aufgestanden war.

Sofort musste ich wieder an die Nacht zurückdenken, seine sanften Berührungen auf meiner Haut, wie er meinen Körper erbeben ließ, wenn er mich geküsst hatte. All das ließ meinen Bauch vor Glück kribbeln. Es war unglaublich und niemals hätte ich erwartet, dass es sich so gut angefühlt hätte, einen Mann in mir zu haben. Hatte meine Mutter mir deshalb vor meiner Abreise erzählt, dass es gar nicht so schlimm war? Wollte sie mich beruhigen? Mir die Angst nehmen, die ich empfunden hatte, seit ich ein kleines Mädchen gewesen war? Ich wusste, dass ich sie niemals wieder danach fragen könnte, weil wir nie wieder einen solch intimen Moment zu zweit haben würden, wie vor meiner Abreise. Vielleicht würde ich sie auch nie wieder sehen, da so viele Meilen zwischen Kartan und Woberok lagen und sie nicht andauernd gen Norden reisen würde. Und ich, als Ehefrau und künftige Königin Regans würde auch nicht immer nach Süden reisen können.

Regan legte die Hände auf meine Taille und hauchte einen Kuss in meinen Nacken. »Hattest du wieder einen Alptraum, Liebste?«

Liebste? Ein wohliger Schauer rann mir den Rücken hinab, als ich diesen Kosenamen hörte.

Ich fragte mich, ob Regan seine Geliebte auch jemals so genannt hatte. Mir wurde im selben Moment, wie mir der Gedanke durch den Kopf schoss, klar, dass es mir egal war. Wir hatten lange Zeit gebraucht, um uns einander anzunähern, uns gegenseitig in unserem Leben zu akzeptieren, um zu diesem Punkt zu gelangen, an dem wir jetzt als Ehepaar standen. Und kein Gedanke an die Magd, die Regans einst als Geliebte mit nach Woberok brachte, könnte mich jemals so sehr in meinem Vertrauen erschüttern, das ich diese Nacht zu ihm aufgebaut hatte. Vielleicht würde sie immer eine Seite an ihm kennen, die ich nicht kennen würde und nichts könnte die zehn Jahre auslöschen, die die beiden miteinander verbracht hatten. Das wollte ich auch gar nicht. Aber wir beide hatten auch etwas zusammen und ich bildete mir ein, dass es etwas besonderes war. Auch für ihn. Er hatte den eisernen Beweis unserer Verbindung nun auch am Finger stecken. Die Kette, die mir sehr wichtig war, eingeschmolzen und zu einem Ring geschmiedet, der uns für immer aneinander binden würde.

Wir waren durchs Blut verbunden. Durch Eisen. Und vielleicht eines Tages auch durch Liebe.

Ich legte meine Hand auf seine und unsere Eheringe berührten sich dabei. »Ja, schon. Aber wenigstens wecke ich dich dabei nicht mehr.«

Seine Lippen wanderten über meinen Hals, bis er das Kinn auf meiner Schulter ablegte. »Willst du mir nicht endlich sagen, was du träumst? Vielleicht hilft das, um... um die Träume zu vertreiben? Ich will nicht, dass du mich davon ausschließt, was dich quält.«

Ich seufzte leise und strich beruhigend über seinen Unterarm, lehnte mich leicht an ihn. »Es ist meistens wirr... ich kann mich oft gar nicht daran erinnern, was ich überhaupt träume. Aber heute...«

»Was?«

»Heute habe ich vom Schnee geträumt. Es war kalt... es hat sich so real angefühlt.«

»Hast du nur von Schnee geträumt?«, fragte er leise, als wolle er die nächtliche Stille nicht stören.

Ich zog die Stirn kraus. Sollte ich ihm von dem Bären erzählen? Dem Wolf und dem Banner, das ich in der Ferne gesehen hatte? Vielleicht hielt er mich dann für verrückt. Jeder wusste, dass der Bär das Wappentier der Fenraler war, aber würden sie dann Parallelen zu dem Vorfall im Wald ziehen? Es waren schließlich nur Träume, aber manche Menschen waren abergläubisch. Ich wusste nicht, wie Regan dazu eingestellt war, aber ich wollte ihn nicht beunruhigen, sodass ich diese Dinge lieber ausließ. Irgendwas sagte mir, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um darüber zu sprechen.

»Ich hatte auf einmal... Dornen in meiner Hand stecken. Es hat gebrannt und geblutet... Mehr nicht. Ich sage doch, dass es wirres Zeug ist. Nicht der Rede wert.«

Leise seufzte er und küsste noch einmal meine Schulter, drückte mich fest an seine nackte Brust. »Es waren nur Träume. Ich bin mir sicher, dass sie bald aufhören werden. Seit dem Gespräch mit Kovir sind sie ja schon weniger entsetzlich geworden, nicht? Vielleicht verschwinden sie irgendwann gänzlich.«

Ich nickte leicht. Das stimmte. Seit ich mit Kovir darüber gesprochen und er mir Lavendel zur Beruhigung gegeben hatte, wurde es besser. Ich schrie mir immerhin nicht mehr die Kehle wund und weckte meinen Ehemann damit. Regan hatte auch schon ganz dunkle Ringe unter den Augen gehabt und das hatte mir mehr zugesetzt, als die Träume, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte.

Sanft drehte Regan mich zu sich herum und ich musste den Kopf heben, um ihm in die kristallblauen Augen sehen zu können. Sein Blick war sanft und wirkte irgendwie gelöst, als hätten wir diese Nacht endlich durch unser Zusammensein einen Brocken aus dem Weg geräumt, durch den wir in unserer Beziehung zueinander gehindert wurden, voran zu kommen. Er nahm mir den Kelch Wein aus der Hand und nahm einen Schluck davon, ehe er ihn hinter mir auf der Fensterbank abstellte. Seine großen Hände griffen nach dem Laken, das ich mir an der Brust noch immer zusammenhielt. Dann löste er die Enden und der seidene Stoff glitt an meinem Körper herab zu Boden.

Ich atmete hörbar ein und biss mir auf die Unterlippe, als ich nackt vor ihm stand.

Vor ihm fühlte ich mich so nackt und verwundbar, ihm völlig ausgeliefert. Er war so erfahren und vermutlich hatte er schon hunderte nackte Frauen gesehen, aber keine war so jung und unerfahren wie ich. Das wusste ich. Und dennoch schien er mich attraktiv zu finden. Ansonsten hätte er vermutlich nicht das Bett mit mir geteilt.

Er seufzte genüsslich und sein Blick wanderte ungeniert über meinen Körper, wodurch sich die dunklen Vorhöfe meiner kleinen Brüste aufrichteten.

»Du bist so schön«, flüsterte er. »Früher habe ich das nie gesehen... Ich habe dich für ein Kind gehalten, bis zu dem Zeitpunkt, als ich dich zum ersten Mal erblickt habe. Zuerst wollte ich dich nur beschützen, weil du mir wie ein kleines Mädchen vorkamst, das ich behüten muss. Doch als ich deine roten Wangen gesehen habe und wie du dir auf der Unterlippe herum gekaut hast, musste ich unweigerlich daran denken, wie es wäre, dich unter mir zu haben... Zitternd, stöhnend, wimmerd.«

»Ich habe nicht gewimmert«, log ich, denn wir beide wussten es besser. Ich hatte regelrecht darum gebettelt, dass er mich nehmen möge.

Seine Lippen formten sich zu einem schiefen Grinsen, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Und wie du gewimmert hast. Und ich werde alles dafür tun, es immer wieder zu hören.«

Ich sog scharf die Luft ein, als er eine Hand an meine linke Brust legte, das warme Metall seines Ringes küsste meine Brustspitze.

»Habe ich dir eigentlich wehgetan?« Seine Stimme war auf einmal ernst.

Ich blinzelte benommen. »Was sagst du?«

Er hob den Kopf an und sah mir direkt in die Augen. »Du hast dich verkrampft, als ich... mich mit dir vereint habe. Es hat wehgetan, oder?«

Heftig schüttelte ich den Kopf. »Hör auf damit, verstanden? Es war etwas unangenehm, aber du hast mir in dieser Nacht so viel geschenkt.«, flüsterte ich und griff an den Bund seiner einfachen Stoffhose.

Regan ergriff meine Hand und lächelte leicht. »Du weißt, dass ich gerne die Kontrolle habe, oder?«

»Das ist mir gar nicht aufgefallen.«, bemerkte ich grinsend und öffnete willig den Mund, als er sich zu mir herunter beugte und auf den Mund küsste. Gierig erwiderte ich seinen Kuss, reckte mich ihm entgegen.

Regen trat einen Schritt vorwärts und ich gab dem Druck nach, stolperte, mich an ihn klammernd, rückwärts zum Bett. Seine Arme umschlangen mich, pressten mich an ihn und meine Finger verfingen sich in seinem wunderbaren schwarzen Haar. Ich wollte ihm so nahe sein, wie es uns in dieser Welt nur möglich war, weshalb ich ihn am Hals zu mir zog. Er musste sich tief über mich beugen, um mich küssen zu können, aber das war uns egal. Plötzlich spürte ich die Bettkante am Oberschenkel und ließ mich auf das Bett sinken.

Mein Mann kniete sich nieder und küsste ausgiebig meine Beine, was mich jetzt schon beinahe um den Verstand brachte. Dann schob er mich hoch auf die Matratze und ich ließ mich in die Kissen sinken, als er seine Hose von den Beinen streifte, um dann auf mich zuzukriechen, wie ein Raubtier auf Beutezug. Seine Männlichkeit reckte sich mir fordernd entgegen und wieder war ich überwältigt, dass ich solche Empfindungen in ihm auslösen konnte. Er stützte sich neben meinem Kopf in der Matratze ab und schob die Hüfte zwischen meine gepreizten Schenkel.

Ich legte meine kleinen Hände an seine Seiten und blickte ihm tief in die Augen.

Seine Pupillen waren groß wie Murmeln, während er jede meiner Regungen genau beobachtete. Sein Blick klebte an meinen Augen, meinem Mund, an allem, was von Bedeutung für ihn war, während er mit einer Hand sein Glied an mir positionierte. Ich atmete hörbar durch den Mund ein, als ich spürte, wie er sich sachte in mich schob. Ich spürte nur noch einen kleinen Restschmerz, als er mich dehnte und ausfüllte, aber mehr war von meiner Jungfernschaft nicht übrig.

Seine Augen verdrehten sich lustvoll, bis er sie schloss und laut ein und ausatmete, während er durch mein feuchtes Inneres glitt, bis an einen Punkt, der mir Gänsehaut bescherte. Ich keuchte lustvoll, berührte seine warme, breite Brust, strich über seinen muskulösen Bauch, der sich anspannte unter meiner Berührung und legte meine Hände letztendlich auf seinen Rücken, wodurch er erbebte. Er war empfindlich dort!

Regan ließ überwältigt seine rechte Hand über meine Wange, meinen Hals, über meine Schulter, meinen Arm entlang zu meiner Taille wandern, die er streichelte, während er sich sachte aus mir zurückzog und dann kraftvoll zustieß.

Ich keuchte benommen auf und legte den Kopf in den Nacken. Es fühlte sich so gut an!

Er nutzte die Gelegenheit, um seinen Kopf in meiner Halsbeuge zu vergraben und seine Lippen ungehindert über meine Haut wandern zu lassen. Meine eine Hand grub sich in sein Haar, um ihn enger an mich zu pressen, während er weitere Stöße vollführte, meinen Körper damit erschütterte und ihn in ungeahnte Höhen trieb. Mein Stöhnen vermischte sich mit seinem Keuchen, ich spürte sein Herz unter meinen Händen wummern, das Blut rauschte in meinen Ohren. Sein Körper stieß wie ein Amboss in mir, geballte Kraft unter meinen Fingern, ungezähmte Wildheit in seinem intensiven Blick.

Seine Hand rutschte zwischen meine Schenkel, sein Daumen rieb zusätzlich zu seinen Stößen über den kleinen, empfindsamen Knoten.

Ich stöhnte heiser auf.

»Vertraust du mir?«, keuchte er lustvoll an meinem Ohr und nahm mein Ohrläppchen zwischen die Zähne.

Ich schloss überwältigt die Augen. Er würde mich gleich über die Kante der Lust treiben. »Ja!«, seufzte ich.

Plötzlich ließ er von mir ab, zog sich komplett aus mir zurück und mein Schoß krampfte sich frustriert zusammen, als seine Härte verschwand. Ich blinzelte benommen, aber da hatte er mich schon gepackt und drehte mich schwungvoll auf den Bauch, kniete sich über meine geschlossenen Schenkel. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah und mein Kopf schwindelte von den Emotionen, die mich durchfluteten, als ich verwundbar unter ihm lag, das Gesäß leicht in die Höhe gereckt und mit dem Brustkorb flach auf der Matratze liegend. Regan beugte sich über mich, stützte sich neben meinem Torso in der Matratze ab und strich mit der freien Hand mein Haar aus meinem verschwitzten Nacken.

Gespannt wartete ich, was er tun würde und mein Kopf wurde langsam wieder klar, solange er nicht in mir war und mich damit um den Verstand brachte.

