Cover

Prolog

Die Menschheit hatte es irgendwie geschafft, die Geburtswehen einer interplanetaren Zivilisation zu überleben. Kriege, Hunger, Krankheiten, Umweltverschmutzung – all das war an der Widerstandskraft der menschlichen Rasse mehr oder weniger abgeprallt.

 

Der Mensch hatte das Sonnensystem erschlossen. Auf Mars und Venus gab es nicht nur Stützpunkte sondern auch Rohstoffgewinnungsanlagen und erste kleine Siedlungen. Die Bedingungen waren schwierig, aber das hatte die Abenteurer nicht aufgehalten. Auf der Venus hatte man schon vor einem Jahrhundert mit einem Terraforming-Programm begonnen. Anfangs waren Mikroben in die Biosphäre des Planeten eingebracht worden. Mittlerweile hatte sich das Klima so gebessert, daß sogar niedere Pflanzen damit zurechtkamen. Die Erfolge waren anfangs bescheiden, denn Venus war ein sehr heisser und chemisch gesehen unwirtlicher Planet. Doch diejenigen Pflanzen, die überlebten, breiteten sich mit rasender Geschwindigkeit aus. Die Giftgase in der Atmosphäre wurden mit jedem Tag mehr durch Sauerstoff ersetzt. Freilich, es würde noch Jahrhunderte dauern, bis der Planet der Erde ähnlich genug war, um ihn wirklich besiedeln zu können, aber die ersten Schritte waren gemacht. Mars war für die Menschen nicht mehr als ein Rohstofflager. Für ein Terraforming war der Mars einfach zu klein und seine Schwerkraft mit 38,5% der irdischen zu gering. Dieser Planet würde nie eine Atmosphäre haben, die für eine Atmung ohne Hilfsmittel dicht genug war. Gleiches galt für Merkur - umso mehr, als dieser Planet sehr viel näher an der Sonne seine Bahn zog und daher zu heiß für eine Besiedlung war. Der Asteroidengürtel und die Monde von Jupiter und Saturn wurden regelmäßig von Raumschiffen angeflogen. Dort wurden die verschiedensten Rohstoffe abgebaut und zur Erde geliefert.

 

Auch wenn sie mittlerweile Routine geworden waren, die Reisen zu anderen Planeten dauerten immer noch Wochen. Aus diesem Grund wurden die grossen Frachtschiffe ferngesteuert. Passagiere ließen sich gerne in Tiefschlaf versetzen, um die Wartezeit zu überbrücken.

 

Vor einigen Jahren war für das mathematische Konstrukt eines fünfdimensionalen Weltraums auch der empirische Beweis gelungen. Daraus ergab sich für die Physik eine völlig neue Situation. Man hatte schon gedacht, es gäbe kaum noch etwas Neues zu entdecken außer vielleicht noch der allumfassenden großen Theorie, die das ganze Universum beschrieb. Aber die Physik hatte sich diesbezüglich schon einmal getäuscht.

 

Der Hyperraum eröffnete gänzlich neue Möglichkeiten und Anwendungen. Eine davon war ein Sternenantrieb, der ein Raumschiff auf Geschwindigkeiten weit jenseits des Lichts bringen konnte. Das Raumschiff wurde in ein Feld aus Hyperenergie gehüllt und schon wurde das Schiff Teil des Hyperraums. Im übergeordneten Raum wurden mit entsprechender Steuerung des Energieflusses im Hyperfeld die Entfernungen so stark verkürzt, daß ein Schiff scheinbar nahezu beliebig hohe Geschwindigkeiten erreichen konnte.

Man wußte bereits seit ca. 110 Jahren, daß man nicht alleine im Weltraum war. Anfang des 21. Jahrhunderts hatte noch die Meinung vorgeherrscht, man müsse mit anderen Intelligenzen sofort Kontakt aufnehmen, sollte man denn welche entdecken. Diese Ansicht hatte sich aber sehr schnell geändert, als am Rande des Sonnensystems zwei starke Explosionen beobachtet worden waren. Daraufhin schickte die Flotte einen schnellen Kreuzer zu dieser Position. Die Expedition fand dort Trümmer von zwei verschiedenen Raumfahrzeugen, die sich gegenseitig vernichtet hatten. Aus den Trümmern konnte nichts Brauchbares geborgen werden, denn dazu waren sie nicht groß genug. Die Schiffe schienen großteils in der Explosion verdampft zu sein. Der Rest flog in Form von tausenden Metallsplittern von maximal 20cm Größe durch das All. Aus diesem Grund war der erste Flug zu einem anderen Stern von der Zentralregierung der Erde langfristig und genau geplant worden.

 

Man schrieb den 14. August 2157, als die Menschheit sich anschickte den nächsten Schritt in den Weltraum zu wagen – die Reise zu einem anderen Stern.

Handelnde Personen

Crew der TSS EXPLORER

 

Nachname

Vorname

Rang

Einheit

Abtlg

Funktion

McPherson

Jake

CAPT

EXPLORER

CMD

CO, Pilot

Grischenko

Juri

CDR

EXPLORER

CMD

XO, Pilot

Drake

Steven Francis

LCDR

EXPLORER

CMD

Operationsoffizier

Kazinsky

Natalia

LCDR

EXPLORER

NAV

CO, Pilot

Sherman

Robert

LT

EXPLORER

NAV

XO, Pilot

Franks

Richard

LTJG

EXPLORER

NAV

Pilot

Harrington

Ally

ENS

EXPLORER

NAV

Pilots

Blackhurst

Jason

LCDR

EXPLORER

ENG

CO

Tsien

Tung

LT

EXPLORER

ENG

XO, Hypertechnik, Lebenserhaltung

Sörenson

Agnetta

LTJG

EXPLORER

ENG

Struktur, Antriebssysteme, Ortung

Migorsky

Igor

LT

EXPLORER

ENG

Reaktor, Energiesysteme, Waffen

Dattani

Prabodhan

ENS

EXPLORER

ENG

Computer, Kommunikation

Yamato

Hidetaka

LCDR

EXPLORER

TOS

CO

Haupt

Jessica

LT

EXPLORER

TOS

XO

Dreyer

Malcolm

LTJG

EXPLORER

TOS

Ortung, Analyse

Cagliari

Theresa

ENS

EXPLORER

TOS

Ortung, Analyse

Morrison

Frank

LTJG

EXPLORER

TOS

Defensivsysteme

Grumman

William

ENS

EXPLORER

TOS

Defensivsysteme

Padelton

George

ENS

EXPLORER

TOS

Offensivsysteme

Mbutu

Kahini

ENS

EXPLORER

TOS

Offensivsysteme

Stanitakis

Dimitri

LT

EXPLORER

COMs

CO

Konicek

Miroslav

LTJG

EXPLORER

COMs

XO, Verschlüsselung, Normalfunk

Jefferson

Michael

ENS

EXPLORER

COMs

Verschlüsselung, Normalfunk

Dunham

Sarah

LT

EXPLORER

SCI

Schiffsärztin

Berneau

Francoise

LTJG

EXPLORER

SCI

stellv. Schiffsärztin

Arnault

Maurice

LTJG

EXPLORER

SCI

Physiker

Baumann

Peter

LTJG

EXPLORER

SCI

Physiker

Bergmann

Phillip

LTJG

EXPLORER

SCI

Maschinenbau Mechatronik

Boyd

Frank

LTJG

EXPLORER

SCI

Informatik, Elektronik

Carrigan

Stella

LTJG

EXPLORER

SCI

Archäologie

Cavanaugh

Melanie

LTJG

EXPLORER

SCI

Psychologie

Chambers

Richard

LTJG

EXPLORER

SCI

Chemie

Davidson

Caroline

LTJG

EXPLORER

SCI

Astrophysik

de la Costa

Jose

LTJG

EXPLORER

SCI

Chemie

Hoffmann

Markus

LTJG

EXPLORER

SCI

Biologie - Botanik

Kasparim

Boris

LTJG

EXPLORER

SCI

Mathematik

Stepanovitsch

Kirim

LT

EXPLORER

SCI

XO Wissenschaftskorps

McLovett

Patricia

LTJG

EXPLORER

SCI

Biologie - Zoologie, Genetik

Peltonyemi

Marciela

LTJG

EXPLORER

SCI

Linguistik

Ravshan

Mohammed

LTJG

EXPLORER

SCI

Geologie

Rosenthal

Isaac

LCDR

EXPLORER

SCI

CO Wissenschaftskorps, Astrophysik

Torrens

Matt

LTJG

EXPLORER

SCI

Energietechnik

Chavasse

Bernard

ENS

EXPLORER

SCI

Assistenz Medizin

Cordalez

Isabella

ENS

EXPLORER

SCI

Assistenz Astrophysik

Kasachow

Ilena

ENS

EXPLORER

SCI

Assistenz Technik

McIsaac

Susan

ENS

EXPLORER

SCI

Assistenz Biologie

Syong

Yuan

ENS

EXPLORER

SCI

Assistenz Physik, Mathematik

Turner

Eirene

ENS

EXPLORER

SCI

Assistenz Chemie, Geologie

Dalmore

Roger

2LT

EXPLORER

MEF

CO Team 4

Draidon

Pete

MSGT

EXPLORER

MEF

Sprengmeister, Sanitäter, Team 4

Hirotomi

Ishy

MSGT

EXPLORER

MEF

Scharfschtze, Waffenmeister, Team 2

Hunter

Travis

1LT

EXPLORER

MEF

CO Team 2, XO MEF

Jenkins

Phil

SGT

EXPLORER

MEF

Scharfschtze, Waffenmeister, Team 4

McWalsh

David

MAJ

EXPLORER

MEF

CO MEF

Merkner

Dirk

SSGT

EXPLORER

MEF

 

Moses

Frank

CPL

EXPLORER

MEF

Kommunikation, Sanitäter, Team 2

Phraser

Charlize

GSGT

EXPLORER

MEF

Taktik, Waffensysteme

Starkov

Sascha

CPL

EXPLORER

MEF

Kommunikation, Intel, Team 4

Torwaldson

Eric

GSGT

EXPLORER

MEF

Logistik, Ausrüstung

Vargas

Diego

SGT

EXPLORER

MEF

Sprengmeister, Intel, Team 2

 

 

 

Crews der Flotteneinheiten

 

Nachname

Vorname

Rang

Einheit

Abtlg

Funktion

Fitzgerald

Michael

CDOR

Fleet

CMD

Fleet CO

von Richter

Martin

LT

Fleet

CMD

Adjutant Fleet CO

Miloschic

Radan

LCDR

K2

CMD

CO

Naftali

David

LCDR

EVEREST

CMD

CO

McPherson

Jake

CAPT

HAMMER

CMD

CO

Drake

Steven Francis

CDR

HAMMER

CMD

XO

Toronaga

Ishy

LT

HAMMER

CMD

OPS

Taggert

Marcus

LCDR

HAMMER

MED

CMO

Tirado

Carmen

LT

HAMMER

MED

aCMO

Donaldson

Brenda

CPO

HAMMER

MED

Sanitäterin

Grischenko

Juri

CAPT

MEDUSA

CMD

CO

Kazinsky

Natalia

LCDR

MEDUSA

CMD

XO

Sherman

Robert

LT

MEDUSA

NAV

XO, Pilot

Franks

Richard

MEDUSA

NAV

Pilot

 

Harrington

Ally

ENS

MEDUSA

NAV

Pilot

Blackhurst

Jason

LCDR

MEDUSA

ENG

CO

Tsien

Tung

LT

MEDUSA

ENG

XO, Hypertechnik, Lebenserhaltung

Sörenson

Agnetta

LTJG

MEDUSA

ENG

Struktur, Antriebssysteme, Ortung

Migorsky

Igor

LT

MEDUSA

ENG

Reaktor, Energiesysteme, Waffen

Dattani

Prabodhan

ENS

MEDUSA

ENG

Computer, Kommunikation

Yamato

Hidetaka

LCDR

MEDUSA

TOS

CO

Haupt

Jessica

LT

MEDUSA

TOS

XO

Dreyer

Malcolm

LTJG

MEDUSA

TOS

Ortung, Analyse

Cagliari

Theresa

ENS

MEDUSA

TOS

Ortung, Analyse

Morrison

Frank

LTJG

MEDUSA

TOS

Defensivsysteme

Grumman

William

ENS

MEDUSA

TOS

Defensivsysteme

Padelton

George

ENS

MEDUSA

TOS

Offensivsysteme

Mbutu

Kahini

ENS

MEDUSA

TOS

Offensivsysteme

Stanitakis

Dimitri

LT

MEDUSA

COMs

CO

Konicek

Miroslav

LTJG

MEDUSA

COMs

XO, Verschlüsselung, Normalfunk

Jefferson

Michael

ENS

MEDUSA

COMs

Verschlüsselung, Normalfunk

Dunham

Sarah

LT

MEDUSA

MED

Schiffsärztin

Berneau

Francoise

LTJG

MEDUSA

MED

stellv. Schiffsärztin

Dalmore

Roger

2LT

MEDUSA

MEF

CO Team 4

Draidon

Pete

MSGT

MEDUSA

MEF

Sprengmeister, Sanitäter, Team 4

Hirotomi

Ishy

MSGT

MEDUSA

MEF

Scharfschütze, Waffenmeister, Team 2

Hunter

Travis

1LT

MEDUSA

MEF

CO Team 2, XO MEF

Jenkins

Phil

SGT

MEDUSA

MEF

Scharfschütze, Waffenmeister, Team 4

McWalsh

David

MAJ

MEDUSA

MEF

CO MEF

Merkner

Dirk

SSGT

MEDUSA

MEF

 

Moses

Frank

CPL

MEDUSA

MEF

Kommunikation, Sanitäter, Team 2

Phraser

Charlize

GSGT

MEDUSA

MEF

Taktik, Waffensysteme

Starkov

Sascha

CPL

MEDUSA

MEF

Kommunikation, Intel, Team 4

Torwaldson

Eric

GSGT

MEDUSA

MEF

Logistik, Ausrüstung

Vargas

Diego

SGT

MEDUSA

MEF

Sprengmeister, Intel, Team 2

Cordalez

Carmen

CDR

FALCON

CMD

CO

Martins

Charles

LT

FALCON

CMD

XO

Garewitsch

Iwan

CDR

MILAN

CMD

CO, Torpedoschiff

Kennedy

William

CDR

EAGLE

CMD

CO

Baily

Jennifer

CDR

ARGUS

CMD

CO

Gedosim

Vitali

LT

ARGUS

CMD

XO

Namarra

David

LT

ARGUS

ENG

CO

Phrasier

Josh

LT

ARGUS

TAC

Ortungsoffizier

Yeager

Robert

CAPT

INVINCIBLE

CMD

CO

 

Kapitel 1 - Pressefreiheit

Bericht Captain Jake McPherson

 

Mein Name ist - inklusive aller akademischen Titel - Captain Dr. Jake McPherson, M.A. Ich bin 45 Jahre alt und seit zwölf Jahren Berufsoffizier bei der Raumflotte der Erde. Meine Frau hat sich vor fünf Jahren von mir scheiden lassen. Meine Kinder James und Alice sind 14 und 12 Jahre alt. Trotz der Trennung haben meine ehemalige Frau und ich ein sehr entspanntes Verhältnis zueinander - alleine schon wegen der Kinder.

 

Vor zwanzig Jahren hätte ich bei dem Gedanken, zu einem anderen Stern zu fliegen, gelacht. Das wäre damals nur mit einem Generationenschiff möglich gewesen. Doch dann trat der als Spinner bekannte Physiker Mark Corrington mit einer Idee an die Öffentlichkeit, die die Hyperraumphysik komplett veränderte – wobei die Hyperraumphysik selbst ja schon etwas völlig Neues war.

 

Corrington berechnete, dass man im Hyperraum innerhalb einer Energieblase beliebig hohe Geschwindigkeiten auch jenseits der Lichtgeschwindigkeit erreichen konnte. Und an seinen Berechnungen war nicht zu rütteln. Die menschliche Rasse ging sogleich daran, dieses Wissen in Technologie umzusetzen – typisch Mensch eben.

 

Das was schlussendlich herauskam, war neben einigen kleineren Erfindungen wie Massenträgheitsneutralisation, Impulsantrieb, Schwerkraftgeneratoren und hoch-verdichteten Materialien ein interstellarer und überlichtschneller Antrieb. Dieser letzten Erfindung verdanke ich nun meine derzeitige Position.

 

Vor vier Jahren war ein Vertreter der Regierung (es gab nur mehr eine globale Regierung auf der Erde) zu mir gekommen und hatte mich für dieses Irrsinnsprojekt angeworben. Er hatte damals gemeint, es gehe um einen Langstreckenraumflug. Daß er unter dem Begriff Langstrecke gleich einen anderen Stern meinte, sagte er nicht dazu. Ich war natürlich von einem der noch wenig erforschten Aussenplaneten wie Neptun oder Pluto ausgegangen.

 

Das Trainingsprogramm und all die Schulungen in den letzten vier Jahren waren die Hölle gewesen. Ich habe immerhin einen Doktor in Informatik und einen Masterabschluss von der Militärakademie Westpoint, daher hatte ich gedacht, das könne ja so schlimm nicht werden. Ich hatte mich damals gewaltig geirrt.

 

Ich wurde mit allem möglichen Wissen vollgestopft. Das begann mit Astronomie und Astronavigation über Psychologie und endete bei Zoologie. Wozu das gut sein sollte, wußte ich nicht, denn schließlich würden wir auf unserer Reise mehrere Wissenschaftler an Bord haben. Und dann begannen vor einigen wenigen Monaten die praktischen Tests und Übungen mit dem ganzen neuen technischen Kram. Vor allem das Antriebssystem hatte es in punkto Komplexität in sich.

 

Die Schulungen waren für heute beendet. Ich lag in meiner Unterkunft auf der Couch, starrte an die Decke und dachte über die letzten Jahre meines Lebens nach.

 

Grundsätzlich funktioniert der Überlichtantrieb so, daß man sich in ein Energiefeld hüllt, das alle Einflüsse des Hyperraums abschirmt – man würde sich sonst in Energie auflösen. Der Hyperraum ließ nur Energie als Bestandteil zu. Das Energiefeld wird dann auf eine Frequenz des Hyperraums abgestimmt. Diese Frequenz gibt die Geschwindigkeit des Fluges an. Die Richtung läßt sich mit der Form des Energiefeldes steuern, denn selbst im Hyperraum gilt scheinbar so etwas Ähnliches wie Aerodynamik. Einen Antrieb im Sinne des altgedienten Rückstoßprinzips braucht man im Hyperraum also nicht, sondern einfach nur eine möglichst starke Energiequelle und Generatoren, die in der Lage waren, die Felder wunschgemäß zu formen.

 

Die Energiequelle war anfangs auch das grundlegende Problem bei der Realisierung dieses Antriebs gewesen. Scheinbar nichts konnte den Energiebedarf der erforderlichen DFG (=Deflector Field Generator) und DFS (=Deflector Field Shaper) stillen. Dann hatten es aber einige Kern- und Hochenergiephysiker geschafft, die hyperdimensionalen Kraftfelder für Fusionsreaktoren als Brennzonenfelder und Kompressionsfelder zu verwenden. Damit war zumindest einmal das Energieproblem gelöst gewesen. Es blieb nur mehr die Problematik der Brennstofflagerung. Zum Einsatz kam in den Fusionsreaktoren Deuterium, ein Isotop des Wasserstoffs – schwierig zu lagern und empfindlich. Auch dafür setzte man Energiefelder ein, allerdings konventionelle elektromagnetische Felder. Das Deuterium wurde in solchen Feldern gelagert. Die kugelförmigen Felder waren wiederum in normalen Stahltanks aus hochverdichtetem Molybdenstahl eingeschlossen.

 

Die ersten Testflüge im Sonnensystem endeten katastrophal. Es hatte zwei Jahre gedauert, bis man die Technik soweit beherrscht hatte, um an interstellare Flüge denken zu können, doch vor wenigen Monaten war der Durchbruch gelungen. Ein Aggregat hielt den Testflügen stand und brachte Schiff und Besatzung auch wieder gesund zurück. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Schuld waren Eigenschwingungsphänomene im Hyperraum gewesen.

 

Der Bau eines interstellaren Schiffes in einem niedrigen Erdorbit war schon vor 2 Jahren begonnen worden. Die Struktur konnte ziemlich schnell fertiggestellt werden. Komplizierter gestaltete sich allerdings der Einbau der gesamten Ausrüstung und die Verkabelung.

 

Die Frequenzmodulatoren für die Geschwindigkeitsregelung mit ca. 12% des Gesamtenergiebedarfs eines Raumschiffes waren in ihrem Energiebedarf noch verhältnismäßig bescheiden. Die DFG und DFS verbrauchten bei voller Leistung um die 40% der gesamten Schiffsenergie. 8% benötigten all die anderen Systeme wie Computer, Lebenserhaltungssysteme, etc. Die restlichen 40% standen als Reserve zur Verfügung.

 

Als zukünftiger Captain des Schiffes hatte ich ein gewisses Mitspracherecht. Ich nutzte dieses und bestand zum Beispiel auf soliden Kupferkabeln anstatt auf Glasfaser für die Datenleitungen. Ähnliches galt für die Bedienelemente auf der Brücke. Touchscreens waren zwar recht praktisch und nett anzuschauen, aber für grundlegende Funktionen und Schaltungen brauchte man wirkliche Schalter. Es gab also an Bord dieses Hightech-Monsters ziemlich primitive Schalter für die Triebwerke, die Waffensysteme, Lebenserhaltung und einige andere wichtige Bereiche. Natürlich konnte man diese Anlagen auf den Bordcomputer aufschalten. Dieser übernahm dann die absolute Kontrolle. Dieser Zustand würde für die meiste Zeit des Fluges der übliche sein. Die Manuellschaltungen waren ohnehin nur für den Ausnahmefall gedacht.

 

Insgesamt sollten 120 Menschen an Bord gehen und die Reise mitmachen. Der Start war für morgen den 15. August 2157 geplant, die Rückkehr für Anfang Februar 2158.

 

Das Schiff mußte also 120 Personen über sieben Monate versorgen können. Das bedurfte einer Menge an Technologie zum Beispiel für Luftregenerierung und auch Nahrungsmitteln im Frachtraum. All diese Menschen benötigten aber auch Lebensraum, Privatsphäre, Entspannung, Gesellschaft, Abwechslung etc. Entsprechend groß mußte ein solches Raumschiff dann natürlich auch sein. Allein der Lebensraum für die Besatzung nahm ein Volumen von ca. 40.000 Kubikmeter ein. Dazu kamen dann noch Labors, Fitnessräume, Werkstätten, Lagerräume etc. Diese für die Besatzung benutzbaren Bereiche mit ca. 120.000 Kubikmeter machten aber nur 20% des gesamten Schiffsvolumens aus. Den Rest verschlangen die hochkomplexen technischen Anlagen des Schiffes.

 

Die EXPLORER hatte annähernd Walzenform mit stumpfen Enden, war 400m lang und hatte einen Durchmesser von 80m. Sie war kein schönes Gebilde, aber im Weltraum spielte die Form eines Objekts kaum eine Rolle. Und landen würde die EXPLORER nirgends. Das Schiff führte zu diesem Zweck linsenförmige Beiboote mit, die für Planetenlandungen aerodynamisch konstruiert waren. Drei davon waren kleine Orbitalshuttles und für nichts anderes geeignet als Personentransport. Für schwerere oder größere Ladungen waren 2 schwere Lastenshuttles an Bord. Weiters hatte das Schiff noch fünf Allzweckraumjäger im Hangar verankert. Sie konnten mit Aufklärungs- und Waffensystemen bestückt werden.

 

Morgen würde es soweit sein. Am 15. August 2157 würde das erste Raumschiff das Sonnensystem nicht nur verlassen, sondern einen anderen Stern anfliegen. Mehrere Kandidaten in einem Umfeld von 50 Lichtjahren waren ausgewählt worden. Nur bei einigen davon konnten Planeten festgestellt werden. Sterne ohne Planeten waren nur bedingt interessant. Die Astronomen wären auch damit zufrieden gewesen, aber die terranische Regierung wollte nach Kolonisationswelten suchen. Schliesslich hatte man einen vielversprechenden Stern gewählt, der mehrere Planeten hatte – zwei in der sogenannten Lebenszone des Sterns.

 

Bisher hatte man sich bei der Erprobung der Systeme und des Hyperraumtriebwerks auf die Umgebung des Sonnensystems beschränkt. Allein dabei waren wissenschaftliche Erkenntnisse über unser Sonnensystem gewonnen worden, die jenseits jeder Vorstellung gelegen waren. Der Kuiper-Gürtel zum Beispiel – jener Bereich jenseits der Planeten aus dem die Kometen stammen – war erforscht worden. Aber morgen würde man den großen Sprung nach draussen wagen.

 

Die Planung sah eine Startzeit von 1000 vor. Die letzten Besatzungsmitglieder würden tags zuvor um 2000 an Bord gehen und die erste Nacht auf dem Schiff verbringen. Man dachte, es würden sich dadurch die letzten Kleinigkeiten noch kurz vor dem Start finden und beseitigen lassen. Andererseits war alles mehrere hundert Male geprüft und kontrolliert worden. Selbst bei den geringsten Anzeichen von Problemen, waren Teile sofort ausgetauscht worden. Waren sie erst einmal unterwegs, gab es keine Kommunikation mehr mit der Heimat und daher war auch keine Hilfe zu erwarten.

 

Der Orbitaltransport war mittlerweile eine Routineangelegenheit. Alles was Menschen heute tun mussten, war in ein Shuttle zu steigen und sich anzuschnallen. Eine halbe Stunde später würden sie 360 km über der Erde in einem Orbit kreisen und sich dem Schiff nähern.

 

Der Intercom auf meinem Tisch meldete sich. Es war mein erster Offizier – Lieutenant-Commander Juri Grischenko.

 

„Guten Abend, Captain. Grischenko hier.“

 

„Guten Abend, Commander. Was gibt es?“

 

„Ich habe gerade die letzten Ergebnisse aus den Labors und dem Trainingscenter bekommen. Alle Crew-Mitglieder haben Status Grün.“

 

„Das sind gute Nachrichten“, antwortete ich. Bis vor kurzem hatte es eher nach einer Umbesetzung in der Crew ausgesehen. Zwei Mitglieder der regulären Schiffsbesatzung und eine Wissenschaftlerin waren krank geworden – eine simple Grippe, aber man wollte nicht kranke Leute auf diese Mission schicken.

 

„Mission Status ist ebenfalls auf Grün. An Bord werden gerade die letzten Verkleidungen verschraubt.“ sagte Grischenko mit einem breiten Grinsen und einem ebenso breiten russischen Akzent. Dabei konnte der ehemalige Testpilot einer russischen Raumschiffwerft akzentfrei in perfektem Englisch sprechen, wenn er nur wollte. Aber jedes Besatzungsmitglied hatte seinen russischen Akzent zu schätzen gelernt. Die wenigsten wussten allerdings, dass der gemütliche Grischenko im Ernstfall auch ein knallharter Offizier sein konnte – es hatte bisher einfach nur noch keinen Anlass dazu gegeben. Er war einer jener wenigen handverlesenen Männer, die durch die Speznaz-Ausbildung der ehemaligen russischen Armee gegangen waren, und sie auch bestanden hatten. Daß er nebenbei noch einen Master in Astrophysik hatte, war wiederum allgemein bekannt.

 

„Gut. Ich habe mir etwas Sorgen gemacht wegen der Heck-Stabilisatoren.“

 

„Das scheinen die Techniker in den Griff bekommen zu haben.“

 

„Gibt es sonst noch etwas?“ fragte ich noch nach, obwohl ich wußte, daß das bei Grischenko sinnlos war. Er machte seine Hausaufgaben immer sehr gründlich.

 

„Nein Captain, das wäre alles.“

 

„Na dann … wir sehen uns in 30 Minuten im Pressezentrum.“

 

„Aye Sir. Auf die Pressetypen könnte ich aber gern verzichten. Grischenko Ende.“

 

Ich mußte über Grischenkos förmliche Art schmunzeln. Als kommandierender Offizier war ich nicht so der Freund von Förmlichkeiten, aber Grischenko war russischer Abstammung. Russen hatten immer noch einen gewissen Hang zu hierarchischer Haltung, obwohl der Kommunismus schon seit mehr als 170 Jahren überwunden war.

 

Mein Gepäck war bereits an Bord der EXPLORER. Ich würde also den Flug in den Orbit nur mit Handgepäck antreten. Auch das Handgepäck war recht bescheiden. Es würde nur aus meinem Tablet-Computer bestehen, der an sich Bestandteil der Schiffsausrüstung war. Ich hatte ihn beim letzten Besuch mit auf die Erde genommen, um alle möglichen persönlichen Daten darauf zu speichern und die Software so zu konfigurieren, wie ich es will.

 

Langsam musste ich mich auf den Weg machen. Wir waren direkt am Raumhafen einquartiert worden - strengstens abgeschirmt von der Presse und allen anderen Unannehmlichkeiten, die der Status als planetenweit bekannte Persönlichkeit so mit sich brachte.

 

Natürlich hatte sich die Presse des ganzen Planeten auf so ziemlich jedes Besatzungsmitglied gestürzt, nachdem die offizielle Liste bekannntgegeben worden war. Der ganze Rummel war zu einer echten Belastung für die Mannschaft geworden. Die Ergebnisse waren rapide gefallen in den einzelnen Schulungs- und Trainingsprogrammen. Als dann auch noch inoffizielle Informationen aus dem Team an die Presse durchsickerten, war ich zum Handeln gezwungen gewesen. Ich hatte das Organisationskomitee vor die Wahl gestellt, sich ein neues Offizierskorps organisieren zu müssen, oder für eine Abschirmung zu sorgen. Sechs Monate vor dem Starttermin war es natürlich völlig illusorisch gewesen, eine neue Führungsmannschaft zusammenzustellen und so hatte das Komitee zähneknirschend nachgegeben. Die Ergebnisse der Trainings und die Stimmung in der Mannschaft hatten sich darauf hin rasch verbessert.

 

Seufzend schwang ich meine Beine von der Couch und stand auf. Der Blick auf die Uhr am Handgelenk sagte mir genug. Ich schnappte meinen Tablet-Computer – nicht größer als einer dieser alten Papierblöcke im A5-Format – und machte mich auf den Weg zum Pressezentrum des Raumhafens. Da ich nicht durch den öffentlich-zivilen Bereich gehen musste, kam ich gut voran und wurde auch kaum beachtet. Einige andere Marineoffiziere blieben respektvoll stehen und grüßten schneidig. Als allerdings Admiral Yamato Hiryu – seines Zeichens kommandierender Admiral der Terranischen Raumflotte - um die Ecke kam, ließ sich ein kurzes Gespräch nicht vermeiden - immerhin war er der Vater von Lieutenant Commander Yamato Hidetaka, meinem Taktik- und Sicherheitsoffizier. Ich nahm also Haltung an und salutierte. Admiral Yamato blieb vor mir stehen und salutierte ebenfalls.

 

„Guten Abend Captain.“ antwortete der kleine Mann mit dem durchdringenden Blick. Er hatte eine angenehme Baritonstimme.

 

„Guten Abend Admiral, Sir.“

 

„Sie sind also auf dem Weg, Captain.“

 

„Ja, es geht endlich los.“

 

„Der Westen ist immer so ungeduldig.“ antwortete Yamato mit einem freundlichen Lächeln. „Ich wünsche ihnen alles erdenklich Gute auf ihrer Mission, Captain.“

 

„Vielen Dank, Sir.“

 

„Und nehmen sie keine Rücksicht auf meinen Sohn. Behandeln sie ihn wie jedes andere Besatzungsmitglied auch.“

 

Bei Yamato konnte man sich sicher sein, dass er eine solche Aussage auch genauso meinte, wie er es sagte. Er hatte in den letzten zwei Jahrzehnten ordentlich aufgeräumt in der Marine. Korruption und Vetternwirtschaft hatte er zu einem sehr großen Teil ausgemerzt.

 

„Admiral, ihr Sohn war in jeder Hinsicht einer der Besten. Er hat diese Stellung aufgrund seiner Leistungen erreicht. Glauben sie mir, Hidetaka wird ihnen mit Sicherheit Ehre bereiten. Hidetaka ist, was seine Einstellung betrifft, ein moderner Samurai.“ antwortete ich.

 

„Danke. Ihre Worte bedeuten mir sehr viel, Captain.“

 

Sie schüttelten sich zum Abschied die Hände. Admiral Yamato würde natürlich auch beim Presseempfang dabei sein, aber ich würde dabei wohl kaum Gelegenheit haben, ein paar private Worte mit ihm zu wechseln.

 

Einige Minuten später kam ich im Pressezentrum an und wurde gleich in einen der angeschlossenen Besprechungsräume weitergeleitet. Dort traf ich auf alle anderen, die zu dieser Pressekonferenz verdonnert worden waren.

 

Grischenko lehnte an der Wand und beobachtete die anderen vier Personen im Raum. Als Erster Offizier war es seine Aufgabe, die Moral der Mannschaft im Auge zu behalten.

 

Mit dem Mathematiker Stepanovitsch Kirim – stellvertretender Leiter des Wissenschaftskorps – wechselte Grischenko hin und wieder einige Wort auf russisch. Isaac Rosenthal – der Leiter des Wisssenschaftskorps – stand bei den beiden Marines Major Jake McWalsh und Lieutenant Travis Hunter und wußte nichts anzufangen mit den beiden Vollblutsoldaten. So ging es fast allen Wissenschaftlern an Bord. Einige fragten sich, wozu man überhaupt Marines an Bord brauchte. Die EXPLORER war doch ein Forschungsschiff und auch das Missionsziel war ein wissenschaftliches. Wie naiv Wissenschaftler der Realität gegenüber oft waren …

 

Ich begrüßte die Männer. Die Wissenschaftler kamen zu mir und begrüßten mich mit Handschlag. Grischenko und die beiden Marines nickten mir einfach nur zu und grüßten mit einem kurzen „Captain“. Nichts anderes hatte ich von professionellen Militärs erwartet. In den letzten vier Jahren waren wir zusammengewachsen und konnten auf übertriebene Förmlichkeiten verzichten. Den Respekt der Mannschaft hatte ich mir hart erarbeiten müssen, aber ich hatte es geschafft.

 

Die Pressekonferenz mußte bereits im Gange sein, denn es war bereits 18:10, aber wir waren noch nicht dran. Laut Plan würde sich das aber in 5 Minuten ändern. Als dann schließlich eine Assistentin des Komitees zur Tür hereinkam war es soweit. Die Wundertiere sollten der Presse vorgeführt werden.

 

Ende des Berichts von Captain Jake McPherson

 

Das früher übliche Blitzlichtgewitter fand auf Pressekonferenzen nicht mehr statt. Die optischen Chips in den Digitalkameras waren bereits so lichtempfindlich, daß das nur mehr bei Nacht notwendig war. Der Konferenzraum war allerdings taghell beleuchtet.

 

„Und nun meine Damen und Herren, stellen sich jene Mitglieder der Besatzung ihren Fragen, die diese Mission leiten werden. Begrüssen sie Captain Jake McPherson als kommandierenden Offizier und Lieutenant Commander Juri Grischenko als Ersten Offizier. Dr. Isaac Rosenthal ist der Leiter des Wissenschaftskorps und Dr. Stepanovitsch Kirim sein Stellvertreter. Die Kommandeure der Marine Expeditionary Force sind Major Jake McWalsh und Lieutenant Travis Hunter.“

 

Unter dem Applaus der Reporter und des Komitees zog sich der Raumfahrtminister Franklin Zukovsky vom Podium zurück und die sechs genannten Männer betraten die Bühne. Die Konferenzhalle hatte 500 Sitzplätze, doch die Sessel waren entfernt worden. Die Halle war voll.

 

Natürlich wollte jeder sofort seine Fragen los werden, aber die sechs Männer setzten sich an den Tisch auf der Bühne und warteten einige Zeit, bis sich das Publikum beruhigt hatte. Ein Pressesprecher der Flotte organisierte die Reporter und erteilte das Fragerecht. Nach einigen Minuten ging es los.

 

„Robert Mulligan, New York Times. Captain McPherson, warum hat das Schiff Marines und Waffen an Bord? Es ist doch eine wissenschafltiche Expedition.“ fragte einer der Reporter.

 

McPherson beugte sich etwas vor und stützte seine Unterarme auf den Tisch.:“Das ist einfach erklärt Mr. Mulligan. Wir wissen nicht, was uns dort draussen erwartet. Natürlich ist es eine wissenschaftliche Mission, aber schon sehr oft in unserer Geschichte wurden aus Forschungsreisen sehr schnell sehr militärische. Im günstigen Fall haben Major McWalsh und Lieutenant Hunter nichts zu tun und sind nur Passagiere. Und bei Gott, ich hoffe, dass sie sich langweilen werden. Das können sie mir glauben.“ Er hatte die Lacher auf seiner Seite, und das war gut so.

 

„Karen Baily, Sunday Times London. Warum steht keine einzige Frau auf dem Podium bei ihnen, Captain?“

 

„Sie können es ändern Karen, kommen sie einfach rauf … nein im Ernst. Die Mitglieder dieser Besatzung sind von einem Expertensystem ausgewählt worden. Die Daten waren geschlechtsneutral. Gleiches gilt für die Auswertungen aller Test und Trainingsergebnisse.“ antwortete McPherson und machte dann eine effektvolle Pause.

 

„Die Leute, die sie hier sehen, haben sich also den Job sehr hart erarbeitet. Wir haben aber trotz allem einen Frauenanteil von über 30%. Und das obwohl sich eigentlich sehr wenige Frauen für diese Mission beworben haben. Wahrscheinlich sind Frauen realistischer als Männer, es ist schliesslich ein sehr gewagtes Unternehmen.“

 

„Miles Gantt, Scientific American. Was erwarten sie für Schwierigkeiten Captain?“

 

„Mr. Gantt, es gibt eine elends lange Liste von potentiellen Problemen auf einer solchen Reise – inklusive Eintrittswahrscheinlichkeiten. Alleine die Menge technisch begründeter Probleme geht in die Hunderte. Diese haben wir aber im Griff. Und seien sie sicher, es wird etwas schief gehen. Was wir nicht wissen und auch nicht abschätzen können, sind Probleme anderer Natur.“

 

„Wie meinen sie das Captain?“ stieß Gantt nach.

 

„Was, wenn wir auf andere Raumfahrer treffen? In diesem Fall tut sich eine ganze Reihe von Problemen für uns auf. Das fängt mit der Verständigung an und hört bei der Verschleierung unseres Heimatsterns auf.“ antwortete McPherson ruhig. Er wußte, dass gerade dieses Thema heikel war.

 

„Werden wir dann Krieg haben?“ kam die erwartete Frage aus dem Auditorium geschossen.

 

„Das kommt auf die Besatzungen der Schiffe an, die sich begegnen. Wir haben im Wissenschaftsstab auch einige fähige Leute aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich. An ihnen wird es liegen, so etwas zu verhindern. Abgesehen davon bedeutet eine Begegnung noch lange keinen Krieg.“

 

Und so ging es noch fast eine Stunde lang. Auch die anderen Repräsentanten der Crew wurden zu verschiedensten Dingen befragt. Da McPherson aber schon zu Anfang alle heiklen Fragen gut beantwortet hatte, kamen keine wirklich unangenehmen Dinge mehr zur Sprache. Die generelle Stimmung auf der Erde für diese Expedition war durchwegs positiv, das konnte man auch in diesem Saal spüren. Zurückzuführen war das zu einem guten Teil auch auf die hervorragende Pressearbeit des Komitees. Dafür waren eigens Medienprofis engagiert worden. Die Kosten dafür hatten sich längst gerechnet.

 

Um 19:30 TGT (Terran Global Time) wurde die Befragung der Crewmitglieder beendet. Es war auch höchste Zeit dafür, denn ihr Shuttlestart war für 2000 angesetzt. Die restliche Crew war bereits an Bord der EXPLORER.

 

Bevor sie aber abflogen, hatte Admiral Yamato McPherson um eine Unterredung gebeten. Der Admiral war stets ausgesucht höflich und daher befahl er selten wirklich im Sinne des Wortes. Nichts desto trotz kam eine Bitte Yamatos einem Befehl gleich.

 

Yamatos Adjutant Commander Song brachte ihn in einen kleinen aber gemütlichen Besprechungsraum, den Yamato für einige Stunden als Büro gebucht hatte.

 

McPherson betrat den Raum: "Sie wünschen mich zu sprechen, Admiral? Was kann ich für sie tun?"

 

"Captain, vielen Dank daß sie meiner Bitte nachgekommen sind. Ich weiß, wie voll ihr Terminplan ist. Nehmen sie bitte Platz. Darf ich ihnen etwas zu trinken anbieten?"

 

McPherson kannte Yamato recht gut. Er teilte gelegentlich auch dessen Vorliebe für grünen Tee:"Vielen Dank Admiral, für mich nichts. Ich will ihren Teevorrat nicht noch mehr schmälern."

 

"Der Grund, warum ich sie hergebeten habe, ist ein sehr ernster. Ich habe vom Parlament zusätzliche Vorgaben bekommen. Sie erhalten zusätzlich versiegelte Anordnungen für diese Mission. Öffnen sie diese Datei erst, wenn sie das Sonnensystem verlassen haben. Davor haben sie ohnehin keinen Zugriff darauf. Ich werde ihnen aber schon jetzt mitteilen, worum es geht. Die Präsidentin hat sich meiner bescheidenen Meinung angeschloßen, daß wir bei der Erkundung des Weltraums sehr vorsichtig zu Werke gehen müssen. Wir betreten mit dieser Mission eine Bühne, die der Menschheit bisher völlig fremd ist. Wir kennen die politischen Verhältnisse in der Galaxis nicht. Eine Entdeckung unseres Heimatplaneten ist unter allen Umständen zu vermeiden Captain. Dieses Missionsziel steht über allem anderen."

 

"Ja, Sir. Wie sieht es mit Kontaktaufnahme zu anderen Raumfahrern aus? Wenn uns welche begegnen …"

 

"Schwierige Frage Captain. Dazu kann ich ihnen keine konkreten Anweisungen geben. Ein Kontakt zu Völkern, die eine gewisse Entwicklungsstufe schon erreicht haben, mag durchaus sinnvoll sein. Wenn sie auf eine Zivilisation stossen, die uns ebenbürtig oder gar überlegen ist, dann wäre das aber zur Zeit noch gefährlich. Am besten sie hinterlassen keine Spuren im All."

 

"Sie wissen, daß das allein schon aufgrund der Physik unmöglich ist Sir."

 

"Ja, aber es wäre mir die angenehmste Situation. Mir ist klar, daß wir unsere Nasen nicht rausstrecken können, ohne ein gewisses Risiko einzugehen."

 

"Wir werden unser Möglichstes tun, Sir."

 

"Ich weiß, daß ich mich auf sie verlassen kann, Captain. Und nun möchte ich sie nicht länger aufhalten. Ihre Crew erwartet sie sicher schon."

 

McPherson wußte, daß er nun entlassen war. Er stand auf und verabschiedete sich in aller Form von seinem obersten Vorgesetzten in der Terranischen Raumflotte.

 

Der Rest seiner Leidensgenossen von der Pressekonferenz wartete am Shuttle-Terminal des Raumhafens auf ihn.

 

"Was war los?" fragte Rosenthal.

 

"Nichts Besonderes. Admiral Yamato wollte noch kurz mit mir reden."

 

"Yamato und nichts Besonderes? Captain sie sind ein schlechter Lügner. Yamato zitiert niemals jemanden zu sich, wenn es nur um Smalltalk geht."

 

"Tut mir leid, noch darf ich ihnen dazu nichts erzählen Mr. Rosenthal. Ich weiß nicht mal, ob ich es irgendwann darf. Die Befehle sind versiegelt und ich kann sie erst im Hyperraum öffnen."

 

Für die sechs Männer ging es danach Schlag auf Schlag. Kaum war ihr Captain eingetroffen, saßen sie auch schon im Orbitalshuttle. Es sah nicht viel anders aus als ein Verkehrsflugzeug aus dem 21. Jahrhundert – nur die Tragflächen waren wesentlich kleiner.

 

Die 45 Meter lange Maschine hob von der Piste ab und stieg senkrecht in den Himmel. Nachdem sie einige hundert Höhenmeter erreicht hatte, zündete das Impulstriebwerk und die Maschine beschleunigte stark.

 

Auf Kurzstreckenflügen wurden grundsätzlich keine Schwerkraftgeneratoren eingesetzt. Nur auf die Inertialdämpfer konnte man nicht verzichten, die Beschleunigung hätte die Passagiere sonst stark belastet oder gar getötet. Passagierflüge um den halben Planeten wurden mittlerweile ebenfalls mit solchen Kurstreckenshuttles durchgeführt. Das reduzierte die Reisezeit von Mitteleuropa nach Australien auf zwei Stunden. In einem niedrigen Orbit befand man sich in weniger als 30 Minuten.

 

Für Menschen, die noch Transportmittel ohne Inertialdämpfer kannten, war es immer wieder ein befremdliches Gefühl, ohne fühlbare Beschleunigung unterwegs zu sein. Früher hatte die Beschleunigung bei einem Raumflug die Astronauten fast zerdrückt – sie mußten gut durchtrainiert sein, um den Kräften trotzen zu können. Mit Einführung der Inertialdämpfer vor ungefähr 2 Jahren, war körperliche Fitness keine Anforderung mehr für Raumflüge im erdnahen Raum.

 

Trotz dieser Entwicklung war die Crew der EXPLORER körperlich top fit. Für Missionen dieser Art mußte man auf alles Mögliche vorbereitet sein – auch auf den Ausfall der Inertialdämpfung. Grischenko hatte die Crew in den letzten 18 Monaten durch ein brutales Fitness-Programm gehetzt – vor allem die Wissenschaftler waren davon hart betroffen gewesen. Die Marines und regulären Flottenangehörigen waren es ohnehin mehr oder weniger gewohnt gewesen, und hatten es mit stoischer Ruhe hingenommen. Auch McPherson als Captain und Grischenko selbst hatten sich dem Training unterzogen.

 

Momentan blickten die Offiziere aus den Bullaugen auf die Erde hinab. Sie würden den Planeten für einige Monate nicht zu sehen bekommen. Es war ein seltsames Gefühl, in diesem Bewußtsein den Heimatplaneten zu verlassen und ins Ungewisse zu starten. Der blauweiße Planet drehte sich unter dem Orbitalshuttle weiter, während das Schiff sich dem Orbit der EXPLORER näherte. Die Schwärze des Raumes würde dann einige Zeit ihr ständiger Begleiter sein. Erst am Ziel ihrer Reise würde sich das vielleicht ändern – für einige Zeit.

 

Auf einem Bildschirm konnten sie die Annäherung an die EXPLORER aus Pilotensicht verfolgen. Das grosse Schiff kam in Sicht – angestrahlt von den Scheinwerfern des Orbitalshuttles und selbst Licht aussendend durch diverse Bullaugen. Das Andocken selbst war nicht mehr so ein Problem wie früher. Keines der beiden Schiffe mußte auf Treibstoffreserven Rücksicht nehmen, denn der Wasserstoff für die Fusionsreaktoren konnte in ausreichender Menge mitgeführt werden.

 

Wenige Minuten später war die Verbindung zwischen den Schiffen hergestellt. Sie öffneten alle ihre Gurte und begaben sich zur vorderen Luke. In der Schwerelosigkeit benötigten sie die Haltegriffe an den Kabinenwänden.

 

Pilot und Kopilot schwebten neben der Luke. Sie verabschiedeten die Männer. McPherson reichte ihnen die Hand. Diese beiden waren die letzten Menschen ausser der EXPLORER-Crew, die er für lange Zeit zu sehen bekommen würde.

 

„Es ist uns eine Ehre sie hier raufgebracht zu haben Captain.“ sagte der Pilot.

 

„Vielen Dank, Ensign. Ich hoffe die große Reise wird ähnlich gemütlich wie dieser kleine Trip.“ antwortete McPherson mit einem Lächeln.

 

Sie wußten beide, dass das nicht der Fall sein würde.

 

Hinter McPherson schloss sich die Luke und er folgte seinen Offizieren durch die beiden aneinander gekoppelten Schleusen. Am anderen Ende begrüßte ihn der Operationsoffizier. Das Weiß des hell erleuchteten Schleusenraums blendete ihn fast.

 

„Mr. Drake, alles im Lot an Bord?“

 

„Ja Sir. Alles im grünen Bereich.“

 

„Gut. Veranlassen sie für morgen 0800 ein Briefing im Konferenzraum. Ich brauche dazu jeden Abteilungsoffizier mit einem Statusbericht. Ab sofort möchte ich eine Wache auf der Brücke und alle passiven Sensoren auf volle Leistung. Jede unplanmäßige Bewegung im Umkreis von 500km ist zu melden. Achja, Flight-Control soll sich um das Ablegen des Shuttles kümmern.“

 

„Aye, Sir. Sonst noch was?“ Drake machte sich einige Notizen auf seinem Handheld-Computer. Wenn er sich über die Anordnungen wunderte, so zeigte er es nicht.

 

McPherson schüttelte leicht den Kopf:“Nein, das wäre alles.“ Damit verließ er den Schleusenraum – ein nachdenklicher Operationsoffizier blieb zurück. Aber auch Drake machte sich kurz darauf auf den Weg. Einige Minuten später betrat er die Brücke. Er meldete sich am Zentralrechner vom Kommandopult aus an und gab den Schichtplan für die Brückenwache ein. Dann aktivierte er die Sensorarrays.

 

Auf den Bildschirmen der taktischen Station erschienen die ersten Ortungsergebnisse der Passivsensoren. Der Computer erzeugte aus den Ergebnissen auf den verschiedenen Wellenlängen plastische 3D-Bilder durch Überlagerung der frequenzspezifischen Bilder. Drake koppelte die Sensoren in den Zentralrechner ein. Der Computer verglich die aktuellen Bewegungen mit den geplanten und stellte die Unterschiede dar. Dann begrenzte Drake den Suchradius auf 500km. Das neue Programm sperrte er dann mit seinem Autorisierungscode.

 

Drake aktivierte den Kurzwellensender und ging auf die Flight-Control-Frequenz der Raumflotte.

 

„TSS EXPLORER, LCDR Drake an Shuttle Orbiter 15. Melden sie sich.”

 

Ein leises Knacken im Emfänger kündigte eine aufrechte Funkverbindung an.

 

„Orbiter 15, Ensign Parker hier.“

 

„Klar bei Schleuse zum Ablegen."

 

„Danke EXPLORER. Schleusen gesichert und dicht. Wir legen in 2 Minuten ab. Gehen nur noch die Checklist durch.“

 

„Mann, die Sequenz zum Ablegen müsst ihr Jungs ja schon im Schlaf können, oder?“ fragte Drake nach.

 

„Wir schon Sir, aber der Bordrechner nicht.“ kam es zurück. Drake konnte sich das breite Grinsen auf dem Gesicht des Piloten gut vorstellen.

 

„Weil ihr auch mit so einer alten Mühle rumkurven müßt.“

 

„Die alte Mühle war gut genug für die leitenden Offiziere ihres Schiffes Commander. Aber wenn sie wieder zurück sind, können sie ja gern mal zu Fuß aus dem Orbit nach Nevada Space Port marschieren. Alle Systeme gecheckt und auf Status grün. Ablegen in 10 Sekunden.“

 

Drake grinste. Er mochte es, wenn Leute nicht auf den Mund gefallen waren.

 

Die Jungs hielten die 10 Sekunden ein und in Summe waren sie mit ihrer Checklist ziemlich schnell fertig gewesen. Immerhin war auch die Schwerelosigkeit an Bord von Shuttles ein Hindernis, wenn auch kein sonderlich grosses.

 

Drake beobachtete das Shuttle über eine Aussenkamera, wie es von der Bordwand wegglitt und die Bremstriebwerke feuerten. Die Bahngeschwindigkeit wurde damit kleiner und die Erde holte das Shuttle mit ihrer Schwerkraft wieder zurück.

 

Kurz darauf erschien Lieutenant Jessica Haupt auf der Brücke. Sie hatte die erste Schicht für die Wache zugeteilt bekommen.

 

„Guten Abend, Commander.“ begrüßte sie den Operationsoffizier.

 

„Tut mir leid, daß ich sie zur Wache verdonnern muß, aber Anordnung vom Captain.“

 

„Schon in Ordnung, Commander. Kann momentan ohnehin nicht schlafen.“

 

„Na dann … nervös wegen dem Start morgen?“ meinte Drake mit einem Augenzwinkern.

 

Die gebürtige Deutsche setzte sich an die Taktik-Konsole und öffnete die Log-Dateien der letzten 2 Stunden. Es war nichts Besonderes passiert und voraussichtlich würde auch nichts passieren.

 

„Ja, irgendwie schon. Die Menschheit begibt sich immerhin auf unbekanntes Terrain. Andererseits bin ich froh, dass es endlich losgeht.“

 

„Stimmt. Wahrscheinlich geht es ohnehin den meisten Leuten der Crew wie ihnen. Aber wir sind dabei. Das ist doch ziemlich genial, finden sie nicht?“

 

„Ja, ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich das ganze Selektions- und Trainingsprogramm überstanden habe und jetzt an Bord bin.“

 

„Ich zwicke sie aber jetzt nicht in die Wange.“ gab Drake zurück und grinste breit.

 

Lieutenant Haupt lachte laut auf, während Drake die Brücke verließ. Sie war allein. Als erstes schaltete sie den akustischen Signalgeber ein. Danach legte sie die Füsse auf die Taktik-Konsole und nahm ein Buch zur Hand. Die Scanner würden alles melden, was größer als ein Fußball war und sich dem Schiff bis auf 500 km nähern würde. Die nächsten vier Stunden waren die ereignislosesten ihres bisherigen Lebens.

 

McPherson suchte seine Kabine auf. Langsam war er froh, dass es los ging. Die Warterei und der Medienrummel konnten einem schon zusetzen. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich in die Bordsysteme einzuklinken und die Statusreports abzurufen, doch er zwang sich zur Ruhe. Seine Offiziere und auch der Rest der Mannschaft waren erstklassig. Er musste lernen, sich auf die Leute zu verlassen. Und wenn Grischenko behauptete es sei alles in Ordnung, dann bedeutete es im Klartext genau das. Sein Erster war in solchen Dingen sehr penibel.

 

McPherson nahm sich daher ein Buch aus einem der Regale und legte sich auf seine Koje. Zum Schlafen war es ihm um 21:00 Bordzeit noch zu früh, also begann er zu lesen. Das Buch beschrieb die Suche Alexander Mackenzies nach der Nordwest-Passage im Kanada des 18. Jahrhunderts. Mackenzie war also Wegbereiter und Entdecker gewesen.

 

Nun, dieses Schiff und seine Crew hatten etwas Ähnliches vor. Sie würden allerdings keine Eingeborenen nach dem richtigen Weg fragen können, andererseits war das auch nicht notwendig, denn ihr Zielstern stand klar sichtbar im Raum. Auch das war ein Grund für die Wahl dieses Sterns gewesen, es lag nichts dazwischen – kein Nebel, keine Dunkelwolken, einfach nichts. Nur zwei weitere Sonnensysteme lagen nahe ihres Kurses, sofern man bei 4 Lichtjahren Entfernung noch von „nahe“ sprechen konnte.

 

Ihr Ziel würde der Stern 18 Scorpii (auch als HD 146233 in Sternkatalogen verzeichnet) im Sternbild des Skorpion sein. Der gelb-orange Zwergstern der Spektralklasse G1 schien Sol sehr ähnlich zu sein. Man kannte schon einige Daten wie Oberflächentemperatur, Masse, Rotationsdauer, ungefähres Alter etc. von diesem Stern. Was vor kurzem noch dazu gekommen war, war der Beweis für mehrere Planeten, die diesen Stern umkreisten.

 

Der Stern hatte eine habitable Zone in einer Distanz von ca. 1,04 astronomischen Einheiten (1 AE entspricht dem Abstand Erde – Sonne und beträgt ca. 149,6 Mio. km). Die vorsichtig geschätzte Breite der habitablen Zone eines G1-Sterns reichte von 95% der Distanz bis zu 115%. Und genau in diesem Bereich waren zwei Planeten von ungefähr Erdgrösse entdeckt worden. Die Phantasie der Raumfahrtbehörde war dadurch natürlich angeregt worden. Anzeichen für intelligentes Leben hatte man auf diese Entfernung nicht gefunden.

 

Allerdings war auch die Vorstellungskraft der Raumflotte dadurch belebt worden. Ergebnis davon war, daß mit Planungsbeginn für diese Mission auch eine Aufrüstung der Flotte gestartet worden war. Und nicht nur das, auch die EXPLORER war kurzfristig umgebaut und mit Waffensystemen versehen worden. Im Prinzip war das Schiff ein etwas zu groß geratener leichter Kreuzer der Flotte. Selbst die Beiboote waren bewaffnet worden. Die Bewaffnung bestand aus Lasergeschützen, Gausskanonen für verschiedenste Geschosse und verschiedenen Lenkwaffentypen.

