Cover

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   Peawyn Hunter  

The Wife

 

 

Die Eós Chroniken

Coverdisign

 

 

 

Hier möchte ich gerne meine wunderbare Coverdisignerin loben, die dieses wunderschöne Coverbild mit mir durchgeplant und dann für mich erstellt hat.

Ehrlich, ich hätte mir kein schöneres Cover vorstellen können!

 

Vielen lieben Dank an Büsra Yalaman alias sunshineandbirds.

 

Landkarte

 

 

Link um die Karte zu vergrößern:

http://feuersternfantasy.deviantart.com/art/Landkarte-Eos-542726342?ga_submit_new=10%253A1435524858

Prolog

 

Unheimliche Stille erfüllte die Zellen, welche in stetiger Dunkelheit verborgen waren, sodass der kleine helle Lichstrahl, der durch ein winziges Loch in der Wand fiel, ihn leicht blinzeln ließ, da er ihn blendete. Wie lange war er bereits in den Kerkern von Dumloch gefangen? Er wusste es schon gar nicht mehr, wusste nicht einmal welcher Tag heute überhaupt war und welche Stundenzahl. Aber war das überhaupt noch von Bedeutung? Irgendwann, wenn der Kommandant genug von diesem Spiel hatte, ihm kein Wasser und kein Essen zu geben, würde man ihn auspeitschen - und der Knecht, der das Foltern übernahm, war nur allzu sehr dafür berüchtigt, seinen Opfern das Fleisch von den Knochen zu trennen. Ihm würde es nicht anders ergehen und wahrscheinlich würde man ihn dann auch noch, wegen seines Ungehorsams, erhängen. Vielleicht hatte er das verdient, vielleicht war es aber auch nur der Preis, den er für seine Ehre hatte zahlen müssen.

Als er sich langsam auf dem steinharten Holzbrett, welches provisorisch an die Steinwand genagelt worden war, aufsetzte, vergrub er das Gesicht in seinen Händen. Wenn er sich so daran erinnerte, wie er hier gelandet war, kochte die Wut und Frustration in ihm hoch. Der Kommandant hatte ihm befohlen ein Kind und seine Mutter zu töten. Er hatte sofort sein Schwert gezogen und war mit ungerührter Miene auf die beiden zu gegangen, die auf dem Boden gekauert hatten. Die Frau hatte ihn angefleht, hatte sogar gebettelt, dass er nur sie töte, aber bloß nicht das kleine Mädchen in ihren Armen. Das hatte ihm zu denken gegeben und er war stehengeblieben. Und auf seine Frage hin, weshalb er zwei unschuldige Zivilisten ermorden sollte, die nichts mit den Aufständischen im Süden zu tun hatten, hatte ihm der Kommandant den Griff seines eigenen Schwertes über den Schädel gezogen.

Und hier war er aufgewacht. Inmitten der anderen Gefangenen, als wäre er ein Schwerverbrecher. Er! Leutnant Sitka Frais. Ein Adliger aus dem Land des ewigen Eises - was nebenbei bemerkt gar nicht stimmte. Das Land im nördlichsten Norden von Eós. In Eós selbst war er nie gewesen. Nun saß er hier, in der Mitte von Mördern, Dieben und Vergewaltigern und wartete wie sie auf den Strick, weil er den Gehorsam verweigert hatte. Weil er seinem Vorgesetzten dreist widersprochen hatte. Und dabei hatte es den beiden Zivilisten sicher auch nicht sehr viel gebracht. Wahrscheinlich waren sie längst tot, so tot, wie er bald sein würde.

Müde sah er sich um und rieb sich den steifen Nacken. Diese Zelle war wirklich schon reinste Folter. Es war kalt, was im Norden keine Überraschung war, allerdings war es auch noch feucht, sodass sich ein unheimliches Gebilde aus weißem Schimmel an der Wand entlang wand. Feuchtes Stroh lag auf dem steinigen, feuchten Boden verteilt und saugte wohl schon seit vielen Jahren die Exkremente der Gefangenen auf. Mittlerweile hatte sich Sitka an den Gestank von Pisse und Scheiße gewöhnt, aber das bedeutete nicht, dass es weniger unangenehm in der Nase brannte.

Er warf einen Blick in die Ecke. Ein Skelett, er vermutete das eines Mannes, lehnte seit er hier aufgewacht war am kalten Stein und starrte durch schwarze Augenhöhlen durch die Gitterstäbe der Zelle, als erhoffte es sich doch noch die Rettung durch einen Schluck Wasser oder Nahrung. Ob er eventuell auch so enden würde? Falls dieser Kerkermeister ihn vergessen würde, so wie diesen armen Tropf dahinten? Er konnte nur hoffen, dass sein Tod schnell mit einem gebrochenen Genick enden würde.

Sitka stand einmal auf und machte seine Runde in der Zelle, damit ihm die Beine nicht einschliefen. Allmählich war es nämlich anstrengend nur da zu sitzen und nicht laufen zu können, nicht trainieren zu können, wie es von je her sein Alltag gewesen war.

Plötzlich erklangen Schritte, schwer und schleppend, als wäre derjenige verletzt. Sitka wusste sofort, dass es der Kerkermeister war, Brashos. Er hatte ein verletztes Bein, das ihn wohl schon sein Leben lang quälte. Dennoch war dieser Mann riesig, wie ein Bulle und nicht selten hatte Sitka darüber nachgedacht, dass er wohl in seiner Ahnenlinie einen Riesen beherbergt hatte. Der kahlrasierte Kerkermeister trat in sein Blickfeld.

Prüfend sahen sich die beiden Männer an, versuchten voraus zu ahnen, was der andere wohl tun würde. Sitka nahm eine passive Körperhaltung ein, um zu zeigen, dass er keine Probleme machen würde.

Brashos schien die Geste zu verstehen, denn er schloss seelenruhig die Kerkertür auf. »Die Peitsche wartet auf dich, Verräter.«, sagte der Bulle von einem Mann und holte ein Paar rasselnder Handschellen hervor.

»Ich nehme an, man wird mich foltern, bis ich um Gnade flehe?«

Mit einem Schnauben nickte Brashos und forderte Sitkas Hände hervor.

Dieser tat, wie ihm geheißen. »Ich war noch nie in einer Frau und werde es niemals sein, so wie es aussieht. Ist das nicht Folter genug?«, fragte er scherzhaft, auch, wenn ihm nicht nach Scherzen zumute war.

»Dann hätte ich an deiner Stelle eine Hure flachgelegt, als ich es noch gekonnt hatte«, sagte Brachos ungerührt und zog ihn an den Ketten aus der Zelle.

Innerlich schnaubte Sitka. Vielleicht hätte er das wirklich tun sollen. Nicht selten war er von seinen eigenen Männern aufgezogen worden, als Leutnant mit dreiundzwanzig noch Jungfrau zu sein. Nicht nur einmal war er kurz davor gewesen, in eines der Bordelle in der Unterstadt zu gehen und sich eines der Mädchen zu krallen, nur um beim nächsten Mal sagen zu können, dass er keine männliche Jungfrau mehr war. Aber dafür, wie bei so vielem, war es jetzt zu spät. Es war nicht einmal die Tatsache, keine Jungfrau mehr sein zu wollen, die er bedauerte. Sondern eher das Gefühl. Nie hatte er es kennenlernen dürfen. So oft hatte Waith erzählt, wie er unzählige Huren gevögelt hatte und Sitka hatte unauffällig, aber sehr interessiert zugehört. Wie er sagte, dass eine Frau feucht wurde, wenn es ihr gefiel, wie man sie berührte und wie die Brüste einer Frau aussahen, dass sich die kleinen runden Brustwarzen, die Waith immer - erniedrigender Weise - Zitzen nannte, bei Erregung zusammen zogen und lang und hart wurden. Er fand diese Bezeichnung irgendwie abwertend. Einmal hatte er eine Gruppe Sklavinnen gesehen, die sich am Fluss am Stadtrand gewaschen hatten, es war Sommer gewesen und eine Brise war umher gewehnt. Damals hatte er auch einen Blick auf die Rundungen einer Frau werfen können und befand die dunkleren Brustwarzen eher wie die Knospen einer Pflanze, die im Wind erblüht waren. Nicht wie die Zitzen eines Hundes oder einer Katze.

Sitka wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er mit dem Kerkermeister die Steintreppe am Ende des Kerkerganges erreichte. Aber nicht wie zuvor ging er den Gang dahinter weiter, wie er es sonst als Leutnant immer getan hatte, sondern musste er in der winzigen Gasse die nächste Treppe hinauf zum Richtplatz steigen. Rufe des Pöpels wurden laut, als Sitka ins Licht trat, wie ein Mann, der jemanden umgebracht hatte oder eine Frau vergewaltigte. Er konnte es noch immer nicht ganz fassen, dass er nun sterben sollte. Am Strick!

Die Menschen zu den Seiten des Richterpodestes brüllten ihm Dinge zu, die er ausblendete, bis nur noch dumpfe Rufe an seine Ohren hallten. Stand er unter Schock? Nein. Er spürte noch alles, das schneidende Eisen der Ketten an seinen Handgelenken, den nackten Oberkörper, auf den der Wind kalt und beißend blies und auch die Raben auf dem Galgengerüst konnte er ganz deutlich sehen.

Der Kerkermeister zerrte ihn die knarzenden Holzstufen hinauf und blieb mit ihm vor der Menschenmasse stehen, die ihm zu rief was für ein schlechter Leutnant er doch war und was wohl passieren würde, wenn jeder den Gehorsam verweigern würde und nicht seine gerechte Strafe dafür erhielt.

Der Kommandant stand nur wenige Meter entfernt, ein Stück Pergament in der verkrampften Hand. »Sir Sitka Frais, Leutnant der Königsgarde von Dumloch im Land des ewigen Eises. Ich verurteile Euch zur Folter von einhundert Peitschenhieben und dem Tod an den Felsen des Eisschollenflusses, wegen Eidbruch und Befehlsverweigerung.«

Dafür wurde man Heutzutage also von den Klippen geschmissen und vorher noch gefoltert. Prima Aussichten, wie Sitka fand. Ironie pur.

Sitka spuckte verächtlich aus, worauf ein entrüstetes Raunen durch die Menge ging.

»Wärt Ihr«, brachte Sitka durch zusammen gebissenen Zähnen heraus. »auch nur die Hälfte des Mannes, für den ich Euch gehalten habe, hättet Ihr mir niemals befohlen eine Frau und Ihr Kind mit meinem Schwert zu töten.«

Der Kommandant war ein großer Mann, er besaß langes Haar, das ihm im Nacken zu einem Zopf gebunden war und stählernde, kalte, blaue Augen. Er kniff die Lippen zusammen und nickte dem Kerkermeister zu. Dieser zerrte Sitka zu dem Pfosten, der rechts in dem Podest eingefasst war und kettete seine Hände daran fest, sodass er mit dem Rücken zur Menge stand.

»Ich werde Euch selbst auspeitschen, Leutnant. Habt Ihr letzte Worte, bevor ich Euch das Fleisch vom Rückgrat trenne?«

Verächtlicht blickte Sitka hinter sich, wo der Kommandant sich lässig seines Umhanges entledigte und nur noch im Leinenhemd und der wertvollen Brokatweste da stand und sich die Peitsche vom Foltermeister geben ließ. Für einen Augenblick schrie ein kleines Wesen in Sitkas Unterbewusstsein ängstlich auf, als er sah, dass die Peitsche mit den kleinen Metallspitzen versehen waren, mit denen eigentlich Mörder gefoltert wurden. Anscheinend hatte es den Kommandanten in seiner Ehre sehr stark verletzt, dass Sitka den Befehl verweigert hatte.

»Wenn Ihr glaubt, dass ich schreien werde, wie ein Weib bei der Niederkunft, habt Ihr Euch getäuscht!«, knurrte Sitka herausfordernd.

Sein ehemaliger Vorgesetzter lächelte berechnend. »Ich habe mir schon gedacht, dass Ihr so etwas sagen werdet.«, sagte er und schwang die Peitsche.

Als das Leder mit einem lauten Knallen auf Sitkas makellosen, muskulösen Rücken traf, riss sie eine tiefe Furche in sein Fleisch. Am liebsten hätte er den brennend heißen Schmerz hinaus gebrüllt, aber er grub nur mit einem Ächzen die Finger in den Pfosten. Bei den Göttern, das war erst Nummer eins, was würde nur sein, wenn er neunundneunzig hinter sich hatte? Die Frage wurde ihm schneller beantwortet, als ihm lieb war, denn der nächste Schlag ging auf seinen Rücken nieder. Das Metall am Ende des Leders zog die nächste blutige Bahn und er atmete ein paar Mal heftig ein und aus, um den Schmerz tief in seinem Bewusstsein zu verschließen und zu verbannen.

Es ging den gesamten Nachmittag so. Der Kommandant bekam nach nur zwanzig Schlägen eine lahme Hand und musste ein paar Minuten warten, bevor er Sitka erneut das Fleisch vom Knochen riss. Nach vier Stunden hing Sitka nur noch in den Ketten, rutschte mit den blanken Füßen in seinem eigenen Blut aus und presste sich mit dem Oberkörper eng gegen den Pfosten. Das Fleisch hing ihm in Fetzen vom Körper, aber er hatte es geschafft, keinen einzigen Laut des Schmerzes zu machen. Und das rechnete er seiner geschundenen Seele hoch an.

Vor Wut verpasste ihm sein ehemaliger Vorgesetzter noch drei zusätzliche Schläge, aber das spürte Sitka schon gar nicht mehr. Sein Rücken war nur noch eine einzige blutige Masse und die Menschen unterhalb des Podestes waren vor Entsetzen verstummt. Nur ab und zu, wenn Sitka erschöpft gegen die Bewusstlosigkeit ankämpfte, sah er die entsetzten Gesichter der Menschen, wenn sie seinen Rücken betrachteten. Da waren drei Schläge mehr auch nicht mehr wichtig.

Er erinnerte sich noch, wie er von den Ketten los gemacht worden war und man ihn durch die halbe Stadt, durch das Südtor schleifte und zu dem Felsvorsprung, wo die meisten Menschen einfach hinunter geworfen und von den Klippen aufgespießt wurden. Nun würde es Sitka nicht anders ergehen, aber er musste zugeben, dass er ein gutes Leben gehabt hatte. Seine Mutter war früh gestorben und so zog ihn sein Vater groß. Ein guter Mann, ein treuer und loyaler Mann, aber vor allem ehrenvoll. Er hätte Sitka Recht gegeben, als dieser den Gehorsam verweigerte, dessen war er sich sicher. Auch sein Vater starb früh, aber das war Sitka nie ein Hindernis im Leben gewesen. Und dennoch musste er mit Bedauern feststellen, dass er nie das Leben eines geachteten Mannes geführt hatte. Er war schlicht ein Einzelgänger gewesen, hatte kaum Freundschaften geschlossen und zu allem Überfluss, hatte er nie die Liebe einer Frau genossen. Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass sein Leben viel zu kurz gewesen war. Einen Augenblick zweifelte er, dass die Entscheidung richtig gewesen war, den Gehorsam zu verweigern, dann jedoch besann er sich. Er hatte das richtige getan!

Schwankend blieb er vor der Kante des Vorsprunges stehen, vor seinen Augen die tosende See und in weiter Ferne einen schmalen Streifen Land am Horizont. Die Küsten von Eós. Ihm wurde etwas übel, als er auf die Felsen unter ihm blickte. Ab und zu klatschte ein toter Körper, ohne Namen und ohne Gesicht, gegen die spitzen Steine. Leichen irgendwelcher Verbrecher, zu denen er sich nun gesellen würde.

Krumm stand er da und verzog das Gesicht, als ihm irgendwas - vermutlich eine Lanze - in den Rücken gedrückt wurde, um ihn weiter zur Kante zu bewegen.

»Jetzt noch irgendwelche Worte?«, fragte der Kommandant.

Sitka hob träge den Kopf, auf den Lippen ein höhnisches Lächeln, ob gleich der Schmerzen. »Ihr seid ein widerwertiger Mistkerl.« Noch bevor der Kommandant nach ihm schlagen konnte, flog der Boden unter ihm fort, denn er war gesprungen.

Die Luft um ihn herum zischte und die Innereien in ihm schlugen Purzelbäume. Er kniff die Augen zusammen und versuchte an etwas schönes zu denken, doch sein Kopf war schlichtweg leer. Schließlich traf er hart auf, sodass sein Körper für winzige Sekunden taub war und schmerzte. Dann bemerkte er, dass es die Kälte des Wassers war, das an seiner Haut stach wie Nadeln. Und Wasser füllte seinen Mund. Er riss die Augen auf und für ein paar Sekunden jubelte dieses kleine Wesen in seinem Bewusstsein: Er hatte die Felsen verfehlt. Nein... nicht ganz. Er spürte eine brennende Wunde an seinem Oberkörper, direkt dort, wo seine Rippen waren. Als er seine Hand daran führte, hätte er beinahe erleichtert aufgeatmet. Es war jediglich Fleisch, was an einem der Felsen aufgerissen war. Keine Rippe war verletzt, geschweige denn reichte die Wunde bis zum blanken Knochen.

Obwohl er wegen dem Salzwasser an den Peitschenwunden Höllenqualen litt, kämpfte er sich paddelnd bis an die Oberfläche und verbarg sich hinter einigen Felsen. Schnell und heftig pumpte er Sauerstoff in seine Lungen und versuchte das Zittern zu unterdrücken. Das Wasser um ihn herum war eiskalt. Und so klammerte er sich an den Felsen. Zurück jedoch konnte er nicht. Sollte er versuchen bis zur Küste, auf der anderen Seite des Eisschollenflusses, zu schwimmen? Wäre das eine so gute Idee? Auf der anderen Seite herrschte jetzt Frühling, die Schneeschmelze war im vollen Gange und im Wasser lauerte es nur so von Schwertwalen und Seeleoparden, die sich eine Mahlzeit nicht entgehen lassen würden.

Aber welche Wahl hatte Sitka schon? Zurück gehen? Sie würden ihn köpfen oder hängen. Und eigentlich müsste er eh längst tot sein. Die Götter mussten ihn aus einem Grund am Leben gelassen haben und der war sicher nicht, dass er zurück ging und sich aufknöpfen ließ. Vielleicht gab es Menschen auf der anderen Seite, die ihm helfen konnten. Er hatte gehört, dass mehrere Clans in den Highlands leben sollten, aber von diesen Barbaren durfte er keine Hilfe erwarten. Er musste zu den Nord, dem zivilisierten Volk den 'Nordens' von Eós, der für ihn schon immer Süden gewesen war. Seit Jahrtausenden weigerten sich die Highländer nämlich, sich den Nord unter zu ordnen.

Es dauerte wohl mehrere Stunden, die er sich an den Felsen festkrallte und versuchte, nicht zu ertrinken. Sein Rücken war ein einziger dumpfer Schmerz, von dem er sich erst einmal erholen musste. Aber dann geschah es...

Als er in den Himmel sah und ein Sternenschweif über das leuchtende Sternenzelt Richtung Eós flog, musste es ein Zeichen der Götter sein. Seine Heimat war nicht länger das Land des ewigen Eises. Er musste in Eós eine neue Heimat suchen oder er musste sterben. Ganz wie sich die Götter entscheiden würden, er musste jede Chance ergreifen, die ihm blieb.

Und so fing er an, unter starken Schmerzen und zitternden Gliedmaßen, wie ein Wahnsinniger zu paddeln.

Eins

 

Schon den ganzen Morgen lag der Nebel dicht zwischen den Berghängen, Felsen und Nadelbäumen im Hochland und war kaum gewichen, als die Sonne sich endlich durch die dichte Wolkendecke gekämpft hatte, über die verschneiten Berggipfel empor kroch, um dem Land Licht zu spenden. Der Wald lag in gespenstiger Stille da, als hätte sich jegliches Leben verkrochen, um auf besseres Wetter zu warten. Aber bald würde dieser Jahreszeitenwechsel von Sonne und milderen Temperaturen erfüllt sein, dessen war ich mir sicher.

Ich hob benommen den Kopf aus einem Laubbusch, als ich leises Rascheln vernahm. Für einen Augenblick nahm mir mein Kupferrotes Haar, das in der schwachen Sonne leicht glänzte, die Sicht. Aber da war nichts. Wahrscheinlich war ich es selbst gewesen, so, wie ich in diesem Busch umher wühlte. Mit einem enttäuschten Seufzen warf ich eine Handvoll Beeren in den selbstgeflochtenen Korb an meiner Seite. Mein Magen gab einen knurrenden Laut von sich, als ich eine der Beeren, aus Versehen, zerquetschte. Seit einigen Tagen gab es kaum mehr genug zu Essen im Lager, die Jäger erlegten kein Wild mehr und die Sammlerinnen fanden kaum mehr Beeren, Knollen oder Kräuter, die man zu sich nehmen konnte. Und wenn jemand etwas fand, dann wurde es sofort an die Kinder oder Alten gegeben.

Bedauernd betrachtete ich die magere Ausbeute meines Korbes. Seit die Sonne aufgegangen war hatte ich hier in der Gegend herum gestöbert und nach etwas Essbarem gesucht. Alles, was ich gefunden hatte, war eine Hanvoll dunkler Kirschbeeren, vier Knollen und ein paar Kräuterblätter, aus denen die Druidin meines Clans einen Tee kochen konnte. Mehr aber auch nicht.

»Was tust du hier draußen, Ivolet?« Der Mann, zu dem diese Stimme gehörte, hieß Ecren. Ecren war ein hoch gewachsener, braunhaariger Mann, dessen Augen das Blau des Himmels eingefangen hatten. Die Druidin hatte ihm deshalb den Spitznamen ›Himmelsauge‹ gegeben, der, wie ich fand, gebührend passte.

»Sammeln, das siehst du doch«, gab ich in einem trotzigen Tonfall zurück.

»Allerdings, das sehe ich.«, bemerkte Ecren. »Ich meinte, was du hier draußen tust. Nukhas Befehle waren eindeutig: Du sollst dein Zelt nicht verlassen. Oder hast du etwas an den Ohren?«

Ich kniff beleidigt die Lippen zusammen, denn ich mochte es nicht, dass man mir etwas vorschrieb, schon gar nicht, wenn es mein Bruder tat. Seitdem unser Vater gestorben war, war er das Oberhaupt unserer Familie und somit dazu verpflichtet, mich zu beschützen. Aber er übertrieb es manchmal mit seiner Sorge um mich, sodass er mich des Öfteren einsperren ließ oder mir das Versprechen abnahm, mich nicht vom Fleck zu rühren.

Ecren trat näher, das dichte Höhlenbärenfell fest um Schultern, Rumpf und Oberschenkel gebunden, um ihn warm zu halten, und stützte sich auf seinen Speer, welchen er vor einem Mond selbst gebaut hatte aus einem Stock, den er wochenlang geschnitzt hatte und einem Stein, den er zuerst hatte zurecht klopfen müssen, um eine Spitze zu formen, die ein Tier auch wirklich verletzen würde. »Ich weiß, Ivolet, du bist wie ein Vogel, den man nicht in einen Käfig einsperren kann. Aber verstehe doch! - Die Eislöwen wären erfreut über eine Mahlzeit wie dich. Ein junges Mädchen, das gerade einmal fünfzehn Jahreszeitenwechsel gesehen hat...«

»Ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst, Ecren«, schnaubte ich, hob das lange Fell an, das meine Beine bedeckte und entblößte ein Lederband, das ich mir um die Wade gebunden hatte, um ein selbst gefertigtes Messer zu halten, mit dem ich durchaus umgehen konnte. Ich übte nämlich. Wenn ich später von meinem Bruder an einen Mann weitergegeben wurde, der mich zur Frau nehmen wollen würde, wollte ich gewiss nicht auf seinen Schutz angewiesen sein. Auch wenn ich eine Frau war, ich war nicht schwach. Das war ich noch nie, und Ecren wusste das. 

»Woher hast du das?«, fragte Ecren und machte große Augen.

Ich ließ das Fell wieder über meine Beine fallen und strich es glatt. »Selbstgemacht.«

Kopfschüttelnd stützte sich Ecren noch weiter auf seinen Speer. »Ich kenne dich seit deiner Geburt und ich wusste nicht, dass du Waffen bauen kannst.« Er grinste mich fröhlich an.

Ich blickte in meinen Korb. »Ich habe es von Nukha abgeschaut, als er sich einen Speer gebaut hat.«, gab ich zu. »Aber als Messer reicht es.«

Er hob eine Augenbraue. »Wo du gerade von Nukha sprichst, er war fuchsteufelswild, als er heute Morgen gemerkt hat, dass du nicht auf deinen Bettfellen liegst. Er hat die halbe Jagdgesellschaft nach dir suchen lassen.«

»Das sieht ihm ähnlich. Aus einer Haselmaus ein Mallak machen, das war so klar.«, brummte ich und wühlte in den Beeren, als wäre ich auf der Suche nach etwas.

»Er macht sich nur Sorgen um dich.«

»Vielleicht sollte er sich mehr um die Nahrungsbeschaffung kümmern, als ständig auf mich aufzupassen, als wäre ich erst fünf Monde alt.« Ich schaute Ecren nun direkt durch meine grünen Augen an. Schon immer hatte er meine Augen faszinierend gefunden. Als wir beide noch Kinder gewesen waren hatten meine Augen ein mattes dunkelgrün gehabt, aber je älter ich geworden war, desto heller wurde das Grün bis es die Farbe von saftigen Blättern angenommen hatte und durchtränkt war von goldenen Sprenkeln, die Funken sprühten, wenn ich wütend war und so sanft wie eine Sommerbrise, wenn ich fröhlich war. 

»Versuch ihn zu verstehen, vor nur vier Monden verstarb euer Vater und dann muss er das alles in die Hand nehmen. Die Position des Clanchefs ist nicht die leichteste.«, erklärte Ecren.

»Das weiß ich doch.«, murmelte ich und sah zu Boden. »Aber ich will wegen seiner Angst um mich, meine Freiheit nicht aufgeben. Ich bin kein Tier, das man einsperren kann, wenn es ihm passt.«

»Dann sag es ihm, wenn wir ins Lager zurückkehren, denn ich glaube, mittlerweile könnte er an einem Herzinfarkt krepiert sein.«, scherzte Ecren und winkte mich mit der freien Hand heran.

Mit einem leichten Murren raffte ich die Fellröcke und stieg den kurzen Hang zu ihm hinauf, den Korb fest umklammert, um nichts meiner wertvollen Beute zu verlieren und ergriff seine Hand. Er packte sie fest und zog mich hinauf. Ich blieb neben ihm stehen und schaute ihm trotzig entgegen.

Zwar war Ecren mein bester Freund seit Kindertagen an und wir kannten einander besser, als jeder andere, aber dennoch stand dieses eine Hindernis zwischen uns, das Ecren auch niemals mehr ignorieren konnte: er war ein Mann und ich eine Frau. Und auch, wenn es mir missfiel, ich hatte ihm zu gehorchen. Gefallen musste es mir noch lange nicht und ich hatte alles Recht der Welt, wütend auf ihn zu sein, sodass ich beleidigt das Kinn vor schob und an ihm vorbei stapfte.

Ich hörte Ecrens Schritte direkt hinter mir, als wäre er ein Wachmann, der auf mich aufpassen musste.

Eine Weile lang streiften wir durch das Hochland, das von spitzen Felsen und weiter Ebene geprägt war. Am und zu tauchte ein Stück Mischwald auf, bevor es wieder zur Ebene wurde. Es dauerte nur wenige Minuten bis wir am Lager ankamen. Es bestand aus vielen Zelten, die von uns selbst aus Mallakfell und Stoßzähnen oder Knochen errichtet worden waren. Doch das Zentrum bildete unser Haupthaus. Es war aus Holz und Stein gebaut, anders, als die Zelte darum herum und besaß ein Dach aus geflechtetem Stroh, um die Kälte und Nässe abzuwehren. Ich wusste nicht genau, weshalb das Haupthaus das einzige richtige Gebäude in unserer Siedlung war, ich wusste nur, dass es hier schon viele Jahre vor meiner Geburt gestanden hatte. Und es war der Mittelpunkt unseres Clan-Lebens. Dort drinnen wurde geheiratet, beerdigt und Festmahle gefeiert.

Ecren schob mich durch die Reihen der Zelte und stellte seinen Speer zu den anderen, die an einem der selbstgebauten Zelte lehnten. Träges Treiben herrschte im Lager, nur wenig deutete hier auf Leben hin. Die Frauen saßen meist zusammen gekauert am Vorratszelt und versuchten noch Fleischreste aus den Knochen zu polen, die vom letzten Beutezug übrig waren. Und die Männer? - Die Männer waren fort, um zu jagen und am Abend doch mit leeren Händen zurückzukehren. Es war immer dasselbe.

Mit Erstaunen registrierte ich, dass heute eine kleine Gruppe Kinder außerhalb ihres Zeltes waren, um zu spielen. Kovu, ein kleiner dunkelhaariger Junge hatte aus Fell eine kleine Puppe gebaut, die als Mallakersatz diente und, die die anderen mit selbstgebastelten Speeren und Steinen bewarfen, um so zu tun, als hätten sie eine erfolgreiche Jagd hinter sich. Am Rand des Geschehens kauerte ein kleines Mädchen und zupfte immer wieder Grashalme aus dem Boden, nur um sie zu zerpflücken und wegzuwerfen. 

»Wie geht es Sharon?«, fragte ich unvermittelt, als ich das Mädchen betrachtete, welches einem Grashalm an die Gurgel ging.

Er blickte auf mich hinab, während wir durchs Lager gingen. »Unverändert schlecht«, antwortete er ehrlich. Er wollte mir keine falschen Hoffnungen machen. »Das Fieber ist genauso hoch wie gestern Abend. Die Druidin hat aus Kräutern einen Tee gekocht, aber sie konnte Sharon kaum dazu zwingen, ein paar Schlucke zu nehmen.«

Mit einem resignierten Seufzen nickte ich und stellte den Korb mit den Beeren neben einem der Zelte ab. Irgendjemand würde sich um die Ausbeute schon kümmern. Dann folgte ich Ecren weiter durchs Lager bis wir zu meinem Zelt kamen. Es bestand aus Mallakstoßzähnen und Fell, das darüber gespannt war. Oben war ein winziges Loch, um den Rauch abziehen zu lassen, der von der Feuerstelle in der Mitte hinaus ins Freie kroch. Mein Zelt war größer, als die anderen, weil dort meine ganze Familie wohnen musste. Meine Mutter ich und meine kleine Schwester Sharon, die vor einem Mond am Fieber erkrankt war und einfach nicht genesen wollte. Jeder im Clan ahnte das Schlimmste.

Ich betrat als Erste das Zelt und bekam sofort ein Donnerwetter zu hören.

»Bist du vollkommen des Wahnsinns?«, keifte Nukha mich an, ohne auf das sanftmütige Murmeln unserer Mutter zu hören. »Du hättest tot sein können! Ist dir das überhaupt bewusst? - Nein, natürlich nicht, du benimmst dich lieber wie ein dummes Kind! Bei den Geistern, was soll ich nur mit dir machen.« Letzteres schien er sich selbst zu fragen.

Ich versuchte ganz ruhig zu bleiben, doch es war mir in Nukhas Nähe kaum möglich. Manchmal glaubte ich, er wäre nicht sechs Jahreszeitenwechsel vor mir geboren, sondern zwanzig. Er verstand einfach nicht, weshalb ich mich heimlich davonstahl.

»Ich habe nur nach Nahrung gesucht.«, sagte ich so ruhig wie möglich.

»Überlass die Nahrungsbeschaffung mal den Jägern, die sind schließlich dafür da.«, zischte Nukha, wobei seine haselnussbraunen Augen Funken sprühten.

»Mir ist nichts passiert...«, setzte ich im wütenden Tonfall an, aber ein drohender Blick Nukhas ließ mich verstummen und stur zur Seite blicken. Das war so unfair.

»Noch ist dir nichts passiert, Ivolet. Aber es gibt immer ein erstes Mal, in allen Dingen.« Nukha rieb sich verzweifelt die Nasenwurzel, als hätte er es mit einem kleinen Kind zu tun, das spät Abends nicht ins Bett wollte. Aber Ich war eine erwachsene Frau! - Naja, fast. Manchmal benahm ich mich wirklich noch wie ein kleines trotziges Mädchen, aber ich hatte jeden Grund dazu!

»Es ist alles gut, Nukha. Außerdem solltest du dich lieber um Sharon kümmern, als um mich. Ich brauche keine Hilfe, ich bin kein Säugling mehr.«, schnauzte ich ihn frech an und kassierte dabei einen tadelnden Blick meiner Mutter, die noch immer dabei stand.

»Dein Bruder hat Recht, Ivolet.«, sagte Mutter mit einem leisen Seufzen. »Vor zwei Monden ist dein Vater von uns gegangen. Ich habe keine Lust meine Tochter zu beerdigen. Kümmere dich jetzt um Sharon, die Druidin hilft dir dabei.«

»Aber-« Das Zischen meiner Mutter unterbrach mich.

»Für den Rest des Tages bleibst du in diesem Zelt!«, fuhr sie mich barsch an. »Wenn ich dich draußen sehe, lasse ich dich hier fest binden.« Nukha schaute Mutter etwas erschrocken an, da er wohl nicht erwartet hatte, dass sie mir einen Befehl erteilen würde. Er folgte ihr, als sie mit einem warnenden Blick auf mich, ihre Tochter, das Zelt verließ. 

Wütend blieb ich im Zelt zurück und kaute von innen an meiner Lippe herum bis sie völlig wund war, so wie ich es immer machte, wenn ich zornig war oder nervös. Dann erst schaute ich Ecren an, der das ganze Spektakel schweigend verfolgt hatte. Er ging auf mich zu, strich mir kurz tröstend über den Arm und verließ dann ebenfalls das Zelt seines Anführers. Zornig blickte ich mich um. Nicht einmal Ecren hielt zu mir und ich wusste auch, dass er sich niemals gegen Nukha auflehnen würde, um für mich Partei zu ergreifen. Schließlich war mein Bruder sein Anführer. Und musste damit alle seine Befehle befolgen, ohne zu Murren. 

Ein Röcheln aus der Ecke riss mich aus meinen Gedanken und ich wirbelte zu der bleichen Gestalt herum, die dort vergraben unter den Fellen lag. Langsam und bedächtig lief ich auf die Schlafstätte zu. Sharon lag bleich und mager da und blinzelte in das leichte Licht, das durch den Rauchabzug strahlte.

»Hey, Kleines«, raunte ich leise und setzte mich neben das kleine Mädchen auf die Bettfelle. Sharon hatte das gleiche Fuchshaar wie ich, aber dafür helle braune Augen wie Nukha sie von unserem Vater geerbt hatten. Ihre Haut war genauso hell wie das Mondlicht bei Nacht und an den Schultern und ihrer Wange mit vielen Sommersprossen besetzt. Sie sah aus, wie ich in klein.

Sharon hustete und ich gab ihr ein Stück Fell, in das sie hinein husten konnte. Nach ihrem Hustenanfall fiel Sharon vollkommen erschöpft zurück in ihre Bettfelle zurück und kniff die Augen zusammen, als ein kleiner Schein Sonnenlicht sich durch das Deckenloch stahl. Ein leises Stöhnen sagte mir, dass Sharon das Licht heute nicht gut vertrug. Und so stand ich auf und ging in die Mitte des großen Zeltes, nahm die Schlaufe, die die Lederklappe trug, mit der man das Deckenloch nach Belieben schließen konnte. Ich schloss es, sodass nur durch einen Spalt am Zelteingang Licht herein fiel und alles in duseliges Halblicht tauchte.

Aus der Ecke erklang erneut Husten und Stöhnen.

Ich seufzte und legte meinen mit Hermelinfell gefütterten Mantel ab, den meine Mutter mir vor zwei Wochen zum fünfzehnten Namenstag angefertigt hatte. Dann löste ich auch das silberne Wolfsfell, das um meine Schultern gelegt war und befand mich schließlich nur noch in einem dünnen Hirschfellkleid, das ich mir selbst gemacht hatte. Im Zelt war es angenehm warm, sodass ich in dem schulterfreien Kleid umher laufen konnte, ohne zu frieren. Einen Augenblick lang betrachtete ich den kleinen Leib meiner acht Jahreszeitenwechsel alten Schwester mit trauriger Gewissheit. Niemand glaubte mehr, dass Sharon wieder gesund werden würde. Das Fieber und der Husten wütete schon zu lange in ihrem zarten Körper und zerrte an ihr, wie Wind an den Ästen eines Baumes. Aber ich hatte nicht aufgehört zu hoffen, dass ich Sharon eines Tages wieder lachen hören und toben sehen würde. Und wenn es keine Hoffnung mehr gab, was denn dann? Abfinden, dass Sharon am Fieber krepierte, wollte ich mich nicht. Ich war noch nie der Typ gewesen, der sich mit Kleinigkeiten, die das Leben erschwerten, abfand. Ich kämpfte, auch wenn es nichts mehr gab, wozu es sich zu kämpfen lohnte. Das hatte ich von meinem Vater gelernt, der mir vor seinem Tod gesagt hatte, man dürfe die Hoffnung niemals aufgeben, egal wie aussichtslos eine Situation erschien. 

Ein erneuter Hustenanfall schüttelte Sharons zarten Leib. Ich kam zu ihr und setzte mich auf die Bettfelle neben ihr, nur um sie im Arm zu halten, bis ihr Husten vorüber war. Als Sharon zurück in die Felle sank, wrang ich ein Stück Tuch aus und legte ihr den kühlen, nassen Stoff auf die glühende Stirn. Sie brauchte eine Handvoll Fieberkräuter von der Druidin, um das Fieber zu senken. Und Sharon musste endlich etwas zu sich nehmen, sie trank immer weniger, verweigerte die Nahrungsaufnahme. Wenn das so weiter ging, würde der Wassermangel sie völlig austrocknen.

Entschlossen stand ich auf und marschierte zu einem kleinen Tischchen aus einem Baumstumpf und einem harten Stück Leder als Platte und zermahlte einige Körner und Kräuter und gab sie in eine eine Schale, die aus Knochen geschnitzt war und goss Wasser dazu, als kleine Brühe. Dann setzte ich mich erneut neben Sharon, legte einen Arm um ihren Nacken, um sie ein Stück aufzurichten und setzte die Knochenschale an Sharons trockene Lippen. Als wolle ich ihr Gift einflößen, kniff Sharon winselnd wie ein Wolfsjunges die Lippen zusammen und verweigerte die Brühe. Mit einem Seufzen stellte ich die Schale zurück auf den kleinen Tisch neben der Schlafstatt und bettete Sharons glühenden Leib wieder in die Felle.

»Ich bete zu den Geistern unserer Ahnen, dass sie dich gesund machen.«, murmelte ich, strich Sharon einige kleine rote Strähnen aus der Stirn und erhob mich von den Bettfellen. Ich musste zur Druidin, um Fieberkräuter zu bekommen.

Als ich aus dem Zelt trat, über den Schultern nur das silberne Wolfsfell, bemerkte ich, dass Leben ins Lager eingekehrt war. An den Rändern der Zelte unterhielten sich Frauen, während die Kinder einige Schritte entfernt spielten und tobten. Die alten Jäger saßen ebenfalls vor ihren Zelten und schnitzten Knochen zu kleinen Kunstwerken, während sie über 'die guten alten Zeiten' sprachen, in denen die Mallaks früher in die Highlands gekommen waren und die Kinder nicht hungernd zu Bett gehen mussten.

Mit alarmiertem Gehör hielt ich nach Nukha Ausschau. Er würde sicher wieder etwas zu meckern haben, selbst wenn ich das Zelt nur verließ, um zur Druidin zu gehen und Kräuter für Sharon zu besorgen. Und zudem wollte ich ihm heute lieber nicht begegnen, er war so schon ziemlich sauer und ich wollte nicht die Zielscheibe des Auslassens seines Zorns sein.

Als ich sicher war, dass er nicht in der Nähe war, stapfte ich los, an einigen Zelten vorbei zu einem kleinen Hügel, der zu beiden Seiten mit scharfem Fels gespickt war und in dessen Mitte sich das Zelt der Druidin befand. Es war groß und zeigte als Prunk einen kahlen Mallakschädel direkt über dem Eingang. Der Geruch von verbrannten Kräutern und Gewürzen hing über dem Zelt, sodass ich mir ein angewidertes Husten verbeißen musste. Nur zögerlich trat ich ein und schaute mich um. Von der Decke hingen Bündel mit getrockneten Gräsern und Kräutern und in der Mitte des Zeltes brannte eine kleine Feuerstelle, darüber ein Kessel aus Knochen hängend.

»Was tust du hier, Kind?« Die dunkelbraunen Augen der alten Frau lugten zwischen ihren grauen Haarsträhnen hervor, die mit kleinen Zöpfen geschmückt waren. Bänder aus Sehnen und Leder mit kleinen Holz- und Knochenperlen waren in ihr Haar geflochten und ihr Gesicht war mit einer weißen Schmiere bedeckt, die ihr Gesicht wie einen Totenschädel aussehen ließ.

»Ich brauche Fieberkräuter für Sharon.«, erklärte ich unbehaglich. Schon immer war mir das Zelt der alten Hexe unheimlich gewesen, seit ich mit drei Jahren von den Geistern gesegnet worden war und als Mitglied im Clan aufgenommen wurde. Was ich nie verstanden hatte war, dass man dann zwar als Mitglied angesehen wurde, aber in Wirklichkeit keines war. Die Männer wurden erst akzeptiert wenn sie zum Nianlúg wurden, zum Jäger. Und Frauen, wenn ihre Väter sie einem Mann übergeben hatten, der sie beschützen würde. Die alten Rituale, ich verstand sie einfach nicht.

»Du hast sie noch immer nicht aufgegeben.«, krächzte die Alte und stützte sich auf ihren Schamanenstock, der am Ende einen blanken Fuchsschädel trug, welcher mit Federn, die in verschiedenen Blautönen schillerten, geschmückt war.

»Ich weiß, dass sie es schaffen kann.«, sagte ich entschlossen.

»Du scheinst viel Vertrauen in sie zu setzen, Mädchen.«

»Sie wird den Winter überstehen.«, beharrte ich.

Die Alte schloss einen Augenblick die Augen. »Ich habe den Schatten des Todes über ihr gesehen, genau wie ich ihn über deinem Vater sah, kurz bevor er seiner Krankheit erlag. Und er war ein kräftiger Mann, Sharon ist ein kleines Kind. - Sei nicht zu enttäuscht, wenn du dich irrst.«

Ich presste die Lippen zusammen und schaute die alte Frau an, wie sie da in ihrem Fell eingekuschelt stand, auf dieses hässliche Ding gestützt und etwas von 'Schatten des Todes' philosophierte. »Mein Vater war seit vielen Jahreszeitenwechseln krank. Ich weiß, dass Sharon stark genug ist, um das zu überstehen, ich weiß es! Hörst du, alte Hexe?!«

»Sag später nicht, ich hätte es dir nicht gesagt.«, knurrte die Alte und hielt mir ein kleines Fläschchen aus Holz entgegen. »Fiebermedizin.«, erklärte sie ruppig, als ich sie fragend anschaute.

Nur zögerlich nahm ich das Fläschchen entgegen und verließ wortlos das Zelt. Alte Hexe, was weiß die schon! Die sitzt Tag um Tag und Nacht um Nacht in diesem warmen Zelt und tut rein gar nichts! Wie kommt sie also dazu, zu behaupten, dass Sharon sterben wird? Schatten des Todes, dass ich nicht lache.

Ich verzog grimmig das Gesicht, raffte meinen Fell behangenen Rock und ging zurück in mein Zelt, um Sharon die Medizin einzuflößen.

 

Mit zitternden Händen wrang ich das Stofftuch aus und legte den nassen Stoff auf Sharons Stirn. Diese wimmerte leise, als wolle ich ihr das Herz heraus reißen. Es schmerzte mich, dass es meiner Schwester noch schlechter ging als gestern schon. Aber ich wollte mich nicht damit abspeisen lassen, dass Sharon an diesem Fieber starb. Das würde sie nicht. Nicht so wie unser Vater von uns gegangen war.

Unwillkürlich berührte ich eine schmale Kette an meinem Hals, die aus einem Lederband und einem scharfkantigem Wolfszahn bestand, dass mir mein Vater selbst angefertigt hatte zu meinem fünfzehnten Geburtstag. Ein Klumpen bildete sich in meiner Kehle. Vater...

Ich schüttelte den Kopf und griff nach dem kleinen Fläschchen mit der Fiebermedizin der alten Druidin. Routiniert nahm ich die Knochenschüssel in die Hand und mischte die bittere Fiebermedizin unter die Brühe, die schon bereit gestanden hatte. Ich rührte das Gebräu um und schob einen Arm unter Sharons mageren Nacken, zwang sie, sich aufzusetzen und versuchte ihr die Brühe einzuflößen. Stöhnend warf Sharon den Kopf herum und wimmerte, als wolle man sie mit einem Knochendolch abstechen. 

Fremde Hände nahmen mir die Schale aus der Hand. Ich erkannte Ecren erst, als er sich hinkniete, Sharon nieder drückte und ihren Mund aufzwang. »Schütte es hinein.«, sagte er sanft zu mir. Ich nahm ihm die Schale aus der Hand und setzte sie erneut an Sharons Lippen. Dieses Mal nahm Sharon einige Schlucke, ehe sie die Mitarbeit wieder verweigerte.

»Warum bemühst du dich?«, fragte Ecren, nachdem Sharon vor Erschöpfung in die Felle zurück gesunken war und in einen wirren Fieberschlaf weg dämmerte. Er nahm mir die Schale sanft aus den Händen und stellte sie auf den kleinen Tisch zurück, dann nahm er zaghaft meine Hände in seine. Meine zarten Finger waren nicht die einer Frau seines Clans. Meine Hände wirkten zierlich, zart und vollkommen zerbrechlich. Schon immer hatte er bewundert, wie viel Kraft in diesen zarten Händen gesteckt hatte. Einmal, als wir noch Kinder gewesen waren und wir uns gerauft hatten, hatte ich ihn nieder gedrückt, als wäre er nicht stärker als ein Neugeborenes und hatte ihm prompt die Nase gebrochen, als ich ihm ins Gesicht haute. Seitdem war eine Menge Zeit vergangen. Wir beide waren erwachsen geworden und auch, wenn er für einen Sechzehnjährigen groß und stark war und nicht sehr viel älter als ich, war er sich seiner Rolle als Mann durchaus bewusst. Das vermisste ich an ihm. Dieses Gefühl wier wären einander ebenbürtig. Das wollte sich seit geraumer Zeit nicht mehr einstellen.

»Ich kann sie nicht aufgeben.«, brachte ich kaum hörbar heraus.

»Nukha, Bilea... jeder hat sie aufgegeben. Warum kannst du es nicht?«

Zornig entzog ich ihm meine Hände und stand auf. »Ich werde sie nicht sterben lassen, wie meine Mutter und mein Bruder meinen Vater haben sterben lassen.«, zischte ich giftig wie eine Natter.

Beschwichtigend hob Ecren die Hände. »Beruhige dich, Ivolet.«, bat er. »Ich wollte dir nicht wehtun.«

»Ist schon gut«, murmelte ich, während ich mir einige wirre Strähnen aus dem Gesicht strich.

Ecren beobachtete mich dabei, wie ich im Zelt umher huschte, um kalte Umschläge für Sharon vorzubereiten. Sie hatte wieder hohes Fieber bekommen, winselte und stöhnte und hustete, als wolle sie ihr Inneres nach Außen kehren. Er erkannte, wie verbissen ich daran arbeitete, dass Sharon wieder gesund wurde, egal wie ausweglos es sein mochte. Vielleicht würde ich endlich von Sharon los kommen, wenn diese starb. Aber starb Sharon nicht jeden Tag? - immer ein bisschen mehr, so hatte ich selbst das Gefühl. Aber nein, ich musste daran glauben, dass meine kleine Schwester wieder gesund wurde.

Ich erinnerte mich nicht mehr daran, wie er aufgestanden war und mir schweigend angefangen hatte zu helfen. Er tauchte Tücher in kaltes Wasser aus einem Bach in der Nähe und hob Sharons Beine an, ehe ich die Umschläge um Sharons schmale Beine legte. Ich hörten, wie Sharon erschrocken aufkeuchte wegen der Kühle an ihrem überhitzten Körper. Winselnd warf sie den Kopf herum.

Ecren packte ihre Schultern und drückte sie auf die Felle nieder, als Ich ein weiteres nasses Tuch in ihre Achselhöhlen drückte, da wo die Hitze am meisten saß. Erneut winselte Sharon, ehe sie erschöpft in sich zusammen sank zurück in einen wirren Fiebertraum. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn.

»Geh. Nimm ein Bad, Ivolet. - Keine Sorge, ich bleibe bei ihr.«, sagte Ecren und lächelte mich beruhigend an.

»Meinst du?« Unsicher blickte ich zu meiner rotwangigen Schwester hinab, die nicht einmal mehr die Augen richtig öffnen konnte.

Ecren nickte bekräftigend. »Du brauchst mal eine Pause von all dem. Und der Bachlauf ist nicht weit, keine Sorge, ich decke dich.« Er zwinkerte mir zu.

Geistesabwesend nickte ich, dann sah ich ihn an. »Danke, Ecren.« Ich griff nach einem neuen Fellkleid und verließ dann das Zelt, um zum Bach zu gehen. Dabei achtete ich darauf, bloß meinem Bruder nicht in die Hände zu fallen.

Zwei

 

Der Bach befand sich nur etwa fünf Minuten vom Lagerplatz entfernt in einem kleinen Waldstück, das hier draußen im Hochland wohl das einzige war. Felsen schossen aus dem Boden wie Zähne aus einem Mund, das teils moosige Gras federte meine Schritte ab, als ich den bekannten Pfad, den schon hunderte meines Clans gegangen waren, entlang schritt. Ich tauchte in die Gebüsche ein, wich Felsen aus, sprang über Pfützen und Baumstämme und fand mich an dem Kiesufer des breiten, flachen Flussbettes wieder. Graue, zerklüftete Felsen ragten aus dem Kies auf und reichten bis ins Wasser hinein, welches mit kleinen, sanften Wellen um den Stein herum floss und weiter trieb.

Routiniert legte ich mein frisches Kleid auf einen Felsen ab, wo es nicht nass werden würde und begann damit, die Stiefel von meinen Füßen zu ziehen, sie ordentlich neben den Felsbrocken zu stellen und dann die Felle zu lösen, die ich eng um meinen Leib geschnürt hatte. Das Silberwolfsfell legte ich auf den Kiesboden, dessen Steine vom ständigen Reiben aneinander rund und angenehm unter meinen nackten Füßen waren. Auch das Überfell, das von einem Riesenhirsch stammte, legte ich zu dem Wolfsfell. Und so stand ich nur noch in meinem dünnen Hirschfellkleid am Ufer und begann die Schnüre zu lösen, die es an meinem Brustkorb bis zum Bauchnabel hinunter fest hielten. Als ich auch dieses gelöst hatte und zu meinen anderen Sachen gelegt hatte, stand ich nackt wie ich war am Ufer des Baches und blickte einen Augenblick lang auf das Spiel des Windes, der sich auf der Wasseroberfläche kräuselte.

Wie von selbst fand meine rechte Hand zu dem Wolfszahn an meinem Hals und umfasste ihn. Manchmal, es hörte sich wohl seltsam an, glaubte ich, dass mein Vater noch immer bei mir war. Natürlich war es auch der Glaube meines Clans, der mich dazu veranlasste im Wind die Stimme meines Vaters zu vernehmen, aber die meisten glaubten nicht wirklich an die Geister unserer Ahnen, die in allen Dingen weiterleben sollten, sobald ihre sterbliche Hülle vergessen war. Ich glaubte, dass mein Vater wirklich im Wind war, der mich tagsüber begleitete und mir das Haar zerzauste, als wäre es seine Hand, die mir früher zu gerne durch das rote Haar gefahren war und es verknotet hatte, wenn er mir den Kopf gerieben hatte. Manchmal glaubte ich sogar, seine Stimme zu hören.

Ich schüttelte den Kopf über diese Gedanken und machte mich daran in das eiskalte Flusswasser zu steigen. Hier oben im Hochland gab es nämlich kein warmes Wasser, nicht einmal bei den milderen Temperaturen im Sommer. Hier oben wurde es höchstens achtzehn Grad warm und das war noch lange nicht warm genug, um das Wasser angenehm lauwarm werden zu lassen. Und so wurden Kinder schon von klein an daran gewöhnt, mit kaltem Wasser zu baden. Der Aufwand das Wasser jedes Mal über dem Feuer zu erhitzen wurde nicht betrieben, nur, wenn eine Frau heiratete wurde sie am Hochzeitsmorgen von einigen Frauen in einen Waschzuber gesetzt und mit warmen Wasser gebadet. Angeblich sollte das die Fruchtbarkeit für den Abend in 'Gang' bringen. Ich konnte froh sein, dass ich diese Erfahrung noch nicht machen musste.

Das kalte Wasser umspülte zunächst nur meine Knöchel, dann reichte es mir bis zu den Knien. Noch tiefer würde es nicht werden, denn der Fluss war flach, sodass auch viele Mütter problemlos ihre Kinder hier baden lassen konnten, ohne Angst zu haben, sie würden ertrinken. Denn das war das große Problem meines Clans. Niemand von uns hatte je schwimmen gelernt, denn hier draußen gab es keinen See, der tief genug wäre und noch weiter in den Norden wagten wir uns eigentlich nicht, denn dort lebten die Seehundsmenschen an den Ufern des Eisschollenflusses.