Er küsste mein Rückgrat und ich erschauderte.

»Hm... so wunderschön.«, seufzte er und ließ den Daumen über meine Wirbelsäule nach unten wandern. »Sag mir sofort, wenn du etwas nicht magst.«

»Wie könnte ich?«, flüsterte ich zurück.

Ich konnte beinahe spüren, wie er schief grinste. »Ich will dich in unserer ersten Nacht nicht zusehr beanspruchen. Schließlich solltest du morgen noch sitzen können.«

Ich gluckste. »Und stehen wird überbewertet, oder? Du hast mich vorhin schon ganz wund gemacht, da kommt es auf etwas mehr oder weniger auch nicht mehr an.«

»Gut, dass du das so siehst.«, sagte er mit rauer Stimme und seine Hand glitt über meine gerundeten Pobacken, zwischen meine Beine.

Ich keuchte leise und presste mein Becken gegen seine Hand, hörte das glitschige Geräusch seiner Finger, die durch meine Hautfalten rieben. Meine Augenlider flatterten vor Wolllust.

Einen Moment später nahm er seine Hand weg und presste dafür sein Geschlecht zwischen meine Schenkel. Er rammte sich in mich und ich schrie heiser auf, stöhnte, als er seinen Unterleib fest gegen meine Kehrseite presste und sich anschließend über mich beugte, tief in mich stieß. Keuchend genoss ich es von ihm in dieser Position genommen zu werden. Ich fühlte mich unterwürfig, weiblich, begehrt.

Sein heißer Atem blies mir in den Nacken, während er Küsse auf mein Rückgrat hauchte und ich zitternd unter ihm lag, benommen, willig, völlig in der Lust unserer Vereinigung gefangen. Regans freie Hand, die sich nicht neben mir abstützte, strich mir sanft über die Taille, während seine Stöße mich immer weiter dem Himmel entgegen hoben, solange, biss ich erstickt aufschrie und sich mein Unterleib um ihn zusammen presste. Er keuchte im selben Moment heiser auf und stöhnte lustvoll in mein Haar hinein, als er sich beinahe zeitgleich in mir ergoss.

Zitternd und schwer atmend lagen wir übereinander und ich spürte noch, wie er mein Haar streichelte und meine Schulter küsste, bevor die Müdigkeit und Erschöpfung ihren Tribut von mir forderten. Zufrieden schlief ich neben ihm ein und fühlte einmal mehr das Glück in mir.

 

Seufzend kam ich langsam am nächsten Morgen zu mir, als ich gehauchte Küsse auf meinem nackten Rücken fühlte. Regans warme Hände lagen an meiner Taille, seine Lippen auf meinem Rückgrat und ich lag nackt auf dem Bauch auf der Matratze und blinzelte in die ersten Sonnenstrahlen des Tages, die auf unser Ehebett schienen. Durch das Fenster sah ich, dass der Himmel hellblau leuchtete und es zur Abwechslung ein klarer Wintertag werden würde. Genüsslich räkelte ich mich, die Decke lag über meiner Hüfte und verschlafen strich ich mir das Haar aus der Stirn, als ich mich auf den Rücken wälzte.

Regan lag neben mir, die Decke bedeckte nur spärlich seinen wunderbaren, durchtrainierten Körper.

Er hatte ein dümmliches Grinsen auf dem Gesicht, als seine Hand über meine Taille wanderte und meine Brust berührte.

»Ich hoffe, meine Prinzessin hat gut geschlafen?«

Ich grinste. »Wie ein Murmeltier.«, gab ich zurück und drehte mich auf die Seite, damit ich ihn besser ansehen konnte. Meine Hand berührte sein Gesicht.

Er drehte den Kopf und küsste meine Handfläche. »Ich nehme an, du hast einen Bärenhunger, nachdem ich gestern Nacht so viel von dir gefordert habe.«

»In der Tat, ich bin völlig ausgehungert«, bemerkte ich grinsend und wölbte die Augenbraue.

Regans Blick wurde dunkel. »Ihr seid unersättlich, Prinzessin«, raunte er und küsste mich leidenschaftlich.

Seufzend schmiegte ich mich an ihn und schlang einen Arm um seinen Nacken. In dem Moment knurrte mein Magen protestierend und wir beide mussten lachen.

»Bei den Göttern, ich kann nicht zulassen, dass du vom Fleische fällst. Also hoch mit dir. Die anderen werden sich sicher schon fragen, weshalb wir nicht zum Morgenmahl erschienen sind.«

»Wieso? Wie spät ist es denn?«

»Beinahe Mittag.«

Ich riss die Augen weit auf und sprang hoch. »Barda macht mir die Hölle heiß!«, rief ich aufgebracht und rutschte an die Bettkante, um mich anzuziehen. Ich stand auf und klaubte meine Sachen vom Boden auf, stockte, als ich etwas Schwarzes auf dem Boden liegen sah.

»Sie wird dich schon nicht umbringen, wenn ich ihr sage, dass du heute Nacht nur deine ehelichen Pflichten erfüllt hast«, meinte Regan schmunzelnd, als er sich eine Hose überzog. »Was hast du denn?«

Leicht legte ich den Kopf schief und ging in die Hocke, griff nach dem schwarzen Gegenstand und schrie auf, als ein brennender Schmerz in meine Hand fuhr und meinen Arm hinauf schoss. Der Gegenstand fiel krachend zu Boden und sprang einige Meter weit von mir weg, als ich meine brennende Handfläche anstarrte. Dornen hatten sich tief in mein Fleisch gegraben und aus den kleinen Wunden quoll rot Blut hervor.

Sofort war Regan neben mir und griff sachte nach meinem Handgelenk. »Was ist los?«

»Dieses... Ding lag unter unserem Bett«, sagte ich und schüttelte meine schmerzende Hand aus. »Das sind Dornen.«

Regan blieb stumm und pflückte vorsichtig die Dornen aus meiner Hand, dann legte er ein Tuch darüber, damit es aufhörte zu bluten. Eine Gänsehaut schoss mir über den Rücken, als ich begriff, dass es genau das war, was ich in meinem Traum gesehen hatte. Dornen, die in meine Handfläche gebohrt waren, ein brennender Schmerz, der meine Hand pochen ließ im Takt meines Herzens.

Als Regan sich neben den Gegenstand hockte, verdrängte ich diese Gedanken zunächst und blickte auf das schwarze Ding herunter. Es war eine Art Oval, das aus Dornenranken geflochten war und aussah, wie ein Auge. Daran wurden kleine Knochen und Perlen und bei dem Anblick lief mir ein Schauer über den Körper.

»Was ist das?«, fragte ich leise.

Regan runzelte die Stirn, seine Kiefer mahlten. »Ein Fluchtotem.«

Ich blinzelte und fragte mich, was das alles zu bedeuten hatte.

Kapitel 31

 

Regan stand da wie versteinert und runzelte immer wieder die Stirn, während Kira ihren Körper wenigstens um einen Hauch bedeckte. Die letzte Nacht war unglaublich gewesen, so viel Vertrauen hatte ihm noch kaum eine Frau entgegen gebracht. Er hatte mit ihr die schönste Nacht verbracht, an die er sich erinnern konnte. Mit Igred war es nicht im Mindesten so intensiv gewesen wie mit diesem Mädchen. Die Nächte, die er mit seiner früheren Geliebten verbracht hatte, waren immer zufriedenstellend und befriedigend gewesen, aber niemals so... so wie mit Kira. Es hatte sich unglaublich angefühlt, dieses junge Mädchen unter sich zu haben, ihr in die fiebrigen Augen zu sehen und zu wissen, dass sie es genauso sehr wollte, wie er. Er hatte ihre geröteten Wangen gestreichelt, ihren Körper vor Ekstase zum Zittern gebracht und hatte Besitz von ihr ergriffen.

Doch nun kehrte die Realität schlagartig zurück, als dieses Ding vor seinen Füßen lag. Es war ganz klar zu sehen, was es war. Dornenzweige waren zu einem Auge geformt und geflochten worden, an die mit Schnüren kleine Vogel- und Nagetierknochen gebunden worden waren, dazu Holzperlen, um das ganze auch noch zu schmücken. Es war ein Fluchtotem. So etwas hatte er bisher nur einmal gesehen...

Zu dem Zeitpunkt, als seine Mutter gestorben war.

Seine Kiefer mahlten und dieser Anblick erinnerte ihn an damals, als er neun Jahre alt gewesen war. Das Schreien des kleinen Wesens, das sie aus seiner Mutter herausgerissen hatten, hatte den Raum erfüllt, während er stocksteif an der Tür gestanden und das alles beobachtet hatte. Er erinnerte sich noch an das Licht, das durch die seidend weißen Vorhänge der Königsgemächer gefallen war. Der Raum war so hell gewesen, dass es ihn beinahe geblendet hätte. Die Tür hatte offen gestanden, das Stöhnen, Wimmern und Schreien seiner Mutter, die in den Wehen gelegen hatte, um ihr drittes Kind zu gebären, hatte die Festung erfüllt. Auf den Gängen hatte das Leben wie stillgestanden. Ganz Woberok hatte den Atem angehalten.

Die Hebammen trugen den Säugling fort und seine Mutter war an den Folgen der schweren Geburt verblutet. Als sie starb, war er an ihr Bett getreten. Die Ammen wollten ihn fort scheuchen, aber seine Mutter hatte mit letzter Kraft verhindert, dass sie ihren Sohn fort trieben.

Er spürte beinahe noch ihre warme Hand an seiner Wange, wie sie ihm mit dem Daumen sanft eine Träne fort gewischt hatte und ihm sagte, dass er ein so starke Junge war und nun auf seine kleine Schwester aufpassen musste. Und auf seinen kleinen Bruder.

»Mách tas krach halach, tenach á kam'ach«, flüsterte sie leise. »Merk dir diese Worte, denn eines Tages wirst du den Sinn hinter ihnen verstehen, mein Sohn.«

Und dann hatten sich ihre Augen für immer geschlossen. Sein Bruder war mit ihr beerdigt worden, da er die ersten Tage nach seiner Geburt nicht überlebte. Sein Vater hatte nie wieder eine andere Frau so sehr geliebt, wie seine Königin und in diesem Moment empfand er eine ähnliche Sorge. Denn, nachdem seine Mutter fortgetragen wurde, entdeckte er ein ähnlich aussehendes Fluchtotem unter dem Ehebett seiner Eltern. Er hatte es an sich genommen und in der Nacht ihrer Bestattung verbrannt. Fluchtotems galten immer als Zeichen des Bösen. Legte man es unter das Bett eines Kindes, sollte das dem Kind Krankheit oder Tod bringen. Legte man es unter das Bett eines Ehepaares, sollte es Tod oder Unfruchtbarkeit bringen.

Seine Hand ballte sich zur Faust.

Und er wusste, wer dieses Ding unter ihr Bett gelegt hatte.

Innerlich betete er zu den Göttern, dass das Fluchtotem seine Wirkung nicht auf die erste Vereinigung der beiden diese Nacht gelegt hatte.

Langsam richtete er sich auf und kehrte zu Kira zurück, die seltsam verstört aussah. Sanft legte er seine Hände an ihr Gesicht, die viel zu groß und grob für ihren zarten Körper erschienen.

Sie sah ihm besorgt in die Augen. »Was bedeutet das?«

Er senkte den Blick. »Das bedeutet, dass uns jemand unser Glück nicht gönnt. Ein Fluchtotem legt man für gewöhnlich nur unter ein Ehebett, wenn man verhindern will, dass die Ehe fruchtbar ist.«

»Aber... wer würde so etwas wollen?«, flüsterte sie und ihre Stimme zitterte ängstlich.

Das ließ eine ungeahnte Wut in ihm hoch kochen. Er wollte nicht, dass sie sich fürchtete! Um ihr Halt zu geben, schlang er die Arme um sie und zog sie eng an sich. Sie vergrub das Gesicht unter seinem Kinn und er spürte ihren süßen Atem an seiner Haut. Der Duft von Rosenöl stieg ihm in die Nase und beruhigte ihn ein wenig, jedoch noch lange nicht genug, um die Wut zu vergessen, die in ihm empor kroch. Es gab noch einige Dämonen in seiner Vergangenheit, die er nicht mit Kira teilen konnte. Der Tod seiner Mutter und seines jüngeren Bruders, bei dem er sich sicher war, dass das Fluchtotem eines ihm Unbekannten dazu beigetragen hatte.

»Hab keine Angst, Liebste. Es wird nichts passieren. Geh du nur zu Barda und hilf ihr in der Küche. Ich erledige das.«, murmelte er in ihr Haar und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn.

Sie blickte ihn mit großen, waldgrünen Augen an. »Bitte, sei vorsichtig.«

»Immer«, raunte er und gab ihr noch einen langen, leidenschaftlichen Kuss, um sie abzulenken, dann zog er sich flink an, schnappte sich das Fluchtotem und rauschte aus dem Zimmer.

Er hatte mit Igred ein Hühnchen zu rupfen.