 

Das Mehr an Größe war darauf zurückzuführen, dass die Crew grösser war und dass auch Forschungseinrichtungen eingebaut waren, die man voraussichtlich dringend benötigen würde. Gleiches galt für die eingebaute Werkstätte. McPherson gab sich diesbezüglich keinen Illusionen hin, es würde zu technischen Problemen kommen. Sie mussten nur Möglichkeiten finden, sie zu lösen. Und wenn nicht gleich der ganze Hauptreaktor auseinanderflog, dann standen die Chancen mit ihrer Ausrüstung ganz gut. Erfolgsgarantie gab es freilich keine.

 

Das allgegenwärtige Summen der Aggregate des Schiffes holte ihn wieder aus seinen Gedanken zurück. Er sah auf die Uhr – Mitternacht – Zeit zum Schlafen. Er legte das Buch beiseite.

 

Auf der Brücke las LT Haupt in ihrem Buch und die Sensoren zeigten noch immer nichts an. Pünktlich wie die Borduhr selbst erschien ihre Ablöse. Sie blickte von ihrem Buch auf. LTjg Frank Morrison kam durch das Schott. Der schlaksige Amerikaner schien bester Laune zu sein.

 

„Hi, Frank“ begrüßte sie ihn.

 

„Hi Jessica. Wie war die Wache?“

 

„Ereignislos und daher langweilig. Was soll im Erdorbit auch großartig passieren?“

 

„Naja, Spinner gibt es immer noch genug auf der Erde. Und seit Yamato in der Flotte ziemlich aufgeräumt hat, gibt es einige sehr verärgerte Leute auf dem Planeten.“

 

„Als ob die ganze Mission nicht schon schwierig genug wäre, müssen wir uns auch noch mit irgendwelchen Idioten auf dem Heimatplaneten rumschlagen.“ stellte Haupt verächtlich fest.

 

„Tja, so ist das Leben. Und jetzt ab mit dir in deine Kabine.“

 

Sie kannten sich schon seit der Raumakademie, denn sie waren im gleichen Jahrgang gewesen und hatten auch die gleiche Spezialisierung gewählt. Das war vor fünf Jahren gewesen. Haupt war die Strebsamere der beiden, daher war sie auch schon befördert worden im Gegensatz zu Morrison. Was Haupt an Phantasie und Improvisationsvermögen fehlte, machte sie durch ihre Gründlichkeit wieder wett. Morrison war das genaue Gegenteil. Die beiden jungen Offiziere ergänzten sich in einem Team hervorragend.

 

Bei Morrison hatte McPherson sein Urteil in die Waagschale geworfen, um ihn in die Crew zu bekommen, denn seine Arbeitsergebnisse waren immer etwas nachlässig gewesen. Rein vom akademischen Standpunkt wäre jemand anders vielleicht geeigneter gewesen, aber McPherson wusste auch, dass die Dinge in der Praxis meist ganz und gar nicht akademisch abliefen. Morrisons Improvisationstalent würde ihnen also unter Umständen noch sehr helfen können.

 

Nach seinem Abschluss in Computer Science am MIT war Morrison in die Raumflotte eingetreten. Die Raumakademie hatte er in Mindestzeit absolviert - genauso wie sein Studium. Er hatte von einem abenteuerlichen Leben an Bord eines Raumschiffes geträumt, doch die Flottenroutine hatte ihn bald wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die flottenweite Ausschreibung der Offizierspositionen an Bord der EXPLORER war für ihn daher plötzlich die greifbare Realisierung eines Lebenstraums erschienen. Er hatte zum ersten Mal begonnen, wirklich hart für etwas zu arbeiten. Und schliesslich wurde seine Mühe auch belohnt. Er wußte zwar, dass der Captain ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte, aber trotzdem war er mehr als zufrieden an Bord der EXPLORER zu sein.

 

Ein Piepsen von der Taktik-Konsole schreckte ihn aus den Gedanken. Den Auslöser fand er sehr schnell. Ein nicht identifiziertes Objekt war in die Sicherheitszone eingedrungen und näherte sich mit 98m pro Sekunde dem Schiff. Die Masse war nicht sonderlich groß – mehr als ein kleines Orbitalshuttle konnte es nicht sein. Das Objekt würde in etwas mehr als 85 Minuten hier eintreffen.

 

Er rief die Anweisungen des Captains bezüglich der Sicherheitszone ab, dann schickte er über den Computer einen dringenden Weckruf in McPhersons Kabine. Noch war es nicht nötig, die ganze Mannschaft aufzuscheuchen. Die würde im Notfall innerhalb von wenigen Minuten auf dem Posten sein. Wenige Sekunden später meldete sich der Captain über einen internen Kommunikationskanal.

 

„McPherson hier. Was gibt’s Brücke?“

 

„Morrison hier Sir. Unbekanntes Objekt innerhalb der Sicherheitszone. ETA 84,5 Minuten. Masse ca. 50 Tonnen.“

 

„Legen sie mir die Daten auf den Schirm. In der Zwischenzeit fahren sie einen vollen Scan auf das Objekt und verlangen sie Umkehr mit Androhung von Abwehrmaßnahmen. Ich schätze da wird einfach jemand neugierig sein.“

 

„Glaube ich auch. 1st-Level Scan gestartet. Wird denen aber nicht gefallen, wenn wir sie mit Scanner-Strahlung rösten, Sir.“

 

„Mag sein, aber das ist mir egal. Ich mach mich auf den Weg zu ihnen. McPherson out.“

 

„Fein, …“, dachte Morrison grinsend „…Gesellschaft vom kommandierenden Offizier bei der Nachtwache.“ Dann griff er zu einem Schalter und aktivierte einen stark fokussierten Scheinwerfer. Den Lichtkegel richtete er auf das Objekt. Der nächste Griff galt dem Sammelschalter des Funkgeräts. Der Computer bestätigte, daß eine Sendung auf allen gängigen Frequenzen möglich war.

 

„TSS EXPLORER an unbekanntes Objekt. Verlassen sie sofort die 500 km Sicherheitszone um dieses Schiff. Andernfalls sind wir ermächtigt und auch gezwungen, Abwehrmaßnahmen einzuleiten.“

 

Während er auf eine Antwort wartete, identifizierten die Scanner das Objekt als privates Orbitalshuttle mit 4 Sitzplätzen. Die Registrierung des Shuttles konnte ebenfalls ermittelt werden.

 

„Ich wiederhole. Orbitalshuttle Omega-Tango-Sierra-3-4-9 drehen sie bei und verlassen sie die Sicherheitszone um TSS EXPLORER. Andernfalls sind wir ermächtigt und auch gezwungen, Abwehrmaßnahmen einzuleiten. Sie haben 60 Sekunden ihren Kurs zu ändern - ab jetzt.“

 

In diesem Moment kam McPherson durch das Schott auf die Brücke. Er bedeutete Morrison mit dem erhobenen Daumen als Zeichen, dass er es richtig angepackt hatte. Die Borduhr zeigte 0218 Uhr am 15. August 2157 als McPherson Gefechtsalarm auslöste. Die Sirenen heulten auf und schreckten die 120 Männer und Frauen der Besatzung aus dem Schlaf. Die Brücke wurde ins blutrote Licht des Gefechtsalarms getaucht während McPherson einen schiffsweiten Kommunikationskanal öffnete.

 

„Das ist keine Übung. Ich wiederhole, das ist keine Übung. Ein nicht genehmigter Einflug in die Sicherheitszone hat stattgefunden.“ damit schaltete er wieder ab.

 

„Morrison, scannen sie das Shuttle auf Waffensysteme und sagen sie mir wie lange die schnellste Rakete von dort drüben hier her braucht.“

 

„Keine Strahlwaffen an Bord. Chemische Raketen kann ich aber so nicht anmessen. Die schnellste chemische Rakete braucht ca. 200 Sekunden aus ihrer aktuellen Position.“

 

Die Plätze auf der Brücke füllten sich mit unglaublicher Schnelligkeit. Die Crew war mittlerweile perfekt aufeinander eingespielt. Der Taktikoffizier Hidetaka Yamato leitete bereits Feuerparameter vom Ortungscomputer in den Feuerleitrechner über. Die Waffensysteme wurden aktiviert und hochgefahren. Die Geschütze drehten sich Richtung Shuttle. Der kleine Japaner arbeitete konzentriert und schnell an seinen Computerkonsolen.

 

„Taktik, bei 250 km Abstand Warnschuss mit voller Breitseite 100 m neben und vor den Bug.“

 

„Aye, Captain. Warnschuss in 21 Sekunden.“

 

„Captain …“, meldete sich Morrison, „Scanner zeigen an Shuttle hat keine Raketen an Bord, aber eine Menge Elektronik.“

 

„Oh, interessant. Finden sie heraus, wem die Kiste gehört.“

 

Während McPherson wartete wurde dem Shuttle eine Breitseite vor den Bug gesetzt. Plötzlich ging das Shuttle auf vollen Bremsschub und kam kurz darauf zum Stillstand.

 

„Das Shuttle ist auf die Zeitung Daily Mirror registriert.“ gab Morrison bekannt.

 

Plötzlich wurde die Unterhaltung auf der Brücke durch eine aufgeregte Stimme aus dem Empfänger unterbrochen.

 

„Sind sie wahnsinnig? Was ballern sie hier herum wie im Wilden Westen? Wir wollen sie doch nicht überfallen!“

 

McPherson gab dem Kommunikationsoffizier ein Handzeichen, der daraufhin einen Funkkanal öffnete.

 

„Werte Damen und Herren des Daily Mirror. Sie befinden sich in einer militärischen Hochsicherheitszone. Wir haben sie 2 mal mündlich und einmal per Warnschuß darüber in Kenntnis gesetzt. Wir sind berechtigt sie aus dem Raum zu husten, wenn sie nicht schnell wieder verschwinden. Verlassen sie sofort die 500km große Sicherheitszone.“

 

„Das ist gegen die Pressefreiheit!“

 

„Sie können sich gern beim Flottenkommando diesbezüglich beschweren. Ich habe meine Befehle direkt von Admiral Yamato. Wir werden ihre Verletzung der Sicherheitszone selbstverständlich bei der Flotte zur Anzeige bringen. Meine Meinung dazu ist, dass sie gegen §89 Abs 3 des Staatssicherheitsgesetzes verstoßen haben und daher dem Kriegsrecht unterliegen. Das Kriegsrecht kennt keine Pressefreiheit. Abgesehen davon ist es ein Eingriff in die Privatsphäre der gesamten Crew, wenn sie durch ihr egoistisches Verhalten einen Alarm auslösen und die Crew aufgeweckt werden muss. Ende der Durchsage.“

 

Der Kanal wurde geschlossen. Morrison grinste über das ganze Gesicht:“Freunde machen wir uns so keine, Captain, aber sie haben es nicht anders verdient.“

 

Das Shuttle zog sich wieder aus der Sicherheitszone zurück. Nach zehn Minuten war der ganze Spuk auch schon wieder vorbei.

 

„Wissen sie Morrison, der Daily Mirror muss auch nicht unser Freund sein. Kommen wir nicht zurück, kann es uns egal sein. Kommen wir von unserer Mission zurück, sind wir Helden und gerade dann kann es uns auch egal sein.“

 

„Also ich neige eher zur Heldenvariante,“ meinte Grischenko.

 

„Na dann sind wir uns ja alle einig oder?“ fragte McPherson rein rhetorisch in die Runde als er aufstand.

 

„Eigentlich sollte man dem Daily Mirror ein Dankschreiben schicken für die unplanmäßige Alarmübung. Erster, setzen sie die Alarmstufe auf grün und schicken sie die Crew wieder in die Betten ausgenommen die Brückenwache. Offensichtlich brauchen wir nämlich weiterhin eine.“

 

„Aye, Captain.“

 

Damit verließ McPherson wieder die Brücke. Einerseits war er sauer auf die Pressefritzen andererseits war eine solche Übung für alle normalerweise nicht so einfach zu organisieren. Er hatte einige Kleinigkeiten bemerkt, aber er überließ es Grischenko, Änderungen zu veranlassen. Dem Ersten entging ohnehin nichts.

Kapitel 2 - Fremdkörper

Im Konferenzraum hatten sich alle leitenden Offiziere eingefunden. Die zwölf Offiziere und Wissenschafter waren bereit für das Briefing. Capt. McPherson betrat mit einem Tablet-Computer in der Hand den Konferenzraum. Die Borduhr zeigte 08:00 morgens am 15.08.2157.

 

„Guten Morgen Ladies und Gentlemen. Nehmen sie bitte Platz.“

 

McPherson setzte sich selbst an das Kopfende des Tisches. Auf seinem Computer öffnete er eine vorbereitete Präsentationsdatei und startete sie. Er hatte schon viele Briefings geleitet, doch dieses war anders. McPherson spürte so etwas wie Nervosität.

 

„Wie sie wissen, brechen wir zum ersten Flug der Menschheit in ein anderes Sonnensystem auf. Einige werden sich vielleicht gefragt haben, warum wir das nicht schon längst getan haben. Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass die Menschheit gut vorbereitet in dieses Abenteuer gehen wollte.“

 

Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.

 

„Sie alle wissen, daß unser Zielstern 18 Scorpii im Skorpion ist. Dieser Stern hat nach neuesten Ergebnissen 2 Planeten in der sogenannten habitablen Zone. Der Sinn unserer Mission ist die Erkundung dieses Systems. Wir sollen feststellen, ob sich Planeten des Systems für eine Besiedlung eignen. Auf dem Weg dorthin steht es uns frei, einen kurzen Blick auf zwei weitere Sonnensysteme zu werfen, die sozusagen auf dem Weg liegen.“

 

Das Hologramm aus dem Projektor wechselte auf eine Kursübersicht und die zwei nahegelegenen Sterne waren mit blauen Pfeilen markiert.

 

„Für den Hin- und Rückflug sind jeweils 3 Wochen geplant. Rein technisch könnten wir die 45,7 Lichtjahre auch in knapp 4 Tagen zurücklegen, aber wir wollen so wenig wie möglich riskieren und uns gemächlich nähern. Dort angekommen, werden wir das Sonnensystem zuerst vermessen und die Sternparameter feststellen. Sobald wir wissen, dass der Stern 18 Scorpii langfristig stabil ist und auch sonst keine Bedrohungen vorhanden sind, stoßen wir in der Ekliptik von außen nach innen zu den einzelnen Planeten vor. Bisher haben unsere Astronomen 4 Planeten entdeckt – zwei Jupiter-ähnliche und 2 Erd-ähnliche. Das ist die grobe Einsatzplanung.“

 

McPherson lehnte sich in seinem hochlehnigen Sessel zurück und wartete auf die Fragen und Kommentare.

 

Patricia McLovett meldete sich zu Wort:“Was passiert, wenn wir auf den Planeten auf intelligentes Leben stossen?“

 

„Wir haben den Auftrag, eine friedliche Verständigung herbeizuführen, falls dies möglich ist. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Mit einer Steinzeitkultur fangen wir wahrscheinlich nicht viel an. Diesbezüglich gibt es verständlicherweise keine detaillierten Anweisungen des Flottenkommandos oder des Raumfahrtministeriums.“

 

Die schlanke Irin mit dem rot wallenden Haar war damit nicht sonderlich zufrieden, aber im Moment war auch nicht mehr zu erwarten gewesen.

 

Die Psychologin Melanie Cavanaugh räusperte sich kurz:„Wie lange werden wir unter Quarantänebedingungen bleiben, falls wir einen Planeten ohne technische Hilfsmittel betreten könnten?“

 

„Gute Frage – momentan habe ich keine Antwort darauf. Ich denke es wird von den Analysen des Wissenschaftsteams abhängen. Wir sind zwar medizinisch gut ausgerüstet, aber gegen völlig fremde Erreger werden wir kaum die richtigen Abwehrmittel mitführen. Möchten sie etwas dazu sagen Doc?“

 

Lieutenant Sarah Dunham nickte und lehnte sich zurück:“Wir haben eine Dekontaminationsschleuse eingebaut. Jeder, der an Bord zurückkommt, wird da durch müssen. Weiters wird auch eine Blutprobe genommen. Wir wollen ja schliesslich nichts auf die Erde einschleppen. Alles andere werden wir situativ entscheiden müssen – abhängig von den Bedingungen vor Ort. Wir wissen einfach zu wenig über die dortige Lage.“

 

"Captain, werden wir die beiden anderen Sterne in der Nähe unseres Kurses auch besuchen?" warf Isaac Rosenthal in die Diskussion ein.

 

Die Blicke aller Anwesenden wandten sich McPherson zu. Dieser lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen der beiden Hände aneinander.

 

"Ich weiß, daß einige Besatzungsmitglieder dafür sind, diese beiden Sterne außen vor zu lassen. Ihre berechtigten Gründe wurden mehrere Wochen diskutiert. Trotz allem denke ich, daß es wichtig ist, mit soviel Datenmaterial wie nur irgend möglich nach Hause zurück zu kommen. Die Frage ist meiner Ansicht nach eher, ob wir die beiden Sonnensysteme auf dem Hinweg anfliegen oder auf dem Rückweg. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Wir verfügen über keine überlichtschnelle Kommunikation. Somit müssen wir die Datenbasis einfach erstellen und zur Erde zurückbringen und daher ist es auch egal, wie wir vorgehen. Diesen gordischen Knoten können wir nur durch eine willkürliche Entscheidung lösen."

 

"Und wie sieht ihre Entscheidung aus Captain?" hakte Rosenthal nach.

 

"Wir werden unsere Fähigkeiten erst an den beiden anderen Systemen erproben. "Ich denke 18 Scorpio mit seinen habitablen Planeten birgt sehr viel mehr Arbeit für uns. Es kann daher also nichts schaden, wenn wir schon eine gewisse Routine entwickelt haben. Dem entsprechend werde ich den Kurs setzen lassen."

 

Es kamen noch einige weitere Fragen von den Offizieren und Wissenschaftern, die allgemeine aber auch fachliche Themen betrafen. Etwas Aussergewöhnliches war allerdings nicht dabei.

 

McPherson ergriff wieder das Wort:“Sie alle wissen, dass wir keine Möglichkeit der Kommunikation mit der Erde haben, sobald wir mehr als ein paar Lichttage entfernt sind. Also selbst in einer Notlage müssen wir alleine mit unseren Problemen fertig werden. Ich möchte, dass sie das nicht vergessen.“

 

Dann lieferten die einzelnen Abteilungsoffiziere ihre Statusberichte ab. Es gab keine neuen Informationen, da ohnehin alles bis ins letzte Detail geplant worden war. Das Briefing wurde beendet und alle kehrten wieder an ihre Plätze zurück.

 

Kurz vor 10:00 war die erste Garnitur der Brückenmannschaft vollzählig auf der Brücke. Der Start eines Raumschiffes aus dem Erdorbit war an sich nichts Besonderes mehr, aber trotzdem wurde der Start der EXPLORER auf fast allen Fernsehkanälen übertragen. Trotz allem war dieses Schiff ein besonderes und niemand schien sich den Start entgehen lassen zu wollen.

 

McPherson saß im Kommandosessel und überblickte die Brücke. Die einzelnen Offiziere an ihren Konsolen arbeiteten konzentriert machten aber einen durchaus ruhigen und gelassenen Eindruck.

 

„Mr. Stanitakis, fordern sie Starterlaubnis und Fluchtvektor an.“ befahl der Captain.

 

Der Grieche drehte sich kurz zu ihm um und nickte:“Aye, Captain.“

 

„TSS EXPLORER an Terra Flight Control. Ersuchen um Starterlaubnis und Fluchtvektor für geplante Mission Pi-Alpha-3-1-9-Beta.“

 

„Hier Terra Flight Control. Hören sie laut und deutlich. Startfreigabe für 1000 auf Vektor 321/109/32. Viel Glück!“

 

„Danke Terra!“ antwortete Stanitakis und gab den Vektor in den Autopiloten ein. „Captain, wir haben Startfreigabe. Vektor ist programmiert.“

 

„Mrs. Kazinsky, scheren sie aus dem Orbit aus und gehen sie auf Vektorkurs. Aber gehen sie es gemütlich an, wir wollen sozusagen noch in die Kameras lächeln.“

 

„Aye, Captain. Alle Schotten dicht, Schiff klar bei Start. Impulstriebwerke grün und auf Leerlauf. Reaktor grün und auf Leerlauf. Fahre Triebwerksleistung hoch auf 25% und aktiviere Kursprogramm.“

 

Auf dem Vorausbildschirm konnte man die erste Veränderung bemerken. Die Erde schien sich vom Schiff wegzubewegen. Der Schirm zeigte den schwarzen Weltraum mit den leuchtenden Lichtpunkten weit entfernter Sterne. Die Menschheit hatte nun endlich die Möglichkeit, ihre Sehnsucht nach den kleinen Leuchtfeuern im schwarzen Weltraum zu stillen. Die Technik war vorhanden. Es stellte sich allerdings die Frage, ob die Menschheit auch über die geistige Reife einer interstellaren Zivilisation verfügte. Die Zukunft würde es zeigen.

 

Die breite Walze der EXPLORER drehte sich langsam aus dem Orbit. Die Geschwindigkeit erhöhte sich langsam aber stetig. Lieutenant Commander Natalia Kazinsky brachte das Schiff vorsichtig in Bewegung, um der Presse und allen anderen Beobachtern eine gute Show zu bieten. Die Impulstriebwerke hätten aber auch einen wesentlich schnelleren Abflug ermöglicht. Innerhalb von 10 Minuten konnte man immerhin Lichtgeschwindigkeit erreichen.

 

„Weiteres Kursprogramm Captain?“ fragte Kazinsky nach, nachdem das Schiff auf Kurs war.

 

„Bei Monddistanz gehen wir auf Vollschub. Kurs direkt auf Wegpunkt 2 vor dem Kuiper-Gürtel. Dort führen wir einen Routinecheck aller Systeme durch. Die erste Etappe fliegen wir mit zweifacher Lichtgeschwindigkeit. Nach passieren des Kuiper-Gürtels legen wir wie geplant den ersten Zwischenstop bei Wegpunkt 3 ein. Sollten wir dann noch immer keine technischen Probleme an den Antriebssystemen haben, wagen wir den Sprung hinüber zum ersten Stern. Wir werden über dem Nordpol des Sterns aus dem Hyperraum ausbrechen.“

 

"Warum über dem Nordpol, Captain?" fragte Rosenthal.

 

"Ich will nicht, dass gleich jeder weiß in welcher Richtung unsere Heimat liegt, falls uns jemand beim Ausbruch beobachten sollte. Mrs Kazinsky, bereiten sie ein entsprechendes Kursprogramm für den Autopiloten vor."

 

„Aye, Captain. Ich lasse einen Kursvorschlag erstellen. Wird ein paar Minuten dauern.“

 

„Wir haben es nicht eilig. Melden sie mir, wenn das Kursprogramm fertig ist. Wir schauen uns die Sache dann im 3D-Plot an.

 

„Aye, Sir.“

 

„Die Offiziere Drake, Blackhurst und Stanitakis in den kleinen Besprechungsraum“, ordnete McPherson an. Die drei Männer erhoben sich von ihren Plätzen an den Konsolen. Die jeweilige Vertretung übernahm sofort den Platz. McPherson folgte seinen Offizieren. Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, kam der Captain gleich zur Sache.

 

„Setzen sie sich bitte.“

 

„Was können wir für sie tun, Captain?“ fragte Drake. Der Operationsoffizier spanisch-englischer Herkunft würde es noch weit bringen, dachte sich McPherson. Drake war zwar etwas zu formell, aber sehr fähig und überaus zuverlässig.

 

„Wir werden jetzt einige Stunden mit nahezu Lichtgeschwindigkeit unseren Einbruchpunkt ansteuern. Sobald wir Wegpunkt 2 erreicht haben, müssen wir den nuklear geladenen Laserpulser aussetzen. ich möchte, dass sie jede Schraube an diesem Höllending checken - vor allem den gesamten Zündkreislauf und die Telemetrie.“

 

„Aye Sir“, antwortete Lieutenant Commander Jason Blackhurst, der leitende Ingenieur.

 

„Ich will nämlich weder, dass uns das Ding dort draussen um die Ohren fliegt, noch dass wir uns damit selber abschiessen oder die Erde verfehlen. Es ist unsere einzige Möglichkeit ein vordefiniertes Signal an die Erde zu schicken und selbst das wird mehrere Stunden unterwegs sein. Diese Laserminen sind gefährlich. Ich will auch mindestens den doppelten Sicherheitsabstand haben, wenn das Ding hochgeht.“

 

"Aye Captain", antwortete Drake. Als ranghöchster Offizier war es seine Aufgabe, dafür die Verantwortung zu übernehmen. McPherson musste das nicht extra hervorheben – er kannte Drake gut genug, um sich auf ihn zu verlassen.

 

Auch im technischen Bereich hatte man mit dem russisch-stämmigen Igor Migorsky einen zwar etwas chaotischen aber auch sehr flexiblen Offizier in die Crew eingebunden. Bei Migorsky hatte es allerdings keine Diskussionen gegeben, als McPherson ihn in der Crew haben wollte, schliesslich hatte dieser ein völlig neues Verfahren der Einkopplung von Hochenergieflüssen in Verteilungsnetze entwickelt. Migorsky war der Spezialist für Hochenergiesysteme wie Fusionsreaktoren, Waffensysteme und Energienetze.

 

Die drei Offiziere wußten, was zu tun war und verließen den Besprechungsraum. Kurz darauf kam über das kleine Computerterminal das Signal, daß der Kurs berechnet war. McPherson marschierte wieder auf die Brücke zurück und ging mit Kazinsky den Kurs im 3D-Hologramm durch. Sie diskutierten noch einige Kleinigkeiten und Anpassungen, aber im Grunde konnte sich McPherson auf die Qualitäten seiner Chefnavigatorin verlassen.

 

"Captain, wir erreichen in 60 Sekunden die Monddistanz", meldete Kazinsky.

 

"Gut, gehen sie dann wie vorgesehen auf Vollschub."

 

McPherson drückte einen Schalter auf der Armlehne seines Kommandantenstuhls und öffnete damit eine direkte Kommunikationsverbindung zum Maschinenleitstand:"Brücke an Maschinenleitstand. Wir gehen gleich auf Vollschub. Aktivieren sie alle Protokolle und haben sie auch ein sehr wachsames Auge auf die Maschinen. Beim kleinsten Problem will ich informiert werden. Brücke aus."

 

"Aye Captain," kam aus dem kleinen Lautsprecher in der Armlehne.

 

"Zählen sie uns ein Commander Kazinsky."

 

"10 . . . 9 . . . . . . 2 . . . 1 . . . Go"

 

Die Geräuschkulisse änderte sich drastisch. Im Heck schienen die Antriebsaggregate zu explodieren, aber die Anzeigen blieben im grünen Bereich. Erste Vibrationen kamen durch. Sie alle wußten, daß die Vibrationen gefährlich waren. Das Absorbersystem schaltete sich aber nach wenigen Sekunden automatisch zu und mit einem Schlag war so gut wie nichts mehr zu spüren.

 

Kazinsky drehte sich kurz zu ihm um:"Wir sind auf Vollschub, Captain. Wir erreichen Lichtgeschwindigkeit in 625 Sekunden."

 

"McPherson an Maschine."

 

"Blackhurst hier, Captain."

 

"Bericht!"

 

"Alle Anzeigen im grünen Bereich, keine Auffälligkeiten. Die Vibrationsabsorber haben ca. 1 Sekunde zu spät eingesetzt, aber das ist eine Einstellungssache. Wir korrigieren das umgehend. Reaktortemperatur wie geplant angestiegen, gleiches gilt für die Arbeitstemperatur der DFGs und die DFS. Die Kiste scheint zu halten, Sir."

 

"Das will ich hoffen Mr. Blackhurst, sonst lass ich sie schieben. Brücke aus."

 

McPherson konnte sich das Grinsen auf Blackhursts Gesicht lebhaft vorstellen. Der Chefingenieur war trotz seiner bescheidenen Kindheit kein Mensch von Traurigkeit - vielleicht auch gerade deswegen nicht.

 

"Captain, Energieverteilernetz und alle Sekundärsysteme laufen ebenfalls normal. Ersuche um Erlaubnis zum Verlassen der Brücke." meldete Drake von seinem Platz an der Operationskonsole.

 

"Erlaubnis erteilt Mr. Drake", antwortete McPherson. Er wußte, daß Drake sich gleich an den Check des Laser-Sprengkopfs machen wollte.

 

Er legte auf der Armstütze seines Kommandosessels einen Schalter um und eröffnete damit eine schiffsweite Kommunikation.

 

"Hier spricht ihr Captain. Wie sie wissen, sind wir bereits unterwegs. Ziel dieser Mission ist es, den Stern 18 Scorpii anzufliegen und dort nach bewohnbaren Planeten Ausschau zu halten. Auf dem Weg dorthin werden wir uns noch zwei weitere Sonnensysteme ansehen. Unsere Mission wird ungefähr ein halbes Jahr dauern, falls sich an den grundlegenden Parametern nichts ändert."

 

McPherson machte eine wohl überlegte Pause. Dann setzte er fort:"Wir sind nicht alleine in dieser Galaxis, das haben wir schon vor langer Zeit herausgefunden. Die EX ist mit den modernsten Technologien ausgestattet, aber wir wissen nicht, über welche Möglichkeiten andere Rassen in der Ortungstechnik verfügen. Wir werden uns daher sehr vorsichtig bewegen. Oberste Priorität ist es, jeden Hinweis auf unsere Heimat zu verbergen. Wir werden auch auf eine Kontaktaufnahme verzichten, wenn uns jemand begegnet, solange wir nicht bemerkt werden."

 

Wieder legte er eine Pause ein und setzte nach wenigen Sekunden fort:"Sie alle sind durch ein hartes Selektions- und Ausbildungsprogramm gegangen. Sie sind die Besten der Besten und somit die Elite des Planeten Erde. Sie alle haben sich während des Trainings ausgezeichnet bewährt, aber jetzt befinden wir uns nicht mehr im Training. Hier und jetzt beginnt diese Mission, die uns alles abverlangen wird. Ich bin mir sicher, daß sie auch bis zu unserer Rückkehr nächstes Jahr im Februar ihr Bestes geben werden. Ich werde ihnen mit gutem Beispiel vorangehen. Danke. Brücke Ende."

 

McPherson lehnte sich wieder zurück und hing einige Sekunden seinen Gedanken nach.

 

"Navigation, wie sieht unser ETA zu Wegpunkt 2 aus?", fragte er nach.

 

"Wir erreichen Wegpunkt 2 in 5 Stunden und 30 Minuten."

 

"Ok, rufen sie mich 5 Minuten vorher wieder auf die Brücke. Ich gehe in die Messe essen und dann bin ich in meinem Quartier."

 

McPherson stand vom auf Kommandantenstuhl und machte sich auf den Weg in die Messe. Er hatte kein Frühstück zu sich genommen. Als er aufgestanden war, hatte er keinen Appetit gehabt. "War wohl zu nervös für ein Frühstück", dachte er. Jetzt war es fast Mittag, und daher meldete sich sein Magen mit einem Leeregefühl.

 

Die Offiziersmesse lag auf dem Kommandodeck. Zur Zeit war niemand dort. Alle hingen an den Videoterminals und verfolgten noch immer den Flug oder hatten Dienst.

 

Er ging hinüber zum Speisenausgabeautomaten und wählte das Tagesmenü - eine Imitation von Putenfleisch in Pilzsauce mit Reis und Salat. Dazu nahm er sich ein grosses Glas Wasser. Das Glas bestand natürlich nicht aus echtem Glas sondern aus nahezu unverwüstlichem Kunststoff. Glas wäre der Splitter wegen zu gefährlich gewesen.

 

So beladen setzte er sich an einen der Tische in dem großzügig angelegten Raum. Sein Essen nahm er in Gedanken versunken und schweigend ein. Mit wem hätte er auch sprechen sollen, er war alleine in der Offiziersmesse. Er hatte noch Lust auf einen Kaffee, aber er entschied sich, diesen in seiner Kabine zu trinken. Die Kapitänskabine war als einzige mit einer abgespeckten Version des Speisenausgabeautomaten ausgestattet.

 

Drake und Blackhurst nahmen gerade die letzten Einstellungen an dem Lasersprengkopf vor. Die Telemetriedaten mußten bis auf die 36-ste Kommastelle stimmen, denn der Laserstrahl mußte die Erde treffen. Auf dem Weg dorthin würde der vernichtende Laserpuls sich so weit auffächern und soviel Energie verlieren, daß er auf ihrem Heimatplaneten kaum noch bemerkbar sein würde. Einige Spezialsensoren für kohärentes Licht waren rund um die Erde auf Satelliten verteilt worden und würden den simplen Puls auffangen.

 

"Ok, scheint alles in Ordnung zu sein", sagte Drake während er die kleine Klappe am Bordcomputer des Sprengkopfs wieder verschloß.

 

Blackhurst blickte von seinem Tablet-Computer auf:"Ja. Kaum zu glauben, daß wir eine so zerstörerische Waffe zur Kommunikation benutzen."

 

Drake grinste breit:"Man könnte fast meinen, die Menschheit hätte dazugelernt." Er wollte noch etwas hinzufügen, als der Kommunikator piepste.

 

"McPherson hier. Wie weit sind sie?"

 

"Überprüfung gerade abgeschlossen, Captain. Die Waffe ist in Ordnung und hat die endgültige Programmierung erhalten."

 

"Gut. Kommen sie wieder auf die Brücke. Der Navigator übernimmt das Aussetzen der Waffe und alle Folgetätigkeiten von der Brücke aus."

 

"Aye, Captain. Bin auf dem Weg zur Brücke."

 

McPherson betrat gerade die Brücke als er das Gespräch mit Drake beendete. Kazinsky hatte ihn vor wenigen Minuten verständigt, daß sie den Wegpunkt 2 gleich erreichen würden. Sie waren zwar bereits einige Minuten hinter dem Zeitplan, aber er wollte mit dem Sprengkopf kein Risiko eingehen. Die Lasersensoren um die Erde herum würden ohnehin warten.

 

"Statusbericht", bellte McPherson auf dem Weg zum Kommandosessel.

 

"Captain, wir erreichen Punkt 2 in 90 Sekunden. Gefechtskopf klar bei Aussetzen. Mannschaft und Schiff auf Status 100%." meldete Juri Grischenko und stand auf um dem Captain Platz zu machen.

 

"Gut. Mr. Drake, starten sie eine Stufe-1 Protokollierung für das Archiv bis zu einer Minute nach der Explosion. Mr. Grischenko, übernehmen sie mit Mrs Kazinsky das Aussetzen und Ausrichten des Gefechtskopfes. Mr. Sherman, berechnen sie einen Kurzsprung von 10 Sekunden mit einfacher Lichtgeschwindigkeit auf geplantem Kurs.

 

Konzentrierte Betriebsamkeit kam auf der Brücke auf. Plötzlich hatte so gut wie jeder zu tun.

 

Grischenko wandte sich von seinem Computermonitor zum Kommandanten um:"Captain, Sprengkopf wird jetzt ausgesetzt."

 

"Geben sie es auf den Schirm."

 

Auf dem Hauptbildschirm erschien eine zweigeteilte Ansicht. Die eine Hälfte des Bildschirms nahm eine Aussenansicht auf eine kleine Schleuse ein, die zweite Hälfte zeigte die gleiche Schleuse von innen.

 

Auf einem Kraftfeld schwebte der Gefechtskopf auf die Kraftfeldschleuse zu. Kurz vor Verlassen des Schiffes wurde der zylindrische Körper leicht angestossen und glitt durch das Kraftfeld ins Vakuum des Weltraums hinaus.

 

"Telemetrie aktiviert. Der Gefechtskopf beginnt mit der Ausrichtung." meldete Kazinsky.

 

Auf der Aussenansicht begann sich der Zylinder mit der stumpfen Spitze zu drehen, bis seine Spitze genau auf die Erde zeigte. Der Planet war nicht sichtbar, denn sie waren viel zu weit entfernt von der Heimat. Nur starke Teleskope konnten den Planeten als blauen Punkt in der Schwärze des Alls auffinden und darstellen. Der Sprengkopf hatte aber die relativen Positionsdaten der Erde programmiert bekommen und richtete sich nach diesen. Kurz darauf war die Ausrichtung ebenfalls abgeschlossen.

 

"Mr. Sherman, führen sie den Kurzsprung aus."

 

"Aye, Sir. Starte Programmsequenz."

 

Die Maschinen heulten auf und rissen das Schiff vorwärts. Nach 10 Sekunden ging das Schiff wieder in den freien Fall über. Die Bombe war nicht mehr zu sehen.

 

"Mr Stanitakis, senden sie das Zündsignal."

 

"Aye Captain. Sende Signal … jetzt." meldete der Funkspezialist.

 

Das Signal würde 10 Sekunden brauchen, den Sprengkopf zu erreichen und das Licht der Explosion würde weitere 10 Sekunden brauchen um sie zu erreichen. Vorerst geschah also nichts. Doch als die 20 Sekunden vergangen waren, blitzte plötzlich ein weißer Energiepunkt im All auf. Der Punkt wurde dabei rasch größer aber auch lichtschwächer. Die Ränder schienen etwas stärker zu leuchten, aber das täuschte aufgrund der Krümmung der Energiekugel.

 

Drake drehte sich in seinem Stuhl zum Kommandanten um:"Captain, Laserstrahl wurde abgesetzt. Soweit wir das beurteilen können, hat alles einwandfrei geklappt."

 

"Gut. Mr. Grischenko, veranlassen sie eine Stufe-2 Überprüfung der primären und sekundären Antriebsaggregate, der Stabilisatoren, des Antivibrationsssystems und des Navigationssystems. Sobald sie fertig sind oder ein Problem auftaucht. informieren sie mich umgehend. Alles nicht benötigte Personal schicken sie bis dahin in die Kojen."

 

"Aye, Captain."

 

McPherson wußte, die Systemprüfung würde ca. 10 Stunden dauern. Die Crew war bisher nicht wirklich belastet worden, aber er wollte kein Risiko eingehen, daher ließ er die Mannschaft bei jeder sich bietenden Gelegenheit rasten. Die wirklichen Anstrengungen würden schon noch kommen, dessen war er sich sicher.

 

 

 

Nach fünf Tagen Flug durch den Hyperraum war es nun gleich soweit. Das Schiff würde auf seiner ersten interstellaren Reise, aus dem Hyperraum ausbrechen und in das normale Universum zurückfallen. Einen derartigen Langstreckenflug hatte die Menschheit vorher noch nie unternommen. Die Nervosität auf der Brücke war deutlich zu spüren. Das Timing des Ausbruchs war so eingerichtet worden, dass die erste Schicht der Brückenmannschaft Dienst hatte. Captain McPherson saß im Kommandantenstuhl.

 

"Ausbruch in 30 Sekunden, Sir." meldete sich Lieutenant Commander Kazinsky.

 

"Fluchtprogramm festgelegt?" fragte McPherson nach.

 

"Aye, Sir."

 

McPherson hatte noch während der letzten Stunden ein Fluchtprogramm in den Autopiloten programmieren lassen. Falls es irgendwelche Probleme gab beim Ausbruch konnte das Schiff innerhalb weniger Sekunden auf Knopfdruck wieder verschwinden. Der rechte Zeigefinger des Captains lag auf dem Auslöser.

 

"Navigation, zählen sie uns ein."

 

"10 … 9 … 8 … 7 … 6 … 5 … Maschinen gehen auf Standby … 3 … 2 … 1 … Ausbruch."

 

Das leicht wallende Schwarz des Hyperraums auf dem Bildschirm wurde durch den üblichen Entladungsblitz zerrissen, als der Energiepegel des Kraftfeldes wieder auf Normalwert fiel. Ein Rückschlag der Energie konnte die Maschinen zerstören, daher wurde ein Großteil der Energie in höchst leistungsfähigen Kondensatoren aufgefangen. Der Rest wurde als Gravitationswelle im Normalraum frei.

 

"Wir stehen im freien Raum über dem Nordpol des Sterns Sir. Entfernung 0,6 AE. Generatoren laden für Einbruchmanöver auf. Noch 20 Sekunden." meldete Kazinsky.

 

Yamato drehte sich leicht in McPhersons Richtung: "Energieniveau normal, keine abnormen Strahlungswerte, keine künstlichen Energieemissionen, Sir."

 

McPherson entspannte sich etwas. Für's erste schien es keine Probleme zu geben.

 

"Ok, Leute. Wir bleiben vorerst eine Weile hier. Mr. Grischenko, veranlassen sie eine Level 3 Prüfung aller primären und sekundären Antriebssysteme. Ich möchte den Bericht so schnell wie möglich haben. Mr. Drake, veranlassen sie die Umrüstung von zwei Jägern auf volle Aufklärungskonfiguration."

 

Die zwei Offiziere bestätigten die Befehle und machten sich gleich an die Arbeit. Der Captain befahl auch noch einen Schichtbetrieb für die Stationen Navigation und Taktik. Die Technik bekam Auftrag die Beiboote durchzuchecken.

 

"Kazinsky, bereiten sie eine Erkundungsmission mit zwei Jägern vor - volle Bestückung für Aufklärung. Startzeitpunkt in 30 Minuten ab jetzt."

 

"Aye, Sir. Melde mich freiwillig für den Rundflug."

 

"Abgelehnt Kazinsky. Ich brauche sie hier. Außerdem sollen auch mal andere Piloten Gelegenheit bekommen, das kleine Gerät zu fliegen. Sie sollen von oben zum Stern vorstoßen und sich dann von innen in der Ekliptik nach außen vorarbeiten. Wählen sie zwei Mannschaften aus und organisieren sie ein Briefing in 10 Minuten."

 

"Aye, Sir." antwortete Kazinsky. Sie beherrschte sich gut, aber McPherson konnte die Enttäuschung in ihrer Stimme trotzdem hören. Sie kannten sich schließlich schon alle sehr lange, da konnte man sich gegenseitig kaum noch etwas vormachen.

 

Mit zwei schnellen Tastendrücken auf der Armlehne des Kommandostuhls stellte McPherson eine Verbindung zum Leiter des wissenschaftlichen Teams her: "Mr. Rosenthal, ich brauche die astronavigatorischen Daten aller Planeten, Monde und Asteroidenfelder so rasch wie möglich. Eine Aufklärungsmission mit zwei Jägern wird zusätzliche Daten liefern und sie damit unterstützen."

 

"Aye Captain. Die Ekliptik kennen wir ja, daher wird es wohl nicht allzu kompliziert werden."

 

Es hatte einige Zeit gedauert, bis die Wissenschaftler sich an den militärischen Umgangston der restlichen Besatzung gewöhnt hatten. Anfangs hatte es deswegen öfters Reibereien gegeben, aber die lange Trainingsphase hatte alle aneinander gewöhnt. Die Militärs waren etwas vernünftiger geworden und die Wissenschaftler hatten eine etwas dickere Haut bekommen.

 

Einige Minuten später war Kazinsky mit dem Captain gemeinsam zum Briefing der Aufklärer unterwegs. Der kleine Besprechungsraum nahe der Brücke bot Platz genug. Team Alpha bestand aus Pilot Lieutenant Richard Franks und Systemoperator Chief Petty Officer George Padelton, Team Beta aus Ensign Ally Harrington und Chief Petty Officer William Grumman.

 

"Setzen sie sich doch." bat McPherson die Anwesenden, nachdem sie den Besprechungsraum betreten hatten.

 

"Danke Sir. Worum geht es?" fragte Franks.

 

"Wir brauchen möglichst gute Aufklärungsdaten über dieses Sonnensystem. Wir werden sie daher mit je einem kompletten Satz Aufklärungsausrüstung rausschicken."

 

"Bewaffnung?" wollte Franks wissen.

 

"Nur die fix verbauten Systeme, also die zwei Laserkanonen. Wir haben bisher nichts geortet, was auch nur irgendwie bedrohlich sein könnte. Sie werden den Platz einerseits für die Aufklärungsmission brauchen und andererseits sollen sie nicht unnötig Masse mitschleppen. Nur ein kurzer und schneller Rundflug und wieder ab nach Hause.." antwortete Kazinsky.

 

"Erläutern sie das Missionsprofil, Commander."

 

Kazinsky sah ihn kurz an und nickte. Dann aktivierte sie den Holoprojektor, der das Sonnensystem darstellte:"Wir befinden uns ca 100 Mio km über dem Nordpol des Sterns. Wir brauchen einerseits Daten über den Stern selbst als auch über seine Planeten und deren Monde. Das heißt, sie werden von oben senkrecht auf die Ekliptik vorstoßen und den Stern in 5 Mio km passieren. Das ist weit genug weg, daß die Strahlung auch ohne die 5d-Felder ungefährlich ist. Auf diesem Teil suchen sie nach Planeten. Auf Höhe der Ekliptik steuern sie dann die einzelnen Planeten an und gehen jeweils in eine Äquatorbahn für 2 schnelle Umkreisungen. Die Kameras, Scanner und Analysatoren werden ständig laufen und Daten sammeln. In der Zwischenzeit wird sich die EXPLORER geradlinig in die Ekliptik begeben - allerdings weit draussen am Innenrand der Oortschen Wolke - und sie dort wieder einsammeln. Der genaue Flugplan wird derzeit vom Bordrechner erstellt und dann an ihre Maschinen weitergegeben. Die ganze Reise wird ca. 20 Stunden dauern. Fragen dazu?"

 

Franks dachte ein paar Sekunden nach bevor er antwortete:"Nein, Ma'm. Alles klar soweit."

 

"Ok. Prüfen sie ihre Maschinen genau durch. Ich möchte, daß sie nur mit voll einsatzfähigen Jägern starten. Der Start erfolgt in zehn Minuten. Wegtreten."

 

"Aye, Commander."

 

Damit verließen die vier Piloten den Besprechungsraum.

 

"Ich bin gespannt, was dabei rauskommt." sagte McPherson.

 

"Naja, wir wissen von 4 Gasriesen im System, die wir auch schon von hier aus geortet haben. Sie werden alle mehrere Monde haben, so wie die Gasriesen im Sol-System. Einer der Riesen ist im habitablen Bereich des Sterns. Alles andere könnte zwar wissenschaftlich interessant sein, aber vom kolonisatorischen oder militärischen Standpunkt aus eher langweilig", merkte Kazinsky an.

 

McPherson erhob sich und machte sich mit seiner Navigationsoffizierin gemeinsam wieder auf den Weg zur Brücke. Kazinsky würde die beiden Jäger starten.

 

Als der Startzeitpunkt näher rückte, saß Kazinsky wieder hoch konzentriert an der Navigationskonsole.

 

"Franks und Padelton, sie sind designiert als Wolf 1, Harrington und Grumman sind Wolf 2. Wolf 1 hat den Lead und Wolf 2 ist Wingman. Euer Flug ist designiert als Wolfpack. EXPLORER ist designiert als Cave. Melden sie Startbereitschaft."

 

"Cave, Wolf 1 startklar."

 

"Cave, Wolf 2 startklar."

 

"Wolfpack, Cave öffnet Hangartore."

 

Hinter den Piloten, deren Maschinen nebeneinander im Hangar standen, schloßen sich automatisch die Hangarzugänge. Die Beleuchtung für den Startalarm flammte auf.. Die beiden Katapulte mit den Jägern darauf wurden ausgerichtet, und die Bordatmosphäre wurde abgepumpt. Kurz darauf öffnete sich das Hangartor und gab den Blick in die Schwärze des Weltraums frei. Die Katapulte schleuderten die beiden Jäger hinaus. Daß sich hinter ihnen Hangar wieder schloß, konnten die Piloten schon nicht mehr sehen, denn sie rasten in den freien Raum hinaus.

 

"Wolf 2, Autopilot ein und Kursprogramm ausführen in 3 … 2 … 1 … go."

 

Franks hatte bewußt betont ruhig gesprochen, um die Nervosität etwas zu dämpfen.

 

Die Triebwerke der beiden Raumjäger gingen auf Leistung und schleuderten die beiden Maschinen ihrem ersten Wegpunkt entgegen. Die Jäger konnten Lichtgeschwindigkeit erreichen und waren auch mit einem Hyperraumantrieb ausgerüstet. Die mögliche Entfernung pro Hyperraumflug lag zwar nur bei ca. 10 Lichtjahren, aber für die üblichen Einsatzprofile war das mehr als ausreichend.

 

"Wolf 2, Status."

 

"Alle Systeme nominal. Aktiviere Aufklärungsplattform." meldete sich die mit 21 Jahren noch sehr junge Pilotin Ally Harrington.

 

"Hier auch alle Systeme ok. Aktiviere ebenfalls Aufklärungsplattform."

 

Nach 10 Minuten hatten sie Lichtgeschwindigkeit erreicht und noch einmal 5 Minuten später näherten sie sich dem erstenWegpunkt in der Nähe der Sonne dieses Systems.

 

"Cave, hier Wolf 1. Stabilitätsanalyse für Stern läuft - abgeschlossen in 30 Sekunden … übermittle Daten aus Spektralanalyse und Gravometrik."

 

"Wolfpack, Cave hier. Haben Daten erhalten. Sieht gut aus. Macht weiter wie geplant."

 

"Cave, Roger."

 

Eine weitere Minute später hatten sie den geplanten Wegpunkt erreicht und der Autopilot nahm die fällige Kursänderung vor. Die beiden Jäger änderten ihren Kurs um 90 Grad und schwenkten damit in die Ekliptik des Systems ein. Während des Anflugs vom geographischen Nordpol des Sterns hatten sie die vier Gasriesen angemessen, aber auch einen weiteren Planeten entdeckt, der weit draußen seine Bahn zog.

 

Der erste Gasriese kam in Sicht - zumindest auf den Bildschirmen der Computer in den Jägern. Er war ein typischer Vertreter der jupiterartigen Planeten. Wasserstoff, Edelgasen sowie Spuren von Methan, Ammoniak, Sauerstoff und einer Menge anderer Gase bildeten den Planeten.

 

"Wolf 1 an Wolf 2. Wie wollen wir ihn denn nennen?"

 

"Der Stern hat doch schon einen Namen. Gliese 581. Und die Planeten werden üblicherweise von innen nach außen durchnummeriert oder?"

 

"Meine Güte Harrington, du bist unromantisch. Es ist der erste fremde Stern, den die Menschheit besucht. Da sollte uns doch etwas Vernünftiges einfallen, oder?"

 

"Mag sein, daß es der erste fremde Stern ist, aber ansonsten ist an diesem Sonnensystem nichts Besonderes." antwortete Harrington.

 

Damit war die Unterhaltung auch schon wieder beendet. Harrington sollte sich irren.

 

Der Beobachter richtete seine Scannersysteme nach innen auf das Zentrum des Sonnensystems. In dem Sonnensystem, in dem er postiert worden war, hatten seine empfindlichen Meßgeräte energetische Aktivitäten bemerkt. Das war an sich nichts Besonderes, aber die Energien, die er angemessen hatte, hatten einen fünfdimensionalen Anteil gehabt. Normalerweise war das ein sicheres Zeichen für künstlich hervorgerufene Energieabstrahlungen, aber der Ausschlag war so gering, daß es in den Ermessensspielraum des Beobachters fiel, ob er die Beobachtung weitermeldete oder nicht.

 

Seine Herren waren in Reichweite des Hyperraumkommunikators. Das Sonnensystem hatten sie allerdings schon vor langer Zeit verlassen und nur den Beobachter zurückgelassen. Der Beobachter kannte keine Langeweile und hatte außer etwas Energie keine Bedürfnisse. Er war allerdings schon sehr lange hier auf seinem Posten.

 

Die Meßergebnisse waren bisher noch nicht eindeutig genug gewesen. Das Gebilde drehte sich etwas, um die Scannerantennen neu auszurichten, und beschickte die aktiven Ortungsgeräte mit Energie.

 

Die EXPLORER hatte ihre Position verlassen und sich auf den Weg zum inneren Rand des Kuipergürtels dieses Sonnensystems gemacht. Dazu hatte McPherson einen kurzen Hyperraumflug programmieren lassen. Anderenfalls wären sie mehrere Stunden unterwegs gewesen.

 

"Captain, Zielposition mit einem Kilometer Varianz erreicht." meldete Kazinsky.

 

"Sehr gut, Commander. Geben sie mir einen Plot des Sonnensystems mit unserer Position und dem Kursprogramm der Aufklärer auf den Hauptschirm." ordnete McPherson an.

 

Einige Sekunden später erschien die taktische Übersicht des Sonnensystems auf dem Hauptbildschirm.

 

"Sir, ich bekomme gerade Energiesignaturen herein. Hyperwelle, breit gefächert in Richtung unserer Aufklärer. Scheint ein Hyperortungssystem zu sein." meldete sich die junge italienisch-stämmige Ortungsspezialistin Theresa Cagliari.

 

McPherson fuhr in seinem Kommandosessel herum. Eine Sekunde später war seine Überraschung verflogen: "Alle Mann auf Gefechtsstation! Geben sie die Position auf dem Hauptschirm in der Taktik-Ansicht aus. Grischenko, wir gehen Emission Control. Gleiche Anordnung an die Aufklärer."

 

Emission Control beinhaltete nur, daß vom Schiff aus keine Signale mehr ausgesendet wurden, eine echte Tarneinrichtung besaß die EXPLORER nicht.

 

Im Schiff begann ein Hetzen und Rennen, wie man es sonst wohl nie erleben würde. Sobald alle auf ihren Gefechtsstationen waren, ließ McPherson den Verschlußzustand herstellen. Einige Sekunden hallten die zuknallenden Schotts durch das Schiff. Die Zentrale war in das rote Licht der Gefechtsbereitschaft getaucht.

 

"Position nur ungefähr ermittelbar, Sir. Wir müßten triangulieren, wofür wir wiederum unsere Position verändern müßten."

 

"Ok, fragen sie per Richtfunk bei den Aufklärern nach, ob sie die Signatur anmessen können und uns Richtungsvektoren geben können. Stärke der Signatur?"

 

"Der Computer vergleicht es mit einer Erkundungssonde, aber das würde ich nicht ernst nehmen Sir. Dort kann auch ein riesiges Schlachtschiff rumfliegen, das nur mit geringer Leistung scannt." bemerkte Cagliari.

 

McPherson nickte zustimmend. Die Ortungsspezialistin hatte recht. Die Signalstärke besagte nicht allzu viel. Andererseits würde ein starker Scanner wohl kaum nur mit reduzierter Leistung quer durch ein Sonnensystem scannen wollen.

 

Eine Minute später kamen die Richtungsvektoren der beiden Aufklärer. Damit ließ sich die Position des fremden Scanners bis auf ca. 10.000 km genau ermitteln.

 

"Befehl an die Jäger: Sie sollen am ersten Gasriesen in einen engen Orbit gehen und in Deckung bleiben. Sie sollen auch zusehen, daß sie möglichst wenig Energie abgeben."

 

"Sie werden auf jeden Fall bemerkt werden Captain. Sie sind derzeit mit 25% Lichtgeschwindigkeit unterwegs. In einen Orbit können sie damit niemals gehen." antwortete Ensign Cagliali.

 

"Verdammt. Wie lange haben sie noch bis zum ersten Planeten?"

 

"25 Minuten Sir."

 

"Kazinsky, berechnen sie einen Abfangkurs mit Hyperraumsprung bis auf ca. 50.000 km zum Sender. Sehen sie zu, daß wir ein Hinderniss zwischen uns und dem Fremden haben, wenn wir aus dem Hyperraum kommen und setzen sie die Eigenschwingungsdämpfer ein. Taktik, Waffensysteme hochfahren, aber keine Zielerfassung." befahl McPherson.

 

"Abfangkurs berechnet und eingegeben, Sir. Unser ETA wird 3 Minuten sein." meldete Kazinsky.

 

"Navigation, Ausführung Kursprogramm."

 

"Aye, Sir. Führe Kursprogramm aus."

 

Das Schiff drehte sich in den neuen Kurs und beschleunigte mit Maximalwerten. Nach etwas mehr als 2 Minuten verschwand die EXPLORER im Hyperraum. Die Eigenschwingungsdämpfer leiteten die gespeicherte Energie der Kondensatoren in die Hyperraumresonatoren. Diese Resonatoren wirkten wie die Schalldämpfer einer Pistole und dämpften den Schock des Eintauchens in den Hyperraum. Der Energieblitz blieb fast völlig aus und auch die Gravitationswelle wurde um den Faktor 1000 abgeschwächt. Dazu kam, daß Gravitationswellen an sich schon schwer festzustellen waren. Dazu bedurfte es ganz spezieller Meßgeräte.

 

"Wo kommen wir heraus Kazinsky?"

 

"Der Fremde befindet sich in einem Orbit um Planet 4. Ich habe einen Mond als Deckung ausgesucht. Wir werden dann noch den Mond halb umrunden müssen, sind dann aber gleich in Gefechtsdistanz."

 

McPherson blickte zu seiner Navigatorin hinüber:"Sehr gut Commander."

 

Grischenko grinste hinterlistig:"Dann können wir uns den Fremdling vielleicht ja auch noch etwas ansehen, bevor wir etwas unternehmen."

 

"Wäre mir nur recht. Einfach so drauflos ballern würde wohl einen schlechten Eindruck machen." antwortete McPherson.

 

Kurz danach erfolgte der Austritt aus dem Hyperraum. Wie Kazinsky gesagt hatte, befand sich vor dem Schiff ein Mond des 4. Planeten.

 

"Navigation, bringen sie uns soweit über den Horizont des Mondes, daß wir den Fremden orten können. Ortung, richten sie alle passiven Systeme auf die zuletzt festgestellte Position. Ausführung."

