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Die blutüberströmte Leiche hing an einem Stahlgerüst.

Es sah nicht danach aus, als ob dem Mann ein leichter Tod vergönnt gewesen wäre. Sein zottiger Rauschebart war verklebt, er hatte Schaum vor dem Mund. In den verdrehten Augen konnte man nur noch das Weiße erkennen. Sein einziges Kleidungsstück schien eine Art Kutte aus dunklem Stoff zu sein. Seine Arme waren nach beiden Seiten ausgestreckt und mit Draht an dem Gestänge befestigt worden.

Nicht nur wegen seiner langen Haare und seinem üppigen Bartwuchs erinnerte der Tote an unseren Heiland.

Es gab keinen Zweifel daran, dass dieses Mordopfer rund zweitausend Jahre nach Jesus Christus ebenfalls gekreuzigt worden war.

Ich hatte genug gesehen, um mir den Appetit auf meinen Frühstücks-Bagel zu verderben. Ich schob die Fotografie über meinen Schreibtisch hinweg in Richtung des arroganten Fatzkes, der vor fünf Minuten mein Office betreten hatte.

„Mein Beileid, falls der Bärtige ein Verwandter oder Freund von Ihnen war“, sagte ich. „Aber für Mordfälle ist hier in New York City immer noch die Polizei zuständig.“

Mein Besucher und möglicher Klient rümpfte die Nase und fixierte mich mit seinen kalten Augen, deren Farbe an Zigarrenasche erinnerte.

„Ich vertraue der amerikanischen Polizei nicht“, schnarrte er mit einem leichten Akzent. „Und Sie wurden mir als ein zuverlässiger und effizienter Privatdetektiv empfohlen.“

So etwas hört man natürlich gern. Vor allem, wenn man chronisch klamm ist, so wie ich es bin. Das Jahr 1928 war schon halb vorbei, und ich hatte noch nicht halb so viel Dollars gemacht wie Rockefeller an einem Tag. Oder während einer Stunde, was weiß ich. In diesen Kreisen treibe ich mich nicht herum. Mein Bares reichte meist nur für Miete, Hot-Dogs, Benzin, Kippen und den Lohn meiner Vorzimmer-Queen Lucy. Wobei Letzteres der wichtigste Ausgabenposten war. Denn ohne meine clevere Sekretärin hätte ich einpacken können, darüber machte ich mir keinen Illusionen.

Eigentlich hätte ich mich also vor Begeisterung überschlagen müssen, weil mir ein Auftrag winkte. Aber das tat ich nicht, denn ich konnte diesen Kerl im Maßanzug nicht ausstehen.

 

Er war schätzungsweise sechzig Lenze alt und saß auf meinem Besucherstuhl, als ob er einen Stock im Hintern hätte. Seine ganze Haltung wirkte soldatisch. Aber nicht so wie bei mir, als ich vor zehn Jahren in den Schützengräben Frankreichs als einfacher GI Dreck gefressen hatte. Nein, der Gentleman sah schwer nach Generalstab aus. Einer dieser Herrenreiter, die uns zu tausenden ins feindliche MG-Feuer gejagt hatten.

Doch ein amerikanischer Offizier konnte er nicht gewesen sein, dagegen sprach sein Akzent. Der hörte sich nämlich ziemlich europäisch an.

„Also, was ist nun? Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.“

Die Stimme dieses Unsympathen riss mich aus meinen Überlegungen. Ich beschloss, ihn ein wenig auf die Folter zu spannen und herauszufordern. Also schob ich meinen Bürostuhl etwas zurück, steckte mir eine Lucky Strike zwischen die Lippen und legte meine Füße auf den Schreibtisch.

Dem Herrenreiter quollen beinahe die Augen aus dem Kopf, was mich diebisch freute. Ich gab mir alle Mühe, seinem Klischeebild des ungehobelten Amerikaners zu entsprechen.

„Mit wem habe ich es überhaupt zu tun?“, fragte ich.

