Cover

Einleitung

 

 

 

 

 

CHICAGO BLUES

 

 

Ky van Rae

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vollständige Ausgabe 2019

Copyright:

© HAMMER BOOX, Bad Krozingen

(Fehler sind natürlich - wie immer - beabsichtigt und dürfen ohne Aufpreis behalten werden J )

 

Lektorat: Hammer Boox

Korrektorat: Thomas Kilian

Cover: Azrael ap Cwanderay

Satz und Layout: HAMMER BOOX

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mord im Black Belt!

Eine bekannte Jazzsängerin wird ermordet und die Täterin ist bereits verhaftet: eine Konkurrentin.

Kein Fall also für Nick Byrnes, Ex-Cop und Privatdetektiv im Chicago der 1920er Jahre.

Oder etwa doch?

Ein alter Freund aus Kriegstagen beauftragt ihn, den Mord zu untersuchen und den wahren Täter zu finden. Also macht sich Nick auf in die noch junge Jazzszene von Chicago und findet sich schnell wieder in einem Strudel aus Musik, Fanatismus und Rache.

 

Vorwort

 

 

CHICAGO BLUES ist ein besonderer Krimi!

Andernfalls würde er nicht bei HAMMER BOOX erscheinen.

Er wurde nicht einfach runtergeschrieben wie viele andere (historische) Krimis, meist ohne tatsächliches Wissen um die damaligen Gegebenheiten, sondern ist sauber recherchiert. Mehr noch: Einige der Personen, die darin vorkommen, existierten tatsächlich!

Wir wünschen damit beste Unterhaltung.

… wie ihr es von HAMMER BOOX gewohnt seid!

 

 

Chicago Blues

 

Der Himmel an diesem Septembertag war strahlend blau, kein Wölkchen war dort zu erkennen, und lediglich die Fassaden der Hochhäuser störten den freien Blick nach oben. Ich hatte gute Laune, und während ich im Plymouth Richtung Büro fuhr, summte ich ein Liedchen, eine Lucky zwischen den Lippen.

Seit drei Wochen hatte ich keinen wirklichen Auftrag gehabt.

Den entlaufenen Hund einer alten Lady zählte ich nicht als Auftrag. Auch wenn er dafür gesorgt hatte, dass ich Mia, meine sexy Sekretärin, für eine weitere Woche hatte bezahlen können, und ich zudem in den Genuss eines klasse Essens, Version deutsche Hausmannskost, gekommen war.

Ich kurbelte das Seitenfenster nach unten und spürte eine leichte Brise. Wenn auch heute kein neuer Auftrag kam, würde ich Mia frei geben und mich auf den Weg zu den großen Seen machen. Die letzten Tage des Sommers musste man schließlich ausnutzen, wer konnte schon wissen, wie lange man noch am Leben war, um die Natur zu genießen? Gerade letzte Woche hatte es hier wieder eine wilde Schießerei mit mehreren Toten gegeben. Ein paar der getöteten Polizisten hatte ich aus meiner eigenen Dienstzeit gekannt.

Ich seufzte. Der schöne Septembermorgen hatte seine ersten grauen Wölkchen bekommen, aber so war das Leben nun mal.

An dem Gebäude, in dem mein Büro lag, angekommen, stellte ich den Plymouth ab und wählte die Treppe anstelle des Lifts. Mit etwas Bewegung wollte ich wieder auf andere Gedanken kommen, und es wirkte tatsächlich: Die dunklen, unsichtbaren Wolken über mir verschwanden.

Ich stieß die Tür zu meinem Büro auf, in dem Mia Farmer, meine überaus blonde und überaus gutgebaute Sekretärin, bereits an ihrem Schreibtisch saß. Neben ihr stand ein dampfender Becher Kaffee, und vor ihr lag eine aufgeschlagene Ausgabe der Chicago Tribune.

Erstaunt wegen meiner guten Laune sah Mia mich an.

»Haben wir einen Auftrag?«, fragte sie hoffnungsvoll.

Ich schüttelte den Kopf.

»Du hast in der Lotterie gewonnen?« Sie hob eine Augenbraue.

»Nein.« Wieder schüttelte ich den Kopf, zog meinen Mantel aus, hängte ihn auf und warf meinen Hut auf den Haken daneben. Er blieb sogar hängen. Meine Laune verbesserte sich zusehends. Breit grinste ich Mia an.