 

Die beiden Stationen bestätigten die Befehle und das Schiff bewegte sich vorsichtig in Richtung Horizont.

 

"Wir erreichen den Horizont … jetzt." meldete Kazinsky.

 

"Captain, wir sind 120.540km entfernt. Optische Erfassung mit höchster Auflösung möglich. Lege Bild auf den Schirm."

 

Auf dem Hauptbildschirm erschien ein zylindrisch geformter und eindeutig künstlich hergestellter Körper. Kleine Auslegerarme trugen scheinbar Instrumente oder Korrekturtriebwerke - oder waren es doch Waffensysteme?

 

Der Beobachter registrierte den neuerlichen Ausstoß von Hyperenergie nahe bei ihm. Der Mond war zwischen ihm und dem Epizentrum des Energieausbruchs, daher konnte er nicht feststellen, worum es sich genau handelte. In seiner Datenbank waren solche Vorkommnisse aber eindeutig als künstlich beschrieben - es gab nach dem Wissen seiner Herren keine anderen Möglichkeiten, als ein Raumschiff oder eine Sternexplosion. Eine Sternexplosion wäre wesentlich stärker, also blieb nur die andere Möglichkeit.

 

In seinem Inneren begann es zu klicken und zu summen, was man allerdings im Vakuum des Weltraums nicht hören konnte. Die Hyperkom-Antenne richtete sich auf den ihm zugewiesenen Nodus seiner Herren aus, während der Zentralcomputer ein Datenpaket mit allen verfügbaren Informationen für den Versand zusammenstellte und verschlüsselte.

 

Das Ganze dauerte nicht ganz eine Minute. Wäre der Beobachter nicht schon 120 Jahre alt gewesen, wäre die Warnung schon längst an seine Herren verschickt gewesen. So aber dauerte es eine Weile, bis die Antenne ausgerichtet war, und auch der Computer funktionierte nicht mehr zu 100% einwandfrei. Die Strahlung des großen Planeten und der fernen Sonne dieses Systems hatten im Laufe der langen Jahre einige elektronische Komponenten beschädigt. Die Selbstreparatur konnte diese Schäden nicht schnell genug beseitigen, also blieb dem Beobachter nur die Möglichkeit, den Reservecomputer hochzufahren und mit den Daten zu versorgen.

 

Cagliari bekam erste Ergebnisse:"Bekomme erste Daten der Auswertungssysteme. Objekt ist ca. 20m groß und hat den typischen Aufbau eines Satelliten. Energieversorgung mittels Mikrofusionsreaktor, zahlreiche Instrumententräger, sehr leistungsfähige Ortungssysteme. Keine Waffensysteme feststellbar, aber das Ding enthält einiges, was die Analysesysteme nicht zuordnen können."

 

Grischenko drehte sich zu McPherson:"Wenn das Ding ein Satellit ist, dann sicher keiner aus diesem System. Und einer von außen kann eigentlich nur ein Wächter sein, der verdächtige Aktivitäten weitermeldet."

 

"Das können wir aber hier gar nicht gebrauchen." stellte der Captain fest. "Ortung, können sie Antennen ausmachen und als Ziele markieren? Ich brauche nur die Antennen der Kommunikationssysteme."

 

"Ja, Captain. Es gibt einige davon. Die Kommunikationssysteme sind offenbar fortschrittlicher als unsere Captain. Der Computer kann sie nicht definitiv von anderen Systemen unterscheiden. Die reinen Ortungssysteme lasse ich weg und markiere alle anderen, die der Computer nicht zuordnen kann. Bleiben 4 Antennen übrig Sir. Achtung, Satellit fährt zusätzliche Systeme hoch, Zweck unbekannt, scheinen aber Computer zu sein."

 

"Könnte eine Zielerfassung sein. Taktik, programmieren sie die schweren Laser auf die Antennen. Fahren sie das CIWS hoch." befahl McPherson.

 

"CIWS aktiv, Sir. Laser haben Ziele aufgefaßt." meldte Jessica Haupt von der Taktik-Konsole.

 

Das CIWS (Close-In Weapon Systems) diente der Abwehr von Geschossen und Raketen eines Gegners.

 

"Sollte ein Gegenangriff erfolgen, ist das Ziel zu zerstören. Feuer frei."

 

Haupt drückte einige Tasten auf ihrer Konsole. Vier armdicke Laserstrahlen leuchteten kurz auf und verschwanden in der Finsternis des Weltraums. Einen Lidschlag später leuchtete das Ziel kurz auf. Das war alles was geschah - kein Gegenangriff und auch sonst keine Reaktion. Sie warteten noch einige Minuten, aber es geschah auch weiterhin nichts.

 

Der Beobachter stellte den Angriff augenblicklich fest. Er war zu langsam gewesen, um seine Herren zu benachrichtigen. Die Fremden wußten offenbar genau, wie sie ihn handlungsunfähig machen konnten. Sie hatten genau jene Antennen zerstört, die er für die Erfüllung seines Auftrags benötigte. Daraufhin löste er das Katastrophenprogramm aus. Er stellte alle Aktivitäten ein und löschte den Großteil seiner Computerspeicher. Der Reaktor lief aus, nachdem das Einengungsfeld für das Fusionsplasma erloschen war.

 

McPherson ließ ein Engineering-Team der Marines ausschleusen, um den Satelliten zu untersuchen. Das Team meldete sich nach wenigen Minuten bereits mit ersten Informationen.

 

"Captain, das Ding hat sich nach unserem Angriff einfach abgeschaltet. Es ist energetisch tot außer der Reststrahlung des Reaktors."

 

"Suchen sie nach einer Selbstzerstörungseinrichtung."

 

"Aye, Sir."

 

Kazinsky drehte sich zu ihm um: "Die Aufklärer erreichen gerade Planet 1, Sir. Sie warten noch auf Anweisungen."

 

"Sie sollen zurückkommen. Sollte hier noch so ein Ding herumschwirren oder irgendwer auftauchen, müssen wir unter Umständen ganz schnell verschwinden."

 

"Captain, Außenteam hier. Die Kommunikationssysteme sind fortgeschrittener als unsere, daher konnte der Computer nicht viel anfangen damit. Einen Sprengsatz oder Bordwaffen haben wir hier nicht gefunden. Auch die Technologie des Fusionsreaktors ist wahrscheinlich eine Spur besser als unsere. Alles andere beherrschen wir genauso gut, wenn nicht besser. "

 

"Unsere Wissenschaftler sollten sich mit den Kom-Systemen beschäftigen. Was meinen sie Grischenko, holen wir das Ding rein?"

 

"Captain, das halte ich für keine gute Idee." merkte Grischenko an. "Wir kennen die Technik nicht. Was wenn doch eine Sprengladung an Bord ist, und wir sie einfach nicht finden? Wir wissen ja schließlich nicht, wie die Fremden sowas bauen würden."

 

"Hm, aber im Raumanzug draussen das Ding analysieren …"

 

"Wir können es ja systemweise zerlegen und die separierten Systeme an Bord bringen."

 

"Gute Idee, Commander. Vor allem die Kom-Systeme brauchen wir. Aber die Leute sollen sich beeilen. Taktik, suchen sie die Umgebung dieses Planeten ab und danach die Umgebung der anderen Planeten. Wenn noch irgendeine Energiesignatur auftaucht, verschwinden wir."

 

"Captain, wie wäre es, wenn wir gleich ein Fluchtprogramm in den Navigationscomputer einspeisen?"

 

"Das wäre meine nächste Anordnung gewesen, Kazinsky. Suchen sie sich eine passende Position im Kuipergürtel raus, aber auf der anderen Seite der Sonne."

 

"Aye, Sir. Ist in ein paar Minuten erledigt."

 

Eine halbe Stunde später schleusten die beiden Aufklärer ein. Auf dem Rückweg hatten sie noch Gelegenheit zu einem Vorbeiflug am ersten Planeten des Systems gehabt und die Daten der Sensoren und Scanner gespeichert. Die Analyse würde allerdings warten müssen.

 

In der Zwischenzeit hatten die Techniker begonnen, den Satelliten zu zerlegen und die einzelnen Komponenten nach genauer Prüfung an Bord gebracht. Die Wissenschaftler arbeiteten angestrengt an der Erfassung aller Daten dieses Sonnensystems während die Ortung und Taktik auf neuerliche Anzeichen von künstlichen Aktivitäten lauerten.

 

Nach mehreren Stunden war es geschafft. Die Komponenten des Satelliten waren an Bord und die wichtigsten Daten des Sonnensystems waren ermittelt. Die Scannerdaten des Aufklärungsfluges waren ebenfalls ausgewertet. Diese sorgten für einige Aufregung bei den Wissenschaftlern, vor allem bei der Archäologin Stella Carrigan.

 

McPherson setzte für den nächsten Morgen ein interdisziplinäres Meeting für die gesamte Crew an, um alle mit den letzten Informationen zu versorgen und eine Diskussion anzuregen.

Kapitel 3 - Das Angebot

Die Teilnehmer am Informationsmeeting trudelten langsam ein. Die Mannschaftsgrade und die Marines waren zwar eingeladen, aber nicht verpflichtet teilzunehmen. Trotzdem schien die gesamte Crew anwesend zu sein. McPherson wunderte sich nicht darüber, denn immerhin war das die erste interstellare Expedition der Menschheit und selbst die niederen Dienstränge der Schiffsführung und der Marines waren handverlesenes Personal.

 

McPherson sah kurz auf die Armbanduhr und nickte - mehr zu sich selbst als zu jemand anderem. Er machte sich auf den Weg von der Brücke zur großen Messe. Als er dort durch die Tür trat, brüllte der wachhabende Marine neben dem Schott:"Aaaachtung! Captain an Deck!" Die Mannschaft erhob sich von den Plätzen während der Captain an das Präsentationspult trat.

 

"Guten Morgen meine Damen und Herren. Nehmen sie bitte Platz. Ich habe dieses Meeting einberufen, um sie alle auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen und eine Diskussion anzuregen. Sie können selbstverständlich alle Daten auch über das Intranet nachschlagen. Als erstes möchte ich die wissenschaftliche Abteilung bitten, ihre Ergebnisse vorzustellen. Den Anfang macht Dr. Rosenthal."

 

Der unscheinbare Astronom erhob sich von seinem Platz und ging Richtung Präsentationspult. Auf dem Weg dorthin zog er ein Blatt Papier aus einer Tasche seines Bordanzuges und richtete sich mit dem linken Zeigefinger die Brille. Als er oben angekommen war, packte er die seitlichen Ränder des Pults mit seinen Händen, als wenn er einen Feind erwürgen müßte und funkelte das Mikrofon mit einem stechenden Blick an..

 

"Guten Morgen. Ich möchte ihnen kurz die wichtigsten Informationen zur astronomischen Situation dieses Sonnensystems geben. Der Stern selbst ist stabil und gehört der Klasse M 2.5 an. Das bedeutet Gliese 581 ist ein roter Zwerg und daher relativ kühl verglichen mit unserer Sonne. Der Stern Gliese 581 hat fünf Planeten. Die inneren vier sind Gasriesen mit jeweils ausgeprägten Mondsystemen. Planet 1 hat 23 Monde, Planet 2 besitzt 12 Trabanten und Planet 3 wird von 16 Begleitern umkreist. Planet 4 hat 31 Monde, aber dazu später. Der Planet 4 liegt mitten in der habitablen Zone und Planet 3 am inneren Rand davon. Planet 1 ist zu nahe an der Sonne für irgendwelche Lebensformen oder eine Kolonisation. Die Strahlung des Sterns ist bei dieser Nähe auch bei einem roten Zwerg tödlich. Planet 2 liegt auch zu nahe an der Sonne. Planet 5 eignet sich zwar nicht für eine Besiedlung, aber er könnte als Rohstofflieferant genutzt werden, da er fest ist - ähnlich wie unser Pluto."

 

Rosenthal machte eine Pause. Im Publikum schoß eine Hand hoch:"Dr. Rosenthal, die inneren Planeten sind doch Gasriesen. Wie sollte man diese besiedeln können?"

 

"Gute Frage. Die Planeten selbst natürlich nicht, aber die Monde von Planet 4 könnten sich durchaus dafür eignen. Zwei davon weisen recht angenehme Bedingungen auf und zwei weitere könnte man unter Umständen terraformen. Die Frage einer Besiedlung dieser Monde ist eher psychologischer Natur. Schließlich hinge ständig ein Gasriese über den Köpfen der Siedler. Aber nun weiter. Das System hat auch einen Kuipergürtel und eine Oort'sche Wolke. Ein Asteroidenring fehlt allerdings. Die Gasriesen 2 und 3 haben auch Ringsysteme ähnlich unserem Saturn, diese sind jedoch wesentlich schwächer ausgebildet und fallen eigentlich nicht ins Gewicht. Haben sie dazu noch Fragen?"

 

Als sich niemand meldete, gab Rosenthal das Wort weiter an Frank Boyd, den Elektronik-Spezialisten. Der junge und dynamische Mann erklomm die drei Stufen behende und schien sich schon zu freuen auf seinen Vortrag.

 

"Auch von mir einen guten Morgen. Wir vom technischen Stab haben mit Ensign Prabodhan Dattani von der Engineering-Abteilung des Schiffes zusammengearbeitet, um die Systeme des Satelliten zu studieren, den wir ausgeschlachtet haben. Folgendes haben wir bisher herausgefunden. Das Ding ist, wie zu erwarten war, von einer anderen Rasse gebaut worden. Die Systeme sind den unseren grundsätzlich ähnlich, wenn auch in vielen Details abweichend. Auch das war zu erwarten gewesen, denn die Gesetze der Physik gelten auch für andere Lebensformen. Der Zweck des Satelliten war eindeutig die Sammlung von Ortungsdaten und die Kommunikation. Diese beiden Subsysteme waren für sehr hohe Leistung ausgelegt, sind aber unserer Ansicht nach nicht aufregend effizient. Alle anderen Systeme waren dagegen geradezu ernüchternd einfach - wahrscheinlich auch hier eine Frage der Wirtschaftlichkeit für den einen Zweck. Was uns allerdings wirklich erstaunte, waren die Kommunikationssysteme. Die fremde Rasse hat es doch tatsächlich geschafft, ein System zu entwickeln, das durch den Hyperraum funken kann, das heißt die Lichtgeschwindigkeit ist auch für die Kommunikation keine echte Grenze."

 

Erregtes Gemurmel machte sich in der Menge breit und Boyd machte eine wohlüberlegte Pause.

 

"Was das heißt, muß ich ihnen nicht erklären. Die Vorteile liegen auf der Hand. Eigentlich ist oder besser war der Satellit nichts anderes als ein Hyperfunkgerät. Der Zweck war eindeutig, die Erbauer darüber zu informieren, wenn sich im System Gliese 581 eine technologisch hochstehende Rasse herumtrieb. So gesehen ist es gut, daß wir das Ding ausschalten konnten. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ein Funksignal hinausgegangen wäre. Wir hatten übrigens Glück dabei. Der Satellit brauchte deswegen so lange, weil er schon ca 120 Jahre hier kreist und durch die verschiedensten Strahlungen geschädigt worden ist. Andernfalls hätten wir vielleicht schon eine Kampfflotte hier. Den Hyperkom, wie wir ihn nennen wollen, nachzubauen wird nicht einfach sein. Die Theorie dahinter ist auf Basis unseres Wissens über den Hyperraum schwierig. Unsere Physiker und Mathematiker haben sich bereits an die Arbeit gemacht und sollten dieses Rätsel auch lösen können. Das wäre alles von meiner Seite. Wenn sie noch Fragen haben, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt."

 

"Dr. Boyd, wie groß ist die Reichweite des … Hyperkoms?" wollte Lieutenant Commander Yamato wissen.

 

"Theoretisch unbegrenzt. Es ist eine Frage der zugeführten Energie und der verwendeten Hyperraumfrequenzen - ähnlich wie bei unserem Antrieb. Das Problem ist eher, daß man einem Gerät nicht unbegrenzt Energie zuführen kann, ohne daß irgendwann ein empfindliches Teil wegen Überlastung durchbrennt. Dieser Hyperkom kommt unserer Ansicht nach auf 50 Lichtjahre Reichweite. Die Datenrate ist nicht sehr hoch und es werden nur digitale Signale übertragen. Sprache ist damit nicht drin. Erhöhen sie die Hyperfrequenz wäre auch Sprache möglich, aber dadurch würde sich wieder die Reichweite reduzieren."

 

"Das heißt aber, daß wir die Besitzer dieses Dings in ungefähr 50 Lichtjahren Entfernung finden würden?" stieß Yamato nach.

 

"Nicht unbedingt Commander. Es könnte dort einfach ein weiterer Satellit sein, der als Relaisstation dient. Wir wissen auch, wohin ungefähr das Signal hätte gehen sollen. Die Unschärfe beträgt allerdings zwei Bogensekunden. Damit hätten wir eine ziemlich große Menge Sterne abzusuchen in diesem angenommenen Sendekegel. Die Berechnungen der astronomischen Abteilung liegen bei ca. 280 Sonnensystemen. Sonst noch etwas? Nein? Danke für die Aufmerksamkeit."

 

Als Dr. Stella Carrigan aufstand, setzte wiederum Gemurmel ein, das sie bis zum Präsentationspult begleitete. Es fragte sich wohl die gesamte Crew, was die Historikerin und Archäologin zu berichten haben würde.

 

"Guten Morgen. Sie werden sich fragen, warum ich hier stehe, denn wir haben keine Ausgrabungen durchgeführt etc. Aber sie werden sehen, daß es dafür durchaus einen guten Grund gibt. Von der EXPLORER aus wurden die Monde des 4. Planeten untersucht. Dabei fanden wir Ruinen auf Mond Nummer 6. Das ist einer der beiden, die Dr. Rosenthal für eine Besiedlung vorschlagen würde. Scheinbar gab es auf diesem Mond eine Zivilisation, die jedoch ausgestorben ist. Wir wissen auch den Grund. Vor ca. 120 Jahren fand ein Angriff aus dem Weltraum mit thermonuklearen Waffen statt. Das Bombardement ist flächendeckend gewesen. Beinahe wäre der Mond auseinandergebrochen. Die Ruinen, die wir mit unseren Langstreckenscannern gefunden haben, zeigen, daß es hier eine einst blühende Zivilisation auf dem gesamten Mond gab. Die Technologie scheint hochstehend gewesen zu sein. Warum es zu diesem Angriff kam, wissen wir nicht. Wir wissen den Zeitpunkt aufgrund einiger Trümmerstücke, die den Mond noch umkreisen. Wir konnten die Bahnen zurückberechnen."

 

Der Erste Offizier Juri Grischenko meldete sich zu Wort:"Wenn die Technologie hochstehend war, aber trotzdem vernichtet wurde, dann war der Angreifer noch weiter entwickelt oder?"

 

"Die Wahrscheinlichkeit dafür ist groß, Commander. Oder es ist aber einfach jemand mit einer genügend großen Keule über einen zwar intelligenteren aber schwächeren Gegner hergefallen. Auch das gab es in der Geschichte immer wieder. Ohne eingehende Untersuchung der Ruinen können wir dazu keine Angaben machen. Dazu wäre es nötig zu landen."

 

Das war das Stichwort für den Captain, wieder ans Pult zu treten.

 

"Vielen Dank für ihre Berichte. Eine Landung kommt derzeit nicht für uns in Frage. Sollten wir auf dem Rückweg noch Zeit haben, werden wir nochmal darüber nachdenken. Ansonsten wäre das eher eine Aufgabe für eine andere Expedition. Unser Ziel liegt wo anders. Und ich möchte weiters nicht riskieren, daß wir hier überrascht werden, wenn wir gerade ein Team am Boden haben. Sollte der Satellit sich üblicherweise in periodischen Intervallen melden, dann könnte es hier bald unangenehm werden, wenn das Signal ausbleibt. Wenn sie keine Fragen mehr haben, wäre das alles. Wegtreten."

 

Als sich McPherson auf den Weg in die Zentrale machte, folgte ihm Carrigan: "Captain, ich halte es für einen Fehler, nicht genau nachzusehen, was da passiert ist. Die Bedrohung kann de facto gleich um die Ecke sein. 50 Lichtjahre ist nicht viel. Im schlimmsten Fall sind es 70 bis zur Erde. Wenn die Angreifer die Erde finden, wird uns womöglich das Gleiche blühen. Hier wurde eindeutig ein Volk ausradiert. Wir sprechen hier von einem Genozid ohne Rücksicht auf Verluste."

 

"Ich weiß das Dr. Carrigan, aber wir haben unser Missionsziel. Diesen Mond zu erforschen, würde länger dauern, als ich zulassen kann. Uns bliebe dann einfach zuwenig Zeit am Zielstern. Oder können sie mir versprechen, daß sie das Rätsel in sagen wir 2 Tagen gelöst haben, dabei aber jederzeit innerhalb von 10 Minuten an Bord sein können? So lange dauert es nämlich für uns, um von der Systemgrenze hierher zu gelangen. Und dabei wissen wir noch gar nicht, wie schnell die Erzeuger dieses Satelliten das fertig bringen."

 

Die blonde US-Amerikanerin wußte nur zu gut, daß das nicht möglich war. Die kurze Rückkehrzeit wäre nicht mal dann möglich, wenn sie im Landungsschiff sitzen bleiben würde. Sie drehte sich abrupt um und marschierte davon. Jake tat sein etwas harscher Ton zwar leid, aber er konnte die Situation auch nicht wirklich ändern. Natürlich wußte er, daß sie hier etwas Wichtiges verpassen konnten, aber das galt auch für ihr Ziel. Und sollte wirklich alles glatt gehen, hätten sie auf dem Rückweg noch Zeit für einen Abstecher zu diesem Sonnensystem.

 

Und doch sollte alles anders kommen.

 

Die Mannschaft ging nach dem Meeting wieder ihren Tätigkeiten nach. Die Wissenschaftler nutzten die verbliebene Zeit, alles noch mögliche an Daten über das Sonnensystem zu sammeln. Schließlich wußte niemand, ob sie hier her zurückkehren würden.

 

McPherson besprach das weitere Vorgehen mit Grischenko, Drake und Kazinsky in seinem Bereitschaftsraum.

 

"Wie könnten wir uns am besten verstecken, wenn wir in einem Sonnensystem überrascht werden? Irgendwelche Ideen?" fragte der Captain.

 

"Ja, Sir. Wir gehen in einen sehr engen Orbit um die Sonne und aktivieren die Hyperfelder. Damit könnten wir sehr nahe herangehen und wären dann kaum zu orten. Das Problem der Gravitationswellen, die wir normalerweise beim Eindringen in den Hyperraum auslösen, sollte vernachlässigbar sein, da wir ja nicht wirklich eindringen, sondern uns nur abschirmen. Die Feldstruktur ist da eine ganz andere. Commander Blackhurst kann ihnen das aber sicher fundierter erklären Sir."

 

"Naja, bis jetzt haben sie mir noch immer recht gut auf die Sprünge geholfen Kazinsky. Sie hängen zuviel mit Blackhurst zusammen scheint mir", antwortete McPherson mit einem Grinsen. Er wußte, daß zwischen den beiden mehr war als nur Interesse am Fachgebiet des anderen.

 

"Ok, also sobald wir wieder abmarschbereit sind, sprengen wir die Satellitenreste und verschwinden mit rauchenden Triebwerken. Ich habe keine Lust hier zu warten, ob uns vielleicht das Gleiche passieren könnte, wie diesem Mond von Planet 4. Mr. Grischenko, wie lange bis zur Abflugbereitschaft?"

 

"Wir sind in ca. 30 Minuten so weit, Captain." warf der russische erste Offizier ein.

 

Ein Summerton vom Com-Terminal unterbrach die Unterhaltung. McPherson aktivierte das Gerät. Dr. Boyd meldete sich am anderen Ende.

 

"Sir, wir konnten gerade einige Daten aus dem Bordcomputer des Satelliten entschlüsseln. Die geplante Einsatzdauer des Satelliten war ca. 50 Jahre. Danach hat man sie immer ihrem Schicksal überlassen. Die Wahrscheinlichkeit, daß also jemand kommt und nachsieht, was mit dem Ding geschehen ist, ist sehr gering."

 

"Sind sie sich da absolut sicher Dr. Boyd?" fragte Drake nach.

 

"Ja, Commander, absolut."

 

"Da wird Dr. Carrigan aber einen Luftsprung machen." merkte McPherson an und grinste. Dr. Rosenthal möge doch bitte raufkommen in den Bereitschaftsraum. Und schicken sie auch Major McWalsh zu uns."

 

"Aye Captain." antwortete Boyd und schaltete ab.

 

Drake rieb sich nachdenklich das Kinn:"Die Eierköpfe können sich aber sehr militärisch benehmen, wenn sie etwas wollen, Sir."

 

McPherson mußte lachen. Drake's trockener Humor war manchmal wirklich erfrischend. Er schätzte aber vor allem, daß sich Drake kein Blatt vor den Mund nahm.

 

Einige Minuten später betraten der Leiter des Wissenschaftskorps und der Kommandant der Marines den Raum und nahmen nach Aufforderung Platz.

 

"Dr. Rosenthal, was würden sie zu einer Expedition auf Mond 6 von Planet 4 sagen?"

 

"Aber Captain, ich dachte …"

 

"Dr. Boyd hat mich mit seinen neuen Erkenntnissen vom Gegenteil überzeugt. Sie werden allerdings einige Babysitter von den Marines mitbekommen. Ich gebe ihnen zwei Teams mit."

 

"Aber da unten lebt nichts mehr, Captain. Wozu also die Soldaten?"

 

"Dr. Rosenthal, es könnten mutierte Lebensformen existieren, automatische Abwehrsysteme und noch eine Menge anderer unangenehmer Dinge. Auch kann es immer noch sein, daß wir hier überrascht werden, und sie vorerst zurücklassen müssen. In diesem Fall wäre es gut, Marines dabei zu haben, die sehr viel Erfahrung beim Überleben im Feindgebiet haben."

 

"Sie würden uns zurücklassen?" fragte Rosenthal schockiert.

 

"Das ist eine sehr einfache Rechnung Dr. Rosenthal. Ich muß die Anzahl der zu rettenden Leben maximieren. Und im Schiff werden mit Sicherheit mehr Leute sein als auf dem Mond. Mir bleibt also unter Umständen keine andere Wahl. Nun zu ihrem Auftrag: Ich möchte, daß sie herausfinden, wann, wie und warum diese Welt zerstört wurde. Nichts weiter, Dr. Rosenthal. Wenn sie das wissen, kehren sie umgehend zurück. Nach 96 Stunden fliegen wir ab, auch wenn diese Fragen nicht beantwortet sind. Wer bis dahin nicht an Bord ist, bleibt hier. Ist das klar Dr. Rosenthal?"

 

"Aber Captain, das ist doch viel zu wenig Zeit, um …."

 

"Ich weiß, aber mehr will ich einfach nicht riskieren. Ende der Diskussion. Stellen sie ihr Team aus vier Leuten zusammen Dr. Rosenthal. Major McWalsh, stellen sie zwei Teams zusammen, die den Wissenschaftlern Schutz und Unterstützung bieten können. Das Landungsboot werden wir wohl am Boden lassen, aber sie sollten es möglichst irgendwo verstecken, sodaß man es nicht gleich bemerkt. Das Schiff wird in einen engen Pol-Orbit gehen und dort warten. Ein Pilotenteam wird sie begleiten und fliegen. Die Wissenschaftler sollen sich ebenfalls mit einem Überlebenspaket und Waffen ausrüsten. Gibt es noch Fragen?"

 

Als sich niemand mehr meldete, beendete der Captain das Meeting: "Gut. Wir werden um ca. 1100 in einem Äquatororbit sein und nach einigen Umkreisungen auf den Polarorbit wechseln. Start für das Landungsboot um 1300 Bordzeit. Rückkehr genau 4 Tage später - und keine Minute länger."

 

Rosenthal verließ langsam den Bereitschaftsraum. Er dachte darüber nach, wen er am besten schicken sollte. Stella Carrigan wäre eine logische Wahl, aber andererseits war die Vernichtung noch nicht so lange her, daß man unbedingt eine Archäologin brauchte. Auf jeden Fall würde ein Physiker und ein Linguist notwendig sein. Das wären dann der Deutsche Peter Baumann und die Italienerin Marciela Peltonyemi. Frank Boyd als Experte für Computersysteme und der spanische Chemiker Jose de la Costa.

 

Auf seinem Pad machte er die entsprechenden Notizen und verschickte Emails an die betreffenden Personen. McPherson bekam ebenfalls die Liste der wissenschaftlichen Teilnehmer. Den Befehl über die Wissenschaftler würde Boyd bekommen.

 

Major David McWalsh wälzte sehr ähnliche Gedanken. Das Kommando über die Marines war sehr schnell klar. Das würde 1st Lieutenant Travis Hunter bekommen. Damit war auch klar, daß Team 2 runtergehen würde, denn das war Hunters Team. Er entschloß sich, Team 4 mitzuschicken. 2nd Lieutenant Roger Dalmore war ohnehin überfällig für einen kleinen Ausflug, und sein Team hatte derzeit die besten Leistungsberichte. Er beorderte die beiden Offiziere per Direktnachricht von seinem Kommunikator aus in sein Büro.

 

Eine Minute später traf er selbst dort ein:"Guten Morgen. Nehmen sie Platz."

 

Hunter und Dalmore setzten sich.

 

"Sie wissen es wahrscheinlich schon. Der Captain wird aufgrund neuer Erkenntnisse doch Wissenschaftler runterschicken um festzustellen, was da los war vor ca. 120 Jahren. Ihre beiden Teams werden dabei sein. Ihre Aufgabe wird es sein, die Wissenschaftler zu schützen und zu unterstützen, damit das Ganze möglichst problemlos und schnell über die Bühne geht."

 

"Welche Ausrüstung Sir?"

 

"Die vier Wissenschaftler nehmen jeder ein Überlebenspaket und Waffen mit - die Marines genauso. Weiters bekommen sie noch 2 leichte Lasergeschütze und 24 Grundminen mit. Zwei Piloten werden sie mit einem Landungsboot runterbringen und mit ihnen dort bleiben. Das Landungsboot soll so gut wie möglich gegen Sicht von oben getarnt werden. Der Ausflug dauert genau 96 Stunden. Hunter, Grischenko hat das Kommando. Wenn unserem 1. Offizier etwas zustößt, übernehmen sie das Kommando - auch über die Eierköpfe und die Piloten solange das Landungsboot am Boden steht. Ist das klar?

 

"Ja Sir."

 

"Geplant ist die Landung in knapp zwei Stunden für 1300 Bordzeit. Davor wird der Mond von einer Äquatorbahn und danach von einer Polarbahn aus untersucht und ein Landegebiet festgelegt. Unterrichten sie ihre Leute und machen sie sich abmarschbereit. Gunny Torwaldson wird die Ausrüstung aus der Kammer freigeben. Entsprechende Order hat er schon per Kommunikator erhalten. Noch Fragen?"

 

"Sir, nein, Sir!"

 

"Gut, wegtreten!"

 

2nd Lieutenant Roger Dalmore prüfte gerade die Ausrüstung, die für die Marines mit an Bord des schweren Landeschiffes gehen würde. Die zwei Teams zu jeweils vier Marines marschierten mit ihren Rückentornistern in den Bereitschaftsraum und traten zur Befehlsausgabe an.

 

"Gepäck absetzen! Fertig machen für Ausrüstungskontrolle!" bellte Dalmore.

 

Die Tarnanzüge bewegten sich kurz quirlig durcheinander und erzeugten ein verwirrendes Muster an grünen und braunen Flecken. Dann standen die Soldaten in Reih und Glied. Vor jedem von ihnen stand ein Tornister. Sechs trugen jeweils noch vier kleine Minen, während die letzten beiden die Laserkanonen mit dem Dreibein vor sich stehen hatten.

 

In diesem Augenblick betrat 1st Lieutenant Travis Hunter den Raum.

 

"Aaaachtung!" brüllte Dalmore. Die Marines nahmen mit einer Geschwindigkeit Haltung an, die auf jahrelange Übung hinwies. Dalmore und Hunter begrüßten sich mit einem Kopfnicken.

 

"Rühren!" befahl Hunter. Die Marines nahmen dabei eine etwas bequemere Haltung ein, aber nur etwas bequemer.

 

"Meine Herren, Captain McPherson hat beschlossen, eine Erkundung zu genehmigen. Commander Grischenko, vier Wissenschaftler, Lieutenant Dalmore und ich werden zusammen mit Team 2 und Team 4 runtergehen. Wir starten um 1300 Bordzeit. Der Einsatz wird genau 96 Stunden dauern. Wer danach nicht an Bord des Landungsbootes ist, bleibt unten. Ist das klar?"

 

"Ja, Sir!" brüllten die Marines als Antwort ihm entgegen.

 

"Gut. Unser Auftrag lautet, die Wissenschaftler zu unterstützen und wenn nötig zu schützen. Fragen dazu?"

 

"Eine Sir." machte sich Gunnery Sergeant Charlize "Charly" Phraser bemerkbar.

 

"Ja Gunny?"

 

"Sollen wir Commander Grischenko auch beschützen oder nur die Eierköpfe?"

 

"Ich denke Grischenko kann auf sich selbst aufpassen. Er würde einen wirklich guten Marine abgeben - verglichen mit den meisten hier."

 

"Er trinkt Wodka und nicht Whisky Sir.", antwortete ein Marine scheinbar entsetzt.

 

"Ja, und er alleine verträgt mehr Wodka als unser gesamter Haufen Whisky verträgt." antwortete Hunter.

 

Ein breites Grinsen der Marines war die Folge. Grischenko hatte schon einige von ihnen unter den Tisch getrunken und danach beim Scharfschießen immer noch nüchterne Marines geschlagen. Die Geschichten um Grischenko waren fast schon legendär.

 

Auf der Brücke ging scheinbar wieder alles seinen normalen Gang. Trotz aller Bemühungen der Brückenmannschaft, möglichst entspannt zu bleiben, spürte man förmlich die Nervosität, die in der Luft lag. Die Kommandos schossen nur so über die Brücke zwischen den Stationen hin und her und fanden auch ihren Weg in den Rest des Schiffes.

 

Das Schiff drehte sich langsam von dem ausgeschlachteten Satelliten weg. Das Hyperraumfeld wurde umprogrammiert und eine Blase formte sich um die Reste des Satelliten. McPherson hatte sich entschlossen, das Ding nicht einfach zu zerstören - es würden zuviele Spuren bleiben. Stattdessen wurde der Satellit auf einen Kurs in den Gasriesen bugsiert. Dort würde er in ein paar Stunden während seines Abstiegs durch die dichter werdende Atmosphäre verglühen.

 

Die EXPLORER selbst verließ die gefährliche Flugbahn zum Mittelpunkt des Gasriesen und machte sich auf den Weg zu einem seiner Kinder. Die Scanner und Sensoren liefen auf Volllast. Zwei Jäger wurden wieder ausgeschleust und mit der genauen Erkundung des Mondes beauftragt.

 

Schon kurz nach deren Start gingen die ersten Daten ein. Die Atmosphäre war atembar, die Temperaturen waren mit durchschnittlich 22 Grad Celsius erträglich. Der Mond hatte etwas über 13.000km Durchmesser und eine Schwerkraft von 0,98g. Anders sah die Sache mit der radioaktiven Strahlung aus. Die vor ca. 120 Jahren eingesetzten Vernichtungswaffen waren teilweise "schmutzig" gewesen. In einigen Gegenden waren die Strahlungswerte immer noch recht hoch. Ein ungeschützter Aufenthalt im Freien durfte in vielen Gegenden nicht länger als vier Stunden dauern, wenn man keine Folgeschäden davontragen wollte. Eigentlich hatte man einen Staubschleier in der Atmosphäre erwartet, aber scheinbar hatten die Verhältnisse auf dem Mond den durch den Angriff aufgewirbelten Staub recht schnell wieder zu Boden gebracht. Ungefähr 67% der Oberfläche war mit Wasser bedeckt. Generell schien der Mond nahezu eine Kopie der Erde zu sein.

 

Die ehemaligen Städte zeugten immer noch vom hohen Zivilisationsgrad der Bevölkerung. Es gab nur sehr wenige Straßen, daher war hier wohl grundsätzlich der Flugverkehr genutzt worden. Einige Trümmer von Flugmaschinen lagen noch zwischen den Häusern herum. Die Häuser selbst waren schlanke und hohe Bauwerke gewesen. Jetzt standen nur mehr graue und deformierte Gerippe in der Landschaft herum. Raumhäfen waren scheinbar völlig bewußt mit Bomben belegt worden. Man konnte sie nur mehr als Ansammlung von Explosionskratern erkennen. Ähnlich sah es mit Verteidigungsstellungen aus. Es hatte sie sicher gegeben, aber der Angreifer hatte sie genauso sicher ausradiert.

 

Im Orbit des Mondes konnte man bei genauer Analyse eine Menge Elemente nachweisen, die normalerweise nicht in dieser Dichte um einen Planeten kreisten. Schwermetalle, Kunststoffe, hochverdichtete Leichtmetalle, einige kleinere Metallsplitter, Aminosäuren und eine ganze Menge anderer organischer Stoffe. Das allein war schon Beweis genug, daß hier eine Raumschlacht stattgefunden hatte. Die Opfer hatten sich also mit allen Mitteln gewehrt, aber leider erfolglos.

 

Als die EXPLORER den Orbit erreichte und einschwenkte, schleusten die beiden Jäger wieder ein. Die Scanner und Sensoren des Mutterschiffes waren ungleich leistungsstärker als die der Jäger. Die Piloten erstatteten Bericht und machten sich dann auf den Weg in ihre Quartiere. Für sie gab es vorerst nichts zu tun.

 

In den Bordcomputern war mittlerweile eine detaillierte 3D-Karte des gesamten Mondes gespeichert. Commander Grischenko und 1stLieutenant Hunter standen neben dem Holoprojektor und suchten nach möglichst interessanten Landestellen. Schließlich entschieden sie sich für die Überreste der größten Stadt des Planeten. Dort gab es etwas ausserhalb auf einem leichten Abhang eine Art abgelegenes Zentrum mit mehreren Gebäuden mittlerer Größe. Eine Straße führte ins Stadtzentrum. Die Stadt selbst schien keine außergewöhnlichen Gebäude zu beherbergen.

 

"Die werden doch ihr Verwaltungszentrum nicht außerhalb der Stadt angelegt haben?" fragte Hunter rethorisch.

 

"Der Abhang bietet sich geradezu an für einen Regierungsbunker. Was meinen sie Lieutenant?" meinte Grischenko.

 

"Da haben sie recht. Können wir aus dem Orbit den Berg auf Hohlräume scannen?"

 

"Könnte gehen. Ich rede mal mit den Spezialisten."

 

Kurze Zeit später kehrte Grischenko zurück zu dem Marine.

 

"Ja, das geht. Die Ortungstechniker müssen nur ein bißchen an den Geräten drehen. In ca. zehn Minuten haben wir die Ergebnisse."

 

"Hört sich gut an. Dann müssen wir nicht blind an die Sache herangehen." warf Dr. Rosenthal ein, der unbemerkt zu den beiden getreten war.

 

"Ah, Dr. Rosenthal. Wen schicken sie uns denn mit aus ihrem Team?" fragte Grischenko.

 

"Peter Baumann, Marciela Peltonyemi, Frank Boyd und Jose de la Costa."

 

"Bunte Truppe, aber ich denke, die Mischung stimmt. Dr. Rosenthal, dort unten hören alle auf mein und Lieutenant Hunters Befehle. Sie haben alle eine militärische Grundausbildung erhalten. Wir wissen nicht, was uns erwartet. Es kann dort unten noch automatische Gefechtssysteme geben und ähnlich unschöne Dinge. Wenn ein Marine Deckung brüllt, dann will ich alle im Dreck liegen sehen - egal wo. Ist das klar?"

 

"Ja Commander. Aber sie werden sehen, daß die Vorsicht völlig unnötig ist."

 

"Ich hoffe sie haben recht, aber ich kann mich leider nicht darauf verlassen."

 

Plötzlich quäckte der Manöveralarm aus den Lautsprechern.

 

"Scheint als ginge es los. Ich muss wieder auf die Brücke."

 

Damit verließ Grischenko die illustre Runde und begab sich auf seinen Posten zur Rechten des Captains.

 

"Alles klar mit dem Landungstrupp?" fragte ihn McPherson.

 

"Ja. Ich habe Rosenthal auch eingebläut, daß die Eierköpfe spuren müssen dort unten."

 

"Und ich kann ihn dann wieder moralisch aufrichten." gab McPherson grinsend zurück. Dann wandte er sich an seine Chefpilotin: "Kazinsky, bringen sie die Dame auf Kurs. Äquatorbahn mit 3 Stunden Umlaufzeit."

 

"Aye, Sir."

 

Die Navigatorin programmierte den neuen Kurs und aktivierte das Programm. Ihre Hände blieben in der Nähe der Manuellsteuerung. Der 4. Planet kam langsam ins Bild. Auf seinem hell gestreiften Bild zeichneten sich einige scharf abgegrenzte Schatten ab - einige seiner Monde.

 

"Einem deiner Kinder werden wir einen Besuch abstatten." dachte Drake an der Operationskonsole.

 

"Sensoren und Scanner bündeln und auf volle Leistung. Ziel ist der 6. Mond."

 

Drake drehte sich um und aktivierte ein Programm an seiner Konsole:"Aye Sir. Alle Systeme online und ausgerichtet."

 

"Ich will so gut wie keine Streustrahlung hinter oder neben dem Planeten.

 

"Läßt sich nicht ganz vermeiden Sir." antwortete Drake.

 

"Leider, aber sie wissen ja wie ich das meine. Navigation, wie lange bis zum Orbit?"

 

"28 Minuten Captain."

 

Die Zeit verrann zäh. Wieder einmal zeigte sich, daß das Zeitempfinden situationsabhängig war. Ihr Ziel gab nichts Neues von sich preis. Die bereits bestimmten Werte wurden nur etwas genauer oder bestätigt. Langsam bekam das Bild auf dem Schirm allerdings mehr Details. Auf dem Himmelskörper gab es Kontinente und Meere. An sich war das nichts Ungewöhnliches, aber allen war bewußt, daß das auf dem Schirm nicht ihr Heimatplanet Erde war. Die unwirkliche Szenerie mit dem darüber schwebenden Gasriesen ließ einen das nicht vergessen.

 

An Bord spürte man förmlich die Spannung, doch nichts geschah. Der Mond wurde einfach nur immer größer und detaillierter. Zur angegebenen Zeit schwenkte das Schiff in einen 3h-Orbit ein. Die Scanner und Sensoren spuckten nun Daten in derart großem Umfang aus, daß nur mehr der Bordcomputer damit etwas anfangen konnte.

 

"Strahlung?" forderte Grischenko.

 

"An einigen Stellen haben wir gar keine Strahlung oder sehr geringfügige Werte, in den meisten Bereichen aber tödlich bis gefährlich. Das sind dann meistens Bombenkrater und ihre Umgebung." kam die Meldung von Drake.

 

"Ok, das heißt wir müssen unser Equipment danach wenigstens nicht entseuchen. Die Bombenkrater lassen wir ohnehin aus, da dort ja nichts mehr zu holen ist. Wie sieht es im primären Zielgebiet aus?"

 

"Normale Werte für unsere Verhältnisse, obwohl der Berg einen direkten Treffen bekommen hat. Die meisten Bomben waren offenbar doch recht sauber, wenn man bei Nuklearwaffen von sauber sprechen will."

 

Grischenko verstand den Operationsoffizier nur zu gut. Als russisch-stämmiger Mensch waren ihm die Ereignisse in Tschernobyl zwar nur aus den Geschichtsbüchern bekannt, aber die hohen Strahlenwerte, die es dort immer noch gab, sprachen für sich, genauso wie die Umweltschäden.

 

Im Hangar liefen die letzten Vorbereitungen am Landungsboot. Sie würden ein großes Boot nehmen. Die kleinen Personenshuttles waren wirklich zu klein für die gesamte Gruppe mit ihrem Equipment. Im großen Shuttle würden sie allerdings angenehm viel Platz finden. Die zwei Piloten saßen bereits im Cockpit und checkten das gepanzerte Landungsboot durch. Einer der Marines saß hinter ihnen am Gefechtsstand und prüfte die Verteidigungs- und Angriffssysteme. Die Enge des Cockpits stand in krassem Gegensatz zum Platzangebot im Transportraum des Shuttles.

 

LT Robert Sherman war als Pilot ausgesucht worden. LTjg Richard Franks würde der Copilot sein, obwohl er erst vor kurzem vom Erkundungsflug zurückgekehrt war. Franks war aber bei bester Laune und Verfassung. Kazinsky hatte nachdrücklich Einspruch erhoben, daß Franks wieder dran war, aber McPherson wollte sie nicht vom Schiff lassen. Schließlich wußte man nie, was passieren konnte. Zur Not konnte auch der Commander der Marines das Shuttle fliegen. Eine Pilotenausbildung hatte 1stLT Travis Hunter jedenfalls absolviert, auch wenn das nicht sein primärer Job an Bord der EXPLORER war.

 

Einige Minuten vor dem Abflug fand sich der gesamte Landetrupp im Hangar vor dem Shuttle ein. Die Marines hatten ihre Ausrüstung selbst verstaut - sie vertrauten dem Lademeister nicht, was ihre Geräte und Waffen anging. Die Wissenschaftler hatten keine Skrupel gehabt, dem Lademeister ihr Equipment anzuvertrauen.

 

1stLT Hunter inspizierte noch einmal alle Mitglieder des Trupps und ließ die Leute dann einsteigen. Im Laderaum, wo Sitze heruntergeklappt worden waren und sich alle anschnallten, ging er nach vorne zum Cockpit. Auf dem Weg nahm er die Taktikerin Gunnery Sergeant Charlize "Charly" Phraser mit.

 

"Charly, sie übernehmen die Verteidigungs- und Angriffssysteme. Halten sie uns alles vom Leibe, das größer als ein Tennisball ist."

 

"Ja Sir."

 

Damit ließ sich Charly mit ihrem strohblonden Wuschelkopf hinter der Konsole in der Ecke neben der Tür zum Cockpit nieder und schaltete die Systeme durchgehend auf Bereitschaft. Die Systeme zeigten alle Grünwerte.

 

"Shuttle kampfbereit, Sir." meldete Charly an ihren Vorgesetzten.

 

Die Wissenschaftler hielten sich nur mit Mühe zurück. Ihrer Meinung nach waren die Marines mit ihren Waffen völlig unnötig und all das entsprang nur McPhersons persönlicher Paranoia. Was sollte auf einem toten Himmelskörper schon passieren?

 

Die Piloten wickelten die Standardprozedur für den Shuttlestart ab. Das grobschlächtige Raumschiff hob sich vom Boden des Hangars und passierte das Schleusentor. Auf dem Hauptbildschirm der Brücke drehte sich das Landungsboot behäbig vom Schiff weg und nahm Kurs auf den Planeten. Es schien der Oberfläche entgegenzufallen, denn die Triebwerke unterstützten die Schwerkraft beim Anflug auf den Planeten.

 

Auch im Inneren des Shuttles hatte man das Gefühl zu fallen. Die Trägheitskompensatoren ließen keine Andruckkräfte spürbar werden, daher konnte sich der menschliche Körper nicht auf irgendeine Bewegungsrichtung einstellen. Nur der Blick auf den Bildschirm im Frachtabteil zeigte wohin die Reise ging.

 

Der Mond History - die Archäologin Stella Carrigan hatte ihn so genannt und die Bezeichnung war in den Bordcomputer übernommen worden - wuchs sehr rasch auf den Betrachter zu. Nach einigen Minuten füllte er den Bildschirm ganz aus und Details wurden sichtbar. Blaugrüne Ozeane waren unterbrochen von großen Kontinenten und ausgedehnten Inselgruppen. Nur die Explosionskrater zeigten wie Narben, was der Himmelskörper schon erlebt hatte. Die Vegetation war eigentümlich für einen Planeten - gleichmäßig verteilt, ohne größere Bäume. Niemand konnte allerdings sagen, ob das eine Auswirkung des Angriffs war oder der Normalzustand von History.

 

Der Pilot brachte das Shuttle in einem steilen Winkel nach unten - wie bei der Landung für einen Spezialeinsatz. Dicht über dem Boden fing er das Shuttle ab und nahm Kurs auf das geplante Landungsgebiet.

 

Im Orbit zog die EXPLORER weiter ihre Bahn um den Planeten. Die Sensoren und Scanner beobachteten sowohl den Mond als auch den Weltraum, doch nichts veränderte sich. McPherson wurde das ungute Gefühl in der Magengegend trotzdem nicht los. Auf dem taktischen Display verfolgten sie den Flug des Shuttles. Als das Landungsboot eine Gebirgskette überflog nahmen die Scanner eine schwache Energiesignatur auf.

 

"Captain, wir haben eine Signatur. Nukleare Energieproduktion Stufe 4 auf Position 43,3 Nord und 17,2 West. Das ist auf dem Kurs des Shuttles, sie haben die Stelle aber schon passiert", meldete sich die Ortungsspezialistin Theresa Cagliali.

 

"Finden sie heraus, was das ist Ensign." befahl McPheron.

 

"Keine Information ans Shuttle Sir?" fragte Drake nach.

 

"Vorerst besser nicht. Solange sie tief bleiben kann nichts passieren, falls es eine Geschützstellung ist. Wenn es aber eine Ortungsstation ist, will ich der nicht auch noch Funksignale liefern, solange es nicht notwendig ist."

 

Die Abteilungen Ortung und Signalverarbeitung hatten auf einmal eine Menge zu tun. Das hielt aber nur kurz an, denn bald war klar, was sich da tat. Ein heißer Fusionsreaktor war von Stillstand auf Leerlauf hochgefahren worden. Die Leistungskurven und der Energieausstoß waren typisch.

 

"Das beruhigt mich, daß die ehemaligen Bewohner auch nur mit Wasser kochen, so wie wir." merkte McPherson an, als sie das Auswertungsergebnis bekamen.

 

"Captain, das kann aber vieles sein, was dort als Verbraucher dranhängt. Von einem automatischen Waffensystem bis zur Energieversorgung eines noch intakten Bunkers ist alles möglich", gab Drake zurück.

 

"Ich tippe wohl eher auf ein übriggebliebenes automatisches Geschütz. Der Reaktor würde für sechs unserer schwersten Kanonen ausreichen. Kann also durchaus eine ganze Batterie sein, die dort irgendwo eingegraben liegt. Und eingegraben muss sie sein, sonst hätte der Feind sie entdeckt und zerstört Wir beobachten das Ganze noch eine Weile. Ich nehme aber an, daß wir die genaue Position nicht von hier aus finden werden. In zwei Stunden informieren wir den Landungstrupp. In der Zwischenzeit versuchen sie mehr herauszufinden, allerdings ohne aktive Scans. Wer weiß, wie die Automatik das sonst auslegen würde."

 

"Sollten wir nicht etwas Abstand nehmen Captain?" fragte Drake nach.

 

"Ich glaube nicht. Erst das Shuttle hat die Automatik aufgeweckt. Wir passen offenbar nicht ins Gefährdungsschema und dabei wollen wir es auch belassen. Andernfalls hätte es schon geknallt."

 

Der Zentralrechner des sechsten Abwehrverbundes hatte ein fremdes Kleinraumschiff geortet. Die Ortungssysteme waren zwar vor langer Zeit durch nukleare Explosionen in Mitleidenschaft gezogen worden, aber die grundlegenden Funktionen waren noch verfügbar. Nur die Aktivierung der Geschütze gestaltete sich für die automatisierte Raumabwehr schwierig. Von den ursprünglich acht Geschützen waren noch sechs verfügbar und ließen sich zuverlässig steuern. Anscheinend war diese Stellung die einzige noch halbwegs funktionsfähige, denn es kamen von den anderen keine Daten mehr an. Die Stellungen waren selbstverständlich vernetzt gewesen. Die Lager auf denen die Geschütze standen, waren aufgrund des Angriffs vor 120 Jahren teilweise verzogen. Die fehlende Wartung hatte ihr Übriges getan, den Aktivierungsprozess zu verlangsamen.

 

So hatte das kleine Raumschiff den Feuerbereich dieser Stellung bereits hinter sich gelassen. Einzig der Reaktor mußte wieder in den Standby-Betrieb geschaltet werden. Kurz bevor der Computer die Befehle dazu verschickte, kamen neue Ortungsergebnisse. Ein wesentlich größeres Raumschiff war in einem Orbit um den Mond entdeckt worden. Da es aber keine Anstalten machte, sich weiter zu nähern und auch nicht sonderlich groß war, konnte der Zentralrechner das Feuer nicht eröffnen. Die programmierte Logik verhinderte das. Die Geschützstellung blieb aber in Bereitschaft.

 

An Bord der EXPLORER wußte man von der Entscheidung des Zentralrechners natürlich nichts. McPherson hatte zwar damit gerechnet, daß die Anlage nicht schießen würde, aber aus ganz anderen Gründen.

 

Mond History

 

Das Landungsboot flog unterdessen unbeirrt auf dem geplanten Kurs weiter. Auf den Bildschirmen im Cockpit und auch im Frachtraum verfolgte die Mannschaft die übertragenen Bilder. Die Landschaft war übersäht mit Explosionskratern. Trotz der offensichtlichen Zerstörung hatte sich die Natur scheinbar gut erholt. Dichte Wälder wechselten sich mit Graslandschaften und Gewässern wie Flüssen und Seen ab. Die Meere strotzten nahezu vor Leben, wenn man den Scannern glaubte. Auf den hohen Bergen lag Schnee und es gab sogar Gletscher. Der nukleare Winter schien an diesem Mond scheinbar spurlos vorüber gegangen zu sein.

 

„Fantastisch“, meinte die Linguistikerin Marciela Peltonyemi. „Die erste fremde Welt, die wir besuchen und gleich eine so erdähnliche.“

 

Grischenko wandte den Kopf in ihre Richtung:„Naja, die Bombenkrater gibt es Gott sei Dank nicht auf der Erde.“

 

„Ich fürchte die wirklichen Unterschiede liegen in den nicht so offensichtlichen Details wie Fauna und Flora, chemische Kreisläufe, etc.“, merkte de la Costa an. „Die Strahlung wird auch sicher eine Menge Mutationen ausgelöst haben.“

 

Der Pilot drehte sich kurz um und rief durch die Verbindungstür in den Laderaum: „Noch ca. 5 Minuten bis zum Zielgebiet!“

 

Commander Grischenko zwängte sich in das enge Cockpit hinter die Sitze der beiden Piloten:“Schon einen Unterschlupf für unser Schiffchen gefunden?“

 

„Noch nicht, Sir. Aber der Tiefenscanner wird uns schon irgendwo ein Schlupfloch finden in diesen Berghängen. Scheint Kalkgestein zu sein, da gibt es immer Höhlen.“

 

„Ihr Wort in Gottes Ohr, Lieutenant. Sicht- und Ortungsschutz von oben ist am wichtigsten. Wenn sie etwas Brauchbares finden, fragen sie nicht lange.“

 

Der Reliefscanner lief schon die ganze Zeit. Das Gebirge war mittlerweile vollkommen erfaßt. Der Tiefenscanner lieferte zu den topologischen Daten die unterirdische Struktur der Geländeformen. Das Landungsboot glitt gemächlich 200m über Grund durch die Atmosphäre. Der Scanner fand nach ca. einer halbstündigen Suche schließlich eine Schlucht, die durch einen Überhang gegen Einsicht von oben geschützt war. Sie war gerade mal breit genug für das Landungsboot.

 

„Ok, das nehmen wir.“ bemerkte LT Sherman.

 

Copilot Ltjg Franks nickte zustimmend:“Ja, sieht gut aus. Etwas eng, aber den Daten nach sollte sich das ausgehen. Parkst du verkehrt ein Bob?“

 

„Klar. Wenn wir schnell weg müssen …“

 

Richard Franks drückte den Knopf für das Landesignal und wandte sich an den Landungstrupp: "Wir landen in Kürze in einer engen Schlucht. Achten sie auf Steinschläge und das unwegsame Gelände."

 

Sherman bugsierte das Landungsboot sehr vorsichtig mit dem Heck voran in die enge Schlucht. Wenige Minuten später liefen die Triebwerke aus. Grischenko ließ die Leute noch nicht aussteigen. Erst einmal wollte er sicher gehen, daß das Schiff sicher stand. Kalkgebirge konnten tückisch sein. Da aber nichts weiter geschah, wurde schließlich die Schleuse geöffnet.

 

History hatte eine atembare Atmosphäre mit etwas niedrigerem Luftdruck als die Erde. Dafür war der Sauerstoffanteil der Luft geringfügig höher. Die Analysatoren hatten während des Anflugs keine schädlichen Stoffe festgestellt. Grischenko sprang im Einsatzanzug von der Leiter auf den mit Geröll übersäten Boden.

 

„Ok, alles klar soweit. Die beiden Piloten bleiben hier beim Landungsboot. Lieutenant Dalmore, kommandieren sie zwei Mann als Schutz ab. Der Rest lädt die Ausrüstung aus und macht sich für den Abmarsch bereit. Die 4 Klicks sollten wir in einer Stunde schaffen.“ ordnete Grischenko an.

