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Kira

Wasser.

 

Meer.

 

Ozean.

 

Diese Worte lassen mein Herz höher schlagen.

 

Wale und Delfine haben es mir besonders angetan.

Seit 2007 bin ich Walpatin und aktive Unterstützerin in der WDCS, der 'Whale and Dolphins Conservation Society'. Eine Organisation, die 1987 in Groß Britannien gegründet wurde und sich für den Schutz von Walen und Delfinen einsetzt.

 

Mein Patenwal hat den klangvollen Namen Kira. Sie gehört zum Pod A5. So bezeichnet man die Gruppen. Hauptsächlich leben die weiblichen Tiere in diesen Verbänden zusammen und kümmern sich um die Aufzucht der Jungen.

Die Bullen (so werden die Männchen bezeichnet) führen ihr eigenes Leben und stoßen nur zum Pod hinzu, wenn sie sich paaren wollen.

 

Kira ist ein Schwertwal. Den meisten sind sie eher unter der Bezeichnung "Orca" oder "Killerwal" bekannt, wobei die Bezeichnung Killerwal bei mir immer sauer aufstößt. Sie morden nicht aus Spaß, sondern kämpfen um ihr Überleben. Dabei gehen Schwertwale sehr systematisch bei ihrer Suche nach Futter vor und koordinieren ihre Jagd, um den bestmöglichen Erfolg zu haben. In unseren Augen mag das gemein erscheinen, doch die Natur ist nun einmal nicht freundlich und hat für jedes Lebewesen ein üppiges Buffet bereitgestellt.

 

Kiras hat eine Schwester. Sie heißt Uma und ist ebenfalls Mitglied im Pod A5. Im Gegensatz zu Kira ist Uma bereits Mutter eines Bullen. Man hat ihn den Namen Surf gegeben. Kira ist somit Tante! Und das mit Leidenschaft.

 

Immer wieder wurde beobachtet, wie liebevoll sich Kira um ihren Neffen gekümmert hat. Gemeinsam mit Uma brachten die beiden Surf alles bei, was man als Wal zum überleben wissen muss. Kira war eine tolle Tante.

 

Nun ist es heraus. Den letzten Absatz habe ich von Kira in der Vergangenheit geschrieben.

Vor einigen Jahren erfuhr ich, dass mein Patenwal seit längerer Zeit nicht mehr gesehen wurde. Ich hatte inständig gehofft, dass es ihr gut geht. Immer wieder kommt es mal vor, dass ein Wal sich vom Pod weiter entfernt, um Ausschau nach Futter zu halten, oder er verirrt sich. Meistens kehren sie aber zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Pod zurück.

 

Doch Kira blieb verschwunden und wurde schließlich für tot erklärt.

 

Die Vermutung liegt nahe, dass sie einem Walfänger zum Opfer gefallen ist.

 

Tatsächlich habe ich um sie geweint. Das gebe ich ehrlich zu, selbst wenn es einem Außenstehenden seltsam erscheinen mag. Viele Monate hatte ich getrauert. Gehofft.

Während der Zeit meiner Patenschaft wurde ich mehrmals im Jahr darüber unterrichtet, was Kira so gemacht hat. Wohin die Reise sie führte. Ihre Fürsorge zu ihrem Neffen.

Schwertwale haben ein sehr ausgeprägtes Sozialverhalten. Ähnlich dem der Delfine. Was daran liegt, dass Delfine und Schwertwale miteinander verwandt sind. Falls es Dir nicht bekannt ist: Schwertwale sind die größte Delfinart. Sie kümmern sich um einander, wie es sich innerhalb einer Familie gehört.

 

Nach der Trauer folgte die Wut. Und sie ist noch lange nicht verraucht.

Der Zorn darüber, weshalb diese Tiere heute noch immer gejagt werden.

Dieses sinnlose morden, ausgeführt vom größten Raubtier überhaupt - dem Mensch -, der dem Orca mit seinen hoch motorisierten Schiffen und Jagdmaschinen keine Chance bietet.

 

Von Fairness kann hier keine Rede sein.

 

Und Walfleisch hebt nicht die Potenz des Mannes! Das wurde bereits wissenschaftlich bewiesen.

 

Die Bullen können bis zu 60 Jahre alt werden, während die Kühe (so bezeichnet man die Weibchen) ein Alter von 80 Jahren oder mehr erreichen können, sofern man die Tiere nicht in Gefangenschaft hält. Dann erreichen sie gerade mal die Hälfte ihres Alters.

 

2008 startete ich meine erste Forschungsreise mit der WDCS. Ich war Teil eines Teams, bestehend aus 6 Teilnehmern und 2 Wissenschaftlern. Wir sollten in der "Straße von Gibraltar" Ausschau nach Walen halten.