 

 

Wie eine Irre rannte ich den Gang entlang zu Bardas Küche, nachdem Regan unsere Gemächer Hals über Kopf mit dem Fluchtotem verlassen hatte. Ich fragte mich auf dem Weg, ob es nicht besser gewesen wäre, dem König davon zu erzählen, bevor er sich darum kümmerte, aber ich vertraute Regan und so ließ ich ihn alles regeln. Dennoch saß ein ungutes Gefühl in meinem Bauch, da ich noch immer das Brennen der Dornen in meiner Handfläche spürte, die mich an meinen Traum erinnerten. Ich hatte die Dornen in meiner Hand gespürt, als ich aufgewacht war. Hatte sie im Traum gesehen, wie sie in meiner Handfläche gesteckt hatten, noch bevor ich das Fluchtotem überhaupt in der Hand gehalten hatte. Es war seltsam. Als hätte ich eine Vorahnung gehabt. Eine Vorsehung.

Ich riss die Tür zur Küche auf und bemerkte, dass Barda nicht da war.

In der Ecke stand ein ganzer Eimer Kartoffeln und ein Messer. Rasch setzte ich mich auf einen kleinen Schemel und griff nach dem Messer. In diesem Moment stieß Barda die Tür auf, die in den Hinterhof zum Brunnen führte und schleppte zwei Eimer in die Küche, die bis obenhin mit Wasser gefüllt waren. Sie stellte die Eimer ächzend neben dem Tisch ab und beäugte mich argwöhnisch.

Ich biss mir von Innen in die Wange. »Bitte verzeih mir! Ich habe... also... naja...«

Barda stemmte die Hände in die Hüften. »Ich verstehe schon!«

»Tatsächlich?«

»Ihr habt es endlich geschafft, miteinander das Bett zu teilen.«

Ich lief dunkelrot an und starrte sie an, als wäre sie ein Gespenst. »W-was?«

Sie winkte mit der Hand ab. »Verkauf mich nicht für dumm, Mädchen. Ich sehe es, wenn ein Mädchen zum ersten Mal mit einem Mann geschlafen hat. Und glaub mir, ich weiß, dass ihr die Hochzeitsnacht nicht miteinander verbracht habt.«

Ich starrte sie an, wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Woher wusstest du es...?«

»Ich wusste es, weil ich auch einmal verheiratet war. Es sieht vielleicht nicht mehr so aus, aber früher haben sich die Männer um mich gerissen.«, erklärte sie und lehnte sich gegen den Tisch in der Mitte der Küche. »Ich war mit dem ehemaligen Schmied verheiratet, der vor Vinz die königliche Schmiede geführt hat. Er war sehr leidenschaftlich und nach unserer Hochzeit haben wir auch zuerst gewartet, um uns aneinander zu gewöhnen.«

Ich seufzte und legte das Kinn in meine Handfläche. »Ich glaube, es war ganz gut, dass es so kam. Jetzt fühle ich mich verbundener mit ihm...«

»Viele Königspaare machen es so. Sie geben es nur nicht zu.«, erklärte Barda und hob einen Zeigefinger. »Wegen der Gesetze und so weiter. Und der Götter. Aber insgeheim...«

Ich nickte langsam und lächelte verträumt.

 

 

Wut kochte in ihm wie flüssige Lava, pulsierte in seinem Schädel und ließ ihn wummern. Hitze flutete seine Adern, sodass er sich den warmen Wolfsfellumhang von den Schultern riss und ihn einem Diener in die Arme drückte, der zufällig an ihm vorbei ging. Er rauschte weiter in den Innehof, die Dornen des Fluchtotems stachen ihm in die Handfläche, aber das kümmerte ihn kaum. Der Schmerz fachte eher noch die Wut an, wenn er daran dachte, wie die gleichen Dornen in die Hand seiner kleinen Frau gestochen hatten.

Er folgte dem plattgetretenen Pfad, der am Stall vorbei führte zum einem kleinen Platz, an dem die Mägde zur Mittagsstunde oftmals die Wäsche aufhingen. Regan wusste genau, dass auch Igred zu diesem Zeitpunkt dort mit der Wäsche beschäftigt war und so rauschte er weiter. Seine Schritte waren schnell und zielstrebig, als er an dem großen Gebäude vorbei ging, aus dessen Boxentüren die Pferdeköpfe neugierig hervorlugten. Kochend vor Wut fuhr er um die Ecke und sah dort die jungen Mägde mit mehreren Körben Wäsche stehen. Sie waren dabei sie in der winterlichen Luft aufzuhängen.

Sofort erkannte er Igreds goldene Locken, die sich über ihren Rücken wie ein Wasserfall ergossen und in der ungewöhnlich klaren Luft in der Sonne glänzten.

»Sofort alle weg hier!«, brüllte Regan.

Die Mägde schossen erschrocken zu ihm herum und starrten ihn mit riesigen Augen an.

»Na los!«, knurrte er.

Sie zuckten beinahe alle gleichzeitig zusammen und huschten an ihm vorbei. Auch Igred versuchte sich an ihm vorbei zu schieben, aber er hatte sie längst durchschaut und packte sie grob am Oberarm. Sie war wahrlich nicht so dünn wie seine Frau, aber immer noch dünn genug, dass er ihren Arm mit einer Hand vollkommen umfassen konnte.

»Du nicht, du hinterhältige Schlange.«, knurrte er und stieß sie zurück.

Sie funkelte ihn hasserfüllt an. »Was willst du überhaupt?«

Er blickte sie ungläubig an, dann warf er ihr das Fluchtotem vor die Füße. »Was glaubst du denn, will ich? Du hast dieses scheusliche Ding unter unser Ehebett gelegt und Kira Angst gemacht!«

Kurz starrte sie auf das Fluchtotem, dann schoss sie es mit dem Fuß zurück in seine Richtung. »Das kannst du nicht beweisen.«

Finster ballte er die Hände zu Fäusten. »Du bist aus unseren Gemächern gekommen und hattest darin nicht das Geringste verloren. Was hast du darin getrieben? Und warum legst du ein Fluchtotem unter unser Bett?«

»Wenn du hören willst, dass ich es war, dann bitte! Ich war es! Und weshalb werde ich das wohl darunter gelegt haben? Hm?«

Zwischen seinen Brauen bildete sich eine steile Falte. Insgeheim hatte er zu den Göttern gebetet, dass sie es doch nicht gewesen war. Dass es eine andere Erklärung für das Fluchtotem unter seinem Bett gab, als die Eifersucht seiner früheren Geliebten. Aber so war es nicht und er sah sich der unangenehmen Situation gegenüber gestellt, Konsequenzen aus ihrem Handeln zu ziehen.

Verzweifelt blickte sie ihn an, ihre wasserblauen Augen glänzten von ungeweinten Tränen. »Ich habe dich geliebt, Regan... bedeuten dir diese Worte nichts? Bedeute ich dir etwas? Jemals?«

Betreten sah er zur Seite. »Natürlich hast du mir etwas bedeutet. Aber ich habe keine Liebe für dich...«

Traurig schüttelte sie den Kopf. »Aber für dieses kleine Mädchen, das noch ein halbes Kind ist. Für sie hast du Liebe? Wir haben zehn Jahre miteinander verbracht. Zehn! Du hast mich hierher gebracht, damit ich deine Geliebte werde.«

»Ich brachte dich hierher, damit du deinen Schoß nicht mehr jedem Kerl darbieten musst! Dass du meine Geliebte wurdest, war nur ein Nebeneffekt.«

»Nebeneffekt?!«, schrie sie heiser. »Du hast mich her gebracht, damit ich von dort fort komme, das stimmt. Aber was hatte ich hiervon? Ich wasche Wäsche und kehre Böden. Und ab und zu hast du mich in dein Bett eingeladen, wo nun sie schläft. Was hätte ich tun sollen, als das Fluchtotem anzufertigen? Sie soll verschwinden!«

Regan packte ihre Schultern. »Wann verstehst du endlich, dass sie meine Frau ist? Sie bleibt und zwar für immer. Sie wird eines Tages deine Königin sein!«

Hass sprühte wie Funken aus ihren Augen und für den Bruchteil einer Sekunde sah er den tatsächlichen Todeswunsch gegenüber seiner Frau in ihrem Blick. Sie wollte das dieses Mädchen verschwand und, wenn nötig sogar starb, damit sie wieder an seine Seite treten konnte. Aber das würde niemals wieder geschehen. Kira war seine Frau, verbunden mit ihm durchs Blut, so wie Igred es niemals mit ihm sein würde und eines Tages wäre sie Woberoks Königin. Die Herrscherin über die Weiten dieses Landes und auch über jeden Menschen und jedes Tier hier.

Aber er konnte erkennen, dass sie Kira niemals als seine Frau akzeptieren würde. Oder gar als Königin. Dafür war Kira in Igreds Augen zu jung und unerfahren und hatte nicht das Recht einen Platz in seinem Herzen einzunehmen, den bisher keine Frau eingenommen hatte. Nicht einmal Igred.

»Ich habe dir gesagt, dass du dich aus meinem Leben raushalten sollst«, sagte er ruhig und besonnen, auch, wenn es ihm im Herzen schmerzte, was er jetzt gleich sagen musste. »Und du hast dich nicht daran gehalten. Im Gegenteil, du hast auch noch meine Frau bedroht mit diesem Fluchtotem und das kann und werde ich dir nicht verzeihen. Ich will, dass du dich heute Mittag beim Karawanenführer meldest und heute Nachmittag mit ihm aufbrichst.«

Ihre großen Augen weiteten sich. »Du... schickst mich fort?«

Er seufzte.

Regan kannte den Karawanenführer, zu dem er Igred nun schickte. Er war vor gut drei Tagen in die Stadt gereist und lagerte am Hauptmarktplatz im Zentrum Woberoks. Er war aus den Weiten der Wüsten im Süden des Kontinents gekommen, um Handel zu betreiben. So lieferte er seltene Waren, wie rote Seide, süße Datteln und Tonwaren mit sich, um sie zu verkaufen. Er reiste mit einer ganzen Heerschaar an Dienern, Bediensteten und Söldnern umher, um die besten Preise im Norden zu erzielen und Regan kannte ihn von früheren Streifzügen. Als die Wildererplage vor sieben Jahren noch enorm war und die Schlachtfelder genug Leichen übrig gelassen hatten, war der Händler aufgetaucht und hatte sich das von den Toten genommen, was die Plünderer übrig gelassen hatten. Und er würde Igred mit nach Süden nehmen und sie an irgendeinem Außenposten abladen, der noch Dienerpersonal brauchte.

»Ich schicke dich an einen Ort, an dem es dir besser ergehen wird als hier.«, erwiderte Regan nach einer Weile. »Ich kann nicht zulassen, dass du weiterhin in Kiras Nähe bist. Ich habe ihr gegenüber eine Pflicht als Ehemann, der ich nachkommen muss. Und du bedrohst sie, steckst ein Fluchtotem unter unser Bett, das ihr den Tod oder Unfruchtbarkeit bringen soll. Als nächstes lässt du wohlmöglich Gift anmischen und schmuggelst es ihr in den Kelch. Das werde ich nicht dulden.«

»Bei den Göttern, nein! So... so weit wollte ich es doch gar nicht treiben! Das wollte ich nicht!«

»Unabhängig von dem, was du wolltest, hast du das getan. Aus diesem Grund gehst du. Melde dich bei dem Karawanenführer in der Stadt und breche mit ihm diesen Tag noch auf. Dann geh nach Süden und zum Außenposten von Flusswald. Dort kannst du bleiben, bis dir deine Fehler klar geworden sind. Und das dort, verbrennst du!«

Mit Tränen in den Augen starrte sie ihn an, dann ließ sie den Kopf hängen und nickte gehorsam. »Wenn mein Prinz es wünscht.«

Regan neigte zustimmend den Kopf, dann ließ er Igred los und berührte ihre Wange. Er wollte nicht, dass sie sich im Streit trennten und eines Tages bereuen könnten, was sie einander an den Kopf geworfen hatten.

»Eines Tages wirst du einen Mann finden, der sanft zu dir sein wird. Und einen, der zu schätzen weiß, was du für ihn bist.«

»Ich will aber keinen anderen Mann«, hauchte sie kaum hörbar. »Ich will dich.«

Langsam schüttelte Regan den Kopf, schob seine Hand in ihren Nacken und küsste ihre Stirn. »Das mit uns ist vorbei.«, flüsterte er leise, dann ließ er von ihr ab und deutete in die Richtung des Innenhofes. »Melde dich beim Karawanenführer. Und verbrenne das Fluchtotem, dann kann Frieden zwischen uns herrschen.«

Igred senkte den Kopf und nickte. »Wenn du es befielst.«

Regan neigte ein letztes Mal den Kopf, dann wandte er sich um und ging davon, um seine täglichen Pflichten zu erfüllen. Jedoch freute er sich am meisten nun auf seine kleine Frau und darauf, sie diese Nacht erneut zu verführen.

 

 

Dankbar blickte ich den alten Meister an, als er mit dem Verband um meine zerstochene Handfläche fertig war. Er setzte sich schwerfällig auf einen Schemel neben der Pritsche, auf der ich saß. Probeweise öffnete und schloss ich meine Hand, um zu sehen, ob es noch sehr schmerzte, aber es ging. Die Dornen des Fluchtotems waren noch nicht tief genug eingedrungen, um ernsthaften Schaden anzurichten.