 

Die Wissenschaftler murrten zwar, weil sie doch eine Menge Ausrüstung zu schleppen hatten, aber solange sie noch murrten, war alles in Ordnung. Am Eingang zur Schlucht wurde ein Kommunikationslaser montiert. Das Erkundungsteam würde so Kontakt zum Landungsboot halten, ohne verräterische Signale in den Weltraum zu schicken. Die EXPLORER schickte per Richtfunk alle fünf Minuten einen Piepton an das Landungsboot – als Zeichen, daß im Raum noch alles in Ordnung war. Sollte dem Landungstrupp etwas passieren, dann würde dieser sich per Sprechfunk melden. Falls nicht, würde man sich ruhig verhalten.

 

Nach dem nächsten Piep vom Mutterschiff nahm das Erkundungsteam das Gepäck auf und marschierte los. Sie verließen die schwarzen Schatten der Schlucht und traten hinaus in das ungewohnte Zwielicht einer fremden Sonne und des riesigen Gasplaneten über ihnen. Die Sonne war gerade am Horizont aufgegangen. Dünne Wolken erzeugten ein prächtiges Farbenspiel am Morgenhimmel. Der Trupp blieb kurz stehen und genoß den Anblick. Grischenko trieb sie aber nach einer Minute weiter.

 

Der Marsch schräg über die Geröllhalde des Berghanges hinunter zu der unterirdischen Anlage, die sie aus dem Orbit entdeckt hatten, gestaltete sich mühsam. Die Luft war trocken und kalt, aber das würde sich bald ändern. Gegen Mittag – der Mond hatte eine Rotationsperiode von 21 Stunden – würde es rasch heiß werden. In dieser Klimazone mußten sie mit ca. 40° Celsius rechnen. In der Nacht würde es dann sehr stark abkühlen. DasGeröll unter ihren Stiefeln fing immer wieder an zu rutschen und zwang die Leute zu teilweise grotesken Bewegungen, damit sie nicht das Gleichgewicht verloren. Die schwere Ausrüstung tat ihr Übriges.

 

CDR Grischenko hatte richtig geschätzt. Nach fast einer Stunde erreichten sie das Zielgelände. Früher mußte es eine Parklandschaft gewesen sein. In vier Kilometern Entfernung befand sich der Krater einer Kernexplosion. Scheinbar hatte der Feind nicht genau genug gezielt. Die Gebäude aus einem marmorähnlichen Material waren zwar von der Druckwelle zerstört worden, aber die Grundmauern waren noch erhalten.

 

In einem halb in den Hang gegrabenen Keller richtete sich der Trupp fürs erste ein. Zwei Gruppen der Marines machten sich auf den Weg, einen Zugang zu den unterirdischen Anlagen zu finden. Die Wissenschaftler unternahmen erste Untersuchungen von Gestein, Gebäudeteilen und den in dieser Gegend spärlich wachsenden Pflanzen. Es schien sich um eine Art Flechten zu handeln.

 

Nach einer halben Stunde hatten die Marines den verschütteten Eingang gefunden. Große Mauerblöcke, Geröll und Sand blockierten den Zutritt. LT Hunter rief seinen Sprengmeister zu sich. Master-Sergeant Pete Draidon sah sich die Angelegenheit einige Minuten an und rieb sich dabei das Kinn.

 

„Kein Problem, Sir. Eine kleine Thermalladung sollte reichen. Eine echte Sprengung würde ich nicht empfehlen. Da könnte der ganze Gang einstürzen.“

 

„Gut, ausführen.“

 

Draidon nickte nur und marschierte zurück zum provisorischen Camp. Dort nahm er eine Thermalladung aus seiner Ausrüstung. Die Ladung würde sich durch das Geröll hindurchbrennen, aber keine Erschütterungen erzeugen. Der Nachteil war, daß man einige Zeit warten mußte, bis der Bereich wieder abgekühlt war. Einige Minuten später detonierte die Thermalladung recht unspektakulär und schmolz den Eingangsbereich frei. Die Wände wurden teilweise verglast und dadurch auch etwas stabiler.

 

Eine Stunde später brach der Trupp in das Innere des Berges auf. Zwei Marines blieben als Wache am freigelegten Eingang zurück. Sie bauten das Camp weiter aus und richteten auch eine Verteidigungsstellung mit den Minen und den Laser-Geschützen ein.

 

Grischenko ging voraus. Zwei Marines befanden sich direkt hinter ihm. Die Nachhut bildeten wieder zwei Marines. Die restlichen Elitesoldaten mischten sich einfach unter die Wissenschaftler. Nach einigen Metern fiel der Gang leicht ab. Die starken Leuchten an den Einsatzhelmen der Leute erhellten den Korridor. Tiefe Risse in Wänden, Decke und Boden zeugten von Gewalteinwirkung. Kleinere Trümmerstücke lagen hin und wieder mitten im Weg. Der Marsch wehrte nicht lange, denn der Gang endete nach 300 Metern abrupt vor einer metallenen Wand. In der Wand befand sich eine sehr dünne Fuge, die eine achteckige Tür erahnen ließ.

 

„Und nun, Commander?“, fragte Hunter.

 

„Mir widerstrebt es, das Panzerschott einfach aufzusprengen. Wer weiß, was wir damit auslösen. Hunter, sie suchen die linke Seite ab, ich nehme die rechte. Irgendwo muss es ja einen Öffnungsmechanismus geben.“

 

De la Costa trat an das Schott heran und legte die Hand darauf:“Eigenartiges Material. Es ist eindeutig Metall, aber nichts, was wir kennen. Sieht aus wie eine Titan-Stahl-Legierung, scheint aber eine andere Kristallstruktur zu haben. Glauben sie, ich könnte eine Probe nehmen, Commander?“

 

„Unterstehen sie sich Costa. Wenn schon dann frühestens auf dem Rückweg. Wir wollen hier keine Automatismen auslösen.“

 

„Was, wenn das eine Bunkeranlage ist und da welche drin waren beim Angriff? Leben werden sie nach 120 Jahren kaum noch, aber die Leichen ... Sollten wir nicht aufgrund der verwesenden Leichen mit Bakterien rechnen?“ fragte Francoise Berneau, die stellvertretende Schiffsärztin.

 

„Guter Einwand Doc. Alle die Anzüge schliessen und auf Filteratmung umstellen.“

 

Die Helme der Kampfanzüge der Männer und Frauen klappten zu.

 

„Commander, hier könnte etwas sein. Da ist eine Vertiefung die fünf Abzweigungen hat - wie eine Hand mit einem Daumen und vier Fingern.“ meldete sich Hunter und zeigte auf die entsprechende Stelle in halber Höhe des Panzertores.

 

Grischenko betrachtete die Vertiefung und dann seine Hände und die der Marines:“Hm, Doc. Das ist ihr Job. Unsere Hände sind einfach zu groß.“

 

„Ok, aber sagen sie nachher nicht, ich wäre schuld, wenn was schief geht.“

 

Berneau trat an das Panzerschott heran und presste ihre schlanken Finger in die Vertiefung. Anfangs geschah nichts, doch dann begann der Boden leicht zu vibrieren und das Schott begann sich langsam aber fast lautlos zu öffnen. Dr. Berneau registrierte wie alle anderen den leichten Luftzug, der ihnen entgegenkam. Mit einem Tastendruck startete sie auf ihrem kleinen Handanalysator eine Analyse der austretenden Luft. Sekunden später leuchtete die grüne Lampe am Analysator auf.

 

„Luft ist ok. Nichts Schädliches enthalten. Sollte aber etwas abgestanden riechen.“

 

„Kein Wunder nach 120 Jahren“ bemerkte Hunter trocken.

 

Sie marschierten einen metallenen Korridor entlang. Überall lag Staub, aber der Korridor schien völlig intakt geblieben zu sein.

 

„Sir ...“ meldete sich einer der Marines.

 

Hunter drehte sich um:“Ja, SGT Jenkins?“

 

„Eins versteh ich nicht. Da rottet jemand eine ganze Rasse aus, aber auf solche Anlagen wird vergessen? Ich meine, übersehen werden sie das ja nicht haben, wenn sogar wir die Anlage finden konnten. Wo bleibt da der Sinn in der ganzen Sache?“

 

„Fragen sie mich was Leichteres. Fremdartige Wesen mögen fremdartige Denkweisen haben. Keine Ahnung, was sie sich dabei gedacht haben.“

 

Damit war die Sache für Jenkins erledigt, für Hunter allerdings nicht. Jenkins Frage gab ihm doch zu denken.

 

Die zwei führenden Marines gaben Zeichen zum Halten. Grischenko betrachtete zwei haarfeine Rillen an allen Wänden sowie Decke und Boden.

 

„Scheint so als ob sie das Innenschott der Schleuse nicht mehr schließen konnten.“

 

„Erspart uns ein Öffnen des Schotts oder?“ merkte Hunter an

 

„Dann müßte aber der Korridor hier bald zu Ende sein. Sonst würde das Schott keinen Sinn ergeben, aber da vorne ist noch ein Schott und das ist geschlossen.“ stellte Grischenko fest.

 

Entschlossen ging er weiter. An irgendeiner Stelle löste er einen Impuls aus oder durchquerte einen Lichtschranken, denn auf einmal begann es am dritten Schott zu rumpeln und der massive Metallblock des Schotts schob sich nach oben in die Decke.

 

Erwartungsvoll traten die Männer an die Öffnung heran und blickten in den Raum dahinter. Der Raum mit ungefähr 30 Quadratmetern Größe war leer und quadratisch. An den Seitenwänden gab es einige Projektoren und an der Wand gegenüber gab es wieder ein Schott. Hunter bewegte sich auf einen der Projektoren zu, Er wollte sich die Geräte etwas näher ansehen.

 

"Waffen sind es eher nicht. Dafür sind sie zu offensichtlich angebracht und die Linsen erlauben nur Streufeuer und keinen konzentrierten Beschuß. Was halten sie davon Commander?"

 

De la Costa trat an Hunter heran und begutachtete den Projektor ebenfalls:"Das ist sicher keine Waffe. das Ganze hier ist eine Dekontaminationskammer. Die Projektoren zerstören fremde Biomasse, lösen Strahlungspartikel auf etc. Die Frage ist, ob die Anlage uns als fremdartig einstuft oder nicht."

 

"Warum sollte uns das interessieren?" fragte Hunter.

 

"Die Anlage ist noch in Betrieb. Die andere Schleuse wird sich wohl nur dann öffnen, wenn wir uns dekontaminieren lassen. Andernfalls wäre die Anlage ihr Geld nicht wert. Und dann lernen wir wohl auch die unangenehmen Seiten dieser Kammer kennen." fügte de la Costa hinzu.

 

"Baumann, können sie vom Aufbau der Projektoren etwas ableiten?" fragte Grischenko den Physiker.

 

"Nichts Verläßliches, Commander. Es sind niederenergetische Hyperfeld-Projektoren mit Feldlinsen. Sehr gut verarbeitet und weit fortgeschritten. Rein theoretisch könnten es auch einfach ID-Scanner sein, die Gäste identifizieren und die Informationen an den Kommandostand weiterleiten. Mit all unserer Ausrüstung machen wir nicht gerade einen friedlichen Eindruck, aber es ist wohl kaum noch jemand da, den das stören könnte."

 

"Ok, also alle herein in die Kammer und dann dekontaminieren, sonst kommen wir hier nicht weiter. Für einen anderen Weg fehlt uns die Zeit." befahl Grischenko. Die Männer bewegten sich mit mulmigem Gefühl in den Raum.

 

Ein kurzer Druck auf einen Knopf an der Innenseite des Schotts ließ es nach unten rumpeln. Die Projektoren begannen an den Enden leicht rötlich zu leuchten und bewegten sich dann einmal über ihre gesamte Bewegungsbreite und wieder zurück. Mit den Leuten des Einsatzteams passierte absolut gar nichts. Einige Sekunden nachdem die Projektoren gestoppt hatten, öffnete sich das gegenüber liegende Schott. Es schloß sich ein kurzer Korridor an, der in einen kreisrunden Raum mündete. Der ganze Spuk hatte nicht einmal 30 Sekunden gedauert.

 

"Mir folgen." befahl Grischenko.

 

Sie betraten kurz darauf den kreisrunden Raum mit einem Durchmesser von ungefähr 20 Meter Durchmesser. In diesem Raum befanden sich vier Metallsäulen von der Decke bis zum Boden. Jede Säule hatte einen Durchmesser von vier Metern und eine Öffnung von zwei Metern Breite und drei Metern Höhe. Als sie an eine der Öffnungen herantraten, bemerkten sie, dass die Säulen Schächte waren, die nach unten führten.

 

"Und was jetzt? Einfach rein in den Schacht und nach unten?" fragte Hunter. Ihm schien diese Schleicherei durch unbekannte Gänge nicht zu behagen. Die anderen konnten es ihm nicht verübeln.

 

"Erraten Lieutenant." gab Grischenko zurück und schwang sich in den Schacht. Der eingeschaltete Gravitationsneutralisator in seinem Kampfanzug ließ ihn langsam nach unten gleiten. Als er die nächste Ebene erreicht hatte, kam wie erwartet wieder eine Schachtöffnung in Sicht. Er schwang sich hinaus und die Männer folgten ihm. Die Marines schwärmten einige Meter aus und sicherten mit vorgehaltenen Waffen in alle Richtungen.

 

"Scheint eine kleine Werft oder Werkstätte zu sein. Ich wette, hinter diesem Raum befindet sich ein Hangar für die Dinger. " kommentierte de la Costa und zeigte mit dem Zeigefinger auf ein halb zerlegtes Fluggerät, das in einem auf dem Boden aufgemalten Kreis stand. Daneben standen Computer, eine Werkbank, Werkzeuge, Ersatzteile, Kabel und anderes nicht so leicht identifizierbares Material.

 

"Da könnten sie recht haben de la Costa. Scheint ein Hangardeck zu sein." antwortete Grischenko.

 

"Klar, irgendwie müssen die Regierungsleute ja auch hier her kommen und wieder abreisen. Und für den Notfall sollten wohl auch einige schnelle Flitzer hier bereitstehen." bemerkte Hunter.

 

Baumann blickte interessiert hin und her:"Interessanter Fund Commander, aber leider nicht das, was wir suchen."

 

"Ja, ich weiß. Also weiter Leute."

 

Sie stiegen durch einen der vier zentralen Schächte auf das nächste Deck hinunter. Dort angekommen, merkten sie sofort, dass etwas anders war. Die Schotte zu den ringsegmentförmigen Bereichen sahen wesentlich massiver aus. Nach einigem Probieren gaben sie es auf, ein Schott mit der dafür vorgesehenen Schalttafel zu öffnen. Offenbar wurde hier ein bestimmter Code oder eine Zutrittskarte vom System erwartet. Sergeant Draidon zerlegte die Schalttafel und überbrückte die Elektronik. Ein paar Minuten später glitt das Schott erstaunlich leise auseinander und gab den Eintritt in den Raum dahinter frei.

 

Die Wände waren voll mit Schalttafeln, Computern, Bildschirmen und den entsprechenden Arbeitsplätzen davor. Der Sinn dahinter blieb ihnen allen verborgen, aber es war klar, dass sie die Zentrale gefunden hatten. Die Schriftzeichen auf den beschrifteten Instrumententafeln konnten sie nicht entziffern.

 

"Ok Leute. Ich denke, hier sind wir richtig. Die Wissenschaftler machen sich gleich an die Arbeit. Hunter, sie stellen 2 Marines als Schutz ab. Der Rest folgt mir. Wir erkunden die anderen Sektionen der Station.“ befahl Grischenko.

 

Der 1. Offizier führte die restlichen Marines – in deren Gesellschaft fühlte er sich wohler als mit den „Eierköpfen“ – in die nächst tiefere Ebene der Anlage.

 

Als sie aus einem der zentralen Liftschächte herauskamen, hatte sich die Umgebung wieder verändert. Auf der Ebene über ihnen hatten sie sehr viel Technik gefunden – Technik für den direkten Gebrauch von Intelligenzwesen. Hier auf der untersten Ebene fanden sie ebenfalls viel Technik vor, aber hier schien es sich um schwerste Aggregate zu handeln. Alles schien automatisiert zu sein. Ein Sektor enthielt zweifellos die Fusionskraftwerke der Anlage. Jeder der solche Anlagen einmal gesehen hatte, konnte sie ziemlich rasch identifizieren. Die Form solcher Kraftwerke richtete sich nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten sondern nach den physikalischen Erfordernissen für Effektivität und Effizienz. Für alle Rassen im Universum galten die gleichen physikalischen Gesetze.

 

„Commander, in den Tanks befindet sich katalysiertes Deuterium höchster Qualität. Der Inhalt der Tanks ist Millionen wert.“ bemerkte Hunter nach einem Blick auf seinen Handscanner.

 

„Nur schade, dass wir keine Transportmöglichkeit dafür haben. An Energiemangel sind sie also nicht gestorben. Die Maschinen machen auch einen sehr guten Eindruck. Daran kann es also auch nicht gelegen haben.“

 

„Aber wir haben doch noch niemanden gefunden, Sir.“ meinte Private Jenkins.

 

„Stimmt. Vielleicht haben sie es gar nicht hierher geschafft, bevor es zu Ende ging, oder wir haben sie nur noch nicht gefunden. Der Angriff muss überraschend gekommen sein.“ meinte Grischenko.

 

Auf dem Maschinendeck fanden sie auch noch Lagerräume, Maschinenräume und eine eigene Bunkeranlage. Die Bunkeranlage machte Grischenko Sorgen. Er wusste nicht, ob er den Bunker aufbrechen sollte oder nicht. Was würden die Konsequenzen sein? Würde die gesamte Anlage in einen Verteidigungsmodus gehen? Was würden sie im Bunker finden? Grischenko hätte gern einen der Einwohner des Mondes entdeckt, egal ob lebendig oder tot. Lebendig wäre ihm natürlich lieber.

 

Er nahm Funkverbindung mit Dr. Berneau auf: "Doc, wir haben einen Bunker gefunden. Was halten sie davon, wenn wir ihn öffnen?"

 

Die massiven Metallstrukturen der Anlage störten die Verbindungen leicht. Die digitalen Geräte filterten zwar sehr viel heraus, aber eben nicht alles. Es kam daher immer wieder zu merkbaren Verzögerungen.

 

Die Ärztin meldete sich:"Interessant. Die Frage ist, was wir damit auslösen. Wir bringen Biomasse mit, die sich mit der einheimischen vielleicht nicht verträgt. Das heißt, wenn wir jemanden finden, könnte ihn das trotz unserer Dekontamination umbringen. Umgekehrt kann das natürlich genauso passieren."

 

"Und wenn wir die Kampfanzüge schließen? Dann sind wir abgeschottet und sicher."

 

"Das wäre eine Möglichkeit - zumindest für uns."

 

"Gut, Doc. Kommen sie mit ihrem Equipment runter, nur für den Fall, daß wir sie hier brauchen. Und bringen sie Dr. Boyd mit."

 

"Aye, Sir."

 

Einige Minuten später waren Berneau und Boyd bei ihm. Berneau schleppte eine Menge Ausrüstung mit sich, da sie nicht wußte, was davon sie brauchen würde. Boyd hingegen trug nur eine recht handliche Tasche mit Werkzeug bei sich.

 

"Dr. Boyd versuchen sie mal, das Bunkerschott zu öffnen." ordnete Grischenko an.

 

Boyd schaute sich erst mal im Bereich vor dem Bunkereingang um. Er konnte nichts entdecken, was ihm verdächtig erschien. Daraufhin öffnete er seine Werkzeugtasche und nahm ein Analysegerät heraus. Das Prinzip der Schrauben schien im Universum weit verbreitet zu sein. Die vier kleinen Kreuzschlitzschrauben kamen ihnen allen seltsam vertraut vor. Die Deckplatte des Bedienfeldes war schnell abgeschraubt.

 

Boyd machte sich einige Zeit mit diversen Geräten an der Elektronik des Bedienfeldes zu schaffen. Keiner verstand wirklich, was er tat, aber nach einigen Minuten nickte er Grischenko zu, daß er soweit wäre.

 

Hunter postierte seine Marines mit Waffen im Anschlag vor dem Schott. Man schien für alle Möglichkeiten gewappnet, als Grischenko das Zeichen zum Öffnen gab. Das Schott knirschte und ruckte dann einen Zentimeter nach innen. Kurz danach begann es zu Seite zu gleiten. ein kurzes aber schwaches Zischen zeigte ihnen, daß mit dem Öffnen ein Druckausgleich statgefunden hatte. Daraus ließ sich folgern, daß die Atmosphäre hinter dem Schott einen leicht anderen Druck gehabt hatte.

 

Im Raum dahinter war es dunkel. Nur an entfernten Wänden glühten sehr schwach einige Kontrollleuchten. Sonst konnten sie noch nichts erkennen.

 

"Sir, der Analysator zeigt an, daß sich dahinter eine fast reine Stickstoffatmosphäre befindet - Anteil 99,98%, der Rest Edelgase."

 

"Gut, dass wir die Kampfanzüge zu haben. Dr. Boyd, sie kehren zurück zum Team auf dem Hauptdeck. Alle anderen folgen mir." befahl Grischenko.

 

Das Team marschierte in die Bunkerkammer hinein. Die Helmscheinwerfer flammten auf und offenbarten das Innere. Der Raum war ein Viertelkreis wie alle bisherigen Segmente der Station, die sie betreten hatten. Die Inneneinrichtung bestand hier aus mehreren mannshohen Raumteilern. An diesen Raumteilern waren seltsame Metallkästen mit einer transparenten Scheibe befestigt. Die Kästen waren ca zwei Meter hoch und einen Meter breit und tief. Metallleitungen gingen aus diesen Kästen heraus und verschwanden in den Raumteilern. An den Seiten der Kästen befand sich jeweils ein kleines Schaltfeld auf dem bei den meisten Kästen eine kleine Kontrollleuchte schwaches grünes Licht aussendete.

 

Berneau trat an einen der Kästen heran und lugte durch die Sichtscheibe hinein. Mit einem kurzen Schrei taumelte sie zurück und wäre wohl gestürzt, wenn sie nicht einer der Marines aufgefangen hätte.

 

"Alles OK Doc?", fragte Corporal Frank Moses und richtete sie wieder auf

 

"Ja, danke Corporal."

 

"Was ist los Doc?"

 

"Sehen sie mal in eins der Dinger hinein Commander, dann wissen sie es."

 

Grischenko trat ebenfalls an einen der Kästen heran und blickte hinein. Seine Augen wurden groß und der Atem stockte. Bleich drehte er sich um:"Sie sehen aus wie wir. Etwas dunklere Hautfarbe, aber ansonsten … Wie kann das sein Doctor?"

 

"Eine Parallelentwicklung ist so gut wie auszuschließen. Dafür gibt es zuviele Variablen in der Evolution und der menschliche Organismus ist bei weitem nicht so perfekt an alles angepaßt, daher kann der Selektionsdruck auch nicht die Ursache sein. Diese Wesen sind rein optisch direkt mit uns verwandt Commander. Natürlich müßte man erst eine genaue Autopsie vornehmen, aber ich fürchte, die Unterschiede werden sich auch dann noch in Grenzen halten."

 

"Und was sind das für Kästen?"

 

"Ich würde sagen, Stasiskammern. Die Körper sind darin konserviert. Ob man sie wiederbeleben kann nach dieser langen Zeit, kann ich so nicht sagen. Das müßte man ausprobieren."

 

"Bloß nicht. Wer weiss, was wir uns da einhandeln." meinte Hunter.

 

"Naja, zumindest als Informationsquelle wäre ein lebender Bewohner von History besser als alles andere. Noch dazu wo er sich dann sicher auskennt hier unten." bemerkte die Linguistin Peltonyemi.

 

"Aber die Sprache wird total anders sein, selbst wenn wir wirklich verwandt sein sollten."

 

Peltonyemi drehte sich zu Grischenko um:"Sie übersehen dabei etwas, Juri. Diese Wesen gehören zu den raumfahrenden Rassen dieser Galaxis. Sie haben mit Sicherheit mit einigen anderen Rassen Kontakt gehabt. Sie haben mit hoher Wahrscheinlichkeit auf irgendeine Weise eine Lösung für das Sprachproblem gefunden. Wäre übrigens nicht schlecht, wenn wir die auch hätten. Vielleicht kennen sie ja sowas wie Dankbarkeit, wenn wir sie aufwecken."

 

"Langsam mit den Pferden Marciela. Ich glaube nicht, daß wir das hier entscheiden sollten, ohne den Captain zu befragen. Und ob die Konserven noch eine Weile länger geschlossen bleiben oder nicht, wird wohl keinen Unterschied machen."

 

Frank Boyd meldete sich daraufhin von einem der anderen Kästen:"Da wäre ich nicht so sicher Commander. Bei einigen der Kästen leuchtet die Kontrollleuchte in einer anderen Farbe - nämlich gelb oder gar rot."

 

"Und sie meinen, das bedeutet dann Gefahr, Beschädigung oder so ähnlich?" fragte Grischenko.

 

"Naja, wenn sie mit uns verwandt sind, werden auch ihre Augen und das Gehirn den unseren sehr ähnlich sein. Der Analogieschluß ist da meiner Ansicht durchaus berechtigt."

 

"Ok, wir werden das gleich mit dem Captain besprechen." meinte Grischenko und griff zum Funkgerät.

 

Er versuchte eine Verbindung mit dem Schiff herzustellen, aber es gelang nicht. Dann versuchte er die beiden Marines Corporal Starkov und Master Sergeant Hirotomi am Eingang der Anlage zu erreichen. Die Verbindung war zwar nicht besonders gut, kam aber zustande. Auch die beiden erreichten das Schiff nicht mit dem Mikrowellenkommunikator. Der periodische Ping im Funkgerät blieb ebenfalls aus.

 

USS EXPLORER

 

An Bord ging während der Bodenmission des Teams alles seinen geregelten Gang. Das Schiff zog in einer schnellen Drei-Stunden-Bahn seine Kreise über die Pole des Mondes.

 

Seit 8 Stunden hatten sie keine Informationen mehr vom Team erhalten, aber das war auch so abgesprochen worden. Das Bodenteam sollte sich nur melden, falls es Probleme gab. Das machte es aber für die restliche Besatzung, allen voran Captain Jake McPherson, nicht einfacher. Gerade die Stille bedrückte ihn.

 

Die aktiven Scanner des Schiffes waren abgeschaltet worden, um keine verräterischen Impulse auszusenden, falls zufällig ein Lauscher in der Nähe sein sollte. Die passiven Sensoren hingegen lauschten hinaus in das Sonnensystem. Fast die gesamte Computerleistung war den Sensoren für die Signalanalyse und -verarbeitung zur Verfügung gestellt worden. Die Ortungsabteilung hatte Hochbetrieb, gleiches galt für die Nachrichtentechniker und Computerexperten an Bord. Trotz all der Sensorenleistung ließ sich niemand darüber hinwegtäuschen, dass passive Ortung immer wesentlich weniger effektiv war als aktive. Die Sensoren waren zwar gut, aber verglichen mit den Scannern nur ein sehr bescheidenes Hilfsmittel. Sie würden einen vorsichtigen Feind wohl erst bemerken, wenn er schon recht nahe war.

 

Umso nervöser reagierte die Brücken-Crew auf das entnervende Signal des Ortungsalarms. McPherson hielt sich mit Gewalt zurück, um nicht in die gleiche Unruhe zu verfallen. Als Kommandant mußte er der stabile Punkt auf der Brücke sein.

 

"Ortung, Bericht." befahl er in normaler Gesprächslautstärke. Sofort fiel der Geräuschpegel auf der Brücke.

 

"Ortung in der Ekliptik, Entfernung innerer Rand des Kuypergürtels. Ortungsspektrum: Gravowelle, Impulswellen, Infrarot und sichtbares weisses Licht mit hohem UV-Anteil. Designiert als K1."

 

"Da hat es jemand verdammt eilig nach dem Hyperraumaustritt abzubremsen, Sir. Andernfalls würden wir das Triebwerksleuchten nicht sehen können." bemerkte Drake. Er saß zur Zeit als Stellvertreter des XO neben dem Captain.

 

"Genau meine Meinung. Operations, kriegen wir ein Bild? Ortung, haben sie schon Bremswerte?"

 

"Ich versuchs mal, Captain. Die Entfernung ist noch recht groß." meldete der Ersatz von Drake an der Operations-Konsole.

 

"Captain, Objekt verzögert mit 30% unserer nominellen Triebwerksleistung."

 

"Ortung, Sprungleistung anhand der Gravowellen feststellen. Wellenprofil für spätere Analyse speichern. Masse des Objekts berechnen."

 

"Profil gespeichert, Captain. Sprungleistung wird berechnet mit 45,993 MW. Objektmasse beträgt 8,7 Megatonnen. Fehlerabschätzung 3%. Linear abnehmend mit Abnahme der Entfernung." kamen die präzisen Angaben.

 

Überschlagsmäßig rechnete McPherson nach. Das ankommende Objekt war künstlicher Natur und ungefähr drei mal so schwer wie die EXPLORER. Es war auch mit ziemlicher Sicherheit ein Kampfschiff.

 

"Ab sofort gesamtes Schiff unter Emission Control. Alle Mann auf Gefechtsstation. Kazinsky, Fluchtkursprogramm auf Schleichfahrt vorbereiten."

 

"Sir, wir bekommen erste Bilder. Das andere Schiff ist allerdings vom Lichtkegel der Bremstriebwerke überstrahlt. Der Lichtkegel zeigt ziemlich genau auf die alte Position des Wachsatelliten. Das Schiff sondiert mit Breitbandortung die Lage. Energielevels sind aber recht niedrig. Sie können uns damit noch nicht erfassen." meldete die junge Ortungsexpertin ENS Theresa Cagliari.

 

"Captain, sie haben uns noch nicht bemerkt. In diesem Fall schlage ich ein rasches Absetzmanöver statt Schleichfahrt vor." warf Kazinsky ein.

 

"Genehmigt. Ausführung sofort. Ortung, verfolgen sie genau den Kurs des anderen Schiffes. Ich will über jede Änderung informiert werden."

 

"Aye, Sir. Führe Fluchtkursprogramm Alpha-17 in 60 Sekunden aus. Navigation an Besatzung: Vorbereiten auf starke Beschleunigung. Start in 50 Sekunden."

 

Zum angegebenen Zeitpunkt donnerten die Triebwerke auf und rissen das Schiff nach vorne aus dem Orbit. Mehrere scharfe Beschleunigungsschocks kamen durch. Die Feinabstimmung der Inertialdämpfer ließ in diesem Beschleunigungsbereich zu wünschen übrig. Jetzt machte sich das intensive Training der Mannschaft bezahlt. Von kurzzeitigen 5 bis 6g ließ sich niemand aus der Ruhe bringen, auch wenn es nicht sonderlich angenehm war.

 

Das Kursprogramm war schon vor dem Start des Beibootes in den Autopiloten eingespeist worden. Kazinsky hatte es nur mehr aufgerufen und gestartet. Die ganze Besatzung lag angeschnallt in den leicht zurückgeklappten Sitzen. Die Konsolen waren ausgefahren, sodass man sie in der zurückgelehnten Position immer noch bedienen konnte. Kazinsky hielt den Steuerknüppel für die manuelle Steuerung in der rechten Hand während die linke auf dem Schalter für die Abschaltung des Autopiloten ruhte. Ihr Blick war starr auf die Bildschirme gerichtet.

 

Der Fluchtkurs brachte sie an die Sonne des Systems heran. Das Schiff würde in einen sehr niedrigen Orbit um die Sonne gehen und sich mit den Hyperfeldern vor den Einflüssen der Sonne schützen. Derzeit gab es noch keine Notwendigkeit für die Schirmfelder. Die Sonne war noch weit genug entfernt. Den kritischen Punkt würden sie erst in ungefähr 30 Minuten erreichen.

 

"Operations, ab wann können sie uns erfassen?" fragte McPherson nach.

 

"Pessimistisch geschätzt sobald sie die Umlaufbahn des 2. Planeten erreichen. Aber da sind wir dann schon im Sonnenorbit. Eine Ortung sollte dann so gut wie unmöglich sein." meinte Drake von der Operations-Konsole.

 

"Das ist akzeptabel. Navigation, bringen sie uns wie geplant in die Sonnenkorona."

 

"Aye, Captain. Wir werden aber dann wahrscheinlich auch den Ortungskontakt aus unseren Sensoren verlieren."

 

"Nicht gut, aber nicht zu ändern." antwortete der Captain.

 

Das Schiff verlor etwas an Geschwindigkeit und sank damit von seinem hohen Sonnenorbit auf eine tiefere Bahn um den Zentralstern des Systems. Die Schirmfelder wurden hochgefahren und auf die Belastung durch die Sonne ausgerichtet. Man verwendete nur soviel Energie wie notwendig. Der Gedanke dahinter war nicht etwa Sparsamkeit, sondern schlichtweg möglichst wenig Energie abzustrahlen, die geortet werden konnte. Wie geplant drang die EXPLORER in die Korona der Sonne ein und wurde damit nahezu unsichtbar. Vor dem energetischen Hintergrund eines Sterns war ein Schiff wie die EXPLORER so gut wie unsichtbar.

 

"Captain, mir fällt da gerade etwas ein. Die Fremden haben sich nicht gerade sehr vorsichtig benommen, sondern sind mit weithin sichtbarer Triebwerksfackel hereingekommen. Die Gravitationswellen sind ebenfalls nicht gedämpft gewesen. Ihre Ortung ist auch nicht sonderlich akkurat, sonst hätten sie uns schon bemerkt."

 

"Was wollen sie mir damit mitteilen Commander Drake?" fragte McPherson.

 

"Daß sie uns in einigen Dingen technologisch vielleicht gar nicht überlegen sind, sondern eher im Gegenteil. Was wir derzeit nicht einmal ansatzweise abschätzen können, sind ihre Waffensysteme, aber alles andere, macht eher einen zweitklassigen Eindruck. Ähnliche Fähigkeiten hatten unsere Raumschiffe schon vor 50 Jahren."

 

"Oder sie sind einfach so mächtig und daher selbstsicher, daß es ihnen egal ist, ob sie geortet werden. Sie haben vielleicht einfach sehr große Kanonen an Bord, die wir sicher nicht kennenlernen wollen." warf Jessica Haupt vom CIC (=Combat Information Center) aus ein.

 

Daß es überhaupt ein CIC an Bord gab, war ein Verdienst des Taktik-Offiziers Hidetaka Yamato. Er hatte mit Berechnungen eindeutig bewiesen, daß ein kleines aber gut ausgestattetes CIC auf einer solchen Mission sehr viele Vorteile mitbringen würde. Der autonome Computer des CIC hatte Zugriff auf alle Daten der anderen Stationen. Diese Daten wurden durch das Scimitar-System ständig nach taktischen Informationen durchsucht, kombiniert und ständig aktuell gehalten. Scimitar konnte auch mehrere Schiffe taktisch führen und somit die bordeigenen Jagdmaschinen und Landungsboote in einem Gefecht leiten. Das System machte aufgrund von Datenanalysen und taktischen Notwendigkeiten auch Vorschläge für Zielpriorisierungen und Waffenauswahl. Es konnten über 250 Ziele gleichzeitig bearbeitet werden und daneben auch noch alle Beiboote und Jäger geführt werden. Selbst Bodeneinheiten konnten mit einbezogen werden.

 

"Sir, im CIC bekommen wir neue Daten durch die Musteranalyse. Sie decken sich mit den bisherigen Daten, sind aber leider etwas ungenau." meldete sich Haupt.

 

"Kein Problem. Ein Überblick reicht mir schon. Wenn sie mir ungefähr Kurs, Position und Geschwindigkeit des anderen Schiffes geben können, bin ich schon zufrieden." antwortete McPherson. Er wußte, daß er damit sehr viel verlangte.

 

"Aye, Sir. Blende Näherungsdaten mit Abweichungsfaktoren ins taktische Display ein."

 

Auf dem Hauptbildschirm verschwand der Blick in den Weltraum und machte einer taktischen Darstellung des Sonnensystems platz. Darauf waren ausser den Objekten des Sonnensystems die alte Position des Satelliten, das fremde Schiff und ihre eigene Position verzeichnet. das Ganze wurde noch ergänzt um Kursangaben und Geschwindigkeiten und dann in Echtzeit animiert dargestellt.

 

Das fremde Schiff hatte den alten Standort des Satelliten fast erreicht. Es würde sich bald zeigen, ob das Verschleierungsmanöver erfolgreich war oder nicht. McPherson hatte ganz bewußt den Satelliten in den Gasriesen rasen lassen. Er war dann in den obersten Schichten von dessen Gashülle verglüht. Er hoffte nur, daß das Bodenteam sich unauffällig verhielt und nicht entdeckt wurde.

 

Mond History

 

"Grischenko an alle. Wir haben potentielle Feindkräfte im Sonnensystem. Ab sofort absolute Emissionskontrolle. Ich will keine Energieemission egal welcher Art und egal von wem, keinen Funk, rein gar nichts. Alle Spuren unserer Anwesenheit sind zu beseitigen. Posten am Eingang folgt uns bis in die Kontaminationskammer und bezieht dort Stellung. Wachposten am Shuttle zieht sich ins Shuttle zurück. Bestätigen sie nicht. Grischenko Ende."

 

Dann wandte er sich wieder an seine Gefährten:"Irgendetwas ist schief gegangen. Der Ping von der EX bleibt aus. Sie haben auch die Polbahn verlassen. Nach den Ortungsanlagen der EX zu urteilen, haben wir vielleicht noch ungefähr zwei Stunden, wenn der Gegner unter Lichtgeschwindigkeit bleibt. Hunter, irgendwelche Ideen?"

 

"Nur eine: Computer in den nächsten 30 Minuten knacken und dann verschwinden. Wenn sie die Station hier entdecken, radieren sie sie aus und uns gleich mit. Wir suchen uns zwischen den Felsen eine gute Deckung. Wenn sie allerdings die Station untersuchen, werden sie feststellen, daß Fremde hier waren."

 

"Die Konservierten hier werden es auf keinen Fall überleben, wenn hier jemand eindringt oder eine Bombe wirft." ergänzte Peltonyemi.

 

"Ja, aber mit den derzeitigen Ressourcen können wir sie nicht verteidigen ohne selbst dabei draufzugehen. Ich nehme an, die EX wäre geblieben, wenn das einkommende Schiff keine ernsthafte Bedrohung wäre. McPherson ist alles andere als feige."

 

"Commander, das sollten sie sich ansehen", rief Dr. Berneau.

 

Sie stand vor einem der Kästen und wechselte mit den Augen von der Sichtscheibe zu dem kleinen Bedienungspanel und wieder zurück.

 

"Was ist los?" fragte Grischenko nach.

 

"Der hier wird scheinbar gerade aufgeweckt - ein Mann um die 30 Jahre."

 

"Das auch noch. Wir können keinen Ballast brauchen im Moment. Wie lange dauert es noch?"

 

"Ich glaube nicht, daß er ein Ballast sein wird. Eher wird er uns helfen können die Computerdaten abzusaugen. Wenn ich das hier richtig interpretiere noch ungefähr zehn Minuten. Es begann scheinbar automatisch, als wir die Halle hier geöffnet haben. Die Atmosphäre ist übrigens auch angepaßt worden. Sie gleicht jetzt der Atmosphäre an der Oberfläche des Mondes. Sie ist in Ordnung für uns."

 

Grischenko konnte es gar nicht glauben und blickte kurz auf seinen Analysator am Handgelenk. Die Ärztin hatte recht. Sie hatten es gar nicht bemerkt. Grischenko öffnete den Helm und sog die Luft prüfend ein. Sie roch etwas abgestanden und hatte einen leichten Metallgeruch dabei, aber das konnte einfach von den Umwälzpumpen kommen. Die anderen folgten ihm und öffneten ebenfalls ihre Kampfanzüge.

 

"Ok, wir warten, bis der Junge hier aus der Kiste kommt. Sicherungspositionen am Eingang und vor der Konservierungsanlage einnehmen. Wir wissen nicht, was er da alles drin hat in seiner Kammer."

 

Als die Zeit um war, gab die Gefrierschlafkammer einen leises Zischen von sich. Offensichtlich wurde die Atmosphäre an die Umgebung angeglichen. Einige Sekunden später hob sich die Front der Kammer und glitt langsam zur Seite. Sie sahen darin einen ungefähr 30-jährigen Mann. Er hatte dunkelbraunes Haar und eine athletische Figur. Die Augen hatten ein lebendiges Braun als Farbe. Eine schlichte hautenge Hose in schwarz und ein schwarzes T-Shirt bedeckten seinen Körper. An den Füßen trug er anscheinend bequeme schwarze Schuhe.

 

Er stieg aus der Kammer und blieb vor den drohenden Waffenmündungen der Marines stehen. Langsam hob er die Hände. Anscheinend hatte er verstanden, daß die Leute vor ihm nicht zur ursprünglichen Bevölkerung des Mondes gehörten.

 

Peltonyemi trat zwischen die Marines:"Guten Morgen, Mister. Ich weiß, sie können uns wahrscheinlich nicht verstehen, aber vielleicht haben sie ja eine Möglichkeit, das zu ändern?" Sie schenkte ihm noch ein freundliches Lächeln und wartete dann.

 

Der Fremde lächelte schwach zurück. Scheinbar hatte er verstanden, was das Problem war. Er bedeutete Peltonyemi und den Marines, daß sie ihm folgen sollten. Dabei ließ er seine Hände in Höhe seiner Schultern. Vor einem in der Wand eingebauten Schrank blieb er stehen und drückte einen Knopf an der rechten Seite. Die Marines waren überaus nervös und hatten den Finger am Abzug.

 

Die kleine Schranktür glitt zur Seite und gab damit den Inhalt frei. Darin lagen auf einigen kleineren Regalen einige kleine Kästchen mit Riemen zum Umhängen. Was die Marines aber wirklich erstaunte, der Fremde griff nicht zu den offensichtlichen Waffen im Schrank. Es befanden sich mehrere Handfeuerwaffen wie auch Langwaffen darin. Er nahm eines dieser Kästchen mit Riemen heraus und hängte es sich um. Dann schaltete er es ein. Ein ganz leises Summen ging davon aus.

 

Boyd blickte auf eines seiner Analysegeräte:"Ich messe keine waffenfähige Energie. Die Energieproduktion ist sogar ausgesprochen schwach. Scheint eher ein tragbarer Computer zu sein."

 

"Richtig", kam es aus dem Kästchen, nachdem der Fremde etwas in einer ebenso fremden Sprache gesagt hatte.

 

" Maschine für übersetzen", gab der Kasten erneut von sich. "Lernt von selbst", fügte er dann noch hinzu.

 

"Das heißt, wir sollten möglichst viel reden, bis der Übersetzer unsere Sprache analysiert hat?" fragte Peltonyemi.

 

"Ja. Mein Name Kreftan. Warum du hier?" fragte der Fremde. Das Gerät schien schnell zu lernen, denn die Satzstellung und die Aussprache wurden sehr schnell besser.

 

"Ich heisse Marciela Peltonyemi. Der Kommandant ist Commander Juri Grischenko." Damit zeigte sie mit der Hand auf den XO der EXPLORER und setzte dann fort:"Wir sind zufällig hier. Wir entdeckten einen Überwachungssatelliten im System und dann diesen zerstörten Mond. Den Satelliten haben wir zerstört. Wir wollten wissen, was hier passiert ist."

 

"Sie haben einen Wächter gefunden und zerstört. Einen Wächter der Uldat. Ihre Welt wird das gleiche Schicksal erleiden wie unsere." antwortete Kreftan.

 

"Wir werden sehen", gab Grischenko zurück, der mittlerweile an Peltonyemi und den Fremden herangetreten war. "Können sie uns sagen, was hier passiert ist? Und am besten schnell. Wir haben scheinbar ein potentielles Feindschiff im System."

 

"Ich übergebe ihnen unsere historischen Aufzeichnungen aus unserer Datenbank. Kommen sie mit. Auf dem Weg kann ich ihnen einige Dinge erzählen. Die Uldat haben in diesem Teil der Galaxis ein Imperium aufgebaut, das seit ungefähr 12.000 Jahren unserer Zeitrechnung existiert. Das Imperium war vor dem Angriff auf uns über 2.000 Sonnensysteme groß. Es ist ein diktatorisches Reich. Unterdrückung und Völkermord sind an der Tagesordnung. Der Angriff der Uldat war eine Strafaktion gegen uns. Unsere Zivilisation wurde völlig zerstört. Was sie unten gesehen haben, ist die wissenschaftliche Elite unseres Volkes - der jämmerliche Rest nach dem Völkermord durch die Uldat."

 

Sie waren in der Zentrale der Station angekommen. Das Technikerteam versuchte immer noch, den Geräten Informationen zu entlocken, aber sie scheiterten an den vielfältigen Problemen. Sie staunten nicht schlecht, als sie Kreftan erblickten, machten aber bereitwillig Platz.

 

"Ich überspiele ihnen die historischen Daten auf einen mobilen Datenspeicher mit integriertem Projektionsgerät. Weiters gebe ich ihnen die technischen Daten und Pläne für das Gerät und auch für den Übersetzer mit. Dann können sie die Geräte nachbauen und sind nicht auf uns angewiesen."

 

"Ist ihr Volk immer so großzügig mit Technologie?" fragte Grischenko.

 

"Nein, aber unsere Technologie hat uns nicht geholfen und ist uns auch jetzt keine wirkliche Hilfe. Ihr Volk könnte vielleicht überleben dadurch." antwortete Kreftan.

 

"Kreftan, wir müssen nur verhindern, daß der Feind ihre konservierten Freunde findet und sie bombardiert." sagte Peltonyemi.

 

"Es sind nur 2500 von uns eingefroren worden. Die Gefrierschlafkammern haben eine Ausfallquote von 32% pro 100 Jahre. Es werden also derzeit noch ungefähr 1540 von uns am Leben sein, wenn wir sie gleich aufwecken."

 

"Dann tun sie es doch, Kreftan." antwortete Grischenko.

 

"Das wäre unklug. Wir brauchen dann unsere Maschinen und die kann man aus dem Orbit orten."

 

"Wie lange kommen sie alle ohne die Maschinen aus oder mit nur so viel Leistung, dass sie nicht entdeckt werden?" fragte Peltonyemi.

 

"Das kann ich nicht so einfach abschätzen, aber ich denke ein halbes Jahr sollten wir mit den Vorräten zurechtkommen. Warum fragen sie?"

 

"Wir könnten sie von hier wegbringen zu einem Planeten ihrer Wahl. Oder sie schließen sich unserer Rasse an. Sie sehen ohnehin aus wie wir. Sie würden auf unserem Planeten gar nicht auffallen."

 

"Mal langsam mit den jungen Pferden, Marciela." ging Grischenko ruhig aber bestimmt dazwischen. "Wir können hier keine Dinge von solcher Bedeutung ohne Konsultation der Regierung versprechen."

 

Kreftan runzelte in menschlicher Manier die Stirn als überlege er etwas. "Das ist mir schon klar Commander, aber vielleicht kann ich ihrer Regierung ein Angebot machen. Ich bin nämlich als amtierender Außenminister ermächtigt, solche Abkommen einzugehen. Ich habe an ihrer Ausrüstung bemerkt, daß sie in einigen Dingen doch 100 oder 200 Jahre hinterher hinken. Das ist keine Kritik an ihrer Rasse Commander, sondern eine nüchterne Tatsache. Die unten konservierten Wissenschaftler meiner Rasse sind die Elite und decken alle Fachgebiete ab, die man für eine Zivilisation braucht. Wir bieten ihrer Welt alles Wissen unserer Rasse an, und sie bieten uns eine neue Heimat. Die 2500 hier konservierten Lebewesen sind die letzten unserer Rasse."

 

"Ich kann das nicht entscheiden Kreftan, auch wenn es sehr verlockend klingt." meldete Grischenko Bedenken an. "Nicht einmal unser Captain kann eine Entscheidung solcher Tragweite fällen."

 

"Ich weiß. Fliegen sie also erst nach Hause und kommen sie mit dem Beschluß ihrer Regierung zurück. In der Zwischenzeit werde ich meine Freunde aufwecken."

 

"Und unsere eigentliche Mission?" fragte Hunter.

 

"Ich denke das hier ist wesentlich wichtiger." bemerkte Peltonyemi.

 

UDF FAROL (UDF= Uldat Defense Force)

 

"Kapitän, wir haben die Position des Satelliten erreicht, aber nichts gefunden. Es gibt keine Überreste ausser einigen Metallsplittern. Die wahrscheinlichste Theorie ist ein Meteoritenaufprall, der den Kurs des Satelliten geändert hat. Daraufhin fiel er auf den Gasplaneten und verglühte dort in der Atmosphäre."

 

"Wahrscheinlichkeit dafür?"

 

"92% Kapitän. Der Kurs zum Gasplaneten ist nachvollziehbar, es gibt entsprechende Rückstände auf der Absturzbahn."

 

"Wir werden trotzdem auch in Zukunft wachsam sein. Die Kanaer sind noch nicht vernichtet. Es darf keiner übrig bleiben."

 

"Der Mond wurde von unserer glorreichen Flotte sehr gründlich bombardiert, Captain. Selbst heute strahlen noch weite Teile der Oberfläche."

 

"Ich hätte ihn völlig zerstört. Ortung, gibt es schon neue Erkenntnisse über die aufgefangenen Impulswellen?"

 

"Nein, Kapitän Ulrans. Die Signale sind zu schwach für genauere Erkenntnisse. Es war wohl nur ein Schiff auf der Durchreise."

 

"Zwei Zufälle im gleichen Sonnensystem sind mir etwas zuviel auf einmal, Lieutenant Saktar."

 

"Da gebe ich ihnen recht Kapitän, aber mehr läßt sich derzeit nicht herausfinden."

 

"Gut, belassen wir es dabei. Scannen sie noch einmal das gesamte System und bereiten sie den Rückflug vor. In zwei Stunden starten wir. Ich bin in meiner Kabine, falls es Neuigkeiten gibt."

 

"Ja, Kapitän. Sollen wir sie kontaktieren, wenn wir das System verlassen?"

 

"Nicht notwendig. Commander Sorlan hat das Kommando bis zur Landung am Stützpunkt."

 

Der ehrgeizige junge XO nahm auf dem Kommandostuhl Platz, während der Kommandant sich in seine Kabine begab. Sorlan ließ das Schiff in eine weite eliptische Bahn um den von der Flotte zerstörten Mond steuern. Er wollte eine ganze Umkreisung abwarten und während dieser Zeit alle Scanner und Sensoren alles aufzeichnen lassen, was es in diesem System gab.

 

USS EXPLORER

 

Das Schiff war fast blind. Der enge Orbit in der Korona der Sonne ließ kaum Beobachtungsmöglichkeiten zu. Andererseits waren sie so auch für das andere Schiff unsichtbar. Die Schilde hielten die Sonnenenergien ab, aber der Brennstoffverbrauch in den Katalysereaktoren war beachtlich. McPherson ging kein Risiko ein und hatte daher eine sehr enge Bahn um den Stern gewählt.

 

Nach einigen Stunden wurde McPherson ungeduldig. Er wußte, daß er einiges riskierte. Wer sich bei einem Kampf als erster aus der sicheren Position bewegte, war zwar im Angriff dem Gegner einen Schritt voraus, aber gab sich auch als erster eine Blöße.

 

"Gefechtsalarm. Alle Waffenstände besetzen. Torpedorohre mit Nuklearwaffen laden. Navigation, bringen sie uns 100.000km höher. Operations, Schildaufladung entsprechend verringerter Belastung durch die Sonne reduzieren. Bereithalten für gefechtsmäßige Schildsteuerung."

 

Die Kommandos bewirkten kurzzeitig einige Hektik auf der Brücke. Die großflächigen Statusanzeiger wiesen im ganzen Schiff mit der Farbe rot auf den Gefechtszustand hin.

 

Kazinsky programmierte einen sich öffnenden Spiralkurs. Das Schiff wurde von den Impulstriebwerken sanft von der Sonne weggedrückt und reduzierte gleichzeitig die Geschwindigkeit etwas.

 

Nach fast 15 Minuten hatten sie den neuen Orbit um die Sonne erreicht. Die Sensoren begannen aufs neue, das Sonnensystem nach verdächtigen Emissionen zu durchsuchen. und sie wurden fündig. Das fremde Schiff näherte sich History auf einer weiten Elipsenbahn und sendete dabei alle möglichen Strahlen aus.

 

"Meine Güte. Sir, der Fremde scannt den Mond mit Energiemengen, die durchaus Schäden an organischen Lebewesen hinterlassen könnten. Ich kann ihnen jetzt auch ein Bild geben."

 

"Zeigen sie es uns, Ensign" befahl McPherson.

 

"Und trotzdem finden sie diesen unterirdischen Stützpunkt nicht? Was haben die bloß für miese Ortungsgeräte?" bemerkte Drake. "Denen könnten wir wohl vor der Nase vorbeifliegen, und sie würden uns nicht bemerken."

 

"Momentan befindet er sich fast noch im Apogäum seiner Umlaufbahn. Das Perigäum wird bei 500km liegen. Er hat noch eine gute Stunde bis dahin." bemerkte Cagliari.

 

McPherson überlegte kurz:"Können wir einen gebündelten Funkstrahl so ausrichten, dass die Bahn den Orbit des Fremden nicht kreuzt?"

 

Drake meldete sich zu Wort:"Funk würde ich nicht empfehlen Sir, das fächert zu weit auf. Der Maser-Emitter wäre besser. Einen Empfänger haben sie mit. Der Strahl wäre schmal genug, dass der Mondschatten ihn abdecken würde."

 

"Ok, vesuchen wir es. Lieutenant Stanitakis senden sie folgendes verschlüsselt und gerafft: EX an Bodenteam. Achtung überlegenes Feindschiff im Orbit. Perigäum in 55 min über Position 32 West und 34 Nord. Köpfe unten halten. EX Ende."

 

"Spruch zusammengestellt und versandfertig. Spruch gesendet, Captain."

 

"Sehr gut. Und jetzt wieder absolute Emissionskontrolle."

 

Auf dem Bildschirm erschien ein dreidimensionales Bild des anderen Schiffes. Der Bordcomputer erstellte aufgrund der ermittelten Daten ein dreidimensionales Modell und projizierte dieses mittels Holographie auf den Hauptbildschirm.

 

Das Schiff bestand aus mehreren kantigen Modulen, die beliebig zusammengesetzt zu sein schienen. In Summe ergaben sie aber ein Schiff mit einer Länge von fast 600m. Breite und Höhe lagen ungefähr bei 150m. Das Volumen betrug nach Schätzung des Computers 13 Millionen Kubikmeter und damit hatte das Schiff eine mehr als 6 mal so große Verdrängung wie die EXPLORER. Das Scimitar-System analysierte bereits den strukturellen und technischen Aufbau des Schiffes, um für verschiedene Beschußszenarien optimale Zielbereiche vorschlagen zu können.

 

"Taktik, versuchen sie die Kommunikationsanlagen des Schiffes zu analysieren und einen zentralen Knoten zu finden. Gehen sie dabei von den Kenntnissen aus, die wir aus dem Satelliten haben", ordnete Drake an.

 

"Gute Idee, Commander" merkte McPherson an.

 

"Analyse parametriert. Auswertung läuft" meldete Cagliari von ihrem Terminal aus. Ein paar Sekunden später schien Scimitar die Analyse beendet zu haben.

 

"Sir, das Schiff hat 4 Kommunikationssysteme, zwei überlichtfähige und zwei Anlagen für Normalfunk. Problematisch dürften wohl nur die überlichtfähigen sein. Die Hyperfunksysteme sind in der Nähe der Schiffsmitte angeordnet. Alle Teile sind redundant angelegt. Scimitar geht davon aus, daß die beiden Energiekonverter die beste Angriffsmöglichkeit darstellen. Ich markiere die Positionen im Hologramm."

 

Im Hologramm des fremden Schiffes erschienen zwei gelbe Würfel.

 

"Captain, mit den Gausskanonen könnten wir einen Durchschuss erzielen, wenn wir den Anflugwinkel genau hinbekommen. Der passende Anflugkegel hat eine Weite von 6 Grad, Sir. Es würde aber auch genügen, den Anflugkegel mit unserem Kurs auf einer Entfernung zum Gegner von 100km zu schneiden. Geschwindigkeit dabei maximal 10% Licht." meldete sich der Taktikoffizier Lieutenant Commander Hidetaka Yamato.

 

Yamato war der Sohn von Admiral Yamato, dem Oberkommandierenden der irdischen Raumflotte. Die Yamatos waren ein Adelsgeschlecht aus dem alten Japan des achten Jahrhunderts, als der Aufstieg der Samurais als Elitekrieger des Landes erst begann. Die Yamatos waren aus den Herrschern der nach ihnen benannten Geschichtsperiode Japans nahtlos in den aufstrebenden Schwertadel Japans übergegangen.

