Kapitän Peter Rasmus war ein gutaussehender Mann. Sein kantiges, wettergegerbtes Gesicht mit den stahlblauen Augen wirkte sympathisch. Rasmus saß an seinem Schreibtisch in der Kapitänskajüte und arbeitete an einigen Frachtbriefen. Er trug seine blaue Uniform mit den goldenen Ärmelstreifen, die seinen Rang auswiesen.
Der Kommandant der Frisia II ahnte nicht, dass er in dieser Nacht sterben würde.
Von draußen drangen die typischen Hafengeräusche an sein Ohr. Das Tuckern der Schlepper, die Rufe der Hafenarbeiter, das Rattern der rangierenden Züge. Heutzutage wurden die Waren meist direkt vom Schiffsbauch auf Straße und Schiene umgeladen. Lagerhaltung war ein teurer Luxus geworden.
Das galt doppelt und dreifach in den Zeiten der Finanzkrise. Fast ein Drittel aller Containerschiffe der Welt hatten Hamburg als Heimathafen. Doch wenn zu wenige Waren verschifft wurden, gab es keine Arbeit für die Offiziere und Besatzungen. Der Kommandant der Frisia II erinnerte sich schaudernd an die zahlreichen Containerschiffe, die vor dem Hafen von Singapur ohne Fracht auf Reede lagen. Sie warteten auf einen neuen Auftrag, der vielleicht nie kommen würde. Es gab einfach zu viel Fracht-Tonnage auf der Welt.
Kapitän Rasmus hatte noch andere Zeiten miterlebt. Obwohl er sich mit seinen einundfünfzig Jahren noch keineswegs alt fühlte. Nur wenige graue Strähnen durchzogen sein störrisches blondes Haar.
Der Mann in der Kajüte warf einen Blick auf die Wanduhr. Sie zeigte schon fast Mitternacht. Rasmus beschloss, die restlichen Arbeiten am nächsten Morgen zu erledigen.
Da öffnete sich plötzlich die Kabinentür!
Der Kapitän zog unwillig die Augenbrauen zusammen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn er unangemeldeten Besuch bekam. Aber als er die Person erkannte, wurden seine Augen ganz groß vor Erstaunen. Und vor Furcht, obwohl er kein Feigling war.
»Du …?«
Dies war das letzte Wort, das über die Lippen des Kapitäns kam. Ein Wurfmesser bohrte sich in seine Brust. Rasmus stieß einen schaurigen Todesschrei aus. Er kippte nach hinten, fiel schwer auf den stählernen Boden der Kajüte.
Der Mörder kam herein. Seine behandschuhten Hände drückten die Finger des Sterbenden um den Griff des Wurfmessers. Dieser ragte aus der blutenden Brustwunde.
Rasmus hatte nur noch wenige Sekunden zu leben. Als seine Augen brachen, hatte der Täter die Kabine bereits wieder verlassen.
Kriminalhauptkommissarin Heike Stein lächelte, als der Einsatzbefehl kam. Sie tat das natürlich nicht, weil sie sich über eine Straftat gefreut hätte. Die blonde Kriminalistin arbeitete schon lange genug bei der Sonderkommission Mord der Kripo Hamburg. Jeder Ermordete war in ihren Augen ein Ermordeter zu viel. Außerdem konnte ihr Chef, Kriminaloberrat Dr. Magnussen, ihr Lächeln gar nicht sehen. Er hatte sie nämlich telefonisch angewiesen, sich um den Fall zu kümmern.
»Da kann Ihre Praktikantin gleich etwas lernen, Frau Stein!«, bellte Dr. Magnussen noch, bevor er das Gespräch beendete.
Heike legte ebenfalls den Hörer auf. Heike blickte der anderen jungen Frau ins Gesicht, die außer ihr selbst in den nächtlich-verwaisten Büros der Sonderkommission im Polizeipräsidium saß. Das Gebäude befand sich in dem ruhigen vorstädtischen Stadtteil Alsterdorf.
Kriminaloberkommissarin Irene Lindinger war sichtbar nervös und unsicher. Und das war auch kein Wunder. Ihre erste Dienstnacht in Hamburg – und schon stand ein mutmaßlicher Mordfall auf dem Plan!
Irene war allerdings keinesfalls eine Praktikantin, wie Dr. Magnussen sie fälschlicherweise bezeichnet hatte. Heike wusste aus bitterer eigener Erfahrung, dass ihr Vorgesetzter überhaupt nichts von Frauen im Polizeidienst hielt. Da kümmerte es ihn auch herzlich wenig, dass Irene den Rang einer Kriminaloberkommissarin hatte und über mehrere Jahre Diensterfahrung verfügte. Aber man hatte ihm die junge Frau eben »aufs Auge gedrückt«, wie er selbst es nannte.