»Du hast mir noch nicht erzählt, woher du diese Verletzungen hast«, bemerkte Kovir und rieb sich mit der Rechten über das Kinn.

Nachdenklich starrte ich auf meine verbundene Hand und fragte mich, ob ich Kovir von dem Fluchtotem erzählen sollte. Schließlich war Regan schier außer sich vor Wut gewesen, als er es ergriffen hatte und damit unsere Gemächer beinahe fluchtartig verließ. Mir war beinahe zeitgleich ein Verdacht gekommen, von dem ich nicht wusste, ob ich damit mit Regan sprechen sollte. War es vielleicht seine frühere Geliebte gewesen, die mir versucht hatte mit diesem Fluchtotem zu schaden? Sicherlich hatte sie ihm auch einmal nahe gestanden und vielleicht war sie gekränkt, dass ich nun die Frau an seiner Seite war.

Diese Situation, nicht zu wissen, wem ich trauen konnte, erinnerte mich an die kleinen Bücher, die ich nun, da wir wieder in Woberok waren, an den Steinen des Kamins unserer Gemächer, versteckt hielt. Wem konnte ich schon davon erzählen? Regan wäre sicherlich nicht begeistert, wenn er davon wüsste und jeder andere würde seine Begeisterung teilen. Ich war mir noch nicht einmal sicher, ob ich mit Kovir darüber reden sollte, der mir die Bücher immerhin gegeben hatte. Ob er von den Psalmen darin wusste? Von den Gedichtversen? Wusste er über die herausgerissenen Seiten Bescheid und, weshalb meine Kette, die nun eingeschmolzen an Regans Finger steckte, ein Abbild des Einbandes war? Hatte er die handgeschriebenen Worte darin jemals zu Gesicht bekommen?

Ich rang mit meinen herum wirbelnden Gedanken. »Heute Morgen... als ich mich anziehen wollte, habe ich unter Regans und meinem Ehebett ein... Fluchtotem entdeckt.«

Kovir machte große Augen. »Ein Fluchtotem?«

Leicht nickte ich. »Was bedeutet das?«

»Ein Fluchtotem ist ein mächtiges Relikt, um Unheil zu säen. Es ist dazu gedacht, der betreffenden Person Pech zu bringen, Krankheit oder Tod. Legt man es unter ein Ehebett, soll die Frau meist mit Unfruchtbarkeit oder Totgeburten gestraft werden. Was ist mit dem Totem passiert?«

»Regan hat es an sich genommen. Er wollte sich darum kümmern.«, antwortete ich.

Nachdenklich nickte Kovir und strich sich erneut über den grauen Bart. »Dich beschäftigt noch eine Frage, oder?«

Ich rieb mir über die Ärmel meines Kleides. »Woher kommt dieses Fluchtotem? Welche Leute tun so etwas?«

Er schnaufte leise. »Das ist eine Tradition von früher. Die Wilderer benutzen Fluchtotems noch heute, um ihren Gegnern oder Menschen, die sie hassen, Leid zuzufügen. Wenn tatsächlich ein Fluchtotem unter eurem Ehebett lag, dann muss es jemand gewesen sein, der die alten Bräuche ehrt.«

Mit gerunzelter Stirn blickte ich mich um. Das war unheimlich und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ein Fluchtotem unter unserem Bett und jemand musste es dort hingelegt haben, der diese Traditionen noch ehrte und den Bräuchen huldigte. Irgendwie beunruhigte mich diese Tatsache nicht unbedingt. In diesen Mauern gab es jemanden, der etwas gegen mich hatte, denn Regan war wohl kaum das Ziel dieser Attacke gewesen. Und dieser Jemand bediente sich der Methoden der Wilderer.

»Ich werde noch etwas Eis aus der Küche für deine Hand holen, Mädchen. Und dann erzählst du mir ein wenig über deine Träume.«

Ich nickte zustimmend und wartete, bis Kovir seine Bibliothek verlassen hatte. Dann stand ich auf und sah mich ein wenig um. Das war eine gute Gelegenheit, um mich einmal ungestört umzusehen, ohne, dass Kovir jeden meiner Schritte dabei beobachtete. Langsam streifte ich an seinen Regalen vorbei und betrachtete jeden Buchtitel sorgfältig. Etwas in mir verleitete mich regelrecht zu der Tür, die zu Kovirs Gemächern führte. Unruhig hob ich den Kopf und prüfte, ob die Luft rein war. Von Kovir war nichts zu sehen und es würde noch einige Minuten ruhig bleiben, da er, um zur Küche zu kommen, die halbe Festung durchqueren müsste und anschließend warten müsste, bis Barda etwas Eis von den großen Eisblöcken im Kellergewölbe abgeschlagen hatte, um es mir zu bringen. Unsicher legte ich eine Hand auf den Knauf der Tür. Ob sie abgeschlossen war?

Leicht drehte ich den Knauf und die Tür gab nach.

Ich weitete leicht die Augen.

Ob ich hinein gehen sollte?

Einen Moment lang haderte ich mit mir selbst, aber dann schob ich mich rasch an der Tür vorbei und schloss sie leise wieder. Die Gemächer des Meisters sahen ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Die ganze Bibliothek war mit Tischen, Büchern, Stühlen, Schriftrollen und Pergamentseiten zu geräumt. Seine Gemächer hingegen waren eher schlicht eingerichtet. An einer Wand duckte sich ein einfaches kleines Feldbett, auf dem das Bettzeug fein säuberlich zusammen gefaltet worden war. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Schreibtisch, auf dem genau zwei Bücher und ein Tintenfässchen mit verschieden großen Federn lagen. Und an der Wand, die gegenüber der Tür war, stand ein hohes Regal mit Büchern, die allesamt hinter einem Gitter verschlossen waren. Weshalb waren sie vor der Öffentlichkeit weggeschlossen?

Nachdenklich blickte ich mich in der kleinen Kammer um, bevor ich näher an das Regal heran trat und an dem Gitter rüttelte. Es ließ sich nicht bewegen.

Seufzend wandte ich mich ab und wollte schon wieder umkehren, als ich in der vermauerten Wand einen lockeren Stein entdeckte. Ich zog die Stirn kraus und griff nach dem lockeren Stein. Er ließ sich ohne Probleme aus der Wand lösen. Darunter befand sich, zusammen gefaltet ein kleines Stück Pergamentpapier. Nachdenklich griff ich danach und in dem Moment, als ich das Papier berührte, schoss ein zuckender Blitz meinen Arm hinauf und mir wurde schwarz vor Augen.

 

Ihre Schritte hallten auf dem Boden wieder, als sie den Gang zu des Meisters Gemächern entlang lief. Sie wusste, dass ihr Ehemann sie nicht vermissen würde, denn er schlief tief und fest, nachdem sie die halbe Nacht im Bett zusammen verbracht hatten. Wieder war er überaus leidenschaftlich gewesen, wie alle Männer dieses neu erbauten Königreiches.

Doch diese Nacht konnte sie kaum daran denken, wie wundervoll und sanft Woberok zu ihr gewesen war. Denn sie hatte etwas gesehen. Etwas, das alles verändern würde.

Sie beschleunigte ihren Schritt und schlüpfte in die Gemächer des Meisters. Auch er war im Tiefschlaf und bemerkte gar nicht, was hier vor sich ging. Aber sie musste es schnell verstecken. Sie sah den Verrat in ihrem Traum, einen Verrat, den sie niemals vergessen würde können. Sie wusste nicht, wann es soweit wäre, aber es würde nicht mehr lang dauern. Bald war die Zeit gekommen.

Bald war alles fort.

Nervös strich sie sich das lange schwarze Haar aus der Stirn und löste so leise, sie konnte einen Stein aus der Mauer. Wenn sie alles durchsuchten, würde hier niemand finden, was sie versteckte. Niemals. Und vielleicht würde es eines Tages die richtige Person finden. Leise faltete sie die kleinen Buchseiten und schob sie in die Mauer hinein, dann legte sie den Stein darüber und flitzte barfuß zurück in die Königsgemächer zu ihrem Ehemann.

Verschlafen wälzte er sich herum und schmiegte seine Nase in ihr Haar, schlang einen Arm um ihren Taille.

Mit gerunzelter Stirn legte sie ihre Hand auf seine, die an ihrem Bauch lag.

Sie wusste, dass es das letzte Mal gewesen war, wo sie so vertraut miteinander gewesen waren.

 

Keuchend riss ich die Augen wieder auf und zuckte von der Mauer zurück.

Eine Art Vorahnung durchflutete mich.

Ich griff nach den Buchseiten und stopfte sie in die Falten meiner Kleider, ehe ich den Stein zurück in die Mauer schob, dann raste ich zurück in die Bibliothek und setzte mich auf die Pritsche. Im selben Moment tauchte Kovir im Eingang zu der großen Halle auf und trug einen Eisbeutel zu mir. Als er mich dieses Mal nach meinen Träumen fragte, verneinte ich alles, was damit zusammen hing.

Kapitel 32

 

Das Abendessen verlief relativ ruhig und Regan wirkte entspannt, sodass ich versuchte, auch meine Zweifel und Sorgen hinten anzuschieben. Aber es war schwer, so viel, wie mir im Moment durch den Kopf ging. Zwar verstand ich mich nun sehr gut mit Regan, denn ich fühlte echtes Vertrauen zu ihm, aber meine Gedanken wurden von so vielen kleinen Dingen umschattet, dass es schwer war, sich auf mein Glück zu konzentrieren. Freyer saß traurig am Tisch und stocherte in ihrem Essen herum und ich wusste, dass sie noch immer keine Botschaft von Rikkon bekommen hatte, was ihm überhaupt nicht ähnlich sah. Zudem beschäftigte mich die Tatsache, dass ich von meinem ältesten Bruder Harris seit meinem Abschied in Flusswald nichts mehr gehört hatte. Und dann auch noch Tristans seltsames Verhalten. Es war mir alles ein Rätsel und ich fragte mich, was in Kartan vor sich ging. In der Tat war Jeff, mein älterer Bruder, den ich noch nie recht verstanden hatte und dem ich nie besonders nahe gewesen war, der Normalste aus meiner Familie in der letzten Zeit zu sein.

Nach nur kurzer Zeit verabschiedete sich Freyer vom Abendessen und zog sich zurück.

Zu gerne wäre ich meiner Freundin gefolgt und hätte ihr gesagt, dass sie nicht den Mut verlieren sollte, aber ich entschied mich dagegen und blickte zu Regan, der sich das Essen sichtlich schmecken ließ. Er unterhielt sich angeregt mit dem König und seinem Onkel, während Lady Dagmar ihrer Tochter nachdenklich hinterher blickte, als versuchte sie Freyers Verhalten zu deuten. Vermutlich hatte sie keinerlei Ahnung von den Heiratsplänen ihrer Tochter.

Ich seufzte, wischte mir den Mund an meiner Serviette ab und stand auf. »Ich bin müde und würde mich gerne zurückziehen.«, sagte ich und erlangte die Aufmerksamkeit meines Mannes.

Regan hob den Kopf und betrachtete mich argwöhnisch. »Ist alles in Ordnung?«

Ich lächelte beruhigend. »Ich bin nur etwas müde. Das ist alles.«

»Mein Weib fühlte sich auch müde, als sie ihr Kind erwartete. Ist es in Eurem Fall etwa genauso?«

Ich funkelte Lord Wilmer an. »Und wenn es so wäre, dann wärt Ihr sicherlich nicht der erste Mann, der das erfahren würde.«, gab ich zurück und wandte mich ab. Da niemand etwas zum Protest sagte, ging ich davon und kehrte in Regans und meine Gemächer zurück. Dort fachte ich als erstes das Feuer an und ließ mir von Edda aus der Kleidung helfen. Dann schickte ich sie fort und holte die zerfledderten Buchseiten hervor. Es war ein Wunder, dass sie so gut erhalten waren nach den schieren Jahrhunderten in dieser Mauerritze. Nachdenklich faltete ich sie auf und betrachtete die vergilbte Schrift. Sie war kaum noch leserlich, aber ich erkannte die Worte sofort. Sie war in der gleichen Schrift geschrieben, wie das kleine Buch, das ich aus Kovirs Bibliothek hatte.

Auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen!

Ich lief strammen Schrittes zum Kamin und öffnete mein Versteck an der Seite. Dort hatte ich eine kleine Nische gefunden, in der ich, von Steinen versteckt, die kleinen Bücher aufbewahren konnte. Nervös kniete ich mich nieder und fischte die Bücher hervor. Sofort blätterte ich das kleine, in weiches Leder geschlagene Buch bis zum Ende durch. Dort prangte nach wie vor die Handschrift eines Unbekannten und die drei Fetzen von herausgerissenen Seiten waren zu sehen. Ich griff nach den losen Blättern und hielt sie an die Buchfetzen und mein Atem verschnellerte sich. Mein Herz begann zu pochen.

Es passte perfekt.