 

Hidetaka Yamato selbst war ein musterhafter Vollblutoffizier der Flotte. Hochintelligent und durchtrainiert hatte er die Flottenakademie mit Bestnoten abgeschlossen und sich durch exzellente Bewertungen seiner Vorgesetzten und ungewöhnliche Kompetenz hervorgetan und für die Mission empfohlen. Sein taktisches Geschick hatte ihn in die Position des Gefechtsoffiziers gebracht. Yamato war auch mehrfacher Flottenmeister im Schwertkampf und im Nahkampf. Die nächsten Wettkämpfe diesen Herbst würde er allerdings verpassen.

 

"Danke Commander. Für meinen Geschmack etwas dicht und langsam für einen Raumkampf. Noch dazu, wo wir nichts über die Waffentechnik des Gegners wissen."

 

"Ja, Captain. Aber etwas Besseres gibt die Situation derzeit nicht her."

 

"Dachte ich mir schon. Wir warten bis sie das Perigäum erreichen. Wenn sie dann keine Aktionen setzen gegen unser Bodenteam oder den Mond, werden wir sie ziehen lassen. Andernfalls müssen wir sie ausschalten."

 

"Das Schiff ist sechs mal so schwer wie wir, Sir." gab Cagliari zu bedenken.

 

"Das ist mir bewußt, Ensign."

 

Sie würden also noch eine Stunde warten müssen. McPherson hoffte, daß ihre Ortungsanlagen wirklich so schlecht waren, wie Drake annahm.

 

"Sir, ein weiterer Kontakt! Designiert als K2. Ungefähr gleiche Masse und Größe wie K1. K2 feuert bereits mit Torpedos auf K1! Keine erkennbare Kommunikation zwischen den beiden. K1 wendet und beschleunigt voll. 20 Sekunden bis Waffeneinschlag."

 

"Navigation, Bereit für Fluchtprogramm Beta-1. Bringen sie uns schnell 500.000km höher. Taktik, zeichnen sie alles auf, was sie kriegen können."

 

Kazinsky hielt es für riskant, in einem Raumgefecht aus der Deckung aufzutauchen, aber Befehl war Befehl. Ihre Finger tanzten ein paar Sekunden über die Tastatur und dann stieg das Schiff aus der Korona weitere 500.000km auf. Die Sensorergebnisse verbesserten sie erheblich, als sie die neue Position erreichten.

 

K1 war den Torpedos bisher erfolgreich ausgewichen, doch die Beschleunigungswerte zeigten, daß die Vernichtung nur eine Frage der Zeit war. K1 beschleunigte mit ungefähr 71% der Leistung der EXPLORER. K2 verfügte über wesentlich leistungsfähigere Triebwerke und brachte es auf 75%. Kontakt 1 feuerte zurück. Das Schiff verfügte über den Gausskanonen ähnliche Waffen und konnte auch Plasmatorpedos verfeuern. Weiters schien es auf dem Kurs hinter sich Minen auszulegen, was den verfolgenden Gegner zu Kurswechseln zwingen würde. Kontakt 2 machte sich aber gar nicht erst die Mühe, den Minen auszuweichen. Es schoß einen Teil der Minen einfach ab und pflügte mit starken Schutzschirmen durch den Rest des Minenfeldes. Kontakt 1 erzielte mehrere schwere Treffer bei seinem Verfolger. Die Gaußgeschütze schienen den Schutzschirm teilweise durchschlagen zu können. 

 

Ein Torpedo nach dem anderen verließ die Rohre von Kontakt 2. Mittlerweile hatte das Schiff 18 Torpedos ausgestoßen. Die Treffer zeigten Wirkung. Die Schußfolge wurde langsamer und die Antriebsleistung geringer. Das Schiff zog eine leichte Plasmaspur hinter sich her und wies einige Löcher im Rumpf auf.

 

Schließlich erreichte dann doch einer der Torpedos das andere Schiff. Er kam nahe genug an den Gegner heran. Der Annäherungszünder löste den Gefechtskopf aus. Bei der Energieentwicklung wurde die gesamte Brückenmannschaft blaß.

 

"Das … das kann nur ein Antimateriesprengkopf sein, Captain. Nichts, was wir kennen, hat eine so extreme Wirkung." sagte Drake mit aufgerissenen Augen.

 

Auf dem Bildschirm breitete sich eine Energiekugel von einem intensivst blau strahlenden Punkt zu einem weißen Ball aus. Durch die rasche Ausdehnung wurde die Kugel durchsichtiger, wie ein Luftballon an einer Pressluftflasche.

 

"Captain, an der Explosionsstelle befindet sich eine Delle in der Raumzeit. Wir haben Gravitationswellen, die einer harmonischen Rückschwingbewegung entsprechen.

 

"Stärke der Gravowellen?" fragte McPherson.

 

Cagliari blickte kurz auf ihre Konsole:"Wie wenn man unseren Mond auf einmal verschwinden ließe, Sir. Das Ziel wurde zwar durch die Explosion vernichtet, aber falls es das überstanden hätte, hätten es die Gravowellen zerrieben. Dort finden sie maximal noch Staubpartikel in Mikrometerformat. Kontakt 2 baut Hyperenergie auf, die verschwinden in ein paar Sekunden Captain."

 

Kazinsky lehnte sich wieder etwas entspannter zurück:"Gut, dann ist das System leer, und wir haben unsere Ruhe."

 

"Nur bedingt, Commander." warf Yamato ein. "Das Schiff wird irgendwann vermißt werden, und dann wird hier ein starker Flottenverband auftauchen. Notruf haben sie offensichtlich keinen mehr abschicken können. Das wird uns noch ein paar Stunden Zeit geben. Dann wird es hier aber sehr schnell sehr unangenehm, fürchte ich."

 

"Kontakt 2 ist in den Hyperraum gegangen, Sir." meldete Cagliari.

 

"Navigation, bringen sie uns wieder in die Polarbahn um History. Taktik, ich möchte, daß sie die Daten zu den beiden Schiffen und dem Gefecht genauestens analysieren. Ich will alles an Informationen daraus haben, was irgendwie möglich ist. Kommunikation, sobald wir im Orbit sind, senden wir wieder das Ping-Signal. Teilen sie dem Aussenteam auch mit, daß ich sie in vier Stunden wieder an Bord haben will."

 

Die drei Offiziere bestätigten und machten sich gleich an die Arbeit. Yamato delegierte die Aufgabe an seine Stellvertreterin LT Jessica Haupt und an LTjg Malcolm Dreyer. Er wußte, die beiden würden die aufgezeichneten Daten so lange durchkauen, bis nichts Neues mehr herauskam.

 

Eine halbe Stunde später traten sie in den Orbit ein und begannen im 5-Minten Abstand wieder das vereinbarte Signal zu senden.

 

Mond History

 

Als Grischenko den Befehl bekam, in vier Stunden wieder zurück zu sein, zuckte er nur mit den Schultern und gab die entsprechenden Befehle aus. Die Wissenschaftler waren verständlicherweise weniger stoisch. Sie versuchten Grischenko vom Gegenteil zu überzeugen. Natürlich half das bei einem Offizier der regulären Befehlskette wenig und bei Grischenko schon gar nicht.

 

Kreftan akzeptierte die Fakten. Er konnte aber die Wissenschaftler beruhigen. Er hatte am Zentralcomputer einen Datenträger erzeugt, der die gesamte Geschichte seines Volkes - sie nannten sich Kanaer - enthielt.

 

Er überreichte Grischenko und Boyd je ein Datenanalysegerät: "Mehr als den Inhalt dieser Geräte darf ich ihnen an Wissen derzeit noch nicht preisgeben. Sie enthalten unsere komplette Geschichte, die technischen Daten zum Gerät selbst sowie eine Darstellung der politischen Lage in dieser Galaxis inklusive aller Daten zu allen Rassen, die wir besitzen. Es sind auch Sternkarten unserer Galaxis enthalten, wo alle bekannten Objekte verzeichnet sind. Die Daten haben allerdings einen Informationsstand von vor dem Angriff der Uldat auf uns. Seither konnten wir leider nichts mehr aktualisieren. Zur Sicherheit enthalten beide Geräte den gesamten Datenbestand."

 

"Vielen Dank Kreftan. Wir könnten den Computer allerdings auch noch weiter untersuchen." meinte Grischenko.

 

"Ja, aber die Daten waren schon immer hochgradig verschlüsselt. Sie würden also nicht weit kommen."

 

"Kreftan, sind auch biologische Daten zu ihrer Rasse enthalten? Für ihre medizinische Versorgung wäre das überaus vorteilhaft." fragte Berneau nach.

 

"Ja, die Daten sind ebenfalls dabei. Sie werden sie aber für eine Versorgung von uns nicht brauchen. Wir werden unser eigenes Equipment mitbringen. Der Stützpunkt ist gut ausgestattet. Damit werden wir auskommen, bis ihre Industrie weit genug ist, um uns versorgen zu können."

 

"Können wir etwas für sie tun?" fragte Grischenko.

 

"Ja, schnell wiederkommen. " antwortete Kreftan mit einem breiten Lächeln. Dann setzte er fort: "Sechs Monate lokaler Zeit nach ihrem Abflug aus dem System werden wir hier ein Schiff gebaut haben und starten. Dann werden sie uns nicht mehr vorfinden. Seien sie also pünktlich."

 

"Wir versuchen unser Möglichstes. Aber jetzt müssen wir uns auf den Rückweg machen Kreftan."

 

Das Team verabschiedete sich vom ersten außerirdischen Lebewesen, dem die Menschheit begegnet war. Grischenko zweifelte nicht an einem Wiedersehen.

Kapitel 4 - Mission History

Das große Lastenshuttle war fast pünktlich zurück. Das Bodenteam kam nur zwei Minuten zu spät. Die ganze Erkundungsmission hatte gerade einmal 20 Stunden gedauert, doch das Team war aufgrund der Ereignisse und der Anspannung ziemlich ausgelaugt. Als erstes hatte McPherson sie in die Dekontamination geschickt und bis auf Grischenko, Berneau, Boyd und Hunter alle für 10 Stunden vom Dienst freigestellt und Ruhe angeordnet.

 

Das Schiff selbst befand sich wieder in einem sehr engen Orbit um die Sonne des Systems. Die leitenden Mitglieder des Bodenteams hatten in einer Konferenz gerade Bericht erstattet. McPherson, Dr. Rosenthal und McWalsh hatten erstaunt zugehört. Als Grischenko das holografische Datenanalysegerät der Kanaer anhand der Sternkarten demonstrierte, trat tiefe Stille ein.

 

Die dreidimensionale Karte schien in der Mitte des Raumes zu schweben. Grischenko hatte eine geopolitische Darstellung der 50 mächtigsten Blöcke der Galaxis von dem kleinen tragbaren Computer angefordert. Farbbereiche verschiedenster Größen und Formen erschienen in der Darstellung. Der größte ähnelte einer zylindrischen Form entlang der sogenannten Orion-Spur der Galaxis. Er umfaßte ungefähr 2000 Sterne. Es war das Imperium der Uldat. Am westlichen Rand dieser roten Zone befand sich die Sonne Sol - gerade mal 78 Lichtjahre von der Grenze entfernt. Das Uldat-Imperium hatte sich aber die letzten 120 Jahre mit ziemlicher Sicherheit weiter ausgedehnt. Man wußte aber derzeit noch nicht in welche Richtung.

 

Nach Abgleich mit den Daten, die sie von Kreftan erhalten hatten, stand fest, daß das erste Schiff ein Uldat-Schlachtschiff gewesen war. Die Uldat waren wie die Menschen zweibeinige, symmetrische Lebenwesen. Sie hatten blaue Haut und sechs Finger an den Händen. Der Körper machte zwar einen eher zerbrechlichen Eindruck, aber die kompromisslose Brutalität der Wesen machte das mehr als wett. Die Uldat schossen scheinbar erst und fragten hinterher.

 

Das zweite Schiff schien einer Rasse zu gehören, die Teil des Uldat-Imperiums war. Sie wurden in der Datenbank als Kruhl geführt. Die Kruhl waren aufrecht gehende Echsen. Technisch schienen sie den Uldat zwar überlegen zu sein, sie konnten oder wollten daraus aber keinen Vorteil ziehen. Warum das so war, konnte sich auf Anhieb niemand erklären.

 

Das Rätsel löste sich erst, als Drake die biologischen Daten der beiden Rassen vergleichend nebeneinander stellte. Die lebendgebärenden Kruhl-Echsen hatten aus biologischen Gründen eine sehr geringe Geburtenrate. Die Tragzeit betrug drei irdische Jahre. Weiters schienen sie sich in einem Sonnensystem entwickelt zu haben, das über eher bescheidene natürliche Rohstoffe verfügte. Vor allem Metalle schienen dort Mangelware zu sein. Die Uldat kontrollierten den Warenstrom sehr genau, um ein großes Flottenbauprogramm der Kruhl zu verhindern. Sie hatten eine Geburtenrate ähnlich den Menschen. Ausserdem war ihr Heimatsystem ähnlich gut mit Rohstoffen ausgestattet, wie das irdische. Die umgebenden Sonnensysteme boten ebenfalls große Rohstoffvorkommen quer durch das Periodensystem.

 

Unter Berücksichtigung dieser Umstände war es logisch, daß die Kruhl zwar technisch höher entwickelt waren, aber aufgrund der Unterzahl den Uldat trotz allem unterlegen waren. Widrige Lebensbedingungen brachten stets widerstandsfähige Lebewesen hervor. Die Kruhl betrieben nur eine sehr kleine Flotte von annähernd 200 Schiffen verschiedenster Größenordnungen. Mehr war ihnen von den Uldat nicht gestattet.

 

Es blieb immer noch die Frage, warum die Kruhl das Uldat-Schiff kompromisslos zerstört hatten. Sollten die Uldat davon erfahren, würde das mit Sicherheit Sanktionen oder vielleicht sogar die Auslöschung der Kruhl bedeuten.

 

"Eine Racheaktion oder ein an sich passiver Widerstand gegen die Unterdrückung, der hin und wieder in solchen Gelegenheitsangriffen gipfelt?" warf Drake fragend ein.

 

McPherson lehnte sich zurück:"Eins von beiden wird es wohl sein. Wir werden es so schnell nicht herausfinden." Dann warf er die Frage in die Runde, auf die alle gewartet haten:"Was empfehlen sie bezüglich Kreftan und seinen Leuten?"

 

Dr. Berneau ergriff das Wort:"Er bietet sehr viel an und hat uns auch schon einiges überlassen. Wir sollten nach Hause fliegen und die Sache dem Regierungsrat vorlegen. Dafür spricht, dass sie laut den biometrischen Daten mit uns so gut wie identisch sind. Wie das sein kann, sollte man untersuchen. Sie sind allerdings im Gegensatz zu uns ein Volk der Wissenschaft. Ihre kriegerischen Zeiten haben sie schon lange hinter sich."

 

"Wo liegen die biologischen Unterschiede Dr. Berneau?" fragte der Captain nach.

 

"Der Frequenzbereich ihrer Augen ist etwas schmäler als unserer, dafür hören sie um 10% besser. Der IQ ist durchschnittlich um 10% höher, was aber auch an der Tatsache liegen kann, daß sie nur hochintelligente Angehörige ihres Volkes unten konserviert haben. Es hat eigenartiger Weise keine Probleme bei der Auswahl der zu Konservierenden gegeben, zumindest steht in den Unterlagen nichts dazu. Auf der Erde hätte es da Mord und Totschlag gegeben. Das ist soweit alles, Captain."

 

"Danke, Doc. Commander?" fragte McPherson nach und sprach dabei seinen XO an.

 

"Laut den Daten auf dem Gerät gibt oder gab es noch weitere Konservierungsstationen, aber die letzten Meldungen besagen, daß diese von den Uldat ganz gezielt zerstört worden sind. Andererseits wissen wir aus unserer eigenen Geschichte, wie unpräzise oder falsch Daten während kriegerischer Handlungen sind. Die Wahrheit stirbt da zuerst. Technologisch sind sie uns um einiges Voraus. Sie sind zwar keine Krieger mehr wie Dr. Berneau schon angemerkt hat, aber ich möchte sie nicht zum Feind haben. Strategisch wäre eine Eingliederung der Wissenschaftler in die Menschheit sicher eine wertvolle Sache. Wie sich das allerdings auf Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär auswirkt, kann ich so nicht abschätzen. Für den normalen Bürger wird sich kaum etwas ändern, dafür sind sie zuwenige. Maximal die intensive Nutzung des neuen Wissens wird eine gewisse Umstellung bei den Menschen erfordern. Politisch gesehen sind die 2500 Fremden bedeutungslos, solange wir sie aus den Regierungsgremien heraushalten und ihnen keinen allzu großen wirtschaftlichen Einfluß ermöglichen. Schließlich wollen wir ja von Menschen regiert werden und nicht von Kanaern."

 

"Meinen sie nicht, daß das etwas rassistisch ist, Commander?" fragte Berneau mit bösem Blick nach.

 

Grischenko lehnte sich zurück:"Kommt darauf an, Doc. Wir kennen ihre Rasse nicht. Was wir wissen, ist nur das, was ihre Daten preisgeben. Vielleicht sind sie aber auch eine blutdürstige Spezies, die von den galaktischen Völkern einfach für ihre abscheulichen Eroberungsfeldzüge abgestraft wurde. Und uns sehen sie jetzt als Möglichkeit, ihr grausames Reich neu auferstehen zu lassen. Wenn sie dann ihrer Ansicht nach so weit sind, reißen sie uns vielleicht in einen galaktischen Krieg hinein, der dann auch die Menschheit ausrotten könnte, sollte eine weitere Strafaktion der galaktischen Völker stattfinden. Oder vielleicht verfügen sie über Fähigkeiten, andere Lebewesen geistig zu versklaven und nach ihrem Willen zu lenken. Sie haben es uns bisher nur nicht offenbart, weil unser Schiff einfach zu klein ist für alle. Es gäbe auch noch einige andere Möglichkeiten. Wollen wir das? Können sie mir garantieren, daß es nicht so ist Dr. Berneau?"

 

Grischenkos tiefe aber sanfte Stimme hatte einen leicht schneidenden Tonfall bekommen. McPherson kannte ihn gut. Grischenko würde in diesem Punkt nicht nachgeben, und insgeheim mußte er ihm recht geben. Die Logik war nur zu offensichtlich.

 

"Nein, kann ich nicht Commander." antwortete Dr. Francoise Berneau alles andere als erfreut.

 

"Keine Sorge Doc, ich schätze die Kanaer nicht so ein, aber wir haben nicht einmal ansatzweise Erfahrung mit anderen Rassen. Wir wissen einfach nicht, was da auf uns zukommt."

 

"Ok, meine Damen und Herren. Sie alle werden einen Bericht erstellen, der auch ihre persönliche Einschätzung enthält. Dr. Rosenthal, sie und ihr Team fertigen bitte eine Studie an, wie sich eine Integration der Kanaer in die menschliche Gesellschaft auswirken würde. Ich weiß, sie haben keine Wirtschaftsexperten zur Verfügung, aber ich denke, diesen Teil können wir vorerst auch auslassen und auf der Erde nachholen. Wir brechen die Mission ab und fliegen nach Hause."

 

"Aber Captain …" warf McWalsh ein.

 

"Ich weiß, wir sollten nicht so einfach den Missionsplan über den Haufen werfen, aber sehen sie es mal anders Major. Unser Ziel war es, möglichst viel Information zu beschaffen. Ich denke wir haben sehr viel Information erhalten. Ich bin mir auch sicher, wenn wir die Daten von Kreftan durchsuchen, finden wir auch Informationen zu unserem Zielsystem. Vielleicht nicht in der Detailtiefe, die wir an sich wollten, aber für einen ersten Eindruck dürfte es reichen. Falls es dort intelligente Lebewesen gibt, steht das sicher in Kreftans Daten. Wir müssen das bisherige Wissen unbedingt zur Erde zurückbringen. Es ist zu wertvoll, als daß wir damit noch warten können. Dr Rosenthal, können sie die astronavigatorischen Daten umrechnen auf unser System und gleichzeitig aktualisieren?"

 

"Grundsätzlich ja, aber das würde unsere Computerkapazitäten überfordern, Captain. Wir haben es hier mit ca. 500 bis 1000 Milliarden Objekten zu tun, wenn man die Kugelhaufen im Halo unserer Galaxis und die beiden Magellanschen Wolken wegläßt. Und da sind nur Objekte dabei, die den Kanaern bekannt sind."

 

"Wie wäre das mit einem Ausschnitt der Galaxis? Sagen wir unser Sonnensystem und ein Umkreis von 100 Lichtjahren plus das Imperium der Uldat. "

 

"Das müßte sich machen lassen, bis wir zuhause sind. 99% der Arbeit macht ohnehin der Computer."

 

Die Mathematik dahinter war nicht sonderlich komplex, aber die schiere Menge der Objekte in der astronomischen Datenbank der Kanaer machte das Gesamtvolumen anspruchsvoll. Das Schiff hatte noch keinen Quantencomputer an Bord, daher würde die Gesamtaufgabe noch etwas warten müssen. Die noch recht neuen Quantencomputer waren einfach noch zu groß und zu schwer für ein Raumschiff. Man verwendete daher noch elektronische Nanorechner mit Lichtwellenleitern. Die Miniaturisierungsschübe bei den Quantenrechnern ließen eigenartigerweise auf sich warten. Sie waren bei weitem nicht mit den Fortschritten bei den Computern des 20. und 21. Jahrhunderts zu vergleichen.

 

"Gut. Möchte sonst noch jemand etwas dazu sagen?"

 

Da sich niemand meldete, setzte McPherson fort:"Commander Grischenko, bereiten sie alles für den Rückflug vor - gründlich und ohne Hast. Wir werden morgen um 09:00 noch einen kurzen Vorbeiflug an History unternehmen und Kreftan unsere Entscheidung mitteilen. Danach geht es nach Hause. Danke, das wäre alles."

 

Damit waren die Diskussionen um den Missionsabbruch beendet. Sie würden heimkehren. Nicht einmal die Wissenschaftler hatten sich dagegen ausgesprochen, was den Captain gewundert hatte.

 

McPherson ging in seine Kabine und hing wie viele andere auch seinen Gedanken nach. Hatte er das Recht beziehungsweise die Verpflichtung, die Mission beim aktuellen Stand der Dinge abzubrechen? Er verfluchte innerlich die Tatsache, daß er keine Verbindung mit dem Flottenkommando aufnehmen konnte. Er wußte zwar, daß sich das mit der Übernahme des Hyperfunks der Uldat ändern würde, aber das war im Moment nur ein schwacher Trost.

 

McPherson hatte sich kaum an den kleinen Schreibtisch in seiner Kabine gesetzt, als es an der Tür klopfte.

 

"Herein." sagte er laut und deutlich. Der Computer gab automatisch die Tür frei.

 

Sein 2. Offizier LCDR Drake trat ein:"Captain, darf ich sie kurz stören?"

 

"Klar. Kommen sie rein Commander und setzen sie sich. Darf ich ihnen etwas anbieten?"

 

"Tee, Darjeeling ohne alles." antwortete Drake und nahm Platz.

 

McPherson tippte den entsprechenden Code in den Ausgabeautomaten. Während der Minute, die der Automat brauchte, um den Tee zu produzieren, lehnte er sich neben dem kleinen Besprechungstisch an die Wand.

 

"Was kann ich für sie tun, Steve?"

 

"Mir ist während der Nachbesprechung eine Idee gekommen. Sie hat aber etwas Sprengstoff in sich."

 

"Na dann mal raus damit." munterte McPherson seinen 2O auf und stellte ihm den Tee auf den Tisch.

 

"Wie wäre es, wenn wir Kreftan gleich mitnehmen würden? Ich meine, er muss sich zwar um seine Artgenossen kümmern, aber ich denke, wenn erst mal ein paar wach sind, ist er entbehrlich. Als deren ehemaliger Außenminister brauchen sie ihn wohl kaum für das tägliche Überleben in ihrer momentanen Situation. Uns und unserer Regierung würde es helfen, die Kanaer besser kennenzulernen. Ich denke, die Entscheidungsfindung des Regierungsrates wäre dann fundierter."

 

"An sich eine gute Idee Steve. Aber wie überzeugen wir Grischenko davon, daß er dann nicht das Schiff übernimmt und die Erde bombardiert?"

 

"Wir können ihn von allen Informationen ausschließen, mit der er die kosmische Position der Erde ermitteln könnte. Innenkabine mit abgeschaltetem Terminal beim Hinflug, kein Zutritt zur Zentrale oder in die astronomische Sektion etc. Er dürfte dann auch keinen Blick in den Weltraum bekommen, bevor wir gelandet sind. Wer weiß, ob er nicht ein fotografisches Gedächtnis hat und sich die Sternkonstellationen merken kann. Daraus könnte er dann unsere Position ausrechnen, wenn er wieder hier wäre."

 

"Einen solchen Vorschlag hätte ich eher von den Wissenschaftlern erwartet." antwortete McPherson mit einem Grinsen und setzte sich Drake gegenüber an den Tisch. Dann setzte er fort:"Das wäre ein durchaus erhebliches Risiko, nicht nur für uns. Ist es das wert?"

 

"Das muß Gott sei Dank nicht ich entscheiden Captain, sondern sie." grinste Drake zurück.

 

McPherson mochte den smarten 2O. Er nahm sich selten ein Blatt vor den Mund. Er lehnte sich zurück und fixierte Drake:"Diesmal ja Steve, aber sie sind am besten Weg zum eigenen Kommando. Und ich denke, es wird kein Frachter sein, den man ihnen dafür anvertraut."

 

"Vielen Dank für ihr Feedback Captain. Aber lassen wir das einfach auf uns zukommen. Ich bin meiner Ansicht noch nicht so weit."

 

"Es wird nicht mehr allzu lange dauern. Meine Empfehlung wird im Abschlußbericht der Mission stehen. Ihr nächster Einsatz wird mit ziemlicher Sicherheit als XO sein. "

 

"Da ist übrigens etwas, was mir nicht sonderlich gefällt an der Situation. Kann die Flotte eine entsprechende Anzahl von Schiffen für so eine Mission innerhalb von 5 Monaten ausrüsten? Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß der Rat auch erst eine Entscheidung treffen muß und das kann bei der Politik dauern."

 

"Die Flotte hat Pläne für ein massives Auswanderungsprogramm. Die Planungen sehen vor, daß bis zu unserer Rückkehr eine kleine Flotte von Großraumfrachtern mit Tiefschlafpassagiermodulen bereit steht. Vorgesehen ist, daß die Leute während des Fluges in Tiefschlaf versetzt werden. Dadurch würde sich der Aufwand und der Platzbedarf stark reduzieren. Ein einziger Transporter sollte da genügen, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe."

 

"Tja, dann müßten wir also die erwachten Schläfer wieder zu Bett bringen mit Medikamenten, die auf unseren Organismus abgestimmt sind. Ob ihnen das gut tut? Da müßte Kreftan schon mit eigenen Ressourcen aufwarten, nehme ich an."

 

McPherson nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse:"Kreftan verfügt über diese Option."

 

"Captain, sie haben ihn schon gebeten mitzukommen, oder?"

 

"Ja, habe ich. Er trifft gerade die Vorbereitungen dafür. Er ist auch mit allen Bedingungen zur Verschleierung der Position des Sonnensystems einverstanden. Zwei seiner Artgenossen wachen wahrscheinlich gerade jetzt auf, um die Vorbereitungen für die Übersiedlung zu treffen. Wir holen ihn morgen früh ab. Er wird mit einem eigenen Raumgleiter einschiffen, den er der Erde schenkt."

 

"Ein netter Einstand, wenn man bedenkt, wie weit uns die Kanaer in technischer Hinsicht voraus sind."

 

"Ja, ich denke es soll ein kleiner Anreiz für die Erde sein, sein Angebot anzunehmen."

 

Drakes Neugier war gestillt. Er wechselte wieder zu einem unverfänglicheren Thema:"Gibt es noch irgendetwas Spezielles zu tun für mich, Captain?"

 

"Nein, im Moment nicht. Nur allgemeine Bordroutine. Achja, lassen sie noch den Deckel auf der Kreftan-Geschichte, ja?"

 

"Ja, Sir. Dann darf ich mich wieder verabschieden. Ich möchte sie nicht allzu lange aufhalten. Danke für den Tee."

 

"Gern geschehen Steve. Und sie haben mich nicht aufgehalten."

 

Damit stand Drake auf und verließ die Kabine des Captains. Er hatte schon geahnt, daß McPherson nicht nur wegen einer Verabschiedung per Funk zurück nach History wollte.

 

Am nächsten Tag fand um 08:00 Bordzeit das Briefing der leitenden Offiziere statt. Der kleine Konferenzraum in unmittelbarer Nähe der Brücke, war bis auf den letzten Platz belegt. An sich gab es vier Plätze mehr als notwendig, aber McPherson hatte zusätzlich noch die Psychologin Melanie Cavanaugh, beide Schiffsärztinnen, die Historikerin Stella Carrigan und die Linguistin Marciela Peltonyemi eingeladen.

 

McPherson nahm wie immer sein Recht in Anspruch, als letzter zu erscheinen. Auf der Brücke tat die Ersatzmannschaft Dienst während das Alpha-Team im Briefing saß.

 

"Guten Morgen. Bitte, nehmen sie Platz. Sie werden sich wundern, warum ich sie zu einem erweiterten Briefing gebeten habe. Der Grund ist recht einfach erklärt. Kreftan wird um genau 8:45 mit einem eigenen Raumgleiter einschiffen und uns zur Erde begleiten."

 

Rund um den Tisch sah man ausser bei Grischenko und Drake erstaunte Gesichter.

 

"Aber Captain! Die medizinischen Folgen …"

 

"Scheint es nicht zu geben, Sarah. Wir leben alle noch, obwohl das Bodenteam Kontakt zu Kreftan hatte." unterbrach sie McPherson.

 

"Captain, 45 Minuten sind etwas kurz, um dieses Thema ausführlich zu behandeln, meinen sie nicht auch?" fragte Rosenthal.

 

"Stimmt. Andererseits kann man über dieses Thema wohl auch ein Jahrhundert diskutieren und trotzdem zu keiner Lösung kommen. Es läßt sich immer ein neues Argument dafür oder dagegen finden."

 

McPherson machte eine wohlüberlegte Pause. Dann blickte er zur Psychologin Melanie Cavanaugh: "Was mir mehr Sorgen macht, sind die psychologischen Auswirkungen auf unsere Crew. Werden wir wieder in den alten Rassismus früherer Jahrhunderte verfallen?"

 

"Das kann ich ihnen leider nicht beantworten Captain. Ich denke diese Situation ist eine ganz andere und mit nichts vergleichbar, was es in der Geschichte der Menschheit bisher gegeben hat. Es kann sein, daß die Crew reif genug ist dafür, aber ist es auch der Rest der Menschheit? Kreftans Anwesenheit auf der Erde zu verheimlichen könnte schwierig werden. Offen kommunizieren könnte aber auch gefährliche Reaktionen provozieren. Dazu kommt noch, daß wir über Kreftans Rasse nicht allzu viel wissen."

 

"Da muss ich ihnen widersprechen Melanie." bemerkte McPherson und nickte der Archäologin Stella Carrigan zu.

 

"Wir wissen nach Auswertung der Daten, die wir von Kreftan erhalten haben, mittlerweile einiges über die Kanaer. Wir wissen definitiv, daß wir Abkömmlinge der gleichen Rasse sind. Aus den Aufzeichnungen der Kanaischen Frühgeschichte geht hervor, daß sie genetisch Abkömmlinge einer anderen Rasse sind, die sich vor Jahrhunderttausenden über die Galaxis ausgebreitet hatte. Von dieser - ich nenne sie einmal erste Menschheit - wurde die Galaxis nach einem wohl durchdachten Plan durch die Injektion von Genmaterial auf den verschiedensten Planeten kolonisiert. Dieser Plan sollte sicherstellen, daß die Erbmasse nie verschwinden würde. Wir haben in den Daten weiters die Liste der Planeten gefunden. Einer dieser Planeten war die Erde."

 

"Aber wo sind sie dann alle hingekommen? Wir wissen nichts von hochentwickelten Vorfahren." fragte Cavanaugh nach.

 

"Es gab in der Geschichte der Galaxis mehrere große Kriege. Einer davon hat die erste Menschheit nahezu ausgelöscht. Alle Rassen mit einer ähnlichen Biologie wie wir sind Reste dieser Urzivilisation. Vor ca. 12.000 Jahren brach damals in der Galaxis ein weiterer vernichtender Krieg aus. Das Reich der Kanaer - ich nenne sie die zweite Menschheit - geriet mit einer anderen Rasse aneinander - beide Rassen humanoid wie wir. Das Schlachtfeld umfaßte weite Teile der Milchstraße. Der Gegner damals hieß Ulans. Die zweite Menschheit rottete die Ulans aus, doch die Reste der Kanaer fielen zurück in Barbarei. Die Hauptwelt der Kanaer war vernichtet worden."

 

Schweigen ergriff die Runde. Wieder einmal hatte sich das Bild der Wissenschaft von einer Minute auf die andere völlig gewandelt. Und das würde erst der Anfang sein.

 

"Das heißt also, daß Kreftan eigentlich genauso Mensch ist wie wir?" fragte Drake nach - mehr um es in die Gehirne der Leute einzubrennen als zu einem anderen Zweck.

 

Carrigan lehnte sich zurück: "In gewissem Sinne ja, Commander."

 

"Hoffentlich sieht er das auch so und verhält sich uns gegenüber loyal." brachte es der Taktikoffizier Yamato auf den Punkt.

 

Grischenko räusperte sich:"Davon würde ich nicht ausgehen. Wir müssen damit rechnen, daß seine Loyalität ausschließlich seinem Ableger der Menschheit gehört. Es wird ihre und Major McWalshs Aufgabe sein sicherzustellen, daß uns daraus kein Schaden entsteht. Außerdem weiß Kreftan noch gar nichts von seiner Verwandtschaft mit uns, wenn er es auch sicher ahnt."

 

"Was meinen sie mit in gewissem Sinne?" hakte Drake nach.

 

Die Genetikerin Patricia McLovett sprang für Carrigan in die Bresche: "Naja, sie dürfen sich die Kolonisation nicht so vorstellen, wie man sie aus der irdischen Geschichte kennt, als z.B. die Spanier Teile Amerikas kolonisierten. Die erste Menschheit errichtete bis auf einige Ausnahmen keine Kolonien im Sinne dessen, was wir darunter verstehen. Sie impften die Biosphäre der Zielplaneten mit Genmaterial. Sie stellten dazu einen Gen-Pool der Biosphäre ihres eigenen Planeten zusammen. Dazu mußten sie auch Anpassungen vornehmen. Das geht eindeutig aus dem Material von Kreftan hervor. Sie haben nicht in Jahrzehnten gedacht sondern in Jahrmillionen."

 

Carrigan setzte fort: "Und noch etwas geht aus den Daten hervor, Captain. Auf jeder geimpften Welt oder sehr in der Nähe gab es auch eine Art Kontrollsystem, das in gewissem Umfang befähigt war, in die genetische Weiterentwicklung einzugreifen.

 

Dimitri Stanitakis fuhr mit den Fingern seinen dichten Schnauzbart entlang: "Sir, kann es sein, daß die Uldat sich als legitime Nachfolge der Ulans oder sogar auch der ersten Menschheit betrachten und aus irgendeinem Grund die anderen humanoiden Rassen ausrotten wollen?"

 

"Interessante Frage, nicht wahr Dimitri? Ehrlich gesagt wissen wir es nicht. Die Bezeichnung der beiden Rassen weist Ähnlichkeiten auf, die Vertreter der beiden Rassen selbst sehen sich auch ähnlich, aber nicht so sehr wie wir und die Kanaer. Die Kanaer selbst wissen es auch nicht, aber ihr Zentralrechner hat für diese Hypothese eine Wahrscheinlichkeit von immerhin 62% errechnet." antwortete McPherson.

 

"Das heißt aber auch, falls es zutrifft, daß wir auf der Abschußliste stehen und nicht mal davon wissen. Sollten die Uldat uns jemals finden, dann Gnade uns Gott."

 

Drake folgte dem Gedankengang des Kommunikationsoffiziers: "Daraus ergeben sich für unsere Menschheit zwei Optionen: verstecken oder so schnell wie möglich aufrüsten und in die Offensive gehen. Ich fürchte nur, verstecken wird auf Dauer nicht funktionieren."

 

"Warum nicht Commander?" wollte Rosenthal wissen.

 

"Versuchen sie mal die gesamten elektromagnetischen Emissionen unseres Sonnensystems so einzudämmen, daß sie außerhalb nicht festzustellen sind. Weiters müßten wir die gesamte Raumfahrt sofort einstellen. und einige andere Dinge mehr. Und selbst wenn wir das schaffen, kann uns immer noch durch Zufall ein Raumschiff finden. Wäre ja fast schon mal passiert, wie wir wissen."

 

McPherson nickte beistimmend: "Über die Strategie zu entscheiden, wird Aufgabe des Regierungsrates sein. Ich denke wir werden beratend beigezogen werden, aber mehr schon nicht. Aber Commander Drake hat recht. Strategisch gesehen ist verstecken keine Option - zumindest langfristig nicht."

 

"Aber wie sollen wir mit einem Sternenreich fertig werden, das ca. 2000 Sonnensysteme umfaßt?" fragte Yamato.

 

"Das kann ich ihnen im Moment auch nicht beantworten, aber wir wissen alle, was mit Planeten geschieht, die den Uldat unangenehm sind."

 

"Gut, wir nehmen also unseren Anhalter mit. Spezielle Anweisungen Captain?" fragte Grischenko vollkommen geschäftsmäßig. Er hatte sich wohl mit der Tatsache abgefunden.

 

"Nur für Taktik und unsere Marines. Kreftan ist unter allen Umständen zu beschützen und von Handlungen abzuhalten, die schädlich für uns sind. Ansonsten brauchen wir nur ein verkabeltes Quartier ohne Netzwerkzugriff. Commander Blackhurst wird sich um letzteres kümmern. Wenn er an Bord seines Gleiters bliebe, bräuchten wir nicht mal das, aber das wäre nicht sehr gastfreundlich. Wir starten um 08:30 in einen höheren Sonnenorbit und nehmen Kreftan um 08:45 auf. Danach setzen wir Heimatkurs. Commander Kazinsky, berechnen sie die entsprechenden Kursprogramme und geben sie diese gleich ein. Ziehen sie LT Sherman bei. Commander Grischenko, sie übernehmen das Kommando bis wir auf Überlichtfahrt sind. Commander Drake rückt für diese Zeit zum ersten Offizier auf. Ich werde mich für Notfälle im Hintergrund halten und mich etwas mit Kreftan beschäftigen. Noch Fragen?"

 

"Ja, Sir. Warum der Kommandowechsel?" wollte Drake wissen.

 

"Ich fürchte wir werden bald sehr viele erfahrene Offiziere brauchen, daher werde ich jede Gelegenheit nutzen, unsere Leute voranzubringen. Also dann, wegtreten."

 

Die Sitzung löste sich auf und der Raum leerte sich. McPherson blieb noch eine Weile sitzen und hing seinen Gedanken nach. Ein paar Minuten später erhöhte sich der Maschinenlärm und das Schiff stieg aus der Sonnenkorona auf, um den Gast zu empfangen.

 

Kreftan war püntklich. Sein Raumgleiter war ein schnittiges und elegantes Fluggerät für eine Person. Waffen schien es keine an Bord zu haben. Einerseits beruhigte das McPherson, andererseits war das schade, denn sie würden wahrscheinlich bald jede Waffentechnik brauchen können, derer sie habhaft werden konnten. Das Raumboot setzte elegant und beinahe geräuschlos auf dem Deck der großen Schleuse auf, während sich im Hintergrund die Schleusentore wieder schlossen. McPherson hatte auf eine Dienstwaffe verzichtet. Übersetzer trug er keinen bei sich, denn Kreftan hatte ihnen keinen überlassen oder einfach darauf vergessen. An der Seite des Bootes öffnete sich eine Flügeltür wie bei einem dieser alten Sportwagen aus dem 21. Jahrhundert. "Wie hießen die doch gleich? Irgendwas mit L … egal." dachte McPherson.

 

Aus der Schleuse trat ein hochgewachsener schlanker Mann. Er schien um die 30 Jahre alt zu sein. Das dunkelbraune Haar hatte er fast schon militärisch kurz geschnitten. Ihre Blicke begegneten sich. Kreftan trug einen bequemen Anzug, der etwas an eine dunkelblaue Uniform erinnerte und einen Umhang gleicher Farbe. Goldene Zeichen waren in den Umhang gestickt. Die gleichen Symbole entdeckte McPherson auch unter der linken Schulter des Anzugs. Er ging auf den Fremden zu und streckte die Hand zum Gruß aus.

 

"Willkommen an Bord. Mein Name ist Captain Jake McPherson. Wie darf ich sie nennen?"

 

Kreftan ergriff die gebotene Hand und schüttelte sie ganz beiläufig, als hätte er nie eine andere Form der Begrüßung kennengelernt.

 

"Mein Name ist Tanos Kreftan, Minister für auswärtige Angelegenheiten, aber, wenn es ihnen nichts ausmacht Captain, bleiben wir einfach bei unseren Familiennamen. Schließlich haben wir hier keinen Bedarf an einem Minister."

 

McPherson empfand Sympathie für diesen offenen und direkten Menschen.

 

"Gerne Kreftan. Wir haben ein Quartier für sie vorbereitet."

 

"Das wäre nicht notwendig gewesen, Captain. Mein Gleiter ist groß genug für die Reise."

 

"Mag sein, aber was hätten sie für einen schlechten Eindruck von unserer Gastfreundschaft? Ich lasse ihnen gerne die freie Wahl: ihr Gleiter oder unsere Offizierskabine. Ich habe ein Informationsprogramm für sie zusammengestellt. Führung durch das Schiff, ein Einblick in unsere Geschichte und Kultur und am Abend ein Dinner mit den Kommando-Offizieren des Schiffes. Ansonsten können sie sich bis auf wenige Bereiche des Schiffes gerne frei bewegen."

 

"Ich nehme an, es handelt sich dabei um die Antriebssektion und die Offensiv- und Defensivwaffensysteme, die ausgenommen sind?"

 

"Tja, sie wissen ja wie das ist. Hinsichtlich dessen, was ihrem Volk passiert ist, müssen auch wir vorsichtig sein."

 

"Sie müssen sich nicht rechtfertigen Captain. Ich würde genauso handeln. Darf ich mich für eine Weile in die Kabine zurückziehen? Ich bin noch etwas geschwächt vom langen Kälteschlaf und es war doch einiges zu tun vor meiner Abreise."

 

"Gern. Ich bringe sie hin. Im Quartier werden sie einen Tablet-Computer finden, der sie mit den wichtigsten Informationen versorgt, damit sie sich nicht verlaufen im Schiff oder ähnliches. Wie kommen ihre Vertreter zurecht?"

 

"Gut. Sie sind ebenfalls Regierungsmitglieder. Der Minister für Inneres und der Minister für Wirtschaftsfragen. Der Erweckungsprozess für alle anderen wurde bereits von ihnen eingeleitet."

 

"Wäre es nicht besser gewesen, damit zu warten, bis unsere Regierung entschieden hat?"

 

"Dann wären laut Statistik noch weitere 30 Konservierte gestorben."

 

"Und wenn unsere Regierung ablehnt?"

 

"Dann werden wir eine andere Lösung finden." schloß Kreftan das Thema bestimmt ab.

 

Mond History

 

"Ob Kreftan es schafft? Wir können hier nicht allzu lange durchhalten. Selbst die festgelegten 6 Monate sind schon schwierig genug ohne unsere Versorgungsanlagen. Hier alles demontieren und verpacken wird auch noch eine Herausforderung. Wir sind solche Arbeiten nicht gewöhnt."

 

Magron Gever drehte sich langsam zu ihm um: "Er wird es schaffen. Sie sind eng mit uns verwandt. Kreftan ist ein geschulter Diplomat. Und unser Angebot ist ja schließlich sehr gut."

 

"Genau das macht mir Sorgen. Sie werden einen Haken suchen, aber keinen finden, weil es keinen gibt. Das wird sie mißtrauisch machen." bemerkte Rafgin Mirun, seines Zeichens Innenminister der Kanaer.

 

"Wir müssen unbedingt Minister Teron schnell einweihen. Als Verteidigungsminister sollte er wissen, was wir tun und uns auch eine erste Einschätzung geben können." meinte Gever.

 

"Ich glaube, Teron kann uns aus strategischer Sicht nicht wirklich behilflich sein. Wir haben schon seit ungefähr 12.000 Jahren keinen Krieg mehr geführt. Niemand aus unserem Volk hat Erfahrung damit." gab Mirun zu bedenken.

 

"Ja, du hast leider recht. Die neue Menschheit wird sich wohl kaum durch Kriege wieder aus dem Staub erheben."

 

Mirun ließ sich in einem der bequemen Sessel vor den Kontrolltafeln nieder:"Diese Kolonisten machen einen sehr agilen und entschlußfreudigen Eindruck. Kreftan mitzunehmen ist doch ein gewisses Risiko für sie. Gut möglich, daß sie noch wissen, wie man Schlachten gewinnt."

 

"Sie haben noch keine einzige Raumschlacht geführt."

 

"Ja, aber nicht der Raum macht den Unterschied, sondern das Denken und Wollen. Wenn man einen Kampf gewinnen will, dann lernt man sehr schnell, worauf es ankommt. Sie machen einen sehr wißbegierigen Eindruck. Sie werden unser Niveau bald erreicht haben."

 

"Es ist an uns, sie dabei zu unterstützen und dann die versprengten Reste des ersten Imperiums zu suchen und zu vereinen." schloß Gever das Thema.

 

Mehrere Sanitätsroboter traten in den Saal ein und begannen damit, die Kühlkammern der Verstorbenen mit ihrem Inhalt abzutransportieren. Nachdenklich und trauernd folgten ihre Blicke den Robots. All diese Menschen, die hier abtransportiert wurden, hatten sie persönlich gekannt. Ein Teil der geistigen Elite der Kanaer war hier 120 Jahre nach dem Angriff gestorben, weil der alte Feind immer noch nicht geschlagen war.

 

TSS EXPLORER

 

Einige Stunden Schlaf hatten ihn erfrischt. Der lange Kälteschlaf war zwar für den Körper nicht wirklich schädlich, wenn man ihn überstand, aber er laugte doch ziemlich aus. Er würde einige Tage brauchen, um wieder zu seiner alten Form zurückzufinden. Vor allem brauchte er eine Vielfalt an Nähr- und Mineralstoffen. Er bezweifelte, daß er seine Bedürfnisse an Bord würde decken können, aus diesem Grund hatte er auch einige Nahrungsmittelergänzer aus dem Depot auf History  itgenommen. Auch war er sich nicht sicher, ob er alles vertrug, was die Nachfahren Geneter, wie sie sie nannten, so zu sich nahmen. Einen Handscanner hatte er ebenfalls eingesteckt, als er gepackt hatte. Er konnte also ernährungsmäßig entspannt der Zukunft entgegen sehen. Die wirkliche Arbeit hatte allerdings schon begonnen. Er mußte lernen, sie zu verstehen - nicht nur verbal sondern auch die Mimik und Gestik der Verwandten auf der Erde.

 

Kreftan aktivierte den Tablet-Computer auf dem kleinen Tisch seiner Kabine und verschaffte sich einen groben Überblick über die Inhalte. Natürlich hatte das Gerät keinen Zugang zum Computernetz des Schiffes. Er hatte nichts anderes erwartet. Er wußte, daß er sich diesen Zugang verschaffen könnte, aber das würde nur Mißtrauen hervorbringen, sollte er entdeckt werden. Und eine Entdeckung war gar nicht so ausgeschlossen. Er studierte die Sicherheitsprotokolle des kleinen tragbaren Computers und wurde positiv überrascht, wie weit die Computertechnologie der Kolonisten bereits war. Sie war nur marginal schlechter als die seines eigenen Volkes.

 

"Sir, unser Gast analysiert gerade die Sicherheitsprotokolle des Tablets." meldete Yamato.

 

"Interessant. Bin gespannt, wie weit er geht."

 

"Nicht sehr weit. Er hat sie studiert und dann abgebrochen. Er hat keinen Versuch gemacht, sie zu umgehen oder ähnliches."

 

"Na dann ist er wenigstens höflich genug, es zu lassen. Ist ja auch schon etwas wert." meinte Grischenko brummend. Er war mit McPhersons Entscheidung, den Fremden mitzunehmen, nicht einverstanden.

 

Das Schiff beschleunigte derzeit mit Höchstwerten. Man wollte so schnell wie möglich aus dieser unsicheren Gegend verschwinden. Nach zehn Minuten gaben die Kondensatoren und die Energieumformer ihre Gewalten an die Hyperfeldgeneratoren ab. Die Generatoren der Hyperfelder heulten auf und rissen das Schiff aus dem vierdimensionalen Einsteinraum in den Hyperraum hinein. Die 20 Lichtjahre hatten sie auf dem Hinweg in fünf Tagen zurückgelegt. McPherson hatte für den Rückflug fast das doppelte Tempo angeordnet. Sie wollten in 3 Tagen im Heimatsystem Sol sein. Mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit raste das Schiff durch den Hyperraum. Die Geschwindigkeit war eine fiktive, denn eigentlich verkürzte sich im Hyperraum ja nur die Entfernung. Man betrog sozusagen die Natur und täuschte damit Überlichtgeschwindigkeit vor.

 

Alle 24 Stunden würden die Maschinen pausieren. Das würde Zeit für Überprüfungen geben und die Maschinen auch entlasten. Chefingenieur Lieutenant Commander Blackhurst hatte sich dafür ausgesprochen und dafür ein höheres Tempo in Kauf genommen. Die Antriebsaggregate waren aufgrund ihrer Komplexität trotz aller Tests und Absicherungen immer noch etwas anfällig für Reparaturen.

 

Grischenko und Rosenthal hatten sich im Bereitschaftsraum des Captains eingefunden. Einige Fragen waren noch offen für die beiden.

 

"Was kann ich für sie tun, meine Herren?" eröffnete McPherson das Gespräch.

 

Rosenthal brachte die Sache auf den Punkt:"Einfach und direkt Captain: wie bringen wir es dem Flottenkommando und auch der Regierung bei, daß wir einen Fremden an Bord haben? Es wäre gut möglich, daß sie ihn internieren und das war es dann."

 

"Das würde nicht viel bringen. Kreftan ist Außenminister und kein Wissenschaftler. Die Tiefe seines technischen Wissens ist beschränkt, wenn gleich er über eine sehr große Allgemeinbildung verfügt. Ein Test am Lügendetektor wird das jederzeit beweisen." antwortete McPherson. "Wenn die Erde also alles haben, aber nichts geben will, dann wird das eine sehr ertragsarme Angelegenheit für unsere Menschheit."

 

Grischenko gab seinen Gedanken ebenfalls nach: "Und wie verständigen wir das Flottenkommando davon, ohne daß der Rest der Bevölkerung etwas mitbekommt? Es wird schließlich für Aufregung sorgen, wenn wir zwei Wochen nach Abflug schon wieder nach Hause kommen. Ein Monat oder auch zwei zu früh ließen sich ja vielleicht noch begründen, aber gleich mehr als 94% der geplanten Reisezeit …"

 

"Das Flottenkommando zu verständigen ist kein Problem. Es gibt spezielle Geheimbefehle dafür, die für den gesamten Missionsverlauf gelten, sobald wir wieder im Sonnensystem sind. Die zweite Frage ist schon etwas komplizierter. Wir müßten uns im Sonnensystem irgendwo ein paar Wochen verstecken, bis entschieden wurde, wie der Regierungsrat weiter vorgehen wird. Sobald alles offiziell wird, könnten wir auch offen zurückkehren. Allerdings wäre es mir lieber, diese Heimlichtuerei zu vermeiden."

 

"Bei dem Verkehrsaufkommen im Sonnensystem könnte das schwierig werden, Sir. Das geht maximal ein paar Tage gut. Ich würde fünf oder sechs schätzen."

 

"Da haben sie sicher recht Juri. Ich würde es sogar noch etwas pessimistischer einschätzen - maximal vier Tage. Immerhin müßten wir hin und wieder die Triebwerke anwerfen. Ein Impulstriebwerk löst in diversen astronomischen Instrumenten fast schon ein Feuerwerk aus und Hobbyastronomen gibt es viele. Sonst noch Fragen Gentlemen?"

 

Wir werden im freien Raum auf der Jupiterbahn herauskommen. Dort gehen wir auf Emission Control und schicken eine Botschaft ans Flottenkommando. Admiral Yamato wird ein sehr schnelles Kurierboot mit neuen Befehlen schicken."

 

Der Flug selbst verlief ereignislos. Nur die zwei Wartungsperioden für den Hyperantrieb unterbrachen die etwas langweilige Routine. Kreftan war mit den unsensiblen Bereichen des Schiffes vertraut gemacht worden. Außerdem hatte er sich mit den verschiedensten Themenbereichen rund um die Menschheit beschäftigt und die Bordbibliothek ganz gezielt durchforstet. Er war vertraut mit den Grundzügen von Regierungssystem, Rechtsprechung, Bildungswesen, Sozialwesen, Wirtschaft und Wissenschaft. Sein Gehirn nahm die Informationen in einer Geschwindigkeit auf, die unter der Crew Erstaunen auslöste. Dabei behauptete er, auch Menschen könnten das , wenn sie nur die richtige Methode anwenden würden. Die Offiziere nahmen diese Aussage vorerst einfach als gegeben hin.

 

Mond History

 

Es verlief alles nach Plan. Die letzten Konservierten erwachten. Diejenigen, die nicht mehr erwachten, wurden von der vollautomatischen Sanitätsstation eingeäschert - der übliche Prozess der Bestattung bei den Kanaern. 1620 Kanaer konnten wiederbelebt werden. Das waren um 3,2% mehr als die Statistik erwarten hätte lassen. Einerseits waren alle froh darüber, daß es so viele waren, und trotzdem schmerzte der Verlust von 880 Gefährten. Andererseits waren es mehr als die Statistik vorhergesagt hatte, das würde die Versorgungslage schwieriger machen.

 

Magron Gever hatte zwischenzeitlich die Organisation übernommen, bis der Wissenschaftsminister Ichtyn Lagros wieder voll handlungsfähig war. Lagros war in seiner Position der Tradition zufolge auch der Ratsvorsitzende und somit der Regierungschef der Kanaer. Lagros war nicht mehr der Jüngste gewesen, als das Konservierungsprogramm begonnen hatte. Mit 113 Jahren und einer durchschnittlichen Lebenserwartung der Kanaer von ca. 140 Jahren vertrug er die Konservierung zwar noch, aber er hatte drei Tage gebraucht um sich zu erholen. Der dynamische Gever hatte ihn aber gut vertreten.

 

Nachdem sich Lagros wieder als arbeitsfähig betrachtete, hatte er bei Gever um einen Termin ersucht. Gever hatte sofort zugestimmt und vorgeschlagen, bei Lagros vorbeizukommen. Dieser hatte jedoch gemeint, es eile nicht und er komme auch gern bei Gever im Büro vorbei. Gever hatte darüber lange nachgedacht. Lagros war eindeutig der Ranghöhere, und er kam trotzdem zu seinem untergeordneten Mitarbeiter? Das würde kein einfacher Termin zur Übergabe der Regierungsgeschäfte an Lagros werden, dessen war sich Gever sicher.

 

Als es an der Tür klingelte, öffnete Gever sie vom Schreibtisch aus und ging seinem Vorgesetzten entgegen. Wirtschaftsminister Gever hatte förmlichere Kleidung gewählt, um Lagros zu ehren.

 

"Guten Morgen Vorsitzender Lagros! Darf ich ihnen etwas anbieten?" eröffnete Gever das Gespräch.

 

"Guten Morgen Minister Gever. Ein Tilan wäre mir sehr angenehm."

 

"Gerne. Nehmen sie doch bitte Platz."

 

Gever ging hinüber zur kleinen Bar und bereitete ein teeähnliches Getränk namens Tilan für seinen Vorgesetzten.

 

"Was kann ich für sie tun Vorsitzender?"

 

"Üblicherweise sollte jetzt die Übergabe der Regierungsgeschäfte an mich erfolgen Minister Gever, aber ich denke es ist an der Zeit, angesichts der Realitäten eine Änderung herbeizuführen."

 

Gever war erstaunt, ließ sich aber nichts anmerken:"Wie darf ich das verstehen?"

 

"Ganz einfach. Ich werde zurücktreten und das Feld einem jüngeren und agileren Mitglied der Gemeinschaft überlassen."

 

"Oh, aber wir verlieren dann ihre Erfahrung an der Spitze …"

 

"Ach was. Selbstverständlich werde ich mit meinem Rat zur Verfügung stehen, wenn mich jemand danach fragt. Ich glaube aber ein frischer Wind würde uns ganz gut tun."

 

"Das heißt, sie werden ihren Stellvertreter Arman Merin als neuen Vorsitzenden vorschlagen."

 

"Sie wissen genauso gut wie ich, daß Merin kein Politiker ist. Er ist ein sehr guter Wissenschaftler, aber das ist auch schon alles. Außerdem ist er 101 Jahre alt und daher wohl kaum ein frischer Wind. Ich dachte eher an sie Gever."

 

Gever fiel fast das Glas mit dem Tilan aus der Hand. Was Lagros da vorschlug, war wider jede Tradition. Seit ungefähr 12.000 Jahren kam der Regierungschef der Kanaer immer aus der Akademie der Wissenschaften und war daher ein Vollblutwissenschaftler. Er selbst war einfach ein Wirtschaftsexperte, aber kein Wissenschaftler.