Leicht zitternd stand ich im Wasser, das an meiner Haut zwiebelte wie Nadelstiche, aber dieses Gefühl würde bald verschwinden, wenn ich mich an die Kälte gewöhnt hatte. Hier draußen musste man hart im Nehmen sein. Auf Grund der Kälte zogen sich die dunkleren Spitzen meiner kleinen Brüste unangenehm zusammen und ich bekam eine Gänsehaut, sodass ich mich rasch zum Wasser beugte und meine Arme damit benetzte. Für eine Weile hockte ich im eiskalten Wasser und gewöhnte mich an die Kühle auf meiner Haut.

Schließlich tauchte ich mein Gesicht ins Wasser, rieb Schmutz und Schweiß der letzten Stunden aus meinem Haar bis es sich seidig und sauber anfühlte. Dann nahm ich eine Handvoll Sand vom Grund und rieb es über meine Arme und Beine und den Körper, bis dieser rein von alter Haut und Schmutz war. Ich hätte auch eines der kostbaren Seifenstücke von Fiola mitnehmen können, aber die Gefahr meinem Bruder zu begegnen war zu groß gewesen. Wenn es mal keine Seife gab, wie in dieser Zeit, wo die Mallaks zu spät ins Hochland zogen, mussten wir uns mit dem Sand aus dem Flussbett reinigen. Mehr gab es nicht. Wir nahmen nur das, was die Natur uns bot. So lebte mein Clan schon seit Jahrhunderten.

Nachdem ich den Sand abgewaschen hatte und ich mich sauber und erfrischt für eine weitere Wacht an Sharons Bett fühlte, stieg ich tropfend aus dem kalten Wasser und blieb am Ufer einige Minuten lang schweigend und ruhig stehen, um mich trocknen zu lassen. Schließlich griff ich nach dem sauberen Hirschfellkleid und zog es mir über, positionierte den Wolfszahn unter dem Kleid und zog mein Überfell und den Fellmantel wieder über, bevor ich mir das schmutzige Fell unter den Arm klemmte, in meine Schuhe schlüpfte und den Weg zurück antrat.

Während ich den Pfad zurück ging, hoffte ich inständig, dass Nukha nicht mitbekommen hatte, dass ich das Zelt verlassen hatte. Auf einen weiteren Streit hatte ich beim besten Willen keine Lust und auch Ecren würde mich sicher nicht vor Nukha verteidigen, auch, wenn er gesagt hatte, er würde mich 'decken'.

Mit einem genervten Stöhnen legte ich den Kopf in den Nacken und blickte gen Himmel. Allmählich klarte es auf und die Wolken verzogen sich, gaben den Blick auf einige Fetzen blauen Himmels frei. Ich sog tief die frische Luft in meine Lungen und beschleunigte meinen Schritt. Teils, weil ich keinen Ärger mit Nukha haben wollte, teils aber auch, weil ich schnell wieder bei Sharon sein wollte. Eigentlich war auch schon das Bad am Fluss zu viel Zeit gewesen, die ich nicht bei Sharon gewesen war. Meine Schritte wurden noch schneller bis ich in einen schnellen Trab verfiel.

Kurz bevor ich den Bergrücken erreichte, auf dem sich unser Lager befand, blieb ich aprubt stehen. Gespenstische Stille hatte das Lager erfasst. Normalerweise war es um diese Stundenzeit belebt und laut. Die Kinder waren allmählich alle wach und rannten und tobten wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend und die alten Frauen sangen beim morgendlichen Wäsche waschen in der Highländersprache und das so laut, dass ich manchmal das Gefühl hatte die Berg-Clans würden uns hören. Aber nun? Es war wie ausgestorben, sodass ich die Beine in die Hand nahm und den Berghang hinauf rannte. Bald schon schmerzten meine Oberschenkel, aber Nukha hatte immer gesagt, wenn wir als Kinder um die Wette gerannt waren, dass es gut für die Muskeln war und außerdem machte es schlank. Bei mir wäre es vielleicht angebracht, wenn ich zunehmen, statt abnehmen würde.

Schließlich erreichte ich leicht außer Atem das Lager. Die Umgebung rund um die Zelte waren verlassen, wie ausgestorben. Rasch flitzte ich zu unserem Zelt und fand meine Mutter davor auf einem Hocker sitzen, einen Fetzen Fell und eine Nadel aus Knochen in der Hand. Sie stickte gerade etwas hinein.

»Da bist du ja, Ivolet«, sagte sie erleichtert und schloss kurz die Augen.

»Ich war am Fluss, aber - wo sind denn alle?«

»Du solltest doch im Zelt bleiben... Naja. Ist jetzt auch nicht mehr so wichtig. Die anderen sind alle beim Zelt der Druidin auf dem Hügel. Ein Jägertrupp ist mit drei großen Wildschweinen zurückgekehrt - es wird ein Festmahl geben. Aber das ist noch nicht alles. Sie haben in der Nähe einer Siedlung der Seehundsmenschen einen Mann gefunden.«

Verdutzt blickte ich sie an. »Einen Mann? Was ist daran so besonders?«

Bilea, meine Mutter, beugte sich leicht vor. »Kédar glaubt, er stammt aus dem Land des ewigen Eises, jenseits des Eisschollenflusses.«

Mir lief eine Gänsehaut über den Körper. Niemand aus Eós wusste so genau, was hinter dem Fluss lag und welche Kreaturen auf dem Land dort lebten. Es gab die wildesten Spekulationen, besonders vom alten Jimmy, der immer wieder in seinen abenteuerlichen Geschichten beschwor, dass er einmal dort gewesen war. Es kam nicht selten vor, dass ihn die Leute auslachten. Ich tat das nie, da ich seine Geschichten sehr spannend und unterhaltsam fand. Und wie man immer so schön sagte, in jeder Geschichte steckte ein wahrer Kern. Wie groß dieser Kern war, darüber ließ sich streiten.

»Wieso ist er bei der Druidin?«, fragte ich neugierig.

Mitter sah mich kurz an, bevor sie sich wieder der Stickerei zuwandte. »Er ist sehr schwer verletzt, mehr tot als lebendig. Wenn wir Pech haben, stirbt er an Wundbrand. Nukha versucht schon die ganze Zeit seinen Namen heraus zu bekommen oder wer ihm das angetan hat. Aber er stöhnt nur und wimmert wie ein Kind.«, sagte sie und hob den Kopf. »Geh doch hin und sieh, ob du etwas tun kannst. Ich bleibe hier, falls Sharon aufwacht.«

Tiefe Freude erfüllte mich, als ich sie mit glitzernden Augen anblickte. »Ich darf?«

Ihr Lächeln wurde etwas traurig, aber bevor ich sie fragen konnte, was los war, nickte sie und sagte: »Natürlich. Und falls Nukha wieder stänkert, schickst du ihn einfach zu mir, ja Schatz?«

Ich nickte eifrig, legte das schmutzige Kleid in den geflochtenen Korb neben dem Zelteingang und raffte dann meinen Rock, um den getrampelten Pfad zum Zelt der Druidin hinauf zu steigen. An den Seiten der Zelte, die den Weg in der Mitte säumten, saßen vereinzelt die Clan-Mitglieder, die schlichtweg zu alt oder zu jung waren, den Hang hinauf zu steigen und sich den Fremden anzusehen. Ich jedoch war die Neugierde in Person, sodass ich schneller lief und schließlich am Hang ankam.

Die Clan-Mitglieder standen rings um das Zelt und versuchten einen Blick durch den Eingang zu erhaschen. Der Jägertrupp stand eng zusammen gekauert, noch völlig verschwitzt von der Jagd, an der Seite, die drei toten Wildschweine an lange Stöcke gebunden neben ihnen auf einem Karren. Bei ihnen stand Kédar, der Anführer des Trupps. Ein brutaler und kaltherziger Mann, die Götter wussten wohl warum. Er besaß dunkelbraunes Haar, ähnlich wie das meines Bruders, jedoch besaß er kalte blaue Augen, die einen zu jeder Tageszeit herausfordernd und berechnend anblickten, als hätte man ihm in die Brühe gespuckt.

Ich hatte auf den Rat meines Bruders gehört und war ihm schlicht aus dem Weg gegangen.

Mit den Augen suchte ich die raunende Menge nach Nukha ab. Ich fand ihn ganz weit vorn am Eingang, sodass ich mich mit einigen gemurmelten »Entschuldigung.« und »Verzeihung, darf ich mal?« durch die Menschen kämpfte. Schließlich tippte ich Nukha an der Schulter an, der sich blinzelnd zu mir umwandte. Erleichtert schloss er die Augen und atmete ein paar Mal tief durch, als wolle er verhindern, mich vor versammelter Mannschaft anzubrüllen. Er schaffte es.

»Wo warst du schon wieder, Ivolet?« Seine Stimme klang gepresst vor Sorge und Wut.

»Am Bach. Ich wollte nicht stinkend wie ein Skunk herum laufen.«, gab ich zurück und schielte an ihm vorbei zum Eingang des Zeltes. »Mutter sagte, dass der Jägertrupp einen Mann mit ins Lager gebracht hat.«

Nukha nickte. »Er ist völlig von Sinnen und hat hohes Fieber. Wahrscheinlich Wundbrand. Die Druidin versucht ihm gerade Mohnsamen einzuflößen, damit er still liegt, wenn sie ihn behandelt.«

Kurz schnaubte ich innerlich. Diesem Fremden hilft sie, als wäre es ein Heiliger, aber meine Schwester kann verrecken? Toll! Wirklich toll!

Ich spürte einen Finger im Kreuz und wandte den Kopf zu Ecren, der nachdenklich zu mir herunter blickte, seinen Speer fest in einer Hand. Zusammen standen wir einige Minuten so da und warteten, dass sich etwas regte. Einigen der Zuschauer schien es zu langweilig zu werden und sie zogen ab, aber ich wollte wissen, wie dieser Mann vom Eisland aussah. Hatte er vielleicht Stoßzähne wie ein Mallak? Oder Hauer wie die eines Wildschweines? Große Augen, die einen hypnotisieren konnten?

Plötzlich wurde ich von einem lauten markerschütternden Schrei aus meinen Überlegungen gerissen und zuckte zusammen. Ecren und Nukha sahen sich gleichzeitig an und stürmten in das Zelt, während Kédar im harschen Tonfall versuchte, die Menge zu beruhigen. Ich konnte mich nicht mehr auf dem Platz halten und huschte ebenfalls in das Zelt der Druidin. Süßer Kräutergeruch schlug mir entgegen und benebelten meine Sinne und kurz stieß ich mit dem Kopf gegen eines der Kräuterbüschel, die von der Decke hingen, bevor ich mit gerunzelter Stirn zu den Bettfellen sah, auf denen ein Mann lag.

»Ivolet! Geh raus, sofort!«, keifte mich Nukha an.

Wütend verzog ich die Lippen. »Ich kann helfen!«, sagte ich ihm. »Die Druidin hat mir einige Sachen schon gezeigt, die ich bei Sharon anwenden kann. Also?«

Mein großer Bruder trat einen drohenden Schritt vorwärts, aber ich blieb felsenfest dort stehen, wo ich war. »Nein, Ivolet. Raus, sofort«, sagte er gefährlich leise.

»Nein«, fuhr ihm die Druidin dazwischen. »Ich kann ihre Hilfe gut gebrauchen. Schließlich bin ich auch nicht mehr die Jüngste. Lass sie zu mir kommen.«

Nukha drehte sich mit einem ungläubig geöffneten Mund zu der alten Frau herum, die neben dem Lager stand, auf dem der verwundete Mann auf der Seite lag.

»Schau mich nicht so entsetzt an, Junge«, sagte sie spöttisch und bedeutete mir mit einem Blick, näher zu treten. »Deine Schwester ist wohl die einzige, die dieses jämmerliche Lager nie verlassen darf, dann lass sie wenigstens in meiner Obhut. Hier lernt sie noch etwas. Und jetzt raus mit euch, alle beide.« Sie blickte Nukha und Ecren abwechselnd durch die alten, blauen Augen an.

Unschlüssig stand ich nun neben den Bettfellen. Bisher hatte sich noch niemand meinem Bruder in den Weg gestellt, seitdem er Clanführer war. Und schon gar nicht, um für mich Partei zu ergreifen und für mich einige Freiheiten zu erzwingen. Diese Situation schien Nukha genauso zu überrumpeln wie mich, denn er stand schweigend da, ließ den Blick über mich und schließlich zu dem Fremden wandern, der sich vor Schmerz dort krümmte. Wortlos wandte er sich ab und schob das Leder im Eingang beiseite, verschwand nach draußen. Es sah so aus, als hätte diese alte Hexe meinen Bruder zum ersten Mal in seinem Leben sprachlos gemacht.

Als ich zu Ecren blickte, bemerkte ich ein leichtes Lächeln, dann nickte er mir zu und folgte seinem Anführer nach draußen.

Die Druidin schnaubte gehässig, dann wandte sie sich wieder dem halb toten Mann zu. »So Mädchen, hier her. Du musst seinen Kopf fixieren, damit ich ihm die Mohnsamen einflößen kann. Er jammert wie ein Neugeborenes an den Zitzen seiner Mutter.«, schnaubte sie verächtlich und deutete auf den Mann.

Ich nickte geschäftig und warf mir den Mantel und das Überfell vom Körper, um es bewegungsfreundlicher zu haben, dann umrundete ich die Bettfelle und zuckte sogleich zusammen, als ich den Rücken des Mannes erblickte. Sicher war es mal ein schöner, männlicher und muskulöser Rücken gewesen, aber das hier... das war nur noch aufgerissenes Fleisch. Sein Rücken war eine einzige blutige Masse, die ich kaum definieren konnte und an seiner Seite, direkt dort wo die Rippen waren, befand sich ebenfalls eine Risswunde. Diese sah allerdings nicht so aus wie die auf seinem Rücken. Nicht so glattkantig, nicht so... brutal. Ich konnte nur erahnen, was diesem Mann widerfahren war und war überrascht, dass er es überhaupt bis nach Eós geschafft hatte, wenn Kédar Recht behielt und er vom Land des ewigen Eises kam.

Ich schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können und kniete mich am Kopfende auf den Boden. Sanft, aber dennoch bestimmend legte ich meine Hände von oben an die kratzigen, stoppeligen Wangen und fixierte mit aller Macht seinen Schädel, als die Druidin mit einer Phiole neben uns trat. Sie öffnete den Mund des Mannes mit sanfter Gewalt und schüttete das Öl samt Mohnsamen in seinen Rachen.

Er röchelte und hustete und spuckte mir die Hälfte davon wieder entgegen, aber ich achtete nicht darauf, sondern drückte ihm den Mund samt Nase zu, sodass er gezwungen war, es zu schlucken. Als er dies tat, ließ ich seinen markanten, harten Kiefer los und strich ihm eine Strähne des glatten, tiefschwarzen Haares aus der Stirn.

»Wasch dir dort die Hände, aber gründlich!«, wies mich die Druidin an und deutete auf einen Holzeimer mit Wasser, auf dessen Oberfläche sich das Licht aus einigen Löchern in der Zeltdecke spiegelte. »Es dauert einen Moment bis die Samen wirken und er einschläft. Dann werden wir seinen Rücken reinigen. Ich bedauere es zutiefst, dass du ein neues Kleid angezogen hast. Es wird blutig, ich hoffe du fällst mir nicht in Ohnmacht?«

Spöttisch blickte ich die Alte an. »Wenn jede Frau beim Anblick von Blut in Ohnmacht fiele, würden jeden Mond nur die Männer durchs Lager schreiten«, erwiderte ich. »Ich komme mit dem Anblick von Blut bestens zurecht.«

Ein schelmisches Lächeln bildete sich um die faltigen Lippen und entblößten eine gelbliche Zahnreihe. »Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen.«

Ich wandte mich um und kniete mich zu dem Wassereimer, schrubbte mir mit der Schweinshaarbürste die Fingernägel, obwohl diese nicht sonderlich dreckig waren, denn ich war von Hause aus ein reinlicher Mensch. Als ich fertig war, benetzte ich noch meine Arme, meine Stirn und meinen Nacken, denn mir war ziemlich warm geworden bei dem Anblick dieses rohen Fleisches. Schließlich stand ich auf und ging zur Druidin, die mich auf die andere Seite derigierte und zwar frontal zum Rücken des Mannes.

»Nimm dieses Tuch und tauche es ins Wasser. Damit reinigst du die Wunde. Ich werde eine Paste zusammen stellen, damit die Entzündung abklingt.«, wies sie mich an und schlurfte schließlich zu ihrem Tisch, auf dem sich Bücher und Schriften neben Schalen mit Kräutern, Salben und anderen Mixturen sammelten.

Geschäftig nickte ich, ergriff den Lappen, den mir die Alte zugewiesen hatte und zog einen zweiten, sauberen Wassereimer heran, tauchte den Lappen in das kühle Nass, wie ich es zuvor schon unzählige Male bei Sharon gemacht hatte und begann, die Wunden zu säubern. Zu Anfang zuckte der Mann jedes Mal zusammen, wenn ich den Lappen über das wunde Fleisch gleiten ließ, jedoch lag er irgendwann ganz still da und rührte sich nicht mehr, nur das schwache heben und senken seiner Seite zeigte mir, dass er noch am Leben war. Blut benetzte schon bald meine Hände und in dem Fell meines Kleides hing ebenfalls Blut. Zuerst hatte ich es für eine einzige riesige Wunde gehalten, doch je mehr ich das Blut entfernte und seine Haut zum Vorschein kam, wurde mir klarer, dass es gezielte Wunden waren. Jemand hatte ihn brutal ausgepeitscht und ihm dabei beinahe das Fleisch von den Knochen getrennt. Ich war mit Entsetzen erfüllt, als ich schließlich fertig war.

»Tja, Mädchen. Die Menschen sind nicht überall so freundlich, wie hier in den Highlands.«, sagte die Druidin und hielt mir eine Schale mit einer grünlichen Paste hin. »Reibe seine Wunden damit ein. Kein Stück Haut darf mehr zu sehen sein. Das hält die Fliegen von den Wunden fern.«

Nickend nahm ich die Schale, legte den Lappen in den Eimer mit dem blutigen Wasser und begann seinen Rücken mit der Paste einzureiben. Ich verschloss die Wunden mit der würzig riechenden Paste und schmierte auch die wenigen Hautstellen ein, die von der Peitsche verschont geblieben waren. Währenddessen hatte sich die Druidin summend daran gemacht, die Risse an seiner Seite mit einem Stück dünner Sehne und einer Nadel aus spitzem Knochen zu nähen. Als wir fertig waren, sagte sie mir, dass ich den Inhalt des Eimers entsorgen sollte und mir an einem der Fässer die Hände waschen sollte.

Ich tat, wie sie mir befahl und kippte den Eimer in eine der entlegenden Jauchegruben bei einigen Felsen. Mit schweißnasser Stirn, blutigen Händen und einem flauen Gefühl im Magen kehrte ich zum Zelt zurück, stellte den Eimer neben dem Wasserfass ab und tauchte meine Hände in das eiskalte Wasser. Das Brennen der Kälte auf meiner Haut war angenehm und lenkte mich von den Bildern ab, die ich unwillkürlich im Kopf hatte. Ein junger Mann, gekettet an einen Pfosten, während eine lederne Peitsche auf seinen Rücken nieder ging und ihn verunstaltete. Meine Beine zitterten.

Erschöpft ließ ich mich gegen das Fass sinken und betrachtete einen Augenblick mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. Tief durch atmend versuchte ich, die Übelkeit zu bekämpfen. Ich wollte vor dieser Hexe nicht wie ein totaler Weichling da stehen, wo ich doch sonst so eine große Klappe hatte. Und so schüttelte ich innerlich den Kopf.

Komm schon, McCain! Du bist die Tochter deines Vaters, Léonold McCain, Sohn von Ruther und Renée McCain. So ein bisschen Blut wirst du doch wohl abkönnen!

Skeptisch hob ich die Braue. Leichter gesagt, als getan. Ich atmete noch einmal tief durch, griff nach meinem Rock und stapfte entschlossen zurück in das Zelt, wobei ich erstaunt feststellte, dass die Schaulustigen alle verschwunden waren. Kédar hatte sie wohl alle zurück ins Lager geschickt. 

Als ich wieder im Zelt stand, bemerkte ich, dass die Druidin auf einem Stuhl saß und leise eine Melodie vor sich hin summte, die irgendwie bedrückend klang. Mein Blick fuhr zu dem Fremden, der nun auf dem Bauch in den Bettfellen lag, sodass seine Wunde an der Luft war. Er besaß nachtschwarzes Haar, das ihm etwas zu lang in die Stirn fiel, außerdem hatte er einen Bart, der jedoch eher so aussah, als hätte er sich in seiner alten Heimat regelmäßig glatt rasiert. Sein Gesicht wirkte sogar im Dämmerzustand, in dem er sich befand, hart und undurchdringlich, sehr markant und männlich. Außerdem glaubte ich gesehen zu haben, dass er silbergraue Augen besaß. Aber das war nur eine Vermutung.

»Hier gibt es nichts mehr für dich zu tun«, riss mich die Druidin aus meinen Erkundungen. »Heute Abend kannst du mir helfen. Geh dich waschen und zieh dir etwas sauberes für das Festmahl an. Wenn das Fleisch verteilt wird, bring mir etwas hinauf. Ich und meine Beine sind nicht mehr das, was sie einmal waren.«

»Was ist mit ihm?«

Sie folgte meinem Blick. »Der wird jetzt eine Weile schlafen, was auch gut ist. Egal, wie oft man ihm das angetan hat, es ist ein Wunder, dass er so weit gekommen ist.«

»Also... stammt er wirklich aus dem Land des ewigen Eises?«

»Allerdings.«, merkte die Druidin an. »Ich würde diesen Mann so um die zwanzig schätzen. Plus, minus ein Jahr oder so. Außerdem habe ich mir seine Hände angesehen. Es sind Schwerthände.«

Ich betrachtete das Gesicht des Mannes, das nun friedlich wirkte, dennoch hart wegen den markanten Wangenknochen. »Ein Soldat?«

»Gut möglich«, sagte sie und stand auf. »Am besten, du erzählst deinem Bruder noch nichts von meiner Vermutung. Wer weiß, was ihm dieser kriegerische Kédar alles einredet? Und Nukha ist jung und unerfahren, dein Vater hatte kaum Zeit, ihn auf die Pflicht des Clanchefs vorzubereiten. Ich weiß nicht, ob er weise entscheiden würde.«

Ich verstand sofort, was sie mir damit sagen wollte. Kédar war misstrauisch und zwar allem und jedem gegenüber. Er würde diesen Fremden als Bedrohung ansehen, wenn er wusste, dass er einmal Soldat oder etwas Ähnliches gewesen war und wusste, dass dieser Mann mit einer Waffe umgehen konnte, wäre das sicher alles andere als gut für ihn. Und Nukha war so versessen darauf, uns alle zu beschützen, dass er diesen Mann sicherlich... töten würde, nur damit wir sicher waren.

»Nun geh, Kind«, drängte sie mich. »Ich kann spüren, dass die Geister unser Festmahl heute Abend segnen werden. Sag deinem Bruder, er soll die Trommeln so laut spielen, wie lange nicht.«

Ich nickte gehorsam, warf noch einen Blick auf den Fremden dort und ging dann zum Zelteingang. Ruckartig blieb ich stehen und runzelte die Stirn, bevor ich mich zu ihr umwandte. »Ich... ich weiß gar nicht deinen Namen, Druidin.«, bemerkte ich. Und das jetzt, nach fast fünfzehn Jahren, in denen ich schon im McCain-Clan lebte.

Sie lächelte mich spöttisch an. »Du hast mich nie gefragt«, erwiderte die Alte und stützte sich auf ihren Stab. »Mein Name ist Riegel, erste meines Namens.«

»Das bedeutet... du hast Kinder?« Ich machte große Augen, denn ich hatte nie welche gesehen.

»Eine Tochter. Aber sie hat den Clan vor langem verlassen. - nun geh. Die Sonne neigt sich dem Horizont zu und du willst die Geister doch nicht verärgern?«

Ich schüttelte den Kopf, raffte den Fellrock und verließ das Zelt. Meine Beine trugen mich rasch hinunter ins Lager und zu meinem Zelt. Dort schob ich das Leder beiseite und fand Mutter und Nukha vor, die angeheizt über den Fremden diskutierten. Wie ich befürchtet hatte war Nukha von seiner Anwesenheit nicht begeistert. Anders als Mutter, die schon immer ein großes Herz gehabt hatte und ihm versuchte zu erklären, dass es ein Zeichen der Götter war, das ausgerechnet ein Mann des Landes hinter dem Eisschollenfluss hierher kam und wir ihn gefunden hatten.

»Das ist reiner Zufall!«, schnaubte Nukha aufgebracht.

Mutter sah ihn mit einer Weisheit in den Augen an, die ihn verstummen ließ. »Es gibt keine Zufälle.«, sagte sie mit fester Stimme. »Die Götter und die Geister lenken die Geschicke der Welt und wir sind Teil dieses großen Plans. Glaubst du, sie erlauben solche Dinge wie Zufälle? Es hat einen Sinn, dass dieser Mann zu uns kommt. Wir müssen ihm helfen.«

Rastlos lief Nukha auf und ab. »Du bringst mich zur Verzweiflung, Mutter. Genauso wie du, Ivolet.«, stöhnte er frustriert.

»Die Druidin glaubt auch, dass es ein Zeichen der Geister ist.«, beharrte ich auf Mutters Theorie. »Ich habe ihn versorgt. Er sieht genauso aus wie wir, Nukha. Warum sollte er dann so anders sein? Vielleicht kann er ein Krieger werden oder ein Jäger, wenn er gesund wird.«

»Wenn«, murmelte mein Bruder und setzte sich auf einen Hocker aus Fellen und einem Strohbündel. »Nun gut. Ihm soll nichts geschehen, bis er uns erklärt, woher er stammt und was er will.«

Ich nickte erleichtert. »Außerdem sagte die Druidin, dass die Geister unser Essen segnen, auf, dass die Mallaks bald ins Hochland kommen und wir jeden Abend ein Festmahl bereiten können.«, sagte ich feierlich. »Du sollst heut Nacht die Trommeln schlagen.«

»Das auch noch«, seufzte er erschöpft und rieb sich den steifen Nacken. »Gut. Dann zieht eure sauberen Kleider an. Es gilt ein Festmahl vorzubereiten.«

Als sie fort waren, setzte ich mich auf Sharons Bettfelle und strich ihr das schweißnasse Haar aus der Stirn. »Da ist ein Fremder, Sharon«, flüsterte ich. »Ich glaube, die Götter haben ihn hierher geschickt. Damit er sich uns anschließt und zum Jäger wird. Vielleicht kann er Geschichten erzählen, Sharon. Ich bin sicher, dass du große Augen machen würdest, wenn er vom Land des ewigen Eises erzählt. Da kommt er nämlich her.« Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor ich einen kalten Lappen an diese Stelle legte.

Drei

 

Draußen hörte ich schon das rege Treiben für die Vorbereitungen des Festes. Dinge wurden herum geschoben, Feuer wurde entfacht und ich hörte, dass im Nahrungszelt ganz in der Nähe den Wildschweinen das Fell über die Ohren gezogen wurde. Aber vor allem hörte ich die Gruppe älterer Frauen, die neben meinem Zelt begonnen hatten ihren Gesang für heute Abend zu üben.

Ich ging zu dem geflochtenen, hohen Korb und holte ein neues, hellbraunes Fellkleid heraus. Geschäftig streifte ich mir das blutige, das ich noch vom Verarzten des Fremden am Leib trug, von meinem Körper und warf es in den Wäschekorb mit der dreckigen Wäsche. Schließlich zog ich das festliche Kleid über und strich es glatt. Als nächstes kramte ich in einer Schale auf einem Tisch und begann ein paar Strähnen meines Haares zu flechten und Perlen hinein zu arbeiten. Schließlich wollte ich nicht aussehen wie eine Vogelscheuche.

Genau in dem Moment, als ich damit fertig war, wurde das Fell am Eingang beiseite geworfen und Celtia, meine Cousine, kam ins Zelt gestürmt. Sie trug ein schönes Kleid mit gewagtem Ausschnitt und einigen Löchern an den Seiten, sodass man ihre bräunliche Haut sehen konnte. Ihr hellblondes Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten hoch gebunden und hölzerne Perlen und welche aus hellem Knochen waren in ihrem Haar eingebunden. Ihre blauen Augen leuchteten, als sie vor mir stehen blieb.

»Ich nehme an, es hat einen triftigen Grund, weshalb du so gekleidet bist?«, fragte ich und deutete auf ihr einladenes Dekolleté, indem ich vor meinem eigenen Körper mit der Hand herum schwenkte.

Celtia ergriff meine Hände und hüpfte auf und ab. »Heute ist es soweit, Ivolet! Ich werde Ecren fragen, ob er mich heiraten will!«

Ich hob skeptisch eine Augenbraue. Celtia war meine Cousine, die Tochter meiner Tante Mütterlicherseits und ich wusste, dass sie in Ecren verliebt war, seit ihrer Kindheit. Wie oft hatte ich gemerkt, dass sie ihn angestarrt hatte, wenn er vorgeschlagen hatte, aus Stroh und Holz ein Minimallak zu bauen, das wir erlegen konnten? Und wie oft hatte ich gesehen, dass sie ihn beobachtete, wenn er seine Waffen baute und sie mir erzählte, dass sie ihn beim Baden im Fluss beobachtet hatte? Leider wusste ich auch, dass Ecren sie beinahe niemals beachtet hatte und dies sicher nicht wegen dem Fest heute Abend ändern würde. Am liebsten hätte ich sie gewarnt, dass es keine gute Idee war, Ecren gleich mit einem Heiratsantrag zu kommen, bevor sie überhaupt irgendeine Zweisamkeit geteilt hatten, aber ich hielt den Mund. Vielleicht war es besser, sie ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Vor allem, da sie wie Ecren ein Jahr älter war als ich. Wer wusste schon? Vielleicht war mein bester Freund von der Idee entzückt, meine Cousine zu heiraten? Einen Versuch war es wert.

»Vielleicht findest du auch einen Mann?« Sie sah mich mit leuchtenden Augen an, wobei ich merkte, dass ihre Pupillen erweitert waren.

»Hast du getrunken?«, fragte ich erstaunt.

»Ein bisschen«, gab sie zu. »Mut antrinken, du weißt schon.«

Mit einem Stöhnen verdrehte ich die Augen. »Du hast vom alten Jimmy dieses seltsame braune Zeug genommen, dass er aus den Tollkirschen braut, oder?«

Beschämt nickte sie.

»Oh Mann«, sagte ich und rieb mir die Stirn. »Und so willst du Ecren gegenüber treten? Halb besoffen?«

Sie machte einen Schmollmund. »Lass uns nicht weiter über mich reden, ich krieg' das mit Ecren schon hin.« Celtia schob mich zu einem Spiegel und setzte mich auf den Strohhocker davor. »Ich habe gehört, dass du der Alten auf dem Hügel mit dem Fremden geholfen hast.«, sagte sie geschäftig, als sie mein Haarwerk zerstörte und stattdessen einen Knoten band, ähnlich wie dem ihren.

»Ja, habe ich.«

Sie machte eine ungeduldige Geste. »Erzähl mir von ihm! Kédar rennt seit heute Mittag wie ein aufgescheuchtes Huhn durch das Lager und erzählt jedem, der es hören will oder auch nicht, dass er sicher glaubt, dass dieser Kerl vom Land jenseits des Eisschollenflusses stammt. Stimmt das?«

»Die Druidin ist sich sicher, dass er von dort kommt.«, wich ich aus. Ich selbst war mir auch sicher, dass er von dort stammte, aber ich wollte Celtia nicht zu viel erzählen. Nicht von der Vermutung, dass dieser Mann eventuell ein Krieger seines Stammes gewesen war, damit sich niemand Sorgen machen musste. Das wollte ich nicht.

»Hm«, machte Celtia nachdenklich.

»Er... er hatte Striemen auf dem Rücken.«, verriet ich ihr noch.

»Striemen?« Sie blickte mich im Spiegel an. »Wie... von einer Peitsche, meinst du?«

Ich nickte.

Sie blinzelte ein paar Mal, dann schüttelte sie den Kopf und band mein Haar mit einer Sehne nach oben, sodass mein Nacken zu sehen war, da das Fell einen gewaltigen Streifen Haut frei ließ. Eigentlich mochte ich es nicht, so freizügig herum zu laufen. Es würde die falschen Signale senden, denn ich hatte gewiss nicht vor, mir einen Mann zu suchen. Erst, wenn Nukha mir, wenn ich achtzehn war, einen an die Seite stellte, würde ich etwas mehr Haut frei lassen.

Aber Celtia in ihrem dämmerigen Zustand zu widersprechen, wäre wohl lebensmüde von mir gewesen, sodass ich nicht murrte und mein Haar betrachtete. Ich nickte anerkennend und stand auf.

»Geh schon mal raus, ich muss mich nur kurz um Sharon kümmern.«

Celtia folgte meinem Blick in die Ecke zu den Bettfellen, auf denen meine kleine Schwester schlafend lag. Ihr Blick war traurig und ich wusste auch, weshalb. Sie glaubte ebenso wenig wie alle anderen, dass Sharon noch einmal genesen würde, aber welche Tochter meines Vaters wäre ich, wenn ich sie so leichtfertig aufgeben würde? Stur zog ich den Kiefer nach vorn, was ihr das Zeichen gab, ja nichts falsches zu sagen. Sie verstand die Geste, nickte nur einmal und verließ dann mein Zelt.

Ich seufzte leise und etwas erschöpft. Dann griff ich mir den Wassereimer und stellte ihn auf den Tisch neben den Bettfellen und tauchte den Lappen von Sharons Stirn in das kühle Nass, nur um ihn dann zurück auf ihre glühende Stirn zu legen. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und faltete dann für einige stille Momente die Hände.

»Wieder errufe ich die Geister meiner Ahnen... nehmt Sharon nicht zu euch. Ich flehe euch an. Lasst sie leben.« Ich legte meinen Zeigefinger an meine Stirn und küsste dann meine Hand, wie es unser Brauch war. Der einzige, dem ich ununterbrochen nachging.

Nach meinem Gebet stand ich auf und verließ das Zelt. Auf dem Lagerplatz, ein paar Zelte weiter, waren die Jäger dabei Holz für ein großes Feuer aufzuschichten und die Baumstämme zum Sitzen herum zu rücken. Die älteren Frauen saßen am Rand und säuberten Schalen und Holzlöffel für das Festmahl und die Kinder rannten lachend umher. Dabei kam mir der Gedanke, wie sehr ich wollte, dass auch Sharon wieder herum rannte.

Am Rande erkannte ich Celtia mit ihren Freundinnen, der schwarzhaarigen Kaith und der weißblonden Schönheit Ophelia. Beide Mädchen waren ein Jahr älter als ich und ich hatte nicht viel mit ihnen zu tun, nur durch die Verbindung meiner Cousine hatte ich mehr Kontakt zu ihnen, als mir lieb war. Ich winkte ihnen zu, aber sie bemerkten mich nicht, waren vielmehr damit beschäftigt, einer Gruppe junger Jäger hinterher zu starren, die damit prahlten, bei der Wildschweinjagd dabei gewesen zu sein. Wahrscheinlich war es meine angeborene Vernunft, weshalb ich mit ihrem Verhalten nichts anfangen konnte. Mir fiel in letzter Zeit sowieso sehr oft auf, dass ich kaum etwas mit Gleichaltrigen zu tun hatte. Ich kam mit Erwachsenen definitiv besser klar, als mit Jugendlichen.

Die Ränder um das Feuer füllten sich mit Männern und Frauen meines Clans, mit Kindern und Halbwüchsigen und schließlich trat mein Bruder zwischen die Menge. Wie es vom Oberhaupt des Clans verlangt wurde, trug er den gestickten Rock, den auch mein Vater vor ihm getragen hatte, darunter Fellhosen und der Oberkörper nackt und mit verschlungenen Geisterzeichen bemalt.

Kédar trat neben ihn, ähnlich gekleidet und bemalt, und überreichte ihm die Fackel, damit Nukha das Fest eröffnete. Plötzlich wirkte mein älterer Bruder nicht länger wie ein Junge, sondern wie ein erwachsener Mann. Das Licht der untergehenden Sonne zeichnete ein Muster aus Licht und Schatten auf sein markantes Gesicht und ließ es nicht mehr wie das eines Knaben aussehen.

Mit starker Hand ergriff Nukha die Fackel und trat zu dem Holzhaufen, auf dem Stroh und Öl gestreut worden war, um das Holz schnell zum Brennen zu bringen. Und schließlich warf er die Fackel in den Haufen und eine Feuerfontäne schoss gen Nachthimmel. Die Frauen und Männer riefen summende Worte meiner Sprache in den Nachthimmel, um den Geistern ihren Gespekt zu zollen. Und auch ich murmelte leise vor mich hin, bevor ich beobachtete, wie zwei kräftige Jäger eines der Wildschweine auf einen Ast gespießt zum Feuer trugen. Junge Frauen in weißen Gewändern und mit seidigen Tüchern behangen, was bedeutete, dass sie unverheiratet waren und nach einem Junggesellen suchten, begannen summend um das Feuer zu tanzen. Dann hörte ich den vertrauten Klang der Trommel meines Vaters. Seit seinem Tod war sie nicht gespielt worden und ich warf einen Blick an den Rand, wo Nukha auf dem Boden saß und die Trommel schlug. Kédar und Mutter saßen neben ihm und sangen leise zur Musik mit. Schließlich stimmte Kédar mit seiner Trommel in Nukhas rhythmische Schläge mit ein.

Als dieses Lied zu Ende war, trat eine junge Frau in die Mitte. Es war Zovia, die Cousine meiner Cousine Väterlicherseits. Sie war schon zwanzig und verheiratet, was man an der leichten Kugel ihrer Körpermitte sehen konnte, aber das schien sie nicht vom Tanzen abzuhalten. Sie stapfte mit einem Fuß auf und schlug gleichzeitig gegen eine Rassel aus einem Stab und Metallringen, sodass es klirrte.

»Nána, hey já na, hey jáa na, nuá na«, sang sie und in ihre Stimme mischten sich nun die Menschen, die mitsingen wollten. Ich kannte dieses Lied nur zu gut. Es war eines der ältesten Gesänge meines Volkes, sodass ich mit einstimmte und aus voller Kehle mitsang.

Übersetzt bedeutete es so viel wie: Meine Stimme, die von den Berghängen im Wind getragen wird. Es war eine schöne Bedeutung.

Als das Tanzen und Singen vorrüber war und das Wildschwein durch war, schnitten die Jäger die Scheiben ab und verteilten sie unter den Clan-Mitgliedern. Ich legte ein Stück für die Druidin beiseite, um es ihr später zu bringen. Noch eine ganze Weile saßen wir beieinander und redeten, wobei ich immer wieder gespannt nach Ecren und Celtia Ausschau hielt, sie aber nirgends entdeckte. Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war? Ich hoffte mal, dass es Ersteres war, denn ich wollte meiner Cousine eine Abfuhr von dem Mann, den sie liebte, ersparen.

Ich wand mich aus dem ungemütlichen Schneidersitz und nahm den Teller für die Druidin auf.

»Wo willst du hin?«, fragte mich Mutter.

Ich wandte mich zu ihr. »Der Druidin etwas zu Essen bringen«, erklärte ich ruhig, da ich zu gute Laune hatte, als mich jetzt davon herunter ziehen zu lassen, dass ich mal wieder da bleiben musste.

Sie schüttelte den Kopf. »Du musst bleiben. Dein Bruder hat noch eine Ankündigung zu machen.«

Verwirrt runzelte ich die Stirn, setzte mich jedoch gehorsam und schob den Teller unter ein paar Felle, damit das Fleisch warm blieb. Was für eine Ankündigung denn? Davon hatte Nukha überhaupt nichts gesagt.

Wie aufs Stichwort trat Nukha in die Mitte, direkt zum Feuer und wandte sich an den gesamten Clan, als er anfing zu sprechen. »Die Götter und die Geister unserer Ahnen haben an diesem Abend unser Festmahl gesegnet, sodass ich sehr optimistisch in die Zukunft sehe, auf, dass die Mallaks ins Hochland ziehen und unsere Jagden von Erfolg gekrönt sind.«

Die Frauen und Männer gaben einen Freudesschrei von sich, ehe mein Bruder die Hand hob, um sie verstummen zu lassen.

»Jedoch ist es nicht das, was ich euch mitteilen möchte.«, erklärte er und winkte in die Menge.

Kédar trat zwischen den Männern hervor, gab seinem Vater seinen Speer, um ihn zu halten und blieb neben meinem Bruder stehen. Dann blickte Nukha in meine Richtung und machte eine Handbewegung, die mir unmissverständlich bedeutete, aufzustehen und zu ihm zu kommen. Ich war verwirrt, blickte mich um, falls er doch jemand anderen meinte, aber niemand fühlte sich angesprochen.

»Nun geh zu deinem Bruder«, drängte mich Mutter und gab mir einen kleinen Stoß in die Seite.

Stolpernd kam ich auf die Füße, zog die Schultern an, weil ich mich unter den vielen Blicken der anderen unwohl fühlte. Ich blieb vor meinem Bruder stehen, fragend die Stirn gerunzelt und mit heftig klopfenden Herzen. Was hatte er nur vor?

Er streckte mir die Hand hin.

Mein Blick huschte zu Kédar, der lächelnd einen Meter von mir entfernt neben dem Oberhaupt des Clans stand und mich eingehend betrachtete. Irgendwas an seinem - erzwungen aussehenden - Lächeln wirkte falsch. Entschieden falsch. Als hätte er sich den großen Zeh gestoßen und versuchte vor seinen Freunden so zu tun, als würde es nicht schmerzen. Solch ein Lächeln war es.

Nur zögernd ergriff ich die Hand meines Bruders, der mich mit sanftem Druck direkt neben sich zog, sodass ich Kédar ausgerechnet direkt gegenüberstehen musste.

»Vor einigen Tagen hat mir Kédar eine wichtige Frage gestellt«, verkündete Nukha. »Ich habe lange darüber nachgedacht, habe alle Möglichkeiten abgewogen und bin zu einem Urteil gekommen. Kédar wird in meine Familie einheiraten - ich werde ihm meine kleine Schwester, Ivolet, zur Frau geben.«

Für einen Moment verschwamm alles, sogar meine Sicht verschwamm und ich fühlte mich plötzlich schwindelig. In meiner Brust war mein rasendes Herz schmerzhaft ruckartig stehen geblieben, nur um dann stolpernd weiter zu schlagen und Nukhas Worte in eine logische Reihenfolge zu bringen. Aber es gelang mir nicht. Ich begriff diese Worte nicht. Es ergab keinen Sinn! Ich... ich sollte diesen Mann heiraten? H-heiraten?! Mir wurde übel. Zwar hatte ich mich über den vollen Magen seit Wochen gefreut, aber nun fühlte er sich zu schwer für meinen Körper an. Zu schwer und zu voll für diese Art von Information. Ich hatte den Drang, mir den Finger in den Hals zu stecken, um diese erdrückende Last in meinem Bauch los zu werden.

»Bist du verrückt?«, entfuhr es mir, als die Frauen und Männer schon Freudesgesänge in den Nachthimmel katapultierten. Er musste verrückt sein.

»Ivolet«, tadelte mich Mutter, als sie zu uns trat.

»Nein!«, rief ich und blickte jedem abwechselnd in die Augen. Nukhas waren entschlossen zusammen gekniffen und auf mich gerichtet, meine Mutter sah aus, als hätte sie keine Lust auf solches Theater, aber Kédars waren beinahe spöttisch. Als würde er mich auslachen, weil er genau wusste, dass ich dieser Hochzeit niemals zugestimmt hätte. Niemals!

»Vater sagte, dass Sharon und ich heiraten sollen, wenn wir achtzehn sind!«, rief ich voller Verzweiflung. Das stimmte und es war die einzige Waffe, die ich gegen diesen unfairen Entschluss zur Verfügung hatte, der über meinem Kopf hinweg beschlossen worden war. Vater hatte ausdrücklich gesagt, dass er wollte, dass Sharon und ich nicht zu jung in die Ehe gingen. Bei ihm und Mutter war es nämlich so gewesen. Sie war gerade vom Mädchen zur Frau geworden, mit zwölf Jahren und er war sechzehn. Gleich in der Hochzeitsnacht hatten sie meinen Bruder gezeugt.

Der Gedanke, Kédar und ich würden... würden in einer Nacht einander beiwohnen, drehte sich mir schlagartig der Magen um, sodass ich die Bauchmuskeln und den Hals anspannte, um meinen Mageninhalt nicht sofort der Öffentlichkeit Preis zu geben. Allein, wenn ich an die Dinge dachte, die mir Mutter und Tante Barbatunde erzählt hatten, die ein Mann und eine Frau beim Liebesakt taten, dass ein Mann mit seinem seltsamen langen Geschlecht in eine Frau... rein ging... mir wurde eiskalt. Niemals. Niemals würde ich das mit Kédar tun. Niemals!

»Ich weiß, was Vater gesagt hat, Ivolet«, zischte Nukha verärgert, ob meiner Reaktion. »Aber ich befinde, dass du das genau richtige Alter hast, um zu heiraten. Und Kédar ist genau der richtige Bräutigam. Ich habe lange darüber nachgedacht und mein Entschluss steht.« Sein Ton war bestimmend und hart. Für ihn war die Diskussion beendet. Das zeigte er mir auch, indem er sich abwandte und sich zu Kédar drehte.

Aber ich wollte das nicht auf mir sitzen lassen. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Wenn ich jetzt feige den Schwanz einzog und mich fügte, wäre ich nicht mehr, als eine Frau, eine unterwürfige Ehefrau, die sich von den Männern alles gefallen ließ. So hatte mich mein Vater nicht erzogen. So war ich noch nie gewesen. Und so würde ich nie sein.

Ich presste die Lippen fest aufeinander, blinzelte die Zornestränen weg und ignorierte meine Mutter, die mir - ihre Stimme klang fern, als würde der Wind sie davontragen - die Vorzüge einer Ehe auflistete, als hätte ich einen Preis gewonnen. Meine Hand ergriff Nukhas Arm und ich drehte ihn mit aller Kraft zu mir herum. »Wenn du das tust, Nukha, bist du nicht mehr mein Bruder.«, flüsterte ich und schämte mich augenblicklich für meine dünne Stimme. »Vater war Oberhaupt des Clans und er sagte immer, dass wir uns unsere Männer selbst aussuchen sollen... und du ignorierst seine Worte einfach, als hätte er sie nie ausgesprochen.«

Verärgert ergriff Nukha meine Arme und drückte so fest zu, dass es wehtat. »Unser Vater ist tot, Ivolet!«, knurrte er.

Ich zuckte zusammen. Das hatte gesessen. Natürlich war Vater nicht mehr am Leben, aber bedeutete das, dass man seine Worte ignorieren sollte?

»Und ich bin jetzt Oberhaupt des Clans. Ich bin für dich verantwortlich und für Sharon. Und das bedeutet, dass du dich meinem Befehl beugst, verstanden?« Seine Augen wirkten stählern, so hart und kalt hatte ich meinen Bruder noch nie gesehen.

Mein Blick wanderte zu Kédar, der mit unbeweglicher Miene da stand und uns beobachtete. »Du willst mir also befehlen, ihn zu heiraten?«

Für einen Augenblick zuckten seine wütend verkniffenen Augenbrauen, als würde er begreifen, was er tat, dann jedoch verhärtete sich sein Griff um meine Oberarme. »Mein Entschluss steht fest, Ivolet. Du wirst Kédar in wenigen Wochen zum Mann nehmen. Ab da stehst du unter seinem Schutz.«

In mir war alles plötzlich so leer. In meinem Kopf jedoch herrschte Chaos. Und mein Geist war nur von einem Gedanken erfüllt: Dem Gedanken in meiner Hochzeitsnacht ein Bett mit einem Mann zu teilen, der im ganzen Clan für seine Gnadenlosigkeit und seine schlechte Laune an jedem einzelnen Tag bekannt war. Dem Gedanken, dass mein eigener Bruder mich zwang, diesen Mann für immer treu zu sein und ihn zu lieben. Ob ich das konnte? Sicher nicht.

Ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten, die mir haltlos über die Wangen flossen. Bisher war mein Leben langweilig gewesen. Ich hatte unter dem Schutz und der Obhut meiner Eltern gestanden, hatte eine normale Kindheit gehabt und in den letzten Wochen war Sharons Gesundheit der einzige Mittelpunkt in meinem Leben gewesen. Und nun würde ich wie hunderte Frauen meines Clans vor mir, jung verheiratet werden und mein restliches Leben damit verbringen, die Söhne eines Mannes zu gebären, den ich nicht liebte. Den ich niemals lieben konnte.

Theoretisch könnte ich gleich in den Wald gehen und mich von Eiswölfen zerfleischen lassen. Das hätte wohl noch mehr Sinn, als Letzteres.

Wütend riss ich mich von Nukha los und wich zwei Schritte zurück, als wäre er jemand, der mir einen Dolch ins Herz rammen wollte. Als meine Mutter nach mir greifen wollte, um mich an sich zu ziehen, sprang ich zur Seite und blickte sie und Nukha abwechselnd an. »Ich hasse euch!«, flüsterte ich mit gebrochener Stimme.

Genau wusste ich nicht mehr, was dann geschah. Meine Beine hatten begonnen zu rennen, ohne auf Mutters Rufe zu achten und auch nicht auf Nukhas wütendes Knurren. Ich hörte noch von weitem, als ich zwischen den dunklen, verlassenen Zelten umherirrte, die Gesänge der Clan-Mitglieder, die meine Verlobung feierten. Ich stolperte mehrmals über meine eigenen Füße und schluchzte haltlos. Hier draußen, einige hundert Meter vom Lagerplatz mit dem Feuer entfernt, konnte mich eh niemand hören, sodass ich den Tränen einfach freien Lauf ließ.

Meine Beine trugen mich, ohne mein Zutun, zum Zelt der Druidin. Benommen und mit tränenverhangenen Blick schob ich das Eingangsfell beiseite. Das Innere des Zeltes war leer und dunkel. Nur das Atmen des Fremden hörte man leicht. Ich blieb neben dem Lager stehen und betrachtete ihn im dämmerigen Licht.

Er sieht schön aus, stellte ich lächerlicherweise fest.

Ich ließ mich neben seinem Lager auf den Boden sinken, zog die Beine eng an meine Brust und spürte sein Atmen im Nacken, aber darauf konnte ich mich nicht konzentrieren. Nukha hatte mich... er hatte mich verkauft, wie ein Stück Vieh. So viele Frauen meines Clans konnten es sich nicht aussuchen, ob sie heirateten und wen. Nun war ich eine von ihnen. Und ich war mir sicher, dass meine Ehe nicht so sein würde, wie die meiner Mutter und meines Vaters. Sie hatten Glück gehabt, dass sie einander symphatisch gewesen waren und sich irgendwann lieben lernten. Aber Kédar? Der liebte niemanden, außer sich selbst.

Es war so vieles, was an dieser Situation unerträglich war. Erstens: Nukha hatte Vaters Worte einfach ignoriert und mich an irgendeinen x-beliebigen Mann verschachert. Zweitens: Kédar war grausam ernst und einfach nicht fähig zu lieben. Und Drittens: Ich hatte furchtbare Angst vor der Hochzeitsnacht mit diesem Mann. Allein die Vorstellung, nackt und schutzlos vor ihm stehen zu müssen... Ich begann am ganzen Leib zu zittern, versuchte mir Kédar krampfhaft, als liebevollen Ehemann, geschweige denn Vater vorzustellen - es gelang mir nicht.

Plötzlich spürte ich eine Bewegung hinter mir und ein leises Geräusch, das einem Stöhnen gleichkam. Einem schmerzhaften Stöhnen. Mir wurde rasch bewusst, dass der Fremde dabei war, aufzuwachen. Das schob die Hochzeitsgedanken in den Hintergrund, wofür ich dankbar war, sodass ich aufstand und einen Eimer Wasser holte. Ich kniete mich wieder neben dem Kopf des Mannes und tauchte den Lappen in das kalte Wasser.

Genau in dem Moment, als ich den Lappen an seine Wange legen wollte, schlug er die fiebrigen Augen auf und starrte mich an. Noch nie hatte ich solch hellblaue Augen gesehen. Sie sahen aus wie das Eis im Winter, wenn Schatten darauf fiel und es in einen bläulichen Ton tauchte. Und doch wirkten sie dabei nicht kalt oder hart, so wie Kédars blaue Augen.

»I-ich«, der Fremde leckte sich über die spröden Lippen. »m-muss im Elysium sein...«

Ich biss mir auf die Unterlippe und blickte mich um. Wo nur war diese Druidin?! Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte nicht immer darauf vertrauen, dass sie mir aus der Patsche half, sodass ich den Lappen entschlossen an die Wange des Mannes legte und damit die Schweißtropfen weg wischte. »Ihr seid in Eós«, erklärte ich ihm ruhig.