Bei den Göttern! Diese Frau aus diesem seltsamen Traum... sie hatte die Seiten dort versteckt. Sie hatte sie vor irgendjemandem versteckt, weil sie nicht gewollt hatte, dass sie jemand fand. Zudem fürchtete sie sich vor einem Verrat, aber welchem Verrat? Und weshalb sollte jemand die Festung deswegen durchsuchen? Und wer war der Mann gewesen, zu dem sie ins Bett gestiegen war? War das König Ragnar? Genau hatte ich nichts gesehen, aber mittlerweile hatte ich das Gefühl, dass meine Träume kein Hirngespinst mehr waren.

Sie hatten etwas zu bedeuten.

Nachdenklich überflog ich die Seiten und entdeckte zwei leere Pergamentseiten, auf die jedoch mit Handschrift etwas stand. Die Buchstaben waren genauso hart wie der Rest des Buches und ähnelten dem, was in der Innenseite des Buchrückens stand. Leider konnte ich sie noch immer nicht entziffern, da ich keinerlei Anhaltspunkt darüber hatte, was diese Worte bedeuten konnten. Sie waren dem Text des Buches ähnlich, aber mehr auch nicht. Es ließ sich keine klar definierte Sprache daraus schließen.

Frustriert stopfte ich alles in mein Versteck zurück und legte die Steine darüber.

Zum Glück genau im richtigen Augenblick, denn als ich gerade ins Bett schlüpfen wollte, trat Regan in unsere Gemächer und schloss die Tür. Ich spürte, wie die Spannung von ihm ausging, als er näher trat. Ich sah zu ihm hoch, fühlte mich so sehr zu ihm hingezogen, dass ich kaum anders konnte, als mich an ihn zu schmiegen.

Er legte seine Arme um mich und vergrub sein Gesicht an meinem Hals.

Warme Schauer liefen mir über den Nacken.

»Hast du das geregelt wegen dem Fluchtotem?« Ich hörte die Sorge aus meiner eigenen Stimme heraus.

Regan hob mein Kinn an, damit ich ihm in die Augen sehen konnte. »Ich habe mich darum gekümmert ja... Es war Igred.«

Meine Augen weiteten sich. Hatte ich es doch geahnt! Wie kam es nur, dass ich es ahnen konnte. Allmählich wurden mir meine eigenen Gedanken unheimlich. Erst die Sache mit den Dornen, mit dem Bären in der Ferne, dem Banner, dessen Wappen ich nicht kannte. Der Wolf mit den goldbraunen Augen. Dann diese seltsame Vision, die ich in Kovirs Gemächern gehabt hatte, in der ich eine schwarzhaarige Frau gesehen hatte, die dort die Pergamentseiten versteckt hatte und höchst wahrscheinlich die Besitzerin der kleinen Bücher gewesen war, die ich nun mein Eigen nennen konnte. Und zu guter Letzt die Vorahnung, dass Igred, Regans frühere Geliebte, das Fluchtotem unter unser Ehebett gelegt hatte, um mir zu schaden.

»Weshalb hat sie es getan?«, flüsterte ich kaum hörbar.

Regan blickte mich zerknirscht an. »Sie ist von Eifersucht zerfressen. Sie trauerte mir nach und hat gehofft, dass ich durch das Fluchtotem von dir ablasse.«

Ich runzelte die Stirn. »Aber... wenn sie es gewesen ist, dass ist sie den Bräuchen der Wilderer treu. Das sagte jedenfalls Kovir heute Mittag.«

Plötzlich ließ er von mir ab, als hätte er sich verbrannt. »Du hast Kovir davon erzählt?«

»Ja...«, antwortete ich unsicher und zog den Kopf ein. Warum reagierte er jetzt so gereizt? Schließlich war er der Meister dieser Festung, da konnte ich ihm doch wohl von so etwas erzählen, oder?

Regan schüttelte den Kopf und fuhr sich nervös durch das rabenschwarze Haar. »Solche Dinge gehen ihn nichts an, Kira. Warum erzählst du so etwas? Hast du ihm auch brühwarm erzählt, dass ich dich davor gevögelt habe?«

Entsetzt starrte ich ihn an. »Gevögelt? Verdammt, wir sind hier nicht in irgendeinem Militärlager, wo du mit irgendeinem Soldaten redest! Ich bin deine Frau und, wenn es letzte Nacht nur Vögeln für dich war, dann nimm dir doch deine Geliebte zum Vögeln!«, fauchte ich gekränkt, drehte mich herum und stapfte zum Fenster. Mit verschränkten Armen starrte ich in die dunkle Nacht. Der Halbmond ließ sein kaltes Licht auf die Stadt scheinen. Meine Gefühle liefen Ammok bei diesem Wort, denn darauf wollte ich mich ganz bestimmt nicht reduzieren lassen.

Vögeln...

Als wäre ich eine dahergelaufene Hure, die zu ihm für drei Kronen ins Bett stieg.

Regan seufzte genervt. »So war das doch überhaupt nicht gemeint, Kira.«

»Ich weiß schon ganz gut, wie das gemeint war.«, knurrte ich. »Und nein, ich habe Kovir nicht erzählt, was wir zuvor im Bett gemacht haben. Das geht nämlich nur uns beide etwas an, wie ich finde.«

Auf einmal spürte ich seine Hände an meiner Taille und entspannte mich sofort wieder. »Vergib mir, ja? Ich bin ein ungehobelter, beschränkter, schlecht erzogener Vollidiot. Und ich kann mehr als froh sein, dass du mich geheiratet hast. Vergib mir meine Wortwahl«, raunte er in meinen Nacken und ich seufzte genüsslich ob seiner Nähe auf.

In diesem Moment ertönte von draußen ein Ruf und ich zuckte in Regans Armen zusammen. Beschützend drückte mich Regan fest an sich und ich schmiegte mich an ihn, als mein Mann sich zum Fenster vorbeugte, um hinaus sehen zu können. Dabei versuchte er sich so zu drehen, dass mir der Blick nach draußen verwehrt würde. Aber ich konnte dennoch über seiner Schulter einen Blick nach draußen erhaschen. Auf der Mauer zur Festung huschten die Wachmänner herum wie aufgescheuchte Hühner. Fackeln wurden entzündet, um Licht zu spenden.

»Regan, was ist los?«, fragte ich verwirrt.

Sein Körper spannte sich unter meinen Händen an, ich spürte, wie sein Herz schneller schlug und sein Atem sich verschnellerte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass seine Pupillen sich verengten, was den schnelleren Herzschlag erklären würde. Er schob mich ein Stück von sich und im selben Moment wurde die Tür zu unseren Gemächern aufgerissen.

Wir drehten uns gleichzeitig herum und starrten den Eindringling an.

Raphael stand schwer atmend in der Tür, sein Gesichtsausdruck war finster.

»Was geht hier vor sich?«, wollte Regan wissen, er hatte mich losgelassen und nun trat er auf Raphael zu.

Dieser strich sich zwei wirre Strähnen seines dunkelbraunen Haares aus der Stirn. »Wir haben gerade von zuverlässigen Quellen erfahren...«, er holte tief Luft. »dass sich hier in der Feste ein Attentäter aufhält.«

»Ein Attentäter?«, fragte ich erschrocken und wandte meinen Blick sofort zu meinem Mann.

Alles war in diesem Moment vergessen. Unser kleiner Streit, die wirren Gedanken, die mir den gesamten Abend durch den Kopf gespukt waren und meine Gefühle. Es fühlte sich kalt in meinem Innern an und auf einmal hatte ich das Gefühl, wieder den Schnee aus meinem Traum zu fühlen. Eiskalt und unerbittlich. So hart und eisig, wie ich ihn noch nie gespürt hatte. War das wieder eine seltsame Vorahnung oder war es diesmal doch nur ein Hirngespinst?

»Was für ein Attentäter?«, überging Regan meine Frage, als wäre ich überhaupt nicht anwesend.

»Nation ist unbekannt. So viel haben unsere Spione nicht herausfinden können, aber er soll sich in der Festung aufhalten und sein Ziel ist der König.«, berichtete ihm Raphael. »Der König wurde bereits in seinen Gemächern eingeschlossen. Seine Leibgarde ist bei ihm und Kovir hat die Bibliothek verbarrikadiert. Er beherbergt dort einige Diener. Der Rest geht auf Tauchstation.«

Regan nickte nachdenklich. »Lass nach Ofnak, Kaidan, Thorald und Ferrin rufen. Sie sollen sich bewaffnen und mich am Eingang zur Feste treffen.«

»Du willst ihn jagen?«

Mir rutschte beinahe sofort das Herz in die Hose, als Raphael diese Frage stellte und Regan sich ein Stückchen größer machte und seine Muskeln anspannte, die unter seinem Leinenhemd hervortraten. Mir wurde augenblicklich eiskalt, denn mein Ehemann nickte nur und schickte Raphael mit einem Wink fort. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Ein Attentäter, der wie aus dem Nichts auftauchte und auf den König aus war? Wie sollte der Attentäter überhaupt die Feste betreten, wenn jetzt schon jeder von seiner Anwesenheit wusste und der König so gut bewacht war von seiner Leibgarde, dass sich ihm kaum jemand auf zwanzig Metern nähern konnte. Und nun wollte Regan sich auf die Suche nach ihm machen? Da zeigte er sich ihm doch auf dem Präsentierteller!

Regan wandte sich von der Tür ab, die Raphael geschlossen hatte und ging zum Bett hinüber, neben dem sich die Truhe mit seiner Rüstung befand.

Ich starrte ihm nach. »Das ist doch nicht dein Ernst, oder?«

»Nicht jetzt, Kira«, knurrte Regan gereizt und öffnete den Truhendeckel.

Wütend bohrte ich ihm Löcher in den Rücken mit meinem Blick. »Doch, Regan! Genau jetzt! Das ist Wahnsinn. Du kannst doch keinen Attentäter jagen!«

»Ich kann und ich werde«, entgegnete er mir mit ernster Stimme und blickte mich kurz über die Schulter hinweg an. In seinen Augen stand ein Ausdruck, den ich zuvor noch nie bei ihm gesehen hatte. Es war bitterer Ernst mit einer Kälte und Härte gemischt, die ich noch nie an ihm wahrgenommen hatte. So zärtlich und sanft er in unserer ersten Nacht zu mir gewesen war, so kalt und fremd erschien er mir in diesem Moment.

»Und... und, wenn du ihn findest? Was dann? Willst du ihn gefangen nehmen? Was ist, wenn er dich verletzt, oder schlimmer? Das kannst du nicht machen!«, rief ich entsetzt, als Regan seinen Brustharnisch anlegte und anschließend seine Armschienen hervorholte. Er ignorierte meine Worte, zog sich in aller Seelenruhe an, als würde er nicht gleich auf eine wahnsinnige Jagd gehen, von der er vielleicht nicht wiederkehrte. Wusste er eigentlich, was für Angst er mir damit einjagte? Und wieder schien es so, als würde er mich ausschließen, weil ich eine Frau war.

Nachdem Regan seine Armschienen angelegt hatte und dann nach der Scheide seines Schwertes griff, blickte ich ihn flehend an und versperrte ihm den Weg zur Tür.

»Bitte, Regan!«

»Geh mir aus dem Weg, Kira.«, knurrte er und seine blauen Augen wirkten nicht länger wie Kristalle, sondern wie klirrendes Eis.

Ich zuckte zusammen, bewegte mich aber keinen Millimeter von der Stelle. »Das willst du wirklich? Mich hier zurücklassen, während du auf Attentäterjagd gehst? Ist es dir egal, was mit mir ist?«

»Natürlich nicht«, brummte er und verdrehte die Augen.

»Und ist es dir egal, welche Sorgen ich mir um dich mache? Lass mich doch mitkommen, dann kann ich helfen...«

Sein Blick wurde von einer Sekunde zur anderen noch viel kälter, sodass ich wieder den beißenden Schnee auf der Haut fühlen konnte. »Bist du verrückt? Ich lasse keine Frau in einen Kampf ziehen und schon gar nicht meine Frau. Du bleibst hier!«

Benommen blinzelte ich und sah ihn von Kopf bis Fuß an. Hatte er das gerade tatsächlich gesagt? Hatten wir dieses Thema nicht endlich hinter uns gelassen? Ich hatte geglaubt, dass wir es bereits auf der Jagd geklärt hatten, nachdem wir uns so heftig gestritten hatten und ich ihm das über meine Brüder erzählt hatte und, dass ich mit Waffen umgehen konnte. Bedeutete ihm das gar nichts? Und was sollte es heißen, dass er keine Frau in den Kampf schickte? Schließlich konnte ich sehr wohl mit einer Waffe umgehen!

»Was soll das denn bedeuten?«, fragte ich spitz.

Regan verdrehte die Augen. »Dass du hier bleibst und wartest, bis ich zurück bin.«

»Du willst wohl eher sagen, dass eine Waffe in der Hand einer Frau nichts zu suchen hat, oder?«, fauchte ich und funkelte ihn finster an.