 

Er faßte sich und stellte als erstes das Glas auf dem Schreibtisch ab. Dann lehnte er sich zurück und ließ den Gedanken noch etwas einsickern, bevor er antwortete:"Das wäre eine völlige Abkehr von den Gepflogenheiten, die wir seit gut 12.000 Jahren einhalten. Ist ihnen bewußt, was sie damit unter Umständen auslösen?"

 

"Wenn sie nicht wollen, dann findet sich jemand anders."

 

Gever schwankte zwischen der angebrachten Höflichkeit dem Regierungsoberhaupt gegenüber und der hier scheinbar notwendigen harten Darstellung der Fakten.

 

"Um das schlichte Wollen geht es nicht, Vorsitzender. Sie brechen jene Strukturen auf, die uns 12.000 Jahre lang gute Dienste geleistet haben."

 

"Sind sie sicher, dass die Dienste so gut waren? Immerhin ist unsere Rasse fast vollständig ausgerottet. Soweit wir wissen gibt es nur mehr uns und die wiederentdeckte Kolonie Erde. Wieviele werden dort leben? Zehn Milliarden? Das ist nichts im Vergleich zu unserem alten Feind. Außerdem sind wir auf sie angewiesen. Es müssen vernünftige Verträge ausgehandelt werden und wir müssen ihre Zivilisation schnellstmöglich weiterbringen in der Entwicklung. Das sind Aufgaben, die ein Wissenschaftler wohl nicht so einfach erfüllen kann. Dazu bedarf es Männer und Frauen, die es verstehen zuzupacken, die Probleme auf den Punkt genau zu adressieren und mit den Erdbewohnern gemeinsam zu einer Lösung zu bringen. Da sind sie meiner Ansicht nach am besten dafür geeignet. Mein Vorhaben ist also eine rein logische Angelegenheit."

 

"Vielen Dank für das Lob Lagros. Normalerweise folgt der Rat der Empfehlung des Vorsitzenden. In diesem Fall könnte das problematisch werden."

 

"Nein, der Rat steht ebenfalls hinter dieser Entscheidung. Das wurde schon vor der Konservierung beschlossen. Ihre perfekte Organisation hier hat nur bewiesen, wie richtig diese Entscheidung ist. Merin wird damit leben müssen oder abtreten. Sie werden ihn vielleicht zum Feind haben, vielleicht auch nicht. Damit müssen sie leben."

 

"Sie wissen, ich bin Demokrat Lagros. Die Oligarchie der letzten 12.000 Jahre ist etwas, was ich nicht gut heiße. Ich werde also versuchen, das zu ändern."

 

"Das ist ihr gutes Recht. Wenn sie den Wissenschaftsrat überzeugen können, soll es mir recht sein. Da auf der Erde auch eine Demokratie herrscht, wird uns ohnehin nichts anderes übrig bleiben, als uns dort einzugliedern und anzupassen. Wie haben sie sich die Zusammenarbeit mit der Erde eigentlich vorgestellt?"

 

"Ich bin dabei ein Konzept zu entwerfen. Ich werde es Kreftan dann übermitteln. Die Grundzüge sehen so aus, daß wir auf der Erde als ein oder mehrere Wissenschaftsunternehmen auftreten und unsere Technologie auf dem freien Markt für die Verwertung anbieten. Dazu müssen wir unsere Produkte von der Entwicklung in die Produktion bringen. Die Produktion wird aber über alteingesessene Firmen der Erde laufen müssen, da wir diese Kapazitäten nicht haben. Mit der Zeit werden unsere Erfindungen alltäglich und wir müssen uns weiterentwickeln. Das erhöht einerseits den Druck auf uns, aber andererseits auch den Ehrgeiz der Erdlinge. Irgendwann werden auch die Grenzen zwischen den zwei Völkern verschwinden. Ich denke, das wird eine vielleicht auch zwei Generationen dauern, bis wir vollständig sublimiert sind. Die Unterschiede sind ohnehin so gering, daß auch eine biologische Vermischung möglich ist. Das haben wir schon mit menschlicher DNA getestet."

 

"Das ist auch meine Ansicht. Wir werden wahrscheinlich auch mit einem gewissen Rassismus zu kämpfen haben, wenn unsere Existenz offiziell bekannt wird. Wenn ich Kreftans Daten richtig interpretiere, sind die Menschen der Erde sehr agil und kriegerisch aber auch sehr erfinderisch."

 

"Darf ich sie noch um einen Aufschub von einem Tag bitten Lagros? Ich möchte gerne in Ruhe darüber nachdenken."

 

"Gern. Ich komme morgen zur gleichen Zeit wieder zu ihnen. Bitte keine Kommunikation über dieses Thema - egal mit wem und über welches Medium. noch weiß es außer dem Rat niemand."

 

"Wie sie wünschen, Vorsitzender Lagros."

 

Lagros erhob sich: "Gut, dann bis morgen früh."

 

TSS EXPLORER

 

Das Schiff kam aus der letzten Hyperraumetappe. Jupiter war zur Zeit auf der anderen Seite der Sonne. Nicht allzu weit voraus konnten sie die ersten Ausläufer des Asteroidengürtels sehen. Sie waren sehr nah vor dem Gürtel herausgekommen. Auf McPhersons Befehl hin ging das Schiff sofort in den Emission Control Modus - von der Besatzung auch oft scherzhaft Stealthmodus genannt. Die EXPLORER selbst besaß allerdings keine Stealthfähigkeiten, die einer besonderen Erwähnung wert gewesen wären.

 

"Captain, wir sind da - 100km von der angesteuerten Position entfernt." meldete sich Kazinsky vom Pilotensitz aus.

 

Die Ortung machte sich auf die passive Suche nach irgendwelchen Emissionen, die auf nahe Schiffe schließen ließen. Entdeckt wurde nichts außer einem alten Prospektorenschiff, das am inneren Rand des Asteroidengürtels Metalle abbaute.

 

"Kommunikation, führen sie Programmsequenz Tango-Sierra-Whisky-Xray-17 aus."

 

Stanitakis gab den codierten Befehl in seine Konsole:"Sir, der Computer verlangt einen Autorisierungscode."

 

"Geben sie ein: Beta-Gamma-215236-Phi-13." ordnete McPherson an.

 

"Kommando-Code auf Admiralsebene. Code akzeptiert.Vorbereitete Sendung durchgeführt, Sir."

 

"Gut. Gesamte Kommunikation nach außen deaktivieren und mit Kommando-Code sperren."

 

"Erfolgt, Sir."

 

McPherson legte auf der Armlehne seines Kommandosessels einen Schalter um:"Hier spricht der Captain. Wir haben unser Heimatsystem wieder erreicht. Derzeit stehen wir zwischen der Jupiterbahn und dem Asteroidengürtel. Jupiter ist auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne. Wir haben die Admiralität verständigt und über die aktuelle Situation informiert. Das Flottenkommando hat jetzt 48 Stunden Zeit zu reagieren. Falls keine Reaktion erfolgt, sind wir laut unseren Befehlen ermächtigt, die Erde anzufliegen und auszuschiffen. Es sind also alle Crewmitglieder ab sofort auf Freiwache ausgenommen die Bereitschaften. Das wäre vorerst alles."

 

Erde - Flottenhauptquartier

 

Commander Liu Song blickte auf, als ein Prioritätssignal auf seinem Bildschirm erschien. Er wunderte sich, was wohl so wichtig sein konnte. Als er den Code erblickte, wußte er zwar noch immer nicht, was los war, aber der Empfänger der Nachricht war auf einmal sonnenklar. Admiral Yamato war nur eine Tür weiter in seinem Büro. Eine Besprechung mit einigen Offizieren war vor wenigen Minuten zu Ende gegangen.

 

Er kopierte die Nachricht auf einen Speicherchip und löschte sie unwideruflich von seinem Terminal. Dann ging er weiter in Admiral Yamatos Büro. Als sein Adjutant und auch Leibwächter brauchte er nicht zu klopfen. Er hatte immer Zutritt zum Oberkommandierenden der Flotte.

 

"Sir, ich habe hier eine P1 Nachricht. Verschlüsselung mit ihrem eigenen Code."

 

Yamato nahm den kleinen Chip entgegen und betrachtete ihn ein paar Sekunden gedankenverloren:"Danke Liu."

 

Song wußte, daß er jetzt keine Information darüber erhalten würde, was vorging und verließ das Büro.

 

Kaum hatte sich die Tür hinter Song geschloßen, als Yamato den Chip in ein Wiedergabegerät schob. Dieses Gerät war vollständig abgekapselt von allen Netzwerken und daher sicher.

 

Er las die Nachricht mit Erstaunen:

 

------------------ HEADER VON: MCPHERSON JAKE, CAPT, TSS EXPLORER DATUM/UHRZEIT: 2157-08-29 / 1623 AN: YAMATO HIRYU, ADM, FLEET-HQ, ERDE PRIORITAET: 1 BETREFF: STATUS KRITISCH ------------------ BEGIN MESSAGE Situation sicher aber kritisch. Ersuche um Einleitung Sondermaßnahme 23-Alpha.

 

McPherson

 

------------------ END OF MESSAGE

 

Er lehnte sich einige Minuten in seinem bequemen Bürosessel zurück und überdachte die Situation. Die EXPLORER hatte er nicht so schnell zurückerwartet. Andererseits konnte er sich im Moment nichts vorstellen, was eine derart dringende Meldung an ihn erfordern würde. Innerhalb der gesamten Flotte gab es derzeit keine Vorkommnisse dafür.

 

Sondermaßnahme 23-Alpha bedingte eine Prüfung der aktuellen Situation vor Ort, bevor das Schiff zurückkehren konnte. 23-Alpha sah auch vor, daß die EXPLORER Funkstille wahren würde, um unentdeckt zu bleiben, da ein Bekanntwerden der Rückkehr des Schiffes auf der Erde unter Umsänden gefährlich werden konnte. Die Warteposition der EXPLORER war schon vor dem Start festgelegt worden.

 

Yamato griff nach dem Kommunikator:"Commander Song, lassen sie mein Schiff für einen Blitzstart klar machen. Ich starte in 15 Minuten und werde voraussichtlich 48 Stunden abwesend sein. Setzen sie den Vorsitzenden darüber in Kenntnis, daß eine Situation mit Priorität 1 vorliegt, ich aber noch keine näheren Informationen habe. Umgruppierung der Flotte nach Plan Gamma-17. Ausführungsmeldung an mein Schiff und meinen Kommunikator."

 

Song sprang von seinem Stuhl und betrat gemessenen Schrittes aber doch mit sichtlicher Hast das Büro des Admirals:"Wo geht die Reise hin, Sir?"

 

"Tut mir leid Liu, aber dieses Mal müssen sie hier bleiben. Ich werde alleine fliegen."

 

"Sir, mit allem Respekt. Das ist gefährlich."

 

"Ich weiß. Aber das ganze Leben ist ein Risiko Liu."

 

Yamato ging rasch aber nach außen entspannt Richtung Lift. Eine Minute später war er im Untergeschoß des Hauptquartiers. Auf dem Weg zu seiner Admiralsyacht dachte er nach, was McPherson bewogen haben konnte, seine Mission abzubrechen. Der Captain der EXPLORER war als gewissenhafter Offizier bekannt und auch bei seinen Crews immer beliebt gewesen. Die EXPLORER-Crew war die Elite der Flotte, sie würde nicht so schnell aufgeben.

 

An der flotteneigenen Röhrenbahn angekommen, setzte er sich in die erste Turbokabine. Dort tastete er sein Ziel ein und startete. Die 5km zum Hangar seiner Dienstyacht legte er in wenigen Minuten zurück. Eine Minute vor dem geplanten Starttermin betrat er die Yacht. In der Pilotenkanzel angekommen, ging er die Preflight-Checkliste durch und forderte Starterlaubnis an. Er meldete seinen Flug als außerplanmäßige Inspektion mit ungefähr 48 Stunden Dauer an. Die Gerüchteküche in der Flotte würde die Runde machen, und alle Kommandanten würden auf eine Inspektion warten - diesmal allerdings vergeblich.

 

"Flug 32-XZ, sie haben Startfreigabe für Fluchtvektor 12-33-69. Auf Höhe 200 haben sie Erlaubnis für freies Manövrieren. Seien sie vorsichtig, wir haben derzeit viel Verkehr in den Orbits."

 

"Danke, Flight Control. Starte jetzt."

 

Yamato hatte den Fluchtvektor in den Autopiloten eingegeben und startete vorschriftsmäßig. Er wollte kein Aufsehen erregen. Es war schon ungewöhnlich genug, daß der Flottenkommandant alleine losflog. Minuten später erreichte er die 200km Höhe und manövrierte durch den doch relativ dichten Verkehr auf dieser Ebene. Parallel ließ er den Bordcomputer einen Hyperraumsprung zur Position der EXPLORER berechnen.

 

Der kleine Bordrechner der Yacht brauchte für solche Berechnungen immer etwas länger, da die Rechenleistung naturgegeben etwas schwächer war als bei den großen Geräten von größeren Schiffen. Andererseits war aber die Entfernung nicht so groß, daß sich der Computer hätte anstrengen müssen. Kurz darauf kam das Bereitschaftssignal des Navigationsrechners und Yamato löste den Eintritt in den Hyperraum aus. Das dunkelgraue Wallen des Hyperraums erschien vor den gepanzerten Sichtluken. Der Hyperraumflug würde nicht allzu lange dauern. Die 500 Millionen Kilometer waren für einen solchen Antrieb eine Kleinigkeit.

 

Was Yamato mehr Sorgen bereitete, war die Frage, ob ihn aufmerksame oder auch neugierige Augen verfolgten. Wenn jemand über die notwendigen Ortungsgeräte und astronavigatorisches Wissen verfügte, konnte er zumindest den Kurs der Yacht recht genau abschätzen. Ein Schiff im Hyperraum flog keine Kurven und kurz vor Eintritt muß es eine kurze Strecke genau auf das Ziel zufliegen - es sozusagen anvisieren.

 

Mit doppelter Lichtgeschwindigkeit erreichte er die Zielposition innerhalb von 17 Minuten. Er hatte die Gravitationsfelddämpfer auf volle Leistung geschaltet. Trotzdem würde das kleine Schiff beim Austritt aus dem Hyperraum leichte Gravitationswellen erzeugen. Ein aufmerksamer, nicht allzu weit entfertner Beobachter würde sie bemerken. Die EXPLORER hatte an den Sensoren mit Sicherheit solche Beobachter sitzen. Wie es mit anderen Beobachtern aussah, konnte er nicht sagen. Flotteneinheiten gab es keine in der Nähe, dafür hatte er schon gesorgt.

 

Ein schwacher Lichtblitz zuckte durch das Wallen des Hyperraums und dann spuckte dieser das kleine Raumschiff wieder in das normale Weltall zurück. Seine Sensoren zeigten nichts an. Die EXPLORER war offensichtlich unter Emission Control. Er ließ vom Bordrechner die Position bestimmen und mit der Zielposition vergleichen. Er war bis auf 50km genau herangekommen.

 

"Ok, wenn ich das Schiff passiv nicht finde, dann eben mit den Scannern." sagte Yamato zu sich selbst. Mit einigen Schaltern parametrierte er die Scanner auf schwache Leistung und schaltete einen Rundum-Scan. Das Schiff erschien auf den Ortungsbildschirmen.

 

Der Admiral flog eine sanfte Kurve und legte die letzten 30km zum Schiff zurück. Verglichen mit der Yacht war die EXPLORER gewaltig. Die Raumyacht war im Prinzip auf der Zelle eines schweren Landungsbootes aufgebaut. Die EXPLORER alleine hatte davon zwei im Hangar und war mehr als 10 mal so lang. Als er den Hangar erreicht hatte, öffneten sich die Tore und ein Leitstrahl holte die Yacht hinein. Hinter ihm schloß sich der Hangar wieder.

 

Gespannt aber nach außen ruhig nahm Yamato seine Dienstwaffe und prüfte sie rasch durch. Dann steckte er sie in den Halfter und öffnete das Schott. Am Ende der kurzen Rampe warteten Captain McPherson und Lieutenant Commander Drake. Hinter Drake stand sein Sohn Hidetaka Yamato. Ein Trupp Marines bildete eine Ehrengarde kommandiert von Major McWalsh.

 

„Aaaachtung! Admiral an Deck!“ donnerte McWalshs Stimme durch den Hangar.

 

„Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen.“ fragte Yamato Senior förmlich.

 

„Erlaubnis erteilt, Sir. Wilkommen an Bord.“

 

Nach einem kurzen Händeschütteln übernahm McPherson die Initiative: “Darf ich sie in den Konferenzraum bitten Sir? Dort können wir ihnen am besten erklären, warum wir schon wieder hier sind und warum diese Umstände.“

 

„Ich folge ihnen Captain.“

 

McWalsh ließ die Ehrengarde abtreten und verschwand mit den Marines. McPherson führte die kleine Gruppe auf das Brückendeck und von dort in den Konferenzraum. Einige weitere Personen erwarteten sie dort bereits. Bis auf eine kannte Yamato bereits alle. Er dachte fieberhaft nach, konnte sich aber nicht erinnern. Der Unbekannte trug auch keine Borduniform. Yamato beließ es dabei. Wahrscheinlich war er einer der Wissenschaftler, die keinen militärischen Rang innehatten und daher auch keine Uniform trugen. Als Yamato Platz genommen hatte, setzten sich auch die anderen.

 

„Admiral, der Grund warum wir sie hier her gebeten haben ist, daß wir von Gliese 581 einen Fremden mitgebracht haben. Darf ich vorstellen Tanos Kreftan – seines Zeichens Außenminister der Kanaer.“

 

Yamato hatte mit allem Möglichen und auch einigem Unmöglichen gerechnet, aber das überstieg seine Erwartungen bei weitem. Nach zwei Minuten Schweigen hatte sich Yamato wieder unter Kontrolle.

 

„Freut mich sie kennenzulernen Minister. Ich bin Admiral Hiryu Yamato, Oberkommandierender der Terranischen Raumflotte.“ Yamato nickte dem Fremden dabei leicht zu.

 

„Captain, gestatten sie mir eine Frage: Warum ist dieser Mann oder dieses Wesen hier?“

 

„Gern Admiral. Sie können übrigens gern den Terminus Mann verwenden. Die Kanaer sind mit uns nahezu identisch, wie sie sicher schon bemerkt haben. Und zwar nicht nur äußerlich. Es gibt ein paar sehr feine Unterschiede, aber selbst die DNA der Kanaer und der Menschen ist kombinierbar. Wir haben das im Labor bereits getestet. Nun zur Begründung warum Kreftan hier ist ...“

 

McPherson legte seinem Oberkommandierenden die Geschehnisse und die Situation der Kanaer dar und erklärte auch das Angebot der Kanaer. Nach fast einer Stunde war sein Vortrag zu Ende. Yamato saß eine Weile einfach nur da und starrte vor sich hin

 

„Daraus folgen einige logische Fakten meine Herren. Erstens, die Kanaer und die Menschheit sind identisch und stammen vom selben Volk ab. Eine Parallelentwicklung diesen Ausmaßes ist unmöglich. Zweitens, die Kanaer wissen das ganz genau. Drittens, sollten uns die Uldat finden, sind wir ebenso ein Ziel für ihren Haß, wie die Kanaer es bereits waren. Sehen sie alle das ähnlich?“

 

„Ihre Logik ist glasklar Admiral“ antwortete Kreftan. McPherson fuhr zu ihm herum. Er hatte bisher geglaubt, die Kanaer wüßten nichts von der Verwandtschaft mit den Menschen.

 

„Vielen Dank Kreftan. Daraus ergeben sich aber für uns als Menschheit zwei strategische Optionen. Nummer eins, wir verstecken uns. Nummer zwei, wir stellen uns dem Problem der Uldat. Verstecken ist keine Option, höchstens für die nächsten paar Jahre. Bei dem Expansionsdrang, den die Uldat scheinbar an den Tag legen, werden sie uns irgendwann finden und vernichten. Nummer zwei ist also die einzige Option, die wirklich einen Sinn ergibt. Wie wir allerdings mit einem Feind fertig werden sollen, der uns in Technik, Material und Masse derart überlegen ist, weiß ich noch nicht. Vielleicht kann man sich mit ihnen auch friedlich einigen oder wir gehen Bündnisse ein. Den Rückstand aufholen können wir nicht. Sie würden uns vorher finden. Ihre Meinungen dazu?“

 

Mit seiner zweiten Spezialisierung auf Strategie und Nachrichtendienst war Drake der logische Kandidat das Thema aufzugreifen: “Wir haben uns vor dem Rückflug schon hier zusammengesetzt und genau dieses Thema erörtert Admiral Yamato-san.Wir sind zum gleichen Ergebnis gekommen wie sie, Kreftan und die KI des Bordcomputers ebenfalls. Die Frage ist eher, wie bringen wir es dem Regierungsrat bei, sodaß die Damen und Herren es genauso sehen wie wir? Politiker sind ... anders. Logik ist ihnen zuweilen fremd.“

 

„Commander Drake, ihr diplomatisches Geschick ist gut entwickelt. Sie sollten in die Politik gehen.“ meinte Yamato mit einem verschmitzten Grinsen.

 

„Sir, das wäre nicht gut. Ich würde wohl eher den vierten Weltkrieg auslösen.“

 

„Mir geht es manchmal auch so Commander, das dürfen sie mir glauben. Gut, also sind wir uns einig, was die militärischen Optionen angeht. Die zweite wichtige Frage ist, wie bringen wir der Weltbevölkerung bei, daß sie schon wieder zurück sind, ohne sie aufzuklären. Ich denke eine Aufklärung der Öffentlichkeit würde zumindest Unruhen hervorrufen. Mir wäre ohnehin am liebsten, wir würden die Kanaer abholen und einfach eingliedern in unsere Gesellschaft. Kreftan, was sind die Uldat für Wesen? Ich meine, was ist von ihnen zu erwarten?“

 

„Ihr Reich ist eine Diktatur, zwar eine sehr großzügige, solange man die Restriktionen befolgt, aber sobald man auch nur eine Nuance abweicht, wird ein Volk schon mal ausgelöscht. Und uns Menschen – sie verzeihen die Angleichung – betrachten sie als den Erzfeind aus der Geschichte.“

 

„Warum kam es damals zur Auseinandersetzung?“ fragte McPherson.

 

Kreftan fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut:„Wir haben damals einen verhängnisvollen Fehler gemacht. Die Uldat sind bei ihren Welten kompromißlos und bei Gegnern ebenfalls. Wir haben damals eine ihrer Welten angegriffen. Es hätte eine beschränkte Operation sein sollen. Damals haben unsere Xenopsychologen die Rasse der Uldat völlig falsch eingeschätzt aufgrund der Tatsache, daß ihre Diktatur eigentlich sehr lax mit den eroberten Völkern umging – so wie heute auch wieder. Es wird ihnen also schwer fallen, im Uldat-Reich selbst Verbündete zu finden. Den eroberten Rassen geht es eigentlich recht gut und sie führen ein angenehmes und stabiles Leben. Die Aufrührer sind als warnende Beispiele immer alle vernichtet worden.“

 

„Und aus der beschränkten Operation wurde ein interstellarer Krieg ersten Ranges.“ zog Drake den Schluß.

 

„Leider ja. Der Krieg war nicht nur interstellar. Er erstreckte sich auf Tausende Sonnensysteme. Wir haben uns einige Zeit nur gewehrt und versucht einen Frieden zu schließen. Wir kamen nicht einmal zu einem Waffenstillstand. Nachdem die Uldat bereits 14 wertvolle Sonnensysteme verwüstet hatten, gingen wir zum Gegenangriff über. Wir waren zwar nicht so viele, aber technisch überlegen und nutzten die Überlegenheit aus. Der Krieg tobte damals ungefähr 134 Jahre ihrer Zeitrechnung. Die Galaxis war danach ein Ort des Grauens. Tausende Planeten waren verwüstet, manche sogar ganz zerstört worden. Billionen Lebewesen waren gestorben. Wenn sie die Galaxis erforschen, werden sie immer wieder über Spuren dieser Auseinandersetzung stolpern, Admiral. Schließlich endete der Krieg durch Auslöschung der letzten Welt der Uldat. Wir selbst waren am Rande des Aussterbens – sie würden sagen ein Pyrrhussieg?“

 

"Aber sie haben scheinbar nicht alle Uldat erwischt. Sie sind wieder da." warf McPherson ein.

 

"Uns war bewußt, daß wir die Rasse als solche nicht ausrotten konnten. Wir hatten uns damit abgefunden. Wir hatten allerdings auch nicht erwartet, daß wir selbst so schwer getroffen werden würden. Die Erde war damals eine kleine Kolonie, die zu Ende des Krieges gegründet wurde und kurz darauf von den Uldat vernichtet wurde. Es gab einige Tausende Überlebende, aber die gesamte Infrastruktur wurde zerstört. Die Siedler waren mit den einheimischen Intelligenzen genetisch kombinierbar, daher wurden die Überlebenden scheinbar rasch assimiliert. Der kleine Kontinent, auf dem das Zentrum errichtet worden war, versank bei dem Angriff im Meer."

 

McPherson tauschte einen raschen Blick mit Drake und Yamato:"Wie lange ist das ungefähr her?"

 

"Ungefähr 12.000 Jahre, warum fragen sie?"

 

"Das deckt sich zeitlich ungefähr mit einer alten Sage über einen versunkenen Kontinent auf unserem Planeten." antwortete McPherson.

 

"Sie meinen die Atlantis-Sage Captain?"

 

"Ja, Admiral. Atlantis versank angeblich 9.600 Jahre vor Christus. Wenn man die 23 Jahrhunderte der neuen Zeitrechnung dazu zählt, kommt man auf die 12.000 Jahre seit der Krieg vorbei ist." führte McPherson aus.

 

"Noch etwas Admiral", setzte Kreftan fort: "Die Uldat wissen, daß wir nicht ausgestorben sind. Warum sie so rasch expandieren, hat einen Grund. Es ist definitiv nicht ihre biologische Reproduktionsrate. Sie suchen nach Überresten der Menschheit und löschen sie aus, wo immer sie welche finden."

 

"Das sind ja schöne Aussichten." warf Drake ein.

 

„Admiral, wie gehen wir aber weiter vor? Wir können nicht einfach zurückkehren, nicht jetzt und nicht ohne wirklich gute Erklärung für die Öffentlichkeit.“

 

„Wie wäre es mit einer Rückkehr aufgrund einer Seuche an Bord. Fremde Organismen sind schließlich auch auf anderen Planeten gefährlich. Eine Quarantäne wäre dann allerdings die Folge. Wir stellen es einfach so dar, daß sie sich bei der Landung infiziert haben. Das gibt uns auch die Möglichkeit, alle Neugierigen fernzuhalten. Nach einigen Wochen würden wir sie dann als geheilt entlassen und sie könnten landen.“ regte Yamato an.

 

Drake lehnte sich im Sessel zurück:„Intensiver Funkverkehr ließe sich damit auch erklären. Schließlich müssen wir ja die Ärzte ständig auf dem Laufenden halten. Das würde aber ein Weltraumlabor bedingen, in dem die Viren oder Bakterien erforscht werden könnten.“

 

„Eine solche Einrichtung gibt es Commander Drake. Auf dem Mars gibt es eine militärische Forschungsstation mit verschiedensten Sektionen. Die medizinische Sektion ist klein und nur mit 20 Leuten besetzt. Sie ist zwar nicht auf Virologie oder Bakterien spezialisiert, aber erstens weiß das die Öffentlichkeit nicht und zweitens wird es wohl untergehen in der allgemeinen Aufregung.“

 

"Das hört sich gut an. Wir müssen nur Rücksicht auf die Angehörigen der Crew nehmen. Es wäre gut, psychologische Betreuung zu organisieren beziehungsweise eine Community zu initiieren, die vom Ministerium gesteuert wird. Wenn wir das verabsäumen, entsteht eine solche Community von selbst und entwickelt wahrscheinlich sehr schnell eine Eigendynamik." setzte Drake den Gedanken fort.

 

"Sie haben recht Commander. Das könnte ein Problem werden, wenn die Regierung sich nicht von Anfang an darum kümmert." pflichtete ihm McPherson bei.

 

"Gut, dann hätten wir ja einen Beschluß gefaßt. Sie erhalten hiermit Befehl, den Mars anzufliegen. Dort wird man sie an die Forschungsstation Newton verweisen und 4 Wochen auf einem der Landefelder unter Quarantäne stellen. Minister Kreftan werde ich gleich mitnehmen zur Erde. Schließlich müssen wir auf militärischer und politischer Ebene rasch einige Dinge auf den Weg bringen."

 

Diesmal war es an McPherson und seinen Offizieren überrascht zu sein. Kreftan schien beeindruckt von Yamatos Entscheidungsfreudigkeit. Er erhob sich langsam: "Dann packe ich am besten gleich meine Sachen zusammen. Meinen Gleiter werden wir in diesem Fall vorerst wohl an Bord der EXPLORER lassen müssen. Sie riskieren viel Admiral."

 

"Eigentlich nicht Kreftan. Was sollten sie denn tun? Mich umbringen und mit der Yacht flüchten? Dann wäre es einfacher gewesen, gar nicht erst herzukommen. Mich als Geisel nehmen und die Erdregierung erpressen? Sie überschätzen meinen Wert. Wissen sie was ein Spartaner ist Kreftan? Nein? Sie werden zwei kennenlernen an Bord meiner Yacht." antwortete Yamato mit dünnem Lächeln.

 

Zwischenbericht Tanos Kreftan

 

Ich wußte mit Yamatos Äußerung nichts anzufangen, fragte aber auch nicht nach. Die anderen am Tisch schienen allerdings zu wissen, worum es ging.

 

Eine Minute später war ich in meinem temporären Quartier angekommen und packte meine Sachen zusammen. Daß Yamato mich gleich mitnehmen wollte auf die Erde, war zwar an sich durchaus logisch, aber aus Sicht der Erde auch nicht ganz ungefährlich. Ich führte nichts im Schilde gegen meine Artgenossen, aber das konnte der Admiral ja nicht wissen.

 

Ja, Artgenossen waren sie die Menschen von der Erde. Diese Tatsache hatte ich schnell erkannt und auch akzeptiert. Sie alle hatten festgestellt, daß eine Parallelentwicklung diesen Ausmaßes völlig unmöglich war. Die gentechnischen Untersuchungen in den Labors der EXPLORER hatten es schlußendlich bewiesen. Warum Captain McPherson mir die Ergebnisse vorenthalten hatte, konnte ich mir leicht erklären. Es hätte für die Regierung vielleicht ein Vorteil sein können in den Verhandlungen.

 

Ein paar Minuten später war ich bereits auf dem Weg zum Hangar. Dort nahm ich noch ein paar Kleinigkeiten aus meinem Raumgleiter mit und versiegelte das Kleinstraumschiff danach. McPherson hatte ich gebeten, keinen Versuch zu machen, das Schiff zu öffnen. Es würde sich sonst selbst zerstören. Wir Kanaer wußten unser Eigentum durchaus zu schützen, auch wenn wir schon lange keine Krieger mehr waren.

 

Zum Abschied waren McPherson und Drake gekommen. Grischenko hatte ich auch nicht erwartet. Er war mir gegenüber immer sehr distanziert und mißtrauisch gewesen.

 

"Kreftan, lassen sie sich nicht über den Tisch ziehen vom Regierungsrat. Die Erde wird die besten Verhandler und Psychologen auf sie ansetzen." meinte McPherson und reichte mir die Hand.

 

"Danke Captain. Ich dachte mir schon, daß es so sein würde. Wir waren ursprünglich ein Volk wehrhafter Händler. Erst vor wenigen Millenien fand die Spezialisierung einzelner Kolonien statt. Ich bin als Außenminister im Verhandeln nicht ganz ungeübt, Captain."

 

Drake reichte ihm ebenfalls die Hand: "Viel Erfolg Kreftan. Ich hoffe sie können sich mit unserer Regierung einigen."

 

"Danke Commander."

 

Dann stieg ich in die kleine schnittige Raumyacht des Admirals. Drinnen saßen außer Admiral Yamato noch zwei Männer, die ich noch nie gesehen hatte. Yamato stellte sie vor: "Das sind die beiden Spartaner, die ich meinte Kreftan. LT Matt Jenkins und LT Michael Taylor. Sie gehören einer Spezialeinheit der Marines an, eben den Spartanern."

 

Ich musterte die beiden Offiziere. Männer wie sie kannte ich. Sie waren von durchschnittlicher Größe und schlanker Statur. Breite Schultern, militärisch kurzer Haarschnitt und in ihren Augen konnte man den Killerinstinkt eines Raubtiers erkennen. Die Marines an sich verstanden sich schon als echte Soldaten. Diese Männer jedoch waren weitaus gefährlicher. Sie trugen keine Waffen, aber ich würde gegen sie keine 10 Sekunden überleben, dessen war ich mir sicher. Sie legten eine ungezwungene Selbstsicherheit an den Tag, die nur Männer ihres Schlages kannten. Diese Art von Soldaten ließ sich aber auch nur bedingt verdeckt einsetzen, denn man erkannte sie schon von weitem als das, was sie waren – die absolute Elite.

 

Die beiden Männer trugen die normale Borduniform der Marines, allerdings vollkommen in schwarz. Ein Emblem mit einem feuerroten Helm schmückte die linke Brustseite. Das mußte dann wohl ein spartanischer Helm sein, wenn ich mir Yamatos Aussage wieder ins Gedächtnis rief. Das Emblem war ungefähr fünf Zentimeter groß. Yamato war also doch nicht ganz so sorglos, wie ich angenommen hatte.

 

Ich schnallte mich im Sitz des Copiloten an und beobachtete Yamato beim Start. Routiniert aber ohne Hast ging er die Preflight-Checkliste durch. Die Starterlaubnis forderte er per Computer an und hob das kleine Raumboot ab. Ich hatte in Yamatos Dienstyacht mehr Luxus erwartet, aber der Admiral schien Bescheidenheit zu bevorzugen, was ihn mir umso sympathischer machte.

 

Wir schossen einige Sekunden später durch die Hangartore in den freien Weltraum hinaus. Zum ersten Mal seit meinem Start von Nangir wie wir History nannten, bekam ich wieder die Sterne zu sehen. Die Besatzung der EXPLORER war in dieser Hibnsicht sehr vorsichtig gewesen. Yamato schien da weniger Bedenken zu haben. Unser Flug zur Erde würde 30 Minuten dauern. Kurze Zeit später umgab das dunkelgraue Wallen des Hyperraums das Schiff.

 

Der Admiral klärte mich über die astronomischen Gegebenheiten des Sonnensystems auf. Danach war die Erde der dritte Planet des Systems bei üblicher Zählweise von innen nach außen. Die Erde sollte einen Mond und mehrere große Raumstationen im Orbit haben. Die Planeten und Monde des Systems sollten ebenfalls Stationen oder sogar Besiedlungen aufweisen. Auf Venus war angeblich ein ökologisches Umformungsprogramm gestartet worden. Sie nannten es Terraforming.

 

Ich wandte mich an Yamato:"Was erwartet mich auf der Erde Admiral?"

 

"Ein langer Weg mit schwierigen Verhandlungen, viel Mißtrauen und ich will ehrlich sein, wahrscheinlich auch eine Menge Fremdenfeindlichkeit. Von den Auswirkungen auf Wirtschaft und Wissenschaft einmal abgesehen wird ihr Erscheinen ein politisches Erdbeben auslösen. In welche Richtung das Pendel ausschlägt, kann ich ihnen derzeit nicht sagen. Die Menschen sind in den letzten Jahrhunderten gereift, aber ob sie für ihr Angebot schon reif sind, ist eine andere Frage."

 

"Mein Auftrag ist es auch, das zu beurteilen Admiral. Sollte ich zur Überzeugung kommen, daß dem nicht so ist, dann wird es auch keine Kooperation geben. Auch wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Den Fehler von damals werden wir nicht wiederholen."

 

Wir kamen relativ nahe an der Erde aus dem Hyperraum. Der Abstand betrug dann nur mehr 25.000 km. Die blaue Kugel des Planeten mit den weißen Wolken hing vor uns im Raum. Den Mond hatten wir schon hinter uns gelassen. Es herrschte ein reger Verkehr. Die Schiffe selbst waren kaum zu erkennen, aber die aufleuchtenden Impulstriebwerke beim Manövrieren gaben ein intensives blauweißes und typisches Leuchten von sich. Um die Erde herum leuchtete es ständig irgendwo auf, meistens nur kurz in Form von Manövertriebwerken, aber oft auch für wirklich starke Beschleunigungsmanöver.

 

Mehrere Kontinente und Ozeane bildeten die Oberfläche des Planeten. Der Planet sah Nangir sehr ähnlich. Der große Unterschied war, daß die Erde selbst ein Planet war und kein Mond. Außerdem hatte die Erde offensichtlich größere Meere als Nangir. Aus dem Raum gefiel mir der Planet. Im erdnahen Weltraum konnte ich auch einige größere Objekte ausmachen. Raumstationen schien es einige zu geben.

 

„Admiral, sind sie sicher, daß es eine gute Idee ist, mich gleich hierher mitzunehmen? Ihre Regierung weiß von nichts.“ fragte ich nach.

 

Yamato antwortete ohne sich nach mir umzusehen:„Meine Regierung weiß es, glauben sie mir. Wir haben für solche Szenarien vorgesorgt und die Maßnahmen in Plankatalogen vorbereitet. Das irdische Risikomanagement ist mittlerweile recht gut entwickelt.“

 

Darauf hin störte ich ihn nicht mehr. Die Landung nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch.

 

„Flug 37-Alpha-Gamma, Kennung TSS NAGATA an Terra Flight Control.“

 

„Terra Flight Control hier. Was kann ich für sie tun?“

 

„Ersuche um Landeerlaubnis auf Fleet-HQ Feld 7.“

 

Daraufhin verstummte der Flight Operator im Control Center erst einmal. Auf den Feldern 1 bis 10 des Flottenraumhafens landete selten jemand – einfach aufgrund der Tatsache, daß es nur sehr wenige durften. Diese Felder waren der Regierung und dem Flottenoberkommando vorbehalten. Selbst hohe Delegierte, Diplomaten und Beamte wurden auf andere Landefelder verwiesen. Der Operator prüfte die Identität und die Berechtigungen des Schiffes am Computer. Dann forderte er per Funk vom Schiffscomputer das eindeutige Transpondersignal an und verglich es mit den gespeicherten Daten des Schiffes.

 

„Terra Fligh Control an TSS NAGATA. Landeerlaubnis auf Fleet HQ Feld 7 erteilt. Wünschen sie Landeunterstützung per Leitstrahl?“

 

„Bereit für Einklinken des Autopilot auf Leitstrahl.“

 

„Leitstrahl aktiviert und eingeklinkt. Voraussichtliche Landung in 10 Minuten. Terra Flight Control Ende.“

 

Yamato schien zufrieden mit den knappen Ansagen aus dem Control Center. Er aktivierte einen anderen Funkkanal.

 

„Yamato an Liu Song.“

 

„Song hier. Willkommen zurück Admiral. Sie haben Befehle?“

 

„Ja. Rufen sie Sondermaßnahme 23-Alpha auf. Geben sie ihren Codeschlüssel ein und führen sie die Befehle unter 23-Alpha-83-Delta aus. Die NAGATA landet in ca. 10 Minuten.“

 

„Aye, Sir. Kann ich sonst noch etwas für sie tun?“

 

„Nein, das wäre vorerst alles. Yamato Ende.“

 

„Und was passiert nach der Landung Admiral?“ fragte ich, nachdem sich Yamato zurückgelehnt hatte.

 

„Song wird den Ratsvorsitzenden und das Kabinett verständigen. Die Regierung wird zusammen mit dem Flottenstab eine Sitzung einberufen, wo das weitere Vorgehen festgelegt wird. Ihr Vorschlag und die von ihnen zur Verfügung gestellten Daten werden im Voraus an ein wissenschaftliches Beratungsgremium für eine Auswertung weitergeleitet. Wann die Sitzung stattfindet, kann ich noch nicht sagen. Das hängt von der Arbeitsgeschwindigkeit des Wissenschaftsgremiums ab. Bisher dauerte es immer nur ein paar Tage. Ihr Anliegen wird wohl etwas ausführlicher geprüft werden. Sie werden während der Zeit wahrscheinlich unter Quarantäne gestellt bis zu dieser Sitzung. Ich fürchte sie werden unter Bewachung stehen und nur eine sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit haben.“

 

Damit hatte ich gerechnet. Es war eine logische Konsequenz. Ich sagte Yamato das auch: „Das war zu erwarten. Ich werde es überleben.“

 

„Am Landefeld werden sie unsere beiden Begleiter in ihr Quartier bringen.“

 

„Aye, Admiral.“ antwortete ich mit einem leichten Grinsen.

 

Yamato bedachte mich mit einem Seitenblick, den ich nicht deuten konnte. Kurz darauf setzte die NAGATA sanft auf dem Landefeld auf. Die Aggregate liefen summend aus. Wir standen auf und stiegen aus dem kleinen Schiff. Zum ersten Mal in meinem Leben betrat ich eine fremde Welt, ich hatte Nangir Zeit meines Lebens nie verlassen. Die Erde begrüßte mich mit einem sommerlich heißen Tag - bis die Idylle vom Röhren eines startenden Raumschiffs zerstört wurde.

Kapitel 5 - Der Auftakt

Sechs Monate später ...

 

Trotz eines Volksentscheides und eines nachfolgenden Regierungsbeschlusses dafür hatte die ganze Angelegenheit der Kanaer die Bevölkerung in zwei beinahe gleich große Lager gespalten. Die Entscheidung war mit 52,4% Ja-Stimmen denkbar knapp ausgefallen. Im letzten Moment hatte sich die Erde also doch noch zu einem Entschluß durchringen können. Kreftan und einige aus der alten EXPLORER-Crew hatten schon daran gezweifelt.

 

Die Regierung hatte sich nach wenigen Wochen aus verschiedensten Gründen dazu entschlossen, die ganze Angelegenheit öffentlich bekannt zu machen. Auch die Anwesenheit Kreftans wurde nicht verschwiegen. Die Folge davon war, daß sich sehr schnell Widerstand auf verschiedensten Ebenen konsolidierte. Die üblichen religiösen Fanatiker und Weltuntergangsverkünder, die bei solchen Gelegenheiten nicht fehlen wollten, taten natürlich ihr Übriges, die Stimmung anzuheizen. Die Regierung schaffte es aber, die ganze Angelegenheit auf eine sachliche Schiene zu bringen, was dem Ganzen an Schärfe nahm und die Gemüter recht bald wieder abkühlte.

 

Gerüchte, der Außerirdische würde die ganze Erde mit seinen Viren verseuchen, hatten sich genauso wenig bewahrheitet, wie alle anderen Horrorszenarien, die vielen durch den Kopf schwirrten. Wahrscheinlich wäre es einfacher gewesen, wenn Kreftan ein fischäugiges Reptil gewesen wäre, aber seine totale Ähnlichkeit mit den Erdbewohnern war für viele unverständlich. Selbst die Erklärung der gleichen Herkunft änderte daran relativ wenig.

 

Die kleine Flotte aus acht Schiffen sammelte sich im Erdorbit. Man kannte die Stärken und Schwächen des Gegners und einiger anderer Rassen in der Umgebung des Zielgebietes. Kommandant der Flotte würde Commodore Michael Fitzgerald sein. Fitzgerald war ein erfahrener Stratege.

 

Alle Crews und Schiffe waren auf den Einsatz vorbereitet worden. Die Schiffe inklusive aller Beiboote waren generell mit dem neuen Hyperkom ausgerüstet worden, den die EXPLORER auf ihrer Mission aus dem Überwachungssatelliten der Uldat erbeutet hatte. Das Reverse Engineering und die Weiterentwicklung der Hyperkoms hatte offenbart, daß die Uldat-Version der Anlage noch eine Menge Verbesserungspotential besaß. Feinabstimmung, Energieeffizienz, Qualität der Schwingungsschaltkreise und einige andere Dinge konnten durchaus noch verbessert werden. Ein Team von 200 Ingenieuren und Wissenschaftlern war mit dieser Aufgabe und einem großzügigen Budget betraut worden. Aktuell waren noch keine der möglichen Verbesserungen umgesetzt worden. Die Zeit für die Vorbereitungen hatte dafür nicht gereicht.

 

Die zwei riesigen Frachter K2 und EVEREST waren die größten je von Menschen der Erde gebauten Raumschiffe überhaupt. Mit 2.500 Metern Länge, 698 Metern Breite und 342 Metern Höhe waren sie echte Giganten so wie die Berge, die ihnen als Namensgeber dienten. Die K2 war als Truppentransporter konfiguriert worden. Die EVEREST hatte man als normalen Frachter konfiguriert. Die Modulbauweise bei den drei Frachtschiffklassen hatte in dieser Hinsicht eindeutig Vorteile.

 

Neben den Großraumfrachtern nahmen sich die sechs Kriegsschiffe der begleitenden Flotte geradezu bescheiden aus. Die beiden Schlachtkreuzer HAMMER und MEDUSA mit 710 Metern Länge waren die größten Kampfschiff der Begleitflotte. Die drei kleineren schweren Kreuzer FALCON, EAGLE und MILAN waren mit 440 Metern noch um einiges kleiner.

 

Beide Schlachtkreuzer waren als Kommandoschiffe ausgelegt und hatten daher ein CIC und Platz für einen erweiterten Kommandostab. Commodore Fitzgerald hatte als Flaggoffizier mit seinem Stab auf der HAMMER Quartier genommen und sie damit zum Flaggschiff gemacht. Captain McPherson hatte die HAMMER als kommandierender Offizier bekommen und Drake als ersten Offizier von der EXPLORER mitgenommen. Die HAMMER war zwei Jahre alt, und die Crew daher bereits entsprechend aufeinander eingespielt und mit dem Schiff vertraut.

 

Captain Grischenko, nach der EXPLORER-Mission zum Captain befördert, hatte die MEDUSA als kommandierender Offizier übernommen. Die MEDUSA war fabriksneu aus der Werft gekommen. Grischenko hatte fast die gesamte Crew der Explorer mit übernommen. Somit verfügte Grischenko als Kommandeur über eine erfahrene und eingespielte Top-Crew. Er hatte Natalia Kazinsky zum XO befördert und Hidetaka Yamato zum zweiten Offizier. Yamato würde einige Zeit eine Doppelfunktion ausfüllen müssen, denn für diesen Einsatz hatte Grischenko keinen taktischen Offizier als Ersatz für ihn bekommen. Auf Kazinskys Platz als Chefnavigator war Lieutenant Sherman nachgerückt. Weiters hatten sie jetzt mehr Piloten an Bord, da auch mehr Beiboote an Bord waren. Die MEDUSA war ein reines Kampfschiff. Grischenko war das nur recht.

 

Die EXPLORER würde diesmal nicht dabei sein. Als Forschungsschiff war sie zu schwach bewaffnet für diese Mission und paßte auch nicht ins taktische Konzept. Das Schiff lag in der Werft und wurde gerade generalüberholt und neu ausgerüstet.

 

Commander Carmen Cordalez kommandierte die FALCON. Auch sie war ein reines Kampfschiff. Cordalez hatte sich bei diversen Missionen und Flottenübungen auf leichten Kreuzern einen Namen als außergewöhnliche Taktikerin gemacht. Ihre Marines waren bei den Übungen immer als eine der drei besten Einheiten der gesamten Flotte bewertet worden. Ihr MEF-Kommandeur Captain Ntogo Kawesi war berüchtigt als Ausbilder und Nahkampfexperte.

 

Die EAGLE - ebenfalls ein schwerer Kreuzer - wurde von Commander William Kennedy befehligt. Kennedy sagte man nach, ein Nachfahre eines einstmals sehr bekannten Politikers aus dem 20. Jahrhundert zu sein. Manchmal war man geneigt, das auch zu glauben. Seine etwas langatmige Gesprächsführung war flottenweit bekannt. Ansonsten hatte er eine recht ansehnliche Karriere hingelegt und war aufgrund seiner Fähigkeiten schon mit 32 Jahren Kommandant eines Kreuzers. Die EAGLE selbst war wie die FALCON ein reines Kampfschiff mit Standardkonfiguration.

 

Die MILAN wurde von Commander Iwan Garewitsch befehligt. Dieses Schiff war zu einem Torpedoträger umgerüstet worden. Jedes Kampfschiff trug Torpedos und die entsprechenden Abschußvorrichtungen, doch die MILAN hatte statt der üblichen acht Abschußrohre noch zwei neu entwickelte Schnellfeuerausleger. Diese Gondeln konnten im Gefecht ausgefahren werden und verschossen etwas kleinere Torpedos in Massen, um die Feindabwehr zu überrennen. Dazu wurden einige Dinge an Bord drastisch gekürzt oder gar weggelassen. Die MILAN hatte weniger Beiboote an Bord, keinen Wissenschaftsbereich und auch keinen Laderaum. Der Platz war bis oben hin mit fast 2.000 Torpedos gefüllt, die automatisch in die Gondeln und die Rohre geladen wurden. Garewitsch wußte um die taktische Bedeutung seines Schiffes. Er würde bei Gefechten aus dem Hintergrund das Feuer eröffnen. Sein Ziel würden vor allem schwere Schiffe des Gegners sein.

 

Die Spezialfregatte ARGUS fiel mit ihren 110 Metern kaum auf. Normalerweise liefen Fregatten der Terranischen Flotte 7500-fache Lichtgeschwindigkeit. Die ARGUS war nachträglich mit einem extrem schnellen Antrieb ausgerüstet worden und machte 8000-fache Lichtgeschwindigkeit. Sie kam auch wesentlich schneller auf Sprunggeschwindigkeit als die anderen Schiffe, da auch die Impulstriebwerke extrem hochgezüchtet worden waren. Ihre Scanner und Sensoren waren aufgerüstet worden und verkörperten den Letztstand der irdischen Ortungstechnik. Sie würde der Flotte Augen und Ohren sein. Ihr Captain war Commander Jennifer Baily, die als sehr umsichtige und erfahrene Offizierin galt. Die ARGUS war weiters mit allen Möglichkeiten der modernen Stealth- und Emission Control Technologie ausgestattet. Der Nachteil all dieser Spezialausrüstung war, daß die ARGUS so gut wie unbewaffnet war. Sie verfügte über keine Abschußrohre für Torpedos und hatte nur ein CIWS, Torpedoabwehrlaser und zwei mittlere Laserkanonen an Bord.

 

Für die Planung der Mission waren die Informationen aus der Datenbank der Kanaer sehr hilfreich gewesen. Alleine die astronavigatorischen Daten machten vieles einfacher. Gleiches galt für die Informationen über die verschiedensten bekannten Rassen in der Galaxis. Es gab darin waffentechnische Analysen und eine Menge anderer Daten über die Uldat und ihre Hilfsvölker.

 

Tanos Kreftan betrat den Admiralsgefechtsstand, der standardmäßig in die Brücke der HAMMER integriert worden war. Durchsichtiges Panzerplastik schirmte den Bereich von der Hektik auf der Brücke ab, ohne die Übersicht zu beeinträchtigen.

 

Commodore Fitzgerald drehte sich auf seinem Arbeitsplatz um, als er die Schritte hörte:"Guten Morgen Minister Kreftan. Sind sie zufrieden mit unserem Aufgebot?"

 

"Oh ja. Wenn die Erdlinge etwas unternehmen, dann aber gleich ordentlich. So viel Kampfkraft ist beängstigend für einen Kanaer."

 

"Ja, kann ich mir gut vorstellen, aber wir wollen kein Risiko eingehen. Die Kanaer müssen überleben. Das erfordert einen gewissen Preis. Wir sind bereit ihn zu bezahlen."

 

"Aber fast 2.000 Menschen nur um ungefähr 1.500 zu retten? Das ist es nicht wert, Commodore."

 

"Sie übersehen dabei etwas. Wenn wir ihre Leute nicht rausholen, dann sind wir noch ein viel leichteres Opfer für die Uldat. Das Wissen ihres Volkes ist unsere einzige Chance, mit ihnen irgendwie fertig zu werden. Ohne sie wüßten wir nicht einmal über die Bedrohung Bescheid."

 

"Einige Gruppierungen auf diesem Planeten sind aber anderer Meinung." meinte Kreftan.

 

"Ja, das ist das Los mit der Demokratie. Sie haben immer irgendwelche Leute, die erst schreien und nachher denken, und oft denken sie auch gar nicht nach. Ich habe gehört, sie unterrichten bereits an einer der Universitäten?"

 

"Ja, ich dachte mir, ich fange gleich mit dem Wissenstransfer an. Das hat bei ihrer Regierung scheinbar mächtig Eindruck hinterlassen, auch wenn ich jetzt kein Naturwissenschaftler oder Techniker bin."

 

"Was unterrichten sie denn?"

 

"Ich bin an sich Xenosoziologe und Wirtschaftswissenschafter und unterrichte Xenosoziologie und volkswirtschaftliche Modelle."

 

"Wie paßt das denn zusammen?"

 

"Ach, viele volkswirtschaftliche Fragen haben soziologische Ursachen oder zumindest Einflüße. Die wenigsten Wirtschaftskrisen sind rein durch Logik zu erklären, sondern sind in soziologischen Problemen begründet. So gesehen gibt es eine Menge Gemeinsamkeiten. Das geht sogar bis hin zu wirtschaftlicher Kriegsführung."

 

"Interessante Aspekte Minister. Oh, wir sollten aufbrechen."

 

Ein kurzer Blick auf die Borduhr hatte Fitzgerald aufstehen lassen. Sie zeigte 8:42. Um 09:00 Bordzeit sollte er eine Ansprache vor allen Angehörigen der kleinen Flotte halten. Dazu mußte er aber noch auf die TSS K2 übersetzen. Nur dort gab es einen Raum, der groß genug war für 2000 Menschen. Auf den einzelnen Schiffen blieben nur die absolut notwendigen Rumpfmannschaften. Die Schiffe befanden sich in einem stabilen Orbit 360 km über der Erdoberfläche. Er würde einer der letzten sein, der an der K2 andockte.

 

Kreftan und Fitzgerald machten sich auf den Weg zum Hangar der HAMMER. Unterwegs trafen sie noch auf Captain McPherson.

 

"Ah, Captain. Kommen sie mit uns?"

 

"Gern Commodore."

 

"Herzlichen Glückwunsch zu ihrem neuen Kommando, Jake."

 

"Vielen Dank Commodore. Das verdanke ich ohnehin ihrer Empfehlung."

 

"Reden sie keinen Unfug, sie haben es verdient. Sie waren lang genug auf diesen Nußschalen von Kreuzern eingesetzt. Es wurde Zeit für ein richtiges Schiff." setzte Fitzgerald lachend hinzu.

 

Eine Minute später erreichten sie den Hangar. Alle Kampfschiffe waren bis oben hin voll mit Waffen, Munition und Ersatzteilen. Selbst hier stapelten sich die Kisten und ließen den Beibooten kaum Platz zum Manövrieren.

 

Für sie stand ein leichtes Landungsboot bereit. Der Pilot ließ bei ihrem Anblick die Maschinen anlaufen. Er hatte offensichtlich nur mehr auf sie gewartet. Mit einem dumpfen Laut schloß sich das Schott hinter ihnen und sie nahmen im Passagierraum Platz. Normalerweise wurden mit diesen Shuttles Marines in den Kampfeinsatz befördert. Die Ausstattung war entsprechend spartanisch. Den Männern machte das nichts aus und McPherson hatte als Captain eine bequemere Ausstattung seiner Shuttles abgelehnt.

 

Wimmernd kamen die Inertialdämpfer auf Touren und die Manöverdüsen schoben das Boot aus dem Hangar hinaus. Das Boot nahm Geschwindigkeit auf und flog eine sanfte Kurve. Durch das Seitenfenster konnten die Passagiere einen Blick auf die HAMMER werfen. Das Schiff wurde vom Streulicht der Erde angestrahlt. Bedrohlich hing die dunkle Masse hinter ihnen in der Umlaufbahn. Ungefähr 20 Kilometer weiter hing aber ein noch gewaltigerer Schatten im Weltraum. Die K2 erschien wie ein grau schimmerndes Ungeheuer von erschreckenden Ausmaßen. Und es wurde immer größer.

 

"Riesiger Pott." meinte McPherson.

 

"Warten sie, bis sie ein Generationenschiff der Zalden sehen. Diese Schiffe sind mindestens zehn mal so groß, die wirklich großen Exemplare bringen es auf 80km Länge. Gott sei Dank sind das nur die fliegenden Welten dieser friedlichen Weltraumnomaden und keine Kriegsschiffe." gab Kreftan zurück.

 

Der Pilot nahm Funkverbindung mit der K2 auf und ließ sich einweisen für das Landemanöver. Wenige Minuten später konnten sie bereits an Bord gehen. Die Transportmodule der K2 waren neu. Man roch noch die Farbe der Metallwände. Im großen Speisesaal des Truppentransporters hatte man auf Befehl des Commodore die Besatzungen aller Schiffe zusammengerufen.

 

Als Fitzgerald eintrat, brüllte ein Marine der Wache:"Aaaachtung! Commodore an Deck!"