»Dann wollen wir mal ins kalte Wasser springen, Irene«, sagte Heike und stand auf. »Wortwörtlich musst du meinen Spruch aber nicht nehmen – obwohl der Alarm aus dem Hafen kam.«
»Eine Wasserleiche?«, fragte Irene entsetzt. Heike wusste, dass ihr Schützling bisher nur im Betrugsdezernat gearbeitet hatte. Dort gab es äußerst selten Todesfälle. Aber während der Ausbildung bekam man Wasserleichen zumindest auf Fotos zu sehen. Und das war wirklich kein schöner Anblick.
»Nein, keine Wasserleiche.« Heike blickte auf die Notizen, die sie sich während des Telefonats gemacht hatte. »Der Kapitän eines Frachters ist tot. Selbstmord oder Mord, das steht noch nicht fest. Unsere Kollegen von der Spurensicherung und von der Gerichtsmedizin werden bereits vor Ort sein. – Dann wollen wir mal!«
Irene folgte der Hamburgerin wie ein treues Hündchen. Was blieb ihr auch anderes übrig? Die Oberkommissarin stammte aus Nürnberg, war zum ersten Mal in ihrem Leben in Hamburg. Vier Wochen lang sollte sie die Arbeit der Sonderkommission bei der Kripo Hamburg kennen lernen Grundlage dafür war ein länderübergreifendes Austauschprogramm der Polizei.
Die beiden Kriminalistinnen bekamen von der Fahrbereitschaft einen zivilen VW Golf mit Polizei-Funkgerät. Während Heike den Wagen startete, begann sie ein Gespräch. Sie wollte Irene die Nervosität nehmen.
»Wusstest du, dass Hamburg den größten Hafen Deutschlands besitzt?«
»Nein, Heike. Ich meine … ich habe mir darüber noch nie Gedanken gemacht.«
»Kann ich mir vorstellen«, schmunzelte die blonde Hamburgerin. »Wenn man im Binnenland lebt, ist das verständlich. Aber wir haben den Hafen hier direkt vor der Nase. Der Hafen hat Hamburg reich gemacht. Das ist eine Tatsache.«
Während sie redete, trieb Heike den Wagen zügig nach Süden. Auf den nächtlich-leeren Straßen kamen die beiden Frauen gut voran. Als sie die Baakenbrücke überquerten, wurden Irenes Augen ganz groß. Und in diesem Moment verstand die Nürnbergerin den Stolz, der aus den Worten ihrer Hamburger Kollegin sprach.
Das Panorama des nächtlichen Hafens zeigte eine riesige Zone fiebriger Aktivität. Kräne waren in Betrieb, größer und höher als die höchsten Kirchtürme Nürnbergs. Container wurden auf LKWs und Güterzüge verladen. Es herrschte hektische Betriebsamkeit.
Der Hamburger Hafen ist ein so genannter offener Tidehafen, unterliegt also dem Wechsel von Ebbe und Flut. Mit seinen 7.236 Hektar ist er nach Rotterdam und Antwerpen der drittgrößte Hafen Europas. 9,7 Millionen Standardcontainer wurden 2008 dort umgeschlagen. Doch nicht nur im Frachtbereich, auch als Anlaufpunkt für Kreuzfahrtschiffe gewann der Hafen immer mehr an Bedeutung.
»Die Zeiten der Seefahrerromantik sind wohl vorbei«, seufzte Heike. »Aber ich kann mir nicht helfen – die Atmosphäre packt mich immer noch, obwohl ich in Hamburg geboren und aufgewachsen bin.«
Irene nickte nur. Sie schaute die kleinen und großen Schiffe aus aller Herren Länder an, die an den Kais festgemacht hatten. Die Frachter stammten aus China und Norwegen, aus Nigeria und Australien und Malta und unzähligen anderen Staaten.
»Da ist der Grasbook«, sagte Heike und zeigte auf eine Ansammlung von Lagerschuppen. »Dort wurde im Mittelalter der Seeräuber Klaus Störtebeker hingerichtet. – Und weiter links dürfte unser aktueller Tatort sein.«
Nun erblickte auch Irene den Streifenwagen, der mit rotierendem Blaulicht neben der mächtig aufragenden Bordwand eines Frachtschiffs stand. Am Heck des Wasserfahrzeugs war der Name zu lesen: Frisia II. Und darunter der Heimathafen: Hamburg.