Kurz verkrampfte er sich und runzelte die Stirn. »I-in Eós? Ich... ich hab's geschafft?«

Langsam nickte ich.

Für eine Weile sagte er gar nichts, starrte mich nur an, während ich auch seine Arme und die Brust mit dem Tuch abwischte. Dann hob er langsam den Kopf und blickte sich um. »Wo bin ich?«

»Im Lager des McCain-Clans. In den Highlands.«, antwortete ich. »Erinnert Ihr Euch an Euren Namen?«

»Natürlich... Ich heiße Sitka Frais. Früher, Sir Sitka Frais.«

»Ihr wart Ritter?«

Er nickte. »Vor langer Zeit.«

Die Eingangsfelle schoben sich beiseite und die Druidin kam in das Zelt eingetreten. Einen Augenblick lang blieb sie da stehen, wo sie war, dann lächelte sie spöttisch und stellte einen Korb auf einen Baumstumpf, der als Tisch diente. »Ich hab die große Neuigkeit von Celtia gehört. Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung, Mädchen... auch, wenn du nicht so erfreut darüber zu sein scheinst wie der Rest seiner Familie.«

Bitter sah ich sie an und warf den Lappen in den Eimer zurück. Dabei spürte ich den Blick des fremden Mannes auf mir. »Das werde ich meinem Bruder niemals verzeihen.«, murmelte ich vor mich hin.

Die Alte zuckte mit den Achseln und kam zu uns. »Ich gebe dir einen Rat: Lass Kédar tun, was er tun muss, lass nichts zu nah an dich heran und lasse dich frühzeitig schwängern, dann können dir deine Kinder wenigstens ein bisschen Freude im Leben bereiten.«, sagte sie grob. »Und nun zu dir, Fremdling.«

Ich wich zurück und ließ die Druidin Sitkas Wunde neu verbinden, während ich über ihre Worte nachdachte. Nein. Ich würde mich nicht einfach so fügen und die brave Ehefrau spielen, nur damit mein Bruder zufrieden war. Ich würde dagegen ankämpfen.

Und, wenn es mein Leben lang dauern würde.

Vier

 

Ich sträubte mich dagegen, heute Nacht in mein Zelt zurückzukehren, sodass ich unmissverständlich klar machte, von mir aus auch auf dem Boden zu schlafen, nur um meiner Mutter oder gar meinem Bruder heute nicht mehr begegnen zu müssen. Die Druidin versuchte mich heraus zu locken, indem sie von Sharon anfing und wie sehr sie mich doch brauchte, aber ganz ehrlich? Das war mir im Moment so egal. Meinetwegen konnte sich mein Bruder oder meine Mutter mal um meine kleine Schwester kümmern, ich hatte jetzt andere Dinge im Kopf. Ganz andere Dinge.

Und als ich tatsächlich mit einem dünnen Fell auf dem Boden lag und versuchte, einzuschlafen, stellte ich mir sicher hundert Varianten vor, wie ich Kédar in meiner Hochzeitsnacht sein Gehänge mit meinem Messer abschnitt und den Hunden am Ende des Lagers in die Zwinger warf.

Weil ich absolut nicht schlafen konnte, drehte ich den Kopf zum Krankenlager, wo der Fremde - Sitka - auf der Seite lag. Durch einen schmalen Streifen Mondlichts, der ins Zelt schien, konnte ich erkennen, dass er auch nicht schlief, sondern angespannt auf den Eingang des Zeltes starrte. Vielleicht hatte er meinen Blick gespürt, jedenfalls drehte er den Kopf in meine Richtung und sah mich an.

Eine Weile starrte ich nur zurück, zuckte jedoch zusammen, da die Druidin laut schnarchte, was sich anhörte, wie das Grunzen eines Schweines. Rasch riss ich den Blick los und drehte mich mit dem Rücken zu ihm, machte es mir auf meinem kargen Lager so gemütlich wie nur möglich und kniff die Augen fest zusammen. Das alles war ein einziger, riesiger Alptraum und ich hatte das Gefühl, ich würde nie aus ihm aufwachen können.

 

Bemüht konzentriert faltete ich die Stofffetzen, die sich lächerlicherweise Lappen schimpften, und beobachtete den Fremden dabei, wie er aufgesetzt aus einer Holzschale trank. Die Druidin hatte ihm an diesem Morgen Suppe gekocht und ihm geholfen, sich hinzusetzen. Sein Rücken war mit der getrockneten Paste eingerieben und der Verband um seine verletzte Seite war heute morgen ebenfalls noch einmal gewechselt worden.

Und ich hatte dieses Zelt noch immer nicht verlassen. Ich hatte keinerlei Grund dazu, allerdings stand mir etwas genauso Unangenehmes bevor, denn mein Bruder hatte von einem seiner Jäger erfahren, dass dieser Fremde wach war und ansprechbar. Er wollte hinauf kommen und mit ihm reden. Und ich musste mich wohl oder übel Nukha gegenüberstellen, falls er mich auf das von gestern Abend ansprach, was er garantiert tun würde.

Die Druidin warf mir einen Blick zu und deutete auf den leeren Kessel. Anscheinend spürte sie meine Nervosität, denn sie sagte: »Wasch ihn aus.« Sie schien mich beschäftigen zu wollen, sodass ich gehorchte, den schweren Kessel in eine Ecke zerrte und mit einem Eimer Wasser und einem Lappen begann, ihn auszuwaschen.

Ich schüttete gerade etwas kaltes Wasser in den Kessel, als die Eingangsfelle beiseite geschoben wurden und mein Bruder das Zelt der Druidin betrat. Sein Blick huschte zu mir, sah flehendlich und bedeutsam zugleich aus. Trotzig schob ich das Kinn vor und drehte wandte meine volle Aufmerksamkeit dem Kessel zu, den ich nun mit mehr Leidenschaft schrubbte.

Schritte schlurften über den Boden, sodass ich wusste, dass mein Bruder sich abgewandt hatte und sich dem Fremden wittmete, der bis auf ein paar Mal ›Danke‹ zu der Druidin, seit gestern Abend, nichts gesagt hatte.

»Mein Name ist Nukha vom Clan der McCains«, begrüßte mein Bruder den Fremden und ich hörte, wie er sich ihm gegenüber auf einen Schemel setzte. »Ich bin der Anführer dieses Clans. Wie ist Euer Name?«

Unbemerkt hatte ich den Kopf gehoben und beobachtete die beiden Männer. Der Fremdling hob den Kopf von der Schüssel und blickte meinem Bruder unverwandt in die Augen. »Sitka Frais«, antwortete er.

»Meine Männer haben Euch in der Nähe einer Seehundsmenschensiedlung aufgegabelt. Ihr wart halb tot, darf ich erfahren, wer Euch das angetan hat?« Mein Bruder deutete auf seinen Rücken.

Sitka starrte eine Weile wortlos in die leere Schale in seinen Händen. »Ein Mann, dem ich unterstellt war. Ich habe den Gehorsam verweigert.«

»Weshalb?«

Der Fremde hob den Blick. »Er befahl mir ein Mädchen und seine Mutter zu ermorden.«

Mein Bruder nickte. »Ich verstehe.« Er stand auf. »Ihr dürft solange hier bleiben, wie Ihr wollt. Ihr werdet hier in dem Zelt bleiben, bis Ihr genesen seid und wenn Ihr es wollt, dürft Ihr Euch meinem Clan anschließen. Ich nehme an, dass Ihr auf der anderen Seite des Eisschollenflusses nicht mehr Willkommen seid.«

Sitka lachte hart und bitter auf. »Ja, könnte möglich sein.«

Nukha nickte noch einmal, bevor er sich vollends abwandte - und natürlich auf mich zutrat.

Stur hielt ich den Blick in den Kessel gerichtet, schrubbte erbarmungslos an einer Stelle, die schon längst sauber war. Bis er meinen Arm packte und mich auf die Füße zog, mein Gesicht in die Hände nahm und mich zwang ihn anzusehen. Voller Abscheu blickte ich ihm in die Augen. Mein Bruder hatte sich schon vieles geleistet, hatte mich bewachen lassen und noch mehr, aber nie hatte er mir so etwas angetan. Und dann auch noch mit Kédar. Mir wurde erneut flau im Magen.

»Ich habe mir Sorgen gemacht gestern«, sagte er mit gedämpfter Stimme.

Wütend ergriff ich seine Handgelenke und zerrte seine Hände von meinem Gesicht. »Du hast kein Recht mehr, dir Sorgen um mich zu machen. Schließlich bin ich ja in wenigen Wochen die Frau eines gewalttätigen Idiotens.« Ich wollte ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.

»Wirst du mir diese Entscheidung mein Leben lang nachtragen?«, fragte Nukha genervt und rieb sich die Nasenwurzel, wie er es immer tat, wenn er sich einer schwierigen Situation befand.

»Wenn es sein muss«, knurrte ich und drehte mich zum Kessel um.

»Kédar ist nicht gewalttätig und er versicherte mir, dass er sanft mit dir umgeht in der Hochzeitsnacht.«, erklärte Nukha mit gedämpfter Stimme, damit der Fremde nicht zu viel davon mitbekam.

Wie angewurzelt blieb ich stehen. Glaubte er tatsächlich, dass Kédar einfühlsam sein würde? Ein Mann wie er, der beinahe doppelt so alt war, wie ich?! Und glaubte Nukha wirktlich, dass ich mit ihm über die Dinge sprechen würde, die in meiner Hochzeitsnacht geschehen würden? Mir brannte glatt die Sicherung durch!

»Es geht dich wohl kaum etwas an, was mein ›zukünftiger Ehemann‹ und ich in dieser Nacht tun werden, oder?«, fuhr ich ihn an und griff nach dem Kessel. »Und noch was: Glaub ja nicht, dass ich vor meiner Hochzeit noch mal in Mutters Zelt aufkreuzen werde. Lieber schlafe ich im Nest eines Eiswolfrudels!«

Nukha funkelte mich wütend an. Er hatte das gleiche feurige Temperament von Vater geerbt, wie ich, sodass es nicht einfach war, wenn wir aneinander gerieten. Aber diese Sache, die lud nur dazu ein, aneinander zu geraten! »Du wirst dich mit dem Gedanken anfreunden müssen, Kédar in der Hochzeitsnacht beizuwohnen, andernfalls wird es unangenehm.«, schnaubte er und ich erkannte an seinem Ton, dass das Thema für ihn beendet war. Er machte kehrt und war nach wenigen Sekunden verschwunden.

Die Druidin stieß ein Zischen aus, als wäre es ihr unangenehm gewesen, bei dem Gespräch Zuschauer gewesen zu sein. »Da du unmissverständlich klar gemacht hast, dass du auf keinen Fall in dein Geburtszelt zurück gehst, frage ich mich, ob ich dich jetzt bis zu deiner Hochzeit hier ertragen muss?«

Scheppernd knallte der Kessel auf den Boden, weil ich ihn anscheinend los gelassen hatte. In meiner Kehle brannte ein dicker Kloß, aber ich wollte niemanden den Triumph gönnen, dass sie sahen, wie grässlich es mir ging. Heftig schluckte ich gegen die Tränen an und schaffte es sogar, sie zurückzudrängen. Etwas gefasster ergriff ich den Kessel, ignorierte die seltsamen Blicke des fremden Mannes, er mich ganz genau beobachtete und ging zum Eingang, den Lappen in der anderen Hand so fest umklammert, dass sich meine Fingernägel durch den Stoff in meine Handfläche bohrten. Der Schmerz lenkte mich ein wenig ab.

»Keine Sorge«, erwiderte ich bitter. »Ich wasche nur den Kessel aus und suche mir ein anderes Nachtlager.«

Mit hastigen, stolpernden Schritten lief ich den Abhang hinunter und zwischen den Zelten entlang, bitterlich darauf achtend, dass ich Nukha und Kédar aus dem Weg ging. Den Göttern sei Dank traf ich keinen von beiden, als ich schließlich den Pfad entlang zum Bach lief. Dort angekommen, brannte meine Lunge, weil ich die ganze Zeit durch den Mund geatmet hatte. Meine Wangen waren vor Kälte gerötet und ich stieß die Luft in großen, weißen Wölkchen aus. In mir hämmerte das Herz so stark und schmerzvoll, dass ich kurz in die Knie sank und eine Weile brauchte, um mich wieder zu beruhigen.

Mein Bruder wollte mich tatsächlich an Kédar verschachern. Es war weder ein Witz gewesen, noch hatte er sich die Nacht über Gedanken gemacht. Wieso auch? Ich war eine Frau und musste ihm gehorchen. Es war so absurd. Ich wollte ihm nicht gehorchen. Und doch musste ich es, um meine Ahnen nicht zu erzürnen. Ich saß in der Zwickmühle.

Es dauerte gefühlte Stunden, dass meine Knie wieder stabil genug waren, als dass ich wieder aufstehen konnte. Samt Schuhe lief in in den kalten Bach und tauchte den Kessel ein. Mit dem Lappen schrubbte ich noch Minuten, nachdem das schwarze Eisen sauber glänzte, rieb ich unsichtbare Flecken weg bis meine Finger wund, taub und knallrot von der Kälte des Wassers waren. Nur um nicht wieder zurück zu müssen.

Lächerlicherweise fragte ich mich in diesem Moment, wie es Celtia ergangen war und, ob ihr voreiliger Heiratsantrag an Ecren gefruchtet hatte, oder ob sie sich auch mies und grässlich fühlte. Ich hoffte für sie, dass es nicht Letzteres war. Wenigstens ihr gönnte ich es, dass sie glücklich war. Und sicher würde auch ihre Mutter und ihr Vater und Ecrens Vater nichts dagegen haben, dass sie heirateten. Es war allgemein bekannt, dass Ecrens Vater sich schon immer eine gute Position im Clan erhofft hatte. Natürlich am liebsten in der Hauptfamilie, sodass unsere Eltern schon damals oft gesagt hatten, dass Ecren und ich heiraten sollten. Beschlossen wurde es nie und jetzt ging es eh nicht mehr. Ich war verlobt. Und wieder kam ich auf diesen Gedanken zurück. Ich war verlobt. Verlobt. Verlobt. Verlobt!

Ich seufzte tief und voller Selbstmitleid auf.

Am besten vertrieb ich mir die Zeit bis zu meinem Höllentripp so gut wie möglich. Deswegen strich ich diese Gedanken einfach und trat triefend vom kalten Flusswasser ans Ufer, umklammerte den Henkel des Kessels mit meinen eiskalten Fingern und trat den Rückweg an. Schließlich musste ich mir nun ein Lager suchen. Wahrscheinlich würde ich dazu noch einmal in Mutters, Sharons und mein Zelt zurückgehen müssen und mir Häute und Stangen holen, um ein eigenes Zelt zu errichten. Ob ich das hinbekam? Ich hatte es einmal beobachtet, bevor ein junges Paar - ich glaubte, sie hießen Silvia und Jamie - ihre Hochzeit gefeiert hatten. Der Bräutigam hatte mit einigen Jägern, darunter mein Vater damals, der bei allen wichtigen Dingen dabei sein musste, das gemeinsame neue Eigenheim errichtet, wo auch die Hochzeitsnacht stattgefunden hatte. Vielleicht konnte ich mich gut genug erinnern, um mir einen provisorischen Unterschlupf zu bauen. Und das möglichst weit vom Zelt meiner Familie entfernt.

Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Kédar sich mit einigen Jägern hinstellen und ein neues Zelt errichten würde, um mit mir darin zu leben. Der Gedanke versetzte mir einen Stich in die Brust. Ich wollte das alles nicht... rasch schüttelte ich den Kopf und verbannte alle Gedanken an diesen Vollidioten.

Dabei bemerkte ich, dass meine Beine mich schon bis zum Lager und zurück zum Zelt der Druidin getragen hatten. Als ich eintrat, war von ihr weit und breit nichts zu sehen, sodass ich mir den peinlichen Abschied ersparen konnte. Nur der Fremde saß aufrecht auf seinem Lager und hob den Kopf, als ich ins Zelt getreten war. Unbehaglich sah ich mich schweigend um und brachte den Kessel zurück zur Feuerstelle. Ich hakte ihn über die Flammen ein und kratzte mich dann am Hinterkopf. Was nun?

Wahrscheinlich sollte ich so höflich sein und mein Nachtlager von gestern Abend wenigstens beiseite räumen. Ich konnte der Alten nicht auch noch zumuten, sich bücken zu müssen, auch, wenn sie noch so unsensibel war.

»Sie sagte, Ihr sollt es liegen lassen«, zerriss die Stimme des Fremden die Stille, genau, als ich mich hinab beugen wollte.

Ich fuhr hoch. »Hat sie gesagt, weshalb?«

Er zuckte nur unbeteiligt die Schultern. »Sie hat nur gesagt, dass sie mit diesem Nukha sprechen will. Ich glaube, über Euch.«

Fragend runzelte ich die Stirn und sah mich um. Weshalb wollte sie denn mit meinem Bruder sprechen? Das wunderte mich, vor allem, dass sie sich mit ihrem Alter noch in das Lager runter quälte. Ich versuchte nicht zu viel Hoffnung in diese Information zu setzen, verschob meine Mission - Zeltbau - jedoch auf später und sah mich unbehaglich um. Peinliche Stille hing in der Luft.

»Habt Ihr Schmerzen?«, war das erst Beste, was mir in den Sinn und über die Lippen kam.

Der Mann hob den Kopf. »Was?«

Ich trat von einem Fuß auf den anderen. »Ob Ihr Schmerzen habt. Wenn ja, kann ich Euch Mohnblumensamen geben.«

»Damit werden Hierzulande Schmerzen gestillt?«

Ich nickte.

»Okay.«, sagte er und starrte auf seine Hände.

Rasch lief ich zum Tisch gegenüber der Feuerstelle in einer kühlen Ecke und holte eine kleine Handvoll heraus, streute sie in einen Becher mit Wasser, damit sie leichter zu schlucken waren und kehrte zu ihm zurück. Er nahm den Becher entgegen, betrachtete das Gebräu skeptisch, kippte es jedoch im ganzen hinunter. Als ich zurück zum Tisch ging, erhob er erneut die Stimme, sodass ich kurz zusammen zuckte.

»Ihr scheint nicht begeistert von der Wahl Eures Bruders.«, versuchte er wohl ein Gespräch anzufangen.

Ich verkrampfte mich und funkelte ihn dann an. »Ich wüsste nicht, was Euch das angeht.« Meine Worte klangen viel harscher, als ich es beabsichtigt hatte. Sofort senkte ich den Blick.

»Es geht mich auch nichts an«, pflichtete er mir bei und legte sich umständlich auf die Seite.

Eine Weile beobachtete ich seinen eingeriebenen Rücken und wandte mich dann gänzlich ab. Den Rest des Tages begnügte ich damit, in diesem Saustall aufzuräumen. In dieser Zeit schlief er ein paar Mal ein, wobei ich ihn heimlich beobachtete und mir vorstellte, wie dieser Mann, der seltsam abwesend in seinem Tun wirkte, an einen Pfahl gekettet dastand und von einem anderen ausgepeitscht wurde. Wie oft man ihm wohl auf den Rücken geschlagen hatte? Ich musste den Blick los reißen, um mir nicht die schrecklichsten Szenarien auszumalen und beseitigte einigen Staub von einem Regal, bevor ich mich daran machte, die Gewürze, Kräuter und Tinkturen der alten Hexe zu sortieren.

Dabei fragte ich mich, wo sie überhaupt solange blieb. Es war schon dabei zu dämmern.

»Darf ich Euch nach Euren Namen fragen?«

Die Stimme des Fremden riss mich gänzlich aus meiner Konzentration, auch, wenn ich nicht einmal wirklich wusste, was ich gerade getan hatte. Sonnenblumenkerne zählen?

Ich drehte mich zu ihm um und bemerkte, dass er sich schon gut alleine aufsetzen konnte, was wohl auch an den Schmerzmitteln lag. Sein Rücken hatte furchtbar ausgesehen. Rasch senkte ich den Blick. »Ivolet. Vom Clan der McCains.«

Interessiert hob er die Brauen. »Ihr gehört zur Hauptfamilie... zwingt Euch Euer Bruder deshalb, zu heiraten?«

Was sollte ich darauf antworten? Er war ein Fremder und verstand nicht, weshalb ich mich dem Willen meines Bruder und Kédars beugen musste. Gefallen musste es mir deshalb noch lange nicht. Und es hieß auch nicht, dass ich nicht dagegen ankämpfen und mich wehren würde, egal, was Kédar mir antun würde. Und ich war mir sicher, dass er mir etwas antun würde.

»Ihr versteht das nicht.«, sagte ich und zupfte einen losen Faden von einem Lappen ab.

»Dann klärt mich auf«, raunte er und beugte sich ein Stück vor. »Euer Bruder sagte mir, ich könne mich dem Clan anschließen, wenn ich es wollte. Dann sollte ich auch seine Beweggründe und die Rituale erfahren, findet Ihr nicht?«

Überrascht sah ich ihn an. »Ihr wollt Euch dem Clan anschließen?«

Er lehnte sich langsam zurück, stützte sich dabei auf die Hände. »In meiner alten Heimat bin ich nicht mehr Willkommen. Und außerdem habe ich niemanden, für den es sich lohnt, zurückzukehren. Wo sollte ich sonst hin? Eigentlich war meine erste Anlaufstelle die Nord mit ihren Burgen und Festungen, aber ein Trupp Eures Volkes hat mich zuerst aufgegabelt. Ich hielt sie für Wilde, aber wie ich feststellen muss, seid ihr keine Wilden. Ich will das Leben nicht vergeuden, das mir die Götter geschenkt haben, als ich von den Klippen sprang und die Felsen um ein Haar verfehlte.«

Heftig schluckte ich und mein Blick wanderte sofort zu dem Verband an seiner Seite. Ob ich ihn noch einmal wechseln sollte? Nein, McCain, bleib beim Thema!

»Mein Bruder ist das Oberhaupt des Clans und... ich bin seine kleine Schwester und stehe unter seinem Schutz. Deswegen muss ich ihm gehorchen. Ich bin eine Frau.« Ich zuckte die Schultern, als würde der letzte Satz alles erklären und alles sofort in einem total logischen Licht beleuchten. »Hierzulande haben die Männer das Sagen und die Frauen fügen sich.«

»Ich verstehe.«, erwiderte Sitka und blickte sich um. »Wann wird die Hochzeit sein?«

Wieder ein Schulterzucken von mir. »Ein paar Wochen noch.« Den Göttern sei Dank, fügte ich in Gedanken hinzu.

»Ihr seht nicht sehr glücklich aus.«, stellte er fest.

In dem Moment, als ich den Kopf hob und ihm am liebsten alle meine Gedanken anvertraut hätte, die ich niemandem aus meinem Clan anvertrauen konnte - einfach, weil es mein Clan war und sie nicht verstehen würden, was in mir vorging, da jede Braut ihre Leiden still ertrug -, wurden die Felle am Zelteingang beiseite geschoben. Die Druidin trat, auf ihren Stock gestützt, ein und blieb stehen. In ihrer freien Hand trug sie Felle, die ich, erstaunlicherweise, als meine Deckenfelle erkannte. Verdutzt sah ich sie an.

»Ich habe mit Nukha gesprochen, Mädchen. Er ist einverstanden, dass du bis zu deiner Hochzeit hier nächtigst.« Sie streckte die Hand mit den Fellen aus.

Ich starrte ihre Hand gefühlte Stunden lang an, bis ich die Felle wie in Zeitlupe entgegen nahm. Das kam mir falsch vor. Ich sollte nicht hier schlafen, sondern, wie es der Brauch verlangte, bei meiner Mutter in meinem Geburtszelt. Bei Sharon. Aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, zu sagen, dass ich dort schlafen musste. Vielleicht war es egoistisch, dass ich unbedingt hierbleiben wollte, aber dann war ich gerne egoistisch.

»Danke«, flüsterte ich inbrünstig.

»Bedank dich nicht bei mir«, zischte sie nur und schlurfte an ihren Tisch. Dazu, dass ich ihre Sachen geordnet hatte, sagte sie nichts.

 

Am Abend saß die Druidin wie gewohnt in ihrem dicken, gemütlichen Sessel, der aus kurzen Mallakstoßzähnen und einem Haufen Felle bestand, und spielte eine leise Melodie mit einer kleinen Knochenflöte. Die Feuerstelle war erloschen, nur noch ein paar Kohlen glühten und verbreiteten duseliges Halbdunkel, beleuchteten den massigen, männlichen Körper des Fremden in der Ecke, welcher gleichmäßig und entspannt atmete. Er schlief tief und fest.

Unbehaglich rieb ich mir über die nackten Schienbeine und betrachtete die glühenden Kohlen, die immer wieder aufglimmten, wenn ein feiner Luftzug wehte. Ich fühlte mich unwohl, da ich mich nicht wirklich so fühlte, als wäre ich Willkommen. Das war auch der Grund, weshalb ich nicht schlafen konnte.

Entschlossen erhob ich mich und lief mit nackten Füßen über das Leder, das auf dem Boden ausgelegt war, um die Kälte aus dem Zelt zu verbannen, was besonders im Winter nützlich war. Schweigend blieb ich vor dem Sessel der Alten stehen.

Sie beachtete mich nicht.

Ich räusperte mich vernehmlich.

Ihre Melodie fand ihren Höhepunkt, bevor sie sanft abklang und sie schließlich die Lippen von der Flöte nahm und den Kopf hob, um mich anzusehen. Ihre Augen waren erwartungsvoll in meine gerichtet.

»Warum gibst du mir ein Dach bis zu meiner Hochzeit? Das hättest du nicht-«

»Hätte ich nicht«, unterbrach sie mich. »Aber ich glaube wohl kaum, dass du in dein Geburtszelt zurückgekehrt wärst, wie es der Brauch verlangt, oder?«

Ich senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Niemals.

»Das dachte ich mir. Und deshalb nahm ich dich auf. Ich bin wohl die Einzige, die die Geister beruhigen kann und glaube mir, sie sind nicht erfreut, dass du dich weigerst.«

Das hatte ich mir gedacht, aber ich würde dennoch nicht zurückgehen. Nur über meine Leiche. Hier konnte ich mich mental auf eine Ehe mit Kédar vorbereiten. Darauf, dass er mir Gewalt antun würde und unsere Kinder niemals mit Liebe oder Zärtlichkeit gezeugt werden würden. Wenn ich daran dachte, wie er sie in mir machte, stellten sich die Härchen auf meinen Armen und Oberschenkeln beinahe senkrecht auf vor Ekel.

Plötzlich beugte sich Riegel vor und ergriff mit ihrer alten, faltigen Hand die meine und drückte sie, als wolle sie mir Mut machen. Das war die erste wirkliche Berührung oder überhaupt Geste, die von Zuneigung sprach. Von Mitleid.

»Versuche dich die nächsten Wochen darauf vorzubereiten, Ivolet.« Das erste Mal, dass die Alte meinen Namen sagte. »Kédar ist kein Mann, der ein Mädchen darauf vorbereitet, bevor er die Ehe vollziehen wird. Versuche davor viel zu trinken, dann sind deine Sinne zu benebelt, um die Schmerzen in ihrem vollen Ausmaß zu spüren. Dann wird es einfacher. Und versuche möglichst schnell schwanger zu werden, Kind. Denn in diesem Clan gibt es für eine Frau nur eine Handvoll Menschen, die sie lieben darf. Und das sind die eigenen Kinder.«

»Woher weißt du das alles?«, fragte ich mit brüchiger Stimme, denn der Gedanke, mir von Kédar ein Kind machen zu lassen, war entsetzlicher, als gefoltert zu werden.

Sie ließ meine Hand los und seufzte tief und traurig auf, bevor sie in ihrem Sessel zurücksank. »Weil mein Ehemann damals nicht anders war und ich auch keine Gelegenheit hatte, ihm zu entkommen. Erst nach meiner Hochzeitsnacht sagte mir jemand, dass man sich betrinken sollte, da man dann nichts merkte. Ich tat es jeden Abend, an dem er nach mir verlangte. Jeden Morgen und jeden Mittag. Beinahe ununterbrochen, nur, damit ich ihn nicht ertragen musste.«

»Wo ist er jetzt?«, fragte ich.

»Die Götter nahmen ihn zum Glück früh zu sich. Er wurde von Eislöwen getötet, als ich zum ersten Mal schwanger war.«, antwortete sie und deutete zu meinem Lager hinüber. »Schlaf ein wenig. Morgen wird ein anstrengender Tag.«

Obwohl ich noch viel zu aufgekratzt war, um zu schlafen, gehorchte ich ihr und ging zurück zu meinem Lager, um mich hinzulegen. Als mein Kopf das weiche Fellkissen berührte, flossen mir Angsttränen über die Wangen, aber ich schaffte es, lautlos zu weinen. Mein Blick wanderte durch den Raum und kurz zuckte ich zusammen, denn ich sah, dass Sitka die Augen geöffnet und auf mich gerichtet hatte. Rasch drehte ich ihm den Rücken zu, denn die Vorstellung, dass er alles mit angehört hatte, war peinlich und vor Scham brannten meine Wangen. Ich schaffte es, auch weiterhin lautlos diese Schmach zu ertragen, dass ich bald Kédars Ehefrau war. Und irgendwas sagte mir, dass ich das in Zukunft noch öfter tun müsste.

Fünf

 

Die Tage verschwammen ineinander und ich wusste kaum mehr, wieviele vergangen waren. Es war ein ständiger und stetiger Rhythmus aus Arbeit, Schlaf und Weinen. Ich half der Druidin mit Sitka, seine Wunden mit der Kräuterpaste einzureiben und wieder vorsichtig abzuwaschen, ihm Essen zu kochen und Mohnsamen darunter zu mischen, wenn die Schmerzen unerträglich waren. Doch, wenn es daran ging, dass ich essen sollte, drehte sich mir schlagartig der Magen um. Einmal musste ich mich sogar neben dem Zelt übergeben, da ich den Gedanken an meine Hochzeit kaum noch ertrug. Ich erinnerte mich nur an eine Situation, als ein Haufen Kinder Kédar geärgert hatten. Er hatte ihr Spielzeug genommen und es kaputt gemacht. Ich erschauderte jedes Mal, wenn ich mich daran erinnerte. Und Abends weinte ich mich lautlos in den Schlaf, um am nächsten Morgen mit geschwollenen Augen und trockenem Rachen aufzuwachen. Es war schrecklich.

Mit den Tagen, die ins Land zogen erbeuteten die Jäger mehr Wild, was nur eines bedeuten konnte: Die Knospenzeit war angebrochen und die Geister segneten tatsächlich unser Festmahl. Was auch bedeutete, dass es viel bei meiner Hochzeit zu essen geben würde. Im Haupthaus würden wir feiern. Tzz... Feiern. Mir wurde wieder übel.

Ich hob den Kopf von meiner Stickerei, als ich Schritte hörte. Sitka lief ein paar Mal um sein Lager herum, um sich darauf fallen zu lassen. Wie ich bemerkte, waren die Peitschenhiebe jetzt nur noch rote, verschorfte Streifen. Wie viele Tage waren vergangen? Zehn? Vierzehn? Mir wurde übel. Eine Woche noch, dann...

Rasch schüttelte ich den Kopf und starrte wieder auf die Stickerei in meinen Händen.

»Ihr seht nachdenklich aus«, bemerkte Sitka.

Wieder hob ich den Kopf, sah ihn stumm aus brennenden Augen an und zuckte die Schultern.

»Wenn es Euch so mitnimmt, dass ihr heiraten müsst... warum überlegt es sich Euer Bruder nicht anders?«, fragte er unübersehbar neugierig.

Ich schüttelte den Kopf. »Das geht einfach nicht. Wenn er eine Entscheidung bereits vor den Geistern unserer Ahnen getroffen hat, kann er sie... nicht einfach ändern. Das ist so, als hätte man ein Schwert geschmiedet, hätte jetzt aber gerne lieber einen Dolch. Es ist unmöglich.«

Er lachte leise und stand erneut auf, lief herum. »Man schneidet einfach etwas vom Schwert weg und bringt den Rest in Form, dann hat man seinen Dolch.«

Verdutzt blickte ich ihn an. Wie einfach er es sah, etwas zu ändern, was sich einfach nicht ändern ließ. Wie gerne ich auch solch eine Sichtweise auf die Dinge hätte, aber ich hatte sie nicht. Ich war zu verwachsen mit den Bräuchen meines Volkes. Mir blieb nur, mich zu beugen und das Beste aus der Situation zu machen. Auch, wenn es unmöglich erschien.

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich meiner Stickerei wieder zu.

Sitka schnaubte nach einer Weile laut auf und trat mit dem Fuß gegen einen Schemel. Leise fluchte er. »Ich werde hier drinnen noch verrückt!«, knurrte er. »Euer Bruder sagte doch, dass ich mich dem Clan anschließen und Jäger werden darf.«

Sagte er das? Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Nukha hier gewesen und mit ihm gesprochen hatte... Aber ich merkte viele Dinge nicht, in letzter Zeit.

»Wann kann ich raus und damit anfangen?«

»Eure Wunden sind noch nicht vollständig geheilt. Ihr könnt noch nicht raus und einfach... man muss fitt genug sein, um die langen Märsche durch die Wildnis zu überstehen. Genug Ausdauer haben! Außerdem müsst Ihr die Grundkenntnisse erlernen: Spurenlesen, Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit. Das lernt Ihr nicht von Heute auf Morgen.«, erklärte ich ihm verärgert. Was dachte er sich?! Dass er einfach hinaus marschierte, wie in seiner Heimat und dann der große Jäger war?

»Aber wann werde ich all diese Dinge lernen? Ich kann mit Waffen umgehen und Ausdauer habe ich auch. Schließlich war ich Soldat, das wisst Ihr. Ich werde wohl schneller ein Jäger, als ich McCain-Clan sagen könnt.«

Ich verdrehte die Augen. Hier drinnen stank es regelrecht nach Testosteronüberschuss und blindem Eifer. »Eure Ausdauer hat in den letzten Wochen gelitten, weil Ihr schwer verletzt wart. Hört auf, Euch selbst zu überschätzen und gönnt Eurem Körper Ruhe. Außerdem tragt Ihr noch nicht einmal die Kleidung eines Highlanders, also seid ruhig.«

Er hob überrascht eine Augenbraue. »Was ist an meiner Kleidung nicht in Ordnung?« Er betrachtete den schwarzen Ledergürtel, der die braune Hose hoben hielt und mit einer silbernen Lasche ausgestattet war. Darunter stand er in seinen schwarzen Stiefeln. Ganz und gar keine Highlanderkleidung.

Ich hatte ehrlich gesagt keine Lust, zu antworten und schnaubte nur genervt. Konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich hatte schon genug um die Ohren. Genug Gedankengänge, die allesamt in dieselbe Richtung führten und von denen mich niemand abbringen konnte. Ich dachte daran, wie schrecklich meine Ehe sein würde und welche Zukunft ich schon hatte.

Bevor er mich noch einmal ansprechen konnte, trat die Druidin mit einem Korb frischer Kräuter in das Zelt ein, warf mir einen kurzen, undeutsamen Blick zu und stellte die Kräuter auf ihren Tisch. Dann wandte sie sich Sitka zu. »Los, Junge. Ich denke, du bist fitt genug, nach unten zum Zelt des Anführers zu gehen. Er will, dass du für dein Essen anfängst zu arbeiten.«

Der Fremde überschlug sich beinahe und folgte der Alten hinaus. Ich jedoch blieb nur still zurück und war froh, dass die beiden für eine kurze Weile weg bleiben würden. Denn erneut bahnten sich mir Tränen über die Wangen, sodass ich die Beine fest an meine Brust zog und den Kopf an meinen Knien verbarg. Diesmal schluchzte ich ohne Hemmungen los. Es wirkte befreiend.

 

Am Abend, nachdem ich seine Wunden mit einer Heilsalbe eingerieben und er zufrieden auf seinem Lager eingeschlafen war, weil Nukha ihn am nächsten Tag das erste Mal in der Jagd unterweisen wollte, saß ich vor den verglühenden Kohlen und starrte mit trockenen, brennenden Augen dort hinein. Die Druidin saß in ihrem Sessel und flötete vor sich hin, eine traurige Melodie, die genau zu meiner Stimmungslage passte.

Die Melodie verklang im heulenden Wind draußen. »Du hast nichts vom Fleisch angerührt.«

Träge hob ich den Kopf und betrachtete die Holzschale neben mir. Darin lag ein Stück Fleisch und Brot. Angewidert drehte ich mich weg und blickte wieder in die glühenden Holzstückchen.

»Es wird niemandem etwas nutzen, wenn du dich zu Tode magerst.«, zischte sie.

»Ich habe keinen Hunger«, erwiderte ich daraufhin.

Ein Schnauben war zu hören. »Dann geh und hol mir einen Eimer Wasser. Meine Knöchel schmerzen.«, brummte sie gehässig und begann erneut die traurige Melodie zu flöten.

Mit einem Seufzen erhob ich mich und griff nach einem Holzeimer, bevor ich das Zelt verließ. Draußen herrschte Ruhe, die Kinder und Älteren waren bereits alle in ihren Zelten verschwunden, genauso wie ein Großteil der Jüngeren. Nur ab und zu kam mir ein Clan-Mitglied entgegen, das mich seltsam von der Seite anblickte, als hätte ich die Pest. Ich sah wohl nicht so gut aus. Aber das war mir egal. Ich stapfte nur den Hang hinunter und folgte dem Pfad zum Bach, um das Wasser zu holen. Danach würde ich auf meiner Schlafstatt zusammen sinken und einmal mehr darüber weinen, wie ungerecht diese Welt war.

Das Licht der Monde schien auf mich hinunter, verwandelte mein flammenrotes Haar in Silber und Schwärze und meine Haut leuchtete weiß. Um mich herum konnte ich jeden Grashalm erkennen, denn der größere Mond stand voll und leuchtend am Himmel. Ich umrundete die Felsen, die wie Zähne aus dem Boden ragten und tauchte schließlich in das Gestrüpp ein bis ich das Ufer des Baches erreichte.

Kurz hielt ich inne, da eine schlanke Gestalt auf einem Felsen saß und sein Haar auswrang, bis ich erkannte, dass es Celtia war. Eigentlich hatte ich keine Lust auf ein Gespräch, aber ich war ihr wohl einige Erklärungen schuldig, weshalb ich so abgerauscht war und sie nicht ein einziges Mal nach ihr und Ecren gefragt hatte. Und so trottete ich mit einem tiefen Seufzen voran.

»Celtia«, sagte ich und sie drehte sich um.

Aus ihrem erschrockenen Luftholen wurde ein Grinsen. »Ivolet! Du weilst noch unter den Lebenden!«, lachte sie und sprang von dem Felsen herunter direkt ins Wasser. Dann kam sie zu mir und ergriff meine freie Hand. »Rate mal, wer noch bald heiraten wird?!«

Ich verdrehte die Augen und zwang mich zu einem Lächeln. »Du?«

Eifrig nickte sie. »Ich kann es kaum glauben! Am Abend, als Nukha deine Verlobung bekannt gegeben hat, habe ich Ecren an der Hand genommen und ihn weg geführt. Zu den Hundezwingern am anderen Ende des Lagers und habe ihn gefragt. Er ist über mich hergefallen sage ich dir!«

Verdutzt blickte ich sie an. »Hergefallen?«

Bedeutsam sah sie mich an.

Ich verstand sofort. »Aber das dürft ihr nicht«, flüsterte ich empört. »Man darf erst in der Hochzeitsnacht! Du musst Jungfrau bleiben!«

»Bin ich doch.«

»Hä?«

Sie verdrehte ungeduldig die Augen, als hätte sie es mit einem totalen Dummkopf zu tun. »Die Regeln schreiben vor, dass ich in der Hochzeitsnacht Jungfrau sein muss. Von... anderen Dingen ist nie die Rede gewesen.« Sie grinste spitzbübisch.

Mein Mund wurde trocken und ich leckte mir schnell über die Lippen. »Heilige Mutter«, brachte ich nur heraus. »Was für andere Dinge gibt es denn noch?«

Sie machte so große Augen, als würden ihr gleich die Augen aus den Höhlen quellen, und stemmte die Hände in die breiten, sinnlichen Hüften. »Wie hat Tante Bilea dich denn aufgeklärt?«

Innerlich lachte ich hysterisch auf. Ja, wie nur? Sie hatte mir nur gesagt, dass man dort unten nicht nur zwei Körperöffnungen hatte - die zum Geschäfte verrichten -, sondern noch ein Loch, wo der Mann mit seinem komischen, verlängerten Geschlecht eindringen konnte und, wenn ein Mann mit dem Geschlechtsakt fertig war und eine Frau befruchtet hatte, ein Kind durch die gleiche Öffnung geboren wurde. Mehr nicht. Sie hatte nur von diesem Loch gesprochen, aber was für Sachen gab es denn sonst noch? Ich hatte nie so wirklich dort hinunter geblickt, weil ich es abstoßend gefunden hatte, besonders, als ich meine Blutungen bekommen hatte vor einem Jahr.

»Naja, jedenfalls war es unglaublich... Aber du scheinst nicht ganz so glücklich zu sein, wie ich.«, wechselte sie das Thema und ihr Blick wurde mitleidig. »Ich kann mir auch schönere Sachen vorstellen, als Kédar zu heiraten. Der ist immer so miesepeterig.«

Und wieder wurde ich in die knallharte Realität zurückgeschleudert. Meine Hochzeit mit Kédar war in einer Woche. Sieben Tage bis zu dem Tag, wo ich innerlich sterben und meine Freiheit für immer einbüßen würde. Ich senkte den Blick.

»Bist du deshalb kaum aus dem Zelt dieser Druidin heraus gekommen?«, fragte sie interessiert und es war schön, das wenigstens einem mein Schicksal so nahe ging.

Ich nickte.

Eine Weile sagte niemand etwas, dann nahm sie mir den Eimer ab und zog mich fest in ihre Arme. Ein lautloser Schluchzer schüttelte mich, bevor ich mich wieder unter Kontrolle bekam und mich etwas in ihrem festen Griff wand. Sie ließ mich wieder los und strich mir die Haare aus der Stirn.

»Es tut mir leid... Wirklich.«

»Danke«, murmelte ich niedergeschlagen.

»Du weißt, dass du mit allem - wirklich allem - zu mir kommen kannst, Ivolet. Wenn er dir wehtut oder dich... weiß ich nicht, schlägt oder so, wird Nukha die Verbindung auflösen.« Celtia versuchte meinen Blick einzufangen, aber ich griff nur nach dem Eimer und ging an ihr vorbei.

»Danke, Celtia. Ich weiß das zu schätzen, aber ich glaube nicht, dass Nukha noch objektiv auf die Dinge sehen kann. Er will mich nur endlich bändigen und hat mich deshalb an Kédar gegeben.«

Sie blieb am Rand des Gestrüpps stehen. »Dein Feuer kann nicht einmal Kédar bändigen, Ivolet.«

Grübelnd, was das zu bedeuten hatte ging ich zum Wasser und tauchte den Eimer so tief ein, dass ich die Kälte bis in meinen Kopf abstrahlen spürte.

 

Sechs Tage später fühlte ich mich einfach nur noch elend. Ich hatte es nicht einmal übers Herz gebracht, meine geliebte Schwester Sharon zu besuchen, der es, laut Ecren und Celtia, etwas besser zu gehen schien. Und so sehr ich mich danach sehnte, sie in meinen Armen zu halten, wagte ich es nicht, mein Geburtszelt aufzusuchen und meiner Mutter oder Nukha gegenüberzutreten. Wahrscheinlich hätte ich nicht einmal mehr die Kraft gehabt, beide wütend und vorwurfsvoll anzusehen, sondern hätte nur noch geweint. Aber ich hatte es geschafft, Nahrung in mich hinein zu zwängen, denn ich würde meine Kraft morgen sicherlich brauchen, wenn ich Kédar im Steinkreis gegenüberstand und den Treueschwur leistete.

Nur vom Eingang des Druidenzeltes hatte ich gesehen, wie Nukha und Kédar sich im Morgengrauen auf den Weg in den Wald gemacht hatten, um die Rituale zu vollziehen, die der Bräutigam mit einem Mitglied - praktischerweise ein männliches - vollziehen musste. Gewöhnlich bestanden diese aus Beten zu den Geistern unserer Ahnen und dem Jagen eines Tieres mit dessen Blut beide Personen sich die Geisterzeichen ins Gesicht malten. Diese standen allgemeinhin dafür, dass die Ehe gute Früchte tragen sollte, ein gesegnetes Festessen bei der Hochzeit und wie immer und beinahe überall: für die Fruchtbarkeit der Braut. Mir.

Ich hatte es geschafft, nicht zu weinen und hatte nur bitter den Mund verzogen, bevor ich zurück zur Druidin gegangen war und ihr geholfen hatte, Kräutertee zu kochen, den ich am frühen Nachmittag Celtia übergab, damit sie ihn zu Sharon brachte. Zwischendurch kam Sitka in das Zelt und beobachtete uns dabei, wenn Ecren keine Arbeit für ihn hatte, die er mit den frisch verheilten Wunden erledigen konnte. Ecren wollte nicht, dass die Wunden eventuell wieder aufbrachen, jetzt wo alles sauber verschorft und beinahe völlig abgeheilt war.

Dann kam Ecren und holte ihn, um jagen zu gehen und zu sammeln, um das ganze Essen für Morgenabend zusammen zu bekommen. Sitka, mit dem ich des öfteren schon über Rituale und Mythen meines Volkes gesprochen hatte, warf mir nur immer einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Es sah aus, als würde er sich zurück halten, mich mit dem gleichen Mitleid anzusehen, wie es die anderen immer taten. Und ich war ihm dankbar dafür, dass er mich nicht bemitleidete.

Als er fort war, ging auch die Druidin, um noch Pilze für morgen zu sammeln und so war ich vollkommen alleine. Gegen Nachmittag verließ ich das Zelt, da ich da drinnen beinahe wahnsinnig wurde vor Angst. Die Gedanken, die in den vergangenen Tagen taub gewesen waren und weit weg, waren nun allgegenwärtiger denn jeh. Mein Herz hämmerte und beruhigte sich nicht, mein Atem kam stoßweise, sodass ich die Luft in großén Wolken in die feuchte, regnerische Luft pumpte, als ich fröstelnd und dick in meine Felle gehüllt den matschigen Pfad entlang schritt. Der Bach war einmal mehr meine Zufluchtsstätte. Hier war die Luft reiner und frischer, so hatte ich das Gefühl und ich fühlte mich einfach weit weg von diesem Clan mit Regeln und Vorschriften.

Als ich beim Bach ankam und mich im prasselnden Regen auf einen der nassen Felsen setzte, umklammerte ich das erste Mal seit Wochen meine Kette. Die scharfe Spitze des Wolfszahnes bohrte sich tief in meine Handfläche und ich schloss einen Augenblick die Augen. Vater... hilf mir das alles zu überstehen. Wache über mich und lass nicht zu, dass Kédar mir wehtut, bitte! Ich habe solche Angst.

Stumm betete ich wohl Stunden im Regen zu meinem Vater und den übrigen Geistern, dass Kédar vielleicht doch nicht so grauenvoll war, so bösartig und so gefühllos, wie er im ganzen Clan verschrien war. Aber ich kam schließlich nur zu einem Gedanken zurück: Das kalte und spöttische Lächeln, als Nukha am Feuer verkündet hatte, dass ich ihn heiraten musste. Es war so kalt gewesen, dass sich mir jetzt noch die feinen Härchen auf den Armen aufstellten.

Ich hob den Kopf und blickte in den grauen Himmel, genoss die kalten Regentropfen, die auf mein Gesicht prallten und an meinem Hals hinab liefen. Der Wind peitschte durch die Bäume und wirbelte mein nasses Haar durcheinander, während ich meine verkrampfte Hand allmählich von dem Anhäger löste und drei Punkte betrachtete, die der Zahn in mein Fleisch gebohrt hatte. Niedergeschlagen senkte ich die Hände in meinen Schoß und hing eine Weile meinen Gedanken nach, als ich Schritte hörte. Es prasselte noch immer wie aus Eimern.

Und als ich mich umwandte, wurde mir eiskalt.

Kédar stand am Rand des kleinen Waldstückes im Regen. Er war ein Berg aus Muskeln und Sehnen, das feuchte, braune Haar klebte ihm an der Stirn, während die Tropfen das Blut von seinem Gesicht spülten, dass er von dem Ritual mit meinem Bruder heute Morgen haben musste. Seine kalten blauen Augen wirkten wie die eines wahnsinnigen Geistes, als er mich eingehend betrachtete.

Dann, langsam, hob sich sein rechter Mundwinkel und entblößte seinen weißen Reißzahn.

Panik schnürte mir die Kehle zu, denn dieses Lächeln wirkte so dreckig und angsteinflößend, dass ich ganz automatisch vom Felsen sprang und durch das kalte Wasser watete, um so weit wie möglich von ihm wegzukommen. Doch Kédar war schnell, nicht umsonst war er der erste Jäger meines Clans, der beste und klügste, wenn es darum ging, Tiere aufzuspüren. Nur wie hatte er mich gefunden?!

Bevor ich auch nur nachdenken konnte, hatte er sich das Fell von der Brust gerissen und in den Kies geworfen. Im nächsten Augenblick machte er einen Satz und stand am Ufer, das Wasser floss an seinem Leib hinab, aber er sprang auf mich zu und packte meinen Arm.

Ich schrie, so glaubte ich. Genau wissen tat ich es nicht mehr, aber ich wusste, dass ich mich wehrte. Mit Händen und Füßen stemmte ich mich gegen den Mann, den ich heiraten sollte. Er packte meinen anderen Arm und wollte meinen Brustkorb an seinen drücken, aber ich stemmte mich mit aller Macht gegen ihn und kratzte wie wild um mich.

»Lass mich!«, kreischte ich.

»Schon seit Wochen machst du mich scharf! Dackelst an mir vorbei und bist widerspenstisch wie eine Harpyie, Ivolet! Ich will nicht länger warten, ich will dich jetzt! Sofort!«

Ich glaubte, dass ich ›Nein!‹ schrie, aber er zerrte mich schnaufend und knurrend aus dem Wasser. Mein Knie landete in seinem Magen, als ich erneut herum zappelte und für einen Augenblick konnte ich mich losreißen, rannte wieder ins Wasser, da es für ihn schwieriger war, sich mit seinem massigen Körper hier voran zu bewegen. Er war riesig im Vergleich zu mir, sodass mir noch viel bewusster wurde, was dieser Mann im Begriff war, mir anzutun. Ich schrie aus voller Kehle um Hilfe.

Prasselnde Regentropfen antworteten mir, als ich einen heftigen Stoß in den Rücken bekam und für einen Augenblick vollends unter der Wasseroberfläche verschwand. Die Luft presste sich schmerzhaft stark aus meinen Lungen und ich schluckte Wasser, das nach Winter und Schnee schmeckte und meinen Magen zusammen krampfen ließ, bevor mich eine massige Pranke an einem Arm wieder an die Oberfläche zerrte. Für gefühlte Minuten war ich blind und gurgelte nur, um Luft zu bekommen.

Kédar presste mich mit seinem Körper gegen einen Baum. Die Rinde zerrte an meinem nassen Haar und grub sich in meinen Rücken und ich war nur in der Lage dazustehen und zu atmen. Nur atmen. Atmen! Seine Hände zerrten an meinen Kleidern, rupften das Fell von meinem Hals und schmissen es beiseite. Mit einem Klatschen fiel es in eine Pfütze und auch mein Überfell zerrte er mir über den Kopf.

Langsam kam ich wieder zu mir und schrie. »Nein! Hör auf, HÖR AUF! Das darfst du nicht! Erst morgen, erst in der Hochzeitsnacht!« Ich glaubte nicht wirklich daran, dass ich an seinen Verstand appelieren konnte und er sich der Tradition besinnte. Mich vielleicht losließ und sich entschuldigte. Mir blieb nur, zu schreien so laut ich konnte.

»Glaubst du, mich interessiert das?! Ich will dich, ich will in dir sein!«, knurrte dieser testosterongesteuerte Bulle vor mir und presste mich mit seinem Körper gegen den Baum. Seine Hände zerrten den Saum meines Hirschfellkleides hoch und ich stemmte mich gegen seine nasse Brust.

Angsttränen flossen mir über die Wangen und ich schrie mir die Kehle wund.

Plötzlich fiel ich hart auf den Boden und mit dem Kopf auf den Kies, sodass mir kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Als mein Blick wieder scharf wurde, wehte schwarzes Haar in nassen Strähnen um den Kopf des Mannes, der Kédar soeben einen Fausthieb gegen das Kinn verpasste. Kédar stolperte verwirrt und erschrocken zurück, bis er wieder zu sich kam und mit wutverzerrtem Gesicht auf den kleineren Mann vor sich los ging. Dieser wich gekonnt zur Seite aus, auch beim zweiten und dritten Schlag, als würde ihn der Regen überhaupt nicht bremsen und ihn nicht ermüden. Erneut wich er einem wutgesteuerten Fausthieb von Kédar aus, nur um dann einmal vernichtend zuzuschlagen. Kédar taumelte und ruderte mit den Armen, aber er tat einen erneuten Schlag gegen ihn. Da versenkte er ein Knie in Kédars Weichteilen, der daraufhin sofort zusammensackte.