 

Alle Anwesenden sprangen auf und nahmen ausnahmslos Haltung an. Fitzgerald trat ans provisorische Podium.

 

"Rühren! Nehmen sie bitte Platz." befahl Fitzgerald.

 

"Guten Morgen, meine Damen und Herren. Ein Volk hat uns um Hilfe ersucht und uns dafür sehr viel geboten. Die Regierung der Erde hat dieses Angebot angenommen. Sie alle sind hier, weil wir eine für die Erde wichtige Mission zu erfüllen haben. Wir werden die Überlebenden von Kreftans Rasse von ihrer verwüsteten und bedrohten Heimat abholen und zur Erde bringen. Da ihr alter Erbfeind diese große Aktion wahrscheinlich bemerken und eingreifen wird, schickt das Oberkommando eine kampfkräftige Flotte mit, um den Exodus abzusichern. Es mag einigen von ihnen unlogisch erscheinen, daß wir mit ca. 2.000 Männern und Frauen losziehen, um ungefähr 1.600 fremde Wesen zu retten und zu uns zu holen. Kreftan selbst hält das übrigens ebenfalls für unverhältnismäßig."

 

Fitzgerald nahm einen kleinen Schluck Wasser aus dem bereitstehenden Glas und setzte dann fort.

 

"Wenn das alles wäre, würde ich dieser Meinung recht geben, nur leider ist es nicht so einfach. Die Uldat bedrohen alle Zivilisationen, die sich auf die erste Menschheit zurückführen lassen, mit der Vernichtung. Wenn sie uns entdecken, dann werden sie über uns herfallen und uns genauso ausradieren, wie die Kanaer. Wir müssen das Wissen der Kanaer nutzen, um mit den Uldat auf Augenhöhe verhandeln zu können. Sie müssen überzeugt davon sein, daß ein neuer Krieg wie damals vor 12.000 Jahren wieder nur in gegenseitiger Vernichtung enden würde. Das schaffen wir aber nur, wenn wir den Entwicklungsstand der Kanaer schnell erreichen und uns die Uldat nicht allzu schnell finden. Finden werden sie uns irgendwann auf jeden Fall. Optimisten schätzen innerhalb der nächten 50 Jahre, Pessimisten schätzen die Zeit, die uns noch bleibt auf 10 Jahre. Noch ist die Reichsgrenze der Uldat ca. 70 Lichtjahre von uns entfernt, aber sie breiten sich rasch aus. Die Uldat, sie alle kennen die Daten aus den Archiven der Kanaer, sind uns an Personal und Material überlegen. Unsere Militärexperten schätzen die Überlegenheit auf einen Multiplikator von 15,3. Wir müßten also eine 16 mal größere Flotte besitzen als derzeit, um sie schlagen zu können. Soviel zur politischen und strategischen Lage.

 

Der Commodore machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.

 

"In diesem Sinne ist diese Mission also ein Auftrag von höchster Bedeutung für den Fortbestand unserer Zivilisation. Wenn es schwierig werden sollte, rufen sie sich diese Tatsache bitte ins Gedächtnis. Das wäre soweit alles."

 

"Nun zur taktischen Einsatzplanung. Der Start erfolgt um 12:00 Bordzeit. Wir werden mit gebotener Vorsicht in das System Gliese 581 eindringen. Als Späher wird die ARGUS unter Volllast der Triebwerke vorausfliegen und die Lage sondieren. Sie wird 2 Tage vor uns dort sein. Sie wird auch mit den Kanaern Kontakt aufnehmen und uns über die Lage berichten.“

 

„Eine hohe Massenkonzentration wie die K2 oder die EVEREST kann man trotz Absorber beim Sprung über drei bis vier Lichtjahre hinweg orten. Das heißt, die Kanaer und ihr Equipment müssen so schnell wie möglich eingeschifft werden. Zu diesem Zweck werden die schweren und leichten Shuttles aller Schiffe ab der letzten Hyperraumetappe vorausfliegen, sobald die ARGUS per Hyperfunk grünes Licht gibt. Die Logistiker sind zum Startzeitpunkt bereits auf die Shuttles verteilt. Die Landungsboote werden von den schweren Kreuzern begleitet. Diese sind von der Masse her nicht so kritisch für eine Fernortung und können trotzdem eine Menge Feuerkraft projizieren falls notwendig. Die Beladung der Shuttles dauert pro Durchgang ungefähr zwei Stunden. Wenn die beiden Megafrachter dann 180 Minuten später ankommen, wartet schon die erste Ladung im Raum auf sie zur Übernahme. Die HAMMER und die MEDUSA bleiben bei den Frachtern und kommen nach Plan 3 Stunden später mit ihnen an. Das Wichtigste sind in diesem Fall die Kanaer selbst. Das Equipment kommt zum Schluß dran. Das Timing der letzten Hyperraumetappe muß also entsprechend perfekt sein. Alles klar soweit?"

 

Dieses Briefing war für die meisten ohnehin nur mehr eine Wiederholung. Die Missionsplanung war den Besatzungen immer wieder bis ins letzte Detail eingebläut worden.

 

"Sir, Lieutenant Waterson, Sir. Warum kommen die Frachter und die Schlachtkreuzer erst 180 Minuten später, wenn die Beladung nur 120 Minuten dauert?"

 

"Gute Frage, Lieutenant. Wir wollen den Logistikern Zeit geben, auszuschiffen und die Kanaer zu organisieren, bevor wir dort mit schwerem Gerät auftauchen und den Weltraum um uns herum nervös machen. Sie dürfen nicht vergessen, die Kanaer sind vorwiegend Wissenschaftler und haben seit 12.000 Jahren keinen Krieg mehr geführt. Militärische Logistik ist für sie wahrscheinlich mittlerweile ein völlig fremdes Konzept. Aber nur damit bekommen wir das in einem vernünftigen Zeitfenster hin. Genügt ihnen das Lieutenant?"

 

"Ja, danke, Sir."

 

„Sir, Lieutenant Kalachin. Wird die Flotte unter allen Umständen die Frachter abschirmen? Wie sieht das Konzept dazu aus?“

 

„Ja, die Frachter müssen durchkommen bis zum vereinbarten Treffpunkt. Dort wird sie die restliche dritte Flotte in Empfang nehmen und zur Erde begleiten. Der Gesamtflugplan ist nur dem Stab bekannt und enthält mehrere Umwegoptionen um Verfolger irrezuführen. Die Deckung erfolgt durch die fünf Kampfschiffe. Die ARGUS und die ausgeschleusten Jagdmaschinen bilden einen Ortungsschirm, der bei Bedarf auch schnell lokal verlagert werden kann. Die HAMMER wird als Eingreifreserve auf überhöhter Position stehen. MEDUSA, EAGLE und FALCON werden die Frachter direkt decken. Die MILAN wird als Abschußbasis für Torpedos etwas zurückhängen und bei Bedarf hinter der HAMMER Deckung nehmen.“

 

„Ist die Verladung abgeschloßen, gehen die Frachter als erste auf Überlicht. Der Rest folgt zehn Minuten später. Die HAMMER wird den unterirdischen Stützpunkt vernichten, um die Spuren zu verwischen und allen anderen den Rückzug decken. Sollten wir im Gefecht stehen, übernimmt der Jägerschirm die Funkstörung. Bei Bedarf legen die ARGUS und die MILAN noch nach bei den Störmaßnahmen. Sollte alles glatt gehen, sind wir innerhalb von 24 Stunden wieder aus dem Sonnensystem verschwunden.“

 

Damit ließ es Fitzgerald bewenden. Weitere Fragen kamen nicht mehr.

 

„Meine Damen und Herren, ich wünsche uns allen viel Erfolg und das Glück des Tüchtigen. Die Kommandanten melden Startbereitschaft an die HAMMER um 11:45. Der Start erfolgt planmäßig um 12:00. Wegtreten!“

 

Die Besatzungen hatten noch knappe 90 Minuten Zeit zu ihren Schiffen zurückzukehren, daher machten sich alle auf den Weg. Die Shuttles legten im 5-Minuten-Takt ab und brachten die Crews wieder auf ihre Schiffe zurück. Mittlerweile war von der Erde ein Tanker gestartet, der die Katalyemassetanks aller Schiffe auffüllte. Die Beiboote waren vorher von den Mutterschiffen selbst betankt worden. Um keine Verzögerungen mit Andocken und Problemen auf den Hangardecks zu vermeiden, übernahmen den Transport Shuttles von der Erde selbst. An den eigens dafür eingerichteten Arbeitsplätzen im Flight Control Center kamen die Operator etwas ins Schwitzen, als die vielen kleinen Schiffe zwischen den acht Schiffen der Flotte zu pendeln begannen. Der Bordcomputer der K2 war mit dem Flight Control Center per Uplink verbunden worden. Die Abflüge und Landungen wurden vom Computer vorgegeben und gesteuert.

 

Der logistische Alptraum war nach 30 Minuten vorbei. Etwas Entspannung machte sich wieder breit im Control Center und bei den Piloten. Dafür begann die Hektik an Bord der einzelnen Schiffe selbst, nachdem die Shuttles alle wieder aus der Nähe der Flotte verschwunden waren. Die einzelnen Abteilungen wurden wieder besetzt und meldeten Bereitschaftsgrade an die Brücke. Ingenieure checkten die Maschinen durch. Waffenoffiziere prüften stichprobenartig einzelne Waffensysteme manuell und fragten die anderen per Ferndiagnose ab. Navigatoren luden die Kursprogramme in die Kursrechner und ließen sie auf dem holografischen 3D-Plotter anzeigen. Zwischen den Schiffen wurden noch Feinabstimmungen zum Kurs und zu den taktischen Gefechtspositionen am Zielort vorgenommen.

 

Der Flug selbst würde mit gedrosselter Geschwindigkeit vier Tage dauern. Die ARGUS würde gleichzeitig mit ihnen starten, aber mit Maximalgeschwindigkeit und mit nur einem Zwischenstop das Ziel ansteuern.

 

Zwischenbericht Juri Grischenko

 

Die Hektik an Bord der MEDUSA war wahrscheinlich weniger ausgeprägt als auf den anderen Schiffen. Die Crew war aufeinander eingespielt. Ich hatte bei der Übernahme des Schiffes die Erlaubnis bekommen, ein intensives Übungsprogramm durchzuführen. Wir hatten alle möglichen Standardübungen alleine und auch im Verband durchgeführt. Zusätzlich hatte ich mir mit meinen Offizieren ein paar weitere Manöver ausgedacht und diese mit der ganzen Besatzung geübt. Commander Drake in seiner neuen Funktion als Erster Offizier an Bord des Flaggschiffs HAMMER hatte sich angeschlossen. Die erfahrenen Crew-Mitglieder beider Schiffe hatten anfangs gemurrt, waren aber dann doch sehr engagiert bei der Sache gewesen.

 

Die drei schweren Kreuzer waren eine andere Geschichte gewesen. Die FALCON unter Commander Cordalez war erst zwei Wochen vor Missionsbeginn von einer Langstreckenmission zurückgekommen. Danach mußte sie ein paar Tage ins Dock für Reparaturen und Nachrüstungen. Aber selbst dann war das Schiff noch nicht bereit, denn einerseits mußte die Crew ein paar Tage Urlaub bekommen und andererseits mußte das Schiff selbst neu verproviantiert und aufmunitioniert werden. Im Anschluß kamen dann noch einige Tests mit den neuen Systemen.

 

Die EAGLE unter Commander Kennedy war praktisch neu aus der Werft gekommen - keine Erfahrung, immer noch die üblichen Probleme eines neuen Schiffes und einen Kommandanten der zu leichter Exzentrizität neigte. All das würde die EAGLE meiner Ansicht nach zu einem Schwachpunkt machen. Andererseits sagte man Kennedy sehr viel Improvisationsgeschick und einen guten taktischen Riecher nach.

 

Die MILAN war zwar nicht neu, aber durch die Umrüstung auf die neuen Torpedowerfer war auch sie nach längerer Zeit aus der Werft gekommen. Die Besatzung war allerdings erfahren und mit dem Schiff vertraut. Nur die Spezialaufgabe war dem russisch-stämmigen Kommandanten Commander Garewitsch noch nicht so ganz in Fleisch und Blut übergegangen. Garewitsch war von seiner Art her eher der Draufgängertyp. Die Aufgabe seines Schiffes erforderte jedoch ein vorsichtigeres Taktieren im Ernstfall.

 

Die ARGUS hatte aufgrund ihrer Rolle so etwas wie Narrenfreiheit. Sie würde an keinen Gefechten teilnehmen, dafür war sie auch gar nicht ausgerüstet. Commander Baily allerdings war als sehr umsichtige Offizierin bekannt, daher machte ich mir der ARGUS wegen am wenigsten Sorgen.

 

Von der Kampfkraft her konnte es jedes unserer Schiffe mit einem gleich großen Uldat-Schiffe aufnehmen, auch wenn wir das tunlichst vermeiden wollten. Die Frage war eher, ob sie uns orten konnten. Das herauszufinden würde Aufgabe der ARGUS sein. Sie mußte eine Raumkugel mit acht Lichtjahren Durchmesser und 4 Sonnensystemen überprüfen.

 

Es war 11:45 als die HAMMER sich per Konferenzschaltung meldete. Ich nickte LT Stanitakis zu, und er schaltete die MEDUSA in die Konferenz zu.

 

„HAMMER an Flotte. Bereitschaftsmeldung.“

 

Ich räusperte mich kurz:„TSS MEDUSA, Konferenzschaltung aktiv. Schiff bereit für Abflug.“

 

„Gut, sie zu hören Captain Grischenko.“ antwortete McPherson seinem ehemaligen ersten Offizier mit einer leichten Betonung des Wortes Captain. Ich konnte ihn gut verstehen, denn wir hatten doch einige Jahre zusammen verbracht.

 

Nach und nach klinkten sich auch die anderen Kommandanten ein und meldeten sich.

 

„EAGLE startbereit.“ meldete sich Kennedy mit leutseeligem Ton.

 

„FALCON wartet ungeduldig auf das Go, Commodore.“ meldete sich Cordalez. Ich mußte unwillkürlich schmunzeln, als ich mir die zierliche aber energiegeladene Spanierin im Kommandosessel vorstellte. Wer diese Frau kannte, wußte auch, daß Geduld für sie eher ein Fremdwort war.

 

„MILAN bereit zum Abflug.“ Garewitsch war wie immer vollkommen auf den Job konzentriert. Man hörte ihm das an.

 

„ARGUS klar zum Sprint.“ meldete sich die Afroamerikanerin Baily. Ihr traute man Sprints sogar zu. Sie hatte wirklich die Figur einer Sprinterin. Ihr Schiff stand dem in nichts nach.

 

LCDR Naftali von der EVEREST und LCDR Miloschic von der K2 meldeten ihre Schiffe ebenfalls klar. Die Frachterbesatzungen war einige Monate auf Verbandsmanöver unter Gefechtsbedingungen trainiert worden. Üblicherweise waren Frachterbesatzungen selbst auf Flotteneinheiten eher laxere Umstände gewöhnt. Aus diesem Grund wurden sie auch von den regulären Kampfbesatzungen nicht ganz für voll genommen.

 

Es hatte einige Reibereien gegeben während der Übungen, bis die Kampfschiff-Crews eingesehen hatten, daß diese riesigen Schiffe einfach ihre Eigenheiten hatten. Als dann noch die K2 und die EVEREST in einer simulierten Übung einen schweren Kreuzer durch ein ziemlich spektakuläres Manöver kalt gestellt hatten, hatte sich die Stimmung nachhaltig gebessert.

 

Commodore Fitzgerald meldete sich wieder auf der Sammelfrequenz: “HAMMER ebenfalls bereit. Start wie geplant um 1200 Terra-Zeit. Übergabe der Flugkoordination an Navigationscomputer erfolgt sofort. HAMMER Ende.“

 

Damit war die Konferenzschaltung beendet. Der Bordcomputer übernahm auf einen Knopfdruck hin die Koordination mit den anderen Schiffen und die Durchführung der ersten Etappe. Die ARGUS würden wir nach dem Wiedereintritt in den Normalraum nicht mehr zu sehen bekommen, denn sie würde weiterfliegen.

 

„Kazinsky, sie haben die Brücke. Ich bin im Bereitschaftsraum.“ befahl ich und ging die paar Schritte zum Bereitschaftsraum. Seit fast fünf Monaten war ich nun kommandierender Offizier der MEDUSA und es fühlte sich immer noch etwas eigenartig an, diese Aufgabe zu erfüllen. Das Schiff roch noch nach frischer Farbe. Die Anrede Captain war ebenfalls ungewohnt.

 

Wir hatten die MEDUSA zwei Tage nach der vierwöchigen Quarantäne der EXPLORER bekommen. Die EX hatten wir ins Dock gebracht. Danach hatten ausser den Wissenschaftlern alle den Befehl erhalten, sich in Paradeuniform auf Dockplatz 2 der Orbitalwerft einzufinden. Niemand hatte gewußt, was vorging. Keiner hatte sich vorstellen können, wozu wir die Paradeuniform brauchten. Als wir dann vor Ort gewesen waren, hatten sich die Dinge recht rasch aufgeklärt. Admiral Yamato hatte nur mehr auf uns gewartet, um die MEDUSA taufen zu lassen. Er hatte mich damals nach seiner kurzen Rede aufgerufen und mir die Sektflasche in die Hand gedrückt. Er hatte nur gesagt: „Bitte sehr, Captain.“ In diesem Moment hatte ich gewußt, was gespielt wurde. Wenn möglich taufte nach der Tradition der Flotte der zukünftige Captain ein neues Schiff. Damals war mir siedend heiß geworden in der Uniform. Ich hatte die Flasche gegen den Rumpf des Schiffes geschmettert. Danach hatte die Crew zusammengepackt und das Schiff gewechselt.

 

Ich blickte wieder auf den Hauptbildschirm. Der Countdown zählte herunter und erreichte die Null. Das Schiff begann leicht zu vibrieren, als die Impulstriebwerke loslegten. Die Schiffe hatten vorher eine V-Formation mit den beiden Schlachtkreuzern an der Spitze eingenommen. Nach 20 Minuten hatten wir Lichtgeschwindigkeit erreicht und gingen in den Hyperraum. Die Frachter brauchten etwas länger, daher hatten sich auch die Kampfschiffe etwas mehr Zeit gelassen. Das graue Wallen des Hyperraums erschien auf dem Bildschirm. Die erste Etappe würde zwei Tage dauern.

 

Im Hyperraum gab es weder Kommunikation noch Sichtkontakt zu den anderen Schiffen. Der Austritt würde zwar computergesteuert bei allen Schiffen gleichzeitig erfolgen, aber trotzdem würden die Schiffe statistisch verteilt in einer Raumkugel auftauchen, die mitunter mehrere Millionen Kilometer Durchmesser hatte. Es war also sehr unwahrscheinlich, daß die Flotte in einer geordneten Formation aus dem Hyperraum kam. So gesehen war der Verteidiger einer Position eindeutig im Vorteil. Aus diesem Grund waren die Navigationscomputer und die Ortungssysteme gekoppelt und mit einem Formationsprogramm gefüttert worden. Die Formation sollte so rasch wie möglich nach Austritt wieder eingenommen werden.

 

Im Bereitschaftsraum schaltete ich das Terminal zum Bordcomputer ein und sah mir nochmals die taktische Planung an. Irgendwie erschien mir der Plan unnötig kompliziert. Das Timing war der Schlüssel. Sollte nur irgendetwas verzögert ablaufen, dann war der ganze Plan dahin. Mir fiel aber leider auch keine andere Lösung ein. Wir hatten zwar Spielräume eingeplant, aber die waren auch nicht sonderlich üppig.

 

Ich ging zum Speisenautomaten hinüber und ließ mir einen Tee produzieren. Die schwarze Flüssigkeit in der Tasse dampfte leicht. Am liebsten mochte ich ihn schwarz, stark und mit Zucker.

 

Nun gut, wir waren unterwegs zu einer Mission, die ich nicht für richtig hielt. Ich hätte die Kanaer ... sagen wir ... mit etwas mehr Vorsicht aufgenommen. Die Menschheit wußte nicht, ob stimmte, was sie uns erzählten. Die Datenbestände der Kanaer konnten einseitig gefärbt sein. Wir hatten noch keine andere Meinung gehört. Die Uldat konnten wir schwerlich fragen und sonst hatten wir noch keine Rasse kennengelernt. Wir wußten es einfach nicht, und diese Unsicherheit stellte auch für die Erdregierung ein Problem dar.

 

In das Reich der Uldat hinein eine Expedition zu schicken und mit einem ihrer Hilfsvölker Kontakt aufzunehmen, hielt ich ebenfalls für bedenklich. Wenn man uns entdeckte, hatten wir den Feind wahrscheinlich schneller im Erdorbit, als wir bis drei zählen konnten. So konnten wir die Sachlage also nicht wirklich klären. In der dem Uldat-Imperium abgewandten Richtung gab es nur zwei Rassen, die für einen Informationsaustausch hoch genug entwickelt waren. Ob sie allerdings schon von den Uldat gehört hatten? Eine entsprechende Mission war eine von vielen Alternativen zum Informationsgewinn. Eine andere Möglichkeit war, bis an das entfernte Ende des schlauchartigen Uldat-Imperiums zu fliegen und dort Kontakte zu suchen. Die Reise würde aber eine sehr lange sein, denn bis dahin mußte ein Schiff über 800 Lichtjahre zurücklegen. Das ging nicht ohne Zwischenstopps im Normalraum. Diese würden aber unweigerlich im Einflußbereich der Uldat erfolgen müssen - ein Himmelfahrtskommando.

 

Ein anderer Plan dazu sah vor, einen Transferkorridor über dem Uldat-Imperium zu errichten. Mehrere kleine Nachschubbasen sollten dort ausgebaut werden. Dieser Plan war zwar sehr vielversprechend, hatte aber einen gravierenden Nachteil. Er war sehr aufwändig bezüglich Mannschaften, Material und auch Zeit.

 

In Richtung galaktisches Zentrum befand sich die Leere zwischen den beiden Spiralarmen. Dort war auf einige 100 Lichtjahre Entfernung kaum etwas zu finden, geschweige denn eine raumfahrende Zivilisation. Schiffe, die dort aus dem Hyperraum kamen oder in ihn eindrangen, konnte man wahrscheinlich auf wesentlich größere Distanzen orten als innerhalb eines Spiralarms mit seinen vielen Gravitationsquellen. Diese Richtung erschien mir daher auch nicht sonderlich praktikabel.

 

Aber was zerbrach ich mir den Kopf darüber? Es gab hochbezahlte Strategen und Taktiker in den Planungsstäben der Regierung und der Flotte. Mein Terminal piepste kurz auf und Commander Natalia Kazinsky erschien auf dem kleinen Bildschirm:"Sir, kurzer Statusbericht: alle Systeme laufen normal, Vibrationserscheinungen treten derzeit keine auf. Die Probleme am DFG-3 sind behoben."

 

"Was war nicht in Ordnung am DFG-3?" fragte ich nach. Die Deflektor-Feld-Generatoren waren essentiell wichtig für den Aufbau des Hyperfeldes. Ohne DFGs gab es keinen Überlichtflug.

 

"Die Werft hatte an den Panels billige Schrauben verwendet und nicht wie vorgesehen die spezialgehärteten. Natürlich sind dann zwei davon abgerissen aufgrund der Vibrationen. Es gab dann entsprechende Kurzschlüsse durch Metallsplitter."

 

Ich saß einige Sekunden lang da und wollte am liebsten irgendeinen Werftarbeiter verprügeln. Statt dessen lehnte ich mich zurück:"Ersuchen sie Mr. Blackhurst einen Bericht schreiben und die entsprechenden Schrauben als Beweismittel aufzubewahren. Ich denke, da werden bei unserer Rückkehr einige Leute in der Werft ein paar sehr unangenehme Stunden erleben. Ich werde Admiral Yamato bitten, ein Exempel zu statuieren. Eine solche Schlamperei kann uns das Leben kosten."

 

"Aye Captain."

 

"Sonst noch etwas Commander?"

 

"Nur, daß wir genau im Plan liegen Captain. Ankunft in 45 Stunden und 37 Minuten."

 

"Gut gemacht Commander. Legen sie eine Pause ein und lassen sie die zweite Schicht ans Gerät. Ich brauche sie top fit, wenn wir den Hyperraum wieder verlassen. Grischenko Ende."

 

Kazinsky würde sich über diesen Befehl nicht hinwegsetzen. Sie wußte, daß ich diebezüglich keinen Spaß verstand. Und irgendwann mußte ich schließlich auch meine Ersatzleute an die Aufgaben heranführen.

 

Zwischenbericht Jennifer Baily

 

An den Lärm der Triebwerke mußte man sich erst gewöhnen. Durch das Hochzüchten aller Antriebssysteme und ihrer Hilfsaggregate war die ARGUS um einiges lauter geworden, als zuvor. Die Schallabsorption hatte in der Hektik, mit der diese Mission abgewickelt wurde, nicht mehr nachgezogen werden können. Unser Cheftechniker LT David Namarra arbeitete seit dem Start an dem Problem. Er versuchte an den Vibrationsdämpfern eine Einstellung zu finden, die das Ärgste ausfilterte. Auf der Brücke war es eigenartigerweise wesentlich weniger laut. Namarra hatte gemeint, die Brücke sei so im Schiff eingebettet, daß sie im Gefecht der sicherste Ort sei. Daraus folge, dass es kaum starre Verbindungen zum Rest des Schiffes gab. Die wenigen, die es gab, waren mit Schwingungsdämpfern versehen oder aus anderen Gründen wenig bis gar nicht leitfähig für Schall.

 

Der Höllenritt dauerte nun schon zehn Stunden und würde noch etwas mehr als 14 Stunden dauern. Dann würden wir aus dem Hyperraum kommen und die acht Lichtjahre durchmessende Raumkugel rund um History nach allen Regeln der Ortungskunst nach Schiffen abscannen. Dazu hatte man den angeblich besten Ortungsexperten der Flotte meinem Kommando unterstellt, nachdem das Schiff in der Werft mit dem neuesten Equipment ausgestattet worden war. Derzeit bemühte sich der Experte LT Josh Phrasier, die Ursache für die intensive Schallbelastung an Bord zu finden - bisher leider erfolglos.

 

"Captain, ersuche um Erlaubnis, die Waffenkonverter kurz abschalten zu dürfen." fragte er an.

 

"Was verstehen sie unter kurz Lieutenant?"

 

"1 bis 2 Minuten, Captain."

 

"Genehmigt."

 

Da er an der Taktikkonsole saß, konnte er die Schaltung gleich selbst vornehmen. Augenblicklich wurde es ruhig an Bord.

 

"Was haben sie getrickst, Phrasier?" fragte ich erstaunt nach.

 

"Die Konverterblocklager sind das Problem. Sie sind zu weich. Wenn sie möchten, tauschen wir sie gegen härtere aus Captain, und dann ist Ruhe an Bord."

 

"Wie lange brauchen sie dafür?"

 

"LT Namarra meint, das wäre in einer Stunde erledigt. Es ginge sogar ohne Abschaltung der Konverter, wenn wir sie hydraulisch anheben, aber das würden LT Namarra und ich eher nicht empfehlen."

 

"Kann ich mir vorstellen. Wenn wir da gerade schießen müßten, gäbe es Chaos im Maschinenraum und die Waffensysteme wären noch weniger wert, als sie ohnehin schon sind - nämlich nichts mehr."

 

"Da haben sie leider recht Captain."

 

"Gut, legen sie die Konverter still und wechseln sie die Blocklager aus. Aber mit Tempo. Ziehen sie alle Leute dafür ab, die sie brauchen können."

 

Ich mochte es nicht, vor dem Wiedereinritt in den Normalraum wehrlos zu sein, andererseits konnte ich auch keine Besatzung gebrauchen, die völlig fertig war vom Maschinenlärm. Da aber noch einige Stunden Zeit waren, konnten wir die Waffensysteme im Moment ohnehin nicht gebrauchen. Im Hyperraum waren sie sinnlos.

 

"Aye Captain."

 

Auf Namarra konnte ich mich verlassen, das wußte ich. Was ich von dem neuen Ortungsspezialisten halten sollte, wußte ich noch nicht so ganz, aber den kannte ich leider auch erst seit einigen Tagen. Meine eigenen Leute kannten die neuen Geräte noch nicht gut genug für diese Mission, daher hatte uns die Flotte sozusagen gleich einen Spezialisten mitgeliefert. Phrasier hatte sich charakterlich problemlos in die Mannschaft eingefügt. Es hatte keine der sonst üblichen Reibereien oder Diskussionen gegeben und er übernahm seinen Anteil an allgemeinen Aufgaben, wie jeder andere auch. Gerade das machte mich mißtrauisch. Er schien keine Persönlichkeit zu haben oder sie sehr gut hinter seiner Kompetenz zu verstecken. Seine Kompetenz war selbstverständlich gegeben. Wie er allerdings unter Stress reagieren würde, konnte ich nicht einmal annähernd abschätzen.

 

"Vitali, übernehmen sie hier für eine Weile. Vier Stunden vor Austritt holen sie mir die erste Schicht aus den Betten und mich auch. Vier Stunden sollten reichen, daß jeder wach ist, nehme ich an. Sogar für unseren Zweiten."

 

Lieutenant Vitali Gedosim grinste bei meiner letzten Bemerkung. Es war allgemein bekannt, daß der zweite Offizier Lieutenant junior grade Roman Wernhardt mindestens eine Stunde brauchte, bis er nach einem Schlaf auf Touren kam. Aus diesem Grund stand er üblicherweise auch zwei Stunden vor Schichtbeginn auf, schließlich wollte er ja auch noch duschen und in Ruhe frühstücken. Dann allerdings war er ein Segen für eine Schiffscrew. Er hatte stets den vollen Überblick und arbeitete sehr konzentriert und schnell. Dabei blieb er immer gelassen und höflich. Noch nie hatte jemand ein böses oder unflätiges Wort von ihm gehört. Aber was viel wichtiger war für einen kommandierenden Offizier: er machte keine Fehler. Man könnte jetzt meinen, er wäre ein Android, aber Wernhardt war einfach ein hoch effizienter Mensch. Ihn als Zweiten zu verlieren, das würde bei seinen Qualitäten bald der Fall sein, würde schwer werden für dieses Schiff.

 

14 Stunden später …

 

Die ARGUS brach aus dem Hyperraum hervor. Wir hatten geplant, recht nah an der Sonne herauszukommen, aber der Hyperraum hatte uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir standen ein paar Millionen Kilometer abseits des gewollten Wiedereintrittspunktes. Grundsätzlich wäre das nicht weiter tragisch gewesen, aber bei so sensiblen Operationen wie dieser, wußte man nie. Noch dazu waren unsere Schutzschirme derart aufgeladen worden, daß sie der Sonnenkorona standhalten hätten können. Jetzt strahlten sie massig aber unnötig Energie in den Weltraum ab und wären für aufmerksame Beobachter im System wahrscheinlich gut anzumessen.

 

Wernhardt wartete gar nicht erst meinen Befehl ab, sondern reduzierte die Schildstärke auf das notwendige Mindestmaß. Ich nickte ihm anerkennend zu.

 

"Taktik, Sensoren auf 25% Leistung. Sollten sie nichts entdecken, fahren sie die Scanner stufenweise hoch bis zum Anschlag. Wenn sie etwas raumschiffähnliches entdecken, dann sofort Ortungsalarm auslösen."

 

"Aye, Captain."

 

"Navigation, alle Maschinen stopp, aber kein Bremsmanöver. Suchen sie sich ein Versteck, aber nicht in der Sonnenkorona, das wäre zu offensichtlich und programmieren sie gleich einen Fluchtkurs dorthin. Bleiben sie knapp unter Sprunggeschwindigkeit und die Triebwerke auf Standby."

 

"Aye, Ma'm. Wird erledigt."

 

Damit hatte ich vorerst einmal alles getan, was ich tun konnte. Die Kontaktaufnahme mit den Kanaern kam erst an der zweiten Stelle. Die Sicherheit des Schiffes und der Gesamtoperation hatte Vorrang.

 

Als sich nach zwei Stunden immer noch nichts ereignet hatte, ließ ich zur Phase 2 übergehen. Der Funker schickte das vereinbarte Signal an die Kanaer. Die Flotte würden wir erst in ein paar Stunden erreichen können. Die Kanaer bestätigten mit dem vereinbarten Kurzimpuls. Was am Boden vorgehen würde, entzog sich meiner Kenntnis. Mit der logistischen Seite hatten wir nichts zu tun und daher kannte die Details an Bord der ARGUS niemand. Wir würden nur die der Flotte vorgelagerten Augen und Ohren sein. Bei Bedarf würden wir noch als beweglicher Störsender agieren können. Die ARGUS war eine mit Elektronik und hochgezüchteten Triebwerken vollgestopfte Walze, nicht mehr und nicht weniger. Unsere taktischen Optionen waren bescheiden: nicht finden lassen und wenn entdeckt, dann mit rauchenden Triebwerken verschwinden.

 

Wir gingen auf Überhöhung im System Gliese 581 und bezogen Position über dem Nordpol des Zentralgestirns. Es sollten zwei ereignislose Tage werden - nur unterbrochen durch die Kontaktaufnahme mit der anrückenden Flotte. Zum vereinbarten Zeitpunkt sprang die Flotte der Shuttles in den Normalraum zurück und stürzte sich auf den Mond History. Auf Normalfunkfrequenzen setzte Funkverkehr ein, der sich aber bald wieder abschwächte, nachdem die Shuttles alle gelandet waren. Die begleitenden schweren Kreuzer nahmen Sicherungspositionen über dem Stützpunkt der Kanaer ein. Wir hielten uns von den Aktivitäten fern, damit wir bessere Ortungsergebnisse bekamen und uns nicht die eigenen Schiffe störten.

 

Mond History

 

Es war offenbar gar nicht so einfach, 132 große und 112 kleine Lastenshuttles zu koordinieren, vor allem auch deswegen nicht, da die Regierungsstation der Kanaer auf solch einen massiven Betrieb nicht einmal annähernd ausgelegt war. Aus diesem Grund waren die Logistiker dazu übergegangen, für den Weg aus der Basis an die Oberfläche die kleinen planetengebundenen Frachtgleiter der Kanaer zu benutzen, und die Fracht an der Oberfläche auf die irdischen Shuttles umzuladen. Einfacher ging das alles mit den Kanaern selbst, denn sie marschierten in geordneten Reihen zu den Shuttles und stiegen einfach ein.

 

Die Logistiker der Erde teilten die Kanaer in Transfergruppen ein und die Fracht in volumsmäßig ähnliche Pakete. Gewicht spielte weniger eine Rolle, daher war von den Kanaern schon bei den Vorbereitungen mehr Augenmerk auf die Zusammengehörigkeit der Ladung gelegt worden. Die Fracht wurde bereit gehalten, aber der erste Flug der leichten Shuttles würde ausschließlich Personen transportieren und damit fast alle Kanaer auf einen Schlag vom Mond holen. Fünf große Shuttles würden sie begleiten und die restlichen 200 Kanaer mitbringen in den Orbit. Der Rest der Shuttles würde bereits mit Frachtgut aufsteigen. In Summe würden drei Flüge pro Shuttle erforderlich sein. Das Ganze sollte nicht länger als maximal 24 Stunden dauern.

 

An Bord der ARGUS hatte man die Scanner mittlerweile auf volle Leistung hochgefahren. Die Systeme für die elektronischen Abwehrmaßnahmen, waren warm gelaufen und das Schiff hatte Position über dem Nordpol von History bezogen. In diesem Moment kamen die beiden Frachter auf die Sekunde genau aus dem Hyperraum. Die gravimetrischen Sensoren der ARGUS schlugen fast durch, als die riesigen Schiffe den Normalraum mit ihrer Masse krümmten. Eine schnelle Kalkulation ergab, daß die Raumverzerrung für ungefähr acht Minuten in vier Lichtjahren Entfernung mit den Mitteln der Uldat noch geortet werden konnte. Genau dieser Punkt hatte den Einsatzplanern schlaflose Nächte beschert, das Problem ließ sich aber leider nicht vermeiden. Commander Baily nahm Kontakt zur HAMMER auf.

 

"HAMMER an ARGUS. Flottenkommando schaltet sich zu."

 

"Hier Fitzgerald. Sie haben Informationen für mich, Captain?"

 

Baily war dem Rang nach zwar nur Commander, aber als kommandierender Offizier wurde sie mit Captain angesprochen, solange sie auf ihrem Kommando war.

 

"Ja Sir. Wir haben die Gravitationswellen berechnet und die Ortungsleistung der Uldat extrapoliert. Die Uldat können sie noch 7 Minuten und 30 Sekunden auf 4 Lichtjahre orten. Ansonsten derzeit keine Informationen, Sir."

 

"Danke für die prompte Information Captain. Das war zu erwarten, auch wenn es leider keine gute Nachricht ist."

 

"Ich kann die Naturgesetze leider auch nicht verbiegen Sir."

 

"Schade, Captain. Wäre hilfreich, aber dann säßen sie wahrscheinlich in der Regierung und wären meine Chefin. HAMMER Ende."

 

Baily grinste bei Fitzgeralds Bemerkung:"Der Alte hat auch immer einen Spruch auf Lager."

 

"Aber Captain, ihre Ausdrucksweise …" meinte Gedosim mit einem breiten Grinsen.

 

"Vitali, von ihnen bin ich noch ganz andere Sachen gewöhnt." gab Baily mit einem Lachen zurück. Gedosims manchmal kräftige Ausdrucksweise war bekannt an Bord und sie nahm ihm das auch nicht übel. Nur hin und wieder zog sie ihren ersten Offizier damit auf.

 

Aufgrund der kleinen Besatzung einer Fregatte von 44 Crewmitgliedern kannte jeder jeden an Bord. Das Verhältnis der Leute untereinander war so gut wie immer ein familiäres an Bord dieser kleinen Flotteneinheiten. Es ging auch nicht anders, denn das Platzangebot war bescheiden und man mußte bei diversen Gelegenheiten so gut wie überall aushelfen. Frischgebackene Offiziere der Flottenakademie, die während ihrer Ausbildung positiv aufgefallen waren, wurden für ihre erste Stationierung gern auf solche Einheiten abkommandiert. Dort lernten sie am meisten und auch gewisse soziale Kompetenzen erwarben sie an Bord einer Fregatte. Wer auf einer Fregatte zurecht kam, hatte gute Chancen auf eine vielversprechende Laufbahn in der Flotte.

 

Der Abflug der Frachter würde weniger Kopfzerbrechen bereiten. Der Rückweg würde in eine unbelebte Gegend des Orion-Arms führen und dann von dort zur Erde. Im Umfeld der Erde selbst gab es keine Zivilisation, die Gravitationswellen orten konnte.

 

„Captain, wir haben einen Ausbruch im Nachbarsystem. Entfernung 2,8 Lichtjahre.“ meldete sich LT Phrasier.

 

„Sonst noch Informationen verfügbar Lieutenant?“

 

„Einen Moment Geduld bitte, Captain. Der Computer wertet noch aus. Ah ... da kommen die Ergebnisse. Es handelt sich nach Datenbestand der Kanaer um einen Scout, Triebwerkscharakteristika deuten auf Uldat-Technologie hin, sind aber nicht eindeutig. In Größe und Kampfkraft ist er vergleichbar mit uns. Spezialisierung kann ich leider keine erkennen. Er kommt aus dem Gamma-Gebiet des Uldat-Imperiums. Er hat ungefähr 80 Lichtjahre hinter sich. Keine weiteren Erschütterungen der Raumkrümmung - weder an seinem Ursprungsort noch an seinem Ziel.“

 

„Sehr gut. Funker, informieren sie die HAMMER mit schwächster Sendeleistung und schlagen sie bewaffnete Aufklärung vor.“

 

„HAMMER an ARGUS. Die FALCON wird das übernehmen. Ab sofort Funkstille auf Hyperwelle für gesamte Flotte. Normalfunk ist auf das absolute Mindestmaß an Menge und Stärke zu beschränken. HAMMER Ende.“

 

Auf den Ortungsschirmen der ARGUS scherte die FALCON bereits aus. Drei schwere Jäger schlossen zum schweren Kreuzer auf und schleusten ein.

 

TSS FALCON

 

„Captain, wir haben gerade Befehl bekommen, ein Schiff zu identifizieren und zu beobachten. Nimmt das Schiff Kurs hierher, sollen wir es nach eigenem Ermessen aufhalten und an einer Kontaktaufnahme mit anderen hindern. Koordinaten und Meßdaten kommen gerade herein.“

 

Cordalez zog die linke Augenbraue hoch:“Das heißt wir sollen ihn über den Haufen schießen. Wie sonst sollen wir genau seine Funkgeräte unschädlich machen? Die werden sicher kein rotes Kreuz an der richtigen Stelle auf den Bug gemalt haben.“

 

„Vielleicht reicht es, einen Erstkontakt herzustellen und ihn so lange genug aufzuhalten, bis unsere Flotte weg ist? Wenn es kein Uldat ist, wäre das ohnehin besser, Captain.“

 

„Da ist was dran, Erster. Wenn es Kruhl sind, dann sollten wir sie vielleicht nicht verärgern. Es würde nämlich einer ihrer Antimaterie-Torpedos reichen, um uns aus dem Raum zu pusten. Und noch dazu sind sie nicht gerade Fans der Uldat, wie wir wissen. Schleusen sie die Jäger ein und geben sie mir die ARGUS.“

 

„ARGUS in der Leitung Captain.“

 

„FALCON an ARGUS. Können sie den Fremden identifizieren? Sind es vielleicht Kruhl?“

 

Die Verbindung war nicht sonderlich gut aufgrund der reduzierten Sendestärken:„ARGUS hier. Kruhl und Uldat verwenden die gleiche Antriebstechnologie mit minimalen Unterschieden. Derzeit können wir dazu keine Aussage machen.“

 

„Danke ARGUS. FALCON Ende.“

 

„Dann werden wir wohl nachsehen müssen. Navigation bringen sie uns so hin, daß die Sonne zwischen uns und dem Fremden steht. Dann können wir die Jäger in Ruhe ausschleusen und Gefechtsformation einnehmen.“

 

„Aye Captain. Kurs liegt an. ETA 3,3 Stunden.“

 

„Dann los.“

 

Die FALCON nahm mit Vollschub Geschwindigkeit auf und verschwand nach wenigen Minuten aus dem Normalraum.

 

Captain Baily an Bord der ARGUS war einerseits nicht sonderlich begeistert, daß die FALCON das Los gezogen hatte, andererseits war es vielleicht besser so, denn die Bewaffnung der ARGUS war so gut wie nicht vorhanden. Die ARGUS beobachtete den Fremden über 2,8 Lichtjahre hinweg weiterhin. Viel war nicht zu erfahren, denn solange er keinen Übergang vom Normalraum in den Hyperraum oder umgekehrt durchführte, konnte man auf diese Entfernung keine neuen Informationen gewinnen.

 

Eine Stunde später war es aber soweit, der Fremde drang in den Hyperraum ein und fiel wenige Minuten später wieder in den Normalraum zurück. Das Verschwinden hatte sofort Besorgnis ausgelöst und Baily hatte eine entsprechende Warnung an das Flaggschiff geschickt. Die Entwarnung ging ebenfalls sofort raus, als sie den Fremden in leicht veränderter Position beim Rücksturz in den Normalraum wiederfanden. Der Fremde hatte sich aus der Ekliptik des anderen Sonnensystems herausbewegt und hatte am äußeren Rand des Sonnensystems 45 Grad über der Ekliptik Stellung bezogen. Scheinbar wollte er einfach freie Sicht auf das Nachbarsystem Gliese 581 und die Vorgänge dort haben. Die Absicht, der Flotte einen Besuch abzustatten, hatte er scheinbar nicht. Baily war das nur recht.

 

Daß der Fremde die Vorgänge hier aber beobachten wollte und wahrscheinlich auch bis zu einem gewissen Grad konnte, bereitete ihr etwas mehr Sorge. Was wenn er die Flotte beim Abflug verfolgen konnte mit seinen Ortungsgeräten? Würde er den Austrittspunkt und somit das Ziel der Flotte feststellen können? Die Richtung des Hyperraumfluges war durch das letzte Stück Kurs zum Eintrittspunkt vorgegeben. Wenn man das wußte und den Kurs auf der Karte einfach nur verlängerte, konnte man zumindest einen sehr schmalen Zielkorridor erstellen. Die Entfernung blieb dabei zwar unbekannt, aber wenn man gleichzeitig Gravitationswellen eines Schiffes über weitere Strecken orten konnte, dann war auch die genaue Feststellung des Zieles möglich. Sie schickte Commodore Fitzgerald eine entsprechende Meldung.

 

Die FALCON kam aus dem Hyperraum. Ihr aktueller Kurs würde sie in den Nachbarstern von Gliese 581 führen. Die Taktikstation lieferte erste Ergebnisse. Der Fremde hatte sich offenbar bewegt, denn an seiner alten Position war nichts mehr zu finden. Einige Minuten später fanden ihn die Scanner wieder. Er stand über der Ekliptik des Systems und schien nach Gliese 581 hinüber zu spähen. Die Maschinen liefen scheinbar im Leerlauf, denn die Energiesignatur des Schiffes war fast nicht mehr meßbar.

 

Captain Cordalez blickte zum Navigator hinüber:"Navigation, berechnen sie ein Slingshot-Manöver um die Sonne, das uns möglichst schnell zu dem Fremden bringt. Nach passieren der Sonne will ich keine Triebwerksleistung mehr abgeben, sonst kommen wir zu ihm auf wie ein Leuchtfeuer. Ausführung sofort."

 

"Aye, Captain. Slingshot zum Fremdschiff. Kurs liegt an. Ausführung."

 

Die Triebwerke donnerten wieder auf, als die FALCON auf den neuen Kurs ging. Das Schiff würde dabei die Sonne fast streifen. Ohne Schutzschirme würde die FALCON das nicht überstehen können, aber hinter der Sonne verborgen konnte der Fremde die starke Energieabstrahlung nicht anmessen. Durch die starke Annäherung wurde die Schwerkraft der Sonne ausgenutzt und gleichzeitig der Kurs geändert. Früher waren für solche Manöver hochkomplexe Kursberechnungen notwendig gewesen. Die Berechnungen waren immer noch hoch komplex, aber im 24. Jahrhundert führte diese der Navigationscomputer mit sehr hoher Geschwindigkeit durch. Ein Slingshot-Manöver schaffte der Computer in wenigen Sekunden. Das Schiff selbst hinkte da naturgegeben hinterher.

 

Die FALCON würde mit halber Lichtgeschwindigkeit zum Fremden aufschließen. Innerhalb einer guten Stunde würden sie Normalfunkdistanz erreicht haben.

 

"Navigation, wie lange haben wir noch Schub?"

 

"9 Minuten und 11 Sekunden, Captain."

 

"Gut. XO, sobald wir weit genug weg sind von der Sonne, Schutzschirme auf Deflektorstärke reduzieren. Waffensysteme auf Standby, alle Jäger ausschleusen und Gefechtsformation einnehmen. Dann auf Emission Control gehen." befahl Cordalez. Sie würden sich vorsichtig aber bestimmt annähern.

 

"Kommunikation, bereiten sie Erstkontakt über Breitbandsendung auf Normalfunk vor und halten sie die Übersetzermodule in Bereitschaft. Taktik geben sie mir ein Bild des Fremden."

 

Auf dem Hauptbildschirm erschien das unscharfe Bild eines Raumschiffes. Die stromlinienförmige Walze hatte einen breiten Frontteil und vier Gondeln, die wahrscheinlich die Triebwerke beinhalteten. Nach hinten lief die Walze nahezu spitz aus. Der Mittelteil schien gleichmäßig verdickt mit sanfter Wölbung an den Seiten. Von oben mußte das Schiff einer Eidechse ähnlich sehen, dachte Cordalez. Da wurde ihr bewußt, daß die Kruhl echsenartige Wesen waren.

 

"XO, belege Befehl zum Ausschleusen der Jäger. Das sind meiner Ansicht nach Kruhl und wir wollen sie nicht verärgern. Navigation, wie lange noch bis maximale Kontaktdistanz?"

 

"Noch 4 Minuten Captain."

 

"Kommunikation, beginnen sie mit Erstkontaktsendung in 4 Minuten. Minimale Leistung und Länge."

 

"Aye, Ma'm."

 

Kurze Zeit später startete der Funker das vorbereitete Programm. Die Reaktion der Kruhl ließ nicht lange auf sich warten. Das Schiff nahm auf einmal Fahrt auf und wendete dem Ankömmling die Breitseite zu.

 

"Status der Kruhl" befahl Commander Cordalez.

 

"Waffensysteme auf Standby, Schilde auf geringem Niveau. Sie fahren zusätzliche Reaktoren hoch."

 

"Captain, Kommunikation hier. Wir empfangen sehr einfache Signale von drüben. Sie spiegeln unsere Sendung um eine Phase verschoben an uns zurück."

 

"Das klingt ja schon mal ganz gut. Wenn sie schießen wollten, hätte es nämlich schon geknallt." meinte ihr erster Offizier Lieutenant Charles Martins.

 

"Sehe ich auch so. Taktik, Waffensysteme runterfahren. Kommunikation schalten sie eine Leitung und nehmen sie die Übersetzer dazu."

 

"Kanal offen, Captain."

 

"Hier spricht Commander Carmen Cordalez von der TSS FALCON. Wir ersuchen um Kontaktaufnahme."

 

Einige Zeit geschah nichts. Die Übersetzer waren mit der Sprache der Kruhl vorprogrammiert worden. Sollte es sich diesbezüglich um einen Irrtum handeln, würden sie wahrscheinlich ein ziemliches Mißverständnis erzeugen, aber das Risiko war es wert. Die Kommunikationscomputer schienen gegenseitig Protokolle festzulegen und auszutauschen. Das Ganze dauerte fast eine halbe Minute.

 

"Willkommen Commander. Ich bin Captain Zamis Skol von der Kruhl Defense Force Einheit SKALDA. Ihre Sprachinformationen sind ungewöhnlich gut."

 

"Wir hatten schon mit einigen anderen Völkern Kontakt. Bei diesen Gelegenheiten haben wir für unsere Übersetzungsprogramme Sprachdatensätze verschiedener Rassen erworben." log Cordalez. Woher sie die Datenbestände wirklich hatten, ging ihrer Meinung nach niemanden etwas an.

 

"Commander, sind das ihre Einheiten im Nachbarsystem, die dort scheinbar einige Kanaer oder zumindest ihr Equipment evakuieren?"

 

"Ja Captain Skol. Warum fragen sie?"

 

"Sie könnten damit die Uldat auf sich aufmerksam machen. Ihre Sprachmelodik ist der der Kanaer recht ähnlich. Ich nehme daher an, daß es sich bei ihrer Rasse um einen Zweig der Kanaer handelt. Die Uldat wären daran sicher interessiert, denn sie betreiben seit Jahrtausenden die systematische Ausrottung der Kanaer und aller Schwesterzivilisationen."

 

"Ich nehme an die Uldat wären auch an bestimmten Informationen interessiert, die die Vernichtung eines ihrer schweren Schiffe im Nachbarsystem vor ca. sechs Monaten betreffen. Soweit ich weiß, war da ein Schiff der Kruhl maßgeblich beteiligt. Es gibt sogar Videoaufnahmen davon."

 

"Ich stelle fest, sie sind gut informiert und ein harter Verhandlungsgegner Commander."

 

"Nicht mehr und nicht weniger als sie, nehme ich an. Was führt sie hier her?"

 

"Wir haben im Nachbarsystem vor sechs Monaten Uldat-Aktivitäten festgestellt und hatten das System daher unter Fernüberwachung. Und heute plötzlich kommt eine Menge Schiffe dort an, die aber keine Uldat-Schiffe sind. Sagen wir so, wir möchten einfach nur wissen, was in unserer Nachbarschaft so passiert. Was führt sie dort in dieses System?"

 

"Sie haben recht, wir plündern einen intakten Kanaer-Stützpunkt. Die Operation ist bald abgeschlossen."

 

"Mit acht Schiffen? Zwei davon ausserordentlich groß. Ich nehme an Frachter. Das ist eigentlich fast schon ein Raubzug von kriegerischen Ausmaßen, Commander. Die Ladung muß sehr wichtig sein, wenn sie 6 Kriegsschiffe zum Schutz dafür abstellen."

 

"Die Kanaer sind weiter fortgeschritten als wir. Wir haben keine Zeit alles auseinanderzunehmen und auszusortieren, was wir brauchen können und was nicht, daher packen wir einfach alles ein." schwindelte Cordalez weiter.

 

"Seien sie gewarnt Commander, die Uldat sind im Anflug und werden in ungefähr 12 ihrer Stunden im System auftauchen. Sie haben laut unserem Geheimdienst 21 Kriegsschiffe der Klasse 3 in Marsch gesetzt."

 

"Warum geben sie uns diese Informationen?"

 

"Lesen sie zwischen den Zeilen, Commander. Dort finden sie die Antwort. Leider können wir nicht mehr für sie tun. Die Uldat würden uns sonst ausrotten."

 

"Ich weiß." antwortete Cordalez, obwohl sie gar nicht wußte, was sie von der Bemerkung des Kruhl halten sollte.

 

"Wir wissen jetzt, was dort vorgeht. Unser Auftrag ist abgeschlossen und wir werden abfliegen. Ich wünsche ihnen und ihrer Rasse viel Erfolg, Commander."

 

"Vielen Dank Captain Skol. Ich hoffe wir sehen uns wieder. FALCON Ende."

 

Damit brach die Verbindung ab. Bild hatten sie keines hinbekommen in der kurzen Zeit, aber die Unterhaltung an sich war schon eine Sensation gewesen. Das Kruhl-Schiff nahm Fahrt auf. Sie erreichten ungefähr 70% der Triebwerksleistung der terranischen Kampfschiffe. Cordalez verglich das mit den Werten, die sie einerseits vom Gefecht über History und andererseits aus den Daten der Kanaer hatte. Demnach war die SKALDA so ähnlich wie die ARGUS ein hochgezüchtetes Spezialschiff.

 

Cordalez rief die Geheimdienstinformationen der Kanaer auf und suchte nach dem Captain der Kruhl. Die Kruhl waren eine Monarchie und daher war es durchaus möglich, daß sich Hinweise auf die Familie ihres Gesprächspartners finden ließen. Der Computer förderte aber nichts zutage. Dann gab sie Befehl zur Flotte zurückzukehren. Die Kruhl waren noch in der Beschleunigungsphase, als die FALCON mit ähnlichen Werten Geschwindigkeit aufnahm. Sie wollte auch den Kruhl nicht die wahren Fähigkeiten ihres Schiffes enthüllen, zumindest solange es nicht notwendig war. Als die Kruhl verschwunden waren, ging die FALCON auf volle Beschleunigung und verschwand aus dem System. Bisher hatte es noch niemand für nötig gehalten, der Sonne einen Namen zu geben.

 

Als die FALCON wieder zur Flotte stieß, schickte Commander Cordalez eine Aufzeichnung des Gesprächs zusammen mit allen anderen gesammelten Daten an die HAMMER. Commodore Fitzgerald war alles andere als erfreut über die Informationen, die Cordalez zurückgebracht hatte. Trotz allem war er mit ihrer Art mit der Lage fertig zu werden sehr zufrieden.

 

Die erste und einzige Maßnahme von Fitzgerald war die Abkommandierung allen verfügbaren Personals für die Evakuierung und Räumung des Stützpunktes, um die Zeit so stark wie möglich zu verkürzen, aber er gab sich keinen Illusionen hin. Ihr Zeitbudget war ohnehin immer schon sehr knapp kalkuliert gewesen und größere Einsparungen waren einfach nicht mehr möglich. Die Uldat würden also zwei Stunden vor Ende der gesamten Aktion hier sein. Fitzgerald saß im CIC und dachte nach. Wenn er die ganze Sache aus Sicht der Uldat betrachtete, dann würde er einen Teil seiner Kräfte in der Hinterhand halten, um sie erst bei Bedarf in die heiße Zone zu führen und die bereits kämpfenden Einheiten zu verstärken. Er besprach die Situation mit dem Planungsstab, dem auch die Kommandanten der HAMMER und der MEDUSA angehörten. Grischenko nahm allerdings nur per Videokonferenz teil.

 

„Taktische Vorschläge meine Herren?“ fragte Fitzgerald.

 

„Wie wäre es, wenn wir die Torpedos freisetzen und einen Torpedoschirm um die Flotte aufbauen? Die Suchköpfe und Triebwerke der Torpedos könnten auf Standby bleiben bis sie ein Aktvierungssignal erhalten.“ regte McPherson an.

 

„Gute Idee, nur leider sind die Torpedos dafür nicht vorgesehen. 3000 Stück können wir kaum umbauen in der restlichen Zeit.“ warf Grischenko ein.