Er schnaubte kurz, als wäre er dieses Gesprächs allmählich müde, blickte er mir tief in die Augen. »Wenn es das ist, was du unbedingt hören möchtest, dann ja. Ich finde, dass in deine Hände keine Waffe gehört und nun ist das Thema für mich beendet. Geh mir aus dem Weg.«

Ehrlich gesagt konnte ich es nicht fassen, dass er diese Einstellung noch immer hegte. Ich hatte gedacht, dass sich seit unserem Gespräch etwas geändert hätte und deshalb war ich regelrecht geschockt darüber, was er mir da sagte. Hatte er mir nicht meinen Dolch zurück gegeben, damit ich mich verteidigen konnte? Hatte er nicht gesagt, dass viel mehr Frauen eine Waffe bei sich tragen sollten, damit ihnen solch ein Schicksal, wie es mir im Wald beinahe geblüht hätte, erspart bliebe? Was waren diese Worte noch wert?

Ich erkannte ihn kaum wieder.

In diesem Moment war er nicht der Mann, dem ich letzte Nacht alles von mir gegeben hatte.

Kurzzeitig wurde sein Blick weicher, er legte eine Hand an meine Wange und beugte sich zu mir herunter. Als er mich küsste, war es, als würde mich ein Fremder küssen und ich spürte Verbitterung in meinem Herzen. Wäre das mein Schicksal? Ihm zu Willen zu sein, ansonsten den Mund zu halten und mich dem Willen dieses Königreiches unterwerfen, das es für absolut verwerflich hielt, wenn eine Frau sich mit Waffenstärke selbst verteidigen wollte. Würde jeder Mann es als Angriff auf seine Männlichkeit sehen? Als Zeichen, dass er eine Frau nicht beschützen konnte?

Ich verzog das Gesicht, denn ich spürte, wie mir Wuttränen in die Augen stiegen.

Bitter entzog ich mich ihm und drehte das Gesicht weg.

Er hob den Kopf und suchte nach meinem Blick, aber ich wagte es nicht mehr, ihn anzusehen. Vielleicht war es gemein von mir, dass ich wollte, dass er sich schlecht fühlte. Aber in diesem Moment wollte ich, dass es ihm leid tat, dass er seine Worte und seine Taten bereute. Und ich wollte, dass er um Verzeihung bat, aber Männer wie Regan taten das nicht, wenn sie sich im Recht fühlten. Und so tat mein Mann das natürlich auch nicht.

Regan seufzte und rieb sich die Nasenwurzel, als hätte er es mit einem bockigen Kind zutun. Vermutlich fühlte er sich im Moment auch nicht anders, denn eine ältere, erfahrenere Frau hätte seinen Standpunkt vermutlich besser verstanden. Nebenbei wäre besagte ältere Frau auch im Wald vergewaltigt worden, aber das spielte keine Rolle...

»Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle«, sagte er im strengen Befehlston.

Ich funkelte ihn an. »Und ich nehme an, das ist es, was eine gute Ehefrau tun würde.«

»Eine gute Ehefrau redet jedenfalls nicht so mit ihrem Ehemann.«, erwiderte er schlagfertig und seine Nasenflügel bebten dabei.

Fest presste ich die Kiefer aufeinander, um mich zu beherrschen, doch es war nicht leicht. »Verzeiht. Ich hatte vergessen, dass sich in Woberok die Männer gerne wie die Herren über ihren Frauen fühlen und, dass wir für euch nur den Mund zu öffnen haben, wenn es eurer Befriedigung dient.«

Jetzt war es Regan, der die Beherrschung verlor, denn er packte mich fest an den Oberarmen und stieß mich zur Seite. »Vielleicht trifft es sich ganz gut, dass dieser Attentäter hier in der Feste herum streunt, dann kannst du dich deines Standes besinnen und über deine Worte mir gegenüber nachdenken.«, zischte er gefährlich leise und riss die Tür unserer Gemächer auf, um auf den Gang zu treten. Dann hielt er meinen Schlüssel für die Tür hoch. »Und, um sicher zu gehen, dass du hier drinnen bleibst in Sicherheit, behalte ich deinen Schlüssel, bis ich zurück bin.«

Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen entsetzt und ungläubig an. Das war nicht sein Ernst! Er wollte mich einsperren?!

»Was? Regan, nein! Das kannst du nicht...!«

Aber da hatte er sich schon abgewandt und die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Ich schrie, lief zur Tür und schlug dagegen. Das konnte er nicht machen! In diesem Moment knarzte der Riegel und die Tür war zugeschlossen. Er hatte mich eingesperrt! Mein eigener Mann! Wie konnte er das nur tun?

»Regan!«, kreischte ich. »Mach sofort die Tür wieder auf! Bitte!«

Mir liefen Tränen über die Wangen und ich schrie lauter, als ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten. Aber er hörte mich nicht, wollte mich vielleicht gar nicht hören, aber ich hämmerte wie eine Besessene an der Tür herum, auch, wenn ich wusste, dass es mir nichts bringen würde.

 

 

Er krampfte die Hand um den Schlüssel zusammen und ihm lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken, als er spürte wie das Metall seines Ringes das des Schlüssels berührte. Sein Ring, den sie ihm letzte Nacht geschenkt hatte, um den eisernen Beweis ihrer Ehe endlich zu vervollständigen, schien ihn in diesem Moment zu verhöhnen und es brach ihm beinahe das Herz, als er Kira hinter der Tür toben hörte. Er wusste, dass er ihr damit wehtat, dass er sie einsperrte und ihr diese Dinge an den Kopf geworfen hatte, aber er musste in diesem Moment an mehr denken, als seine Frau. Regan schoss immer wieder der Gedanke von dem Attentäter durch den Kopf, der hier herum schlich und auf eine passende Gelegenheit wartete, den König zu attakieren. Er musste jetzt an seine Familie denken und Kira war in seinen Gemächern sicher, das wusste er.

Angespannt biss Regan die Zähne aufeinander.

Es hatte ihm wehgetan, so mit ihr zu sprechen, aber wieder hatte sie dieses Thema angeschnitten, das schon die ganze Zeit über einen Spalt zwischen sie getrieben hatte. Schließlich gab es einen bestimmten Grund dafür, dass die Frauen so behandelt wurden, wie sie behandelt wurden. Weshalb sie keine Waffen tragen und besondere Macht inne hatten. Aber Kira wollte sich dem anscheinend noch immer nicht fügen. Und Regan konnte nicht nachvollziehen, weshalb. Jeder Frau war es bisher gelungen, warum ihr nicht?

Er schüttelte missmutig den Kopf und folgte dem Gang zum Eingang der Feste. Überall im Innenhof wimmelte es von Soldaten und Wachmännern, die jeden Winkel durchsuchten. Sie sahen in jede Holzkiste und jedes Fass, das sie zu fassen bekamen, um sicher zu gehen, dass sich dort niemand versteckte. Überall brannten Fackeln, um Licht zu spenden, um besser sehen zu können.

Regans Männer hatten sich am Eingang zusammen gefunden.

Thorald wetzte sein Schwert und Kaidan und Raphael überprüften ihre Bögen und Pfeile, als würden sie sich auf einen schweren Kampf vorbereiten.

Er trat zu ihnen und begrüßte sie jediglich mit einem Kopfnicken.

»Akira war nicht begeistert davon, dass du den Attentäter jagen willst, oder?«, fragte Raphael beiläufig.

»Sie hat mir die Hölle heiß gemacht, danke.«, brummte Regan und steckte den Schlüssel weg.

»Du hast sie eingesperrt?« Raphaels Augen wurden etwas größer.

Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Sie wollte am liebsten mit mir kommen und schließlich will ich sie auch in Sicherheit wissen.«

»Du musst wirklich noch lernen, wie man mit Frauen umgeht.«, brummte Ofnak und schüttelte leicht den Kopf, ehe er sich seltsam schweigsam abwandte und sich einigen Wachen beim Suchen anschloss.

Kurz blickte Regan ihm nach, ehe er wieder einmal von Thoralds Kommentaren abgelenkt wurde.

»Wenn du dieses Weib besser unter Kontrolle hättest und, wenn sie wüsste, wer in eurer Beziehung der Mann ist, hätte sie ihre Zunge gehütet.«

Regan ignorierte Thorald, da er sich nicht wieder streiten wollte, dann griff er nach dem Knauf seines Schwertes und deutete in den Hof, um wieder auf ihre Aufgabe aufmerksam zu machen. »Lasst uns jetzt lieber nach dem Attentäter suchen, bevor der tatsächlich noch Schaden anrichten kann.«

Seine Männer nickten und dann stürmten sie los, um den Attentäter zu finden, der so töricht war, nach Woberok zu kommen, um Ärger zu machen.

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Mách tas krach halach, tenach á kam'ach.

 

Kinder des Alten Blutes, Aenna.

Kapitel 33

 

Erschöpft rutschte ich nach schier endlos erscheinenden Augenblicken an der Tür gelehnt bis auf den kühlen Holzfußboden. Schniefend wischte ich mir unter der Nase entlang und lehnte den Kopf gegen das Holz der verschlossenen Tür. Noch immer war ich wie betäubt, konnte es nicht fassen, dass Regan mich hier eingesperrt und zurückgelassen hatte. Noch immer schmerzten seine Worte in meinem Herzen und ich spürte Wut darüber in mir, die einfach nicht verrauchen wollte. Wie nur hatte er mich hier einsperren können? War er doch nicht der Mann, für den ich ihn gehalten hatte?

Ich rieb mir über die kalten Oberarme, dann wälzte ich mich in meiner kauernden Position herum und lehnte mit dem Rücken gegen die Tür, zog die Beine eng an meinen Körper. Zornig rieb ich mir mit der Handfläche über die Wangen, um diese dummen Tränen aus meinem Gesicht zu wischen.

»Dieser blöde Hornochse«, flüsterte ich schluchzend und schüttelte den Kopf.

Und jetzt rannte er da draußen herum, wie ein großer Held und versuchte einen Attentäter zur Strecke zu bringen. Anstatt hier zu bleiben und das den Wachen zu überlassen. Zu allem Überfluss sperrte er mich hier ein, weil er angeblich wollte, dass ich sicher war. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Was nur ging in seinem verfluchten Dickschädel vor sich, dass er mir kaum zuhören wollte? Seit dem Vorfall von eben hatte ich das Gefühl, dass es noch immer Dinge gab, die zwischen uns nicht ausgesprochen waren. Dinge, die uns noch immer im Weg standen und Dinge, die für ihn selbstverständlich zu sein schienen und für mich einfach noch immer nicht klar waren. Ich wollte nicht darauf reduziert werden, hier den ganzen Tag auf meinen Mann zu warten und ihm das Bett zu wärmen, während er da draußen Monster erschlug. Das war doch lächerlich.

Müde rieb ich mir die brennenden Augen und blickte mich in unseren Gemächern um. Blinzelnd stand ich auf und flitzte zur Terasse herüber, schob die schweren, grünen Vorhänge beiseite und öffnete die Terassentür. Sie war nicht verschlossen! Doch auch, als ich bei dem eisigen Wind bloß im Nachtkleid auf der winzigen Anbauterasse stand und auf den Gang unter mir blicken konnte, so wie auf die Mauer, auf der es noch immer von Wachen wimmelte, kam ich zu keinem Ergebnis. Es war zu hoch, um hinunter zu springen, da würde ich mir höchstens alle Knochen brechen. Und es gab nicht genug Vorsprünge oder ähnliches, um herunter zu klettern... ohne, dass ich mir dabei die Knochen brach.

Frustriert schnaubte ich und blickte mich um, entdeckte aber nichts hilfreiches mehr.

Das war doch nicht wahr! Jetzt steckte ich hier tatsächlich fest? Eingesperrt in meinen Ehegemächern von meinem eigenen Mann, der da draußen herum rannte, um einen Attentäter zu jagen und ich steckte hier fest! Wütend schlug ich mit meinen Fäusten auf das Geländer und zuckte zusammen, weil es doch schmerzhafter war, als ich gedacht hatte.

Kopfschüttelnd lief ich zurück ins Warme und schloss frustriert seufzend die Terassentür, bevor ich die Stirn dagegen lehnte. Ich war wütend. Beinahe rasend vor Wut und ich wusste, dass ich Regan die Hölle heiß machen würde, sollte er sich diese Nacht noch zu mir ins Bett wagen.

Ich tigerte beinahe eine Stunde nur ruhelos durch den Raum. Irgendwann gab ich auf und ließ mich kraftlos auf das Bett sinken und durchsuchte meine Gedanke nach einer Möglichkeit, um mir wenigstens die Zeit zu vertreiben, bis Regan hier wieder auftauchen würde. Dann fiel mir mein Buch wieder ein, das ich versteckt hatte. Das wäre wenigstens ein Weg, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Ich schnappte mir die Bücher und setzte mich damit auf das Bett, zog die Beine an meinen Körper. Nachdenklich durchwühlte ich die Bücher und versuchte noch einmal herauszufinden, was die Worte auf der Innenseite des Buchdeckels bedeuten könnten.

Irgendwann wurde ich so müde, dass ich über meinen Recherchen einschlief.

 

Blinzelnd zuckte ich aus dem Schlaf hoch, als ich ein Klirren vernahm und ein lautes Knacken. Verschlafen rieb ich mir über die brennenden Augen, stemmte mich langsam auf die Hände auf und hob den Kopf. In diesem Moment blieb mein Herz stehen und eine unangenehme Gänsehaut breitete sich auf meinem gesamten Körper aus. In meinem Kopf schrillten alle Alarmglocken und meine Augen weiteten sich ein großes Stück.