Der Mann kam auf mich zu und kniete sich besorgt neben mich. »Ist alles in Ordnung, Ivolet? Hat er Euch etwas angetan?«

Blinzelnd versuchte ich das Bild vor mir scharf zu stellen, dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Sitka?«

Aufruhr am Waldrand ließ uns beide aufschauen. Nukha zwängte sich durch die Gruppe an Clan-Mitglieder, Mutter folgte ihm mit besorgter Miene und rannte stolpernd auf uns zu. Neben mir fiel sie auf die Knie und zog mich eng an sich und in dem Moment verrauchte meine Wut und ich schluchzte haltlos auf, umklammerte sie fest.

»Mama!«, wimmerte ich wie ein Baby in ihre bebende Brust.

»Was ist passiert?!«, brüllte Nukha.

Keuchend setzte sich Sitka im Kies auf. »Der wildgewordene Affe da hinten ist passiert«, knurrte Sitka mit einem wütenden Blick, bei dem ich nicht wusste, ob er Kédar oder meinem Bruder galt. »Ich weiß zwar noch nicht viel über eure Bräuche und Traditionen, aber ich weiß, dass eine Frau Jungfrau bleibt bis zur Ehe! Und dieser Widerling wollte sie schon vor der Hochzeit! Er hat es versucht!«

Als ich von Mutters Brust aufsah, die bei Sitkas Worten heftig zusammen gezuckt war, sah ich, dass Nukha förmlich zurückprallte und ziemlich blass um die Nase wurde. Regentropfen flossen an seinem Gesicht herab, als er sich langsam, zeitlupengleich in Kédars Richtung drehte, der nun auf den Knien ein paar Meter entfernt saß und seinen Anführer anstarrte.

»Du wolltest WAS?!« Nukhas Stimme war so schneidend laut, dass sie den Bach und das Prasseln des Regens übertönte. Er war fuchsteufelswild, so sehr, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Und ich hatte mich schon sehr oft und sehr heftig mit ihm gestritten oder ihn geärgert. So wütend war er noch nie und irgendwie verschaffte es mir eine Genugtuung, dass er so empfand - er wusste, er hatte einen Fehler begangen.

Kédar zuckte zusammen. Auch er hatte Nukha noch nie so wütend erlebt, noch nie war er unserem Vater so ähnlich gewesen und Kédar hatte den Fehler begangen, dass er Nukha für jung und blind gehalten hatte, für unautorisiert. Aber nun war Nukha von Vater kaum zu unterscheiden.

»Ich hätte sie morgen doch eh geheiratet«, murmelte Kédar kleinlaut.

Mutter strich mir sanft über das Gesicht und das Haar und ich glaubte sie immer wieder »Es tut mir leid, es tut mir so leid« flüstern zu hören.

Sitka sprang wie von der Tarantel gestochen auf, als wolle er Kédar noch eine verpassen. »Sie hat Nein gesagt, du Vollidiot! Sie hat geschrien, glaubst du, das tut sie, weil ihr langweilig ist? Auch, wenn du sie morgen geheiratet hättest, heißt das nicht, dass sie ein Stück Fleisch ist, dass du nehmen kannst, wenn es dir passt!«

Dass sich der Fremde so für mich einsetzte, ließ meinen Bauch kribbeln. Wie gerne ich ihm Danke sagen wollte im Moment konnte sich niemand vorstellen, aber ich brachte einfach keinen Ton heraus. Ich war noch zu geschockt.

»Hättest ist das richtige Wort«, zischte Nukha wütend und baute sich vor Kédar auf. »Hiermit löse ich sofort und augenblicklich deine Verlobung mit meiner Schwester! Ich kann es nicht fassen, dass du ihr das antuen wolltest - und mir! Ich habe dich Bruder genannt, mir wird schlecht.« Voller Verachtung wandte Nukha sich ab und drehte sich zu mir und Mutter. Sein Blick flehte um Verzeiung.

Aber das konnte ich noch nicht. Er hätte mich beinahe mit diesem...

»Das kannst du nicht!«, unterbrach Kédar meine Gedankengänge und alle schauten auf. »Die Geister werden es dir nie verzeihen, wenn du sie nicht verheiratest und ihnen eine Hochzeit versprochen hast. Du hast mit mir das Blutsritual vollzogen, Nukha! Sie ist mein Eigentum!«

Nukha wirbelte zu ihnen herum. »Ich habe ihnen eine Hochzeit versprochen. Und Ivolet wird morgen heiraten, aber die Geister, besonders mein Vater, würde mir nicht verzeihen, wenn ich sie dir übergebe! Und sie hätte erst dir gehört, wenn ihr den Schwur geleistet und den Blutsbund vollzogen hättet. Nicht zu vergessen die Hochzeitsnacht. Dann hätte sie dir gehört, Kédar, aber das wird sie niemals. Nur über meine Leiche würde ich dir jemals meine Schwester überreichen.« Er spuckte neben ihm aus.

Kédar verkrampfte wütend und verzweifelt das Gesicht und blickte sich zu den Clan-Mitgliedern um, die uns begafften. Darunter waren seine Mutter und sein Vater. Beide waren enttäuscht, das sah man ihren Gesichtern an, seine Mutter weinte und schmiegte sich an Theodor, seinen Vater. Theodor legte den Arm um seine Frau und führte sie weg, damit sie diese Schmach über ihre Familie nicht länger ansehen musste.

»Und wen wird Ivolet heiraten, wenn nicht mich?«, spuckte Kédar, ohne uns eines Blickes zu würdigen.

Gute Frage. Der nächste Psychopath?

Nukha drehte sich zu Sitka um, ging auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schultern, bevor er meine Hand sanft in seine nahm und mich auf die Beine zog. Auch Mutter stand auf und sah den Fremden misstrauisch an.

»Es wird alles gut, ich versprech's«, sagte Nukha leise zu mir und führte mich zu dem Fremden.

Ihn? Ich sollte ihn heiraten? Okay, der Gedanke war in jedem Fall weniger abstoßend, als Kédar zu heiraten, aber... einen Mann aus einem anderen Land? Er kam nicht mal aus Eós!

»Er?!«, schrie Kédar außer sich vor Zorn. »Dieser Kerl kommt nicht von hier, er ist nicht mal ein Mitglied unseres Clans! Das ist, als würdest du sie zur Hure machen!«

Nukhas Kopf flog erneut zu seinem ehemaligen Fast-Schwager. »Ich hätte sie zur Hure gemacht, wenn ich sie dir gegeben hätte. Er weiß mehr über die Tradition, als du, schließlich hat er sie vor dir bewahrt! Welcher Mann sonst wäre würdig, Ivolet zum Weib zu nehmen? Du bist es sicher nicht. Und das mit dem Clan-Mitglied, das lass mal meine Sorge sein.«

Sitka starrte während diesen Worten meinen Bruder nur an, als wäre dieser ein Heiliger und er ein Sünder, der sich reinwaschen wollte. Als könne er seine Worte nicht ganz glauben. Dann wanderte sein Blick zu mir hinunter und blieb an meinen Augen als erstes hängen. Kurzzeitig glitzerten seine, als bekäme er gerade einen wertvollen Edelstein geschenkt.

Rasch wandte er sich wieder Nukha zu. »Das... das kann ich nicht annehmen, Nukha. Ich bin erst seit drei Wochen hier, ich gehöre nicht zum Clan, kenne überhaupt keine Bräuche oder Abläufe. Außerdem bin ich kein Highlander. Ich kann doch nicht... ich kann doch nicht deine Schwester zur Frau nehmen. Ich bin ihrer nicht wert.«

Aus Nukhas Blick sprach eine Sturheit, die nicht einmal ich etwas entgegenzusetzen hatte.

»Aber genau, weil du so denkst, weiß ich, dass du sie verdienst«, sagte meine Mutter hinter mir.

Sitka schwieg. Er war gerade genauso überrumpelt worden, wie ich.

So schnell wendete sich anscheinend das Blatt. Statt Kédar heirateten ich morgen einen völlig Fremden namens Sitka Frais.

Sechs

 

Obwohl an Schlaf an diesem Abend überhaupt nicht zu denken war und ich mich hundeelend fühlte, folgte ich meiner Mutter, die mich ins Lager begleitete und in mein Geburtszelt. Ha, da würde ich wohl doch vor meiner Hochzeit in mein Geburtszelt gehen und dort schlafen, wer hätte das gedacht? Ich nicht, um ehrlich zu sein. Aber das war mir auch egal und ich bemerkte auch nur am Rande, dass Sharon Farbe im Gesicht bekommen hatte, als Mutter mich zu meinen Bettfellen führte und mir half, etwas Trockenes anzuziehen. Ich schlüpfte unter die Felle und drehte mich auf die Seite, um sie ansehen zu können, während sie mir das Haar aus der Stirn strich.

»Ist es besser für dich, diesen Fremden zu heiraten, als Kédar?«, fragte sie leise, als wolle sie die nächtliche Stille nicht stören.

Genau wusste ich es nicht. Es war seltsam gewesen, ihm gegenüberzustehen, während er beteuert hatte, nicht gut genug für mich zu sein. Das klang absurd und seltsam. Normalerweise hieß es, ob die Frau gut genug für den Mann war und nicht umgekehrt. Vielleicht war es diese Tatsache, die meinen Bauch seit diesem Moment kribbeln ließ wie hundert Schmetterlinge auf der Haut. Weil er glaubte, meiner nicht würdig zu sein.

Ich hatte ihm lange hinterher gesehen, als er mit meinem Bruder in die Wälder verschwunden war, um noch heute das Ritual zu vollziehen, dass Nukha mit Kédar am Morgen vollzogen hatte. Das war Pflicht. Erst, als Mutter meine Schultern genommen und Kédar von den anderen abgeführt worden war, hatte ich den Blick von den Büschen losreißen können.

Langsam nickte ich. »Wahrscheinlich wäre sogar der alte Jimmy besser, als Kédar gewesen«, versuchte ich zu scherzen.

Mutter lachte leise, beugte sich vor und küsste meine Stirn. »Da ist mein Mädchen wieder. Ich habe dich vermisst, Ivolet. Und ich habe bereut. Ich habe diese Entscheidung so bereut. Es ist schrecklich, dass dir das passieren musste, damit Nukha seine Meinung ändert.«

Wahrscheinlich war ich ein harmoniebedürftiger Mensch, denn ich murmelte nur leise: »Er wollte nur das beste für mich. Ich hoffe, dass seine Wahl diesmal besser ist.«

»Das hoffe ich auch, um Deinetwillen.« Sie strich noch einmal mein Haar beiseite, bevor sie sich von der Bettkante erhob. »Es gibt noch viel für ihn zutun morgen. Kédar hatte drei Wochen, um ein Zelt für euch zu errichten, dieser Sitka hat nur wenige Stunden vor der Hochzeit morgenabend. Und morgen wird auch ein anstrengender Tag für dich, schlaf dich aus.«

Es war überraschend, wie gut mir genau das gelang.

 

Der nächste Morgen war seltsam fröhlich und hell. Draußen schien die Sonne, als würden sogar die Geister erleichtert aufatmen, weil ich Kédar nicht heiraten musste. Ich für meinen Teil tat es ungemein und küsste gleich beim Aufstehen den Wolfszahn und dankte Vater im Stillen, dass er mich vor ihm bewahrt hatte. Ich kannte Sitka zwar nicht und war nervös und vielleicht ein bisschen ängstlich wegen heute Abend, aber noch lange nicht so wie bei Kédar, der mich gestern beinahe entehrt hätte. Vielleicht hatte Mutter recht und Sitka war genau deshalb, weil er mich vor ihm gerettet hatte, der Richtige.

Ich schlüpfte gut gelaunt aus meinem Bett und huschte durch das Zelt zu Sharon. Federleicht ließ ich mich auf der Bettkante nieder und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Mutter schon auf war und das Zelt verlassen hatte. Lächelnd strich ich meiner kleinen Schwester das fuchsrote Haar aus der Stirn und betrachtete sie eine Weile. Sie hatte kein Fieber mehr und schlief seelenruhig, was mir einen Stein vom Herzen fallen ließ. Sie war über dem Berg und jetzt konnte nur alles besser werden.

Das Fell am Eingang wurde beiseite geschoben und Ecren trat hinein. Sein Haar hing ihm zottelig und verwuschelt ins Gesicht, als er mich mit einem Lächeln begrüßte. Er stellte den kleinen Waschzuber in eine Ecke, den er getragen hatte, als wäre es kaum schwerer, als ein Tablett, bevor er sich neben mir auf die Bettkante sinken ließ.

»Ich hab gehört, was gestern passiert ist. Wie geht es dir?«

Ich zuckte die Schultern. »Ganz gut. Den Göttern sei Dank, dass nichts geschehen ist.«

Er nickte. »Sitka hat dich vor ihm bewahrt. Ich war überrascht, als ich hörte, dass Nukha dich ihm übergeben will.«

»Das war ich auch«, gab ich zu und strich mir den Pony zurück. »Aber ich habe gehört, dass es bald wieder eine Hochzeit geben wird?« Bedeutend grinste ich ihn an.

Er lächelte dusselig zurück. »Allerdings«, pflichtete er mir bei. »Celtia und ich müssen uns zusammenreißen, um nicht noch irgendwelche Dummheiten zu begehen.«

»Erspar mir die Details«, lachte ich und blickte auf Sharon herunter.

Eine Weile sagte niemand von uns etwas, bis er mir über die Schulter rieb. »Bist du nervös?«

»Ein bisschen. Schließlich ist Sitka kein Mitglied des Clans. Ich habe Angst, dass das die Geister erzürnt.«

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte mich Ecren. »Nukha sagte heute Morgen, dass er vor der Zeremonie getauft wird und Nukha mit ihm den Ritus durchgeht, damit er noch vor eurer Vermählung zum Mitglied wird und die Nacht bei dir liegen darf.«

Ein heißer Schauer kroch meinen Nacken hinauf. Bei mir liegen... mit mir schlafen. Mein Magen krampfte sich zusammen und eine Gänsehaut schoss mir über Arme und Beine. Ich würde heute Nacht mit Sitka schlafen. Mit einem Mann, den ich kein bisschen kannte. Aber ich sagte mir innerlich, dass es tausend Mal besser war, als mit Kédar die Hochzeitsnacht verbringen zu müssen, also ich ging eher optimistisch an die Sache heran.

Erneut hob sich das Zelt und ließ strahlenden Sonnenschein hinein. Und plötzlich wurde es in meinem Geburtszelt ziemlich voll. Mutter, Celtia und meine Tante betraten das Zelt. Sie hielten eine Menge Dinge in den Händen, die ich nicht wirklich benennen konnte.

»Nun aber raus mit dir, Ecren!«, meckerte Tante Barbatunde und scheuchte ihn mit hecktischen Handbewegungen fort.

Lachend verschwand er hinter dem Fell am Eingang.

»Was habt ihr denn vor?«, fragte ich ahnungslos.

Celtia klatschte in die Hände. »Wir machen dich hübsch, schließlich sollst du doch nicht aussehen, wie ein Wildschwein auf deiner eigenen Hochzeit!«

Und dann machten sie sich an die Arbeit. Sie ließen warmes Wasser in den Waschzuber und zerrten mir regelrecht die Kleidung vom Leib, buchsierten mich in das Wasser und schrubbten mich von Kopf bis Fuß. Celtia zog ein Bein über den Rand und fing an die Stoppeln an meiner Haut wegzurasieren, sodass meine Beine glatter als jeder Babypopo waren, dann zwang sie meine Arme hoch, um auch dort alles glatt zu machen, während mir Tante Barbatunde das Haar mit süßem Blumenöl einrieb, kämmte und dann auswusch, damit es weich und gesund war. Mutter hingegen schrubbte meine Füße. So weich waren meine Füße noch nie gewesen. Und so hing ich wie ein Schluck Wasser in dem Zuber und ließ mir lachend alles gefallen.

Es war, als wäre eine schwere Last von meinen Schultern genommen worden und ich könnte endlich befreit durchatmen. Und plötzlich fand ich es überhaupt nicht mehr schlimm, zu heiraten. Einfach nur, weil ich einem grausamen Mann entkommen war, der mich gegen jede Tradition gestern beinahe vergewaltigt hätte.

Mutter half mir aus dem Zuber, damit ich nicht ausrutschte und legte mir ein genähtes Tuch um die Schultern, als sich Celtia plötzlich direkt vor mich nieder kniete und mit dem Messer, mit dem sie mir die Beine rasiert hatte, gefährlich nahe an das Dreieck zwischen meinen Schenkeln kam.

»Was soll das denn werden?«, fragte ich erschrocken und wich zurück.

Celtia lachte versonnen. »Na da muss auch das Haar weg«, sagte sie, als wäre es total logisch.

Ich presste die Beine zusammen. »Warum?«

Ungeduldig verdrehte sie die Augen. »Weil es Tradition ist, dass die Frau in der Hochzeitsnacht nackt ist. Überall bis auf den Kopf. Los, mach die Beine breit.«

Nur widerwillig spreizte ich die Beine und kaute auf meiner Unterlippe herum, während sie das Haar entfernte. »Warum habe ich von dieser Tradition noch nie gehört?«

»Weil ich sie gerade erfunden habe«, kicherte Celtia und entsorgte den schützenden Flaum in einen kleinen Stoffbeutel. »Angeblich steigert das die Erotik.«

Was sollte es steigern? Naja, war ja auch egal, denn Mutter spannte mich gleich für den nächsten Attentat ein, nachdem Celtia mit meiner Mitte fertig war, wo sich jetzt alles seltsam nackt und ungeschützt anfühlte, denn sie zog mich zu einem Schemel und setzte mich darauf. Ich schlang das Tuch enger um mich, als sie anfing mein feuchtes Haar zu kämmen. Barbatunde kniete sich neben mich und legte meine Beine hoch, um an meine Füße heran zu kommen. Dort schnitt sie mit einem kleinen Messer meine Zehennägel ganz kurz und pfeilte sie mit einem rauen Stück Metall. Das Gleiche tat Celtia an meinen Fingernägeln, die danach richtig schön aussahen. Rosa und mit einem dünnen weißen Rand. Inzwischen hatte Mutter mein Haar gekämmt bis es trocken war und glänzte und als sie anfing es zu flechten, rieben Barbatunde und Celtia meinen Körper mit einer süß duftenden Salbe ein, wodurch meine Haut weich und zart wurde.

Obwohl ich wusste, weshalb sie all dies taten, genoss ich diese Prozedue. Es war eigentlich alles nur, damit ich heute Abend so anziehend wie möglich auf meinen Ehemann wirken und er die Ehe vollziehen würde, aber dieser Gedanke rückte plötzlich in weite Ferne. Ich dachte an viele Dinge in den Stunden, in denen Mutter mein Haar flechtete und mit Schnüren und Perlen schmückte, damit ich hübsch aussah. Ich dachte an Sharon und daran, dass es ihr besser ging, an meinen Vater, den ich zu gerne dabei gehabt hätte und an Nukha, dem ich es verzieh, dass er mich beinahe an Kédar gegeben hatte. Komischerweise dachte ich sogar an Kédar und daran, welch Schande er beinahe und welche er über seine Familie gebracht hatte.

»Willst du dich einmal ansehen?«, fragte Mutter mich, als sie fertig war.

Ich nickte eifrig und stand auf, um zum Spiegel zu gehen. Das Tuch hielt ich mir vor die Brust und verhüllte damit meinen Körper, denn den wollte ich nicht so recht ansehen. Aber meine Beine waren glatt und glänzten weich im Halblicht des Zeltes. Probeweise rieb ich die Waden aneinander. Sie waren auch so weich! Dann drehte ich mich um die eigene Achse und betrachtete mein Haar. Ich lächelte. Es floss mir wie flüssiges Feuer über den Rücken und ich bemerkte, dass es kürzer war. Hatte Mutter es geschnitten? Wahrscheinlich, denn es reichte mir nur noch bis zur Hälfte es Rückens, aber es war schön.

»Welch schöne Schwester ich doch habe«, ertönte Nukhas Stimme vom Eingang des Zeltes aus.

Er stand mit nacktem Oberkörper da und trug den traditionellen Rock unseres Vaters, der in Karomustern bestickt war. Auf dem Gesicht und dem Oberkörper befanden sich noch die Blutspuren der Geisterzeichen von gestern Abend.

Nukha trat gemächlich auf mich zu und ergriff sanft meine Oberarme. »Ich weiß, dass ich einen riesigen Fehler begangen habe und - Bei den Göttern - es tut mir leid. Ich wollte dich in Sicherheit wissen und, dass dich jemand unter Kontrolle bekommt, weil ich einfach nicht mehr die Kraft hatte, mir Sorgen um dich zu machen. Und dann hätte ich dich beinahe an diesen-«

»Shhh«, unterbrach ich ihn und drückte mich an seinen Oberkörper. »Ich vergebe dir.«

Fest schlang er die Arme um meinen Körper, bevor er mich los ließ und zurücktrat. »Ich will deine Haare nicht kaputt machen, sonst bringt Mutter mich noch um.«

»Allerdings«, lächelte sie.

»Zieh dir einen Mantel über und komm mit den anderen in mein Zelt. Ich habe eine Überraschung für dich.«, sagte er und küsste mich auf die Stirn. Dann war er verschwunden und ich wandte mich ratlos zu Mutter um.

»Welche Überraschung denn?«

Sie lächelte wissend. »Das wirst du noch früh genug sehen. Und jetzt zieh dir etwas über.«

Ich tat, wie sie mir befahl und zusammen verließen wir das Zelt. Draußen herrschte strahlender Sonnenschein und es war angenehm warm. Der Boden war schon getrocknet vom Regen gestern und Bienen summten um mich herum, als wir durch das Lager gingen. Die Frauen und Männer lächelten mich immer wieder an, als sie sahen, dass meine Frisur für heute Abend schon saß und ich lächelte nur bekloppt zurück. Wieso war ich so fröhlich? Vielleicht, weil ich nun beruhigter in die Zukunft sehen konnte und einen Mann bekommen würde, der glaubte, er sei nicht gut genug für mich. Diese Tatsache beruhigte mich irgendwie und beschwor immer wieder dieses Lächeln. Ein Mann, der mich für etwas großes und tolles hielt war selten.

Als wir uns am Rand entlang schlängelten und auf Celtias Freundinnen stießen, blieben wir stehen und ich beantwortete solche banalen Fragen wie, ob ich denn schon gebadet hatte - sah man das nicht? - und ob ich aufgeregt war. Dann redeten Mutter und Tante Barbatunde und Celtia mit ihren Freundinnen, wobei mein Blick und meine Gedanken abschweiften. Ich betrachtete einen kleinen Jungen, der mit einem Welpen Stöckchenwerfen spielte und dann fuhr mein Blick weiter zu einer freien Fläche einige Meter vom Rand des Lagers entfernt. Das schwarze Haar erkannte ich sofort und mein Herz begann zu pochen.

Sitka richtete sich gerade zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf und spannte zusammen mit Ecren und einigen anderen jungen Jägern die Felle über das Holzgerüst eines Zeltes. Er baute unser Zelt. Das Zelt, in dem wir unsere Hochzeitsnacht und den Rest unseres Lebens verbringen würden. Schnaufend wischte sich mein Verlobter Schweiß von der Stirn und sah sich um. Unsere Blicke trafen sich unvermittelt und mir kroch ein warmer Schauer den Rücken hinauf.

Sitkas blaue Augen schienen mich zu durchbohren, aber auf angenehme Weise, bis meine Mutter meine Schultern packte und mich vorwärts schob. »Es ist schon spät«, sagte sie und wir betraten wenig später Nukhas Zelt. Es war das größte im gesamten Lager und war nicht viel anders aufgebaut, als die übrigen. In der Mitte prasselte eine Feuerstelle und spendete Licht, direkt gegenüber vom Eingang befand sich die großen Bettfelle.

Nukha stand an einem Spiegel und hielt etwas in den Händen, das aussah, wie ein geschnürtes Paket aus Leder. Ich trat auf ihn zu und blieb vor ihm stehen, den Blick stetig auf dieses Paket gerichtet.

»Vater hat es mir gegeben, bevor er starb, damit ich es verwahre bis zum Tag deiner Hochzeit«, erklärte mir Nukha.

»Was ist es?«, fragte ich neugierig.

Lächelnd drückte er es mir in die Hände. »Pack es aus.«

Mit dem Paket setzte ich mich auf einen Schemel und legte es auf meine Beine, dann schnürte ich es auf. Zum Vorschein kam zuerst ein schneeweißer Fellhaufen, der so weich war wie Kaninchenfell. Staunend betrachtete ich dieses... äh, Häufchen Fell.

»Mutter hat es getragen, als sie unseren Vater geheiratet hat«, erklärte mir mein Bruder schmunzelnd.

Ich hörte Bilea irgendwo leise und glücklich schniefen.

»Ein Kleid?«, fragte ich überwältigt und stand auf, zog es aus dem Leder. Tatsächlich! Es war lang und reichte mir über die Beine, jedoch war es vorne kürzer, als hinten, sodass man meine Füße noch sehen würde. Außerdem war es ärmellos und am Rücken mit Schnüren zusammengebunden, weshalb man meine Haut dort sehen würde können. Es war einfach nur wunderschön.

»Ich habe es leicht ändern lassen, damit es... zu unserer Generation passt.«, Nukha lächelte leicht. »Gefällt es dir?«

Eifrig nickte ich. »Es ist... wundervoll.«, brachte ich nur heraus und umarmte Nukha fest.

 

Der Abend brach schneller herein, als ich gedacht hatte. Die Dämmerung tauchte mein Geburtszelt in ein duseliges Halbdunkel und ich wurde zusehends nervöser. Irgendwann gingen Barbatunde und Celtia, denn sie wollten sich für die Hochzeit fertig machen. Mutter blieb noch und half mir schließlich, das Kleid anzuziehen. Es fiel weich und fließend über meine wenigen Kurven und betonte sie, sodass es sogar so aussah, als hätte ich mehr Busen, als in Wirklichkeit. Den Wolfszahn ließ ich im Ausschnitt, denn ich wollte ihn auf keinen Fall abnehmen.

So war Vater wenigstens im Geiste bei mir.

Schließlich verabschiedete sich auch meine Mutter und bedeutete mir, hier auf meinen Bruder zu warten, der mich zum Steinkreis führen würde. Nervös lief ich auf und ab und übte innerlich die Worte, die ich beim Eheversprechen sagen musste und hoffte innerlich, dass irgendjemand Sitka darauf vorbereitet hatte. Ich rieb meine schwitzigen Hände aneinander und pustete mir eine Haarsträhne aus der Stirn, die mir aus einem der Zöpfe entwischt war.

Die Felle schoben sich beiseite und Nukha trat fertig angezogen in das Zelt. »Ivolet«, sagte er und lächelte, als er mein Gesicht zwischen die Hände nahm und meine Stirn küsste. »Alle warten nur auf dich. Sitka ist kaum zu beruhigen, er versucht jetzt noch, mich umzustimmen, weil er es angeblich nicht wert ist. Sogar nach seiner Taufe.«

»Wie ist sie verlaufen?«

Er zuckte die Schultern. »Ganz in Ordnung. Er hat sich beim Sprechen ein paar Mal verhaspelt, aber das wird schon. Auf jeden Fall ist er jetzt ein Clan-Mitglied und darf dich heiraten. Wollen wir?«

Huh... ja. Dann auf.

Mein Bruder führte mich hinaus und plötzlich hatte ich Angst. Nicht vor Sitka, aber vor dem ganzen Allgemein. Wenn ich stolperte und alle lachten? Oder, wenn ich mich versprechen und die Geister erzürnen würde? Bei den Göttern. Mein Herz wummerte heftig gegen meine Rippen, als wolle es mir aus der Brust springen und meine Handflächen waren schwitzig und klamm, ich zitterte vor Aufregung, als ich mich bei Nukha unterhakte.

Ruhig führte er mich durch die raue Wildnis, gut fünfhundert Meter vom Lager entfernt zwischen Felsen und Bäumen entlang und schließlich den Grasbewachsenen Hügel zum Steinkreis. Den Ort, der der Geisterwelt am nahsten war. Warme Frühlingsluft wehte mir durchs Haar und ich wusste in diesem Moment, dass Vater bei mir war. Ich spürte ihn im Wind und seufzte leise, bevor ich den Blick auf den Hügel richtete.

Schon von Weitem erkannte ich die Mitglieder des Clans, wie sie zwischen den Steinen standen und versuchten, einen Blick auf mich zu erhaschen. Erstauntes Raunen brandete durch die Menge, als sie mir und meinem Bruder Platz machten, damit wir in die Mitte des Kreises eintreten konnten. An den Rändern standen die großen Jäger des Clans und hielten Fackeln in den Händen, um uns Licht zu spenden. Kédar war nicht darunter.

Und dann erblickte ich ihn. Sitka Frais, der Fremde vom Land des ewigen Eises. Er stand da wie ein Highlander, trug sogar die Kleidung eines Highlanders, nämlich den bestickten Rock, die Stiefel und ein Leinenhemd mit Fellweste. Das Haar hatte er gekämmt und geschnitten bekommen, sodass es recht kurz war, vielleicht einen halben Finger lang. Und seine Augen leuchteten wie zwei endlose Himmel in der Dunkelheit, als er mich erblickte.

Mein Bauch begann zu kribbeln und ich grub die Finger in Nukhas Leinenhemd, als wir vor meinem baldigen Gemahl und der Druidin zum Stehen kamen. Mein Herz raste nur noch.

»Ich, Nukha McCain, erster meines Namens und rechtmäßiger Anführer des McCain-Clans, überreiche Euch, Sitka Frais aus dem Land des ewigen Eises, meine Schwester.«

»Ivolet McCain, rechtmäßige Erbin meines Vaters, Léonard McCain, einst Anführer des Clans.«, fuhr ich fort.

Sitka blickte mir tief in die Augen und schien mich auch nicht mehr mit seinem Blick loslassen zu wollen. »Ich, Sitka Frais, einst Leutnant in der Burg Dumloch im Land des ewigen Eises, nehme Eure Schwester an und zur Frau.«

Damit nahm Nukha meine Hand von seinem Arm und legte sie sanft in Sitkas, der seine Pranke ausgestreckt hatte. Seine warmen Finger schlossen sich fest und beschützend um meine winzige Hand und zogen mich sanft näher zu sich, sodass wir uns genau gegenüber standen.

Sein Gesicht sah weich und fürsorglich aus, wie er mich so musterte. Nur der gestutzte Dreitagebart verlieh ihm etwas Verwegenes und Wildes. Etwas, das ich wohl niemals verstehen würde, da wir nicht aus ein und derselben Welt stammten. Er ließ meine Hand los und komischerweise vermisste ich sofort ihre Wärme.

»Ivolet, aus dem Clan der McCains«, sprach die Druidin laut und deutlich in die schwarze Nacht. Ein Trommelschlag erklang. »Wer sind deine Ahnen?«

Ein Trommelschlag.

»Bilea McCain, aus dem Clan der McCains und Léonard McCain, aus dem Clan der McCains, verstorben.«, antwortete ich, wobei mir das letzte Wort bitter auf der Zunge schmeckte.

Ein weiterer Trommelschlag. Mein Herz pochte fürchterlich gegen meine Brust.

»Sitka Frais, aus dem Land des ewigen Eises«, wandte sich die Druidin zu meinem Verlobten. »Wer sind deine Ahnen?«

»Elia Frais, aus dem Land des ewigen Eises und Belor Frais, aus dem Land des ewigen Eises, beide verstorben.«

Kurz sah ich Sitka von der Seite an, ein Muskel zuckte an seinem Kiefer und zum ersten Mal betrachtete ich ihn wirklich. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie riesig Sitka eigentlich war. Er war sicher über einen Meter achtzig groß, ich war gerade mal einen Meter sechzig.

»Gut. Nun sprecht das Ehegelübte«, befahl die Druidin und richtete ihren Blick gen Himmel.

Sitka sah mich kurz von der Seite an und ergriff meine Hand. Und als er sie sanft drückte, sprachen wir gleichzeitig, begleitet von Trommelschlägen: »Ich schwöre, das Licht zu sein, das meinen Partner anstrahlt; das Feuer zu sein, dass ihn wärmt; das Wasser zu sein, dass ihn am Leben hält; ihn zu beschützen, zu achten und alle Zeit meines Lebens zu ehren und für ihn in den Tod zu gehen, wenn es das Schicksal so will. Ich will für ihn da sein in Krankheit und Gesundheit, in Armut und Reichtum, in guten, wie in schlechten Zeiten, in Hunger und Mäßigkeit. Ich will schwören, dass selbst der Tod meine unsterbliche Seele nie wieder von ihm lösen kann. Und so will ich dieses Versprechen mit Blut besiegeln.«

Die Trommeln verstummten und wir wandten uns gleichzeitig um, wo Nukha auf und zutrat. Stille umhüllte den Berg, als mein Bruder Sitkas Hand nahm und mit einem Messer in seine Handfläche schnitt, dann zu mir trat und dasselbe tat. Ich drehte mich zu der Druidin um, die Sitkas und meine Hand vorsichtig nahm und aufeinander legte, sodass der brennende Schnitt an meiner Hand direkt über Sitkas aufgeritzte Hand lag. Die Druidin wickelte ein seidenes Stoffband um unsere Finger und presste unsere Hände so noch fester aufeinander, sodass das Blut sich unweigerlich vermischte.

»Nun seid durch euer Blut verbunden!«, verkündete die Druidin und winkte einen Mann heran, der für gewöhnlich der erste Jäger des Clans sein müsste. Überrascht stellte ich fest, dass es Ecren war. Er reichte der Druidin einen verzierten Bronzekelch, den sie uns in die freien Hände gab. »Besiegelt durch Blut. Besiegelt durch Wasser.«

Sitka führte den Kelch an seine Lippen und trank daraus, wobei er mich nicht aus den Augen ließ. Dann setzte ich den Kelch an meinen Mund und nahm ein paar Schlucke von dem kalten Eiswasser des Baches, bevor wir den Kelch zurückgaben und die Druidin unsere Hände löste. Dann übergab Ecren ihr die Ringe, die aus purem Eisen bestanden und alte Runen meines Volkes eingraviert hatten.

Ich nahm den größeren, massiveren Ring in meine Hand und war überrascht, wie schwer er war, bevor ich mit zitternder Hand nach Sitkas Pranke griff. Es dauerte geraume Zeit, bis ich den Ring endlich auf seinen Ringfinger manövriert hatte, wobei einige kicherten und ich noch nervöser wurde und innerlich hysterisch auflachte, doch dann schaffte ich es. Sitka griff nach dem dünnen, filigranen Ring und nahm meine linke Hand fest in seine und schob den Ring sanft und langsam auf meinen Finger. Es fühlte sich erst seltsam an, einen Ring dort zu haben, aber dann wurde es ganz schnell vertrauter.

»Besiegelt durch einen Kuss«, sagte die Druidin und gab Sitka ein stummes Zeichen aus ihren alten Augen.

Jetzt begann mein leicht beruhigtes Herz erneut wie wild zu pochen. K-küssen?! Ich konnte nicht küssen. Naja, ich hatte es noch nie ausprobiert, aber ich war mir sicher, dass ich es nicht konnte.

Sitka trat näher, so nahe, dass unsere Brustkörbe sich beinahe berührten und legte sanft und zart seine Hände an mein Gesicht, sodass mir ein warmer Schauer den Rücken hinab rieselte, den nicht einmal das offene Kleid an meinem Rückgrat lindern konnte. Einen Moment lang sah er mir in die Augen, Wärme pulsierte mir in die Wangen, während er den Kopf senkte. Ganz automatisch musste ich die Augen schließen. Entfernt hörte ich das Jubeln und Singen der anderen Clan-Mitglieder, während Sitka seine warmen, weichen Lippen auf meinem Mund bewegte. Ich wusste nicht genau, was ich tun sollte und versuchte nur, diese Bewegungen nachzuahmen. Es war schwierig, aber es gelang mir.

Schwer atmend und mit bebender Brust löste ich mich von ihm und starrte ihn für gefühlte Minuten an, bevor die Tänze losgingen und wir beide von einer Schar aus Hochzeitsgästen zurück zum Lager geführt wurden. Das Fest begann erst.

Sieben

 

Die Musik dröhnte in meinen Ohren und obwohl ich solchen Lärm nicht gewöhnt war, machte mir die Lautstärke kaum etwas. Nicht einmal Kopfschmerzen hatte ich, sodass ich einen weiteren Schluck vom Wein nahm und das Fleisch auf meinem Teller klein schnitt. Aus der Ferne beobachtete ich meinen Ehemann, der in der Mitte des Haupthauses saß und mit meinem Bruder redete, Becher einschenkte und weiterredete. Er lachte, wenn Nukha einen Witz riss oder eine lustige Jagdgeschichte erzählte, sodass seine weißen Zähne aufblitzten. Und immer wieder warf er mir einen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte. Ich lächelte nur schüchtern zurück, bevor ich wieder von einem Gast unterbrochen wurde, der mir ein Geschenk überreichte. Bis jetzt stand der Tisch hinter mir voll von edlen Stoffen aus den Städten, Fellen oder Geschirr, Ketten und Schmuck mit Runen verziert, sogar ein Kleid war darunter.

Celtia setzte sich neben mich direkt auf den Tisch und grinste mich spitzbübisch an. »Bist du aufgeregt, wegen der Hochzeitsnacht?«

»Ein wenig«, sagte ich abwesend und beobachtete Sitka und Nukha beim Reden. Sie sahen aus wie zwei Brüder, die scherzten. Ich war mir sicher, dass es bei Kédar und Nukha nie so gewesen wäre.

»Willst du ein paar Tipps haben? Ich kann dir sagen, was Ecren und ich schon alles ausprobiert haben, ohne miteinander zu schlafen.«, bot sie mir an.

Rasch schüttelte ich den Kopf. »Ich glaube, ich sehe selbst, was Sitka mit mir vorhat. Aber danke.« Ich lächelte sie an.

Sie grinste zurück, sprang vom Tisch und ich blickte ihr hinterher, als sie zu Ecren hüpfte, der bei Nukha und Sitka stand und sich eine Geschichte von meinem Ehemann anhörte. Zu gerne hätte auch ich gelauscht, da es mich interessierte, wie es hinter dem Meer war, hinter Eós. Aber ich hatte eine Pflicht zu erfüllen und gerade kam der alte Jimmy, um mir ein Geschenk zu überreichen, sodass ich mich konzentrierte und ihn anlächelte.

 

»Seid alle einmal still!«, rief Nukha über den Lärm und erhob sich in der Mitte des Raumes, drehte sich zu mir und winkte mich heran. »Wir werden noch weiterfeiern. Noch die ganze Nacht, aber Sitka hat eine Aufgabe zu erfüllen. Bevor er nachher noch völlig betrunken ist und gar nichts mehr schafft.«

Ich hatte mich von meinem Platz erhoben und war ganz froh, dass ich mein Haar von meiner Mutter zu einem Knoten gebunden bekommen hatte, denn plötzlich wurde mir unerträglich warm. Die Blicke der Gäste prickelten in meinem Nacken, als ich mir einen Weg durch die Frauen und Männer bahnte und neben der Feuerstelle stehen blieb. Mein Bruder schwankte leicht, so betrunken war er, aber Sitka hingegen sah aus, als hätte er den ganzen Abend nur Wasser getrunken. Einzig allein seine Augen glänzten fiebrig, als er mich im Schein des Feuers betrachtete.

»Mutter, Tante Barbatunde und Celtia. Begleitet das Ehepaar zu seinem Zelt, damit sie die Beischlafzeremonie vollziehen können.«, befahl Nukha und nahm Platz, während die Gäste klatschten.

Ich war froh, endlich aus diesem warmen, nach verschwitzen Körpern stinkenden Loch heraus zu kommen und sog draußen die Nachtluft tief in meine Lungen. Es war dunkel und nur Mutters Fackel erhellte unseren, peinlich, schweigenden Gang zum Rand des Lagers. Dann kam das einsame Zelt in Sicht, das Sitka am Vormittag rasch errichten musste. Es war erstaunlich groß geworden und der Eingang befand sich nicht zum Lager ausgerichtet, sondern zu den Hügeln in der Ferne. Wir umrundeten das Zelt und blieben stehen.

Mutter malte mir mit dem bloßen Finger das Zeichen für Fruchtbarkeit auf die Stirn, so auch Sitka, bevor sich Celtia, Barbatunde und Mutter kurz verbeugten und in der Stille der Nacht verschwanden.

Allmählich begann mein Herz zu pochen, pumpte das Blut und Adrenalin durch meine Venen und ich atmete tief durch, als mein Mann meine Hand nahm und mich ins Innere führte. Zuerst war alles stockfinster, bis er meine Hand losließ und im Zelt verschwand. Auf einmal glimmte eine kleine Kerze auf, dann eine zweite und dritte, bis Sitka rund zwanzig Kerzen zum Leuchten gebracht hatte.

Unbehaglich blieb ich in der Mitte des Zeltes stehen. Er schritt zu einer Feuerstelle, die ordentlich mit Steinen umzingelt worden war und öffnete die Luke darüber, bevor er sich daran machte, ein Feuer zu entzünden. Vor Aufregung kaute ich mir auf der Unterlippe herum und krallte meine Finger ineinander, um dann mit den Handflächen aneinander zu reiben und mich unschlüssig umzusehen. Es sah schön aus hier und ich war überrascht, was er alles herausgeholt hatte, obwohl er nur wenige Stunden Zeit gehabt hatte. Auf einer Seite etwas weiter neben dem Eingang des Zeltes waren Felle aufeinander gehäuft, so hoch, dass ich sicher etwas springen musste, um darauf zu kommen. Es sah sehr gemütlich aus und ich erkannte unter den Fellen einen Holzrahmen, um sie stabil zu halten. Das hatte er auch noch geschafft, zu bauen? Der Boden war ordentlich mit Leder ausgelegt und in einer Ecke hingen Lavendelsträußchen von einem hölzernen Balken, sodass ein schöner Duft im Zelt lag.

»Ecren erzählte mir, dass du schon immer etwas... störrisch warst, was das Clan-Leben betrifft«, murmelte Sitka und ich erkannte einen seltsamen Unterton in der Stimme - Nervosität? Wovor? »Ich dachte deshalb, dass es angenehmer für dich ist, Hügel zu sehen, wenn du das Zelt verlässt, statt hundert andere Zelte.«

Ich öffnete den Mund, wusste aber ehrlich gesagt nicht, was ich sagen sollte. »D-danke«, kam mir irgendwann über die Lippen. Wieder blickte ich mich um, um diese peinliche Stille zu überbrücken.

Dann hörte ich Sitka lange ausatmen, bevor er sich den Nacken rieb. Warum fing er nicht an? Mit dem, was man so in einer Hochzeitsnacht tat? Ich wollte ihn nicht danach fragen, weshalb ich ruhig stehen blieb und ihn musterte. Mir wurde jetzt erst so richtig bewusst, dass Sitka schön war. Naja, für einen Mann halt. Sein Gesicht war glatt und männlich und sah in einem bestimmten Licht wild und verwegen aus, wegen dem Dreitagebart. Manchmal wirkte es auch hart und furchteinflößend und dann wieder weich und freundlich. Ich betrachtete seinen muskulösen, breiten Körper, der gleichzeitig schlank und schön aussah. Jede Frau in seiner Heimat musste sich um ihn gerissen haben. Wie viele Frauen er vor mir wohl schon gehabt hatte? Ich dachte lieber nicht darüber nach.

»Ich... wollte dir noch danken, weil du... mich vor Kédar bewahrt hast.«, stammelte ich, im verzweifelten Versuch, ein Gespräch aufzubauen, wenn er schon nicht mit dieser Sache anfangen wollte.

Überrascht blickte er mich an. »Äh, gern geschehen. Ich war gerade in der Nähe und dachte, dass ich mich verhört habe. Bis ich halt die Schreie gehört hab.«

Ich rieb mir über die Oberarme. »Du kannst dir sicher auch schöneres vorstellen, als mit mir verheiratet zu sein, oder?«

Seine Augen nahmen die Form von Melonen an. »Was? Nein, so meinte ich das nicht. Bei den Göttern, ich bin nicht gut in solchen Sachen.«, gab er zu und trat auf mich zu, strich mir eine lose Strähne beiseite. »Alles, was ich gestern Abend sagte, ist wahr. Ich glaube immernoch nicht, dass ich dich verdient habe.«

»Es klang so, als würdest du es bereuen«, verteidigte ich mich im Flüsterton und starrte dabei auf seine muskulöse Brust. »Du hast Highlanderkleidung an.« Was für eine intelligente Feststellung, McCain!

Er lachte leise auf. »Ich dachte mir, wenn ich schon eine waschechte Highländerin heirate, dann doch wohl richtig, oder?«

»Richtig«, kam es aus meinem Mund und es klang mehr nach einer Frage, als nach einer Feststellung. Ich war völlig neben der Spur. Vielleicht hätte ich mir doch einen Tipp von Celtia geben lassen sollen: Zumindest wie man anfing!

Mir stockte kurzzeitig der Atem, weil er die Finger über meine Wange gleiten ließ, aber ich wagte noch immer nicht, ihn anzusehen.

»Wenn mir jemand vor einem Monat gesagt hätte, dass ich wegen Hochverrats angeklagt, ausgepeitscht und ins Meer geworfen werde, hätte ich ihn für verrückt gehalten. Aber hätte mir jemand gesagt, dass ich mich danach einem Clan der Highlands anschließen und die schönste Frau der Welt heiraten würde, hätte ich ihn für einen Psychopath gehalten.«, flüsterte er leise. »Ich will dich küssen.«

Die Spucke in meinem Hals blieb auf dem Weg nach unten hängen und ich schluckte gegen den Kloß an. Schön? Schön?! Schön! War das sein Ernst? Niemals. Das konnte nicht sein. Mein Haar war widerspenstig und tat nie das, was ich wollte. Ich war dünn, hatte kaum Kurven an meinem Körper, geschweige denn so hübsche normale Brüste wie Celtia. Meine waren winzig. Und überall hatte ich Sommersprossen, sogar auf meinen Schultern. Ich war nicht schön, ich war langweilig.

Als Sitka sich zu mir herunter beugte und meine Lippen mit seinen streifte, rutschte mir der peinlichste Satz des Abends geradewegs heraus, als hätte ich mich direkt in sein Gesicht übergeben: »Ich hab Durst.«

Verdutzt zog er den Kopf zurück und starrte mich eine Weile lang schweigend an.

Meine Wangen brannten vor Scham. Toll hinbekommen, Ivolet. Was bist du eigentlich für ein dummes, kleines Ding?!

»Ähm... okay.« Sitka blickte sich unschlüssig um, dann entdeckte er auf einer Art Kommode einen Tonkrug und zwei Becher. Daneben zwei Teller mit Essen. Nukha musste vorgesorgt haben.

Schnell war er bei der Kommode und verfrachtete alles - auch die Teller - auf einen kleinen Holztisch, wo nur zwei Personen Platz hatten. Er bedeutete mir, Platz zu nehmen und ich folgte seiner Aufforderung mit steifen Gliedern. Ich war echt nicht mehr zu retten, dass ich ihm sagte, ich hätte Durst. Es war so peinlich, dass mir sogar zwanzig Minuten später noch mulmig zumute war. Nicht, dass ich ihn vergrault hatte. Das Essen, das wir jetzt zusätzlich zum Festessen im Haupthaus - gebratenes Wildschwein, Hühnerfilets, Gemüse und Soßen - eingenommen hatten, lag schwer in meinem Magen.

Und mir entfuhr der zweite peinliche Satz des Abends: »Erzähl mir von deinen Eltern.« Seine Eltern?! Die hatten nun wirklich nichts in einer Hochzeitsnacht zu suchen? War ich von allen guten Geistern verlassen?

Sitka blickte von seinem Becher auf und überraschender Weise lächelte er. »Ich wusste gar nicht, dass du dich so für mich interessierst.«

Ich zuckte ratlos die Achseln. Eigentlich war das alles nur Ablenkung, um nicht auf den Kern dieses Abends kommen zu müssen: Die Beischlafzeremonie.

Mein Ehemann lehnte sich zurück und stellte den Becher ab, bevor er begann zu erzählen. Er redete von dem Anwesen in Dummloch - oder wie das noch mal hieß, schließlich war Dummloch ein seltsamer Name -, in dem er geboren wurde und von seiner Mutter. Elia hatte zu einer verarmten Adelsfamilie gehört und sein Vater war Ritter gewesen. Zwar war Elia nicht bei Sitkas Geburt gestorben, jedoch hatte sie schon früh eine seltene Blutkrankheit gehabt, die sich, den Göttern sei Dank, nicht vererben ließ. Daran starb sie schließlich, als Sitka vier Jahre alt war. Es tat mir leid, als er sagte, dass er sich kaum noch an seine Mutter erinnerte. Nur, dass sie wunderschönes, schwarzes Haar gehabt hatte, in das er gerne Zöpfe geflechtet hatte. Dann erzählte er von seinem Vater, Belor. Ein Ritter durch und durch, der im Alter von nur fünfundvierzig Jahren am Fieber starb. Sitkas Augen leuchteten, während er von den Abenteuern erzählte, die er mit seinem Vater erlebt hatte. Allein eine banale Geschichte, als die zwei an einem Fluss waren und einen Fisch mit Pfeil und Bogen erlegten, der so lang wie ein Bein war, ließ mich allmählich entspannen. Ich im Gegenzug, die nicht ganz solche spannenden Dinge zu berichten hatte, erzählte von Sharon, Ecren und Celtia, mit denen ich die ein oder andere Geschichte erlebt hatte.

Irgendwann jedoch stellte sich das Schweigen wieder ein, da wohl er keine Geschichte mehr zu berichten hatte und auch ich hatte die Grenze meines Wortflusses für heute erreicht.

»Wir haben einen Haufen Geschenke bekommen«, versuchte ich ein neues Thema anzuschneiden.

Er hob den Kopf, wobei er eine Rune auf dem Becher mit den Fingern nachzeichnete. Wenn ich mir vorstellte, er würde meine Tattoowierung auf meinem Schulterblatt so nachzeichnen, bekam ich weiche Knie. Aber er schwieg. Ob er wütend war?

Ich straffte die Schultern etwas und grub meine Finger unter dem Tisch in den Rock meines Kleides, wobei mein Unterkleid verrutschte. »Ich... wir sollten zu Bett gehen.«, krächzte ich.

Sofort war er hellwach und starrte mich an. »S-schlafen? Oder... zu Bett

Diesmal war ich es, die schwieg und ihn nur über die kleine Kerzenflamme auf dem Tisch ansah. Das war eine gute Frage und ich war mir sicher, ich wurde schon wieder rot. Er kannte die Antwort doch längst. War in dieser Nacht überhaupt noch an Schlaf zu denken? Mein Herz pochte so wild, ich würde sicher nie wieder tief und fest schlafen können!

Sitka schluckte fest, was ich an dem zitternden Adamsapfel an seiner Kehle erkannte. »Ähm... okay. Ich... soll ich dir aus dem Kleid helfen? Ich meine, naja, egal was du vorhast: es wird sicher ungemütlich mit diesem vielen Fell.«

Würde es das? Im Moment fand ich es sehr, sehr, sehr angenehm. Irgendwie musste ich es geschafft haben, zu nicken, denn er stand auf und hielt mir die Hand hin, die ich ergriff. Meine Beine zitterten fürchterlich, als ich festen Boden unter den Füßen spürte.

»Okay«, murmelte er und sah etwas überfordert aus.

Ich wusste auch nicht so recht, was ich machen sollte, weshalb ich mich umdrehte und mit zitternden Fingern auf die Schnüre an meinem Rücken deutete. »Da kannst du es aufmachen.« Klang meine Stimme schon immer so dünn?

»Oh, ähm, klar«, stammelte er und fing oben an die Schleife zu lösen. Dann zupfte er langsam und konzentriert die Schnüre auf, wanderte immer weiter hinunter. Manchmal streiften seine Fingerkuppen meine Haut und verursachten eine Gänsehaut. Je weiter runter er wanderte, desto benebelter schien mein Verstand zu werden, denn ich spürte, dass er auch immer näher rückte. Irgendwann passten seine Hände kaum noch zwischen meinen Rücken und seinen Brustkorb und seine Nase streifte meinen Nacken, ich hörte ihn tief einatmen.

»Du riechst gut«, murmelte er, sein warmer Atem streifte meine Haut und ließ mich erschaudern.

So wäre Kédar nie gewesen. Ich konnte mir nur zu gut ausmalen, wie das alles abgelaufen wäre, was er mir angetan hätte. Sitka war nicht so.

»Meine Cousine und meine Tante hatten so eine komische Salbe«, erwiderte ich, als er die letzte Schlaufe löste und vorsichtig meine Ärmel hinunter schob. Seine Finger waren etwas rau an meiner Haut, aber das störte mich nur wenig.

Das Kleid floss an meinen Hüften hinunter und wickelte sich um meine Knöchel, sodass ich nur noch das Unterkleid trug, das mir gerade einmal bis zur Hälfte des Oberschenkels ging. Auch dieses wollte mir Sitka ausziehen, aber ich geriet schlichtweg in Panik, sodass ich mich schnell umdrehte und ihn ansah. Ich wollte nicht vollkommen nackt und schutzlos sein. Wenigstens das Unterhemd wollte ich anbehalten.

Ich glaubte, er verstand das, denn er trat einen Schritt zurück und musterte mich.