Als Lucy nämlich vor wenigen Minuten den Maßanzugträger in mein Allerheiligstes gelassen hatte, war er direkt auf mich los marschiert, um mir wortlos das Foto mit der blutigen Leiche auf den Schreibtisch zu legen. Er hatte es noch nicht für nötig gehalten, sich vorzustellen.

 

„Ich bin Alexej Masrow“, schnarrte er. Nun wurde mir Einiges klar.

„Oberst Masrow oder General Masrow?“, hakte ich nach. „Wie hat man Sie in der glorreichen Armee des Zaren angeredet?“

Masrow hob seine Augenbrauen.

„Sie sind nicht so dumm, wie Sie aussehen, Mr. Reilly. Ich war zu meiner aktiven Zeit Generalleutnant. Sie haben ebenfalls gedient, wie ich annehme?“

Ich zündete meine Kippe an und blies Rauch in Richtung der nikotingelben Zimmerdecke.

„Ja, aber der Krieg ist vorbei, falls Sie es noch nicht mitbekommen haben.“

„Sie sind ziemlich unverschämt, aber von einem Amerikaner kann man wohl nichts anderes erwarten. - Der Kampf gegen die Deutschen mag seit zehn Jahren vorbei sein, doch der Krieg gegen die gottlosen Kommunisten hat gerade erst begonnen.“

Masrow ging mir mit jeder verstreichenden Minute mehr auf den Wecker.

„Es gibt in New York City reichlich politische Debattierclubs, in denen fortgejagte Offiziere des Zaren ihr Herz ausschütten können. Das kratzt mich nicht, ehrlich gesagt. Erzählen Sie mir lieber etwas über den Toten. Denn wegen ihm sind Sie doch zu mir gekommen, oder?“

 

„Allerdings. Dieser heilige Mann, der so brutal ermordet wurde, hieß einfach nur Bruder Gregin. Er war ein Mensch mit besonderen spirituellen Kräften, der sogar das Vertrauen unseres geliebten Zaren genoss. Selbstverständlich wurde er von den Roten umgebracht, wer sollte es denn sonst gewesen sein?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wenn Sie schon wissen, wer für Gregins Tod verantwortlich ist, wozu brauchen Sie mich dann noch?“

Masrow beugte sich vor und senkte seine Stimme.

„Weil ich nicht weiß, wer ein Bolschewist ist und wer nicht. Selbst ein ungebildeter Amerikaner wie Sie wird schon gehört haben, dass die Roten von der Weltherrschaft träumen. Deshalb infiltrieren Sie jedes Land und jede Institution - womöglich auch die New Yorker Polizei!“

Ungebildet? Den Schuh zog ich mir nicht an. Schließlich ging ich regelmäßig ins Kino und führte mir dort die Wochenschau zu Gemüte. In der Zeitung überblätterte ich den Politikteil allerdings meistens, die Comics waren einfach unterhaltsamer.

Wie auch immer - dieser Kotzbrocken schaffte es allmählich, mein Interesse zu wecken. Aber erst musste ich ihn noch ein wenig hochnehmen.

„Es könnte doch auch sein, dass ich ein Kommunist bin“, gab ich zu bedenken.

Der Ex-Generalleutnant schüttelte den Kopf, als ob das ein völlig abseitiger Gedanke wäre.

„Nein, das glaube ich nicht. Ich erwähnte ja bereits, dass ich auf Empfehlung hier bin. - Father Flanagan von St. Patrick‘s hält Sie für einen erstklassigen Kriminalermittler und für einen guten Christen.“

Nun war ich wirklich sprachlos, was bei mir nicht oft vorkommt. Da können Sie fragen, wen Sie wollen. Ich fand es schon bemerkenswert, dass der alte Whiskypriester sich überhaupt noch an mich erinnerte. Seit meiner Ministrantenzeit hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er musste aus der Ferne meine fragwürdige berufliche Karriere verfolgt haben.