Nur wenige Meter von Regans und meinem Ehebett entfernt stand eine große, finstere Gestalt. Die Terassentür war aufgebrochen und die Scheibe eingeschlagen. Wie war er nur hier herauf gekommen? Was tat dieser Mann hier? Und wer war das?!

Ich zuckte zusammen, als er sich ein Stück rührte und seine Hand erhob.

Mein Atem kam nur noch stoßweise, war kaum noch vorhanden. Wer zum Teufel war er?!

Seine Hand griff nach dem Helm, der auf seinem Kopf saß. Er war edel geschmiedet worden und sicherlich nicht sehr preisgünstig, aber irgendwas an seiner Kleidung war seltsam. Sie war so... sie war nicht woberokisch, sondern... Bei den Göttern! Das war eine fenraler Rüstung! Auf dem Helm war ein Bär abgebildet...

Mir kroch es eiskalt den Rücken herunter.

»Seid Ihr überrascht?«, fragte eine tiefe, grollende Stimme, die ich nur allzu gut kannte. »Mich hier vorzufinden?«

Der Atem stockte in meiner Kehle und beinahe hätte ich mich an meiner eigenen Atemluft verschluckt. Ich rutschte noch ein Stückchen nach oben, bis ich das Kopfende im Rücken spürte.

Der Mann zog den Helm von seinem Kopf und hervor kam ein Schopf kupferroten Haares und ein Gesicht, das ich zu hassen gelernt hatte. Verschlagene grüne Augen mit goldenen Sprenkeln darin kamen zum Vorschein, die mich mit einem Wahnsinn musterten, den ich noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Wer war dieser Mann? Ich hatte ihn für den Kommandant einer Kriegseinheit von Woberok gehalten. Er hatte doch den Trupp geführt, der mich von Kartan nach Woberok brachte! Warum trug er jetzt eine Rüstung, die eindeutig ein fenraler Schmied gefertigt hatte.

»Was... was wollt Ihr hier, Gerald?«

Seine Augenbraue zuckte nach oben und in seinen Augen stand ein seltsamer Funke. »Denkt nach, Prinzessin. Seid Ihr Euch sicher, dass die Menschen, die Ihr glaubt zu kennen, die Menschen sind, die sie vorgeben zu sein?«

Mein Herz wummerte in meiner Brust. Das alles ergab doch keinen Sinn! Aber die Tatsache, dass er hier bei mir eingebrochen war, während die Tür zu unseren Gemächern verschlossen war, beunruhigte mich viel mehr, als dass ich darüber nachgrübeln wollte. Innerlich betete ich, dass Regan bald wieder kam. Und ich bereute es, dass ich ihm nicht schon eher gesagt hatte, dass Gerald mir öfters auflauerte und in mir jedes Mal ein Gefühl der Beklemmung hinterließ.

»Wer seid Ihr?«, fragte ich kaum hörbar und rutschte auf Regans Seite, als mir Gerald noch näher kam und auf meiner Seite unseres Ehebettes direkt vor dem Bett stand.

Leicht legte er den Kopf schief, wie eine Viper, die sich ihre Beute genau ansah. »Mein Name ist Malik aus dem Hause Fenral. Ich bin der uneheliche Sohn von König Eris von Fenral... und Ihr, Prinzessin, steckt in verdammten Schwierigkeiten.«

Für einen Sekundenbruchteil setzte mein Herz aus und meine Augen weiteten sich. »Was...? Aber dann... es gibt gar keinen Attentäter, nicht wahr?«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht im Geringsten. Ihr wärt überrascht, was ein Mann zu tun bereit ist, wenn er Angst um sein Weib und seinen neugeborenen Sohn hat. Menschen werden zu Verrätern, die man glaubt, seit Jahren zu kennen... die Schlinge zieht sich zu und Euer Ehemann rennt einem Phantom nach, jagt einen Geist, wie ein Hund seinen eigenen Schwanz.«

Auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wie nur...? Bei den Göttern, hier lief gerade etwas gewaltig schief und es gab gar keinen Attentäter, der hinter dem König her war. Das alles galt nur mir, mir allein. Er hatte diese Kunde verbreiten lassen, weil er genau wusste, dass Regan mich hier zurücklassen würde, um nach dem Attentäter zu suchen, der es auf seinen Vater abgesehen hatte. Und nun saß ich hier schutzlos und war diesem Monster wehrlos ausgeliefert. Was hatte er nur mit mir vor?

»Was habt Ihr Ofnak gesagt?«

Gerald... Malik zuckte die Schultern. »Er hatte Wache am Tor und ich bin zu ihm und sagte ihm, dass er nach einem Attentäter Ausschau halten soll und den übrigen Wachen Bescheid geben soll, ansonsten würde seiner jungen Braut etwas Grausames bevor stehen und ich würde die Wände seines Hauses mit den Eingeweiden seines Kindes schmücken.«

Mir stockte der Atem. »Ihr seid ein Ungeheuer!«, fauchte ich.

»Das merkt Ihr erst jetzt?« Seine Augen funkelten und änderten die Farbe zu rot schimmernden Rubinen. »Ich hatte Euch für intelligenter gehalten.«

Heftig biss ich die Zähne aufeinander, da Wut in mir aufstieg. Ich konnte es nicht fassen, dass er Regans Kameraden erpresst hatte, um eine Lüge zu verbreiten, die nur dazu diente, dass ich schutzlos und alleine in unseren Gemächern festsaß. In meinem Innern spürte ich eine Warnung. Dieser Mann hatte nicht vor, mit mir Tee zu trinken. Er hatte sich einen falschen Namen angeeignet, hatte Monate hier in Woberok verbracht, obwohl er ein Fenraler war und alles nur zu einem Zweck.

Mir.

»Was wollt Ihr von mir?«, fragte ich und bereute es, dass meine Stimme dabei zitterte, während ich unsicher von der Matratze rutschte. Beinahe spürte ich kaum, wie meine kalten Füße den Boden berührten. Ich spürte auch sonst nichts, nur das Adrenalin, das meinen Körper empor schoss und meine Glieder elektrisierte.

»Denkt nach, Prinzessin. Was könnte Fenral von Euch wollen? Ihr habt Fähigkeiten... und die wollen wir.« Malik begann langsam das Bett zu umrunden. »Ihr seht Dinge im Schlaf, oder? Dinge, die andere Frauen nicht sehen. Seit Ihr von dem Dicken aus dem Wald eine verpasst bekommen habt, habt Ihr Träume. Vorahnungen. Und aus diesem Grund kommt Ihr jetzt mit nach Fenral.«

»Nein«, sagte ich mit fester Stimme, obwohl ich mich noch lange nicht so fühlte.

Woher wusste er von meinen Träumen?

Wie hatte er das herausgefunden?

Ich hatte mit niemanden darüber gesprochen außer...

Mir schlief das Gesicht ein.

»Kovir...«, hauchte ich.

Malik nickte. »Der alte Mann ist ziemlich gesprächig, wenn er viel trinkt. Und jetzt entscheidet Euch: Auf die sanfte oder harte Variante?«

»Wenn Ihr mich anrührt...«, knurrte ich und fuhr zurück.

Sein Grinsen wurde breiter. »Dann was?«

Heftig schluckte ich, weil ich nicht wusste, was ich erwidern sollte. Wütend sah ich mich um, dann kam mir eine Idee. Als Malik schon beinahe bei mir war, sprang ich auf das Bett und rutschte zu meiner Bettseite, griff nach meinem Kissen und spürte im nächsten Moment das kalte Metall meines Dolches in der Hand. Innerhalb von Sekunden wog ich sein gutes Gewicht in der Hand.

Auf einmal packten mich zwei Hände fest an der Taille und ich schrie auf. Seine Hand presste sich auf meinen Mund, die andere drückte mir die Rippen ein und ich spürte die Tränen in mir vor Schmerz aufsteigen. Sein Griff war so stark und kraftvoll, dass meine Knochen darunter beinahe nachgaben. Ich wandt mich in seinem Griff und schrie unter seiner Handfläche auf, bis ich seinen Finger zwischen meinen Lippen spürte. So gut wie ich es vermochte, öffnete ich den Mund und krampfte anschließend meine Kiefer um seinen Finger fest. Ich hörte ihn vor Schmerz aufschreien.

»Du kleine Hure!«

Er riss seine Hand aus meinem Kiefer und ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Ich hatte ihn verletzt!

»Fass mich nicht an!«, kreischte ich und versuchte seine Hand von meinem Körper zu lösen, aber er hielt mich so unerbittert fest, dass ich es kaum schaffte, mich in seinem festen Griff zu winden. So begann ich zu strampeln, so gut ich konnte, doch ich spürte schon nach wenigen Sekunden Erschöpfung in mir. Es machte mich regelrecht wahnsinnig, wie schwach ich im Vergleich zu den Männern war! Schon damals im Wald hatte ich es gespürt. Die schnelle Erschöpfung, die Hilflosigkeit und die Schwäche in mir.

»Lass mich los!«, schrie ich, packte den Griff des Dolches fester und drehte mich mit aller Macht herum.

Malik schrie auf, als die Klinge quer über sein Gesicht fuhr.

In diesem Moment gab meine Rippe knackend nach und ich kreischte schmerzerfüllt auf. Mir flossen Tränen vor Schmerz und Wut über die Wangen und ich konnte mich aus seinem Griff frei strampeln, als er zur Seite kippte und auf allen Vieren auf dem Boden landete. Blut tropfte von seinem Gesicht auf den Holzboden, während er stöhnend versuchte das Blut aus den Augen zu blinzeln.

Der Schmerz schoss mir durch die Glieder bis in meinen Schädel, als ich ebenfalls auf dem Boden auftraf und der Dolch neben mir klirrend auf den Boden fiel. Mein Schädel dröhnte, das Blut rauschte in meinem Kopf und ich keuchte vor Schmerz, presste eine Hand an meine Seite, die heftig zu pochen begann. Er hatte mir die Rippe gebrochen!

Keuchend stemmte ich mich auf alle Viere hoch und kroch zur Tür. »Regan! Regan, hilf mir! Bitte!«, schrie ich wimmernd, die Tränen rollten mir über die Wangen.

Schnaubend stand Malik auf und rieb sich das Blut aus dem Gesicht. Die Schmarre, die ich ihm zugefügt hatte verlief quer über sein Gesicht, von der Stirn, über die Nase bis zum Unterkiefer. Blut floss an seinem Gesicht herab wie in Strömen, durchsickerte das Wams und floss über das blanke Metall seiner Rüstung, tropfte auf den Boden. Sein Gesichtsausdruck war verzerrt und von Zorn gezeichnet.

Schwer atmend saß ich mit dem Rücken an die Tür gelehnt da, mein Blick huschte hinüber zu dem Dolch.

Warum hatte ich ihn da liegen lassen?!

Seine Augen folgten meinem Blick.

Mein Herz tat einen Hüpfer und wir stürzten beide gleichzeitig los, aber er war schneller, packte mich und stieß mich gegen meine Staffelei. Sie fiel samt Bild und mir einfach um und ich schrie erstickt auf, als ich die Auswirkung darauf auf meiner gebrochenen Rippe spürte. Er kam langsam auf mich zu, wie eine Schlange, die ihrem Opfer den Gnadenstoß geben wollte.

Malik packte meinen Haarschopf und ich kreischte schmerzerfüllt, als er mich an den Haaren auf die Beine riss und mir tief in die Augen blickte. Seine funkelten wie zwei Rubine, blutrot und bösartig. Das konnten doch nicht die Augen eines Menschen sein! Er war ein Monstrum!

Plötzlich schoss seine freie Hand hervor und presste mir einen stinkenden Lappen auf den Mund. Ich schrie so laut ich es vermochte und flehte die Götter an, dass Regan mich hören mochte. Dass irgendjemand mich hören würde. Ich betete zu allen mir bekannten Göttern, zu Skadi und Mara und allem, was ich kannte, aber niemand erhörte meine Gebete. Niemand erhörte mich. Keine Wache, keine Magd, kein Regan. Er hatte mich verlassen und ich war vollkommen alleine, das wurde mir in diesem Augenblick bewusst. Hier würde mir niemand helfen. Nur ich konnte mir helfen.

Man konnte sich eben auf niemanden verlassen, außer auf sich selbst.

Ich zappelte in Maliks Griff, aber es war mir unmöglich.

Er musste das Tuch mit irgendeinem Betäubungsmittel getränkt haben, denn die Dämpfe stiegen mir bereits bis ins Hirn und machten meine Bewegungen unkontrolliert und ungelenk, mein Geist wurde müder, meine Lider schwer. Meine Finger, die sich in Maliks Hand gegraben hatten, wurden schlaff und das letzte, was ich vor mir sah, waren zwei glühende rote Rubine, die sich in meine Seele einbrannten.