Rasch senkte ich den Blick auf seinen Gürtel, an den ich meine zitternden Hände legte. Es dauerte sicher Stunden, bis ich ihn endlich geöffnet hatte und er regelrecht krachend auf den Boden fiel. Ich zuckte zusammen, wegen dem Geräusch, aber da hatte Sitka auch schon die Hand an meine Wange gelegt und presste seine Lippen auf meinen Mund. Komischerweise erwiderte ich diesen Kuss beinahe stürmisch. Es musste die Angst sein und der Wunsch, alles schnell hinter mich zu bringen. Es musste so sein.

Ich spürte, dass der Rock von seinen Hüften rutschte, da er nun keinen Halt mehr hatte. Dennoch war das Hemd lang genug, dass es ihn bedeckte, als er sich umständlich, nur um sich nich von mir lösen zu müssen, die Stiefel abstreifte. Schließlich begriff er, dass er es so nicht hinbekam und ließ mich los, griff nach dem Stiefel und riss ihn sich genervt vom Fuß und schleuderte ihn weg. Irgendwas ging daraufhin kaputt und zerschellte auf dem Boden, aber ich wusste nicht, was. Gut möglich, dass es der Tonkrug gewesen war.

Als die Schuhe weg waren, griff er nach meinem Gesicht und blickte mir lange Zeit in die Augen. Mein Atem kam stoßweise und schnell und ich ertappte mich dabei, wie ich ihm auf die Lippen starrte.

»Willlst«, er leckte sich über die Lippen und mein Bauch krampfte sich merkwürdigerweise etwas tiefer zusammen. »Willst du... noch mal?«

Ich glaubte, dass ich nickte, aber genau wissen, tat ich es nicht. Nur, dass er sich erneut zu mir herunter beugte und seinen Mund auf meinen presste. Erst ganz sanft und zart, dann immer heftiger und stürmischer, sodass ich bald schon nach Atem rang und heftig keuchte, während ich mich an ihn drückte. Etwas hartes drückte sich durch den Stoff unserer Hemden gegen meinen Bauch und überrascht öffnete ich den Mund, als er seine Lippen in geradezu brutaler Leidenschaft auf meine presste. Seine Zunge teilte meine Lippen und fuhr in meine Mundhöhle. Schüchtern stupste ich sie mit der meinen an, was ihm einen tiefen, kehligen Laut entfahren ließ.

Plötzlich löste er sich schwer atmend von mir und lehnte seine Stirn gegen meine. »Wo hast du gelernt, so zu küssen?«

Zuerst musste ich in meinem benebelten Gehirn etwas Platz schaffen, um ihm antworten zu können, denn seine Küsse hatten mich völlig aus der Bahn geworfen. »Weiß nicht«, war meine besonders ausgeklügelte Antwort.

Er schnaufte angestrengt, küsste mich noch einmal heftig, aber kurz, bevor er mich herum wirbelte und mich mit dem Rücken an seine Brust drückte. Erschrocken quietschte ich auf, weil sich sein Geschlecht gegen mein Steißbein drückte. Sitka zerrte mein Unterkleid hoch, aber das erinnerte mich plötzlich so sehr an Kédar, dass ich mich gegen ihn stemmte. Er musste so überrascht gewesen sein, weil er mich verwirrt los ließ, als ich mich wieder zu ihm herum drehte.

Im nächsten Moment hatte er meine Taille gepackt und drängte mich zwei Schritte rückwärts. Ich hätte beinahe aufgeschrien, denn ich verlor das Gleichgewicht, landete aber weich auf den Bettfellen. Nur einen Moment später war Sitka über mir und drückte mich mit seinem Körpergewicht nieder, drängte sich zwischen meine Schenkel und zog unsere Hemden hoch.

Nur schwer bekam ich Luft in meine Lungen. Sitka zerquetschte mich regelrecht mit seinem massigen Körper, aber der Gedanke wurde sofort nebensächlich, denn plötzlich spürte ich eine Haut an meiner. Eine fremde Haut an der meinen und Panik schnürte mir die Kehle zu. Wie würde es sich wohl anfühlen? Würde es so entsetzlich wehtun, wie es so viele Frauen in meinem Clan sagten? Und was würde geschehen, wenn er fertig war?

Ich spürte seine Hand dort unten, versuchte er ihn... zu richten? Dann spürte ich einen seltsamen Druck und etwas Feuchtes zwischen meinen Schenkeln, wo Mutter gesagt hatte, dass dort dieses Loch war für die Kinder. Mein Atem ging schnell und unregelmäßig und war beinahe kaum noch vorhanden, weil er mich so erdrückte. Was würde nun passieren?

Als es plötzlich wehtat und er versuchte, in mich einzudringen, ruckte ich beinahe automatisch nach oben, weil ich ihm entkommen wollte.

Sitka verharrte regungslos, mehrere Minuten, wie es mir schien, bis ich mich wieder entspannte und er sich erneut positionierte. Diesmal verhinderte sein massiger Körper, dass ich zurückfuhr und der Schmerz war bestialisch, sodass ich das Gesicht in seine Schulter grub und mir die Tränen haltlos über die Wangen flossen. Sie durchnässten das Leinenhemd, das er trug, aber auch für ihn schien es unangenehm zu sein, denn er stockte immer wieder und gab einen Laut von sich, der einem Wimmern sehr ähnlich war. Und es klang nicht, als würde es ihm gefallen.

Es ging langsam, sehr langsam. Und es tat immer mehr weh, doch irgendwann rutschte er so schnell in mich, dass der Stoß, der das Aufeinandertreffen unserer Unterleiber mir ein Quietschen entlockte. Der Schmerz war auf einmal restlos verschwunden und ich sah mich verdutzt um.

»Endlich«, stieß er hervor und entspannte seinen Körper.

Doch genau das presste mir auch den letzten Rest Sauerstoff aus dem Körper und ich wand mich unter ihm wie ein Aal. Davon, wie komisch es sich anfühlte, dass er in mir war, merkte ich in dem Moment nichts.

»S-sitka! Du erdrückst mich!«, stieß ich hervor.

Erschrocken stemmte er sich neben meinem Kopf hoch, wodurch er den Unterleib noch fester gegen meinen presste. Wenigstens tat es nicht mehr so furchtbar weh. Doch im selben Augenblick stellte sich mir die Frage, warum es nicht mehr wehtat. Auf einmal war er ganz einfach in mich rein gekommen.

Seine Hand an meiner Wange löschte jeglichen Gedanken aus und ich blickte mit benebeltem Verstand zu ihm auf. Die blauen Augen, die mich anstarrten waren gleichermaßen erschrocken und sanft, als er mir sanft die Tränen wegrieb.

»Es tut mir leid«, hauchte er und ich merkte an seiner gepressten Stimme, wie schwer es ihm fiel, sich nicht zu bewegen.

Ich schwieg, sah ihn nur an und versuchte ruhig zu atmen.

Er verstand die Aufforderung und stemmte die Hand zurück in die Felle, dann zog er sich einmal zurück, was leicht ziepte und fuhr wieder in mich. Ich erschauderte unter dem Gefühl und krallte meine Finger an seinen Seiten in das lockere Leinenhemd, als er die Bewegung wiederholte. Wieder und wieder machte er das und irgendwann schloss ich die Augen und öffnete den Mund, keuchte laut und quietschte immer wieder. Er packte mit einer Hand meinen Po, drückte mich nach oben und so fester an seine Lenden. Dann wurden die Bewegungen ganz abgehakt bis er laut aufstöhnte und sein Geschlecht beinahe schmerzhaft fest in mich drückte, so weit, wie er rein kam.

Und dann wurde es in meinem Schoß seltsam heiß. Heißer noch, als es zuvor schon gewesen war. Ich spürte sogar, wie eine Flüssigkeit langsam aus mir herauslief, während Sitka nur noch ruckartig und unregelmäßig in mich stieß. Ich spürte, wie sein Geschlecht in mir unruhig zuckte.

Sein Atem war ein lautes Schnaufen an meinem Ohr, als er langsam von mir herunter ging und dabei aus mir heraus glitt, was wieder ein kleines bisschen wehtat, aber nicht so schlimm, wie zuvor. Schweigend ließ er sich neben mir auf den Rücken fallen und wir starrten gemeinsam an die Decke unseres Zeltes.

Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich gerade empfand. Es hatte wehgetan, auf jeden Fall, aber im Vergleich, was für Schmerzen mir Kédar unweigerlich zugefügt hätte, war es in Ordnung.

Wie lange wir hier lagen wusste ich nicht mehr, nur, dass ich irgendwann aufgestanden war und mich wieder an den Tisch gesetzt hatte, weil ich Durst hatte. Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Sitka mich dabei beobachtete, wie ich mir einen Becher füllte - anscheinend hatte der Krug doch nichts vom Schuh abbekommen - und ihn austrank. Ich füllte ihn noch einmal und trank noch einen Schluck, bevor ich ihn ansah.

»Was ist?«, fragte ich leise und schaute ihn neugierig an.

Das stechende und pochende Gefühl in meinem Schoß hatte aufgehört. Jetzt fühlte ich nur ein dumpfes Ziehen, das jedoch nicht schmerzhaft war, sondern quälend. Was war das? Ich wollte am liebsten meine Hand in meinen Schoß pressen, aber ich tat es nicht.

Er stand auf und kam ebenfalls zum Tisch, nahm seinen Becher und schenkte sich nach. »Nichts, nur... ich bin immernoch der Meinung, dass du wunderschön bist.«, murmelte er.

Beschämt senkte ich den Blick. Eine Weile herrschte Stille, er lief herum und murmelte vor sich hin, während ich die letzten Bissen des Mahles auf meinem Teller hinunter schluckte. An Schlaf war überhaupt nicht zu denken. Ich war hellwach, was entweder vom Wein oder vom Geschlechtsakt kommen musste. Ich fühlte mich seltsamerweise kein bisschen anders, als zuvor. Was hätte ich auch erwarten sollen? Ein Glöckchen um den Hals oder so? Jedenfalls war ich um eine Erfahrung reicher um ehrlich zu sein, war ich froh, dass ich sie mit Sitka und nicht mit Kédar geteilt hatte.

 

Wahrscheinlich vergingen mehrere Stunden, in denen wir schweigend diese Erfahrung verarbeiteten. Irgendwann spürte ich Sitkas raue Schwertfinger an meinem Hals und drehte benommen den Kopf über die Schulter, um ihn anzusehen. Er lächelte mich bescheuert an und ich lächelte nur zurück. Keine Ahnung, wo dieses Vertrauen her kam, es war einfach da.

»Du sagtest vorhin, dass wir viele Geschenke bekommen haben. Was war denn so dabei?«

Ich zählte die Sachen auf, die wir bekommen hatten und erntete immer wieder ein Lächeln von ihm, während ich aufgeregt erzählte, von wem, welches Geschenk kam. Dann verstummte ich, weil er beim Sprechen meinen Nacken streichelte und diese Berührung das seltsame Ziehgefühl in meinem Unterleib befeuerte. Ich schmiegte mich ihm beinahe sehnsüchtig entgegen und seufzte ganz leise auf.

»Vom Feuer geküsst«, murmelte er in mein Haar und zupfte die Schlaufe an meiner linken Schulter auf, sodass mir das Hemd herunter rutschte.

Aus Reflex hielt ich es an meiner Brust zusammen.

»Du musst dich nicht für deinen Körper schämen, Ivolet. Du bist jetzt meine Frau, du musst dich für nichts vor mir schämen. Komm, steh auf.«, raunte er und hielt mir eine Hand hin.

Komischerweise vertraute ich ihm so sehr, dass ich seine Hand ergriff. Er würde mich nicht auslachen für meinen kindlichen Körper. Jedenfalls hoffte ich das inständig.

Unschlüssig blieb ich vor ihm stehen und starrte ihn an - und er war gütig und wartete einfach, bis ich bereit war. Er musterte mich nur, betrachtete meinen Körper, der von den Stoffbahnen verdeckt wurde und sah mir dann lange und tief in die Augen. Und aus seinem Blick sprach einfach nur unendliches Vertrauen, sodass ich mich traute, die andere Schlaufe zu lösen und das Unterkleid von meinem Körper schälte. Sitkas Blick wurde augenblicklich tief und dunkel.

Er trat auf mich zu und hob eine Hand, aber nicht, um sie an meine Brust zu legen, sondern an mein Gesicht, das er anhob, da ich es anscheinend gesenkt hatte. »Du bist wunderschön. Denke niemals etwas anderes, Ivolet. Niemals, verstanden? Du bist das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen habe.«

»Wirklich?«, fragte ich kaum hörbar. Ich fühlte mich so nackt und verwundbar, besonders, weil Celtia ja unbedingt die Erotikdings steigern wollte und mein Schamhaar weggemacht hatte. Aber es hatte sich gut angefühlt, ohne das wuchernde Zeug, ihn zu spüren.

Er nickte heftig.

Leicht richtete ich den Blick auf seine Brust. »Ich... ich will dich auch sehen.«, krächzte ich kaum hörbar und blinzelte ein paar Mal.

Sitka blickte mich überrascht an, dann lächelte er, was ein tiefes Grübchen in seiner linken Wange zum Vorschein brachte und trat einen Schritt zurück. Er packte den Saum des Hemdes und zog es sich in einer fließenden Bewegung über den Kopf. Unvermittelt rutschte mein Blick unter die Gürtellinie und ich starrte sein Geschlecht gefühlte Stunden ungläubig an. Sofort krampfte sich mein Schoß heftig zusammen, sodass ich die Schenkel zusammen presste. D-damit ist er vorhin in mir drin gewesen?! Um ihn mit einem Wort zu beschreiben: Riesig! Das Geschlecht sah aus, wie ein... ein... ein Wurm? Wie sollte ich das beschreiben? Er war lang und die Haut war dunkler, als von dem Rest seines durchtrainierten Körpers. Die Spitze glänzte seltsam feucht und insgesamt war er von einem Kranz aus kräuseligem, schwarzen Haar eingerahmt, der bis hinauf zu seinem Bauchnabel reichte. Und dann waren da noch diese... diese beiden Bälle, die da unten herum baumelten. Es sah bizarr aus.

Ich hob verwirrt eine Augenbraue.

Plötzlich regte sich der Wurm und zuckte in die Höhe, sodass ich erschrocken zurückwich.

Sitka lachte leise. »Du bist ja süß«, grinste er. »Hast du noch nie einen nackten Mann gesehen?«

Mit vor Scham brennendem Gesicht schüttelte ich den Kopf.

Überrascht schossen seine Brauen in die Höhe. »Aber du weißt schon, wie man das hier nennt, oder?«

Ich wusste, dass Mutter ein Wort dafür benutzt hatte, aber in diesem Moment war mein gesamter Sprachgebrauch etwas überlastet. Ich erinnerte mich nicht wirklich daran. Es war irgendwas, das man auch zu anderen Körperteilen sagen konnte. Gliedmaßen, Glieder, Glied! Das andere P-Wort hatte ich völlig vergessen, aber das musste ich ihm ja nicht sagen.

»D-doch«, stammelte ich.

Er trat gemächlich auf mich zu, wobei sein Glied seltsam hoch und runter wippte und blieb nahe vor mir stehen. Die feuchte Spitze berührte meinen Bauchnabel und ich zuckte zusammen. Das Krampfen in meinem Schoß wurde noch stärker in seiner Gegenwart und ich sehnte mich plötzlich nach Berührungen. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob er mich anfassen könne, aber ich traute mich einfach nicht, sodass ich ihn nur ansah.

Sanft strich er mir das Haar aus der Stirn und betrachtete mich eingehend, bevor er sich zu mir beugte. Sein Kuss war gierig, aber nicht bedrängend. Aber ich sehnte mich so sehr danach, dass ich mich auf die Zehenspitzen stellte und sein Glied so noch viel stärker gegen meinen Bauch drückte. Seine Hand tastete meinen Rücken hinauf, über meine Runen am Schulterblatt und in mein Haar, die andere ließ er meine Seite hinauf wandern und umfasste meine Brust. Sie passte perfekt hinein.

Ich keuchte in den Kuss hinein, als sich die dunkleren Spitzen in seine Handflächen schmiegten und das Gefühl mir direkt zwischen die Schenkel fuhr.

»Noch nie hat mir eine gehört«, flüsterte er knurrend und sein Glied wurde härter an meinem Bauch. Wie ging das?

Ich wollte ihn schon fragen, was er damit gemeint hatte, als beide Hände von meinem Körper verschwanden und plötzlich meine Taille fest und unnachgiebig packten. Er hob mich auf seine Hüften, sodass mir kurzzeitig der Kopf schwirrte. Dann schlang ich meine Arme um seinen Nacken.

Sitka Frais trug mich zu unserer Schlafstatt und ließ mich darauf fallen. Sofort drängte er sich zwischen meine weit gerspreizten Beine und setzte sich auf, sodass ich nicht wusste, wohin mit meinen Armen. Doch im nächsten Moment schob er sich ohne Vorwarnung tief in mich und ich krallte meine Finger in das weiche Fell unter mir, stöhnte wolllüstig auf und atmete zitternd wieder aus. Er rutschte beinahe von selbst wieder raus und bewegte dann erneut die Hüfte gegen meine. Erneut entwich mir ein Stöhnen. Und so ging es weiter. Immer wieder und immer schneller, wie ich einen stehten Rhythmus in seinen Bewegungen erkannte, schob er sich in mich und flutschte wieder raus. Seine großen Hände hatten meine Oberschenkel umfasst.

Mein Ehemann beugte sich irgendwann zu mir herunter und stemmte sich mit den Unterarmen in den Fellen ab, küsste mich begierig, aber der Kuss blieb nicht lange bestehen, denn seine Bewegungen raubten uns beiden den Atem. Unsere Münder lagen aneinander, sodass sie sich leicht berührten und wir den heftigen Atem des anderen im Gesicht spürten. Er roch nach Wein und komischerweise auch nach Wald und Rinde.

Die Berührung seiner kurzen Bartstoppeln an meiner Wange und meinem Kinn ließen meine Haut dort kribbeln und meine Brustwarzen zogen sich süß und beinahe schmerzhaft zusammen. Er stöhnte immer wieder auf, wenn er sich in mich schob und nun begriff ich auch, dass es für ihn auch gut sein musste. Vorher hatte es mich überhaupt nicht interessiert, jetzt wollte ich, dass er sich gut fühlte in meiner Gegenwart.

Ich grub eine Hand in sein Haar und beugte mich zu ihm, um ihn zu küssen. Es gelang uns nur wenige Sekunden lang, bis er  meine Wange und meinen Hals küsste. Dann presste er das Gesicht auf meine Schulter und stieß noch heftiger und fester zu. Ohne mein Zutun musste ich heftig stöhnen, denn ich spürte das Ziehen im Unterleib heftiger und noch viel qualvoller, als zuvor.

Er musste es auch gemerkt haben, denn seine Hüften hielten das feste Tempo, das mich zum stöhnen gebracht hatte und er knurrte leise, während er eine Hand aus dem Fell löste und damit meine Brust knetete, bevor sie tiefer wanderte. Ich schrie kurzzeitig auf, weil seine Finger eine Haut gestreift hatten, die seltsam empfindlich auf Berührungen reagierte. Es war nur ein kleines Knöpfchen gewesen, über das er erneut einen Finger gleiten ließ, gleichermaßen überwältigt, wie ich. Ich wimmerte vor Wonne auf.

Nun wusste Sitka ganz genau, was er tun musste. Wieder und wieder rieb er über diese kleine Perle und ich krallte eine Hand in seinen Arm, an dem ich die Muskeln spürte, wenn er die Finger bewegte. Ich kam aus dem Stöhnen, Wimmern, Winseln und Flehen nicht mehr heraus, bis ein heftiger, süßer Krampf meinen Unterleib erfüllte und ich aufschrie, als hätte man mich abgestochen. Es war, als hätte er meine Hände genommen, mich ein paar Mal im Kreis gedreht und mich dann über eine Klippe geschleudert. Der Fall löschte mein komplettes Denken aus und nur am Rande bemerkte ich die gleiche seltsame, feuchte Hitze in meinem Schoß.

Heftig keuchend lagen wir übereinander. Als ich mich von diesem komischen Erlebnis erholte, hob Sitka den Kopf und blickte mich an. »Passiert das immer?«, fragte er neugierg und außer Atem.

Ich verstand seine Worte nicht richtig. »Weiß nicht... weißt du es denn nicht?«

Etwas beschämt sah er mich an. »Ich habe keine Ahnung von Frauen«, gab er zu und rollte sich von mir herunter.

Meine Lenden schmerzten noch von der Heftigkeit seiner Liebe und ich spürte seinen Samen in mir. Verwirrt setzte ich mich auf. »Was soll das heißen?«, fragte ich.

Auch er setzte sich auf. Das Glied in seinem Schoß beruhigte sich langsam und sank in sich zusammen. »Ich war vorher noch nie mit einer Frau zusammen, Ivolet.«

»Du hattest auch noch nie...?«

Er schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf. »Nein. Klar habe ich schon eine geküsst und ich habe oft Sklavinnen beobachtet, die im Brunnen ihrer Häuser gebadet haben, aber... ich war noch nie in einer. Du bist die erste.«

Ich ließ mich geplättet zurück in die Felle sinken und starrte ihn eine Weile lang stumm an, bevor ich begann zu grinsen.

»Was?«, fragte er und lächelte vorsichtig, als er sich neben mich legte, den Ellenbogen über meinem Kopf in die Felle gedrückt und den Kopf in der Hand.

Ich zuckte ratlos die Schultern. »Keine Ahnung. Du machst mich glücklich.« Ob glücklich das richtige Wort war, wusste ich nicht. Aber ich fühlte einen tiefen Frieden, nicht nur in meinem nicht mehr ziehenden Unterleib, sondern auch so. Ich hatte Kédar nicht heiraten müssen und hatte eine unglaubliche Hochzeitsnacht erlebt, die kein bisschen so war, wie mir andere Frauen immer erzählt hatten.

 

Müde und schläfrig schmiegte ich mich dicht an ihn und spürte nach einer Weile seinen tiefen, regelmäßigen Atem. Aber ich konnte trotz der Müdigkeit nicht schlafen, sodass ich aufstand und ein Fell über seinen Körper legte, bevor nackt zum Tisch ging und in den Krug schaute. Das Trinken war aus.

Mit einem genervten Schnauben schnappte ich mir Sitkas Rock und zog ihn eng um meinen Körper. Er war lang und breit genug, um mich zu verhüllen. Dann trat ich hinaus. Es dauerte nicht lange, bis ich die Reste aus dem Haupthaus gemopst hatte und wieder zurück in unserem Zelt war. Eingekuschelt in dem gut duftenden Rock setzte ich mich mit einem Schemel vor die Feuerstelle und trank den Rest vom Met und dem Wein, da ich ziemlichen Durst hatte. Eine Weile saß ich so da, bis in die frühen Morgenstunden, in denen es noch dunkel war.

Bis ich Schritte hörte. Sitka war wach, aber ich starrte dennoch ins Feuer.

Plötzlich kam etwas in meinen Blickwinkel und ich sah verwirrt nach oben. Er legte mir eine schwere Perlenkette um den Hals, die so lang war, dass sie zwischen meinen Brüsten auf meinem Bauch zum Liegen kam. Erstaunt befühlte ich die Perlen und drehte mich zu ihm, als er sich neben mich setzte.

»Das sind Eisperlen«, sagte er leise, um die nächtliche Ruhe nicht zu stören. »Sie sind das einzige, das ich von meiner alten Heimat retten konnte. Tzz, ein Wunder, dass sie mir nicht aus der Tasche gefallen und in die Tiefen des Meeres verschwunden sind, als ich nach Eós gepaddelt bin.«

Erneut betrachtete ich die Perlen voller Ehrfurcht. »Sie sind wunderschön«, flüsterte ich.

»Sie gehörten meiner Mutter.«

Ich hob den Blick und sah in seinen Augen leichten Kummer.

Er lächelte ihn weg. »Mein Vater soll Wochenlang am Strand umher geirrt sein und sie gesucht haben.«

»Liegen die denn einfach so rum?«, fragte ich unwissend. Hier gab es Perlen nicht, nur, wenn jemand zum Markt in die Städte der Nord ging, würde man Perlen finden.

Sitka lachte leise. »Nein, Ivolet. Sie werden von Muscheln produziert. Du musst dir vorstellen, dass, wenn ein Sandkorn in das innere einer Muschel gelangt, mit viel Glück eine Perle daraus wird. Natürlich dauert es seine Zeit.«

Verstehend nickte ich und betrachtete erneut die Perlen. »Warum schenkst du sie ausgerechnet mir?«

Lange Zeit sagte er nichts, atmete dann aber lange aus und sagte: »Erinnerst du dich an unsere erste Begegnung? Die Erste, wo ich halbwegs bei Verstand war? Ich glaubte mich im Elysium, und das nur, weil du mir vorkamst wie ein Engel. Und nun bist du Mein. Wem sollte ich so etwas schon schenken, wenn nicht meinem Engel?«

Meine Wangen brannten rot und als er aufstand und mich vom Schemel hob, schlang ich die Arme um seinen Nacken und die Beine um seine Taille. Unsere Küsse waren stürmisch und, als er sich auf die Bettkante setzte, mit mir auf seinem Schoß, hatte ich keinerlei Angst mehr vor ihm oder dem, was mich in meiner Ehe erwartete. Er hatte meine Wünsche und Sehnsüchte bei weitem übertroffen.

Und als wir dieses Mal miteinander schliefen, ließ er mir viel Zeit, um mich mit ihm und seinem Körper vertraut zu machen. Danach schliefen wir ineinander verschlungen ein.

 

Acht

 

Vereinzelte Sonnenstrahlen zwickten mir in den Augen, wodurch ich mit einem leisen Stöhnen erwachte und blinzelnd die Augen öffnete. Es dauerte eine Weile, bis ich mich an die Geschehnisse erinnerte und auf mich wirken ließ, dann aber entstand ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. Gestern hatte ich geheiratet. Ich hatte... Ich war verheiratet! Es war noch immer kaum zu fassen und die Nacht darauf war ebenfalls nicht wirklich real. Jedenfalls für den Moment. Es war so... unwirklich, dass ich gestern meine Unschuld an einen Mann verloren hatte, der seine eigene Unschuld an mir verlor. Das alles war nur seltsam.

Als ich versuchte mich aufzusetzen, drückte mich etwas schweres wieder hinunter und ich begriff jetzt erst, dass es Sitkas schwerer, muskelbepackter Arm - der übrigens breiter war, als mein Oberschenkel - war, der um meiner Taille lag. Sein warmer Atem streichelte meinen Nacken und seine muskulöse Brust drückte sich gegen meinen schlanken Rücken. Umständlich und mit einigem Kraftaufwand kroch ich unter ihm hervor und stand wackelig auf. Mein ganzer Schoß war wund, aber der Gedanke daran, weshalb er wund war ließ mich dämlich grinsen.

Langsam drehte ich mich um und betrachtete meinen Ehemann, der mit einem Fell über die Lenden da lag und friedlich ein- und ausatmete. Mit einem sehnsüchtigen Seufzen griff ich nach seinem Rock, der wie er nach Wald, Baumrinde und Harz duftete und schlang ihn um meinen Körper. Zwischen meinen Schenkeln klebte es unangenehm und als ich nach unten blickte, betrachtete ich meine, mit einer dünnen Schicht Blut, verschmierten Schamlippen und an den Oberschenkeln klebte getrocknetes Blut und ein seltsamer, glänzender Film, was wohl sein getrockneter Samen sein musste. Ich würde gleich ein Bad nehmen.

In diesem Sinne blickte ich mich um und entdeckte das, was ich gesucht hatte: Einen Waschzuber, der sogar schon mit Wasser gefüllt war. Nukha hatte an alles gedacht.

Ich blickte mich um und entschied mich dafür, vor meinem Bad erstmal für Ordnung zu sorgen, sodass ich unsere Kleidung aufhob und auf einen Schemel legte, nachdem ich alles gefaltet hatte, dann stapelte ich die leeren Teller und Becher ineinander, die ich nachher noch abwaschen würde und sah mich dann neugierig in dem Zelt um. Ich musste sagen, dass Sitka es unglaublich gut hinbekommen hatte. Es war gemütlich.

Schließlich ging ich zu dem Waschzuber und stellte ein paar Kerzen daneben, damit das Wasser vielleicht ein paar Grad wärmer werden würde. Dann legte ich den Rock ab und stieg in das Wasser. Mit einem zufriedenen Seufzen lehnte ich mich an den Rand und rieb meine Haut mit einer duftenden Seife ein, um auch den Schweiß des gestrigen Abends abzuwaschen.

Irgendwann erhaschte ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel und grinste leicht verträumt, als sich Sitka mit verwuscheltem, schwarzen Haar in der Schlafstatt aufrichtete und in das Licht des Morgens blinzelte. Er rieb sich die Augen, was ihn irgendwie unschuldig wirken ließ und ließ den Blick verschlafen durch das Zelt schweifen. An mir blieb er hängen.

Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Weißt du, wie verlockend das gerade aussieht?«

Ich spürte eine Ziehen im Unterleib und biss mir augenblicklich auf die Unterlippe. Die Perlenkette um meinem Hals wurde etwas schwerer und wegen den kühlen Eisperlen, die ihren Namen hatten, weil sie niemals auch nur annähernd Körpertemperatur erreichten, sondern immer kühl waren, ließen meine Knopsen sich aufrichten. Mein Herz klopfte etwas schneller.

Ohne auf eine Antwort zu warten, stand Sitka auf, umrunde das Bett und kam genau auf mich zu. Sein Glied war schlaff und hing direkt zwischen seinen schweren Hodensäcken. Komisch, dass mein Blick zuerst darauf gerichtet war, bevor er sich vor den Zuber kniete und sein Kinn auf den Rand des Zubers legte. Unsere Nasenspitzen berührten sich leicht.

»Ich hatte gestern Angst, dass ich dir wehgetan habe«, flüsterte er und beim Sprechen streiften seine Lippen meinen Mund.

»Hast du nicht«, murmelte ich und meine Stimme klang beinahe wie ein Seufzen.

Er grinste, dann drückte er seinen Mund auf meinen und unser Kuss war so zart, dass ich glaubte, in seinen Händen schmelzen zu müssen. Immer weiter beugte ich mich zu ihm, genoss das kribbelige Gefühl in meinem Innern und war einmal mehr überrascht, wie schön es sich anfühlte, von einem Mann berührt zu werden. Irgendwann löste sich Sitka von mir und bedeutete mir, vor zu rutschen.

Ich tat es und blieb am Ende des Zubers im kühlen Wasser sitzen, bis ich ihn direkt hinter mir spürte. Er griff nach meiner Taille und zog mich eng an seine Brust, sodass ich halb auf ihm lag und unsere Wangen sich berührten. Mit einem Lappen träufelte er Wasser auf meinen Brustkorb und streichelte mit der freien Hand meinen Oberarm.

»Ich habe dir wirklich nicht wehgetan?«, fragte er besorgt.

Ich lachte leise. »Nein.«, murmelte ich und schmiegte die Wange fester an seine.

Erleichtert seufzte er auf, als hätte er eine Last von den Schultern genommen bekommen. »Du bist so zierlich, ich habe Angst, dich nur mit einer falschen Bewegung zu zerquetschen.«

Ich drehte mich in seiner Umarmung um und kroch auf seinen Schoß. Sofort ergriff er meine Hüften und hielt mich fest, als ich mich vorbeugte und ihm einen langen Kuss gab. »Ich bin nicht aus Zucker, Sitka«, murmelte ich und berührte mit einem Zeigefinger seine Unterlippe. »Außerdem bist du mein Ehemann, wir sind durch das Blut verbunden. Ich werde dir sagen, wenn mir etwas nicht gefällt oder du zu grob bist.«

Langsam nickte er und ergriff meine rechte Hand, führte sie zu seinen Lippen und küsste den Schnitt, den mir Nukha gestern bei der Hochzeitszeremonie zugefügt hatte, als wir das Blutsband geschlossen hatten. Die Berührung jagte Schmerz und Prickeln meinen Körper hinab und wieder hinauf.

»Wenn ich mir vorstelle, was dieser Kédar vorgestern beinahe getan hätte...«, presste er hervor und betrachtete meine Handfläche. »Und, wenn ich nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre, dann hätte dieser Kerl dich...« Er kniff die Augen zu.

Ich schwieg. Beinahe hätte Kédar mir schreckliches angetan, hätte mich geschändet. Dass es Sitka so quälte, was dieser Mann beinahe mit mir gemacht hätte, ließen die Erinnerungen nun erst so richtig über mich herein brechen. Das Gefühl von Wasser in meinen Lungen, als ich im Bach völlig untergetaucht war und das Gefühl seiner Finger auf meiner eiskalten Haut. Zitternd drückte ich mich enger an meinen Ehemann.

Sanft hob er meinen Kopf an. »Ich werde nicht noch einmal mit dir schlafen«, raunte er leise.

Ich zuckte zusammen und starrte ihn an.

»Nicht, wenn du es mir nicht erlaubst.«, fügte er hinzu.

»Warum?«, fragte ich verwirrt. »D-du bist ein Mann, du kannst nach mir verlangen, wann immer du willst.«

»Ich weiß.« Zart strich er mir einige wirre Strähnen aus dem Gesicht. »Aber ich will warten, bis du danach verlangst. Gestern tat ich meine Pflicht, Ivolet. Ich musste die Ehe vollziehen und es war Zufall, dass es dir genauso gefallen hat, wie mir. Aber ich war erschrocken, als mir Ecren beim Fest sagte, dass du erst fünfzehn Jahre alt bist. Ich kam mir vor, als würde ich ein Kind besteigen.«

Beschämt fuhr ich zurück und hatte plötzlich das Bedürfnis, meinen kindlichen Körper zu verdecken, sodass ich meine Arme über meine Brüste legte. »Du bist sicher andere Körper von daheim gewöhnt.«, murmelte ich.

»Das bin ich«, gab er mir Recht, zog mich aber wieder eng an sich und küsste die Stelle unter meinem Ohr. »Ganz ehrlich, wenn ich dein Bruder gewesen wäre, hätte ich dich niemals mit fünfzehn Jahren verheiratet. Ich bin glatt acht Jahre älter als du, Ivolet. Aber ich bin trotzdem, auf eine egoistische Art, froh, dass Nukha dich mir gegeben hat.«

»W-wirklich?«, krächzte ich, da sich etwas Bestimmtes zwischen meinen Schenkeln aufzurichten versuchte.

Er nickte nur abgehakt, küsste meinen Hals ausgiebig und tat ansonsten gar nichts. Er würde sicher hundert Jahre warten, bis ich ihm sagte, dass ich es wollte. Und das zeigte mir einmal mehr, dass er wirklich gut für mich war. Besser, als Kédar je gewesen wäre.

Mittlerweile stand sein Glied aufrecht und drückte sich von unten gegen meinen Beckenboden, sodass ich mich automatisch in die Höhe streckte und sein Mund dabei unweigerlich gegen mein Dekolleté gepresst wurde. Er stöhnte leise und gequält auf, aber er konzentrierte sich darauf, seine Hände krampfhaft an meiner Taille zu lassen. Ich hatte mein Zugeständnis noch nicht gegeben, aber ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich nicht umher kam, es ihm zu geben. Zu gut fühlte sich seine Haut auf meiner an, zu schön war die Erinnerung an letzte Nacht und zu grauenvoll der Gedanke, dass Kédar an seiner Stelle hätte sein können.

Ich presste meinen Unterleib gegen seinen, wodurch er die Finger in meine Haut grub, krampfhaft darum bemüht, mir nicht wehzutun.

»Du bringst mich noch um«, knurrte er unter meinem Kinn und drückte sein Gesicht gegen meinen Hals. Seine Wimpern kitzelten meine Haut und ich grub die Finger in sein Haar, sog den waldig herben Duft ein, der von ihm ausging und drückte meine Lippen gegen seine Stirn.

»Nimm mich... bitte!«, flehte ich in sein nachtschwarzes Haar.

Sofort verlagerte er sein Gewicht und hob mich ein Stück hoch, führte seine Hand über meinen Po und positionierte seinen Penis - das Wort war mir wieder eingefallen - an meinem Eingang und drückte mich dann langsam und bedächtig darauf nieder. Ich war so überwältigt von diesem Gefühl, dass ich die Augen zukneifen musste und den Mund öffnete, als er zart meinen Rücken umfasste und die Linien meiner Tättoowierung nachzeichnete. Dann hob er mich hoch, glitt beinahe vollständig aus mir heraus, nur um mich wieder hinunter zu drücken.

Meine Fingernägel krallten sich in seine Schultern und stöhnte haltlos auf.

Seine Stirn lag dicht an meiner und wir schlossen gemeinsam die Augen, während er mich immer wieder auf und ab bewegte. Es war intensiver, als letzte Nacht, wo wir regelrecht übereinander hergefallen waren. Es war langsamer, was vor allem mir dieses Ziehen im Unterleib bescherte, aber auch ihm schien es sehr zu gefallen, denn sein Atem stockte immer wieder, wenn ich mein Becken gegen seines drückte.

Die Situation an sich jedoch war seltsam. Ich saß in einem Waschzuber mit einem dreiundzwanzigjährigen Mann, der vom Land jenseits des Eisschollenflusses stammte und ließ mich von ihm besteigen, da wir gestern geheiratet hatten. Bisher war mir der Gedanke von der Ehe immer als abstoßend vorgekommen und ich hätte mich mit aller Kraft gegen den Entschluss gewehrt, aber gestern war ich schlichtweg zu geplättet gewesen, dass Nukha mich doch nicht an Kédar gab, dass ich die Zeremonie ohne zu murren über mich ergehen gelassen hatte. Und dann meine Hochzeitsnacht... es war unglaublich.

Sitka schlang seine muskulösen Arme fest um meinen Rücken und bewegte die Hüfte rhythmisch nach oben, stieß mich heftiger, während ich meine Hände in seine Schultern krallte und das Gesicht in seinem Haar vergrub, dort hinein stöhnte und leise wimmerte, als er immer fester zustieß.

Als mein Unterleib zum zerreißen gespannt war, richtete ich meinen Kopf gegen die Decke und schrie heiser auf, denn erneut überflutete mich diese warme Welle des Friedens. In meinem Bauch explodierte ein süßes Ziehen und laut keuchend sank ich zusammen, spürte, wie Sitka noch weiter in mich stieß, um auch seine Erleichterung zu bekommen und er bekam sie.

Mit einem tiefen, kehligen Laut an meinem Hals verharrte er regungslos in mir, so tief, wie es überhaupt möglich war. Ich keuchte auf, als sein Glied in mir heiß pulsierte und unkontrolliert zuckte, bevor sich die Hitze seines Samens in meinem Unterleib ausbreitete und einen starken Kontrast zu dem kalten Wasser bildete. Eine Weile regten wir uns nicht, bis er mich langsam losließ und aus mir heraus rutschte. Keuchend und mit bebender Brust saß ich auf seinem Schoß und starrte seine eisblauen Augen an, die mich beinahe liebevoll musterten.

Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Das... was da mit dir passiert, wenn es dir gefällt...«, stammelte er nach Atem ringend. »Es ist so, als würde ich in dir zum Ende kommen, oder?«

Ratlos schüttelte ich den Kopf und schmiegte mich fest an ihn. Meine kleinen Brüste pressten sich fest an seine harten, festen Brustmuskeln. Die Eisperlen kühlten unsere erhitzten Leiber etwas ab. »Ich weiß es nicht... aber es fühlt sich unglaublich an. Als würde ich über einen Berg geschleudert werden.«

Sitka küsste mich auf den Kopf und streichelte eine Weile mein nacktes Rückgrat, besonders die Stelle mit meiner Tättoowierung. »Was hat es eigentlich mit diesen Runen auf sich, die ihr alle auf dem Rücken habt?«

Ich streichelte seinen muskulösen Oberarm, an dem man ganz genau den Bizeps und Trizeps auseinanderhalten konnte. »Die Tättoowierung zeigt zu welchem Clan wir gehören. Jeder der fünf Clans hat ein eigenes Muster, das uns schon als Säuglinge unter die Haut gestochen wird.«

Nachdenklich nickte er. »Nukha sagte mir, dass ich auch eine bekomme. Allerdings nicht auf den Rücken, wegen den... naja. Du weißt schon.«

Den Narben. Den Narben, wegen denen sein Rücken eine seltsame unebene Masse war, seit sie verheilt waren. Zwischendurch sah man einen Streifen unversärter Haut, jedoch waren diese Stellen selten. Ansonsten war alles wulstiges Narbengewebe und plötzlich schmerzte mich dieser Gedanke, das ihm jemand solche Schmerzen zugefügt hatte. Welcher Mensch tat so etwas? Wer tat ihm das an? Er hatte noch nicht viel darüber gesprochen, nur, als mein Bruder ihn einlud, dem Clan beizutreten. Und selbst da hatte er nicht viel von dem Vorfall geredet. Aber ich wollte ihn auch nicht damit nerven, schließlich würde er die nächsten Wochen und Monate eine Menge zutun haben. Schließlich war er nur offiziell ein Mitglied des Clans. Unoffiziell war er kein Stück ein Highlander. Er besaß weder die Tättoowierung eines Highlanders noch war er ein Jäger. Erst, wenn er seine erste Jagd hinter sich hatte, war er ein Mitglied des Clans.

Meine Gedankengänge wurden unterbrochen, als er mich mit einer Hand am Po festhielt und sich mit der anderen am Rand des Zubers abstützte. Erschrocken hielt ich mich an seinem muskulösen, breiten Nacken fest, denn er stand mit mir auf den Hüften auf und stieg aus dem Waschzuber. Sitka trug mich zu unserer Schlafstatt und setzte mich darauf.

»So gerne ich den ganzen Tag mit dir hier drinnen bleiben würde, ich habe auch noch andere Pflichten, als dich.« Er lächelte mild und küsste mich auf die Nasenspitze. Es lag schon so eine Vertrautheit in seinen Berührungen, als würden wir uns Ewigkeiten kennen. Nicht jede Frau konnte am Morgen nach ihrer Hochzeitsnacht von so einer Vertrautheit und Zuneigung sprechen. Ich war froh, nicht zu diesen Frauen zu gehören.

»Wo gehst du hin?«, fragte ich, als er sich den Rock vom Boden schnappte und ihn mit dem Gürtel an seiner Hüfte festschnallte.

»Zu Nukha. Ich will die nächsten Schritte wissen, um ein volles und ganzes Mitglied deines Clans zu werden. Schließlich will ich dir keine Schande machen.«, lächelte er und nahm sein Leinenhemd vom Stuhl.

Ich zog ein Fell über meinen Körper, der sich langsam von der leidenschaftlichen Hitze abkühlte. »Du machst mir keine Schande. Niemals.«

Als er das Hemd in den Rock gestopft hatte, kniete er sich vor das Bett und legte die Hände rechts und links von meinem Körper in die Felle. »Versuch einmal dieses dumme Bild von einer Mann-Frau-Beziehung deines Clans abzulegen. Wenigstens in meiner Gegenwart. Du bist mein Weib und hast mir zu gehorchen, aber das bedeutet nicht, das du etwas schlechteres bist, als ich.«

Schüchtern sah ich ihn an und nickte. »Ich versuch's.« Komisch, dass ich in seiner Gegenwart so schüchtern sein konnte. Das war doch sonst nicht meine Art.

Er lächelte und küsste meine Stirn. »Ich komme nachher wieder. Wenn du magst, gesellen wir uns heute Abend zum Lagerfeuer bei den anderen. Oder tun... andere Dinge.«

Andere Dinge. Mein Magen kribbelte wohlig und ich errötete bei dem Gedanken an andere Dinge. »Lagerfeuer kligt gut«, krächzte ich und begann doof zu grinsen, als sich eine steile Falte zwischen seinen Brauen hindurch zog - Enttäuschung. »Und andere Dinge.«

Er grinste zurück und nahm meine Hand, an der noch immer der Schnitt war und küsste meine Handfläche, bevor er aufstand und zum Eingang ging. Noch einmal sah er mich sehnsüchtig an, dann zwang er sich jedoch hinaus und ich blieb alleine in unserem Zelt zurück.

Eine Weile lag saß ich nur hier rum und rieb mir über den Handrücken, bevor ich unsere zerwühlte Schlafstatt in Augenschein nahm. Auf einem der Felle prangte ein Blutfleck, der von meiner verlorenen Unschuld zeugte. Da es mir unangenehm war, dass wir darin geschlafen hatten, nahm ich das Fell und warf es in einen Korb, bevor ich aus der Kommode ein neues heraus fischte und auf unser Bett legte. Dann machte ich mich daran, es schön herzurichten für... andere Dinge nachher. Als nächstes zog ich mir das Unterkleid von gestern über und verstaute mein Brautkleid in der Kommode. Dort würde es fürs erste nicht mehr herauskommen.

Nach einer Weile fand ich in der Kommode auf ein richtiges Kleid aus Fuchsfell und zog es mir über, darüber ein Überfell aus Wolfspelz und Schuhe, um raus zu gehen. Als ich vor das Zelt trat und zuerst die grünen Hügel der Highlands erblickte, wurde mir warm ums Herz. Es war wirklich schöner, erst das zu sehen, als das Lager mit seinen Regeln und Vorschriften und gleich daran erinnert zu werden, dass ich ein Glied einer Kette war und nicht so frei wie ich gerne wäre.

Beim Laufen brannte mein Schoß leicht, aber es war ein angenehmes Brennen, sodass ich gleich mein Geburtszelt ansteuerte, um meine Sachen von dort in Sitkas und mein Zelt zu verfrachten. Auf dem Weg dorthin wurde ich neugierig von der Seite beäugt, was etwas unangenehm war, da jeder jetzt wusste, dass ich keine Jungfrau mehr war und was gestern im Zelt zwischen mir und meinem Ehemann geschehen war. Nur zu gut konnte ich in den Blicken ablesen, an was - vorallem die Männer - dachten. Ob ich Schmerzen gehabt hatte, ob es gut gewesen war und wohl wie oft mich Sitka letzte Nacht bestiegen hatte.

Irgendwann senkte ich mit brennenden Wangen den Blick und huschte rasch zwischen den Zelten hindurch. Unter dem Kleid klatschte die Perlenkette heftig gegen meinen Bauch. Dann endlich tauchte ich in das Halblicht meines Geburtszeltes ein und erblickte zu allererst Sharon.

Sie saß aufgerichtet in der Schlafstatt und schlürfte aus einer Schale, die ihr Celtia hinhielt.

Mein Unbehagen und die Peinlichkeit von eben war völlig vergessen. »Sharon!«

Das kleine Mädchen wandte den Kopf und grinste mich über beide Ohren an. »Ivolet«, flüsterte sie.

Ich stürmte regelrecht zu ihr und schlang die Arme um meine kleine Schwester. Sie krallte ihre Finger in mein Fell und sog tief den Atem ein. Sie stutzte.

»Du riechst komisch.«, bemerkte sie.

Ich musste noch Sitkas Geruch an mir haben und wurde wieder rot. »Das... das ist eine lange Geschichte.«

Ihre hellgrünen Augen wurden groß und neugierig.

»Naja... ich bin jetzt verheiratet.«, sagte ich ihr.

Ihre Augen wurden noch größer und beinahe ungläubig. »Aber Papa hat doch gesagt, dass wir erst mit achtzehn heiraten sollen.«, murmelte sie verwirrt.

Langsam nickte ich und zuckte dann die Achseln. »Nukha hat anders entschieden. Aber sei nicht besorgt, ich bin glücklich.«

Celtia war außergewöhnlich still und sah auch etwas abwesend aus, aber bevor ich sie fragen konnte, was los war, nahm sie Sharon die leere Schüssel ab und stellte sie zurück auf einen Tisch.

»Wie heißt denn dein Mann?«

Sharons neugierige Stimme lenkte mich von Celtia ab und ich lächelte mild. Das war meine kleine Schwester. Neugierig, klug und süß. Ich merkte jetzt erst, wie sehr ich ihre Stimme vermisst hatte, sodass ich mich zu ihr legte und ihr von Sitka erzählte. Immer wieder formten ihre Lippen ein ungläubiges O, wenn ich sagte, dass Sitka von der anderen Seite des Eisschollenflusses kam und zuerst mit mir im Zelt der Druidin gewohnt hatte, weil Nukha da noch der Ansicht war, Kédar wäre gut für mich. Dass Kédar mich beinahe geschändet hatte, erwähnte ich nicht. Ich fand, dass Sharon dafür definitiv zu jung für solche Dinge war. Sie sollte noch lang genug Kind sein.

Ein paar Stunden später, nachdem ich ihr noch mehr erzählt hatte, was alles im Clan passiert war, seit sie krank geworden war, küsste ich sie aufs Haar und begann damit, meine Sachen zusammenzuräumen. Ich hatte ihr auch erstmal erklären müssen, dass ich jetzt nicht mehr bei ihr und Mutter wohnen würde, sondern in einem eigenen Zelt am Lagerrand. Mit meinem Mann.

»Ich will ihn kennenlernen«, sagte Sharon aufgeregt.

»Das wirst du«, lächelte ich und bemerkte am Rande, dass Celtia inzwischen verschwunden war. Ich musste unbedingt mit ihr reden. Dass sie so still war, war nicht normal. Ich hoffte nur, dass zwischen ihr und Ecren alles im grünen Bereich war. Ein Liebesdrama war das letzte, was ich gebrauchen konnte, jetzt, wo sich alles dem Besseren zuwendete.

Ich hatte meine Kleidung und das wenige Hab und Gut in einen Korb geschmissen, das ich mein Eigen nennen konnte, als meine Mutter das Zelt betrat. Sie hielt ein gestopftes Fellbüschel in der Hand, das wir manchmal über unsere kalten Füße zogen. Überrascht sah sie mich an.

»Ich dachte, du würdest den ganzen Tag in deinem Zelt verbringen«, sagte Bilea.

Ich blinzelte etwas schwer von Begriff. »Weshalb?«

Sie legte das Büschel Fell auf einen Tisch. »Naja... wegen der Schmerzen?« Sie hatte den letzten Teil leise gesagt, damit Sharon nichts davon mitbekam.

»Ich habe keine Schmerzen.«, erwiderte ich und nahm meinen Korb, ging zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Am Anfang ein bisschen, aber er ist schnell weggangen.«

Sie sah mir noch verwundert hinterher, als ich aus dem Zelt hüpfte, gleichermaßen gut gelaunt und besorgt. Ich war besorgt um Celtia und hielt auf dem Weg zu meinem Zelt Ausschau nach ihr. Dabei erhaschte ich allerdings nur einen Blick auf meinen Ehemann und meinen Bruder, die mit Speeren bewaffnet den Hauptpfad entlang gingen in Richtung Wildnis. Am liebsten wäre ich ihnen gefolgt und mich in Sitkas beschützende Arme geschmiegt, aber es war auch gut, etwas Zeit für mich zu haben, um die Ereignisse zu verarbeiten und zu realisieren.

In unserem Zelt schob ich das Eingangsfell beiseite und klemmte es fest, um Luft und Licht hinein zu lassen. Ich zog das Überfell aus und machte mich dann geschäftig daran, meine Sachen zu verstauen. Es dauerte länger als gedacht und als ich endlich fertig war, wunderte ich mich, dass ein Schatten auf den Sonnenfleck lag, der eben noch die Zeltwand neben mir erhellt hatte. War es eine Wolke?

Ich drehte mich um und der Schrei der Angst blieb mir in der Kehle hängen, da die Panik mein Herz kurz zum Stillstand gebracht hatte. Kédar stand breit im Rahmen des Eingangs und starrte mich finster an. Automatisch tat ich mehrere Schritte zurück und stieß mit der Hüfte gegen die Kommode.

Langsam trat er in das Zelt ein und löste die Klammer, sodass der Sonnenschein ausgesperrt wurde. Mein Herz fing an zu rasen.

»Wenn du mir gehört hättest«, sagte er leise. »hättest du drei Tage lang nicht sitzen können.«

Das glaubte ich ihm aufs Wort, denn ich war durch Sitka schon wund genug. Wenn er an seiner Stelle gewesen wäre mit seiner groben, brutalen Art... ich wäre letzte Nacht gestorben.

»Ich gehöre dir aber nicht«, zischte ich. Keine Angst, McCain-Frais. Du bist die Ehefrau eines Outlanders, eines Mannes, der außerhalb von Eós geboren wurde! Du bist die Tochter von Léonard McCain!

»Tzz...«, machte er und lief bedächtig durch das Zelt, betrachtete die Schlafstatt und schüttelte missbilligend den Kopf. »Glaubst du, das interessiert mich noch? Ich habe alles verloren, nur weil du Flittchen dich so zieren musstest. Dein Bruder hat mich verstoßen, meine Eltern würdigen mich keines Blickes mehr. Alles nur wegen dir.«

»Falsch, Kédar. Alles nur wegen dir.« Ich funkelte ihn an. »Du wolltest die Tradition brechen, du wolltest mich beinahe entehren und schänden. Ich kann nichts dafür, was dir passiert ist.«

Er grinste gefährlich. »Schänden ist das Wort, auf das ich hinaus wollte.«

»Tatsächlich?« Sitka, den Göttern sei Dank.

Ich hatte kaum gemerkt, wie sehr ich am ganzen Leib zitterte, solche Angst hatte ich. Aber als ich meinen Ehemann am Zelteingang entdeckte, einen Speer in der Hand und schnaubend wie ein Mallakbulle kurz vor dem Kampf, fiel die Anspannung von mir ab, wie ein Brocken Fels.