 

„Ich dachte immer, Russen wären orthodox und nicht katholisch“, murmelte ich nach einer kurzen Gesprächpause. Eine intelligentere Erwiderung wollte mir nicht einfallen.

„Das sind wir auch. Doch in diesem Sündenpfuhl New York City ist zweifellos ein Gottesmann die verlässlichste Informationsquelle. Da spielt es keine Rolle, welcher Konfession er angehört.“

Kaum war das Wort Sündenpfuhl gefallen, als Lucy unaufgefordert hereingeschneit kam.

 

„Die Gentlemen können gewiss einen Kaffee vertragen“, flötete sie. An diesem sonnigen Frühsommertag sah meine Sekretärin wieder umwerfend aus. Ihre dralle Figur steckte in einem luftigen Kleid mit Blumenmuster, das gerade bis zum Knie reichte. Das Haar trug sie neuerdings zu einer dieser modernen kurzen Flapper-Frisuren geschnitten.

Masrow warf ihr einen gereizten Blick zu, wodurch ihr Erscheinen mich noch mehr erfreute. Es machte einfach Spaß, diesen verknöcherten Zarenanhänger zu ärgern.

„Danke, Lucy“, sagte ich daher, nachdem sie meine Tasse vor mich hin gestellt hatte. Und ich fühlte mich noch besser, nachdem ich genippt hatte und feststellen musste, dass sich nicht nur Kaffee in dem Behältnis befand. Vielmehr hatte meine Vorzimmer-Queen das belebende Aufgussgetränk mit einer Flüssigkeit versetzt, die in Fässern bei Nacht und Nebel in die Staaten geschafft wurde und seit dem Volstead-Act hierzulande höchst illegal war.

 

Dank des Schmuggel-Rums schmeckte der Kaffee noch mal so gut. Ich hatte meine Füße vom Tisch genommen und schaute mir nun das Foto noch einmal genauer an.

 

„Grüßen Sie Father Flanagan von mir, wenn Sie ihn wiedertreffen, Mr. Masrow. - Wo genau ist Ihr heiliger Mann eigentlich gekreuzigt worden?“

„Am Gerüst einer Achterbahn“, gab der Ex-Offizier mürrisch zurück. Er musste seinen Kaffee offenbar pur trinken, sonst hätte er vielleicht auch gute Laune bekommen.

„Also auf Coney Island, in Klein-Moskau?“, vergewisserte ich mich. Nach der russischen Revolution waren zahlreiche Getreue des Zaren in die Staaten geflohen und hatten sich größtenteils auf Coney Island angesiedelt, was mir ein Rätsel war. Ich hätte eher vermutet, dass sich Einwanderer aus dem fernen kalten Riesenreich in solchen US-Bundesstaaten wie Minnesota oder Alaska wohler fühlen würden, wo man sich ganz amtlich den Hintern abfrieren kann.

Aber ich muss nicht alles verstehen, ich bin ja nur ein ungebildeter Amerikaner.

„Ja, auf Coney Island“, bestätigte Masrow. „Kann ich also davon ausgehen, dass Sie meinen Auftrag annehmen?“

„Sie erwarten also von mir, dass ich Gregins Mörder finde?“

Masrow nickte.

„Ja, und nicht nur das. Wenn Sie diesen elenden Schurken entlarvt haben, werden Sie sofort zu mir kommen und keinesfalls die Polizei verständigen.“

„Und warum nicht?“

„Weil ich Gregins Killer eigenhändig zu Tode peitschen will.“

 

 

2


Ich habe schon einige seltsame Klienten gehabt, aber so ein Wunsch ist mir noch nicht untergekommen. Eigentlich habe ich etwas gegen Selbstjustiz, ob sie nun mit dem Strick oder mit einer Peitsche durchgezogen wird. Dennoch nahm ich den Auftrag an. Dabei verschwieg ich Masrow allerdings, dass ich meinem Freund bei der New Yorker Polizei einen kleinen Tipp geben würde, bevor ich den Mörder ans Messer lieferte.


Auch ich habe meine Berufsehre.