Im Näherkommen erkannte Heike auch die Fahrzeuge von Spurensicherungsteam und von der Gerichtsmedizin.
Die beiden Kriminalistinnen stiegen aus. Irene fröstelte leicht in der steifen Brise, die von der Nordsee her kam. Die Nürnbergerin war mit ihrem altrosa Leinenkostüm, Bluse und Strumpfhosen eindeutig zu leicht angezogen für eine Hamburger Frühlingsnacht.
Heike hingegen trug nicht nur einen knielangen grauen Wollrock, sondern auch einen Rollkragenpullover aus dem gleichen Material. Ihre Beine steckten in warmen, blickdichten Strumpfhosen. Da sie auch noch einen blauen zweireihigen Blazer mit Hamburg-Wappen auf der Brusttasche trug, sah sie in dieser Nacht ganz besonders hanseatisch aus.
Heike hängte ihren Dienstausweis an ihr Revers. Irene folgte ihrem Beispiel. Aber der uniformierte Polizist, der am Zugang zum Schiff Wache schob, hatte die blonde Hamburgerin sowieso schon erkannt.
»Ach, Sönkes Tochter höchstpersönlich! Na, dann kann der Mörder ja einpacken!«
Heike lächelte, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
»Du hattest auch schon mal einen besseren Schnack drauf. – Wo ist der Tote?«
»In der Kapitänskajüte«, grinste der Polizist.
Heike und Irene kletterten zur Bordwand empor.
»Puh, ist diese Treppe steil!«, stöhnte die Nürnbergerin.
»Das ist keine Treppe, sondern eine Gangway«, erklärte Heike.
»Ach so. Und wieso kennt der Kollege deinen Vater? Mit Sönkes Tochter warst doch du gemeint, oder?«
»Richtig, Irene. Er kennt meinen alten Herrn, weil jeder Polizist in Hamburg Sönke Stein kennt – den ehemaligen Dienststellenleiter der Davidwache auf St. Pauli.«
Während sie miteinander sprachen, erklommen Heike und Irene die steile Gangway. Nur wenige Lampen erhellten den stählernen Riesenleib des Frachters. Die Hamburgerin ließ sich dadurch nicht beirren. Zielstrebig eilte sie durch Gänge, kletterte schmale Stufen hoch.
»Warst du schon einmal auf diesem Schiff?«, fragte Irene verblüfft.
»Das nicht«, entgegnete Heike. »Aber Frachtschiffe ähneln einander, weißt du. Die Kapitänskajüte befindet sich beispielsweise immer in der Nähe von Funkbude und Brücke, damit … ah, da sind wir schon!«
Nun entdeckte auch die Nürnbergerin den Blechsarg, in dem die sterblichen Überreste des Opfers später abtransportiert werden würden. Das Behältnis stand hochkant gegen eine stählerne Wand gelehnt.
Heike und Irene betraten einen hell erleuchteten Raum. Das Spurensicherungsteam steckte bis über die Ellenbogen in der Arbeit. Ein Polizeifotograf machte mit Blitzlicht verschiedene Aufnahmen des Toten. Ein Mann in einem grauen Anzug kniete neben der Leiche. Er hieß Dr. Lehmann und war Gerichtsmediziner. In einer Ecke saßen ein weiterer uniformierter Polizist sowie ein bleicher Mann in Arbeitskleidung. Offenbar ein Besatzungsmitglied, wie Heike vermutete.
»Guten Morgen allerseits«, sagte die blonde Hauptkommissarin, denn es war bereits weit nach Mitternacht.
Der Gerichtsmediziner blickte auf.
»Guten Morgen, Frau Stein. Mir scheint, Ihre charmante Kollegin kenne ich noch nicht …«
Heike stellte die Nürnbergerin und den Pathologen einander vor. Innerlich schmunzelnd registrierte Heike, dass Dr. Lehmann Feuer und Flamme für die zierliche dunkelhaarige Irene war. Der Gerichtsmediziner konnte zwar nicht gerade als Casanova bezeichnet werden, doch bei gutaussehenden Frauen legte er sich immer besonders ins Zeug, weswegen auch Heike bei ihm einen Stein im Brett hatte.
Doch an diesem frühen Morgen flirtete Dr. Lehmann nur mit Irene.
»Wie konnte ich Sie bisher nur übersehen, Frau … äh, Frau Lindinger? Das ist wirklich unverzeihlich von mir!«
»Vielleicht liegt es daran, dass Frau Lindinger normalerweise in Nürnberg arbeitet«, bemerkte Heike trocken. »Können Sie uns schon erste Ergebnisse präsentieren, Herr Dr. Lehmann?«
»Selbstverständlich, selbstverständlich!«
Eifrig deutete der Pathologe auf den Leichnam. Irene war inzwischen fast so bleich wie der Mann in Arbeitskleidung. Heike hatte dafür vollstes Verständnis, obwohl sie selbst oftmals schon wesentlich schlimmer zugerichtete Leichen gesehen hatte.