Sie nahm ihren Becher in beide Hände, nippte am heißen Kaffee und begutachtete mich über den Rand hinweg.

»Hunderennen!« Sie grinste jetzt.

»Nope.« Ich nahm nun ebenfalls einen Becher, goss mir Kaffee ein und garnierte diese Köstlichkeit mit einem großen Schluck alten Whiskeys. Ich hatte immer eine angebrochene Flasche auf Vorrat. Mias Kaffee war zwar toll – mit etwas Whiskey darin war er jedoch noch toller. Ich setzte mich auf die Kante des Schreibtischs.

»Hm«, machte sie, sah mich grübelnd an und als ich nichts weiter sagte, widmete sie sich wieder der Zeitung. »Dann, Chef, weiß ich auch nicht, warum du so gute Laune hast. Gibt doch gar keinen Grund dafür.«

Ich trank einen Schluck. »Der Himmel ist blau, es ist schönes Wetter …«

»Und die Rechnungen bezahlen sich von allein …«

Ohne aufzuschauen griff Mia in die oberste Schreibtischschublade, holte von dort einen Stapel Briefe heraus und reichte ihn mir. Schlagartig war meine gute Laune verflogen. Ich brummte etwas in meinen imaginären Bart und legte die Briefe, ohne sie durchzusehen, zurück auf den Schreibtisch. Einen kurzen Moment lang beobachtete ich sexy Mia, dann wagte ich zu fragen:

»Irgendetwas Interessantes?«

Mia las oft den Gesellschaftsteil der Tribune. Besonders der Teil mit dem Klatsch und Tratsch der Reichen und Schönen interessierte sie.

»Das Übliche«, sagte sie, »Liebe, Lust und Laster. Und der Mord an einer Jazz-Sängerin. Drüben im Black Belt.« Sie machte eine kurze Pause. »Dana Denaux. Klasse Stimme!«

»Du hörst Jazz?«, fragte ich erstaunt. Die blonde Mia erstaunte mich doch immer wieder. Ich konnte sie mir ehrlich gesagt nicht in einem Jazzclub vorstellen. Aber gut, ich konnte sie mir auch nicht beim Hunderennen vorstellen, wo sie einen Teil ihrer Freizeit verbrachte. Einen großen Teil ihrer extrem großen Freizeit.

»Natürlich höre ich Jazz. Du etwa nicht?« Sie sah mich durchdringend an. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Du hörst natürlich keinen Jazz, Chef. Solltest du aber. Chicago ist gerade dabei, zur Jazz-Metropole zu werden. Der Chicago-Jazz ist schon jetzt in aller Munde.«

»Aha«, brummte ich, und um dafür zu sorgen, dass mir sexy Mia keinen Vortrag über mein mangelndes Kulturverständnis hielt, fragte ich nach: »Und wer war diese Denaux?«

»Wie gesagt, klasse Stimme. Sie stammt ursprünglich aus Washington D. C. Ihre Vergangenheit liegt im Dunkeln.« Wieder machte sie eine kurze Pause, blätterte einige Seiten in der Tribune zurück und überflog einen Artikel. »Allerdings nicht so gut wie die ihrer Mörderin, Shandra LeVay. Die hat eine noch bessere Stimme.« Sie nickte anerkennend.

Ich hatte mich bei ihren Worten allerdings beinahe verschluckt. Überrascht sah ich sie an.

»Die Mörderin ist bereits gefasst?«

Mia nickte, las den Artikel noch einmal.

»Ja, Shandra LeVay – sie kommt übrigens aus New Orleans – und Dana Denaux sollen gestern im Black Label einen Streit gehabt haben. Kurze Zeit später war die Denaux tot. Erstochen, so steht es auf jeden Fall hier drin.«

Mia sah auf und deutete mit dem Finger auf den Artikel.

»Na dann …« Den Rest des Satzes blieb ich ihr schuldig, denn das Telefon auf ihrem Schreibtisch meldete sich. Da es gerade vor mir stand, griff ich zu und meldete mich.

»Hallo, Nick«, hörte ich eine mir bekannte dunkle Stimme mit dem singenden Tonfall der Südstaatler. Sofort kamen mir Bilder aus meiner Zeit als Soldat in Europa in den Sinn. Bilder einer kleinen Gruppe meiner Einheit, wie wir dem Feind in die Falle getappt waren, und wie ein Kamerad nach dem anderen starb. Auch ich hatte auf den Tod gewartet. Aber er war nicht gekommen, denn plötzlich war Ethan Grey aufgetaucht und hatte mir das Leben gerettet.