 

 

(Die Straße von Gibraltar mit Blick auf Marokko an einen klaren Tag)

 

Wir bekamen eine kurze Einweisung und zählten die Anzahl der Tiere in einem Pod, schauten, ob Nachwuchs darunter war, oder ob besondere Merkmale an der Fluke (so bezeichnet man die Schwanzflosse), wie Einkerbungen oder spezielle Zeichnungen, Markierungen oder Narben zu erkennen waren, etc. Diese Informationen wurden alle notiert, später mit den Daten im Computer abgeglichen, um einen Überblick zu bekommen, ob und was sich innerhalb des Pods verändert hat.

 

 

(Die Fluke eines Pottwals)

 

Es waren Aufgaben, die dem Wissenschaftsteam bei ihren Studien und Beobachtungen halfen. Ich weiß, dass diese Aufgaben nicht besonders schwierig waren. Ich bin auch keine studierte Wissenschaftlerin. Dennoch gab man mir das Gefühl, einen wichtigen Beitrag zu leisten.

 

Hast Du schon mal versucht über eine halbe Stunde lang das Wasser nach einem Blas - der Wasserstrahl, der entsteht, wenn ein Wal ausatmet - abzusuchen? Das verlangt viel Konzentration, denn irgendwann beginnt Dein Gehirn, Dir Streiche zu spielen. Man sieht Dinge auf dem Wasser die nicht existieren. Die Hoffnung manifestiert sich am Horizont, vergleichbar mit einer Fatamorgana.

 

Ich machte es sehr gern. Der Adrenalinstoß mit dem sofortigen Einsetzen der Freude, die bei den Worten: "Blas auf 11 Uhr!" entstand, entschädigte mich für alles. Dann hieß es Boot wenden und dem Wal folgen. Das war nicht immer leicht.

Wenn ein Pottwal keine Lust mehr hat, taucht er einfach ab und ist verschwunden.

Ich lernte den Zeitpunkt zu erkennen, kurz bevor der Wal auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Ozeans verschwinden würde.

 

Nachdem die 8-tägige Tour vorbei war, fiel mir der Abschied von den Pottwalen, Streifendelfinen, Gemeinen Delfinen, den Großen Tümmlern, dem Finnwal und den Pilotwalen schwer. Orcas hatte ich leider keine gesehen. Aber das war in Ordnung. Schließlich kann man Tiere in Freiheit nicht zwingen, sich dem Wunsch des Menschen unterzuordnen.

Die Tiere machten mir bewusst, wie schön es ist, sie in ihrer wahren Umgebung zu sehen. Wenn sie miteinander spielten, sich neckten und um die Führung in der Bugwelle unseres kleinen Bootes rangelten. Das alles hatte eine beruhigende Wirkung und eine Faszination auf mich ausgeübt, wie ich es zuvor noch nie erlebt hatte.

 

 

(Ein Gemeiner Delfin spielt mit der Bugwelle eines Schiffes - Das hautnah zu erleben ... unbeschreiblich!)

 

Es bereitete mir so viel Freude, dass ich mich für eine weitere Exkursion anmeldete. Diesmal ging es nach La Gomera.

 

Auch dort gab es viele Walsichtungen. Besonders Pilotwale. Sie werden auch die 'Geparden' des Meeres genannt. Von ihnen ein vernünftiges Foto zu machen glich einer Herausforderung. Oftmals tauchten mehrere Gruppen vor unserem Boot auf. Sie sind dort in der Region zuhause, machen also keine großen Wanderungen durch die Meere wie andere Walarten.

 

Am letzten Tag hatten wir schönsten Sonnenschein, doch auch nach drei Stunden Fahrt auf dem Wasser, hatten wir noch keine einzige Sichtung gehabt. Und so begaben wir uns auf den Heimweg.

 

Eine Stunde vor unserer Ankunft am Ziel ...

 

Endlich.

 

Eine Sichtung!

 

Der Kapitän ließ den Motor unseres Bootes verstummen. Die Pilotwale, eine Gruppe von 7 Tieren, waren noch etwas entfernt. Dennoch schien unser Boot ihre Aufmerksamkeit erweckt zu haben.

 

Sie schwammen direkt auf uns zu.

 

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Aus 7 Tieren waren 8 geworden. Hatten wir uns verzählt?

Dann klärte sich der Irrtum.

Unter ihnen war plötzlich ein Baby.

Es musste erst vor wenigen Minuten geboren worden sein. Die Gruppe hatte Mutter und Kalb (so wird das Baby genannt) schützend in ihre Mitte genommen. Das Kalb schwamm dicht neben seiner Mutter und wich nicht von ihrer Seite.

 

Ein Neugeborenes ist noch nicht in der Lage längere Zeit unter Wasser zu verbringen und bleibt daher erst einmal an der Wasseroberfläche.