Kédar starrte ihn durch zusammengekniffene Augen an.

»Ich würde dir empfehlen, mein Zelt zu verlassen und meine Ehefrau nicht länger zu erschrecken.«, knurrte Sitka und deutete mit einem Fingerwink zum Ausgang. »Sofort.«

Einen Augenblick lang blieb Kédar so stehen, regungslos und bebend vor Wut, dann entfernte er sich von mir und ging zum Eingang. Er starrte Sitka an. »Jetzt sitzt du vielleicht noch am längeren Hebel, du Wurm. Aber du wirst nicht immer da sein, um sie zu beschützen. Und dann werde ich da sein und mir das nehmen, was mir zusteht.«

Sitka starrte ihm mit unbewegter Miene hinterher, als er fort war, dann schmiss er den Speer beiseite und kam auf mich zu. Heftig zuckte ich zusammen, als er mein Gesicht zwischen seine großen Hände nahm. »Hat er dir etwas getan? Ich schwöre, wenn er dich auch nur schief angesehen hat, renne ich ihm hinterher und reiße ihm-«

»Es geht mir gut«, flüsterte ich mit entsetzlich dünner Stimme.

Besorgt strich er mir über die Wangen und den Hals und zog mich dann eng an seine Brust. Meine Finger gruben sich reflexartig in sein Leinenhemd und ich presste mich eng an seinen Körper. Eine Weile standen wir so da, bis er mich gefühlte hundert mal auf den Kopf küsste.

»Ich werde nicht zulassen, dass er dir etwas tut. Das werde ich verhindern und wenn ich ihm dafür die Eier abreißen muss.« Das glaubte ich ihm aufs Wort.

Dennoch beruhigte es mich nicht wirklich. Kédars Worte waren so voller Hass gewesen, genau wie sein Blick. Es war nicht nur leeres Geschwätz oder eine Drohung. Es war ein Versprechen gewesen.

Neun

 

Die Tage vergingen viel zu schnell, aber es fühlte sich alles unglaublich schön an. Mit Sitka an meiner Seite hatte ich das Gefühl, in diesem öden Lager endlich aufzublühen und ein Teil zu sein, was früher nicht annähernd so war. Ich tat tagsüber die Pflichten einer Ehefrau, indem ich das Zelt in Ordnung hielt und uns etwas kochte oder nähte, während Sitka alles dafür tat, um endlich ein Jäger zu werden. Das jedoch gestaltete sich als schwierig, wenn die Mallaks nicht rechtzeitig ins Hochland zogen und er sein Training mit einer erfolgreichen Jagd besiegelte. Und Abends, wenn er heimkehrte, taten wir andere Dinge.

Es war wunderschön wie zärtlich und vorsichtig er mich an den Abenden bestieg oder mit wieviel feuriger Leidenschaft er mich manchmal in die Felle drückte und nahm, wenn wir uns nur mit dunklen Blicken angeheizt hatten. Und wir staunten jedes Mal, wenn ich dieses Gefühl erlebte, wenn sich alles in mir zum Zerreißen anspannte und dann locker ließ.

Diesen Abend jedoch rechnete ich damit, dass er keine Lust haben würde, mit mir zu schlafen, denn nun stand die Tättoowierung bevor. Er saß auf einem Baumstamm um die Lagerfeuerstelle im Herzen des Lagers und starrte in die Flammen. Das schon eine ganze Weile, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, während ihm die Druidin mit dunkelgrüner Farbe die Rune in die Seite tättoowierte, direkt dort wo seine Rippen waren, da sie keinen Platz auf seinem Rücken gefunden hatte. Ich saß vor ihm auf dem Boden und lachte immer wieder, da Ecren eine lustige Geschichte von letzten Sommer erzählte, wo er einen Bären in seiner Höhle gestört hatte, der gerade süßen Honig von einer gestohlenen Bienenwabe abgeschleckt hatte.

»Ich wusste nicht, wer wütender war: Der Bär oder die Bienen?«, lachte Ecren auf dem gegenüberliegenden Baumstamm.

Noch immer hatte ich nicht in Erfahrung bringen können, was zwischen ihm und Celtia geschehen war, denn sie ging mir genauso aus dem Weg, wie sie Ecren aus dem Weg ging. Er jedoch benahm sich völlig normal, sodass ich es nicht für ratsam hielt, ihn darauf anzusprechen, schließlich schien Celtia das Problem zu haben. Ich musste sie unbedingt mal erwischen.

Sitka streichelte meinen freien Oberarm, sodass ich den Blick zurück zu ihm richtete und leicht lächelte. Unsere Finger spielten verträumt miteinander, was meinem Bruder ein theatralisches Seufzen entlockte.

»Ich glaube, ich brauche auch eine Frau, wenn ich euch ständig Händchenhaltend zu Gesicht kriege«, grinste er.

Bescheuert grinste ich zurück. »Du hast eine gute Wahl getroffen«, erwiderte ich.

»Eine bessere als mein Fast-Vorgänger«, fügte Sitka etwas ernster hinzu, was mir eine unangenehme Gänsehaut bescherte.

Ich hatte Kédar nicht mehr gesehen, seit das im Zelt passiert war. Und das war beinahe über eine Woche her. Auch Mutter und Nukha hatten ihn nicht mehr gesehen. Nukha meinte, dass es gut möglich war, dass er den Clan in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verlassen hatte, aber das glaubte ich nicht. Seine Worte waren so voller Hass gewesen, dass ich mir sicher war, dass er noch hier irgendwo war. Und er wollte sich an Nukha und vor allem an Sitka rächen, indem er mir wehtun würde. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er es versuchen würde.

Den Göttern sei Dank, dass mein dreiundzwanzigjähriger Ehemann nicht schwach und schmächtig war. Ich drängte mich enger an ihn, sodass mein Ohr auf seinem Bauch lag und ich zwischen seinen Beinen auf dem Boden saß.

Eine Weile beobachtete ich die Knochennadel, die die Druidin rhythmisch in Sitkas Fleisch versenkte. Irgendwann lehnte sie sich zurück und betrachtete ihr Werk. »So fertig. Ich verbinde es noch und dann muss es abheilen.«, brummte sie und legte die blutige Nadel beiseite, bevor sie einen Fetzen Stoff nahm, ihn auf die Tättoowierung drückte und dann einen Verband darum wickelte. Schließlich packte sie ihren Kram zusammen und verließ das Lagerfeuer ohne ein weiteres Wort.

Sitka berührte meine Wangen mit seinen großen Händen und beugte sich zu mir herunter. Der lange Kuss, der darauffolgte, war durchtränkt von Zärtlichkeit.

 

Später kehrte ich schon vor Sitka zurück in unser Zelt und begann damit, Kerzen anzuzünden und ein Feuer in der Feuerstelle zu entfachen, um uns zu wärmen. Dann legte ich meine Kleidung ab und lief im Unterkleid zum Bett, legte mich ohne Decke darauf und wartete auf die beschützenden Arme meines Ehemannes.

Es war seltsam, wenn ich mir vorstellte, wie er noch vor wenigen Wochen völlig entkräftet und halb tot im Zelt der Druidin gelegen hatte und ich seine Wunden hatte versorgen müssen. Nun schien er zu strahlen, wie ein junger Gott und war kräftiger und stärker denn je. Dennoch hatte ich manchmal das Gefühl, besonders wenn ich ihn nach seinem Leben auf der anderen Seite fragte, dass er mir etwas verschwieg. Dass er sich mir nicht vollständig öffnen wollte, obwohl ich doch seine Frau war. Manchmal fühlte ich mich dann nicht so wohl, weil ich nie wusste, was ich sagen sollte.

Warme, vertraut schwere Arme legten sich fest um meinen schmalen Körper und zogen mich an eine muskulöse Brust. Sitka küsste meine Schulter und brummte leise in meine Haut hinein. Ich bewegte mich nicht, da ich Angst hatte, irgendwie seine Tättoowierung zu erwischen und ihm wehzutun.

Eine Weile lagen wir schweigend so da, bis er das Wort ergriff. »Du wirktest heute sehr nachdenklich«, bemerkte er. »Ist alles in Ordnung? Oder habe ich etwas falsch gemacht?«

Rasch blickte ich über die Schulter. »Bei den Göttern, nein! Es ist nur... Celtia, du weißt doch, meine Cousine, sie geht mir andauernd aus dem Weg und Ecren auch..., obwohl die beiden heiraten wollten. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist und ich bekomme sie einfach nicht zu fassen, um mit ihr zu sprechen.«

Er stemmte den Ellenbogen in die Felle und legte eine Hand auf meinen Bauch, um ihn zu streicheln. »Hast du Barbatunde gefragt, was los ist?«

Ich nickte. »Sie weiß auch nicht, was los ist. Nur, dass Celtia kaum mehr etwas essen will und sie sie nachts wimmern hört, als würde sie schlecht träumen.«

Lange Zeit sah mich Sitka an und berührte dann mein Gesicht. »Mach dir nicht so viele Sorgen, meine kleine Distel. Versuch es weiter und irgendwann wirst du sie schon zu fassen kriegen. Ich kann ja gucken, ob ich aus Ecren irgendwas heraus bekomme.«

»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Schließlich ist er völlig normal... Ich versuche mir Celtia morgen vorzuknöpfen.«, murmelte ich, bevor ich kurz stutzte und ihn wieder ansah. »Warum eigentlich Distel?«

Unschuldig lächelte er mich an. »Ich musste daran denken, als du mir gestern den Rücken zerkratzt hast.«, raunte er in mein Haar und ich spürte die Hitze, die von seiner Haut abstrahlte.

Beinahe hätte ich geseufzt, hielt mich jedoch zurück und schloss einen Augenblick die Augen. Seine Finger wanderten vielsagend über meine Hüften und zu meinen Oberschenkeln. Voller Ruhe spreizte er sie und zog mein eines Bein von hinten über seine Hüfte, sodass mein Gesäß in seine Leisten gepresst wurde.

Nun musste ich doch seufzen, als ich das vertraute harte Pochen seines Schaftes durch die Hose spürte. Allerdings hatten wir es noch nie von hinten gemacht. Das hatte mich immer so an die Hunde in den Zwingern erinnert, wenn sie sich paarten.

Er küsste zärtlich meinen Hals bis in meine Halsbeuge. Nein, das war ganz und gar nicht, wie bei den Hunden im Zwinger.

»Ich will gerne etwas ausprobieren«, murmelte er und ich spürte, wie er anfing an seiner Hose herum zu nesteln.

Ich biss mir dümmlich grinsend auf die Unterlippe und nickte nur, bevor ich blinzelnd nach unten schaute, um zusehen zu können, was er tat. Seine dünne Lederhose flog vom Bettende auf den Boden, dann spürte ich seine Finger, die den Saum des Unterkleides nahmen und mir zart bis unter den Busen nach oben schoben, sodass mein - neuerdings - haarloser Intimbereich mehr als sichtbar war, genau wie meine schmalen Hüften. Immer wieder fuhren seine Hände über meinen flachen Bauch, umkreisten meinen Bauchnabel und dann fuhren sie hinunter zwischen meine Schamlippen.

Heftig wand ich mich in seinen kräftigen Armen.

Immer wieder streichelte er die äußeren Lippen sanft und zärtlich, bevor er komplett mit dem Finger durch meine weiblichen Falten fuhr und dann das kleine Knöpfchen rieb, was mir immer so viel Wonne bereitete. Mit der anderen Hand unter meinem Körper und die Hand auf meinen Bauch gelegt, hielt er mich ruhig, damit ich seiner süßen und köstlichen Folter nicht entkommen konnte. Sein Finger wurde schneller, bis ich die Feuchtigkeit spürte, die aus mir bereits heraus lief. Auch er bemerkte die Nässe und ich spürte ihn an meiner Wange genüsslich grinsen.

Dann verschwand seine Hand und ich hob den Kopf, um zu sehen, wo sie hin war. Er hatte sich selbst gegriffen und führte sein Glied in mich ein. Sobald er in mir war, war es um mich geschehen und ich sank benommen zurück. Seine ersten Stöße waren seltsam, da er von hinten in mich eingedrungen war, aber dann wurde es immer besser.

Ich spürte seinen heftigen Atem im Nacken und wölbte mich ihm nur allzu willig entgegen. Es plättete mich jedes Mal, wenn Sitka mich berührte und dieses Vertrauen einfach vorhanden war, ohne, dass wir uns wirklich gut kannten. Es gab einfach nur uns beide und sonst niemanden. Und mit der Zeit merkte ich, dass wir uns auch immer besser kennenlernten. Es waren die kleinen Dinge, die uns begleiteten und uns einander immer vertrauter machten. Und das, obwohl er sich manchmal scheute, mich so zu berühren, da er es noch immer grauenvoll fand, dass ich so jung das Leben einer Ehefrau erfahren musste. Es war seltsam, denn ich fühlte mich gar nicht mehr wie fünfzehn. Ich fühlte mich viel älter und reifer, allein nur wegen dem Gedanken, dass Celtia noch Jungfrau war, ich jedoch nicht.

Sitkas sanfte Hände schoben mein Unterkleid weiter und weiter hinauf, über meine kleinen festen Brüste, die er einmal sanft streichelte und über meinen Kopf. Mit einer ruckartigen Bewegung warf er den störenden Stoff weg und richtete sich hinter mir auf.

»Vertraust du mir?« Sein schneller Atem ließ die Worte heiser und unkontrolliert über seine Lippen kommen.

Ich war überrascht, wie schnell mir das »Ja« herausrutschte. Aber es stimmte. Ich vertraute ihm, wem, wenn nicht ihm?

Seine Lippen formten sich zu einem glücklichen Lächeln, bevor er mich mit der Hand sanft in das Fell drückte, sodass die feinen Haare unter mir, meine dunkelrosa Brustspitzen kitzelten. Vorsichtig stemmte er die Hände neben meinen schmalen Schultern in den weichen Untergrund und drückte sich mit er Hüfte fest gegen meinen Po. Es war seltsam in einer solch... unterwürfigen Haltung unter ihm zu liegen, da es ganz anders war, als wenn er mir dabei in die Augen sehen konnte, aber es fühlte sich dennoch gut an. Ihn von hinten in mir zu spüren, war einfach überwältigend.

Zart verteilte er meine warme Nässe um die geröteten Lippen und fuhr mit der Hüfte zurück, bevor er sich wieder in mich schob. Ich keuchte auf, wegen diesem guten, andersartigen Gefühl und zuckte zusammen, als sein schwerer Hoden gegen meine gereizte Perle stieß. Wimmernd versuchte ich mich aufzubäumen, um diesem Gefühl einen Ausdruck zu verleihen, aber er drückte mich wieder zurück auf das Fell.

Seine Stöße waren langsam, sehr langsam, als wolle er die Verbindung zwischen unseren Leibern noch deutlicher machen. Immer wieder streichelte er meinen Po, überwältigt von dem Gefühl von Haut auf Haut. Irgendwann waren diese Stöße so quälend, dass sie mich beinahe bis zum Höhepunkt brachten, dann doch wieder abklangen, wenn er aus mir rausrutschte. Es war wie eine bittersüße Folter, die er gnadenlos fortsetzte, bis es ihm wohl selbst zu intensiv, zu übermenschlich wurde, dass er mich auf die Wirbelsäule küsste und sich aufrichtete. Meine Beine waren so weit gespreizt, wie es mir aus dieser Position möglich war, dann stieß er fest und hart zu.

Ich quietschte immer wieder wie eine Gabel, die über Porzellan kratzte, wenn seine Hoden gegen mein Knöpfchen stießen. Dann zog sich mein Unterleib um seinen Schaft fest zusammen. Fasziniert sah er mir bei meinem bisher heftigsten Höhepunkt zu, wie ich die Finger in das Fell verkrallte, das Gesicht vor Wonne verzog und in den Strudel aus Lust und Verderben gezogen wurde. Heftig nach Atem ringend blieb ich liegen, als er sich seinen Teil der Erlösung holte. Sein heftig zuckendes Glied in mir katapultierte seinen Samen in meinen Unterleib, pumpte mich damit voll bis er aus mir heraus lief, bevor er sich sachte aus mir herauszog.

Sein schwerer Kopf landete auf der Kuhle zwischen meinem Gesäß und meinem Oberkörper und er schlang einen Arm um meine Beine, während wir schweigend dieses Erlebnis ausklingen ließen.

»Du bringst mein Herz zum Explodieren«, flüsterte er in meine Haut und küsste sie ausgiebig.

Lächelnd schaute ich ihn über die Schulter hinweg an. Meine Finger fuhren durch das rabenschwarze Haar auf seinem Kopf, dann strich ich über seine Wange, woraufhin er mir einen Kuss in die Handfläche drückte. Es fühlte sich richtig mit ihm an, es fühlte sich gut mit ihm an. Sehr gut sogar.

 

Am Morgen wurde ich nicht wegen den zwitschernden Vögeln wach und auch nicht vom Geruch nach Harz und Baumrinde, der mich jeden Morgen glücklich die Augen öffnen ließ. Es war das köstliche, folterähnliche Ziehen im Unterleib, das mich völlig benebelt und benommen erwachen ließ.

Ich bemerkte, dass ich auf der Seite lag, die Beine übereinander und das Haar auf dem Kissen und halb auf meinem Oberkörper verteilt. Doch ich spürte etwas feuchtes an den geschwollenen Fältchen meines Intimbereichs und eine feste Hand hielt mein Knie fest, um mich in dieser Position zu halten. Da erst bemerkte ich den schwarzen Haarschopf, der sich gegen meinen Po und somit auch gegen das Dreieck zwischen meinen Schenkeln presste.

Und dann begriff ich, was Sitka dort tat, jedoch konnte ich es noch immer nicht ganz glauben, dass er es wirklich tat. Er leckte mich dort. Dort, wo er zuvor immer mit seinen Fingern gewesen war, um mir dieses unglaubliche Gefühl zu geben. Was ich an all dem nicht verstand war, dass er ansonsten nichts tat, um ihm dieses Gefühl zu geben. Bisher hatte er mich bestiegen, um auch seinen Teil zu bekommen. Nun nicht?

Leise sog ich scharf die Luft ein, als er an meiner Haut knabberte und hinein biss, eine der Schamlippen sanft mit den Zähnen zupfte. Dann schloss er eine seiner riesigen Hände um meinen Oberschenkel, den er vollständig umfassen konnte und zog meine Schenkel auseinander, vergrub den Kopf dazwischen und seine Zungenschläge an meiner Perle wurden hingebungsvoller, als zuvor.

In meinen Ohren rauschte das Blut, Hitze stieg mir vom Kopf bis in die Zehenspitzen und zurück, als ich den Rücken durchdrückte und leise wimmernd zurücksank, während er mein Geschlecht so hingebungsvoll wie noch nie mit seinem Mund bearbeitete. Ich konnte nur sein rabenschwarzes Haar sehen, da er beinahe das ganze Gesicht an mir vergraben hatte, sodass ich eine Hand in dem weichen Haar vergrub, das ich gelernt hatte zu lieben. Seine freie Hand, die nicht meinen Schenkel umfasst hielt, fuhr über meinen Bauch und knetete dann meine Brust, wodurch sich mein Atem noch weiter verschnellerte.

Und dann passierte es: »Sitka?! Bist du wach? Nukha will dich sofort im Haupthaus sehen!«

Ich fuhr wie von der Tarantel gestochen hoch, nur Sitkas Hand auf meinem Brustkorb verhinderte, dass ich vollends hoch schreckte. Heftig atmend sah ich meinen Ehemann an, der endlich den Kopf hob und mich durch seine beinahe schwarzen Augen lüstern anblickte, da seine Pupillen beinahe so groß waren, dass man die eigentliche Farbe nicht mehr richtig erkennen konnte.

»Nein«, hauchte Sitka und klang sehr entschlossen dabei. »Nein!«

Meine Hand verkrallte sich in dem Fell unter mir, als er den Kopf wieder zwischen meinen Beinen vergrub und diesmal beide Schenkel festhielt. Meine Hand verkrallte sich automatisch in seinem Haar, die andere grub ich in das Holzgestell unserer Schlafstatt. Ich musste mich zwingen, nicht laut aufzuschreien, wenn Sitka mich besonders intensiv leckte, um mich schneller dem Höhepunkt entgegen zu treiben.

»Sitka? Hallo?!«

Ecren würde nicht ewig draußen stehenbleiben, sodass ich schon versuchte, Sitka von mir wegzudrücken. Das allerletzte, was ich wollte war, dass uns jemand in solch einer Situation erwischte. Auch, wenn es keine Überraschung war, dass wir so etwas taten. Schließlich waren wir verheiratet und jeder würde wollen, dass Sitka und ich rasch die Erbfolge sicherten, indem er mir ein Kind machte. Zu viele junge Männer starben bei den Mallakjagten und ließen junge Frauen zurück, die keine Kinder von ihnen hatten und dann für immer allein bleiben mussten. Denn in unserem Stamm galt es, sobald eine Frau verheiratet war, durfte sie nicht noch einmal heiraten. So war der Brauch. Aber ich wollte im Moment nicht darüber nachdenken, dass ich Sitka verlieren könnte. Er war zu stark, zu widerstandsfähig.

Mein Ehemann jedoch hielt mich eisern umklammert, sodass ich ihm nicht entkommen konnte. Heiser wimmerte ich auf, so leise es mir in diesem Zustand möglich war und erstickte meinen Schrei, als ich dem Höhepunkt entgegenrannte, in einem Kissen. Mein Unterleib zuckte und pulsierte heftig und unkontrolliert, dann sackte ich benommen in mich zusammen und blinzelte, als Sitka mein Bein zurück auf das andere legte, sodass ich nur mit dem Oberkörper auf dem Rücken lag.

»Sitka! Verdammt noch mal, komm endlich!«, knurrte Ecren ungeduldig in meiner Sprache.

»Niantashwok!«, brüllte Sitka ebenfalls in meiner Sprache, was so viel hieß wie: ›Gedulde dich gefälligst!‹ Dann noch sowas wie ›Stinkendes Rentier‹, so viel ich in diesem nebeligen Zustand verstand.

Mein Ehemann sah mit glühenden Augen zu mir hinauf, dann küsste er mein Bein auf die Seite und gleich noch meine Handfläche, weil sie in Reichweite seiner Wange war. Ich lächelte beseelt und, als er aufstand, zerrte ich die dünne Wolldecke über meinen verschwitzten Körper.

Sitka zog sich rasch eine Stoffhose über und ging dann mit wütenden, energischen Schritten zum Eingang.

Ich hörte augenblicklich etwas klatschen.

»Mann! Wofür war das denn jetzt?!« Ecren.

»Für dein beschissenes Timing«, antwortete Sitka, bevor beide Männer ins Zelt traten.

Ecrens unverhohlener Blick blieb unvermittelt an mir hängen, wanderte mein Bein hinauf, das ich zum kühlen aus der Decke gestreckt hatte. »Oh, das meintest du mit Timing.«, murmelte er und rieb sie die Wange, auf der sich ein roter Abdruck zu bilden begann.

Ich wurde putterrot und presste die Decke noch fester an meine Brust.

Sitka blieb neben dem Bett stehen und verschränkte genervt die Arme vor der mächtigen Brust. »Was ist denn jetzt so wichtig, dass du mich bei meinen ehelichen Pflichten stören musst?«

Mein Gesicht musste brennen wie die Sonne, als ich Sitka von hinten in die Seite zwickte. Musste er es so öffentlich machen, dass wir eben dabei gewesen waren, uns zu befriedigen? Manchmal war er echt unmöglich! Manchmal, allein dieses Wort. Als wären wir schon hundert Jahre verheiratet.

Auch Ecren war es sichtlich unangenehm. »Die Clan-Chiefs der Highlands sind heute morgen allesamt in unser Lager gekommen und reden schon den ganzen Morgen mit Nukha.«

Ich wurde hellhörig und die Peinlichkeiten von eben waren Geschichte. »Was sagst du da?«

Ecren nickte und sah dann Sitka unverwandt in die Augen. »Vor einer Woche sind Schiffe von der anderen Seite der Meerenge am nördlichen Kiesufer gelandet. Sie haben Ihkart besetzt.«

Mir wurde plötzlich eiskalt und von der schwummerigen Hitze meines Unterleibes war kein Stückchen mehr übrig. Mit zitterigem Atem blickte ich zu Sitka hinauf, der ganz still und steif geworden war. Sein Brustkorb hob und senkte sich kaum, während er Ecrens Worte zu verstehen versuchte.

Dann fragte Sitka leise, dass ich es kaum verstehen konnte: »Welches Banner trugen sie?«

Ecren runzelte kurz die Stirn. »Mélorth sagte, ein Handabdruck aus Blut auf schwarzem Untergrund.«

Plötzlich schwankte mein Ehemann und fiel so unelegant wie noch nie neben mir auf das Bett. Er stemmte die Ellenbogen auf die muskulösen Oberschenkel und schwieg eine Weile. »Die schwarzen Ritter von Dumloch.«

Wir waren eine ganze Weile still, bis ich es nicht mehr aushielt und meine Hand auf Sitkas breiten Unterarm legte. »Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, dass sie wissen, dass ich am Leben bin.«, murmelte Sitka und fuhr hoch. »Ivolet, wir müssen uns anziehen und zu Nukha, sofort.«

Er begann im Zelt umher zu huschen wie ein aufgescheuchtes Huhn, sammelte unsere Kleider zusammen und schmiss mir meine zu, die ich mit Mühe auffing und dann Ecren erwartungsvoll ansah. Dieser hatte seinen Blick nur auf meinen Mann gerichtet.

Sitka merkte es und räusperte sich, nickte mit dem Kopf zu mir.

»Oh, ähm... klar.« Ecren lächelte unbeholfen und verließ dann das Zelt.

Ich runzelte die Stirn, bevor ich aufstand und mit weichen Knien anfing mein Unterkleid überzuziehen und dann das helle, braune Hirschfellkleid darüber, das mit den schulterfreien Ärmeln. Wie immer, wenn ich raus ging, versteckte ich die Perlenkette von Sitkas Mutter unter einem Haufen Felle in einer Ecke, da ich Angst hatte, dass ich sie verlieren könnte oder sie kaputt ging. Das wäre schade, denn ich wollte sie irgendwann einmal meiner eigenen Tochter schenken.

Bevor ich Sitka fragen konnte, ob alles in Ordnung war, griff er nach meiner Hand und zog mich an sich. Zart berührten seine Lippen die meinen und noch nie hatte so viel Gefühl in seinem Kuss gesteckt, wie jetzt. Dann führte er mich hinaus und wir liefen durch die leergefegten Zelte zum Haupthaus. Um nicht ganz wie eine Vogelscheuche auszusehen, band ich mein Haar zu einem lockeren Knoten.

Irgendwas stimmte definitiv nicht. Allein die Sache mit den gelandeten Schiffen. Sonst interessierte es die Menschen hinter dem Eisschollenfluss nicht, was hier in Eós geschah und, dass sie Ihkart besetzt hatten, eine der fünf mächtigsten Festungen der Nord war mehr als beunruhigend. Und dann kamen auch noch die Clan-Chiefs, alle?! Das verhieß nichts gutes, vor allem, da unser Clan seit Jahrhunderten mit den Fluss-Clans im Westen der Highlands im Klinsch lag. Zwar waren wir nicht verfeindet und töteten uns gegeneinander, aber wir waren nicht gut auf diese seltsamen, am unterentwickelsten Menschen, zu sprechen.

Es musste ernst sein, wenn sich diese Halbaffen hierher trauten.

Als wir das Haupthaus betraten, das von Clan-Mitgliedern jedes Clans umzingelt war, die nicht hinein durften, fand ich meine Mutter gleich am Eingang.

»Wo ist Sharon?«, fragte ich sie über den Lärm der diskutierenden Ältesten, meine Mutter.

Sie strich mir über den Oberarm. »Celtia kümmert sich um sie. Sie sind am Lagerplatz spielen gegangen. Sie soll das alles noch nicht so mitkriegen.«

Ich nickte und folgte dann meinem Ehemann, der mich fort, weiter in die Mitte zog.

Dort waren die Bänke zu einem Kreis zusammen geschoben und im Licht des Feuers, das hinter Nukha brannte, sah er aus wie Vater. Die Brust glatt und nackt und mit den grünen Zeichen des McCain-Clans bemalt, das Haar zerwuschelt und feucht, wohl vom Baden, und den Rock unseres Vaters fest um die Hüften geschlungen. Er sah älter aus, als er war. Beinahe wie Vater in jung.

Neben ihm stand ein großer, schmaler Mann mit milchweißer Haut und Haar, so schwarz wie die Nacht. In gewisser Weise hätte er Sitka ähnlich sehen können, doch dafür war das helle Silbergrau seiner Augen zu kalt. Dieser Mann konnte nicht älter als dreißig sein, denn seine Augen zeigten keinerlei Fältchen. Er stand ebenfalls mit nacktem Oberkörper da, trug jedoch den Rock mit den Farben der Voodoo-Clans, die Clans, die den Geistern in ihrer Grausamkeit am nächsten sein sollten. Sie waren allein dadurch bekannt, dass sie ab und zu ein Menschenopfer brachten und junge Mädchen in Ritualen die Jungfräulichkeit stahlen. Einige Geschichten waren so brutal, dass ich sie mir gar nicht ausmalen wollte, allein, die Geschichten um diesen Clan-Anführer war schrecklich. Angeblich soll er von einem Wassergeist und einem neunjährigen Mädchen gezeugt worden sein. Ob man diesen Geschichten Glauben schenken mochte, war jedermanns eigene Sache. Ich wollte sie schlichtweg nicht glauben.

Neben diesem stand ein relativ kleiner Mann, kräftig und muskulös, doch das Haar an seinen Schädelseiten war bereits gräulich und durch ein Auge verlief eine lange Narbe, die das Auge milchig trüb machte. Er trug das helle Orange der Tal-Clans im Süden der Highlands.

Was mich jedoch überraschte, dass unter ihnen eine Frau war, die das Grau der nördlichen Highland-Clans auf ihrem Rock trug und noch relativ jung aussah. Vielleicht so alt wie Nukha, vielleicht sogar jünger. Dennoch war ihr Gesicht mit der Weisheit und dem Ernst einer Erwachsenen gezeichnet. Sie trug ein ledernes Brustband, wodurch man jedoch ihren schmalen, flachen Bauch und den Bauchnabel sehen konnte, auf dem das Licht des Feuers tanzte.

Der letzte Chief war ein älterer Mann mit weißem Haar und ebenfalls bemaltem Oberkörper. Er trug das dunkelblau der Berg-Clans. Die sturmgrauen Augen hatte er auf meinen Bruder gerichtet und musterte ihn argwöhnisch, was mir überhaupt nicht gefiel.

Als Sitka sich mit mir an der Hand durch die Massen einen Weg bahnte, wandten alle den Blick zu uns. Sitka umschlang mit einem Arm meine Taille, was irgendwie gezwungen und angespannt wirkte. Schon die ganze Zeit konnte ich den Muskel in Sitkas Kiefer zucken sehen, was immer dann geschah, wenn er nervös war.

Nukha trat vor, in die Mitte der Bänke. »Sitka, die Situation ist ernst«, sagte er angespannt.

»Was ist passiert?«, fragte mein Ehemann und der Griff um meine Mitte wurde beinahe schmerzvoll.

»Was passiert ist?«, fauchte die weibliche Chief. »Diese Wichser haben meinen Clan beinahe zerschlagen, nur, weil sie auf der Suche nach dir sind! Sie brannten unsere Zelte nieder, schlachteten Frauen und Kinder ab und ließen die gefangenen Männern auf Knien auspeitschen, sodass es ihnen das Fleisch vom Rückgrat trennte!«

Sitkas Blick loderte regelrecht. »Woher wisst Ihr, dass sie mich suchen?«

»Sie sagten, dass sie niemandem ein Haar krümmen würden, sobald wir ihnen sagen würden, wo ein Mann namens Sitka Frais ist. Wir wussten natürlich nicht, dass es dich überhaupt gibt.«, antwortete sie bissig. »Von rund eintausend Highlander meines Clans, sind einhundertfünfzig übrig. Einhundertfünfzig!«

Nukha warf ihr einen strengen Blick zu. »Und Ihr seid mit Euren einhundertfünfzig Leuten im Herzen meines Clans, also hütet Eure Zunge. Allein schon wegen der Tatsache, dass Ihr ein weiblicher Chief seid, würde ich aufpassen, was ich sage, wäre ich an Eurer Stelle.«

Sie funkelte meinen Bruder an und baute sich vor ihm auf, was nicht wirklich beeindruckend aussah, da sie ungefähr meine Größe hatte, ihre Worte waren jedoch alles andere als unbeeindruckend. »Es ist die Tatsache, dass Ihr der Chief des McCain-Clans seid, weshalb ich Euch jetzt keine verpasse.«

Mir fuhr kurz ein spöttisches Grinsen über die Lippen. Bisher hatte sich kaum eine Frau getraut, meinem Bruder zu widersprechen oder gar so mit ihm umzugehen: Außer ich natürlich. Nicht einmal meine Mutter würde ihn so unverschämt und frech anfahren. Diese Frau hatte Pfeffer im Hintern!

»Das allerdings ist nicht der Grund, weshalb die Clans zusammen gerufen wurden«, unterbrach der Ältere mit den blaugemusterten Rock die beiden Streithähne, die sich gefährlich anblitzten.

»Genau«, pflichtete ihm der Voodoo-Anführer bei. »Wir sind hier, um auf die Bedrohung dieser Fremdländer entsprechend zu reagieren.«

»Liefern wir ihn aus, dann haben die was sie wollen und wir haben unsere Ruhe!«, schlug diese Frau biestig vor.

Das gefauchte »Nein« war schon über meine Lippen, bevor sie ihren Satz überhaupt zu Ende gesprochen hatte. »Nur über meine Leiche!«

Sie funkelte mich gehässig an. »Das ließe sich einrichten, Püppchen.«

Ich starrte ihr unverwandt entgegen, sogar noch, als ich Sitkas Hand beruhigend in meinem Nacken fühlte.

»Das ist keine Lösung, Elaine.«, sagte der Mann mit dem blinden Auge zu dieser Furie, die meinen Ehemann ausliefern wollte wie ein Stück Vieh. »Wir können nicht einfach einen Mann verbannen, der vielleicht Probleme über unser Volk bringt. Und so wie ich das hier sehe, müsstest du seinem Weib die Kehle aufschlitzen, bevor du ihn zu fassen kriegst.«

Ich schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Allerdings.«

»Ruhe jetzt«, befahl Nukha. »Allesamt. Wir müssen überlegt vorgehen. Vor allem, um Sitkas Willen, denn sie sind schließlich hinter ihm her.«

Elaine verschränkte eingeschnappt die Arme vor der Brust, schwieg aber. Zum Glück.

Der schwarzhaarige Voodoo-Chief trat vor und fixierte Sitka mit seinen unheimlichen hellgrauen Augen. »Ich denke, du weißt genau, was zu tun ist, nicht wahr, Fremdländer?«

Nun lag die Aufmerksamkeit ganz bei Sitka, der mich näher zu sich zog und erneut den Arm unter meinen schob und meine schmale Taille umfasste. Ich legte eine Hand an seinen Magen und grub die Finger in sein Leinenhemd.

»Ihr könnt nicht länger Jäger sein«, verkündete Sitka ruhig und alles wurde augenblicklich still. »Ihr müsst zu Kriegern werden.«

Das erste Geräusch war ein empörtes Luftschnappen von Elaine, dieser Schlange. »Wie sollen wir das deiner Meinung nach anstellen?! Unser Leben war gut und normal, kein Mensch der anderen Völker hat je gegen uns gehandelt, nicht einmal die Nord, mit denen wir diesen öden Flecken Erde teilen müssen! Bis du aufgetaucht bist!«

Ich sprang vor. »Pass auf, was du sagst!«

Sie baute sich vor mir auf, was definitiv beeindruckender aussah, als bei Nukha. »Was willst du dagegen tun, Hausmutti?! Du bist nur ein Flittchen mehr, das ein Mann an einen anderen Mann gegeben hat, du hast hier überhaupt nichts zu melden!«

Plötzlich wurde ich von Sitka weggeschoben und nun baute er sich vor dieser Zicke auf und zwar zu einer sehr beeindruckenden Größe. Er packte den Stoff seines Hemdes und zerrte ihn sich über den Kopf. »Damit du siehst, dass ich mir die nächsten Worte nicht ausdenke«, brüllte er beinahe und wirbelte herum.

Entsetztes Aufkeuchen war zu hören.

»Diese Männer sind grausam und ich war einer von ihnen. Bis ich endlich klar im Kopf geworden bin und den Gehorsam verweigert habe. Ich habe den Gehorsam verweigert, wurde ausgepeitscht und zum Tode verurteilt! Die Götter wissen, weshalb sie mich nicht haben sterben lassen. Was glaubst du, werden sie mit Männern tun, die sich ihnen in den Weg stellen? Was glaubst du, was sie mit Frauen tun werden, die das tuen?« Er drehte sich wieder herum und taxierte sie mit einem langen Blick. »Aber was glaubst du, werden sie mit ihnen machen, wenn sie sich nicht wehren?«

Das hatte sie nun endgültig zum Schweigen gebracht und sie zog sich in eine hintere Ecke zurück.

»Sag uns, was sie tun werden.«, forderte Nukha.

Sitka sah sichtlich gequält aus, sodass ich nach seiner Hand griff und sie drückte. Dankbar blickte er mich an. »Sie werden alle abschlachten, egal, ob ihr mich ausliefert oder nicht. Das hier ist ein großes Land, viel Platz und ihr... ihr seid leicht zu beseitigen.«

Nukha nickte verstehend und rieb sich wie gewohnt die Nasenwurzel.

»Was werden wir unternehmen?«, fragte Mann mit dem blinden Auge.

»Das, was wir schon viel früher hätten unternehmen müssen«, sagte Nukha schließlich. »Wir werden uns dem Fortschritt der Welt anschließen müssen und zu Kriegern, zu Soldaten werden.«

»Dann wird es so sein«, erklärte der Voodoo-Chief und warf seinen Speer ins Feuer. »Ich nehme an, dass wir Stahl brauchen werden.«

Sitka nickte. »Ihr werdet Schmieden errichten müssen. Ich werde Euch zeigen, wie man kämpft.«

Dankbar sah Nukha ihn an. »Bis dahin, werden wir uns ausruhen müssen. Geht. Morgen werden wir damit beginnen, alles vorzubereiten.«

 

»Warum rennst du denn so? Sitka? Hallo?! Ich fliege gleich auf die Schnauze!«, rief ich, aber Sitka zerrte mich unermüdlich hinter sich her, während um uns herum alles so wirkte, als wäre Chaos ausgebrochen. Kaum eine Fackel brannte, damit uns in der Ferne niemand sehen konnte und dennoch versuchten unsere ›Gäste‹ ihre Zelte aufzuschlagen und Essen zu besorgen. Andere widerrum waren so nervös von den Neuigkeiten, dass sie sofort anfingen Messer und Speere zu bauen, um sich wenigstens halbwegs verteidigen zu können.

Als wir schließlich in unserem Zelt ankamen, wo die letzten glühenden Kohlen duselige Lichter warfen und unheimliche Schatten an die Zeltwände malten, lieg er mich erst los, nachdem er mich auf das Bett gesetzt hatte. Um mein Handgelenk war ein roter Handabdruck zu sehen, so fest hatte er zugedrückt.

Doch der leicht pochende Schmerz war vergessen, als er mein Gesicht sanft mit seinen großen Händen umfasste. »Bei den Göttern«, flüsterte er gequält und ließ mich wieder los. Es schien ihm plötzlich regelrecht Schmerzen zu bereiten, mich anzufassen.

Verwirrt berührte ich seine Hand. »Was ist denn los?«, fragte ich verwirrt.

»Ivolet, du musst mir jetzt ganz genau zuhören, verstanden?«

»Was ist los?«, fragte ich noch einmal. Mein Herz fing an wie wild zu rasen, irgendwas stimmte ganz und gar nicht!

»Versprich mir, ganz genau zuzuhören«, flehte er.

Allmählich geriet ich in Panik. »Verdammt nochmal, was ist los, Sitka?!« Mein Herz wummerte gegen meine Rippen.

»Götter«, fluchte er leise. »Es tut mir so leid, Ivolet. Ich... ich habe dich angelogen.«

»Was meinst du?«

Er atmete ein paar Mal tief durch, was sich wie Stunden anfühlte in der unendlichen Stille unseres Zeltes. »Ich war Soldat, das habe ich dir gesagt. Und ich wäre eigentlich tot, wäre das Schicksal mir nicht gnädig gewesen, das stimmte auch, genauso wie das mit dem Gehorsam. Aber diese Männer sind nicht hier, um mich zu fangen und meiner gerechten Strafe zuzuführen, was wahrscheinlich nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen wäre, würde sie wissen, dass ich am Leben bin... Was ich versuche, dir zu sagen ist, dass... Sie greifen dieses Land mit Absicht an.«

Mir wich jegliche Farbe aus dem Gesicht und mein Atem stockte. »Was sagst du mir da?«

»Ich war kein einfacher Soldat. Ich war Leutnant, ich... ich habe Männer befeligt, ich habe Männer getötet.«

Ich versuchte nach seinen Händen zu greifen, um Halt zu haben, denn ich hatte das Gefühl, er würde mir gleich etwas unglaublich schreckliches anvertrauen. Etwas, das mir nicht gefallen würde. »Aber das tut doch jeder Soldat«, flüsterte ich heiser und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen vor Angst.

»Nein, Ivolet. Ich habe nicht nur Männer getötet.«

Ich starrte ihn an.

»Die schwarzen Ritter von Dumloch... Dieser Orden wurde gegründet, um zu erobern. Wir waren dafür da, die Menschen, die auf einem wertvollen Schatz sitzen - Land, Mienen, Burgen - zu verdrängen.«

Als hätte er mir einen Schlag gegeben, sprang ich zurück und saß nun in der Mitte unseres Bettes. »Ihr schlachtet sie ab.«, hauchte ich und begriff. »Sie wollen nicht dich, sie wollen... sie wollen die Highlands. Den Norden.«

»Sie wollen ganz Eós, Ivolet. Ihr habt keine Vorstellung davon, wie groß das Land des ewigen Eises wirklich ist. Es ist dreimal so groß wie Eós.«, sagte er und versuchte die Traurigkeit über meinen Hautkontraktabbruch zu verbergen, er schaffte es nicht.

»Du hast sie direkt hierher geführt«, sagte ich wie in Trance.

Ich konnte es noch immer nicht fassen. Mein Mann hatte zu einem Orden gehört, der Frauen und Kinder abgeschlachtet hatte. Er war ihr Anführer gewesen! In mir rumorte es und ich hatte das Gefühl zu ersticken und mich gleichzeitig übergeben zu müssen. Wie viel Blut hatte der Mann, dessen Name ich trug, an den Händen? Wieviele Kinder hatte er abgeschlachtet oder den Befehl gegeben, dies zu tun? Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter, wenn ich daran dachte, dass diese Ritter in unser Lager einfallen würden und die Menschen töteten oder versklavten, die ich liebte. Meine Mutter... mein Bruder. Wenn ich mir vorstellte, ihn auf Knien und mit einem Halsband um die Kehle zu sehen, drehte sich mir der Magen um. Sharon... diese Männer würden sie vergewaltigen. In mir schrie eine Stimme vor Zorn und Qual auf.

»Ivolet«, flehte er und umrundete das Bett.

»Fass mich nicht an!«, schrie ich und rollte mich von den Fellen, wich zur Kommode aus. »Du wusstest es... du wusstest, dass sie nach Eós kommen!«

Er ließ die Schultern hängen und sein kummervoller Blick war auf den Boden gerichtet.

Das war mir Antwort genug.

Mir schossen die Tränen über die Wangen und ich presste die Lippen aufeinander, um nicht aufzuschluchzen, schüttelte heftig den Kopf. »Du hast mich angelogen... wieso? Weil ich die dumme, ungebildete Wilde bin, die nicht einmal weiß, woher Eisperlen kommen? Weil ich nicht begreifen würde, was du versuchst mir zu sagen?!«

Er sprang einen Schritt auf mich zu, aber ich wich erneut zurück. »Ich halte dich nicht für dumm, Ivolet. Das habe ich nie getan. Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich genau wusste, dass du so reagieren würdest. Ich hatte Angst, du würdest mich hassen, was so einfach wäre, weil wir uns kaum kennen.«

Das war mir nicht genug. »Ich hasse dich nicht. Ich bin enttäuscht. Wir gaben uns das Eheversprechen, Sitka. Zwar habe ich es mir nicht ausgesucht, dich zu heiraten, und dennoch tat ich es. Ich schenkte dir meine Jungfräulichkeit! Und dennoch glaubst du, dass du mit mir nicht über dein Leben reden kannst?«

Wieder schwieg er und sah beschämt auf den Boden.

»Immer, wenn du mich gebeten hast, etwas über mich zu erzählen, habe ich das getan. Aber im Gegenzug, erzähltest du mir irgendwelche Märchen, die man in eurem Land Kindern erzählt, damit sie einschlafen. Du hast mir nur von deinen Eltern erzählt, aber davon... warum?«

»Ich hatte Angst«, gab er wahrheitsgemäß zu. »Ich wusste, ich würde dich verlieren. Und dabei habe ich dich gerade erst bekommen.«

Er wandte sich von mir ab und ging zum Zelteingang.

»Wo gehst du hin?«, fragte ich und folgte ihm, bis ich hinter ihm stand.

Eine Weile starrte Sitka in die Sterne - war es so schnell Abend geworden? Plötzlich wirbelte er herum, umfasste sanft und zart mein Gesicht und küsste mich besitzergreifend. Es fühlte sich, obwohl ich diese schreckliche Wahrheit nun kannte, noch immer wie mein Ehemann an. Es war so verwirrend.

Als er sich löste, lehnte er die Stirn gegen meine und drückte mir ein Stück kaltes Metall in die Hand. Es war scharf. »Ich will, dass du diesen Dolch immer bei dir trägst. Tag und Nacht. Etwas anderes werde ich nie wieder von dir verlangen, weil ich es nicht verdient habe. Heute Nacht werde ich vor dem Zelt wachen und du ruhst dich aus. Und morgen gehe ich nach Winterfeste.«

»Was? Nein!«

»Ich muss. Hab keine Angst, ich werde euch nicht verlassen. Aber ich will Vorkehrungen treffen, falls mir etwas zustößt.«

In meiner Brust wurde es eiskalt und das Atmen fiel mir plötzlich schwer. »Was meinst du damit? Es wird dir nichts zustoßen, du... du bist mein Ehemann, dir wird nicht zustoßen!«

Ich schloss die Augen und schluchzte gequält auf, als er meine Wange mit seiner großen Hand streichelte und meine Augenlider küsste. Der Streit von eben war beinahe vergessen.

»Ich will, dass du in Sicherheit bist. Als ich nach Eós geschwommen bin, gab es keinen Sinn in meinem Leben, nichts, wofür es sich lohnte, zu kämpfen. Aber jetzt habe ich dich und du bist das wichtigste in meinem Leben, Ivolet. Du bist meine Frau und ich werde dich beschützen, egal, was es kosten möge. Und nun geh zu Bett, bitte.«

Damit ließ er mich los und verschwand hinter dem Eingangsfell, das ich gefühlte Stunden anstarrte, das schmerzende Ziehen in meinem Herzen aushaltend. Hart schluckte ich gegen den Kloß in meiner Kehle an. Ich konnte es noch immer nicht ganz fassen. Mein Mann war ein Ex-Ritter, der Menschen abgeschlachtet hatte, die auf irgendeiner Scheiße saßen, die sie haben wollten. Und nun saß ein ganzes Volk auf einer einzigen großen Scheiße, die sie haben wollten: Ganz Eós.

Zehn

 

Mein Blick war schon seit Stunden auf die Hufabdrücke des Pfades gerichtet und ich konnte sie auch nicht abwenden, so sehr ich diesem Anblick und dem Schmerz in meinem Herzen auch entkommen wollte. Sie hielten mich fest, wie das Netz einer Spinne ein Insekt gefangen hielt. Meine klammen, kalten Finger hatten sich in das Wolltuch gekrallt, das ich um die Schultern trug und das Haar hing mir in nassen Strähnen ins Gesicht, da es einfach nicht aufhören wollte zu regnen. Doch das alles war mir egal, denn ich konnte die Gedanken und Erinnerungen an heute Morgen einfach nicht abschütteln.

Sitka war morgens früh in das Zelt gekommen, wahrscheinlich hatte er gehen wollen, bevor ich erwachte, aber ich hatte die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan. Auf mein Flehen und Weinen und letztendlich Schreien hatte er nicht gehört, hatte sich warm angezogen, einen Speer und Vorräte eingepackt, bevor er zum Zelt des Pferdezüchters Mor gegangen war und sich das schnellste und beste Pferd hatte geben lassen. Auf dem Weg war ich ihm hinterher gerannt und hatte ihn immer wieder eindringlich angebettelt, dass er doch nicht einfach verschwinden könne. Auch zum Hundezwinger war ich ihm gefolgt, dort hatte er sich einen großen, starken Schäferhund hatte geben lassen und war zum Lagerrand aufgebrochen.

Hör auf dich zu benehmen, wie ein Kind, Ivolet!, hatte er mich schließlich angefahren, woraufhin ich verstummt war und ihn angestarrt hatte.

Dieser Satz hatte gesessen und obwohl er mich hatte in seine Arme ziehen wollen, wandte ich mich von ihm ab. Daraufhin war Hufgetrappel erklungen und im nächsten Moment war er fort gewesen. Hatte mich zurückgelassen, hier, obwohl jeden Moment eine Streitmacht seines Volkes auftauchen und uns alle abschlachten könne. Nukha war nicht besonders begeistert gewesen, als er gehört hatte, dass Sitka fortgeritten war.

»So wie es aussieht, ist dein Ehemann abgehauen, bevor ihn dasselbe Schicksal ereilt, wie uns alle.« Ich musste mich nicht umdrehen, um Elaines Stimme zu erkennen. Aber ich war auch nicht in Stimmung, mich mit ihr zu streiten, auch, wenn ein Teil von mir - der Teil, den ich seit meiner Hochzeit nicht mehr oft gespürt hatte - ihr eine freche Antwort geben wollte. Aber ich wusste es besser. Die schüchterne, verantwortungsvolle Ivolet wusste es besser.

»Ja«, sagte ich tonlos und richtete meinen Blick in den sturmgrauen Himmel. Es würde definitiv ein Unwetter aufziehen, das schlimmer war, als die paar Regentropfen von jetzt.

Als Elaine neben mich trat, schien sie verdutzt, weil ich ihr so leicht Recht gab. Aber es interessierte mich auch nicht, was sie dachte. Es interessierte mich eigentlich überhaupt nicht, was irgendwer dachte, weil ich wusste, was sie dachten. Sie dachten, dass Sitka uns alle im Stich ließ und vor allem, mich. Und allmählich glaubte ich das auch. Warum schon sollte er zurückkehren, wenn hier nur der Tod auf ihn wartete? Wir hatten ihn gesund gepflegt, mein Bruder hatte ihm eine Frau gegeben und alles, was wir hatten mit ihm geteilt. Nun schien dieses Buffet in Gefahr zu sein, sodass er schnell das Weite suchte.

Ich blickte Elaine an, die mich mit ausdrucksloser Miene musterte, dann lächelte ich bitter und zuckte die Schultern. »Aber wenigstens noch ein junges Ding gevögelt, nicht wahr?« Ich wandte mich ab und trat den Heimweg an. Aber ich konnte nicht in unser Zelt zurück, daran hingen schon zu viele Erinnerungen, obwohl wir uns erst so kurz kannten.

Wie hätte ich je glauben können, Sitka wirklich zu kennen? In den Wochen, in denen wir verheiratet gewesen waren - sie waren einfach zu kurz gewesen - hatte ich einige Angewohnheiten von ihm beobachten können und war so töricht gewesen, zu glauben, da schon seinen ganzen Charakter entschlüsselt zu haben und zu kennen. Oft hatte ich ihm dabei zugesehen, wie sich sein Kiefer verspannte, wenn er nervös war oder nachdachte, hatte das Blitzen in seinen Augen für Freude gehalten, wenn er mich in die Arme genommen hatte und war fasziniert gewesen, wenn er genüsslich die Augen geschlossen und den Mund ungläubig geöffnet hatte, wenn ich für ihn gekommen war. Allein diese Erinnerung trieb mir die Tränen in die Augen. Ich hatte ihm so viel gegeben, hatte ihm vertraut, obwohl wir einander fremd gewesen waren.

Und nun war er ohne ein Wort gegangen. Einfach so.

Meine Tränen vermischten sich auf meinen Wangen mit den Regentropfen, sodass ich möglichst wenig das Gesicht verzog. Niemand sollte sehen, dass es mir solche Qualen bereitete, zu wissen, dass Sitka mich hatte sitzen gelassen hatte.

Leises Stöhnen, lustvoll und unfassbar heiß ließ mich aufschauen. Blinzelnd blickte ich mich um. Langsam folgte ich den Geräuschen, da es mich wunderte, in dieser Situation noch solche Geräusche zu hören. Schließlich könnten wir jeden Augenblick angegriffen werden und wer hatte da noch Gedanken für solche banalen Dinge wie Sex?