Aus dieser Begegnung war eine Freundschaft entstanden, zu einer Zeit, als es töricht war, eine Freundschaft zu beginnen. Keiner wusste, ob man diesen grausamen Krieg überhaupt überleben würde. Aber wir hatten beide überlebt – genau wie unsere Freundschaft.

»Ethan, schön von dir zu hören«, sagte ich grinsend, wechselte den Hörer in die andere Hand und hörte ein Lachen am anderen Ende der Leitung.

»Alter Lügner!«

Mein Grinsen wurde breiter. Ethan Grey gehörte zu den wenigen Menschen, mit denen ich sofort gut klarkam, trotz seines und meines Dickschädels. Oder gerade deswegen? Er war gradlinig, ehrlich und direkt und konnte Ungerechtigkeiten nicht ausstehen. Das war aber gleichzeitig auch sein Problem gewesen, und mit Sicherheit war es das immer noch. Während des Krieges hatte er unsere schwarzen Kameraden gegen die Angriffe der anderen Offiziere verteidigt, denen die Farbigen nicht nur in den USA, sondern auch in der Fremde ausgesetzt waren. Genau wie ich war auch Ethan nach dem Krieg in den Polizeidienst getreten, unten in New Orleans, wo er immer noch Dienst tat. Er gehörte zu denen, die die Korruption in den eigenen Reihen und in der Justiz bekämpften. In der Zwischenzeit war er sogar Captain geworden, wie ich gehört hatte. Das hatte sicherlich viele verärgert.

Mein Grinsen wurde noch breiter, als ich plötzlich an Thomas Green denken musste. Der korrupte Staatsanwalt hatte mich in eine Falle gelockt, und so musste ich schließlich meinen Job bei der Polizei aufgeben. Wie die beiden wohl aufeinander reagieren würden, sollten sie jemals aufeinandertreffen? Aber das war wenig wahrscheinlich, denn immerhin lagen etliche Meilen zwischen Ethan Grey in New Orleans und Staatsanwalt Green hier in Chicago. Ich sollte mich noch wundern, aber das wusste ich jetzt natürlich noch nicht.

»Hast du derzeit einen Auftrag?«, fragte mich mein Freund, und ich verneinte. Ethan hätte eine Lüge sofort bemerkt. »Gut«, hörte ich ihn sagen, »dann hast du jetzt einen.«

Unwillkürlich schaute ich zur aufgeschlagenen Chicago Tribune auf Mias Schreibtisch.

New Orleans, die Mutterstadt des Jazz, und wir hatten hier einen Mord in der Jazz-Szene.

Zudem stammte die mutmaßliche Mörderin aus New Orleans. Ein Zufall?

»Was für einen Auftrag?«, fragte ich deswegen vorsichtig nach und sah, wie Mia mich aufmerksam beobachtete.

»Es gab gestern bei euch einen Mord in einem Jazzclub. Das Opfer ist eine Sängerin mit dem Namen Dana Denaux. Eine Frau, ebenfalls eine Sängerin, wurde als Mörderin verhaftet.«

Ich nickte, was Ethan natürlich nicht sehen konnte. »Shandra LeVay. Ja, das steht bereits in der Zeitung.«

Mia deutete überrascht auf den Artikel.

»Die LeVay soll die Denaux nach einem Streit ermordet haben.«

Ich hörte meinen alten Freund bitter lachen. »Ja, sie soll sie erstochen haben. Sagen jedenfalls die Kollegen bei euch. Nick, ich möchte, dass du nach Shandra LeVay siehst, mit ihr sprichst und dir ein eigenes Bild von der Sache machst. Und ich möchte, dass du den wahren Mörder suchst.«

Ich war überrascht.

»Gibt es dafür einen bestimmten Grund?«, fragte ich deshalb nach.

»Ja, gibt es. Sie war es nicht. Und ich traue den Kollegen bei euch nicht. Wenn die sich erst mal auf einen Verdächtigen eingeschossen haben, dann sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht.«

»Hm«, machte ich, »und das ist alles?« Ich konnte es nicht so ganz glauben.