„Wo hat Gregin eigentlich in New York gewohnt?“, fragte ich, während der Ex-Generalleutnant mir ein paar hundert Greenbacks als Vorschuss auf den Schreibtisch blätterte.

„Bei Großfürst Gropotkin an der Surf Avenue. Die gesamte adlige Familie konnte sich vor den roten Bestien retten. Gregin war schon in St. Petersburg ein Dauergast bei ihnen, daran hat sich auch in Amerika nichts geändert.“

„Und warum werde ich nicht von Gropotkin beauftragt?“, wunderte ich mich.

„Weil es unter der Würde des Großfürsten ist, sich mit Leuten wie Ihnen abzugeben“, erwiderte Masrow hochnäsig.

„Allmählich verstehe ich, warum es in Ihrem Land eine Revolution gegeben hat“, gab ich lässig zurück.

Der arrogante Fatzke lief vor Wut rot an.

Ich deutete mit dem Zeigefinger auf ihn.

„Sie sollten Ihren Teint besser im Griff haben. Sonst hält man Sie am Ende noch für einen Bolschewisten. Können Sie nicht mal einen kleinen Scherz vertragen? Nehmen Sie es leicht, wir sind hier in New York City.“

Masrow hatte sich bereits zuvor von dem Stuhl erhoben, um das Geld auf meinen Schreibtisch zu legen. Nun griff er zu seinem Spazierstock. Ich wettete mit mir selbst, dass er mir damit gern das Fell gegerbt hätte, so wie es seinesgleichen in der alten Heimat mit den Leibeigenen gemacht hatten. Doch stattdessen wandte er sich zum Gehen.

„Sie können mich telefonisch erreichen, wenn Sie den Täter gefasst haben. Ich zahle Ihnen noch einmal tausend Dollar, sobald sich die Kanaille in meiner Gewalt befindet.“

Mit diesen Worten zog er eine Visitenkarte hervor und warf sie auf meine Schreibunterlage. Dann marschierte er hinaus, als ob er auf dem Kasernenhof wäre.

Ich salutierte ironisch, gelernt ist gelernt. Aber das konnte der Ex-Offizier nicht mehr sehen, weil er bereits die Tür hinter sich zugeknallt hatte.

Gleich darauf erschien Lucy wieder auf der Bildfläche.

„Haben wir einen neuen Auftrag, Chef?“

Ich nickte und winkte meinen Barockengel zu mir heran.

„Du bist doch eine eifrige Zeitungsleserin, oder?“

„Allerdings. Wir haben ja in letzter Zeit nicht allzu viel Arbeit gehabt.“

„Das ist mir bekannt. Hast du in irgendeinem Käseblatt etwas über einen Mord auf Coney Island gelesen?“

Mit diesen Worten zeigte ich ihr das Foto des toten Gregin. Lucy erbleichte und bekreuzigte sich instinktiv. Ihre Erziehung zeigte Wirkung. Sie ist eben ein gutes katholisches Mädchen, das erst einmal kräftig sündigt, damit es etwas zum Beichten hat.

Meine Sekretärin schüttelte kräftig den Kopf.

Auf den Schreck musst sie sich erst einmal auf meine Schreibtischkante setzen, ihre anbetungswürdigen Beine übereinander schlagen und mir eine Zigarette klauen. Wie gesagt, das mit dem Sündigen funktioniert gut bei ihr.

Ich gab ihr Feuer.

„Danke, Chef. - Nee, dieser Tote sieht ja ziemlich gruselig aus. Darüber hat garantiert nichts in den Zeitungen gestanden. Und beim Frisör habe ich auch keine Geschichten über so einen Mord gehört.“

Auch ich gönnte mir nun eine neue Kippe.

„Seltsam, oder? Die Pressemeute stürzt sich sonst auf jedes noch so kleine Verbrechen, und wenn es eine Schlägerei in einem Speakeasy ist. Aber so eine Bluttat ist den Schmierfinken keine einzige Zeile wert?“

„Vielleicht, weil der Mord vertuscht wurde?“, mutmaßte meine clevere Vorzimmer-Schönheit.