In einer dunklen, verborgenen Niesche zwischen zwei Zelten stand eine Frau mit rabenschwarzem Haar, der Rock bis zu den Brüsten hoch gezerrt. Jetzt erst erkannte ich sie, es war Kaith. Celtias beste Freundin seit Kindertagen. Und hinter ihr...

Ecren.

Ich schlug mir eine Hand vor den Mund, als ich den Verrat erkannte, den ich gerade entdeckt hatte. Deswegen war Celtia so seltsam, deswegen aß sie kaum und schlief schlecht, wachte jeden Morgen mit noch dunkleren Augenringen auf und wurde immer magerer. Ecren, den sie hatte heiraten wollen, mit dem sie bereits einige sexuelle Erfahrungen geteilt hatte, schlief mit ihrer besten Freundin. Kaith hatte meinen besten Freund verführt, er hatte meiner Cousine das Herz gebrochen.

Immer wieder stieß er in Kaith hinein, sodass ihre weißen Schenkel und ihre mit schwarzem Haarflaum verzierten Schamlippen erzitterten. Mir wurde übel, als ich das sah. Diesen Verrat.

Ein Teil von mir - der, der schon immer Feuer im Herzen gehabt hatte - wollte das am liebsten sofort unterbinden, wollte losstürmen und ihm am liebsten den Schwanz abschneiden, dafür, was er meiner Cousine antat, in diesem Augenblick! Der andere wollte nur so schnell wie möglich zu Celtia und sie in die Arme nehmen. Wütend gruben sich meine Fingernägel in meine Handflächen, so sehr ballte ich die Fäuste.

»Was fällt dir eigentlich ein!«, kreischte ich nicht gerade leise und sprang aus meinem Versteck hervor.

Erschrocken quiekte Kaith auf und schob sich den Rock über die entblößte Mitte, taumelte zurück, nachdem Ecren sich schnell die Hose hoch zerrte und mich mit bleichem Gesicht anstarrte.

»W-was machst du denn hier, Ivolet?«, stammelte er.

Ich starrte ihn fassungslos an, bevor mein Blick glühend vor Zorn zu dieser billigen Schnepfe fuhr. Sie raffte ihren Rock und rannte davon. Ich sah zurück zu meinem ehemaligen besten Freund. »Was zur Hölle veranstaltest du hier bitte?! Celtia magert sich zu Tode wegen dir und du hast nichts besseres zu tun, als ihre beste Freundin in aller Öffentlichkeit zu vögeln? Was soll das?!«

Beschämt ließ er die Schultern sinken. »Weiß auch nicht.«

WAS?! »Ist das alles, was dir dazu einfällt? ›Weiß auch nicht‹?«, fauchte ich.

»Ich wollte halt mehr von ihr, aber sie will unbedingt bis zur Hochzeit warten und-«

»Weil es unser Brauch ist!«, schrie ich ihm ins Gesicht. »Und dann denkst du dir, du nimmst dir irgendeine andere, die das mit dem Brauch nicht so eng sieht... Ich glaub, es hackt! Verschwinde, geh mir aus den Augen, du widerst mich nur an!«

»Ivolet«, versuchte er es und streckte die Hände aus - die Hände, die Kaith eben noch an den intimsten Stellen berührt hatten!

Ich entzog mich ihm. Vielleicht war meine Wut auch teilweise die, die Sitka verdiente, aber im Moment war nur Ecren da, um diese Wut abzuladen. Und ich wollte so wütend auf ihn sein, wie ich nun mal war. Es war einfach abstoßend.

»Geh einfach«, knurrte ich und sah ihm hinterher, wie er zwischen den Zelten verschwand. Ich kniff die Augen zusammen und stöhnte frustriert auf. Alles in meinem Leben schien auf einmal den Bach runter zu gehen. Mein bester Freund entpuppte sich, als Ehebrecher, bevor er überhaupt in der Ehe war; ein Mädchen meines Clans - Kaith - schien es mit den Traditionen nicht so genau zu nehmen; meine Cousine hatte sicher schon zehn Pfund abgenommen, da sie dieses Geheimnis bereits kannte und es nicht verkraftete; ganz Eós würde bald von einer todbringenden Ritterarmee überrannt werden; und zu guter Letzt hatte sich mein Ehemann aus dem Staub gemacht, nachdem er sein Leben hier noch versüßt bekommen hatte, indem er mich besteigen durfte. Hatte ich irgendwas vergessen?!

Ich vergrub stöhnend das Gesicht in den Händen und blieb eine Weile an Ort und Stelle stehen, meine Schultern bebten vor heftigen Schluchzern, bis ich mir selbst in den Hintern trat. Ich musste nun Haltung bewahren, um nicht auch noch so zu enden, wie meine Cousine. Auch, wenn mich der Gedanke graute, heute Nacht in Sitkas und mein Zelt zurückzukehren, sein Geruch in den Bettfellen zu haben und seinen muskulösen und schützenden Körper doch nicht bei mir zu wissen. Ob er je wiederkehren würde? Wahrscheinlich nicht und doch war es auf eine seltsame Art und Weise okay für mich. Die realistische, pflichtbewusste Ivolet wusste, dass er nicht wieder kommen würde und das heulen und trauern doch nichts daran ändern konnte, während die impulsive und feurige Ivolet sich am liebsten unter dem Bett vergraben und den ganzen Tag durchweinen wollte, weil ich ihn doch auf eine bestimmte Art und Weise gemocht hatte. Von Liebe wollte ich nicht sprechen, dafür waren wir einfach zu kurze Zeit zusammen gewesen und hatten einander nicht gekannt. Aber es war eine Vertrautheit in allen Dingen gewesen, die ich vermisste. Das Grübchen zum Beispiel, das sich in seiner Wange gebildet hatte, wenn er gegrinst hatte. Oder die Art, wie er die unbedeutsamsten Stellen meines Körpers geküsst hatte und mir dabei eine Gänsehaut beschert hatte.

Ich schüttelte all diese Gedanken ab, straffte meinen Rücken und stapfte entschlossen durch das Lager, auf der Suche nach Celtia. Barbatunde hatte gesagt, dass sie sich neuerdings häufig bei den Hundezwingern aufhielt, nur um nicht in ihr Geburtszelt und zu ihrer Mutter zu müssen. Tatsächlich fand ich sie auch dort.

Es war ein Zelt, an den eine Umzäunung grenzte, die in mehrere kleine Gehege unterteilt waren. Die Hunde waren heute seltsam still und befanden sich alle im Zelt, wegen dem Regen. Nur Celtia saß auf einem Fass neben dem Gehege und kraulte einen völlig durchnässten braunen Hund mit Schlappohren unter dem Kinn.

Ich blieb neben ihr stehen und als sie zu mir hoch blickte, verschleierte sich ihr Blick, denn sie musste gesehen haben, dass ich es wusste. Ihre Arme schlangen sich um meine Mitte und ich legte die Hände an ihren Hinterkopf, das sie das Gesicht an meinem Bauch in meinem nassen Fellkleid vergrub. Sie schluchzte haltlos auf und mir kamen selbst die Tränen. Jedoch nicht, weil ich Mitleid mit ihr hatte, sondern, weil ich mich genauso verlassen und verraten fühlte, wie sie. Ich hingegen ertrug mein Leiden still.

Eine ganze Weile bebte sie an meinem Bauch, während ich in den grauen Himmel starrte und still die Götter fragte, warum das Leben einer Ehefrau so grausam sein musste. Sie antworteten mir jedoch nicht.

 

Die Wochen verstrichen zähflüssig und langsam und im Lager herrschte Anspannung. Die Männer versuchten krampfhaft auch ohne Sitkas Unterstützung das Lager so modern und fortschrittlich wie möglich zu gestalten und aufzurüsten. Sie fingen an, eine Palisadenmauer zu bauen, wozu sie erst einmal Bäume fällen mussten und diese ins Lager schafften. Und so passierte das unausweichliche. Die Clans schlossen sich zusammen, sendeten Boten in ihre Lager, um alles zusammen zu packen und zu uns zu ziehen, da unser Lager das strategisch best gelegenste war, von allen fünf Clans. Das zusätzliche Baumaterial der anderen Clans half uns zusätzlich und die Nahrung war ebenfalls gestiegen, sodass Sharon schon bald an Gewicht zunahm und nicht mehr so entsetzlich dürr von ihrer Krankheit aussah.

Celtia und ich verbrachten mehr Zeit als jemals zuvor, einfach, weil wir den Schmerz der jeweils anderen nachvollziehen konnten. Sitka hatte mich verlassen und es gab kein Lebenszeichen in den nächsten sechs Wochen und Celtia hielt sich strikt von Ecren fern, den wir nur manchmal zu Gesicht bekamen. Ich wusste, dass die Verlobung hinfällig war und er mit seinem Fehler Schande über sich und seinen Vater gebracht hatte, der schon lange von einer Heirat in die Hauptfamilie des McCain-Clans geträumt hatte. Nun würde Ecren nie wieder in die Familie einheiraten können. Alles war zunichte gemacht.

In den Wochen wurde auch der Regen schlimmer und erschwerte den Bau der Mauer, um das Lager zu schützen, das wir verzweifelt versuchten auszubauen, indem wir anfingen, auch die Zelte zu Hütten aufzurüsten. Wir orientierten uns dabei am Bau unseres Haupthauses, das zuerst mit Holz und die untere Schicht am Boden mit Stein befestigt war. Außerdem sammelten wir nun trockene Gräser, um daraus auch Heu und Stroh zu machen und die Dächer zu befestigen. Wir schafften es eine Hütte zu bauen, die wir den Druiden zur Verfügung stellten, denn sie waren am wichtigsten für das Lager. Sie versorgten die Kranken und Verletzten.

Außerdem änderte sich etwas entschieden: Die Clan-Chiefs hatten eine Art Rat gegründet und entschieden alles gemeinsam. Das musste so sein, sonst würde Chaos ausbrechen und Streit geben, wer nun über alles entscheiden sollte.

Eines an all dem gefiel mir jedoch überhaupt nicht: Mein Bruder verbrachte erstaunlich viel Zeit mit meiner Lieblingszicke Elaine, die jede passende Gelegenheit nutzte, um sich mit mir zu zoffen. Ich nahm diese Herausforderungen gerne an, es lenkte mich von dem eigentlichen Gefühlschaos in mir ab, den Sitka zurückgelassen hatte, als er gegangen war.

Jeden Morgen wachte ich mit Sitkas Geruch in meiner Nase auf und weinte stumm in die Felle und Kissen, nur um danach wütend aufzuspringen und sie wieder einmal zu wechseln, aber egal, wie oft ich die Felle am Bach wusch, egal wie oft ich sie wechselte und verzweifelt versuchte mit Mohn und irgendwelchen Blumen einen anderen Geruch hinein zu reiben, der Duft von Harz und Baumrinde blieb. Es machte mich einfach nur fertig. Er war einfach weg.

Und so stand ich auch diesen Morgen wieder auf und schmiss verzweifelt die Felle vom Bett, doch an diesem Morgen hatte ich kaum Kraft, sie wieder aufzuheben und zu wechseln. Es war merkwürdiger Weise nicht die sonstige mentale Kraft, die mich verließ, sondern die körperliche. Schnaufend setzte ich mich auf die Truhe am Bettende, die ich bei einem plötzlichen Umräumungsanfall dort hin geschoben hatte und atmete ein paar Mal heftig ein und aus.

Die Eingangsfelle wurden zur Seite geschoben und Nukha trat ein. Doch bei seinem Anblick drehte sich mir so schlagartig der Magen um, dass ich mich nur vorbeugen konnte und mich heftig erbrach. Ich hörte, dass er meinen Namen sagte und spürte, wie er mir das Haar zu einem Rossschweif zusammenhielt, damit ich es nicht besudelte, aber in mir gab es nur diese grässlichen Magenkrämpfe, die mich durchschüttelten. Tränen flossen mir über die Wangen, als Nukha mich an seine Brust zog und mir den Mund abwischte. Schluchzend drückte ich mich an ihn.

Seit Sitka gegangen war, hatte ich nicht öffentlich gezeigt, wie schlecht es mir wirklich ging. Dass mich Alpträume plagten und ich kaum Appetit hatte und wenn, dann nur auf seltsame Sachen wie Knollen mit Mutters Johannesbeermarmelade. Und wie sehr ich meinen Ehemann vermisste.

Beruhigend strich mir Nukha über den Rücken und wiegte mich sanft vor und zurück.

»Ich hasse ihn«, wisperte ich an seinem Leinenhemd. »Ich hasse ihn dafür, dass er mich verlassen hat...«

Er legte die Wange auf meinen Kopf und hielt mich nur fest. Ich wusste, wie sehr Nukha unter der ganzen Situation litt, wie er sich die Schuld daran gab, dass auch der zweite Kandidat, an den er mich auch wirklich verheiratet hatte, mir wehtat.

»Es tut mir so leid«, flüsterte er in mein Haar und hielt mich noch fester. »Ich wollte nie, dass du so leiden musst... ich bin ein schrecklicher großer Bruder.«

Wimmernd schüttelte ich den Kopf, aber durch den Kloß in meinem Hals konnte ich ihm nicht sagen, dass das nicht stimmte. Er hatte immer nur das beste für mich gewollt, auch, wenn er zunächst die falsche Entscheidung getroffen hatte, indem er Kédar ausgewählt hatte. Die zweite Wahl war überwältigend gut gewesen, zu gut, um vollkommen zu sein. Und so war es letztendlich auch. Sitka hatte mich im Stich gelassen. Niemand hatte von ihm gehört, seit er abgereist war.

Er umschlang meinen Rücken und meinen Bauch und stutzte. Seine Hand tastete nach meinem Unterleib und ich zuckte zusammen, als er auf einer kleinen, aber gut fühlbaren Wölbung Halt machte. Seine Hand schloss sich darum und ich spürte, wie er den Atem bebend in mein Haar strömte. Auch ich war wie erstarrt, als ich nach seinen Fingern tastete und meinen angeschwollenen Unterbauch befühlte.

»Das ist unmöglich«, stieß ich hervor.

Nukha schluckte hörbar. »Wenn ich ihn jemals wiedersehe, bringe ich ihn um.«, knurrte er mit unterdrückter Wut.

Heftig fuhr ich zusammen und meine Hand verkrallte sich in meinem Nachtkleid. »Bist du wütend auf mich?«

Erschrocken sah Nukha zu mir herunter. »Bei den Göttern und allem, was mir heilig ist - Nein, Ivolet! Ich... ich bin nur etwas geplättet.«

Langsam nickte ich. »Ich auch«, hauchte ich wie in Trance.

Konnte es denn möglich sein? Natürlich, wieso nicht... Schließlich hatten Sitka und ich nicht selten beieinandergelegen. Es war klar, dass das irgendwann passieren musste. Aber warum musste ich ausgerechnet dann schwanger von ihm sein, wenn... wenn er nie wieder kommen würde? Jetzt war ich völlig alleine.

Wieder flossen mir die Tränen über die Wangen und mit schmerzverzerrter Miene presste ich mein Gesicht in Nukhas muskulöse Brust. Er umschlang meinen schmalen Körper fest mit seinen kräftigen Armen und wiegte mich vorsichtig vor und zurück. Das alles musste ein schrecklicher Alptraum sein. Es musste einfach!

 

Mit glasig leeren Augen starrte ich eine Stunde später an die Decke der neugebauten Hütte und war in einem grässlichen tranceähnlichen Zustand gefangen, in dem es nur einen Gedanken gab. Nämlich, dass Sitka fort war und ich sein Kind im Leib trug. Höchstwahrscheinlich. Nukha hatte auf Nummer sicher gehen wollen und hatte mich zu den Druiden geschleppt. Allerdings bestand er darauf, nur Riegel, unsere Druidin, an mich heran zu lassen, die anderen sollten die Hütte verlassen.

Und nun lag ich auf der Pritsche, spürte den kalten, mit einer eklig schmierigen Paste bedeckten Finger der Druidin in meiner Scheide, wie sie darin umher tastete und dann den Finger wieder heraus zog.

Meine Mutter, Nukha und Sharon standen an der Tür und warteten, bis ich meinen Rock wieder über meine Beine gestriffen hatte und die Druidin die Trennwand beiseite schob. Mit einem Seufzen setzte sich die alte Frau in ihren Sessel, auf den sie auch in der Hütte nicht verzichten wollte.

»Ich kann sehr eindeutig sagen, dass Ivolet in Kind unter dem Herzen trägt«, sagte Riegel und starrte ins Feuer des neu gebauten Kamins.

Mir flossen stumm die Tränen über die Wangen. Ein Kind... von ihm, das ich jedoch ohne ihn großziehen würde. Mein Herz zerriss in tausend Stücke und setzte sich nur mühevoll wieder zusammen. Es war dennoch, als würde mir ein Teil auf ewig fehlen.

Sharon begriff natürlich nicht so wirklich, was los war, weshalb sie sich heimlich freute, dass sie Tante wurde. Als Mutter es bemerkte, lächelte sie mild, aber gezwungen und sagte ihr, dass sie doch runter zu den Hundezwingern gehen sollte und schauen sollte, um Ivak, unsere trächtige Hündin schon ihre Welpen bekommen hatte. Heute Morgen war die Geburt losgegangen und ich hatte sogar einem der Kleinen auf die Welt geholfen. Bald, würde ich selbst ein Kind gebären.

»Wie lange ist sie schon schwanger?«, fragte meine Mutter und trat neben mich, ergriff meine Hand und drückte sie beruhigend.

Eigentlich müsste Sitka hier sein und meine Hand halten. Ich verzog bitter das Gesicht und sah weg.

»Ungefähr drei Monde. Es muss wohl direkt in der Hochzeitsnacht gezeugt worden sein«, antwortete Riegel stumpf.

Bei dem Gedanken daran, krampfte sich mein Herz zusammen und ich presste die Lippen aufeinander.

»Und das bei den Umständen«, murmelte Nukha. »Es ist schon gefährlich genug im Angesicht der Bedrohung und nun auch noch ein Kind. Aber das bekommen wir auch noch hin, Ivolet. Es wird alles gut.«

Ich richtete mich schlagartig auf, zerrte die Hand aus der meiner Mutter und sprang auf, wobei ich leicht schwankte. »Gut?!«, spuckte ich, mir wurde wieder schlecht. »Sitka ist weg, unser Wall ist lachhaft für die Armee der Fremdländer und ich bekomme ein Kind, das ohne Vater aufwachsen muss! Sag mir, bitte, was an all dem soll noch gut werden?«

Nukha blickte mich unverwandt an, sagte jedoch kein Wort.

Ich schüttelte den Kopf und verzog bitter das Gesicht. »All das ist eine Katastrophe und dieses... dieses Ding ist nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen!«

»Ivolet!«, tadelte mich Mutter empört.

Ich funkelte sie nur an, mir brannte schlichtweg die Sicherung durch. »Nein! Ist doch wahr, oder nicht? Es will nur niemand aussprechen, weil ihr alle glaubt, ich wäre wie ein Gänseblümchen, dass zermatscht wird, sobald jemand ihm einen Tritt gibt. Sitka ist weg und unser Eheversprechen ist damit null und nichtig, was bedeutet, dass mein Kind ein Bastard ist! Genausogut hätte ich mich von Kédar am Flussufer damals vergewaltigen lassen.«

»Das stimmt nicht, Ivolet«, versuchte mich Mutter zu beruhigen, während Nukha immer noch nichts sagte. »Dieses Kleine ist genauso ein McCain, wie du, wie wir es sind. Außerdem wissen wir doch gar nicht, ob Sitka nicht doch wieder kommt. Versuch doch etwas optimistisch zu sein.«

Hart lachte ich auf. »Optimistisch? Ich bin Realistin. Sitka hat sich auf eines unserer Pferde geschwungen, einen unserer Hunde mitgenommen und ist abgehauen, um seinen Arsch zu retten. Niemand von uns bedeutet ihm etwas, auch ich nicht. Ich war nur eine Versüßung für die Zeit hier, weil er mich ungehindert ficken konnt!«

»RUHE!«, brüllte mich Nukha an und schnaubte wütend. »Du bist völlig fertig und weißt nicht mehr, was du da sagst! Geh und ruhe dich aus, ich werde Celtia zu dir schicken. Sie wird sich um dich kümmern.«

Wütend und fassungslos starrte ich meinen Bruder an, bevor ich die Lippen aufeinander presste und die Augen zusammen kniff. Geschlagen wandte ich mich ab, atmete zitterig und bebend ein und aus. »Als ob ich krank wäre«, knurrte ich und verließ die Hütte der Druiden. Meine Schritte waren langsam und unkontrolliert, als ich in mein Zelt zurückkehrte und eine Weile in der Mitte stehen blieb. Die Erinnerungen prasselten auf mich ein, wie Wasserfälle. Wie Sitka die Kerzen in unserer Hochzeitsnacht angezündet hatte, mir das Kleid vom Körper schälte und mich im Licht des Feuers bestieg.

Mein Atem kam heftig und ungleichmäßig und ich sank schreiend und schluchzend auf die Knie. Mit der rechten Hand umklammerte ich Vaters Wolfszahn und wünschte mich das erste Mal in meinem Leben, dass ich tot und bei ihm war. Warum nur tat es so weh? Meine Augen brannten von dem vielen Weinen, aber ich spürte nichts. Gar nichts. Ich spürte weder den Schmerz in meinem gebrochenen Herzen, noch das Brennen, weil mir der Zahn Furchen in die Handfläche schnitt. So oft hatte er meine Handflächen geküsst, so zart, dass es doch nicht gespielt gewesen sein konnte, oder? Wie hatte er mich so leichtfertig verlassen können, wie?! Ich fand auch in den nächsten Stunden keine Antwort darauf.

Irgendwann war ich wohl aufgestanden, denn als ich Celtias schmale Arme um mich fühlte und ihre beruhigend murmelnden Lippen in meinem Haar, lag ich auf den Bettfellen. Meine Cousine trug mich durch jene Stunden, in denen ich fürchtete, verrückt zu werden vor Kummer. Die letzten Wochen waren einfach zu ertragen gewesen, weil ich mich mit allen möglichen Dingen abgelenkt hatte, aber nun war Sitkas Abwesenheit allgegenwärtig. Ich trug sein Kind in mir, ein Kind, das unwiderruflich ein Bastard sein würde, da Sitka einfach weg war.

Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich wach wurde, hörte ich die Vögel draußen zwitschern und die Feuerstelle prasselte und spendete wohltuende Wärme. Langsam setzte ich mich in der Schlafstatt auf und mein Blick fuhr zu Celtia herum, die auf einem Schemel vor dem Feuer saß und leise summte.

Als ich die Decke beiseite schob, sah sie auf und lächelte vorsichtig. »Wie geht es dir?«

Ich zuckte ratlos die Schultern.

Ja, wie ging es mir schon? Allmählich fand ich mich mit der Tatsache ab, dass er abgehauen war. Langsam aber sicher. Vielleicht hatte es etwas damit zutun, dass ich vorhin diesen grauenvollen Zusammenbruch hatte und mir all den Schmerz und das Leid von der Seele geschrien hatte, dass ich es plötzlich - allmählich - akzeptierte, dass ich für Sitka nur eine kleine Wilde gewesen war, die er auch noch besteigen durfte, ohne, dass jemand etwas dagegen gehabt hatte. Nicht einmal ich.

»Magst du dich zu mir setzen und wir sticken ein bisschen? Ich habe schon Söckchen genäht für dein Kind... ich hoffe, du bist jetzt nicht wütend oder so.«

Es war süß von ihr, wie sie sich bereits um Kleidung für mein Kind kümmerte. Und ich war überrascht, wie ich plötzlich meine Hand auf meinem Unterbauch wiederfand. Genau auf der kleinen, etwas härteren Wölbung. Jetzt brannte sich erst der Gedanke in mein Hirn: Ich erwartete ein Kind. Das einzige, das ich von Sitka jemals wieder bekommen würde.

Ich zog mir einen Stuhl zu ihr heran und setzte mich darauf, eine Wolldecke um die schmalen Schultern.

Celtia legte zwei winzige Fellsöckchen in meinen Schoß und lächelte mich aufmunternd an. Ich wusste, dass sie selbst noch nicht ganz über Ecren und seinen Verrat hinweg war und, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis sie überhaupt wieder die Alte war, aber sie gab mir in diesem Moment die Kraft, die ich ihr damals bei den Hundezwinkern gegeben hatte. Zusammen würden wir das irgendwie schaffen und irgendwie würde ich auch dieses Kind groß kriegen und vor den schwarzen Rittern beschützen. Irgendwie!

Leicht lächelte ich zurück und betrachtete die winzigen Plüschsöckchen. In meinem Bauch breitete sich ein warmer, mütterlicher Schauer aus. Ich musste jetzt stark sein, egal, wie sehr ich Sitka vermisste. Ich musste stark sein für mein ungeborenes Kind.

Elf

 

»Ist das die Kette, die dir Sitka gegeben hat?«, fragte mich Sharon.

Blinzelnd erwachte ich aus meiner Trance und lächelte sie mild an. Auch zwei Wochen darauf war ich immer noch nicht über Sitka hinweg, ob ich das je sein würde? Wahrscheinlich nicht, aber ich konnte es zumindest ertragen, wenn jemand seinen Namen in meiner Gegenwart aussprach. Und Sharon verstand ohnehin nicht, was ich empfand, da sie einfach noch zu klein für solche Dinge war. Sie freute sich nur immer unheimlich, wenn sie mich Nachmittags besuchte und immer wieder verlangte, ihr Ohr an meinen Bauch drücken zu dürfen, um zu sehen, ob sie schon etwas hören konnte. Dafür jedoch war ich noch nicht lang genug schwanger, weshalb sie jedes Mal enttäuscht seufzte, dann jedoch strahlte und meinte, dass sie es das nächste Mal versuchen würde.

Sie berührte sie schneeweißen Eisperlen, die ich mal wieder um den Hals trug und blickte mit großen grünen Augen zu mir empor, da sie vor mir auf dem Boden saß und sich den Rücken am Feuer wärmte.

Ich lächelte und berührte ebenfalls die kühlen Perlen. »Ja.«, murmelte ich abwesend. »Er schenkte sie mir in der Hochzeitsnacht. Sein Vater ist wochenlang an den Stränden des Eislandes umhergerirrt und hat sie gesammelt, um die Kette seiner Mutter zu schenken.«

Nur zu gut erinnerte ich mich, wie ich auf genau diesem Schemel gesessen und ins Feuer gestarrt hatte, als er mir die Kette umgelegt hatte. Wir waren beide nackt gewesen und hatten uns danach geliebt. Die Erinnerung hing noch immer wie Blei in meinem Magen, aber allmählich, je mehr Wochen vergingen desto leichter konnte ich sie ertragen.

»Warum ist Sitka eigentlich weggegangen?«

Das war die Frage, die mich auch schon seit Wochen beschäftigte und die mich beinahe jede Nacht weinen ließ. Aber mittlerweile hatte mich diese Frage auch schon so abgestumpft, dass ich nur mild lächelte, wenn ich sie hörte.

»Wahrscheinlich hat es ihm hier nicht gefallen.«, antwortete ich, damit die Antwort für Kinderohren geeignet war, denn ich hätte selbst gerne bissiger geantwortet.

»Aber... hatte er dich denn nicht lieb?«

Heftig zuckte ich zusammen und blinzelte gegen das grelle Licht der Flammen. »Anscheinend nicht, sonst wäre er noch hier.«

»Sharon«, sagte Mutter, die auf einmal im Zelteingang aufgetaucht war. »Celtia sucht dich schon überall. Du sollst ihr und Barbatunde mit den Welpen helfen.«

Meine kleine Schwester sah zu mir hoch und bat mit ihren Augen um Erlaubnis. Ich lächelte und scheuchte sie zum Zelteingang, bevor ich neben dem Bett stehen blieb und ihr hinterher sah, wie sie mit wehenden Röcken davon rannte. Bilea stellte einen Korb auf die Truhe vor dem Bett und ergriff sanft meine Oberarme, zog mich fest an ihre Brust und eine Weile blieben wir so stehen.

Als sie sich löste, sagte sie mit mildem Tadel: »Du solltest mehr an die frische Luft, du bist blass.«

Ich berührte meine Wangen, die sonst immer rosig wirkten. »Tatsächlich?«, murmelte ich abwesend und betrachtete den Korb. »Was ist da drin?«

Sie lächelte fröhlich. »Ich dachte mir, dass wir uns ein bisschen mehr Mutter-Tochter-Zeit nehmen. Riegel hat mir eine Salbe gegeben, die gegen diese Schwangerschaftsnarben helfen soll. Ich wollte mein erstes Enkelkind doch auch mal befühlen.«

Verzweifelt zwang ich mich zu einem Lächeln, da es wirklich süß von ihr war, zumahl wir nicht so eine gute Mutter-Tochter-Beziehung hatten, da ich immer mehr das Papa-Kind gewesen war, aber dennoch konnte ich mich darüber nicht so freuen. Ich freute mich in letzter Zeit sowieso sehr wenig.

»Was macht Nukha so?«, fragte ich, als sie mir bedeutete, mich auf das Bett zu legen.

Sie setzte sich auf die Bettkante und begann eine Schale mit Lederdeckel aus dem Korb zu kramen. »Er hat viel mit der Aufrüstung des Lagers zutun. Außerdem schwirrt diese Clan-Chief Elaine oder wie sie heißt, ständig um ihn herum. Sie keifen sich von Früh bis Spät an, was die richtige Strategie wäre, um die Mauer zu bauen oder die Zelte in Hütten umzubauen. Sogar über das Wetter brüllen sie sich an.«

»Ich glaube, Nukha findet sie gut.«

Überrascht blickte sie mich an, bevor sie einen großen Klecks der Salbe nahm. »Wie kommst du darauf?«

Ich zuckte nur die Schultern. »Ich weiß auch nicht. Irgendwie ist es auffällig, wie sehr und vor allem, wie oft sie sich streiten.«

Mutter schmierte die kalte Salbe auf meinen Bauch, nachdem sie mir bedeutet hatte, den Saum des Wolfsfelltops hoch zu ziehen, den ich unter meine kleinen Brüste klemmte. »Vielleicht solltest du mal zu ihm gehen und mit ihm reden. Er leidet sehr darunter, dass er mal wieder die falsche Wahl getroffen hat, was die Männer für dich angeht. Und nun, dass ihr euch seit zwei Wochen anschweigt, das kann auch keine Lösung sein.«

Ich seufzte, als sie mit den Fingern über die Wölbung streichelte. »Ich weiß... ich will mich auch gar nicht mit ihm streiten. Ich habe nur das Gefühl, dass ich ihn damit nur nerve. Er hat so viel anderes um die Ohren, die Clan-Chiefs, die Mauer, die Fremdländer. Einfach jeder macht ihm Probleme, ich will ihn nicht auch noch mit einem kleinen Bastard nerven.«

Sie funkelte mich an. »Nenn' mein Enkelkind nie wieder Bastard, verstanden? Es ist ein McCain und dein Vater würde auch nicht wollen, dass du so von deinem Kind sprichst.«

Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass sie Vater da mit reinzog. Seit seinem Tod hatte sie kaum von ihm gesprochen.

»Wie war es, als du Vater verloren hast?«, kam es plötzlich über meine Lippen. Vorher hatte ich sie nie danach gefragt, weil ich sie nicht noch trauriger machen wollte, als sie ohnehin gewesen war. Aber nun hatte ich ja praktisch dieselbe Situation zu bewältigen.

Ihre Hand, die meine kleine Wölbung entlang gestrichen hatte, verharrte und sie blickte nachdenklich auf mich hinab. »Ich... ich habe mich gefühlt, als hätte man mir ein Stück herausgerissen und es nicht wieder an seinen Platz zurückgesetzt. Als... wäre ich vorher ein Teil eines ganzen gewesen, aber jetzt nur noch ein Teil, ohne Bedeutung.«, sprach sie das aus, was ich seit Wochen fühlte. »Ich weiß, dass du Antworten suchst, Schatz. Warum Sitka das getan hat, warum er dich alleine zurückließ und warum er nicht wieder kommt. Warum er uns alle im Stich lässt. Versuch nicht so oft darüber nachzudenken. Es macht dich nur kaputt.«

Ich nickte langsam, weil ich wusste, was sie meinte. Ich sollte nicht zu viel nach dem Warum fragen und weiterleben, auch ohne Sitka. Es fiel mir dennoch schwer.

»Denk an dein Kind«, flüsterte sie und streichelte weiter meinen Bauch.

Das tat ich. Tag und Nacht dachte ich an ein kleines Mädchen, das nach ihrem Vater fragte, manchmal dachte ich auch an einen kleinen Jungen, der Sitkas Gesicht hatte.

Als Mutter fertig war und meinen Bauch mit einem Tuch abwischte, verabschiedete ich mich von ihr, weil ich mich unbedingt mit Nukha aussprechen wollte. Ich hatte an diesem Abend vor zwei Wochen einfach total überreagiert, weil die Neuigkeit, dass ich ein Kind unter dem Herzen trug, einfach unglaublich belastend für mich gewesen war. Natürlich, wer würde schon nicht ausrasten, wenn er erführe, dass man schwanger war? Ich kannte niemanden, der total ruhig blieb.

Etwas besser gelaunt, weil sich die Muskeln in meinem Bauch herrlich leicht und puddingmäßig anfühlten, tapste ich zwischen den Zelten und vereinzelten Hütten umher. Die Clan-Mitglieder waren alle hellwach und voller Tatendrang. Ältere Frauen saßen vor den Hütten und Zelten, klopften Felle aus, wuschen in kleinen Waschschüsseln Kleidung und Tücher oder kneteten dicke, weiße Teigklumpen, um daraus Brot zu backen. Mikusch, ein kleiner Junge mit Kastanienhaar jagte zwei Hühnern hinterher, wobei ihm seine Mutter, Rona, mit einer Stoffwindel hinterher rannte, da er völlig nackig durch die Gegend lief.

Leise kicherte ich, als sie ihn endlich zu fassen bekam und in die Windel zwängte, bevor sie ihn hoch hob und seinen kleinen Bauch küsste. Der Anblick ging mir durch Mark und Bein. Ob es auch so sein würde, wenn ich Sitkas Kind ausgetragen hatte? Mit dem einzigen Unterschied, dass ich allein sein würde.

Langsam setzte ich meinen Weg fort und steuerte Nukhas großes Zelt an... kurz davor blieb ich stehen, als ich merkwürdige Geräusche hörte. Keuchen, Schnaufen und dann Stöhnen. Nicht schon wieder! Musste ich echt jeden, dem ich nahe stand beim Geschlechtsakt erwischen?! Und jetzt auch noch meinen Bruder, das war doppelt eklig. Jedoch drängte mich die Neugierde der feurigen Ivolet, mir diese Frau anzuschauen, mit der mein Bruder gerade rum machte.

Noch bevor ich zu Vernunft kommen und mich entscheiden konnte, ein andermal meinen Bruder zu sprechen, hatte ich das Eingangsfell beiseite geschoben und starrte ihn an, wie er sich über - würg - Elaine erhoben hatte, die Hände seitlich von ihr in die Felle gestemmt und schnaufend, wie er sich immer wieder in ziemlich heftigen Stößen in sie schob.

Beide zuckten zusammen, als sie mich erblickten, woraufhin Nukha sich abrupt zurückzog und eines der Felle über seine eregierten Lenden zog - dieses Bild würde ich nie wieder verdrängen können.

»Verdammt nochmal, Ivolet! Was tust du hier?!«

Ich starrte Elaine noch immer an, die sich auf die Seite gelegt hatte und unbeteiligt an einer losen Naht zupfte.

»Äh...« Ich schüttelte entgeistert den Kopf. »Eigentlich wollte ich mit dir reden, aber so wie es aussieht bist du ziemlich arg mit dem Vögeln einer Clan-Chief beschäftigt.«

Er rieb sich die Nasenwurzel. »Ich werde noch wahnsinnig in diesem Lager...«, murmelte er.

Elaine grinste ihn an und strich über einen Leberfleck an seinem Handgelenk. »So wie ich das hier sehe, hast du zu tun.«, brummte sie und stand auf, nackt wie sie war. Sie ergriff ihr Brustband vom Boden und zog sich gemächlich an, dann auch noch den Rock, bevor sie mit den Stiefeln in der Hand an mir vorbei stolzierte und verschwand.

Eines musste ich ihr lassen und das konnte ich meinem Bruder auch nicht übel nehmen - abgesehen von ihrem grässlichen Charakter - sie war wunderschön. Kastanienbraunes Haar, das im Sonnenlicht rötlich schimmerte und meerblaue Augen, die tief wie die Ozeane wirkten. Schlank, jedoch war sie nicht zierlich, so wie ich, sondern kurvig, mit etwas breiteren Hüften und einer schönen Oberweite. Dennoch fragte ich mich, wie Nukha mit ihr etwas anfangen konnte, schließlich war das gegen den Brauch.

»Bevor du mich anmeckerst, Ivolet«, brummte Nukha, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Sie ist schon lange keine Jungfrau mehr, denn sie war schon einmal verheiratet.«

Ungläubig blinzelte ich ihn an und sah noch mal zum Ausgang, als würde sie noch dort stehen und uns zuhören. Tat sie aber nicht.

Nukha stand auf, sodass ich nur seinen gebräunten Po sehen konnte und zog sich rasch den Rock über. Das Tattoo hob sich stark von der gebräunten Haut ab und im duseligen Licht des Zeltes wirkten die dunkelgrünen Farben beinahe schwarz. Er sah Vater wirklich sehr ähnlich.

»Wo... wo ist ihr Mann?«, brachte ich nur wirr heraus.

»Was glaubst du denn, wo er ist? Er wurde von den Fremdländern getötet.«

Ich schluckte. Weshalb lag sie aber dann im Zelt meines Bruders? Das verstand ich nicht genau.

»Trauert sie denn nicht?«, fragte ich und rieb mir unbehaglich den Oberarm.

Er warf mir einen bedeutsamen Blick zu. »Ihr Ehemann war ein Monster, Ivolet. Sie trauert nicht im Mindesten um ihn, sondern ist froh, dass ihn dieses Schicksal ereilt hat. Sie hat mir anvertraut, was er ihr angetan hat und das alles hat mich ziemlich an dich erinnert, wenn ich daran denke, was Kédar beinahe gemacht hätte. Tja... und dann ist es halt passiert.«

Halt passiert? Interessant.

»Und... was glaubst du, wie es bei euch weitergeht? Ihr seid zwei Clan-Chiefs.«

»Das wissen wir. Wir haben Spaß solange wie es eben möglich ist.«

Spaß. Allein dieses Wort verursachte mir Übelkeit, sodass ich mich auf einen fellüberzogenen Hocker setzte und tief durchatmete.

Sofort war Nukha neben mir. »Geht es dir nicht gut?«

»Doch, doch... ist gleich wieder vorbei. Ist nur die Übelkeit, die kommt und geht, wie sie Lust hat.« Ich lächelte ihn beruhigend an. »Ich will nur nicht, dass du dich in etwas verrennst, Nukha. Sieh mich an! Kaum zwei Monate verheiratet und schon schwanger und allein. Pass bitte auf.«

Er blinzelte, wahrscheinlich überrascht von meinen beinahe fürsorglichen Worten. Die Mutter in mir schien allmählich zum Leben zu erwachen.

Langsam lehnte er sich zurück. »Warum bist du in mein Zelt gekommen. Doch wahrscheinlich nicht, um mich bei gewissen Dingen zu stören, oder?« Er grinste leicht.

Gewisse Dinge... andere Dinge. Mein Herz krampfte sich kurz zusammen, bevor ich den Blick wieder auf ihn richtete. »Mutter war bei mir und wir haben ein bisschen geredet. Sie meinte, wir sollen uns vertragen. Und das wollte ich eigentlich.«

»Ich dachte, das wäre längst vom Tisch, aber gut. Dann ist es eben jetzt vom Tisch.«

Heftig schüttelte ich den Kopf. »Das meinte ich nicht. Ich wollte mich entschuldigen. Dafür, dass ich zu meinem Kind Bastard gesagt habe und dich so angebrüllt habe. Es war nicht richtig und ich wollte nicht, dass es so klingt, als wärst du an allem Schuld.«

Zart griff er nach meinem Gesicht und sah mich an. Das hatte schon lange niemand mehr getan. »Red nicht weiter, okay? Ich weiß, wie fertig zu gewesen bist und ich will mir gar nicht ausmalen, wie es sein muss, durch das Dorf zu gehen und dir die Blicke gefallen zu lassen. Aber es wird alles gut, ich verspreche es dir.«

Ich schmiegte mich fest in seine Umarmung und genoss einfach das Gefühl, dass jemand da war und auf mich aufpasste. Wenn es schon Sitka nicht mehr tat.

»Was ist ein Dorf?«, nuschelte ich an seiner Brust.

Nukha lachte leise auf, bevor er meine Stirn küsste. »Elaine sagte, dass ein Lager, dass eine Mauer hat, sicher ein Dorf ist. Deswegen habe ich den Namen übernommen.«

»Okay«, murmelte ich dann und ließ ihn los. »Ich wollte noch zum Steinkreis, ein paar Kerzen anzünden.«

Nukha nickte leicht und lächelte. »In Ordnung, aber nimm Celtia mit. Und bleibt nicht zu lange, du weißt, welche Sorgen ich mir um dich mache. Besonders jetzt.« Sanft legte er eine seiner großen Hände auf meinen Bauch und befühlte die kleine Wölbung. Ich war überwältigt von dem Gefühl und strich meinem großen Bruder das Haar aus der Stirn.

»Ich... habe mir gedacht, wenn es ein Junge wird...«, sagte ich leise. »Dass ich ihn Léonard Nukha McCain nennen will.«

Er starrte ungläubig auf seine Hand, dann blickte er mich an. »Du willst ihn nach mir benennen?«, hauchte er.

Ich lachte. »Und nach Vater, sei nicht so eingebildet«, grinste ich sanftmütig.

Nukha grinste über beide Wangen und schlang seine Arme um meinen Körper. »Ich hoffe, dass ich diesem Geschenk irgendwann gerecht werde.«, flüsterte er in mein Haar.

»Du wirst diesem Geschenk schon lange gerecht.«

 

Als es zu dämmern begann, hatte ich bereits ein Säckchen mit Kerzen aufgetrieben, da ich auch mal wieder meine Pflichten gegenüber meinen Göttern und den Geistern meiner Ahnen erfüllen wollte, indem ich ein Stündchen am Steinkreis beten ging. Aber vor allem, um für Gesundheit für mein Kind zu beten.

Besser gelaunt, als am Morgen ging ich zu den Hundezwingern, die bereits umgebaut worden waren. Die Jäger meines Clans hatten aus dem Zelt eine kleine Holzhütte gemacht und die Zäune waren höher und oben drüber ebenfalls mit Holzstangen versehen, damit die Greifvögel keine Welpen mehr mopsen konnten. In den Käfigen saßen Sharon und Celtia, die gerade dabei waren, die Bauchnabel der Kleinen zu untersuchen, da es manchmal vorkam, dass diese entzündet waren.

Meine Cousine blickte lächelnd auf und ich war erstaunt, wie frisch und gut sie heute aussah. Allmählich schien sie sich zu fangen. Genau wie ich.

»Hey«, sagte sie durch die dünnen Holzstäbe hindurch. »Ophelia hat mir gesagt, dass ich dich zum Steinkreis begleiten soll. Ich bin gleich fertig, okay?«

Ich nickte lächelnd und setzte mich solange auf ein Fass.

Schließlich kam Celtia nach gut zehn Minuten aus dem kleinen Häuschen und nahm mir den Beutel ab, als wären die Kerzen bereits zu schwer für mich. Gemeinsam gingen wir den Pfad entlang, der zum Steinkreis führte, wo ich vor ungefähr drei Monaten geheiratet hatte. Die Erinnerung schmerzte mich noch immer und ich versuchte verzweifelt Haltung zu bewahren, was mir auch gelang.

Nach ein paar Minuten waren wir dort. Dieser Ort hatte schon immer etwas magisches an sich gehabt. Das saftige grüne Gras unter meinen nackten Füßen - ich hatte die Schuhe am Hang zurückgelassen - war weich und gab nach wie ein Federkissen. Die dunklen, mit Runen gezeichneten Felsbrocken stachen in die Höhe und verliehen diesem Hügel ein unheimliches Ambiente.

Celtia und ich knieten uns am größten Felsen nieder und packten schweigend die Kerzen aus, die wir nacheinander anzündeten und in die Erde steckten. Bald war der Fels vom duseligen Kerzenlicht beleuchtet. Ebenfalls schweigend legten wir die Hände in den Schoß, senkten unsere Köpfe nieder und beteten in Gedanken für das, wofür wir halt beten wollten. Ich persönlich flehte die Götter um Gesundheit für mein Kind an und, dass dessen Vater vielleicht eine neue Heimat gefunden hatte und dort glücklich wurde. Sogar dafür betete ich.

Als wir fertig gebetet hatten, richteten wir uns in unserer sitzenden Position auf und atmeten tief durch.

Celtis setzte sich mit dem Hintern ins Gras und zupfte einige Halme aus dem Boden. »Wie geht es dir so?«, fragte sie ruhig.

Ich zuckte die Achseln und kaute auf meiner Unterlippe herum. »Es wird allmählich leichter zu ertragen. Und bei dir?«

»Bei mir auch. Naja... es tut noch weh, wenn ich ihn oder Kaith sehe, aber sie gehen mir beide aus dem Weg, was es einfacher macht.«

»Wir McCain-Weiber haben nicht so viel Glück bei den Kerlen, was?«, versuchte ich zu scherzen und wir beide lächelten uns traurig an, da wir wussten, wie recht ich hatte.

»Du wolltest mir bei der Hochzeit erzählen, was du und Ecren alles gemacht habt, erinnerst du dich? Ihr habt nicht richtig miteinander geschlafen, stimmt's?« Mein Blick war verständnisvoll, aber ich wollte es lieber von meiner Cousine hören, als von Ecren. Er hatte uns verraten und konnte sich alle möglichen Geschichten ausdenken, schließlich saß er schon in der Patsche. Ich hoffte nur, dass Celtia keinen Riesenfehler begangen hatte, den sie bereuen würde.

Bedächtig atmete sie tief ein und wieder aus. »Nein. Ich danke den Göttern, dass ich stark genug gewesen bin, ihn damals wegzudrücken. Er hat mich so... entsetzt angesehen, als ich ihm sagte, dass ich bis zur Hochzeit warten wollte. Und dann ist er einfach gegangen.« Sie verzog das Gesicht und presste die Lippen aufeinander. »Eine Weile bin ich in seinem Zelt liegen geblieben, dann wollte ich ihm nach und mich mit ihm vertragen... am Hang zum Flussufer sah ich die beiden. Kaith und ihn. Sie haben im Sand gelegen und...« Sie verstummte.

»Direkt danach?«, kam es schneller über meine Lippen, als ich gewollt hatte.

Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es gewesen sein musste. Sich eben noch innig gestreichelt zu haben und dann einen solchen Verrat aufzudecken. Und das mit der besten Freundin. Mir wurde kalt und ich schlang das Wolltuch enger um meine dünnen Schultern.

»Ist dir kalt?«, fragte Celtia, ohne auf meine vorherige Frage einzugehen.

Ich öffnete den Mund - das Knacken eines Zweiges war gespenstisch laut in der ewigen Stille der Nacht zu hören.

»Genau, ist dir kalt?«

Celtia und ich wirbelten gleichzeitig herum.

Zwischen den Felsbrocken des Steinkreises zeichnete sich eine dunkle Sillhouette im Licht der beiden Monde ab, so groß wie ein Bär und ebenso kräftig. Er stand leicht breitbeinig da, der Oberkörper war nackt und auf den definierten Muskeln spielte Licht und Schatten. In mir wurde es eiskalt und Panik schnürte mir die Kehle zu. Es war Kédar.

Celtia sprang als erstes auf und funkelte ihn herausfordernd an. »Verschwinde, du hast hier nichts mehr zu suchen!«

Sein Kopf ruckte zu ihm herum, wie bei einer Natter, die ihr Opfer fixierte. »An deiner Stelle würde ich die Schnauze halten, sonst setzt es was«, knurrte er gefährlich leise und trat zwischen den Steinen hervor. »Ich konnte es nicht glauben, als ich es hörte, aber nun sehe ich es.« Sein Blick war auf meinen Bauch gerichtet, der sich leicht, aber doch ziemlich deutlich unter dem Stoff abzeichnete.

Sofort legte ich eine Hand auf die Wölbung und starrte ihn an.

Einer von Kédars Mundwinkeln hob sich an und entblößte seinen merkwürdig spitzen Reißzahn. »Also ist es wahr, dein kleiner Lover ist abgehauen und hat dich vorher noch geschwängert. Interessant. Was glaubst du, werde ich mit deinem Bastard machen?«

»Halt dich ja fern von ihr!«, fauchte Celtia und trat einen Schritt vor.

Es geschah so schnell, dass ich kaum gucken konnte. Kédar schoss vor und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht, sodass das Knacken ihres Kiefers in die einsame Stille hallte und sie regelrecht zur Seite flog. Ich hörte mich schreien, bis dieser Berg von Mann mich gegen den Felsen presste und eine Hand auf meinen Mund drückte. Mein Herz raste und hämmerte unangenehm gegen meine Rippen. Dumpf prallten meine Schreie gegen seine massige Hand, die feucht von Schweiß war. Außerdem roch er komisch, nach faulendem Fleisch und klammen Schweiß.

Meine Nägel kratzten über seine Arme und seine Brust, als versuchte meinen Rock hoch zu zerren. Meine Füße schwebten über dem Boden und ich wand mich in seinem Griff wie ein Wurm, aber er war zu stark. Ich sah mich schon als kleine, entehrte Hure, wenn er mit mir fertig war. Mein Bruder würde ein Häufchen Elend vorfinden, sobald er merkte, dass ich und Celtia nicht ins Lager zurückgekehrt waren. Würden sie mich noch heute Abend finden? Oder erst morgenfrüh?

Und was war mit meinem Baby? Bei den Göttern!

Ich biss ihm so fest in die Finger, wie ich nur konnte und er brüllte auf wie ein Tier. Da schoss seine Hand schon vor und traf mich seitlich im Gesicht, sodass ich für einen Moment Sternchen sah. Er hob mich vollends auf seine Hüften und nestelte an seiner Hose herum, doch ich wurde schlagartig wieder wach und zerrte den Dolch, den mir Sitka am Tag vor seiner Abreise gegeben hatte. Meine Rechte schloss sich fest um den Dolch und in mir herrschte nur dieser Gedanke, dass ich mein Kind beschützen musste, als ich mit der Waffe auf seine Brust zielte und sie in sein Fleisch rammte.

Zuerst geschah nichts, doch dann ließ mich Kédar schlagartig los, als er begriff, was ich getan hatte. Der Dolch steckte bis zum Schaft in seiner Brust, direkt in seinem Herzen. Er krampfte sich zusammen und taumelte rückwärts, sodass ich auf den Boden fiel und mich gegen den Felsen presste.

Kédar starrte mich mit leeren Augen an, dann bildete sich soetwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen, als er nach dem Dolch griff und ihn aus seiner Brust zog. Blut floss wie ein kleiner roter Wasserfall an seinem muskelbepackten Oberkörper hinab und er trat einen Schritt auf mich zu, sodass ich an dem Stein hoch schoss und mich an das kalte, harte Material presste.

Und dann tat er etwas, das mich völlig verwirrt zurückließ. Er nahm meine Hand, sofern es noch klappte, und legte den Dolch hinein. Als er lächelte, waren seine Zähne blutverschmiert.

»Gut gemacht, Kleines«, hauchte er. »Du... bist bereit für die Fremdländer.«

Mit einem Krachen, das wie ein Rumps klang fiel er hinten über und lag dann einfach so da.

In mir breitete sich ein taubes, kaltes Gefühl aus, als ich seinen Leichnam anstarrte. Ich... ich hatte ihn tatsächlich umgebracht. Ich hatte ihm Sitkas Dolch in die Brust gerammt und hatte ihn umgebracht! Und ich wusste nicht genau, wass ich von seinen letzten Worten zu mir halten sollte. War er doch nicht so bösartig, wie ich geglaubt hatte? Hatte er doch auf eine Art und Weise gute Absichten gehabt? Nein, das auf keinen Fall. Aber dieser Ausdruck der Erkenntnis in seinen Augen, als er begriffen hatte, das er nun sterben würde... der ließ mich nicht los.

Mit tränenverschleiertem Blick sah ich zu Celtia hinüber, die auf der Seite lag, der Kiefer war bereits angeschwollen und blau und lila. War sie überhaupt noch am Leben? Ich wollte zu ihr, sehen, ob ich ihr helfen konnte, aber in mir war alles taub und ich konnte mich kein Stückchen bewegen.

Meine Hand zitterte und der Dolch fiel mir aus der Hand, grub sich geradewegs ins Gras unter mir.

Und dann... dann konnte ich beobachten, wie sich ein Blutfleck in meinem Schoß auf dem Kleid ausbreitete und immer größer wurde. An meinen Schenkeln floss Blut herab und mir wurde sofort schwindelig. Schluchzend fiel ich auf die Knie und presste meine Hände in den Schoß. Ich schrie, wie ich glaubte. Genau wusste ich es nicht, ich fühlte nur das Blut, das meine Hände überschwemmte, als hätte ich sie in eine Wanne aus Blut getaucht.