 

 

Ihm schmerzte jeder Muskel und seine Augen brannten vor Müdigkeit, als er mit den Männern in den Innenhof der Feste zurückkehrte. Beinahe die ganze Nacht hatte er mit seinen Männern die Feste und die Oberstadt durchkämmt auf der Suche nach dem vermeindlichen Attentäter. Leider ohne Erfolg. Noch immer waren alle Wachmänner in Alarmbereitschaft und auf den Mauern liefen sie noch immer wie aufgescheuchte Feldmäuse umher. Nach Raphaels Aussage, wurde der König nach wie vor gut bewacht und er war etwas beruhigt darüber, dass wenigstens viele bewaffnete Männer bei ihm waren. Er wollte nicht noch jemanden aus seiner Familie verlieren, schließlich hatte er schon seine Mutter verloren.

Aus diesem Grund war er auch so ungehalten gegenüber Kira gewesen. Die Angst, seinem Vater könnte etwas zustoßen, hatte ihn für Sekunden gelähmt. Dann hatte er nur noch den Willen verspürt, ihn zu beschützen und den Eindringling zu finden, der seine Familie bedrohte.

Umso mehr war ihm in diesem Moment bewusst, dass seine Frau ihn mit Sicherheit nicht freudestrahlend empfangen würde, sobald er die Tür zu seinen Gemächern öffnen würde. Sie war bestimmt rasend vor Wut und er würde ihr sogar zutrauen, dass sie bis zum frühen Morgen wach geblieben war, um nicht den Moment zu verpassen, in dem er wiederkehrte.

Regan fuhr sich nachdenklich durch das dichte schwarze Haar und seufzte. »Dann werde ich mich verabschieden. Werdet ihr noch weitersuchen?«

»Ich trommele noch ein paar Jungs zusammen. Wir hören uns mal in der Unterstadt um. Ich habe da so meine Quellen.«, sagte Raphael unheilvoll und wackelte mit den Augenbrauen. »Und du bist sicher, dass du nicht noch ein paar Stunden weitersuchen willst? An deiner Stelle würde ich mich nicht mehr in meine Ehegemächer wagen.«

Er zuckte die Schultern. »Irgendwann muss ich doch dort hinein, oder?«

Raphael sah ihn ratlos an.

»Hoffentlich kommst du morgen in einem Stück wieder raus.«, bemerkte Thorald und verabschiedete sich daraufhin mit einem einfachen Nicken. Er kehrte zum Tor zurück, als wolle er die Suche nach dem Attentäter noch nicht abblasen.

Ferrin und Kaidan schlossen sich dem breiten Schwertkrieger an, dann wandte sich Regan an Ofnak, der in Gedanken versunken zu sein schien. Regan ignorierte ihn und wandte sich Raphael wieder zu. »Noch irgendeinen nützlichen Tipp?«

»Sag, dass sie Recht hat. Das wollen Frauen immer hören, ansonsten bist du unten durch. Dann spreizt sie sicher nicht mehr die Schenkel für dich.«Rega

Regan blies nachdenklich die Luft aus. »Das ist genau das, was ich jetzt hören wollte. Danke.«, brummte er.

»Immer gerne.«, grinste Raphael, dann verabschiedete er sich mit einem Faustschlag auf die Brust und verschwand in der Dunkelheit des frühen Morgens.

Nervös fuhr sich Regan durch das Haar, dann fasste er allen Mut zusammen und betrat die Feste. Es war gespenstisch still in den Gängen und kaum eine Seele lief die Gänge entlang. Und so machte er sich direkt auf den Weg zu seinen Gemächern. Doch, als er den Schlüssel herausholte und aufschließen wollte, bemerkte er, dass die Tür zu seinen Gemächern nur angelehnt war.

Kalter Schweiß bildete sich in seinem Nacken und sein Herz begann heftig in seiner Brust zu pochen.

Seine Hand legte sich auf das Holz der Tür und schoben sie ein Stück auf.

Das, was er im Innern zu sehen bekam, ließ sein Blut gefrieren. Das Ehebett war zerwühlt, die Kissen lagen daneben auf dem Boden, Blut benetzte die Erde und einige der Möbel waren umgeworfen, darunter auch Kiras Staffelei. Das Bild, an dem sie momentan gearbeitet hatte, war zerstört. Und seine Frau war nirgends zu sehen.

»Kira?!«, brüllte er, aber keine Antwort ertönte. »Wachen! Wachen! Kommt sofort her!«

 

Wie ein Wrack saß er auf dem Stuhl seines Esstisches und starrte in seine Handflächen. Die Linien darin kamen ihm plötzlich wie Furchen vor, die sich in seine Haut gegraben hatten. Um ihm herum ertönte ein Stimmenwirrwarr. Raphael, Ofnak, Thorald, Freyer, Lady Dagmar, Wilmer, sein Vater und einige Wachleute standen quer im Raum verteilt und hatten alles untersucht. Von Kira fehlte jede Spur in der Feste und die Stadtwache durchkämmte nun die Stadt nach der verschwundenen Prinzessin, aber jeder wusste, was hier geschehen sein mochte. Kira war entführt worden, denn die Spuren deuteten auf einen schweren Kampf hin, bei dem sogar jemand verletzt worden war. Niemand vermochte zu sagen, wessen Blut auf dem Boden klebte, ob es nun Kiras war oder das ihres Angreifers. Aber die wichtigere Frage war, wer sie entführt hatte und wohin.

Regan fuhr sich mit den Händen über das Gesicht.

»Ihr Entführer muss durch das Fenster gekommen sein. Es gibt deutliche Einbruchsspuren. Er hat die Scheibe eingeschlagen und dann die Terassentür aufgebrochen...«, murmelte Raphael und hatte eine Hand an sein Kinn gelegt, als würde er fieberhaft nachdenken.

»Aber welcher Vollidiot sollte die Prinzessin entführen? Er muss doch auf eine Gelegenheit gewartet haben!«, erwiderte Thorald.

»Und, was wäre, wenn es gar keinen Attentäter gab?«, wollte der König wissen. »Ihr habt doch gar keinen Hinweis auf seine Existenz gefunden, nicht? Wer sagte denn überhaupt, dass es einen gab?«

Regan hob den Kopf und blickte zu Ofnak hinüber. »Hast du nicht die Torwache informiert?«

Der junge Krieger schluckte kurz. »Ja... schon, aber...«

»Aber was?«, zischte König Ragnar. »Gab es einen Attentäter, oder nicht?«

Die gesamte Aufmerksamkeit lag nun auf Ofnak, der immer weiter den Kopf einzog. Hier stank irgendwas zum Himmel und Regan wollte wissen, was das war. Und dabei verstand er nun keinen Spaß. Gab es etwa keinen Attentäter? Hatte er die ganze Nacht einem Geist hinterher gejagt und dafür seine Frau in Gefahr gebracht? War sie deshalb entführt worden?

Regan sprang auf und lief schnellen Schrittes auf Ofnak zu, in seiner Hand lag Kiras Dolch, der noch immer besudelt war mit Blut, von dem er nicht wusste, ob es von seiner Frau stammte oder von ihrem Entführer. Er packte seinen Kameraden am Haarschopf und presste die Klinge des Dolches gegen seine Kehle. Im Hintergrund schrie Freyer erschrocken auf.

»Es geht hier um meine Frau, Ofnak! Nicht um meine Schwester, meinen Vater oder sonst wem. Es geht um meine Frau! Um deine zukünftige Königin! Sag mir augenblicklich, was du weißt, oder ich schneide dir hier und jetzt die Kehle durch und dein Sohn wächst als Halbwaise auf, verstanden?!«

Ofnak riss die Augen weit auf. »Regan bitte! Ich wollte das alles nicht... ich... er drohte damit meiner Familie etwas anzutun!«

»Wer drohte dir?«, fragte Raphael von der Seite.

Er warf Raphael einen kurzen Blick zu, bevor er wieder Regan ansah. »Gerald... Gerald der Aufklärungstruppe... er kam heute Nacht zu mir und sagte mir, dass ich die Torwachen über einen Attentäter informieren soll. Wenn ich es nicht täte, drohte er, meiner Frau und meinem Kind einen Besuch abzustatten und die Häuserwand mit ihren Innereien zu dekorieren. Bitte! Ich musste sie doch beschützen!«

Regan zog den Dolch von seiner Kehle, er hatte einen kleinen Schnitt hinterlassen. »Geh mir aus den Augen.«, knurrte er durch zusammen gebissene Zähne.

»Sperrt ihn in die Kerker. Wir werden später über sein Schicksal richten.«, sagte der König und winkte ihn fort.

»Vergib mir, Regan.«, flüsterte Ofnak, aber Regan würdigte ihn keines Blickes. »Meine Familie kann nichts für das, was ich tat. Bitte verschont sie.«

»Ihnen wird nichts geschehen.«, sagte Regan leise.

Anschließend wurde Ofnak aus dem Raum geleitet und der Rest grübelte weiter lautlos nach. Was könnten sie tun? Wie sollten sie diesen Gerald ausfindig machen, der das alles höchst wahrscheinlich inziniert hatte, um Kira entführen zu lassen? Doch die Hauptfrage war, weshalb man sie entführen ließ? Es gab keinerlei Grund dazu, dieses junge Mädchen zu entführen? Wollte irgendjemand Woberok erpressen? Würde eine Lösegeldforderung kommen?

»Ich frage mich, was das für Bücher sind, die wir auf eurem Bett gefunden haben? Ob sie Kira gehört haben?«

Regan drehte den Kopf. »Ist das nicht gerade vollkommen unwichtig?«

Raphael zuckte die Schultern. »Vielleicht ist das ein Ansatz, weshalb sie entführt wurde? Hat sie in Dingen herum geschnüffelt, die sie nichts angehen?«

»Du redest da gerade von meiner Frau!«, knurrte Regan finster.

Plötzlich wurden sie von Kovir unterbrochen, der die Gemächer betrat. Er betrachtete kurz die Situation, blickte einen nach dem andern an und lief dann mit schnellen Schritten zu den Blutspritzern auf dem Boden. Er tauchte einen Finger hinein und steckte ihn in seinen Mund. Sofort spuckte er es wieder aus und schnaubte laut.

»Ich glaube, ich weiß, wer eure Prinzessin entführt hat.«, knurrte er. »Das ist das Blut eines Berserkers. Eines gefährlichen Berserkers.«

»Nur Fenral bildet Berserker aus.«, sagte Freyer leise und blickte beunruhigt in die Runde.

»Ja. Aber dieses Blut ist anders... irgendwie verändert.«, erwiderte Kovir.

»Wie auch immer, wir müssen das Mädchen zurückbringen.«, brummte König Ragnar. »Sie kamen in unser Land, versuchen uns mitten ins Herz zu treffen und glauben, eine Entführung der zukünftigen Königin würde keine Konsequenzen haben.«

Regan drehte den Kopf. »Was habt Ihr vor?«

Sein Vater blickte zurück. »Ich frage dich, was hast du vor?«

»Ich hole mir meine Frau zurück.«, sagte Regan mit fester Stimme und packte sein Schwert, dann blickte er seinem Vater mit eiskaltem Blick in die Augen. »Und, wenn ich dafür einen Krieg anzetteln muss.«

König Ragnar nickte, da er wusste, dass er seinen Sohn nicht daran hindern könnte, etwas zu tun. Und er wusste, dass es jetzt darum ging, seine Schwiegertochter wohlbehalten zurück nach Woberok zu bringen, bevor man ihr wohlmöglich noch etwas antat. Denn das könnte er sich niemals verzeihen. Genauso wenig wie Regan es sich niemals verzeihen würde, denn es plagten ihn schon genug Schuldgefühle, weil er seine Frau hier einsperrte in der Hoffnung, dass sie sicher sei. Genau das schien ihr Schicksal besiegelt zu haben.

Und innerlich bereitete sich Regan bereits auf einen Krieg vor.

Mit den Bären des Ostens verhandelte man nicht.

 

 

Langsam öffnete er die Augen und erblickte die Dunkelheit seiner gewaltigen Hallen. An den Seiten standen reglos die Hallenwachen in ihren erdfarbenen Rüstungen, die Lanzen griffbereit in ihren starken Händen. Er spürte, dass die Zeit gekommen war und wusste beinahe noch, bevor der Bote die Halle mit eilig flinken Füßen betrat, dass es nun soweit war.

Der junge Mann erklomm die kleinen Stufen zu seinem Thron und warf sich vor ihm auf die Knie. »Mein König, eine Botschaft von Eurem Sohn.«

Er nickte leicht und griff nach dem Pergament. Langsam rollte er es auf und sein sehendes, sowie sein blindes Auge verengten sich, während sich auf seinen rissigen Lippen ein breites Lächeln formte. Er hob den Kopf.

»Die Figuren rücken sich auf dem Feld zusammen.«, flüsterte er.

Neben ihm regte sich seine Tochter leicht im Schatten. »Hat Malik das Mädchen gefunden?«

Leicht nickte er mit dem Kopf, dann stand er auf und wirbelte seinen Mantel herum, um sie besser ansehen zu können. In seinen Augen funkelte der Wahnsinn. »Das Spiel hat begonnen.«

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Text: © by Peawyn Hunter
Images: Cover created by © Peawyn Hunter unter Verwendung von Pixabay-Bildern
Cover: Cover by © Peawyn Hunter
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Publication Date: 05-07-2017

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