Ich brachte meinen Denkkasten auf Hochtouren.

„Tja, das würde passen. Der Herr Generalleutnant Masrow will nämlich die Polizei aus dem Fall heraushalten, weil er glaubt, dass die Cops von den Roten unterwandert sind.“

Lucy lachte schallend.

„Dann ist unser Klient aber verflixt schlecht informiert! Weiß er nicht, dass alle New Yorker Polizisten Iren sind? Und die Bolschewisten stammen doch aus Russland, oder?“

Ich nickte.

„Eigentlich ja, obwohl es auch bei uns Kommunisten gibt. Die haben bloß nicht viel zu melden. - Aber wenn du mich fragst, dann müssen gar nicht unbedingt die Roten hinter dem Mord stecken.“

Lucy legte den Kopf schief.

„Warum nicht, Chef?“

„Wegen der Inszenierung. Es ist doch kein Zufall, dass dieser Gregin an dem Gerüst befestigt wurde wie unser Herr Jesus Christus am Kreuz. Für mich ist das eine klare Botschaft, aber an wen? Außerdem - warum lassen sich die Bolschewisten nach der Revolution zehn Jahre Zeit, um diesen Säulenheiligen umzulegen? Und wo ist überhaupt die Leiche?“

„An den Eisenstangen wird sie wohl nicht mehr hängen, sonst könnte man die Bluttat wohl kaum unter den Teppich kehren“, mutmaßte meine Sekretärin. „Wo steht dieses Gerüst eigentlich?“

„Auf Coney Island, es gehört zu einer Achterbahn.“

Lucy schüttelte sich.

„Brrrr, das hätte ich jetzt nicht erfahren müssen. Ich habe die Karussells und Buden am Brighton Beach schon als Kind geliebt. Auch heutzutage gehe ich an Sonntagen mit meinen Freundinnen immer noch gern dort an den Strand.“

Lucy bot im Badeanzug zweifellos einen erhebenden Anblick, doch für solche Fantasien war jetzt keine Zeit. Der Fall begann allmählich meine Neugier zu erwecken. Also stand ich auf und griff nach meinem Hut.

„Wo soll es hingehen, Chef?“

„Ich will mir ein wenig frische Atlantikluft um die Nase wehen lassen. Du hältst hier die Stellung, falls noch ein weiterer Ex-Generalleutnant einen Mord aufgeklärt haben will.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte Lucy und legte grüßend ihre Hand an einen nicht existenten Mützenschirm.

Ich ging hinter, warf mich auf den Sitz meiner alten Schrottkarre und fuhr durch das Verkehrsgewimmel von Manhattan südwärts. Coney Island ist eigentlich eine Insel, wird aber durch Brücken mit Brooklyn verbunden. Seit der Sowjet-Revolution vor zehn Jahren hatten sich hier viele Exil-Russen angesiedelt. Manche von ihnen liefen Gefahr, in der alten Heimat wegen ihrer politischen Ansichten einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Doch es gab auch Leute unter ihnen, deren Profite durch die neuen Herren im Kreml gemindert wurden.

Doch auch diese Ganoven verkauften sich selbst hervorragend als unschuldige Opfer der neuen russischen Regierung.

Während der langen Autofahrt blieb mir genügend Zeit für solche Betrachtungen. Ich musste irgendwo ansetzen und beschloss, zunächst mit dem Großfürst Gropotkin zu reden. Wahrscheinlich würde seine Hochwohlgeboren mich für einen Strolch halten und mich nicht empfangen wollen. Aber mit meinem irischen Dickschädel würde ich mich schon durchsetzen können.

Endlich erreichte ich mein Ziel. Ich parkte meinen Wagen am dreckigen Ende der Surf Avenue, dort fühlte ich mich einfach wohler. Dann schlenderte ich an den Tanzschuppen, Schießbuden, Karussells und Achterbahnen vorbei nach Norden, wo die besseren Häuser standen und der fröhliche Lärm der Jazz-Kapellen und Grammophone nicht mehr hin drang. Zuvor hatte ich im Telefonbuch die genaue Adresse des russischen Adligen nachgeschlagen.