»M-mein Baby!«, kreischte ich in die Nachtluft und fiel zur Seite. Vom Schock zitternd und gelähmt starrte ich meine blutverschmierten Hände an und wusste, dass ich Sitkas Geschenk verloren hatte und nun nichts mehr von ihm hatte. Ich war völlig alleine.

Mir wurde schwarz vor Augen.

Zwölf

 

Es dämmerte bereits zum Morgen, als Nukha mit einem Suchtrupp aufgetaucht war und Celtia, Kédar und mich fand. Unter Kédars Leichnam hatte sich eine Blutlache im Gras gebildet und auch unter mir befand sich ein gewaltiger roter Fleck. Ich wusste nicht mehr genau, ob ich wach gewesen war, oder ohnmächtig, oder vielleicht auch beides. Ich wusste nur, dass ich schlaff und kaum mehr vorhanden in Nukhas Arme sank, als er mich vom Boden aufhob, die Sauerei ignorierte und mich auf seine Arme hob. Das Gesicht hatte er grimmig und wütend verzogen, als er mich ins Lager getragen hatte.

Nur am Rande, wie ich es in meinem benebelten Zustand überhaupt wahrnahm, bemerkte ich die entsetzten Blicke der Clan-Mitglieder. In diesem Moment war ich bewusstlos geworden.

Und nun saß ich in der Mitte meiner Schlafstatt, die Hände im Schoß liegend und starrte in die Leere. Ich... ich hatte mein Kind verloren. Gerade, als ich geglaubt hatte, alles könne besser werden, auch ohne Sitka und wenigstens sein Kind zu haben, hatte ich es verloren. Es... es war einfach weg. Genau wie er.

Neben dem Bett versuchte Mutter verzweifelt Haltung zu bewahren, aber ich sah die nassen Tränenspuren auf ihren Wangen. Sie war auch bestürzt über den Verlust ihres Enkelkindes. Ihre Hände zitterten, als sie das blutverschmierte Unterkleid und meinen Rock in das Wasser tauchte. Nachdem ich mit heftigen Bauchkrämpfen hier gelegen hatte, hatte sie mir die Kleidung ausgezogen und mich in ein weites, langes Nachtkleid gezwängt, bevor wir meine Mitte mit Tüchern verbunden hatten, damit ich nicht noch mehr vollblutete.

Sie gab es mit einem tiefen, tränenverhangenen Seufzen auf und stellte die Waschschüssel zur Seite, bevor sie um das Bett herum ging und sich auf die Bettkante setzte. Zaghaft streckte sie eine Hand aus, aber ich fuhr zurück. Ich wollte nicht angefasst werden... nie wieder.

»Schatz... ich weiß, wie du dich fühlst, aber du musst-«

»Du weißt nicht, wie ich mich fühle«, schnitt ich ihr tonlos das Wort ab, sah sie aber nicht an. »Ich... ich habe gerade meinen Sohn verloren. Er war das einzige, was ich von Sitka noch hatte.«

»W-woher wusstest du, dass es ein Junge wird?«

Ich starrte eine Weile schweigend meine Finger an, die Mutter auch sofort geschrubbt hatte, nachdem ich hier angekommen war. »Ich weiß es nicht. Es war so ein Gefühl.«

Wir schwiegen beide, hingen unseren Gedanken nach und meine schweiften seltsamerweise immer wieder zu dem Augenblick ab, an dem Kédar mir den Dolch in die Hand gedrückt hatte und seltsam bedeutungsvoll meinte, dass ich bereit für die Fremdländer sei. Was sollte das heißen? Dass ich jemanden töten konnte, wenn es um Menschen ging, die ich liebte? Es war erschreckend einfach gewesen, diesen Dolch in seine Brust zu rammen, wenn ich daran dachte, was er meinem Kind angetan hätte, aber letztendlich hatte es meinem Kind auch nicht viel gebracht. Ich hatte es auf Grund des Schocks verloren.

Es würde sicher eine geraume Zeit dauern, bis ich das verkraften konnte. Im Moment sah ich den Lichtstreifen am Horizont nicht.

»Möchtest du ein bisschen alleine sein?«, fragte mich Mutter und streckte kurz hilflos die Hände aus, bevor sie sie zurück zog.

Ich nickte nur abgehakt.

Sie presste die Lippen aufeinander, bevor sie aufstand und den Rückzug antrat. Als ich schließlich alleine in meinem Ehezelt war, rutschte ich zur Bettkante und setzte die Füße auf den Boden. Langsam stand ich auf und schritt wackelig an der Feuerstelle vorrüber, die Flammen in mein Haar zauberte. Dann fiel ich vor dem Fellhaufen auf die Knie, Tränen flossen mir über die Wangen und ich zerrte die Felle beiseite.

Meine Finger streiften die kühlen Perlen und ich zog sie hervor. Eine Weile betrachtete ich die runden Eisperlen in meinen Händen und ließ die Erinnerung an den Augenblick, als ich sie bekommen hatte, vollends auf mich wirken. In diesem Moment war ich sogar schon von ihm schwanger. Oder wurde es gerade, wie man es nehmen wollte. Ich schloss die Augen und schluchzte auf.

Das Leben war so unfair.

Nach einigen Augenblicken spürte ich Nukhas beschützende Arme um mich und schmiegte mich so fest an ihn, wie es mir möglich war. Mein Bruder war im Augenblick die einzige Stütze, die ich zulassen konnte. Warum das so war und weshalb meine Mutter nicht der bessere Ansprechpartner war, wusste ich nicht. Und es interessierte mich auch nicht, ich wollte einfach nur vergessen. Sitka vergessen, seinen Sohn, den ich im Leib getragen hatte und all diesen verdammten Mist mit den Fremdländern. Leider war es nicht immer so einfach, wie man wollte.

Nach gefühlten Stunden hob mich Nukha auf seine Arme, als würde ich nicht mehr wiegen, als einer der Welpen, trug mich zu meinem Bett und legte mich sanft darauf ab. Ich hörte Poltern, bevor sich die Felle neben mir herab senkten und ich seinen beschützenden Körper an meinem fühlte. Er schlang die Arme um mich und ich vergrub das Gesicht an seiner Brust.

Ich war unheimlich froh, dass er nicht redete. Er würde sich genug Vorwürfe machen, warum er nicht hätte ahnen können, dass Kédar noch frei herum lief und den Clan doch nicht verlassen hatte und und und. Das Gespräch würden wir garantiert auf später verschieben müssen. Jetzt war keiner von uns beiden in der Lage dazu, dem Grauen einen Namen zu geben und Worte dafür zu finden, die das ausdrückten und beschrieben, was geschehen war. Wir waren beide völlig fertig mit den Nerven.

Natürlich hatte ich am meisten zu kämpfen, da ich mein Kind verloren hatte. Niemand konnte das einfach so wegstecken. Aber ich verstand auch, weshalb Mutter und Nukha so traurig waren. Schließlich hatten sie sich auch gefreut, Onkel und Großmutter zu werden. Nun würde ich nie wieder ein Kind bekommen können, da ich nicht noch einmal heiraten dürfte. Das bedeutete nicht, dass ich mich dann nicht zu Männern in Bett legen durfte, aber falls daraus ein Kind entstehen würde, wäre es in jedem Fall ein Bastard und würde nicht den Namen McCain tragen.

Von all den Grübeleien völlig erschöpft schlief ich an der Brust meines großen Bruders ein.

 

Ein paar Stunden später fand ich mich völlig unter Bettfellen vergraben in meiner Schlafstatt vor und setzte mich abrupt auf. Wie schon automatisch fuhr meine Hand zu der Wölbung... da wo jetzt keine mehr war. Dann erinnerte ich mich wieder, was geschehen war und stieß ein trauriges Seufzen aus, das leicht zitterig war. Aber entweder, ich realisierte den Gedanken allmählich, dass Sitkas Kind fort war, genau wie er selbst, oder ich hatte bereits alle Tränen geweint, die ich hatte und musste auf die nächste Lieferung warten.

»Wie geht es dir? Konntest du wenigstens ein bisschen schlafen?«

Verdutzt wandte ich mich um.

Überraschenderweise saß Ecren neben meinem Bett und starrte auf seine im Schoß gefalteten Hände.

»W-wo ist Nukha?«, fragte ich etwas verdattert.

Dass sich Ecren überhaupt in meine Nähe wagte, nachdem er meiner Cousine all das angetan hat, zollte entweder von großem Mut oder großer Dummheit. Ich wusste nicht genau, was auf ihn zutraf.

»Chief Elaine und Chief Ian wollten mit ihm wegen dem Bau der Mauer sprechen. Er hat sie angebrüllt wie ein Bär, wenn er seine Jungen verteidigt, ein Wunder, dass du nicht aufgewacht bist. Er sagte mir, dass ich ein Auge auf dich haben soll.«

»Schön«, meinte ich bissig. »Aber ich brauche dich hier nicht.«

Als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst, zuckte er zurück, dann blinzelte er traurig und senkte die Lider. Und es erschreckte mich, als ich eine Träne sah, die ihm über die Wange floss. Er weinte sonst nie. Nie!

»Ecren...«

»Nein, Ivolet.«, unterbrach er mich und hob den Kopf, rieb mit dem Daumen seiner rechten Hand über den Daumen seiner Linken. »Ich weiß, dass ich einen gewaltigen Fehler begangen habe und ich verabscheue mich selbst dafür, was ich Celtia angetan habe. Sie war... sie war immer so lieb und hat alles gemacht, was ich von ihr gewollt habe und nur weil ich nicht genug kriegen konnte... du weißt ja, was passiert ist und ich bereue es. Jeden Tag.«

Ich schloss die Augen. »Warum hast du es gemacht? Ich meine... wäre es so schlimm gewesen, bis zur Hochzeitsnacht zu warten?«

Gequält schüttelte der den Kopf. »Ich weiß es nicht«, hauchte er mit gebrochener Stimme. »Ich war so in Rage... Und nichts, was ich gemacht habe, hat das gelindert. Und dann... dann habe ich Kaith am Bach gesehen, wie sie da gebadet hat. Bei mir sind alle Sicherungen durchgeknallt. Und genau dort hat uns dann auch Celtia erwischt. Ich hatte gehofft, dass es eine einmalige Sache bleiben könnte.«

Fassungslos starrte ich ihn an. »Und all das in meiner Hochzeitsnacht... dieser Tag muss verflucht gewesen sein.«

»Ich wollte... ich wollte in den letzten Tagen so gerne mit dir reden, weil... ich vermisse dich, Ivolet. Als meine Freundin. Wir konnten doch früher so viel lachen.«, flüsterte er und schniefte leise.

Ich spürte, wie mir wieder Tränen über die Wangen flossen und ich die Arme vor der Brust verschlang. »Seitdem ist viel passiert, Ecren.«, flüsterte ich. Zu vieles war geschehen. Sitka war aufgetaucht und wieder gegangen und in mir hatte sich dieses taube Gefühl von Verlust, Verrat und Angst zu einem großen Ball geformt und schien mein gesammtes Denken zu beherrschen.

»Ich weiß«, erwiderte er nach einer Weile des Schweigens. »Und nichts davon kann ich ungeschehen machen. Weder meine Fehler, noch Sitkas oder von jemand anderem. Ich will nur... nur für dich da sein und wenigstens mit dir wieder so etwas wie Freundschaft schließen.«

Erschöpft senkte ich den Kopf und berührte meinen Unterleib, dort, wo vorher die Wölbung gewesen war und schwieg. Ich wusste ehrlich nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich hatte mir so sehr gewünscht, Ecren wieder als Freund betrachten zu können. Ihm alles zu erzählen, wie es mir ging, als ich noch schwanger gewesen war, wie sehr ich Sitka vermisste und alles, was mich in dieser kurzen Ehe bewegt hatte. Es waren Dinge, über die ich nicht mit Nukha oder Mutter oder gar mit Celtia reden konnte. Es waren nur Worte, die für Ecrens Ohren bestimmt gewesen waren. Und ich wusste, dass mir Ecren gefehlt hatte, egal, was für eine Riesenscheiße er gebaut hatte. Ich hatte ihn sehr vermisst.

»Ich... hab erst vor ein paar Tagen erfahren, dass du... nun ja. Dass du ein Kind erwartest«, fuhr Ecren kaum hörbar fort und rieb sich wieder die Daumen aneinander. »Und... es tut mir leid, dass du es verloren hast. Ich hätte besser auf dich aufpassen sollen.«

Im Nachhinein konnte ich kaum fassen, dass ich schwach - wenn auch etwas bitter - lächelte. »Warum gibt sich eigentlich jeder um mich herum die Schuld dafür, was Kédar getan hat?«

Blinzelnd blickte er mich an und zuckte dann ratlos die Schultern. »Weiß auch nicht.«

»Ich auch nicht.«, murmelte ich und sank zurück in die Bettfelle. »Wie geht es Celtia?«

Ecren setzte sich vorsichtig auf die Bettkante, als erwarte er noch immer, dass ich völlig ausflippen und ihn rausschmeißen würde. »Kédar hatte einen festen Schlag«, erzählte er mir. »Wir können von Glück sagen, dass nur ihr Kiefer gebrochen ist und nicht ihr Genick.«

Mir wurde eiskalt. Wenn ich mir vorstellte, Celtia wäre jetzt vielleicht sogar tot... Ich war wirklich froh, dass es nicht so war. Aber mich beschäftigten trotz allem Kédars letzte Worte. Was nur hatte er damit gemeint? Mit diesem sanften, blutverschmierten Lächeln hatte er wie ein großer Teddybär gewirkt und nicht, wie der Berg von Mann, der mich vor wenigen Augenblicken noch hatte vergewaltigen wollen. Es war so seltsam zermürbend.

 

Zwar redeten Ecren und ich die nächsten Stunden bis zum Abend beinahe normal miteinander, dennoch wussten wir beide, dass es niemals wieder wie früher sein würde. Dafür war einfach zu viel geschehen und wir waren bereits beide - jedenfalls mental - zu erwachsen geworden dafür. Ich war verheiratet gewesen mit einem Mann, der aus dem Land des ewigen Eises kam und Ecren hatte meine Cousine verraten und sie betrogen und zwar mit ihrer besten Freundin. Es würde nie wieder so sein.

Dennoch war das Gespräch lockerer als vorher und ich konnte mich auch irgendwann etwas entspannen und aufhören, an den Embryo zu denken, den ich vor wenigen Stunden noch im Leib getragen hatte. Auch, wenn meine Gedanken immer wieder dorthin zurück wollten.

Plötzlich war draußen Aufruhr zu hören und ich hörte Nukha wütend brüllen. Ecren war schon aufgestanden, ich blieb aufgerichtet in der Schlafstatt sitzen.

Als Ecren das Eingangsfell beiseite schob, schnappte er hörbar nach Luft.

»Was ist los?!«, fragte ich beinahe panisch.

War es soweit? Waren die schwarzen Ritter von Dumloch hier und würden mein ganzes Volk abschlachten? Was würde mit meiner Mutter, meiner Schwester und mit meinem großen Bruder passieren? Und mit mir? Dachte ich eigentlich auch mal an mich?!

Ecren antwortete mir nicht, sodass ich das Fell von meinen Beinen schleuderte und an die Bettkante rutschte. »Was ist los, Ecren?«, fragte ich erneut und stand auf.

Plötzlich schien er aus seiner Starre zu erwachen und schloss das Eingangsfell. »Du solltest dich wieder hinlegen, Ivolet«, flüsterte er heiser und drängte mich mit aschefahlem Gesicht zurück zur Schlafstatt.

»Was ist denn da?«, drängte ich ihn und versuchte über seine breite Schulter zu schauen, was natürlich nichts brachte, weil das Eingangsfell noch immer geschlossen war.

Heftig schüttelte er den Kopf. »Leg dich wieder hin.«

Ich blieb auf der Bettkante sitzen und schaute ihn verwirrt und auch wütend an. Ecren blieb einen Moment stehen, bevor er den Kopf schüttelte und zur Feuerstelle hinüber ging, um den Kessel mit Hühnersuppe abzunehmen und mir etwas einzugießen, die er mir vorhin zubereitet hatte. Einen Moment schaute ich ihm dabei zu, wie er eine Schale nahm, doch als ein wütendes Brüllen von draußen erklang, sprang ich auf und hechtete zum Ausgang.

Stolpernd kam ich vor meinem Zelt zum Stehen und rannte darum herum, so gut, wie meine gereizte Mitte es mir erlaubte. Eine Horde von Männern stand auf der erdigen freien Fläche hinter dem Zelt, dahinter ein Karren mit verschnürten Paketen. Davor war Tristan, ein Falbenhengst, gespannt.

»Ivolet!«, rief Ecren hinter mir, aber ich stand nur da, völlig regungslos, während sich die Gruppe an Männern teilte.

Nukha wandte sich zu mir um und ich sah Wuttränen in seinen Augen glitzern, als er den Blick auf einen hoch gewachsenen jungen Mann freigab... mit rabenschwarzem Haar und Augen so blau wie das Eis der Gletscher. Seine Züge waren von Sorgenfalten und Augenringen verunstaltet, aber ich erkannte ihn auf Anhieb.

Mein Mund öffnete sich vor Unglauben und hilflos streckte ich die Arme aus, konnte mich aber nicht rühren. In meiner Brust riss etwas und ich fragte mich, wie oft ein Herz eigentlich noch brechen konnte. Ecren hielt mich an der Taille fest und stützte mich, als ich drohte in die Knie zu sinken. Ich zitterte unkontrolliert und ich wollte am liebsten schreien.

Plötzlich wurde alles schwarz und ich sackte zusammen.

»Ivolet!«, hörte ich Sitka nur noch schreien.

 

 

Dreizehn

 

Wärme umhüllte mich, ähnlich einem Kukon, der eine verpuppte Raupe vor dem grellen Sonnenlicht schützte, bis er sich entfalten konnte. Erst, als ich die Augen blinzelnd öffnete, bemerkte ich, dass mich kein Kukon umschlossen hatte, sondern die erdrückende Last der Felle, die auf meinem Körper verteilt waren. Wimmernd schob ich sie weg, da mich eine plötzliche, unangenehme Hitze ergriff.

 Eine Hand an meiner Schulter drückte mich zurück auf meine Schlafstatt. Wie ich bemerkte, lag ich wieder in meinem Zelt, nachdem...

Nukha lächelte mich vorsichtig an, aber mir war überhaupt nicht nach Lachen zumute. Ich hatte mein Kind verloren und dann war da noch...

»Lüg mich nicht an, Nukha«, forderte ich heiser vor ausgedörrter Kehle. »Wo ist er?«

»Ivolet-«

Ein wütendes Brüllen unterbrach meinen Bruder und das Eingangsfell wurde so heftig zur Seite gerissen, dass es auf dem Boden landete. Und da stand er... niemand geringeres als mein Ehemann, Sitka. Sein Bart war sauber gestutzt, sodass es sicher kaum länger war, als ein Stecknadelkopf und das Haar war ebenfalls sehr kurz geschnitten worden, denn es war ungefähr so lang wie eine Fingerkuppe. Aber eines war noch immer gleich: seine stechend blauen Augen, die einem tauenden Gletscher nahe kamen. Und die mich sofort fixierten.

Nukha sprang augenblicklich auf, schoss auf ihn zu und drückte ihn mit einer Hand gegen die Brust zurück zum Eingang. »Du hast hier nichts verloren!«

Sitka funkelte ihn herausfordernd an, das hatte er noch nie getan. »Willst du dich mir entgegen stellen, wenn ich zu meiner Frau will?!«

»Ich konnte ihn nicht aufhalten, Nukha«, entschuldigte sich Ecren, der hinter ihm auftauchte. Er warf mir einen mitleidigen Blick zu. Ich wusste, dass er mich aufgefangen hatte, als ich vor Schock ohnmächtig geworden war. Bei den Geistern meiner Ahnen, was musste ich eigentlich noch erleiden?

»Falsche Frage, Sitka. Willst du dich mir in den Weg stellen, wenn ich meine Schwester vor noch mehr Leid beschütze?«, knurrte Nukha, ohne auf Ecren einzugehen. Er nickte ihm nur gebieterisch zu, dass er verschwinden wollte. Das hier war etwas zwischen meinem Bruder und meinem Ehemann, so glaubte jedenfalls Nukha.

Der Schwarzhaarige erstarrte und blickte zu mir, die Augen besorgt geweitet. »Noch mehr Leid?!« Ruckartig packte er Nukhas Arm. »Was ist geschehen?!«

Ich wandte den Blick ab und atmete zitterig ein. Er wusste nicht, was geschehen war. Warum... warum wirkte er so verstört? Und weshalb war er überhaupt wieder gekommen? Es war alles so verwirrend und verstörend und ich wollte am liebsten die Zeit zurückdrehen und in ein anderes Leben hinein geboren werden. Warum nur musste ich das alles ertragen?

»Sie war schwanger von dir, du hirnamputierter Vollidiot!«, brüllte Nukha und stieß ihn an der Brust zurück, baute sich schnaubend vor ihm auf.

Ich beobachtete das alles mit tränenverschleiertem Blick. Ich konnte einfach nicht eingreifen, weil ich zusehr mit den Wenns und Warums zu tun hatte. Und vor allem damit, warum er wiedergekommen war... war er doch nicht das gewesen, als was ihn beinahe jeder Mann und jede Frau meines Clans bezeichnet hatte? Ein Ehebrecher, ein Flüchtling, jemand, der seine eigene Haut retten wollte, indem er fort ging und mich zurückließ? Ich hatte es nie meinem Bruder gegenüber erwähnt, da ich gewusst hatte, dass er ausrasten würde, aber manche Männer hatten mich sogar als Hure beschimpft. Weil mein Mann fort ging und wahrscheinlich nicht zurückkommen würde und ich mich ihm hingegeben hatte, obwohl das Eheversprechen nun nicht mehr galt. Ich galt deshalb als entehrt, als geschändet... als Hure.

Ich konnte beobachten, wie Sitka allmählich blass um die Nase wurde und den Atem bebend ausstieß. Und plötzlich schwankte er gefährlich, sodass Nukha seinen Arm packte und ihn darin hinderte, umzufallen. Dann zuckte Sitka heftig zusammen und starrte ihn an.

»Was bedeutet ›war‹?«

Schweigen antwortete ihm, denn weder ich, noch Nukha schienen ihm antworten zu wollen. Ich war zu fertig mit den Nerven, war wie ausgelaugt und das schon einige Zeit, da viel geschehen war.

Sitka verstand das Schweigen und wurde noch blasser, als zuvor. »Kann... kann ich alleine mit dir reden?«, fragte er vorsichtig.

Erst nach einigen Sekunden bemerkte ich, dass er mich angesprochen hatte. Hilfesuchend sah ich zu meinem Bruder, der verneinend den Kopf schüttelte. Seine Züge waren hart wie Stein, er hasste Sitka dafür, dass er gegangen war und ich hatte dieses Gefühl auch verspürt. Ich hatte es Nukha an dem Tag gesagt, als wir herausfanden, dass ich ein Kind erwartete. Nun kam es mir bereits so vor, als wäre das Jahre her.

»Okay«, sagten meine Lippen, bevor ich etwas dagegen tun konnte. Das innere Bedürfnis, mit meinem Ehemann zu sprechen - alleine - war übermächtig.

»Ivolet«, flüsterte Nukha drängend und machte einen Schritt auf mich zu.

»Es ist in Ordnung«, sagte ich, diesmal bestimmender. »Lass uns alleine.«

Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und taxierte Sitka mit einem Blick, der einer gefluchten Warnung gleich kam. Schließlich nickte er geschlagen und zog sich zurück. »Ich bin draußen, falls du mich brauchst.«, murmelte er und küsste meine Stirn, bevor er verschwand.

Schließlich herrschte bleischweres Schweigen. Keiner von uns wusste, wie er anfangen sollte. Es war so viel geschehen in den Wochen, Monaten, in denen er nicht da gewesen war, so vieles, was ich ihm erzählen wollte und doch keine Worte dafür fand. Ich hatte ihn vermisst, das war auf keinen Fall zu leugnen. Vielleicht auch, hatte ich zu viel in den barschen Abschied hinein interpretiert und hatte mir von den anderen Clan-Mitgliedern einreden lassen, dass Sitka nun fort war und mich zum Sterben hier gelassen hatte, während die schwarzen Ritter auf dem Vormarsch waren.

»Ivolet«, flüsterte Sitka mit tränenschwerer Stimme.

Ich hob den Kopf. Mir liefen sie längst in Sturzbächen die Wangen hinab.

Er hatte sich auf die Bettkante gesetzt, so nahe, dass mein Bein seine Hüfte berührte. Zaghaft hob er eine Hand, so langsam, als befürchtete er, dass ich mich ihm entziehen könnte. Aber das tat ich nicht, zu lange hatte ich auf die wärmenden und beschützenden Berührungen verzichtet. Ich hatte nur noch das Bedürfnis, ihm in die Arme zu fallen, auch, wenn mein dummer Kopf etwas anderes sagte.

»Ich hätte dich niemals alleine lassen dürfen.«, kam es gehaucht über seine Lippen, während seine Hand an meiner Wange zum Liegen kam.

Schluchzend schmiegte ich sie in seine Handfläche und schloss die Augen.

»Sag mir, was geschehen ist.«, forderte er.

Langsam öffnete ich die Augen wieder und sah ihn an. Es war schwer für das Geschehene Worte zu finden, für das, was ich empfunden hatte, als er die Monate fort gewesen war und ich von jedem Mitleid ins Haar geschmiert bekommen hatte und mir anhören musste, dass er gegangen war und sicher irgendwoanders eine andere Frau vögeln würde.

»Ich... weiß nicht, wie ich anfangen soll.«, brachte ich krächend heraus.

Gequält verzog er das Gesicht, bevor er den Arm ausstreckte und mich vorsichtig an sich zog. Und nun brach alles aus mir heraus, was ich hatte. Tränen flossen mir unaufhörlich über die Wangen und ich schluchzte laut in sein Hemd hinein, während er mich einfach nur festhielt.

»Du warst schwanger«, hauchte er an meinem Hals.

Ich nickte zitterig, mir wurde kalt.

»Ich... ich wäre Vater geworden.«

Wieder nickte ich und löste das Gesicht von seiner Brust. »Es tut mir leid. Ich wollte ihn nicht verlieren, ich wollte nicht-«

»Shhh«, zischte er sanft und legte seine großen Hände an mein Gesicht. »Du entschuldigst dich für nichts, Ivolet. Gar nichts, verstanden? Ich bin es, der Schuld trägt. Ich hätte dir eine Nachricht schicken sollen.«

»Ich kann nicht lesen.«, nuschelte ich wie ein kleines Kind.

Er lächelte traurig. »Waurm sagst du ›Ihn‹? Woher weißt du, dass es ein Junge geworden wäre?«

»Weiß nicht.« Ich zuckte nur die Achseln.

Sitka lehnte die Stirn an meine. »Wie ist es passiert? Wann hast du ihn verloren?«

»Gestern.« Ich schluckte. »Kédar hat mich und Celtia beim Steinkreis angegriffen.«

Heftig zuckte er zusammen und sein Griff wurde, ohne sein Zutun, härter.

Um ihn zu beruhigen, legte ich eine Hand auf seinen Arm. »Ich habe ihn mit deinem Dolch erstochen... und dann hat es so furchtbar gezogen in meinem Bauch. Und dann habe ich geblutet.«

Sitka stieß einen gequälten Laut aus, bevor er das Gesicht an meinem Hals vergrub und mir zart durchs Haar fuhr. Niemand konnte sich vorstellen, wie sehr ich dieses Gefühl vermisst hatte. Eine Weile saßen wir in dieser ungemütlichen Position da, genossen die Nähe des Anderen und ein Teil von mir hatte ihm bereits verziehen. Vielleicht auch war es dumm und impulsiv gewesen, zu glauben, er würde für immer fort gehen. Aber es wäre so... natürlich gewesen, hätte er genau das getan. Eine riesige Streitmacht befand sich im Norden, praktisch genau vor unserer Haustür und alles was ihn hier hielt war eine kleine, ungebildete Wilde gewesen, die er geehelicht hatte. Wer würde sich da schon für die Wilde und als Zusatz den Tod entscheiden?

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Sitka seine große Hand auf meinen Unterbauch legte und zärtlich darüber streichelte.

»Bei den Göttern...«, flüsterte er. »Vergib mir. Ich flehe dich an.«

Wie benommen hob ich den Kopf, sodass er das Gesicht von meinem Hals lösen musste. »Du hast mich hier zurückgelassen, Sitka. Was wäre geschehen, wenn die schwarzen Ritter hier aufgetaucht wären, während du fort bist? Du hast versprochen uns kämpfen beizubringen.«

Langsam zog er den Kopf zurück und betrachtete mich eine ganze Weile. »Ich habe mein Versprechen gehalten, Ivolet. Ich konnte den Hund für eine große Summe verkaufen und habe Stahl mitgebracht.«

Blinzelnd hielt ich inne. »Die anderen sagten, dass du fort gehen würdest, um deine eigene Haut zu retten.«

Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und lief vor dem Bett auf und ab. »Und du glaubst diesen Leuten mehr, als deinem Ehemann? Ich habe dir gesagt, dass ich zurückkommen werde und ich halte mein Wort!«

Er hatte schon einmal einen Schwur gebrochen. Zwar hatte ich es für gut befunden, als der Gedanke gesackt war, dass er seinem Vorgesetzten widersprochen hatte, als es um das Leben einer Mutter und ihrem Kind ging, aber er hatte dennoch diesen Schwur gebrochen. Wer garantierte mir, dass er es dieses Mal nicht auch tat? Oder getan hätte? Ich war so verwirrt.

»Diese Leute sind meine Familie, Sitka. Jeder im Dorf sagte das. Glaubst du, das hatte keinen Einfluss auf mein Denken?«, brauste ich auf. »Ich wollte es glauben und ich habe geglaubt, dass du zurückkehrst. Aber mit jedem Tag, den du es nicht tatest... irgendwann war die Hoffnung einfach fort.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte dich niemals aufgegeben.«, sagte er und seine Stimme war schwer von Enttäuschung. »Ich dachte, dass wir uns wenigstens so weit kennen, dass du mir in dieser Hinsicht vertraust.«

Plötzlich stiegen mir wieder die Tränen in die Augen.

Und ich wusste, dass ich etwas entschieden falsch gemacht hatte. Ich hätte ihm vertrauen sollen, denn er war einer der wenigen Menschen, denen ich blind hätte vertrauen können, auch, wenn er mich angelogen hatte, was seine Herkunft betraf. Ich hätte den anderen die Stirn bieten und ihnen sagen sollen, dass ich fest an Sitkas Rückkehr glaubte.

Nun hatte ich das Gefühl, dass ich nicht nur mein Kind, sondern auch meinen Ehemann verlor, zum zweiten Mal in kaum einem halben Jahr.

Flehend sah ich ihn an. »Sitka-«

»Nein«, fiel er mir ins Wort und hob die Hände. »Ich... ich brauche frische Luft.«

Ich wurde blass und war wie erstarrt, als er das Eingangsfell beiseite schob, das irgendwer wieder vorgehängt hatte und das Zelt verließ. Er hatte mich allein gelassen.

 

Auch in der Nacht tauchte Sitka nicht wieder auf, aber ich hörte draußen das Klirren von Metall, während ich versuchte einzuschlafen. Es war nicht besonders einfach, aber ich musste es wohl irgendwann geschafft haben, denn am Morgen wachte ich mit einer ausgedörrten Kehle und brennenden Augen wieder auf. Meine Finger tasteten neben mich, aber wie auch schon die Monate zuvor war das Bett ansonsten leer. Ob ich alles nur geträumt hatte?

Nein. Ich spürte noch immer die Tücher um meiner blutenden Mitte und das Klirren von Metall am gestrigen Abend bestimmte auch heute Morgen die Geräuschkulisse draußen.

Langsam setzte ich mich auf und umfasste Vaters Wolfszahn. Es war angenehm den kühlen Zahn mit den Fingern zu halten. Es beruhigte mich und gab mir Zeit zum Nachdenken.

Sitka war gestern heimgekehrt und wir hatten uns... gestritten? Nein, so würde ich das nicht bezeichnen. Wir hatten uns eher teilweise ausgesprochen, was zwar meinen Fehler, ihm nicht vertraut zu haben, näher beleuchtet hatte, aber dennoch waren wir nicht wirklich weitergekommen. Ich wusste nun nur, dass ich mich auf ihn als Ehemann hätte verlassen und den Gerüchten im Lager abschwören sollen. Beides hatte ich nicht getan.

So viel ›hätte‹. Nun war die Situation leider nicht zu ändern und sich darüber zu wurmen brachte einen auch nicht weiter.

Meine Gedankengänge drifteten zu dem ›Was wäre, wenn‹ ab. Was wäre gewesen, wenn Sitka nicht wieder gekommen wäre? Es war lachhaft zu glauben, dass ein Clan, vielleicht auch fünf Clans, der Highlander gegen eine sehr viel besser organisierte Armee der schwarzen Ritter ankommen konnte. Nun hatten wir zwar keine reale Chance, aber wenigstens gab es Hoffnung. Sitka kannte ihre Strategien und vieles mehr. Jetzt war es wichtig, auch die Menschen des Clans glauben zu lassen, wir könnten etwas gegen die Soldaten von Dumloch ausrichten. Die Frauen, die Kinder, aber vor allem die Männer mussten glauben, dass wir etwas tun konnten.

Ich zog die Knie eng an meinen Körper und rieb die Finger an dem Zahn.

Ich alleine konnte wenig gegen diese Männer ausrichten, ich war eine Frau und es war verboten eine Waffe in die Hand zu nehmen. Alles, was ich tun konnte, war beten. Beten, dass mein Kind vielleicht nicht umsonst gestorben war, bevor es überhaupt gelebt hatte. Allerdings wusste ich, dass es nur gestorben war, weil Kédar mich angegriffen hatte und dabei auch noch Celtia verletzt hatte.

Heftig schüttelte ich den Kopf und stand auf. Plötzlich erschienen mir die Zeltwände erdrückend, wie zwei Hände, die mir um der Kehle lagen und mir die Luft abschnürten.

Ich zog mir etwas neues über, nachdem ich mich mit etwas Bachwasser einer kurzen Katzenwäsche unterzogen hatte und zog ein Wolltuch eng um meinen Körper. Letztendlich trat ich hinaus in die raue Highlandluft und sog den Anblick tief in mich auf. Zerklüftete Felsen, die wie Zähne aus der Erde ragten, Heidegewächse, Farne und Moose und Gräser so weit das Auge reichte. Kein Lager direkt vor meiner Tür, sondern raue, unberührte Wildnis. Nebelschwaden hingen zwischen den Hügeln und vereinzelten Laub und Nadelbäumen und ließ alles mystisch und heiknisch aussehen. Am Waldrand in einiger Entfernung stand ein einsamer Hirsch, der die Ohren spitze, bevor er zurück in den Schutz der Bäume eintauchte.

Leise seufzte ich und umrundete das Zelt. Seit vorgestern, als es passiert war, hatte ich das Zelt nicht verlassen, nur gestern bei Sitkas Rückkehr. Nun tauchte ich das erste Mal wieder ins Lagerleben ein... Dorfleben ein. Alle wussten, dass ich das Kind verloren hatte, dass ich zuvor getragen hatte, jedoch war es mir nicht unangenehm, zwischen den Hütten umher zu laufen und mir von einigen Frauen das Mitleid anzuhören, das sie für mich empfanden.

Igna, eine Frau gen vierzig, war mir am vertrautesten, denn ich hatte oft erlebt, wie sie ihre Kinder verlor. Es waren insgesamt sieben gewesen, von denen nur noch zwei lebten. Zwei hatte sie in der Schwangerschaft verloren; das dritte war ganz plötzlich in den ersten drei Wochen nach der Geburt gestorben; ihr Sohn mit sechzehn bei der ersten Keilerjagd aufgeschlitzt und die Tochter im Wochenbett nach der Geburt ihres ersten Kindes.

Sie verstand meinen Schmerz. Und ich war froh über ihre getrösteten Worte, die sie mir in Highlandersprache zuflüsterte. Ich hoffte inständig, dass ich nicht auch fünf Kinder zu Grabe tragen musste, vorrausgesetzt Sitka und ich versöhnten uns überhaupt irgendwann, denn ich wusste, dass ich ihn enttäuscht hatte.

Nachdem Igna sich wieder daran machte sich um ihre letzten beiden Sprösslinge und das hinterbliebende Enkelkind zu kümmern, brachten mich meine Schritte langsam, aber stetig zur Druidenhütte.

Ich schob die Holztür auf und betrat den Wohnraum. Es roch nach nordischen Kräutern und Gewürzen und ein warmes Feuer prasselte im Kamin. Auf den Tischen an den Wänden und der Mitte des Raumes lagen Pflanzenbündel, Fläschchen mit Pulvern und seltsamen Flüssigkeiten und Bücher, welche teilweise aufgeschlagen oder einfach übereinandergestapelt waren. Die Druiden fingen an, alles über die Heilkunst in Runenschrift niederzuschreiben, um es für die Nachwelt zu erhalten.

Gerade saß ein älterer Druide mit langem weißen Bart und seltsamer Robe an einem der Schreibpulde und kritzelte etwas mit einer Gänsefeder und Tinte in ein großes Buch.

»Ich habe mich schon gefragt, wann du wieder hier auftauchst.«, vernahm ich die gekrächzte alte Stimme von Riegel.

Rasch wandte ich den Kopf zu ihr und verschränkte die Arme vor der Brust. »Woher wusstest du, dass ich kommen würde?«

»Früher oder später kommt jede Frau zu mir, die ihr Kind verlor.«, brummte sie und stand von ihrem Sessel auf. »Entweder, um mich zu fragen, ob sie überhaupt je wieder Bälger von ihren Männern empfangen können oder auch einfach, um mit einer alten Frau über ihre Probleme zu sprechen.« Plötzlich lächelte die Druidin so mütterlich, dass ich gegen den Kloß in meiner Kehle und diie Tränen ankämpfen musste.

»Ich-«

Sie hielt ihren Zeigefinger vor den Mund und nickte zu dem alten Mann hinüber, bevor sie mir bedeutete ihr zu folgen. Das tat ich, auch, wenn ich nicht wusste, warum. Es war einfach schön, dass sich jemand dafür interessierte, wie es mir ging. Sicher hätte ich auch mit Mutter oder Nukha darüber sprechen können, aber ich wollte es in diesem Augenblick einfach nicht. Ich wollte mit dieser runzeligen, alten Frau darüber reden.

Riegel führte mich zu einer Tür, die sich direkt neben dem Kamin befand und schob diese auf. Ohne zu zögern betrat ich den Raum dahinter und setzte mich auf den Schemel, den sie mir anbot. Sie setzte sich mir gegenüber, nachdem sie die Tür geschlossen und verriegelt hatte. Der Raum wirkte wie eine Kräuterstube. Vor den Fenstern hingen durchsichtige Tücher, um Licht hinein und Wind draußen zu lassen. Vor dem Fenster stand ein Tisch mit Bücherstapel und Kräuterbündchen, Mörserschalen und Gesteinspulver in kleinen Holzschalen oder Flaschen. Auch hier gab es einen Kamin, ich saß direkt neben dem prasselnden Feuer, das meine linke Seite wärmte. Hinter mir befand sich eine Steintreppe, die zu einer Tür im zweiten Stock führte. Auch die Tür war verriegelt.

»Ich will nur nicht, dass uns dieser alte Sack zuhört. Angeblich soll er ein gelehrter aus der Akademie von Elvacht sein, aber das bezweifle ich.«, brummelte die Alte.

»Warum?«

»Welchen Gelehrten sollte es schon in die Highlands von Eós verschlagen, wenn er reich in irgendeiner Stadt leben kann?«

Auch wieder wahr. Ich zuckte die Schultern.

»Nun erzähl mir, was los ist.«

Eine Weile sagte ich überhaupt nichts und starrte nur in die Flammen, bevor ich mir die Stirn rieb und auf meine Hände sah. »Ich... ich fühle mich einfach so... so schmutzig.« Ich hob den Kopf und sah in ihre alten, braunen Augen. »Als hätte ich irgendwas Schlimmes getan und die Götter würden mich damit mit diesem Gefühl strafen.«

Sie ergriff meine Hände. »Du hast gar nichts getan, Mädchen. Du hast bloß versucht dich zu beschützen, dich und dein Baby. Glaub nicht, dass es deine Schuld ist.«

Ich nickte. »Als Sitka und ich... als wir es in der Hochzeitsnacht getan haben, ich habe mich schön gefühlt. Wie eine Frau, als würde er mich begehren.«

Sie legte den Kopf schief.

»Aber nun...?« Ich schüttelte den Kopf und senkte den Blick. »Ich fühle mich hässlich. Als wäre ich keine Frau, sondern... Ich weiß auch nicht.«

»Das verstehe ich.«, murmelte sie. »Es sind schon viele Frauen und junge Mädchen zu mir gekommen, die dieses Gefühl beschrieben haben. Sie glaubten, nie wieder von einem Mann schön gefunden zu werden, von ihrem Gatten begehrt zu werden. Dass sie nie wieder einen Mann in sich haben könnten, ohne sich so zu fühlen.«

Ich blickte ihr ins Gesicht und sah Verständnis.

»Glaub mir, Kind. Das wird wieder vergehen.« Sie lächelte und es wirkte so aufrichtig, dass ich ihr glaubte. »Und jetzt ist dein Mann heimgekehrt. Du solltest mit ihm sprechen, ihm sagen, wie du dich fühlst. Nur, wenn er weiß, was du empfindest, kannst du selbst mit dem ganzen abschließen.«

Ob ich mit Sitka reden sollte? Jetzt, wo wir uns so gestritten hatten? Oder was auch immer bei uns los war? Ich war mir unsicher, aber Riegel schien mit ihrem Lächeln sogar darauf eine Antwort zu haben.

»Ich danke dir.«, murmelte ich und drückte ihre Finger.

»Du kannst zu mir kommen, wann immer du willst, Mädchen.« Sie knuffte mich in die Seite und scheuchte mich hoch. »Allmählich habe ich dich gern.«

Zum ersten Mal seit dem Vorfall glaubte ich, echt und aufrichtig lächeln zu können.

 

Vierzehn

 

Acht Tage vergingen, viel zu schnell leider für das Dorf, um sich weiter zu rüsten. Für mich jedoch war es schön, dass die Zeit so rasch verflog, denn mit jedem Morgen, den ich alleine im Zelt erwachte, fand ich mich mehr und mehr damit ab, dass ich nun doch nicht Mutter wurde. Es schmerzte zwar noch, wenn Sharon mich ab und zu fragte, was los war und weshalb ich keinen Babybauch mehr hatte, aber das Leben hier musste ja weitergehen. In dieser Hinsicht ähnelte ich wohl eher meinem Vater, der die Dinge ebenfalls so angegangen war. Ich musste das Beste aus dieser Situation machen.

Allmählich wurden die Tage kürzer, die Nächte länger und die Gräser verloren an Farbe, wenn sie nachts mit Frost überzogen waren. Das Baden im Bach wurde schon zur reinsten Tortur, da das Eiswasser auf der Haut brannte und sie vor Kälte rot machte.

Aber das Baden war nicht schlimm und interessierte mich auch nicht. Es war eher der stetig verschwindene Rinnsal an Blut, der aus meinem Unterleib floss. Irgendwann blutete ich nicht mehr und wusste, dass mein Kind nun tatsächlich für immer fort sein würde.

Jedoch trauerte ich nicht so, wie man es von einer Mutter erwartete, die ihr Kind verloren hatte. Schließlich hatte mein Kind nie gelebt, ich hatte es nie in den Armen gehalten. Und doch wusste ich, dass es ein Junge gewesen wäre. Ich hatte es so im Gefühl. Ich hätte Sitka einen Sohn geschenkt...

Aber auch das schien unwichtig zu sein, denn seit dem Gespräch im Zelt hatte ich Sitka nicht mehr gesehen. Er war nicht in unser Zelt zurückgekehrt, hatte keine einzige Nacht dort verbracht und allmählich fühlte ich mich einsamer denn je. Und das in einem Clan, einem gigantischen Clan mit über siebentausend Menschen. Ein Wunder, dass ich mich überhaupt einsam fühlen konnte bei dieser Masse. Und dennoch tat ich es. Nur ab und an hörte ich Sitkas Stimme zwischen den Zelten, war aber zu feige, um diesem Klang zu folgen und mich mit ihm auszusprechen.

Ich schüttelte die Gedanken ab und hob den Kopf. Eine Weile saß ich schon am Bach und starrte vor mich her, dachte über dies oder jenes nach und drehte und wendete dabei den Wolfszahn in meiner Hand. Es nieselte heute, sodass meine Wolldecke um meinen Schultern und mein Haar schon durchnässt war. Die Tropfen verursachten kleine Erschütterungen auf der Wasseroberfläche und trugen die neuen Wassertropfen Strom abwärts weiter ins Land hinein.

Noch zu gut erinnerte ich mich daran, was vor beinahe fünf Monden hier geschehen war. Kédar hatte mir aufgelauert und mich fast geschändet, wäre Sitka nicht in allerletzter Minute aufgetaucht. Und dann hatte Nukha mich ihm übergeben und ich hatte ihn nur allzu gerne geheiratet. Ich schloss die Augen und versuchte den Moment der Glückseligkeit in meiner Hochzeitsnacht aufzurufen. An die Gefühle.

Ich hatte mich schön gefühlt, obwohl ich in Sitkas Augen ein Kind gewesen war. Und ich hatte mich wie eine Frau gefühlt. Bei dem Gespräch mit Riegel, der Druidin, hatte ich ihr anvertraut, dass ich mich schmutzig und unweiblich fühlte. Und sie hatte gesagt, dass ich mich irgendwann nicht mehr so fühlen würde. Nur wann? Ich empfand meinen Körper noch immer, als fremd und abstoßend, so wie ich mich selbst noch nie gefühlt hatte.

Müde schloss ich die Augen, schlang die Arme um meinen Brustkorb und legte die Wange auf die Knie. Meine Gedanken wirbelten eine Weile wie wild herum. Dann entspannte ich mich allmählich und dachte über das Dorf nach, das wohl keine Zukunft haben würde, so lächerlich schwach, wie wir gerüstet waren. Wir hatten es geschafft, die meisten Zelte zu Hütten umzubauen, die Palisadenmauer war jedoch noch immer nicht fertig gestellt und insgeheim wollte ich gar nicht, dass sie fertig wurde. Irgendwann würde diese Mauer nämlich das sein, was ich jeden Morgen erblicken durfte, sobald ich mein Zelt verließ. Und so war ich noch mehr, als vorher schon eingesperrt wie ein Hund im Zwinger.

»Ivolet«, sagte mir eine besonders bekannte Stimme - Sitka.

Ich starrte weiterhin auf den plätschernden Bach. »Wir reden jetzt auf einmal wieder miteinander?«, fragte ich eine Spur zu zynisch, als ich eigentlich gewollt hatte. Aber die letzten Tage waren einfach schrecklich gewesen, völlig alleine den Verlust meines ungeborenen Sohnes hinzunehmen und zu verarbeiten. Meine Mutter hatte mich nur ständig damit genervt, dass ich mit  ihr reden konnte, wenn mir danach war und dass sie mir Tipps geben wollte, wie ich mich möglichst schnell wieder mit Sitka annährte, um einen neuen Erben zu zeugen - war ich etwa eine Zuchtstute?!

Tja, und mein Bruder hatte mehr mit seiner Elaine und dem Bauen von richtigen Stahlwaffen zu tun, wo Sitka für das Material gesorgt hatte.

Die schweren Männerschritte kamen näher und verstummten ein paar Meter von meinem Felsen entfernt. »Ich... hatte eine Menge zu tun die letzten Tage. Und ich habe viel nachgedacht.«

Ich reagierte nicht, wollte nicht auf seine Worte reagieren. Zu lange hatte er mich alleine gelassen, war nicht einmal nachts in unser Zelt gekommen, um bei mir zu schlafen.

Ekelte er sich vielleicht vor mir? Der Gedanke kam mir erst jetzt. Vielleicht fand er es abstoßend, sich vorzustellen, was mit meinem Körper geschehen war, als ich die Fehlgeburt hatte. Nahm er mich deshalb nicht in den Arm? Hatte er mich aus diesem Grund nicht aufgesucht? Ich fragte mich, ob, wenn er sich vor mir ekelte, er jemals wieder mit mir schlafen würde.

»Ich habe das Gefühl, dass das alles zwischen uns ein großes Missverständnis war.«, murmelte er leise. »Ich weiß, dass ich dich nicht so hätte anfahren sollen, als ich fort gegangen war und es tut mir auch leid. Aber versuche mich zu verstehen, Ivolet. Ich habe das alles für uns getan. Damit wir eine Zukunft haben und nicht irgendwann aufgespießt von irgendwelchen schwarzen Rittern an den Burgtoren irgendeiner Festung hängen, damit uns sie Allgemeinheit im Tod verfluchen kann.«

Was redete er da vor sich hin? Ich hatte das Gefühl, seine Worte ergaben keinen Sinn mehr.

Langsam wandte ich mich ihm zu. »Ich weiß, was du meinst, Sitka.«

Er stand da, gekleidet wie ein echter Highlander. Der Rock war geschnürt, die Stiefel poliert und das Leinenhemd lag locker um seinen Oberkörper. Dennoch fragte ich mich, ob ihm nicht kalt war in diesem Aufzug. Mein Blick wanderte zu seinen kurz geschorenen Haaren und dem rasierten Gesicht. Seine Augen waren noch immer dieselben. Eisblau und doch warm und freundlich.

Und es lag ein Zug des Bedauerns darin.

Nervös scharrte er mit dem Fuß über den Sand und Kies und starrte zu Boden. »Blutest du noch?«

Ich wandte den Blick rasch ab, um zu verbergen, dass mich seine Frage überrumpelte. Und es war mir unangenehm, mit ihm darüber zu sprechen. Meine Arme um meinen Brustkorb zogen sich enger zusammen, ganz automatisch. »Nein.«, murmelte ich kaum hörbar.

Eine ganze Weile herrschte Stille, sodass ich beinahe schon geglaubt hatte, er wäre wieder gegangen und hätte mich allein gelassen, so, wie er es auch die letzten Tage gehalten hatte. Dann jedoch sprach er wieder: »Ich hätte bei dir sein sollen, die letzten Tage. Es tut mir leid.«

Bitter starrte ich durch den Regen hindurch den Bach an, der plätschernd seinen Weg floss. Dabei spürte ich den ganzen Schmerz in mir aufsteigen, die Angst und die Verzweiflung der letzten Wochen. Ich hatte mich gefühlt, als würde ich ganz allein auf der Welt sein, als hätte ich niemanden, auf den ich mich verlassen konnte. Zwar war mir meine Familie eine Stütze gewesen, aber das war nicht dasselbe gewesen. Ich hatte mir gewünscht, mich an ihn lehnen zu können, dass er meinen Bauch streichelte und ihn küsste, damit mein Sohn merkte, dass sein Vater für ihn da war. All das hatte ich schmerzlich vermisst.

»Du hättest da sein müssen.«, flüsterte ich und drehte den Kopf über die Schulter, blickte ihn mit Tränen in den Augen an.

Sitka blickte mich mit schmerzverzerrter Miene an und machte einen Schritt, aber ich wandte mich mit zusammengekniffenen Augen ab. Ich konnte das einfach nicht. Ihn ansehen und wissen, dass er der Vater meines ersten Kindes geworden wäre und ich es wegen Kédar verloren hatte.

»Ivolet«, flehte er kaum hörbar und kam noch näher, sodass ich ihn im Augenwinkel wahrnehmen konnte. »Ich musste gehen... verstehe mich doch, ich hatte keine Wahl. Irgendwas musste ich doch unternehmen, ich hätte euch nicht dem Tod überlassen können. Wir müssen uns wehren!«

Ich kniff die Augen zusammen, spürte, wie mir die Tränen über die Wangen flossen. Zwar wusste ich, dass er recht hatte. Wir mussten anfangen, uns zu wehren. Sowohl gegen die Nord, als auch gegen die schwarzen Ritter... aber ich hatte ein Recht darauf, traurig und enttäuscht zu sein. Schließlich hatte ich unseren Sohn verloren.

»Ich weiß, dass du fort gegangen bist, um uns allen zu helfen. Aber... ich wünschte, du wärst da gewesen, als ich herausfand, dass ich...«, murmelte ich und blickte ihn an. »dass ich unseren Sohn erwarte.«

Sitka versteifte sich ganz plötzlich und starrte mich mit großen, runden Augen an. »Woher weißt du, dass es ein Junge geworden wäre?«

»Ich hatte es so im Gefühl.«, flüsterte ich kaum hörbar und schluchzte leise auf.

Und auf einmal war alles zwischen uns vergessen, denn Sitka machte einen Schritt und ergriff meine Hand, zupfte sanft daran. In dem Moment war ich so verzweifelt und sehnsüchtig nach Liebe und Zärtlichkeit, dass ich ihm einfach nachgab und in seine Umarmung sank. Bebend schluchzte ich an seiner Brust, beweinte mein Kind und die ganze Situation an sich. Und, bei den Göttern, Sitka hielt mich fest und presste mich eng an seine muskulöse Brust, gab mir den Halt, den ich brauchte.

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Text: Peawyn Hunter
Images: Büsra Yalaman alias sunshineandbirds (erstellt); Peawyn Hunter
Publication Date: 06-28-2015

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