Das Kalb erblickte unser Boot und starrte mich an. Diesmal kam ich mir vor, als wäre ich das Tier im Käfig.

 

Mit einem Mal hörte ich Stimmen. Zuerst konnte ich nicht einordnen, woher sie kamen. Die Töne klangen fremdartig. Ähnlich dem, wenn ein Baby ruft. Hoch, aber doch melodisch. Einladend.

Ich starrte auf die Gruppe, die nur wenige Meter vor uns im Wasser trieb. Augenscheinlich hatten sie eine Pause eingelegt. Das Kalb sah mich noch immer aus dem Wasser heraus an. Erneut drangen diese Töne an mein Ohr.

Es sprach zu mir.

Ich schwankte zwischen Faszination und Ohnmacht. Möglicherweise war es aber auch nur das Schaukeln des Bootes, das mich ins Wanken brachte. Plötzlich durchflutete ein Zittern meinen gesamten Körper. Gleichzeitig  geriet meine Gefühlswelt aus den Fugen und war nicht mehr zu bändigen. Ich wollte ihm so gern antworten, doch ich spreche leider kein Walisch - wie Dorie aus 'Findet Nemo'.

Ich kann nicht sagen wie es passierte, doch irgendetwas brachte meine Hand dazu, den Auslöser der Filmkamera zu aktivieren. Mein Hirn war es bestimmt nicht gewesen, da es mit anderen Dingen beschäftigt war: zum Beispiel dafür zu sorgen, dass ich das atmen nicht vergaß.

 

Irgendwann stellte das Kalb wohl fest, dass es Probleme mit der Verständigung gab. Ich bildete mir ein, dass seine Mutter es ihm gesteckt hatte. Sie hatte ihrem Spross bestimmt erzählt, dass man mit diesen seltsamen Kreaturen auf der Wasseroberfläche nicht vernünftig kommunizieren könne.

Wie ich darauf komme? Ganz einfach.

Es waren noch andere Töne zu hören, die nicht vom Kalb kamen.

Schließlich wurde es ihm zu langweilig und der Pod zog von dannen.

Ich schaute der Gruppe so lange hinterher, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden war.

 

Walgesänge kann man heutzutage auf CD kaufen. Aber das ist nichts im Vergleich dazu, wenn ein Kalb dich ansieht, diese wundervollen Töne von sich gibt und versucht, eine persönliche Nähe zu schaffen.

Noch heute höre ich mir die Aufnahme an und denke an diesen außergewöhnlichen Augenblick zurück.

 

Nachdem ich wieder zuhause angekommen war, fand ich eine eMail in meinem elektronischen Postkasten. Die WDCS schlug mir eine neue Patenschaft vor: Ein kleiner Schwertwal mit dem Namen Current - auch liebevoll "Curry" genannt.

Curry ist das zweite Kind von Uma. Es ist noch nicht bekannt ob Curry männlich oder weiblich ist. Bei Schwertwalen ist das Geschlecht erst ab der Pubertät erkennbar.

 

Ich freue mich über meinen kleinen Patenwal und hoffe natürlich, dass ich irgendwann einmal die Möglichkeit habe, ihn oder sie zu 'besuchen'.

Der Pod hält sich überwiegend in British Columbia/Kanada auf und soll ortstreu sein.

 

Eines Tages würde ich gern sehen, wie er oder sie aus dem Wasser springt.

 

Und wer weiß, vielleicht spricht er oder sie dann auch mit mir.

Current

 

Curry wurde im Januar 2004 geboren und an Umas Seite gesichtet. Er hat eine stark gekrümmte Rückenflosse. Die hellgraue Färbung - der Sattelfleck - ist typisch für die Mitglieder in dieser Familie. Quasi das Erkennungszeichen. Dennoch unterscheidet sich die Färbung bei jedem Tier.  

Currys Geschlecht wird sich aufgrund seines Alters bald bestimmen lassen.

 

Ich bin gespannt! 

 

 

 

(Curry im August 2015 (Copyright Janeen Templeman)

 

 

 

 

 

(Curry mit Mutter Uma und dem großen Bruder Surf)

Kira - Rest in Peace

 

Kira wurde 1974 geboren. Leider verlor sich ihre Spur 2009 und es wird vermutet, dass sie einem Walfänger zum Opfer fiel.

 

Foto: WDCS

Imprint

Text: Maren G. Bergmann
Images: Cover: Pilotwal Fotos Maren G. Bergmann, WDCS und Janeen Templeman
Publication Date: 03-03-2017

All Rights Reserved

Dedication:
Diese Geschichte ist Kira gewidmet. Meinem ersten Patenwal. Vermutlich verlor sie ihre Leben, als ihr Weg einen Walfänger kreuzte. Ruhe in Frieden!

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