»Reicht das nicht?«

»Doch, doch«, wiegelte ich schnell ab. Erstaunt sah ich zu Mia, die mich die ganze Zeit beobachtete und an ihrem Kaffee nippte. Wieso interessierte sich Ethan für einen Fall hier in Chicago? Da stimmte doch was nicht.

»Hör zu, Nick: Tu mir den Gefallen und übernimm den Auftrag. Sieh zu, dass du mit ihr reden kannst. Du sagtest doch mal, dass du mit dem Leiter der Mordkommission gut zurechtkommst. Mach dir einfach selbst ein Bild von dir Sache. Du wirst mir dann zustimmen, da bin ich mir sicher. Schreib all deine Auslagen auf. Die begleiche ich, wenn ich bei euch in Chicago bin.«

»Du kommst nach Chicago?«

Die Überraschungen rissen nicht ab an diesem Septembermorgen.

»So schnell wie möglich. Sobald ich da bin, melde ich mich bei dir. Ist das in Ordnung?«

»Natürlich«, murmelte ich und freute mich insgeheim schon auf unser Wiedersehen. »Und wenn sie es doch gewesen ist?«

»Sie war es nicht!« Ethan zögerte kurz. »Wir sehen uns dann, wenn ich bei euch bin.«

Er legte auf, und ich schaute immer noch ziemlich überrascht zu Mia.

»Wir haben einen Auftrag.«

 

***

 

Nachdem ich meinen alten Freund Captain Sam Johnson von der Mordkommission angerufen und von ihm erfahren hatte, wo sich Shandra LeVay derzeit aufhielt, war ich zunächst zu Paddys Speakeasy gegangen. Bevor ich mich auf den Weg zum Ersten Revier der South Side machte, brauchte ich einige Informationen, und es gab nur wenige, die mir schnell und zuverlässig welche geben konnten.

Im Speakeasy war noch nicht viel los, lediglich die Überlebenden der letzten Nacht waren an den Tischen zu finden. Schnell stand Paddy vor mir und stellte mir ungefragt einen Becher vor die Nase.

»Du warst einige Tage nicht da. Läuft dein Laden nicht?«, fragte er mich.

Ich sah ihn an, legte den Kopf schief und meinte: »Eigentlich wollte ich dir einige Fragen stellen – nicht umgekehrt.«

»Na dann schieß los«, meinte er, als ich einen Schein neben meinen Becher legte, und er sich davon überzeugt hatte, dass die anderen Gäste genug zu trinken hatten. Er verschränkte die Arme und stützte sie auf dem Tresen ab, sodass wir uns direkt anschauen konnten.

»Was weißt du über den Mord im Black Belt?«, wollte ich wissen.

»Machst jetzt einen auf Kultur?«, lachte er, wurde aber sofort wieder ernst: »Das Black Label ist ein Nobelschuppen, der aber jedem offensteht, nicht nur der Prominenz, die dort ein und aus geht. Dana Denaux war dort der Star der ersten Stunde, von dem Moment an, da der Laden vor einigen Jahren aufgemacht hat.«

»Und diese Shandra LeVay? Ich hörte, dass die klasse sein soll.«

Paddy schnalzte bewundernd mit der Zunge: »Und wie! Sie sieht aus wie eine Göttin, singt wie eine Göttin. Ich glaube, sie ist eine Göttin. Ehrlich gesagt, glaub ich nicht, dass sie was mit dem Mord zu tun hat.«

»Warum nicht?« Ich legte einen zweiten Schein zu dem ersten. Das sollte seine Stimmbänder schmieren.

»Hat sie nicht nötig. Sie hat die bessere Stimme.«

Ich runzelte die Stirn. »Warum ist sie überhaupt nach Chicago gekommen? Eine Idee?«

»Natürlich!«, platzte es aus ihm hervor. »Chicago ist gerade dabei, die neue Jazz-Metropole zu werden. Alles, was in der Jazz-Szene einen Namen habt, kommt nach Chicago.«

Das Gleiche hatte ich schon von Mia gehört. Es sollte also stimmen.

Ich trank den Becher leer, nickte Paddy zu und machte mich auf den Weg in die South Side. Shandra LeVay war noch immer auf dem Revier, wohin sie nach der Verhaftung in ihrem Hotelzimmer gebracht worden war. Die Anhörung würde sich etwas verzögern, denn in den letzten Tagen waren nicht nur einige Polizisten ums Leben gekommen, sondern auch etliche Anwälte und Richter. Die Gefängnisse waren voll.