Der tote Kapitän lag auf dem Rücken. Der Mund war noch halb geöffnet. Mitten in seiner Brust steckte ein Messergriff, um den sich die rechte Hand des Toten gekrampft hatte. Der linke Arm lag ausgestreckt zur Seite.
»Der Tod ist erst vor dreißig bis sechzig Minuten eingetreten«, sagte der Gerichtsmediziner. »Ein Matrose« – er deutete auf das Bleichgesicht im Arbeitsoverall – »hat telefonisch den Notruf verständigt, nachdem er einen Schrei gehört hatte und den Kapitän hier in diesem Zustand vorfand. Acht Minuten später war ein Streifenwagen vor Ort. Dann wurden ich sowie die Kollegen von der Technischen Abteilung gerufen. Es ist selten, dass wir so kurze Zeit nach dem Freitod eintreffen.«
»Freitod«, wiederholte Heike. »Sie glauben, es liegt Selbstmord vor?«
»Davon bin ich zunächst ausgegangen, Frau Stein«, erklärte der Gerichtsmediziner. »Immerhin hat der Tote den Messergriff noch umklammert.«
»Vielleicht ein verzweifelter Versuch, das Messer wieder herauszuziehen«, mutmaßte die Kriminalistin.
Dr. Lehmann schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Dafür war die Wunde zu tief. Als das Messer ganz im Körper steckte, kann er nur noch ganz kurze Zeit gelebt haben.«
Heike zog die Augenbrauen zusammen.
»Der Tod ist also durch den Stich eingetreten, Herr Dr. Lehmann?«
»Exakt, Frau Stein. Es liegt nur eine einzige Stichwunde vor. Aber die hat vollkommen ausgereicht. Ein genaueres Ergebnis kann ich Ihnen erst mit dem schriftlichen Bericht vorlegen. – Nun bin ich aber neugierig, was Frau Lindinger von Nürnberg nach Hamburg verschlagen hat …«
Heike überließ es ihrer »Praktikantin«, weiter mit Dr. Lehmann zu reden. Die Hamburgerin hatte zunächst alles Wichtige erfahren. Sie wandte sich den Spurensicherern zu. Deren Chef, Paul Sommer, erhob sich ächzend vom Boden.
»Man wird auch nicht jünger, Heike. Aber Spuren finden sich eben in den unmöglichsten Winkeln …«
»Könnt ihr mir schon Fakten bieten, Paul?«
Der Mann von der Technischen Abteilung nickte.
»Du hast sicher bemerkt, dass die Waffe ein typisches Wurfmesser ist.«
»Ja, habe ich. Und es kommt mir unglaubwürdig vor, dass sich jemand ausgerechnet mit einer solchen Klinge selbst entleibt.«
»Wieso?«, fragte Paul Sommer überrascht.
»Weil sich andere Messer einfach besser für den Freitod eignen. Außerdem, würdest du dir selbst ausgerechnet in die Brust stechen? Dorthin, wo am meisten Widerstand zu erwarten ist?«
»Ich würde mich überhaupt nicht umbringen, Heike.«
»Ich auch nicht, Paul. Die Frage war hypothetisch. Es geht mir nur um die Wahrscheinlichkeit eines Selbstmordes.«
»Verstehe. Du meinst, jemand hat das Messer auf ihn geworfen?«
»Ja, davon gehe ich eher aus«, sagte Heike und gähnte verstohlen. Der nächtliche Tatortdienst war kein Zuckerschlecken. Sie sehnte sich nach einem starken Kaffee.
Paul Sommer nickte langsam.
»Für deine Annahme sprechen die Blutstropfen. Sie sind ganz schön weit gespritzt, teilweise fast zwei Meter. Die Klinge muss also mit Wucht in den Körper eingetreten sein. Bei einem Selbstmord kommt mir das unwahrscheinlich vor. Außerdem dürfte es eine große Überwindung kosten, sich selbst ein Messer in die Brust zu rammen. Es gibt schließlich so was wie einen Selbsterhaltungstrieb des Menschen.«
»Die japanischen Samurai-Krieger pflegten sich früher beim Harakiri, ihrem rituellen Selbstmord, das Messer in den Bauch zu stoßen«, dachte Heike laut nach. »Das geht einfacher, schätze ich. Jedenfalls sollten sich entweder für einen Mord oder für einen Selbstmord Hinweise finden lassen.«
»Das ist euer Job, Heike.«
»Was du nicht sagst, Paul.« Die blonde Kriminalistin zwinkerte dem Leiter des Spurensicherungsteams zu. »Aber ein paar Hinweise kannst du mir doch noch geben, oder? Zum Beispiel, ob sich Fußspuren von Fremden nachweisen lassen.«
Paul Sommer schüttelte den Kopf.