Der Großfürst residierte in einer weitläufigen Villa im Cape-Cod-Stil. Von ihren Fenstern aus besaß man einen unverbaubaren Blick auf den Strand und den dahinter sich bis zum Horizont ausbreitenden Atlantik.

Ich betätigte am Haupteingang den Türklopfer in Form einer Meerjungfrau. Gleich darauf wurde mir von einem schwarzbärtigen Kerl geöffnet, der sofort als Preisboxer in einem der Vergnügungsetablissements am Brighton Beach hätte anfangen können. Er schaute mich so wütend an, als ob ich seine Mutter belästigt hätte.

„Ich müsste mal ein paar Takte mit Gropotkin reden“, gab ich mich locker und schob meinen Hut mit dem Daumen ins Genick.

Der Schwarzbart trug eine Art Wams mit breitem Lederkoppel sowie schwere Stiefel. Damit konnte er einem Mann gewiss hervorragend in den Hintern treten. Und er schien drauf und dran zu sein, mir gleich eine Kostprobe dieser Fähigkeit zu geben.

„Der Großfürst empfängt nicht“, knurrte der Hüne, wobei er das Wort Großfürst ehrfürchtig betonte. Sein Akzent wies ihn als einen Landsmann von Masrow aus.

„Es geht um Gregin“, sagte ich, wobei ich mein Gegenüber nicht aus den Augen ließ.

„Der Großfürst empfängt nicht“, wiederholte Schwarzbart. Sein englischsprachiges Vokabular schien sich in Grenzen zu halten. Oder er hatte einfach keine Lust auf eine stundenlange Debatte.

Bevor ich etwas erwidern konnte, knallte er mir die Tür vor der Nase zu.

So etwas passiert mir in meinem Job dauernd. Also nahm ich es ihm nicht krumm, machte kehrt und schlenderte davon. Ich war sicher, dass ich von der Villa aus beobachtet wurde. Der Kerl hatte noch nicht einmal wissen wollen, wer ich war.

Irgend etwas stank hier ganz gewaltig zum Himmel.

Wusste der Großfürst überhaupt, dass Masrow einen Privatschnüffler beauftragt hatte? Das würde ich ihn wohl selbst fragen müssen. Dafür musste ich allerdings das Anwesen erst einmal betreten können.

Nachdem ich außer Sichtweite war, schlug ich einen weiten Bogen und pirschte mich von der Ostseite aus erneut an das Haus heran. Hier waren etliche Fensterläden geschlossen. Einen Wachhund schien es nicht zu geben. Jedenfalls hoffte ich darauf, während ich über den Zaun stieg. Vorsichtig näherte ich mich der Villa.

Es gab eine schmale Seitentür, die meinem Dietrich nur wenige Minuten widerstehen konnte. Ich trat ein, blieb einen Moment lang im Halbdunkel des Flurs stehen und lauschte. Irgendwo spielte jemand Klavier. Aus einem Zimmer in der Nähe drang ein monotones Gemurmel einer Frauenstimme. Sie benutzte die russische Sprache.

Spontan beschloss ich, mit der Lady Kontakt aufzunehmen. Womöglich konnte ich mit meinem irischen Charme bei ihr besser landen als bei dem schwarzbärtigen Rabauken.

Ich öffnete die Tür, ohne anzuklopfen.

Die Blondine bemerkte mich nicht sofort. Sie war nur mit einem Nachthemd bekleidet und schien inbrünstig zu beten. Ob sie gar keine Schmerzen spürte?

Der Fußboden, auf dem sie kniete,

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: Germancreative, www.fiverr.com
Editing: Christel Baumgart, www.lektorat-mauspfad.de
Publication Date: 02-15-2018
ISBN: 978-3-7438-5639-4

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