Zudem war Shandra LeVay eine Berühmtheit, und die konnte man nicht einfach zu den Normalsterblichen in eine Zelle stecken. So hatte es mir zumindest Johnson erklärt und mich dann nach meinem Interesse an dem Fall gefragt. Ich hatte mich für die Wahrheit entschieden und ihm von Ethan und seinem Anruf erzählt. Johnson hatte mir aber keine großen Hoffnungen gemacht, einen anderen Täter zu finden. Der Captain des Ersten Reviers war laut seiner Aussage ein erstklassiger Polizist. Und wenn Johnson so etwas sagte, dann war da auch etwas dran. Allerdings würde er mich unterstützen und mir die Untersuchungsergebnisse anvertrauen. Im Gegenzug würde ich ihn darüber unterrichten, was ich herausfand. Der übliche Deal zwischen dem Leiter der Mordkommission und mir also.

Während ich die Michigan Avenue in Richtung Süden fuhr, seufzte ich. Meinen Hut hatte ich in den Nacken geschoben, zwischen meinen Lippen hing wieder eine Lucky. Durch Ethans Auftrag würde ich mir garantiert keine neuen Freunde bei der hiesigen Polizei machen. Davon hatte ich nach meinem Weggang dort sowieso nicht mehr viele. Nur wenige meiner ehemaligen Kollegen glaubten meiner Version der Geschichte, dass ich Green in die Falle getappt war. Leider nicht genug, und so war ich damals wegen Korruption entlassen worden, während Green immer noch seinen Job tat und sich schmieren ließ.

Ich nahm die Lucky und schnippte die Kippe aus dem Spalt des heruntergelassenen Fensters.

Ethan würde mir freilich ohne zu zögern helfen. Ihn hatte noch nie die Meinung der Masse interessiert. Aber im Gegensatz zu mir oder den meisten anderen Polizisten konnte Ethan sich so eine Einstellung auch leisten, denn er hatte eine reiche Familie. Auch wenn er die nie in den Vordergrund stellte oder ausnutzte. Das hatte er nicht nötig.

Vor dem Revier angekommen, blieb ich noch einen kurzen Moment im Wagen sitzen und schaute mir die Umgebung an. Das Erste Revier der South Side lag in der Mitte des Black Belt, jenem Gürtel, der zwischen der Van Buren Street, der 31st Street, der State Street und dem Lake Michigan lag. Über die Hälfte der schwarzen Bevölkerung lebte und arbeitete hier. Genau hier war auch die Jazz- und Blues-Szene entstanden, die Chicago nun zu einer neuen Metropole machte. Hier in der South Side lagen ohnehin viele Jazzclubs, Galerien, Museen und sogar die Chicago University. Diese war Ende des letzten Jahrhunderts gegründet worden und stand jedem offen. Den Reichen und Armen, den Weißen und Farbigen, den Männern und Frauen. Und schon jetzt konnte man sehen, dass die Universität gut war, denn viele ihrer Absolventen genossen mittlerweile ein hohes Ansehen in der Wirtschaft, und nicht wenige arbeiteten bei den Börsen dieser Welt.

Ich war aus dem Plymouth gestiegen und ging langsam die Treppe zum Revier hinauf. Gerade als ich die Tür öffnen wollte, wurde diese mit Schwung aufgestoßen. Eine junge Frau in Polizeiuniform stand in der Tür und sah mich kurz an. Dann war sie auch schon an mir vorbei. Da sie verdammt gut aussah mit ihren schwarzen Haaren, schaute ich ihr nach.

Schon bevor es ihnen erlaubt war zu wählen, durften die Frauen in Chicago in den Polizeidienst eintreten. Ich selbst hatte während meiner Dienstzeit einige Male mit Alice Clement zusammengearbeitet. In der Zwischenzeit war sie so was wie eine Legende und das Vorbild vieler Mädchen und junger Frauen.

Ich trat ein und schaute mich um. Irgendwie sahen alle Reviere in Chicago gleich aus. Der Desk Sergeant hier war ein Schwarzer, und er schaute mich neugierig an, als ich mit der Bitte ankam, den Revierleiter sprechen zu dürfen.

»Byrnes?«, fragte er mich und als ich nickte, winkte er einen jungen Beamten heran. »Hol doch

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 01-31-2019
ISBN: 978-3-7438-9536-2

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