»Das ist auf dem Deckboden so gut wie unmöglich. Außerdem gehen in der Kapitänskajüte vermutlich mehrere Besatzungsmitglieder ein und aus. Zumindest der Steward und die Offiziere.«
»Da hast du auch wieder Recht.« Heike runzelte die Stirn. Von der Spurensicherung waren zunächst keine weiteren Angaben zu erwarten. Auf der Mordwaffe würden die Fingerabdrücke des Opfers sein. Soviel konnte sie sich selbst zusammenreimen. Selbst wenn es Abdrücke anderer Personen gab, würden diese vermutlich zerstört worden sein.
Die blonde Kriminalistin wandte sich nun dem bleichen Mann im Arbeitsanzug zu.
»Ich bin Kriminalhauptkommissarin Stein, Kripo Hamburg. – Haben Sie den Toten gefunden?«
»J… jawohl, Frau Kommissarin. Ich bin Vollmatrose Jan Allert, wohnhaft hier in Hamburg. Ich hatte heute Nacht Bordwache.«
Inzwischen hatte Dr. Lehmann seine Leute verständigt, damit sie den Toten abtransportierten. Dadurch gab es etwas Hektik in der Kajüte. Nachdem der Sarg hinausgeschafft worden war und auch der Gerichtsmediziner sich verabschiedet hatte, wurde es wieder ruhiger. Irene gesellte sich zu Heike.
»Bordwache mussten Sie also schieben. Wissen Sie denn, wer außer Ihnen noch auf der Frisia II war, bevor Sie den Schrei hörten?«
Allert kratzte sich nachdenklich im Nacken.
»Tja, schwer zu sagen, Frau Kommissarin. Die Besatzung ist vollzählig abgehauen. Landurlaub für alle, bis auf mich. Die Offiziere hatten auch Landurlaub. Aber bei denen weiß ich nicht, ob der eine oder andere noch in seiner Kabine war. Weil, ich habe ja nicht überall reingeguckt.«
»Verständlich. Noch weitere Personen, die sich an Bord aufgehalten haben?«
»Ja, die Passagiere. Zwei hatten wir auf dieser Fahrt dabei. Ich weiß aber auch bei denen nicht, wann sie ihre Kabinen verlassen haben.«
»Sie wissen überhaupt nicht viel, Herr Allert«, sagte Heike scharf. »Wissen Sie denn, wo Sie gepennt haben, als der Schrei ertönte?«
Der Vollmatrose errötete daraufhin wie ein ertappter Schuljunge.
»Wie können Sie wiss… äh … ich meine, wie kommen Sie darauf …«
Er verhaspelte sich und hielt schließlich seinen Schnabel.
»Ich kenne die Handelsschifffahrt, Herr Allert. Die Kripo Hamburg hat öfter mit Seeleuten zu tun, wissen Sie. Und Sie können mir nicht erzählen, dass Sie auf Bordwache im Heimathafen wirklich wachsam gewesen sind. Das macht kein Fahrensmann! Im Heimathafen fühlt man sich so sicher wie in Abrahams Schoß!«
»Stimmt schon, Frau Kommissarin«, murmelte Allert verlegen. »Ich hatte mich im Salon ein wenig aufs Sofa gelegt. Da wurde ich durch den Schrei geweckt. Ich bin dann gleich nach oben, weil der Salon ist direkt hier drunter. Die anderen Türen waren zu, nur die von der Kapitänskajüte stand offen.«
» Haben Sie jemanden bemerkt? Außer dem toten Kapitän, natürlich.«
»Nein, keine Menschenseele«, erwiderte Allert. »Ich bin rein und hab’ den Käpt’n in seinem Blut liegen sehen. Da kommt jede Hilfe zu spät, habe ich mir gesagt. Also habe ich gleich über das Telefon des Kapitäns Alarm geschlagen.«
Heike hatte sich fleißig Notizen gemacht. Sie legte nachdenklich
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Martin Barkawitz
Images: www.klauddesign.com
Publication Date: 06-28-2016
ISBN: 978-3-7396-6249-7
All Rights Reserved