 

Drake räusperte sich kurz: “Haben wir Minen dabei? Selbst wenn es nicht allzu viele sind, können wir doch den Weg des Gegners damit beeinflussen. Sie werden wohl kaum durch ein dichtes Minenfeld fliegen wollen.“

 

McPherson blickte kurz wohlwollend zu Drake hinüber:„Kommt darauf an, wie fanatisch sie sind, aber die Idee mit den Minen ist grundsätzlich gut. Commodore?“

 

„Ja, das kann auf jeden Fall helfen. Stellen sie gleich mal fest, wieviele wir auf Lager haben, Commander. Weitere Ideen?“

 

Drake griff nach seinem Tablet-Computer und fragte den flottenweiten Bestand an Minen ab. Irgendein genialer Logistiker auf der Erde hatte sich wohl gedacht, die Flotte würde die Dinger brauchen, denn die K2 hatte 1000 Stück dieser höllischen Dinger an Bord. Die nuklear gepulsten Laserminen waren gegen Ortung so weit wie möglich geschützt. Sie konnten selbst aktiv orten oder auch ferngesteuert bedient werden.

 

„Sir, wir haben 1000 Stück auf Lager. Ich empfehle, sie in Dreier-Pulks einzusetzen. Das würde ein Uldat-Schiff der Klasse 3 mit einem Schlag kampfunfähig machen. Ortung sollte aber passiv über die ARGUS laufen.“ meldete Drake zurück.

 

Fitzgerald schien zufrieden zu sein mit dem XO der HAMMER:„Gut, planen sie die Minen so in ein taktisches Konzept ein.“

 

„Sir, die Minen könnten eine Halbkugel bilden und die Jäger die andere Halbkugel.“

 

„Das würde die Jäger stark dem Feindfeuer aussetzen.“

 

„Stimmt, aber sie müßten nur ihre Torpedos absetzen und könnten dann auf freie Jagd angesetzt werden. Ich nehme an, die Uldat werden einen Jägerschirm haben?“

 

Die Frage war an Tanos Kreftan gerichtet:„Ich glaube nicht. Die Uldat verlassen sich auf ihre schweren Waffen. Jagdmaschinen stellen für sie keine ernsthafte Option im Raumgefecht dar. Es würde mich wundern, wenn sich diese Einstellung geändert hätte. Sie haben aber üblicherweise auch kaum Waffen an Bord, die leicht genug sind, einen schnellen Jäger zu erwischen. Sie verfügen aber sehr wohl über eine koordinierte Steuerung der Kampfschiffe ähnlich wie ihr taktisches Verbundsystem Scimitar. Sie sind gute Taktiker und Kämpfer, allerdings nicht die schnellsten. Wir nehmen an, es liegt an ihrer Form der Befehlskette.“

 

„Das heißt aber, sie brauchen etwas länger um eine Gefechtsformation einzunehmen“, folgerte Drake.

 

„Ja. Sie werden auch nicht allzu dicht zur Umlaufbahn aus dem Hyperraum kommen. Sie wollen vorher Gefechtsformation einnehmen und ihre Gefechtssysteme aufeinander abstimmen“ warf Kreftan ein.

 

Drake setzte seine Gedanken fort:„Wenn wir es also schaffen, sie von Beginn weg anzugreifen und ihre Formationsbildung zu stören, dann könnte das ein echter Vorteil sein. Vielleicht liegt es an ihren taktischen Computersystemen, daß sie da langsamer sind. Wir könnten die Jäger neben dem Torpedo mit jeweils einer Ionenkanone und einer Gausskanone ausrüsten. Dann könnten sie die Computersysteme stören oder gar völlig ausser Gerfecht setzen. Das Problem ist nur, daß wir nicht wissen, wo sie herauskommen werden.“

 

Kreftan dachte eine Weile nach:„Die Uldat sind Lebewesen mit einem gewissen Festhalten an Gewohnheiten. Vielleicht kommen sie am selben Punkt aus dem Hyperraum, an dem sie vor 120 Jahren herauskamen, als sie Nangir vernichteten.“

 

„Können sie die Position rekonstruieren, Kreftan?“ fragte Fitzgerald.

 

„Ich denke schon, wenn sie mir eine Stunde Zeit geben. Die historischen Unterlagen haben wir an Bord. Das Ganze ist aber eine sehr dünne Angelegenheit, Commodore.“

 

„Ich weiß, aber mehr als das haben wir nicht. Commander Drake, arbeiten sie ein taktisches Konzept aus und legen sie es mir in spätestens drei Stunden vor. An die Arbeit meine Herren.“ antwortete Fitzgerald.

 

Damit schien die Angelegenheit fürs erste erledigt - der Flottenkommandeur hatte entschieden. Drake nickte nur ungerührt. McPherson kannte ihn besser. Er konnte förmlich fühlen, wie Drake heimlich schluckte. Als Fitzgerald aufstand, wollte Drake ihn ansprechen und ihn bitten, die Aufgabe jemand anderem zu übertragen. McPherson sah ihn kurz an und verneinte unmerklich. Die Gestik zwischen den beiden Offizieren funktionierte nach wie vor gut. Drake ließ die Chance also bewußt verstreichen.

 

McPherson nahm Drake nach der Besprechung mit in seinen Bereitschaftsraum.

 

„Commander, sie sollten sich selbst etwas mehr zutrauen. Sie schaffen das. Das Problem ist eher der Zeitrahmen. Wir werden das gemeinsam ausarbeiten. Erstens hat dann der zweite Offizier Gelegenheit, das Schiff mal zu führen und zweitens ist das mit Fitzgerald abgesprochen.“

 

„Danke, Sir.“

 

„Keine Ursache. Ich mag es einfach nicht, wenn meine Leute verbrannt werden. Fitzgerald sieht das übrigens auch so.“

 

Damit war die Angelegenheit erst mal erledigt. Sie setzten sich gleich an die beiden Computerterminals und begannen mit der Planung der Abwehrmaßnahmen. Als erstes riefen sie eine Übersicht des Gasriesen mit all seinen Monden als dreidimensionales Hologramm auf und positionierten die Flotteneinheiten mit aktuellem Kurs. Dann begannen sie, verschiedenste Taktiken zu simulieren. Nach einiger Zeit erhielten sie von Kreftan die alten Daten über den Ausbruchspunkt der Uldat. Unter Einbeziehung dieser Daten verringerten sich die Möglichkeiten. Im CIC der HAMMER stieg die Computerauslastung trotzdem erheblich, als sie mit detaillierten Simulationen begannen.

 

Sie schafften es gerade noch in der vorgegebenen Zeit. Das Konzept stand damit fest.

 

Der Computer schätzte die Überlebenswahrscheinlichkeit der Flotte auf 20%. Das war zwar an sich wenig erfreulich, aber sie mußten den Gegner ja nicht vernichten, sondern nur lange genug hinhalten, bis die Evakuierung abgeschlossen war. Die Feuerkraft und Überzahl des Gegners würden sie durch ihre Beweglichkeit für eine Weile ausgleichen können. Die Jagdmaschinen und Minen würden ebenfalls ihren Teil beitragen.

 

Commodore Fitzgerald begutachtete den Plan. Eine halbe Stunde diskutierten sie noch über einige Details und Feinabstimmungen, aber im Grunde war sein Feedback ein sehr positives.

 

"Vielen Dank, Commodore. Captain McPherson hat daran mindestens den gleichen Anteil. Die Lorbeeren gehören also nicht mir alleine."

 

"Machen sie sich keinen Kopf, Drake. Ich wollte wissen, wie sie unter Druck reagieren. Wir im Planungsstab haben selbst auch einen Plan entwickelt, der ihrem fast gleicht. Ihr Plan gefällt mir in einigen Details sogar besser, weil er eine Spur einfacher ist. Einfache Pläne funktionieren meistens besser als komplexe. Sie haben gute Arbeit geleistet und das soll auch ausgesprochen werden. Setzen sie ihren Plan um. Sie haben jetzt meinen offiziellen Auftrag dazu."

 

Damit war er entlassen und ging wieder auf seinen Posten zurück.

 

Kurz darauf begann Drake mit der Umgruppierung der Kräfte. Die Schiffe bezogen ihre Gefechtspositionen und die K2 legte wie geplant die Minen. Die K2 würde auch als erste das Gebiet verlassen, denn die überlebenden Kanaer waren schon eingeschifft und wurden nur mehr im Schiff auf ihre Plätze eingewiesen. Mehr als 1.600 Menschen - ausnahmslos Zivilisten - in einem Truppentransporter waren durchaus eine Herausforderung für die Mannschaft.

 

Die Zeit drängte etwas, denn falls die Angaben des kruhlschen Kommandanten stimmten, würde der Gegner bald auftauchen. Nach den Informationen, die sie über die Uldat hatten, waren sie Wesen, die sehr starr an Plänen festhielten. Sie planten zwar sehr gut, aber sie ließen es doch immer wieder an Flexibilität mangeln. Fitzgerald gedachte, diesen Umstand zu nutzen. Per Hyperkom tauschte er Informationen mit der wartenden 3. Flotte aus.

 

Die 3. Flotte bestand aus weiteren neun Kampfschiffen. Eines davon war der Flottenträger TSS INVINCIBLE, die anderen acht Schiffe waren Schlachtschiffe der schwersten Klasse. Befehlshaber der INVINCIBLE war Captain Robert Yeager. In diesen Tagen machte sich niemand mehr über seinen Namen lustig, den er mit einem legendären Kampfpiloten des 20. Jahrhunderts gemeinsam hatte. Yeager war direkt Fitzgerald unterstellt. Seine derzeitige Position war 4 Lichtjahre entfernt von History, abseits der direkten Route zur Erde.

 

Statt der üblichen 40 Bomber waren 60 an Bord, dafür hatte man auf 20 leichte Jäger verzichtet. Die Jäger mit ihren verhältnismäßig leichten Waffensystemen würden die Uldat-Schlachtschiffe kaum in Bedrängnis bringen können. Die Jäger waren einfach nur als Schutz für die Bomber gedacht. Die Bomber waren mit jeweils zwei Torpedos bewaffnet.

 

Jeder Torpedo trug eine Wasserstoffbombe mit einem Annäherungszünder und einer Freund/Feind-Erkennung bei sich. Die Torpedos waren sechs Meter lang und hatten ein Gewicht von ungefähr 1800 kg. Die Sprengkraft war mit 50 Megatonnen TNT dank der Miniaturisierung der technischen Systeme für Antrieb, Ortung und Steuerung beachtlich. Für planetare Bedingungen waren das absolut erschreckende Waffensysteme, wie die Menschen aus vergangenen Jahrhunderten wußten. Der Kampf im Weltraum stellte aber andere Anforderungen an Gefechtssysteme.

 

Kampfschiffe oder Raumstationen verfügten üblicherweise über Schutzschirme. Die Entfernungen waren wesentlich größer, denn die Sprengköpfe würden schon bei einer Entfernung von unter 2km vom Ziel hochgehen. Im Weltraum gab es keine Atmosphäre, die den Explosionsdruck als gewaltige Druckwelle weiterleiten konnte. Hier wirkte allein die Entfaltung der thermischen Energie einer solchen Waffe. Aus Simulationen wußte man im Admiralsstab der Flotte, daß mehrere Treffer mit den großen Torpedos für die Zerstörung von schweren Uldat-Schiffen notwendig waren. Die kleineren Torpedos des Torpedoschiffes MILAN waren nur halb so stark und es bedurfte daher auch doppelt so vieler Treffer. Die noch kleineren Torpedos der Jäger konnten gegen die Schilde von Kampschiffen rein gar nichts ausrichten. Sie enthielten auch keine Kernsprengköpfe und waren eigentlich nur für den Angriff auf feindliche Jagdmaschinen oder Schiffe ohne Schutzschirme geeignet.

 

Die INVINCIBLE machte sich für den Abflug bereit. Zum ersten Mal in der Geschichte, machte sich ein Träger ohne Geleitschutz auf den Weg. Im Ernstfall würden die vielen Jagdmaschinen und Bomber keinen Schutz bieten, sollte der Träger von einer Feindflotte entdeckt werden. Die anderen Schiffe blieben zum Schutz der K2 am festgelegten Treffpunkt. Schließlich würde der Truppentransporter so früh wie möglich in den Hyperraum eindringen und am Treffpunkt erscheinen.

 

Die Kommandanten und der Flottenstab versuchten Ruhe auszustrahlen und die aufkommende Nervosität etwas zu dämpfen. Allerdings gelang ihnen das nur in beschränktem Umfang, da nicht alle die eigene Unruhe verbergen konnten. Für die Mannschaften wie auch die Offiziere war es eine völlig neue Situation. Zum ersten Mal würde die Menschheit einer völlig fremden Rasse gegenüber stehen und dieses Zusammentreffen würde wahrscheinlich nicht sehr friedlich ablaufen. Natürlich wollte Fitzgerald versuchen, eine friedliche Verständigung herbeizuführen, aber der Jahrtausende alte Hass der Uldat auf die Menschen würde sich wohl kaum aufhalten lassen. Der Flottenstab gab sich diesbezüglich keinen Illusionen hin.

 

Sie würden versuchen, die Uldat zu täuschen. Dazu war es notwendig, jede optische Erkennung der Crews zu vermeiden. Die Schiffsbauweise würde keinen Rückschluß auf ihre Verwandtschaft mit den Kanaern bieten. Die Kanaer bauten ihre Schiffe in eleganten eher organisch anmutenden Formen. Die zylindrischen Formen der Menschen mit ihren eckigen Ausbuchtungen und Modulen stand dazu im krassen Gegensatz.

Kapitel 6 - Operation Exodus

Die ARGUS hatte über dem Nordpol der Sonne eine überhöhte Position zur Überwachung des Sonnensystems eingenommen. Seit Stunden lag sie völlig inaktiv auf ihrer Position und lauschte mit allen Sensoren in Richtung Uldat-Imperium.

 

Der Ortungsexperte meldete sich bei Captain Baily: “Captain, ich habe hier leichte Störungen der Raumkrümmung. Die Störung kommt aus Richtung Uldat-Imperium. Voraussichtlicher Austritt 2 Mio Kilometer vor dem prognostizierten Punkt in 13 Minuten.“

 

Captain Baily sah kurz auf den Counter am Hauptbildschirm: „Sie kommen eine Stunde zu früh. Das nennen sie wahrscheinlich Flexibilität. Kommunikation, alarmieren sie die Flotte! Gefechtsbereitschaft in 10 Minuten! Weiterhin Emission Control!“ Damit war für Baily alles getan, was sie tun konnte. Ihr Schiff würde nicht ins Gefecht eingreifen. Die Waffensysteme der ARGUS waren dafür nicht ausgelegt. Sie konnten sich höchstens Verfolger vom Leib halten, allerdings nur kleine. Ihre einzige Chance war, nicht entdeckt zu werden. Die Alarmmeldung wurde von der HAMMER bestätigt. Dort hatte man die Meldung geprüft und die Störung der Raumgeometrie ebenfalls bemerkt. Das Minenfeld wurde scharf geschaltet und die Sirenen des Gefechtsalarms gellten durch die Schiffe. Die K2 brach ihre Tätigkeiten ab und verschwand wie vereinbart aus dem System. Damit war das Überleben ihrer Passagiere gesichert.

 

Commodore Fitzgerald versuchte noch die INVINCIBLE zu erreichen, aber der Träger schien schon im Hyperraum zu sein. Laut Plan würden die Jäger der INVINCIBLE allerdings erst in 45 Minuten hier sein. Das war unangenehm, denn sie mußten die erste Stunde ohne brauchbare Jägerunterstützung auskommen. Andererseits würde man die Uldat vielleicht eine Weile hinhalten können. Echte Offensivwaffen hatte der Träger keine an Bord. Der Träger würde daher ausser Reichweite aller feindlichen Waffen bleiben und seine Jäger ausschleusen. Die Jagdmaschinen würden dann mit dem eigenen Überlichtantrieb in das System eindringen, dann einerseits den schwachen Jägerschirm verstärken und andererseits auch Angriffsgruppen aus Bombern und Jagdschutz bilden.

 

Solange die Uldat nicht im System standen, würde niemand die aktiven Scanner einschalten. Man verließ sich auf die eigenen passiven Sensoren sowie auch auf die Sensoren der ARGUS, die leistungsfähiger waren als die üblichen Flottensensoren. Die aktiven Scannersysteme waren allerdings in Bereitschaft und konnten innerhalb von Sekunden aktiviert werden. Das taktische Gefechtsinformationssystem Scimitar war bereits online und wurde ständig automatisch mit den aktuellsten Daten der Schiffe gefüttert. Alle Einheiten waren in diesem taktischen Netz eingeklinkt.

 

Auf die Sekunde genau erschien die Flotte der Uldat an der von der ARGUS prognostizierten Position. Es waren tatsächlich 21 Schiffe. Leichte Einheiten waren nicht dabei und Jäger wurden nur einige wenige ausgeschleust.

 

Fitzgerald ließ die HAMMER und die MEDUSA ihre Ortungssysteme hochfahren, um die Positionen der anderen Schiffe vorerst noch nicht durch eigene Ortungsimpulse zu verraten. Die etwas schwächere Qualität der Uldat-Ortung war bekannt. Dann gab er der Kommunikation den Auftrag, einen Funkkontakt herzustellen. Das Täuschungsmanöver konnte beginnen.

 

Uldat-Flotte - Flaggschiff UDF TRULAT

 

„Admiral, wir haben drei große Einheiten auf den Ortungssystemen. Eine scheint ein Frachter zu sein. Die beiden anderen sind eindeutig Großkampfschiffe ähnlich unserer Klasse 2.“ meldete ein Ortungsoffizier an Admiral Ulrans.

 

„Wo stehen die Einheiten?“

 

„Umlaufbahn Nangir, Admiral. Es sind keine Kanaer-Schiffe.“

 

„Die UDF TRIKAN soll sich bei Gefechtseröffnung um den Frachter kümmern. Teilen sie die Flotte in zwei gleiche Teile. Jeder Teil kümmert sich um eines der Kampfschiffe.“

 

„Admiral, wir bekommen auf Hyperkom Kontakt. Es sind Erstkontaktsignale und Abgleichsinformationen für die Kommunikationscomputer.“

 

„Lassen sie unsere Kommunikationssysteme angleichen. Mich interessiert, wer sie sind. Funkkanal freischalten, wenn die Computer angeglichen sind.“

 

„Ja, Admiral.“

 

Einige Minuten später schaltete der Kommunikationsoffizier die Verbindung durch.

 

„Admiral Ulrans der Uldat-Flotte ruft unbekannte Schiffe.“

 

Erst folgte nur statisches Rauschen und einige unverständliche Geräusche. Dann hatten die Computer die Kommunikation soweit angeglichen, daß die jeweilige Sprache automatisch und in Echtzeit übersetzt werden konnte.

 

„Hier Terranische Flotte, Flaggschiff HAMMER, Commodore Fitzgerald. Wir begrüssen sie. Was führt sie hierher?“

 

„Wir haben vor einiger Zeit ein Schiff hier verloren und hier einige Aktivität festgestellt. Wir sehen einfach nach dem Rechten. Was bringt sie hierher ... Commodore?“ antwortete Ulrans.

 

 

 

„Wir haben vor einiger Zeit die Vernichtung eines Schiffes beobachtet. Dem Aussehen nach, war es jenes, das sie verloren haben. Es sah so aus, wie die Schiffe mit denen sie hier sind. Unser kleines Forschungsschiff hatte sich verborgen, um nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden. Wir haben dann auf dem zerstörten Mond einen alten Stützpunkt einer anderen Rasse gefunden, den wir gerade durchsuchen. Ansonsten gibt es nichts auf dem Planeten, was noch eine Untersuchung lohnen würde.“

 

„Können sie uns sagen, wer die Angreifer waren?“

 

„Leider nein. Unser Schiff hat sich in der Sonnenkorona verborgen. Die Ortung konnte von dort nicht viel feststellen. Wir haben die Aufzeichnungen hier. Wenn sie wünschen, können wir ihnen die Daten übermitteln.“

 

„Das wäre sehr freundlich, Commodore.“

 

„Starte Transfer ... jetzt.“

 

Der Kommunikationsoffizier bestätigte den Eingang eines standardisierten Datenstroms. Der Funkkanal wurde stumm geschaltet.

 

Hier hatte der Admiral seinen Sohn verloren, der als kommandierender Offizier der FAROL gestorben war. Er schluckte seine Rachegefühle hinunter und widmete sich wieder der aktuellen Aufgabe. Hier schien offensichtlich eine dritte Partei unbeabsichtigt in eine Auseinandersetzung hineingezogen worden zu sein.

 

„Admiral, Datenstrom vollständig angekommen.“

 

„Weiterleiten an die wissenschaftliche Abteilung und den Geheimdienst.“

 

„Admiral, wir orten mittlerweile drei weitere Fremdkörper. Es handelt sich wahrscheinlich um Kampfschiffe der Klasse 3. Wären sie größer, hätten wir sie früher erfaßt. Außerdem stellen wir ein Minenfeld fest, das eine Halbkugel um den Frachter bildet.“

 

„Ein Minenfeld und drei weitere Kampfschiffe? Eine ganze Menge Kampfkraft für das Plündern eines alten Stützpunktes der Kanaer.“ merkte Admiral Ulrans an. „Die Frage ist, warum gibt es diesen verdammten Stützpunkt überhaupt? Unsere Flotte hat den Planeten doch flächendeckend bombardiert – speziell auch die Bunkeranlagen. Erster Offizier, senden sie eine Meldung an das Flottenkommando, daß auf Nangir seinerzeit nicht alles zerstört wurde.“

 

„Ja, Admiral.“

 

Damit ließ Admiral Ulrans den Kanal wieder freischalten und wandte sich an Commodore Fitzgerald.

 

„Vielen Dank Commodore. Wir werden die Daten analysieren. Finden sie nicht, daß sie für das Plündern eines alten Stützpunktes etwas viel Kampfkraft zusammengezogen haben?. Sieben Kampfschiffe und ein Minenfeld …“

 

„Admiral, ich will ehrlich sein. Wir sind technologisch nicht so weit fortgeschritten wie die Rasse, die hier einmal gelebt hat. Für uns ist daher jede Kleinigkeit wichtig. Allerdings hält sich die Ausbeute sehr in Grenzen. Hochkatalysiertes Deuterium für Reaktoren, ein paar weltraumfähige, unbewaffnete Gleiter, und eine Menge leere Gefrierkammern, die nicht mehr funktionieren und auch nie benutzt worden sind. Alles andere wurde scheinbar absichtlich zerstört. Sonst haben wir nichts gefunden auf dem Planeten. Wir haben uns eindeutig mehr erwartet und werden das System daher bald wieder verlassen. Die Minen werden ferngezündet, damit sie hier niemanden schädigen. Ich möchte sie daher ersuchen, etwas Abstand zu halten, bis die Minen zerstört sind.“

 

„Das hört sich vernünftig an.“

 

„Kennen sie die Erbauer dieses Stützpunktes Admiral?“

 

„Ja, wir kennen diese Rasse. Sie nennen sich Kanaer. Sie sind aber vor vielen Jahren durch den Angriff einer anderen Rasse ausgerottet worden.“

 

„Verzeihen sie Admiral, ich muss mich wieder um meine Arbeit hier kümmern. Wir wollen hier bald wieder abreisen. Ich melde mich noch einmal bei ihnen, bevor wir abfliegen.“

 

„Tun sie das Commodore Fitzgerald.“

 

Damit wurde die Verbindung unterbrochen.

 

Ulrans hing seinen Gedanken nach. Zum Beispiel verstand er nicht, warum die andere Seite kein Bild mitgeschickt hatte. Andererseits gab es Rassen, die auf Bildübermittlung keinen Wert legten oder diese sogar aus religiösen Gründen ablehnten. Die Uldat hatten diesbezüglich schon einiges kennengelernt. Er wunderte sich auch darüber, warum die Fremden mit ihren Aufzeichnungen so großzügig umgingen und warum ihre Schiffe von Anfang an alle einen sehr hohen Energiepegel gehabt hatten. Was ihm auch etwas eigenartig vorkam, war die Tatsache, daß sie die Minen sprengen wollten anstatt sie vor dem Abflug einfach wieder einzusammeln. Intelligente Minen konnten sich schließlich auch von selbst fortbewegen. Andererseits waren diese Terraner technisch wohl in einigen Bereichen noch nicht so weit fortgeschritten wie seine eigene Rasse.

 

USS HAMMER

 

„Ob sie das geschluckt haben?“ fragte McPherson den Flottenkommandeur.

 

„Weiß ich nicht Captain, aber das ist auch nicht wichtig. Hauptsache, es gibt kein Gefecht. Mir schwant nichts Gutes, wenn ich mir die Daten ihrer Offensivwaffen ansehe. Der Computer errechnet die Überlebensdauer unserer Flotte mit ungefähr zwei Stunden.“

 

Kurz darauf erhielt Fitzgerald die Meldung, daß der Frachter fertig beladen sei. Er öffnete den Kanal zu den Uldat und wurde wieder zu deren Oberkommandierenden durchgestellt.

 

"Admiral, wir haben hier ein Problem. Scheinbar wurde ein Zündmechanismus in dem alten Stützpunkt in Gang gesetzt. Wissen sie dazu mehr?"

 

Ulrans kniff die Augen zusammen:"Verschwinden sie so schnell wie möglich. Es könnte eine Ladung sein, die den ganzen Planeten zerstört - unwahrscheinlich aber möglich. Zumindest der Stützpunkt wird vernichtet werden. Die Kanaer waren in dieser Hinsicht immer sehr gründlich."

 

"Vielen Dank Admiral. Wir tun, was wir können. Sobald wir in den Hyperraum gehen, werden die Minen hochgehen. Leben sie wohl Admiral. Fitzgerald Ende."

 

"Flottenkommando an alle. Geordneter aber rascher Rückzug vom Planeten. Zwei leere Shuttles bleiben unten und starten so, daß sie vernichtet werden. Minen für die Zündung vorbereiten. Abflug nach Plan."

 

In diesem Moment begann es auf allen Schiffen Befehle zu hageln. Die Shuttles strebten scheinbar hektisch ihren Mutterschiffen zu. Als die Shuttles alle aufgenommen waren, ging auf History ein Vulkan auf. Der atomare Sprengsatz war unterirdisch explodiert. Die beiden Shuttles waren planmäßig mit ins Verderben gerissen worden. Für ein halbherzig aussehendes Startmanöver hatte die Fernsteuerung von der HAMMER ausgereicht.

 

Der Frachter EVEREST ging auf Beschleunigung. Die anderen Schiffe zogen gleich und bildeten eine Verteidigungsformation um das riesige Schiff. Einige Minuten später ließ Fitzgerald die Minen zünden. Über dem Mond tat sich eine neue Sonne auf. Der Lichteffekt war aber nur von kurzer Dauer, denn der Explosionsball verblaßte recht schnell wieder im schwarzen Weltraum.

 

Kaum hatten sich die terranischen Schiffe auf den Weg gemacht, gingen die Uldat auf Beschleunigung und rasten an den Mond heran. Ihr Haß auf die Kanaer mußte wirklich grenzenlos sein, wenn sie den Explosionskrater immer noch nicht für ausreichend hielten. Das glühende Loch konnte man selbst aus dem Weltraum nicht übersehen.

 

Die Schiffe der terranischen Flotte verschwanden in den typischen blassen Lichtblitzen, die beim Kontinuumswechsel größerer Einheiten immer entstanden. Die Schiffe waren von einem Moment auf den anderen nicht mehr an Ort und Stelle.

 

Das kleine Raumschiff, das wenige Minuten vorher in der Nähe der Sonne Gliese 581 aus dem Hyperraum gekommen war, wurde von der Flotte nicht bemerkt. Die Ortungsgeräte der Flotte waren in Richtung Flugziel gerichtet und die Sonne überlagerte die Emissionen des Schiffes fast zur Gänze. Die Störungen von den eigenen Schiffen taten ihr Übriges. Da die ARGUS aber im System blieb - bisher war sie von den Uldat nicht bemerkt worden - stellte sie mit ihren hochspezialisierten Ortungsgeräten den Neuankömmling sehr wohl fest.

 

Die von der Masse der abfliegenden Schiffe verursachte Raumkrümmung schnellte wieder zurück in den Zustand, der ohne die Schiffe geherrscht hatte. Dieses abrupte Ändern der Raumkrümmung ging nicht ohne Auswirkungen von statten. Gravitationswellen waren die Folge. Ihre Stärke war abhängig von der Masse des Schiffes. Die EVEREST als das schwerste Schiff erzeugte die stärksten Gravitationswellen. Trotz allem benötigte man für die Messung dieser Wellen sehr empfindliche Geräte. Aufgrund der Jahrzehnte alten Tradition der Menschen bei der Vermessung von Gravitationswellen besaßen sie entsprechende Ortungsgeräte mit hoher Empfindlichkeit.

 

Am vereinbarten Treffpunkt warteten Schiffe der dritten Flotte. Die K2 war lange vor ihnen angekommen. Die INVINCIBLE hatte wieder zu ihrem Geleitschutz aufgeschlossen, da sie im System Gliese 581 nicht gebraucht wurde. 

 

Der Neuankömmling mit Namen UDF KRAWAN, was soviel hieß wie Lauscher, war ähnlich wie die TSS ARGUS ein Spezialschiff der Uldat-Flotte. Die Ortung war sofort mit Volllast angelaufen, als der kommandierende Offizier bemerkt hatte, daß die Schiffe ihre schweren Maschinen aktiviert hatten, denn das deutete entweder auf den Beginn eines Gefechts oder den Hyperraumeintritt hin. Für ein Gefecht hatte es keine Anzeichen gegeben, die Uldat-Flotte hätte ihn sonst sofort informiert. Die Richtung des Hyperraumfluges konnte festgestellt werden, die Entfernung jedoch blieb im Dunkel. Der Uldat-Aufklärer machte sich bereit, den Fremden zu folgen. Der Captain setzte die Entfernung mit 13,6 Lichtjahren an, denn bei ungefähr zehn Lichtjahren hörte die Reichweite seiner Ortungsgeräte auf. Und zusätzlich befand sich dort eine Sonne ohne Planeten, die einen vorzüglichen Treffpunkt abgeben würde. Er ließ das Schiff beschleunigen und drang wenige Minuten später wieder in den Hyperraum ein. Die KRAWAN würde ihr Ziel in 17 Stunden erreichen. Captain Wilran wußte nichts über die maximale Geschwindigkeit der fremden Schiffe, aber er ließ seine KRAWAN mit maximaler Geschwindigkeit durch den Hyperraum rasen. Sein Chefingenieur warnte ihn, daß dadurch die Triebwerke beschädigt werden konnten, aber er hatte keine andere Wahl, wenn er den Heimatkurs der Fremden ermitteln sollte, und das war schließlich sein Auftrag. Für gute Ortungsergebnisse war es am besten, wenn man entweder über sehr präzise Geräte verfügte oder mehrere Anlagen aus unterschiedlichen Positionen Messungen vornahmen. Er hatte eine kleine Überraschung für die Fremden an Bord. Davon wußten außer ihm nur seine Besatzung und das Flottenkommando. Ein neues Ortungsverfahren sollte getestet werden.

 

Die TSS ARGUS setzte Kurs auf den Treffpunkt der beiden Flotten, als sie den Neuankömmling verschwinden sah. Eine rasche Kalkulation des Fluchtvektors hatte ergeben, daß der kleine Uldat-Raumer den Treffpunkt der Flotte direkt ansteuerte. Captain Baily konnte sich denken, was das zu bedeuten hatte. Sie versuchte sogleich mit der dritten Flotte Kontakt aufzunehmen. Der Kommandant der verbliebenen Schiffe der Dritten war Captain Robert Yeager. Nach wenigen Minuten erreichten sie den Träger und warnten Yeager, daß der Uldat-Aufklärer im Anflug war. Dieser war nicht sonderlich erfreut, ließ aber den Erhalt der Nachricht bestätigen und beorderte die ARGUS auf schnellstem Weg zu seiner Position.

 

Baily blieb nichts anderes übrig, als dem Uldat zu folgen. Wenn der Fremde schlau war, kam er in Sonnennähe aus dem Hyperraum und wäre dann nur schwer zu orten. Baily ließ daher einen entsprechenden Kurs setzen und beschleunigte mit allem, was die ARGUS zu bieten hatte. Wie sie das Schiff aufhalten sollte, wußte sie noch nicht, denn die Bewaffnung der ARGUS konnte man eigentlich nur als nicht existent bezeichnen. Andererseits verfügte die Dritte über genug Offensivkraft, um mit der gesamten Uldat-Flottille fertig werden zu können, die in Gliese 581 erschienen war. Die ARGUS konnte wieder Ortungsdienste leisten, sobald sie wieder aus dem Hyperraum herausgekommen war.

 

System Waypoint, Katalogbezeichnung LP 944-20, - 16,2 Lichtjahre von Sol entfernt

 

Captain Yeager versetzte die restliche 3. Flotte in Alarmbereitschaft. Die INVINCIBLE bereitete in aller Eile eine umfassende Operation ihrer Jagdmaschinen und Bomber vor. Die aus dem System Gliese 581 abgeflogene Flotte würde noch 18 Stunden auf sich warten lassen. Man wußte nichts über die Geschwindigkeit des Uldat-Aufklärers, doch aufgrund der Daten der ARGUS konnten Schätzungen angestellt werden. Demnach würde der Aufklärer in voraussichtlich  15 Stunden - noch vor dem Flottenverband - eintreffen. Die Analytiker waren vom schlimmsten Fall ausgegangen, nämlich daß der fremde Aufklärer genauso schnell war wie die ARGUS.Yeager ging davon aus, daß das Schiff auf Schleichfahrt in das System eindringen oder in Sonnennähe herauskommen würde. Er ließ die acht schweren Schlachtschiffe in Formation gehen und schleuste alle Jagdmaschinen und Bomber aus. Die K2 wurde nach Hause geschickt. Es war seiner Meinung nach ohnehin ein unnötiges Risiko des Flottenkommandos, das Schiff mit der höchst wertvollen Fracht hier warten zu lassen. Die Jäger der Schlachtschiffe schwärmten aus und legten sich in Sonnennähe auf die Lauer. Dabei vergaß er nicht den Befehl mit Priorität 2 - keine Bildfunksignale. Das war allen Kommandanten und von diesen in Folge auch jedem Besatzungsmitglied eingetrichtert worden.

 

Die Stunden verrannen zäh. Als dann nach nicht ganz 15 Stunden schließlich ein Schiff erschien, war es nicht der Fremde sondern die ARGUS. Mit einem kaum wahrnehmbaren Lichtblitz erschien sie in Sonnennähe. Automatisch strahlte sie über ihren Transponder das Identifikationssignal ab. Die Jägergruppe in ihrer Nähe ging daraufhin wieder auf ihre Warteposition. Captain Baily setzte sich mit Captain Yeager in Verbindung.

 

"Schön, sie wiederzusehen Baily. Gute Arbeit übrigens, auch wenn mir die Konsequenzen ihrer Aufmerksamkeit nicht gefallen."

 

"Danke Captain. Ich kann leider auch nichts dafür. Ich übermittle ihnen elektronisch einen kompletten Bericht der Vorkommnisse rund um History. Meiner Schätzung nach wird der Uldat noch zwei oder drei Stunden auf sich warten lassen. Seine Triebwerksstrahlung hat einen höheren Rotanteil. Die Triebwerke sind also etwas weniger energieeffizient als die der ARGUS. Ansonsten könnte es ein Schwesterschiff der ARGUS sein."

 

"Genau das macht mir Sorgen, aber das wissen sie ja. Gehen sie auf Überhöhung über dem Nordpol der Sonne. Dort können sie ihre Fähigkeiten wohl am besten ausspielen."

 

"Aye, Sir. Da haben sie recht. Verabschiede mich vorerst und melde mich nur, wenn wir etwas bemerken."

 

Commander Baily sollte recht behalten. Der Aufklärer kam nach weiteren drei Stunden aus dem Hyperraum. Allerdings spielte der Captain des Schiffes allen einen Streich, denn seine Eintauchposition befand sich zwei astronomische Einheiten weit weg von der Sonne. Er kam auch nicht in das System geschlichen wie Yeager und wohl auch jeder andere erwartet hatte. Stattdessen leuchteten die Triebwerke weiter gnadenlos unter Vollschub gehalten in den Raum hinaus. Wenige Minuten später verschwand das Schiff schon wieder im Hyperraum. Als sich alle wieder beruhigt hatten, tauchte es wieder auf und raste an gänzlich anderer Stelle kurz durch das Sonnensystem, diesmal auf der entgegengesetzten Seite des Sterns. Das Ganze passierte noch drei mal, dann blieb das Schiff allerdings verschwunden. Weder die Jäger noch die Kampfschiffe hatten schnell genug reagieren können, um den Fremden abzufangen, was zweifellos auch die Absicht des Uldat gewesen war. An Bord der Schiffe war man ratlos. Niemand konnte sich das Verhalten erklären. Der gegnerische Kommandant wußte, daß ein Flottenverband im Anflug war und hatte wohl den Auftrag, den Abflugvektor zu bestimmen. Da wäre es doch logisch gewesen, auf Schleichfahrt ins System einzudringen und möglichst unauffällig zu bleiben, bis die Flotte abgeflogen war. Anstatt dessen war er mehrmals scheinbar völlig sorglos aufgetaucht und gleich wieder verschwunden. Die Verweildauer im Normalraum hatte höchst wahrscheinlich nicht einmal für vernünftige Ortungsergebnisse gereicht. Yeager forderte daraufhin die Ortungsaufzeichnungen von allen Einheiten an und beauftragte seine Analytiker, das Rätsel zu lösen.

 

Der ARGUS hatte Yeager das Datenpaket ebenfalls geschickt. Ortungsspezialist Lt Phrasier nahm sich die Daten vor. Als erstes programmierte er eine dreidimensionale holographische Visualisierung der Meßdaten von den Einheiten und ließ daraus dann die Positionen der Normalraumeintritte, Hyperraumeintritte sowie der Bahnkurven dazwischen  vom Computer errechnen und im Hologramm darstellen. Die Austritte aus dem Hyperraum markierte er rot, die Eintritte gelb und die Flugbahn dazwischen grün. Die Unsicherheit der Daten aufgrund von Unschärfen in den Meßgeräten stellte er mit einer bläulich schattierten durchsichtigen Wolke in verhältnismäßig richtiger Größe dar. Dann saß er einige Zeit vor der entstandenen Grafik und dachte angestrengt nach. Das Uldat-Schiff war vier mal aufgetaucht und wieder verschwunden. Die Positionen erschienen willkürlich und die Flugbahnen dazwischen waren recht kurz. Der Aufklärer war bloß knappe 90 Sekunden im normalen Raum geblieben und hatte dabei jedesmal radikal den Kurs geändert. Phrasier fragte sich, wie der Navigationscomputer des Schiffes so schnell die Hyperraumparameter hatte berechnen können. Ein Hyperraumflug erforderte recht komplexe Berechnungen auf speziellen Hochleistungscomputern. Das wiederum ließ auf Verbesserungen der Uldat in ihrem Berechnungsprozess schließen. 

 

Nach einiger Zeit ließ er vom Navigationscomputer die Punkte mit Linien verbinden. Eine der Linien ging genau durch die Sonne LP 944-20. Die anderen formten ein Gebilde, das ihm seltsam vertraut erschien. Er kam nicht gleich dahinter, wo er damit während seiner Ausbildung schon zu tun gehabt hatte, aber nach wenigen Sekunden hatte Phrasier erfaßt, was er da sah.

 

"Captain, kann ich sie kurz im Konferenzraum sprechen? Es wäre auch gut, wenn Lieutenant Rankow dabei wäre."

 

Baily sah etwas erstaunt zu Phrasier hinüber, nickte ihm dann nach wenigen Sekunden zu und stand auf. Sie und der Taktikoffizier LT Stepanowitsch Rankow folgten ihm in den kleinen Konferenzraum auf dem Kommandodeck des Schiffes. Dort angekommen setzten sich alle hin und Baily blickte auffordernd zu Phrasier. Dieser hatte seine Daten auf den Bordcomputer überspielt. Er rief die Daten für den Holoprojektor des Raums auf und ließ die Grafik anzeigen:"Was sie hier sehen ist eine dreidimensionale Darstellung der Bewegungsdaten des Uldat-Aufklärers. Austrittspunkte sind rot, Eintrittspunkte gelb und die Flugbahn dazwischen grün markiert. Die blauen Ellipsoide sind die Toleranzen aufgrund der verschiedenen Meßdaten. Die weißen Linien verbinden einfach nur die gemittelten Punkte auf den Flugbahnen. Fällt ihnen etwas auf?"

 

Baily und Rankow betrachteten das Gebilde einige Zeit, verneinten dann aber. "Helfen sie uns auf die Sprünge, Lieutenant" forderte Baily.

 

"Das Gebilde stellt einen nahezu perfekten Tetraeder  mit der Sonne im Mittelpunkt dar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Zufall ist. Nach dem, was ich an der Flottenakademie gelernt habe, sind die platonischen Körper ideale Formen für Ortungsmessungen in den Eckpunkten für die Triangulation."

 

"Aber der Aufklärer wollte doch mit Sicherheit nicht den aktuellen Stand der Dinge, sondern den Abflugvektor der Flotte ermitteln. Da bringt auch der Tetraeder nichts." warf Baily ein.

 

"So betrachtet haben sie recht Captain, aber sehen wir es mal aus der Sicht des Gegners. Wenn er bleibt, wird er entdeckt und vernichtet. Sie wissen mittlerweile wahrscheinlich, daß unsere Ortung und Triebwerke besser sind als ihre. Was tut er also? Er ortet die anwesenden Schiffe mittels Tetraeder und trianguliert die ungenauen Ergebnisse mit den Daten aus allen Eckpunkten. Damit hat er den derzeitigen Stand der Dinge im System. Gleichzeitig hinterläßt er Ortungsplattformen, die derzeit noch passiv sind, damit sie nicht entdeckt werden. Sobald die dann wiedervereinigte 3. Flotte ihre Maschinen für den Abflug hochfährt, gehen die Scanner in den Aktivmodus und verfolgen den Abflugvektor. Damit hätte er auch die in der Zukunft liegende Abreise unserer Flotte angemessen. Mit diesem riesigen Tetraeder brauchen die einzelnen Daten nicht mal sonderlich genau sein. Wenn man die aktuelle Kapazität der Uldat-Ortung zugrunde legt, dann finden sie unsere Heimatsone mit einer Wahrscheinlichkeit von 87%. Sie brauchen nur den Vektor entlang fliegen und einen Flottenverband dabei mit zunehmender Entfernung von hier etwas auffächern lassen - sagen wir auf vier Lichtjahre. Und daß die Uldat Ortungssatelliten bevorzugen, wissen wir ja."

 

"Und warum haben sie dann nicht einen Oktaeder abgeflogen? Das wäre doch noch genauer." fragte Rankow.

 

"Interessante Frage. Vielleicht hatten sie nicht genug Ortungsplattformen dabei. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß es nicht notwendig ist, noch genauere Daten zu haben. Diese Gegend der Milchstraße ist nicht sehr dicht gepackt mit Sternen. Oder das ganze System ist noch im Prototypstadium. Über die Gründe dafür können wir wohl nur spekulieren."

 

"Das heißt aber, wir müssen nur die Punkte abfliegen und die Ortungsplattformen abschießen, bevor die Flotte abfliegt." warf Baily ein.

 

"Korrekt Captain."

 

"Captain ..." begann Rankow, "das ist nur dann so einfach, wenn jeweils nur eine Plattform in jeder Ecke abgesetzt wurde, und wir sie auch noch recht schnell finden. Sollten sie aber in jeder Ecke des Tetraeders sagen wir mal 300 sehr kleine Ortungsgeräte ausgesetzt haben, die sich auf willkürlichen Kursen vom Absetzpunkt entfernen, dann hätten wir eine ganze Menge zu tun. Diese Suche würde mehrere Stunden oder gar Tage dauern. Und wenn wir Pech haben, sind darunter auch kleine Minen. Das könnte Verluste geben."

 

Baily sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an:"Rankow, das Szenario gefällt mir aber gar nicht."

 

"Das ist der Grund, warum ich LT Rankow dabei haben wollte Ma'm. Er hat wesentlich mehr Ahnung von der taktischen Seite als ich." gab Phrasier zu bedenken.

 

"Wenn wir also Pech haben, dann zwingen sie uns hier zu bleiben, bis ihre Kampfschiffe hier sind. Da sie jetzt unsere Stärke kennen, werden sie mit entsprechend großen Kräften auftauchen. Ich nehme an, die Untersuchung von History wird dadurch vorerst zweitrangig für sie. Ok, Rankow sie reden schnellstens mit Captain Yeager auf der INVINCIBLE und berichten ihm, was wir hier herausgefunden haben. Und sie Phrasier, versuchen die Sonden zu finden, die der verdammte Uldat uns hinterlassen hat. Fangen sie mit dem Gebiet über dem Nordpol der Sonne an. Da sind wir am nächsten dran und ihre Theorie können wir dort am schnellsten prüfen."

 

"Dazu müßten wir näher ran gehen und somit unsere Position verlassen, Captain. Von hier aus werden selbst unsere Ortungsgeräte die Dinger nicht finden." gab Phrasier zu bedenken.

 

"Wie nahe?"

 

"Ungefähr drei Lichtsekunden, aber das ist nur Spekulation, weil wir nicht wissen, wie groß die Sonden sind."

 

"Ok, machen wir. Los gehts."

 

Damit sprang Baily auf. Die beiden Offiziere folgten ihr auf die Brücke. Kaum hatte Baily wieder ihren Platz als Kommandantin eingenommen, hagelte es schon Befehle. Die Triebwerke brüllten auf und rissen die ARGUS auf einen neuen Kurs Richtung 300 Millionen Kilometer über dem Nordpol der Sonne. Im Hintergrund konnte sie hören, wie Rankow mit Captain Yeager sprach. Er gruppierte seine Jäger um und stellte jeweils vier Maschinen pro vermeintliche Ortungssonde der Uldat ab. Eine Jägergruppe sollte die ARGUS unterstützen, da das Schiff selbst kaum bewaffnet war und niemand wußte, was sie an den einzelnen Positionen erwartete. Nach knapp 12 Minuten erreichte die ARGUS dieNordspitze des Tetraeders.

 

Die Ortungsgeräte fanden anfangs nichts Besonderes, doch nach einigen Minuten registrierten sie sehr schwache Funksignale. Die Richtung ließ sich gut bestimmen, da die ARGUS und ihre vier Begleitjäger aber zu nahe beieinander waren, konnte die Entfernung nicht genau genug errechnet werden. Captain Baily beorderte daher die Jäger auf etwas mehr Distanz zur ARGUS, damit sie gute Daten für eine Triangulation bekamen. Im Prinzip machten sie nichts Anderes als das, was der Uldat-Aufklärer mit seinen Ortungsplattformen zu erreichen versuchte. Kaum hatten die Jagdmaschinen ihre Peilvektoren an die ARGUS gemeldet, konnte das taktische System der ARGUS die Position des Senders ermitteln. Sie waren noch gut drei Millionen Kilometer weg. Auf diese Entfernung war an Beschuß nicht zu denken, ausgenommen mit Torpedos, die auf diese Entfernung allerdings zu vorhersehbar waren für einen Gegner.

 

Baily richtete ihre Augen auf den Ortungsoffizier:"Gratuliere Lieutenant Phrasier. Richtiger Gedanke zur richtigen Zeit. Rankow, was können wir tun, um die Dinger zu zerstören?"

 

"Ich würde auf 3 Lichtsekunden ran gehen. Meine Empfehlung wären dann Gaußgeschosse Captain. Ich weiß, die Entfernung ist sehr groß für die Railguns, aber andererseits hält das Objekt schön still. Ein dreidimensionales Beschußszenario wäre am effektivsten. Gaußgeschosse provozieren wahrscheinlich auch erst Abwehrreaktionen, wenn sie einschlagen. Torpedos oder Energiewaffen würden viel unmittelbarer eine Reaktion hervorrufen."

 

"Gut, rechnen sie das aus und leiten sie es an die Jäger weiter. Die haben Railguns an Bord. Ein Treffer sollte reichen, um die Dinger aus dem Raum zu pusten. Navigation, bringen sie uns bis auf drei Lichtsekunden heran. Gefechtsalarm bei Erreichen der Position."

 

Wieder begannen die Triebwerke zu dröhnen. Die zwei Millionen Kilometer waren eine Kleinigkeit für die Maschinen der ARGUS. Danach heulte der Gefechtsalarm durch das kleine Spezialschiff und tauchte die Zentrale in dunkles Rot. Die offensiven und defensiven Waffensysteme waren ausnahmslos besetzt, gleiches galt für die Ortungsanlagen. Die Triebwerke liefen auf Standby. Die vier Raumjäger nahmen ihre Positionen ein. Jeder Pilot würde mit dem gesamten Jäger zielend einen Beschußtrichter bilden, der immer enger werden würde. Das Ganze würde aus 4 verschiedenen Richtungen erfolgen. Das Navigations- und Steuerprogramm dafür hatte Rankow an Bord der ARGUS entworfen und getestet. Die Trefferwahrscheinlichkeit würde bei 99,2% liegen.

 

Baily ließ Verbindung mit der INVINCIBLE aufnehmen und informierte Captain Yeager über die Maßnahmen. Sie erhielt Erlaubnis zum Angriff. Die Jäger begannen sofort mit dem Feuer. Wenige Sekunden später glühte eine kleine Explosion im Zentrum der Kugel aus 60 kleinen Sonden auf. Diese Sonden nahmen aber plötzlich und mit sehr hohen Beschleunigungswerten Kurs auf die Jäger. Baily traute ihren Augen nicht und befahl den Piloten entsetzt zu verschwinden. Die Jäger konnten sich nicht mehr rechtzeitig absetzen. Als die Sonden die Maschinen erreichten detonierten sie mit nuklearer Gewalt und rissen 3 Jäger mit ins Verderben. Die vierte Maschine trudelte schwer beschädigt durch den Raum. Betroffenheit machte sich auf der Brücke breit. Sie berichtete umgehend an Captain Yeager und übernahm die volle Verantwortung. Yeagers Kommentar, daß sie nichts hätte tun können und dass es ja irgendjemand als erster hätte tun müssen, tröstete sie wenig.

 

Von den Sonden waren 47 übrig geblieben, die einfach abbremsten und die Position hielten. Niemand wußte, ob das so vorgesehen war, oder ob sie die ARGUS bisher nur noch nicht bemerkt hatten. Sie ließ Rankow und Phrasier errechnen, ob sie entkommen konnten, wenn sie mit voller Beschleunigung verschwinden würden. Baily war sich bewußt, daß sie die Energie von 47 Fusionsbomben mit ihrem schwachen Schutzschirm nicht würde abwehren können.

 

"Captain, wir können es herausfinden." meinte Rankow.

 

"Wie denn?" fragte Baily nach.

 

"Ganz einfach, wir schicken ein Beiboot ferngesteuert hinaus und lassen es mit Vollschub davonfliegen."

 

"Das könnte uns das Beiboot kosten."

 

"Naja, besser das kleine Shuttle als unseren großen Pott, Ma'm."

 

"Die Idee hat was für sich. Fitzgerald wird mich vierteilen, wenn ich ein neues Shuttle anfordere."

 

"Besser sie als mich Captain." meinte Rankow und grinste breit.

 

Baily verdrehte leicht die Augen, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen:"Wer solche Offiziere hat, braucht keine anderen Feinde."

 

"Abgesehen davon müssen wir sowieso den Piloten aus dem Jäger bergen."

 

"Ja, ich weiß. LT Pearson, führen sie LT Rankows Vorschlag aus. Kriegen wir den Jäger ferngesteuert an Bord?"

 

"Wir sehen zu, was wir machen können. Den Piloten aus dem Schrott rauszuholen, werden wir ferngesteuert nicht schaffen, aber abschleppen sollte möglich sein. Befreien können wir ihn an Bord ohnehin besser." antwortete der Chefingenieur der Fregatte.

 

"Gut, dann los. Die Krankenstation soll ein Team in den Hangar schicken. Wir wissen nicht in welchem Zustand der Pilot ist."

 

Hektik erfüllte die Brücke, als Baily's Offiziere ihre Befehle ausgaben und sich auch selbst an die Arbeit machten. Der Cheftechniker programmierte per Zentralcomputer des Schiffes den Bordcomputer eines Shuttles auf Fernsteuerung um. Der Schiffsarzt und eine Krankenschwester schnappten ihre Ausrüstung zur Erstversorgung und eine Bahre. Dann hasteten sie in den Hangar. Die beiden anderen Shuttles der Fregatte wurden ausgeschleust um Platz zu schaffen im Hangar. Der Hangar selbst wurde gesichert und alle Schotte geschlossen. Bei solchen Bergungsaktionen konnte Vieles schief gehen und Baily wollte vorbereitet sein. Einige Minuten später bugsierte einer der Piloten das Shuttle ferngesteuert aus dem Hangar und schickte es dem stark deformierten Raumjäger entgegen. Die Besatzung der ARGUS hing mit den Augen an den Bildschirmen. Jeder wollte miterleben, wie die Reaktion der feindlichen Sonden sein würde. Doch als das Shuttle den Jäger erreichte, geschah einfach nichts. Offenbar konnten die Sonden sehr genau zwischen Angriffsabsichten und normalem Verkehr unterscheiden. Etwas Erleichterung machte sich breit an Bord. Der Pilot nahm den havarierten Raumjäger an den Haken und schleppte ihn sehr vorsichtig zur ARGUS.

 

Als das Wrack sich dem Hangar näherte, konnte der Operationsoffizier den Jäger mit der Steuerung der elektromagnetischen Felder an Bord ziehen und sanft auf dem Hangarboden absetzen. Zwei Techniker mit schwerem Bergegerät stürmten los und begannen, das Wrack zu zerlegen, während die Shuttles vor der Hangarbucht warteten. Innerhalb von 10 Minuten konnten sie die Cockpit-Kapsel aus dem Wrack schneiden und öffnen, doch die Mühe war leider umsonst gewesen, der Pilot war tot. Die Ursache fanden sie auch recht schnell. Eine Plasmalanze aus dem zerstörten Reaktor hatte sich durch die Wandung der Überlebenskapsel gebrannt und den Piloten getötet. Baily nahm die Nachricht stoisch entgegen. Nur wer sie kannte, bemerkte das kurze Hervortreten der Backenmuskeln, als sie vor Wut ihre Kiefer zusammenpreßte.

 

Sie ließ die Shuttles einschleusen und informierte Yeager über die Bergung. Der Captain des Trägers beorderte sie auf Warteposition. Die Angriffe auf die anderen Sonden wurden vorerst ebenfalls abgebrochen. Derzeit schien niemand ein brauchbares Konzept gegen die Ortungsmethode der Uldat zu haben. Einsatzgruppe History würde bald aus dem Hyperraum kommen. Die Zeit lief ihnen davon. Yeager forderte Ideen, die Verluste vermieden und trotzdem die Ortungsplattformen ausschalteten. Die taktischen Offiziere und Waffenexperten der Schiffe hatten eine Konferenzschaltung eingerichtet und berieten, wie man das Problem lösen könnte - und die Uhr tickte weiter.

 

Als dann LT Rankow von der ARGUS mit einem Vorschlag kam, hielten erst mal alle die Luft an. Yeager schaute den jungen Mann an und schüttelte ungläubig den Kopf:"Erklären sie das bitte noch mal Lieutenant, so daß ich es auch verstehe."

 

Rankow setzte sich vor dem Funkgerät zurecht:"Also im Grunde ist es ganz einfach Sir. Wir statten jeweils vier Jäger mit Fernsteuerung aus und schiessen die Ortungsplattformen ferngesteuert mit den Railguns ab. Das Zielerfassungsprogramm habe ich bereits entwickelt. Man müßte die Jäger nur mehr in geeignete Positionen bringen."

 

"Das heißt aber auch, daß wir pro Sondengruppe vier Jäger verlieren werden. Ist ihnen das bewußt, Lieutenant?" fragte Yeager nach. Als altgedienter Kampfpilot waren ihm die kleinen Maschinen heilig.

 

"Ich weiß, Sir. Aber immer noch etwas billiger als eine Entdeckung der Erde. Und Piloten verlieren wir so auch nicht. Ganz ohne Verluste wird es nicht gehen, Sir. Die Beschleunigungswerte der Begleitsonden sind einfach zu hoch."

 

"Ja, das ist bekannt. Angesichts des sich schließenden Zeitfensters werden wir wohl oder übel ihren Vorschlag umsetzen. Ich übertrage ihnen hiermit die Leitung. Alle Einheiten haben sich ab sofort nach ihren Anforderungen zu richten. Die INVINCIBLE wird die Jagdmaschinen bereitstellen beziehungsweise von den Maschinen vor Ort, die Piloten abziehen und auf die Kanäle zur Fernsteuerung aufschalten. Koordinieren sie die Jagdmaschinen, und melden sie sich wieder, wenn alle Jäger in Position und feuerbereit sind."

 

"Aye, Sir. Dazu muss ich aber auf einen der Schlachtkreuzer übersiedeln, da die ARGUS nicht über das notwendige Fernsteuer-Equipment verfügt."

 

"Das läßt sich einrichten. Schiffen sie über zur BATTLEAXE. Captain Henderson wird sie unterstützen. Ich nehme an, die Sensorleistung der ARGUS werden sie auch brauchen und der BATTLEAXE dann per Datenverbund über das Scimitar-System zur Verfügung stellen?"

 

"Ja, so in der Art habe ich mir das gedacht, Sir." gab Rankow zurück.

 

"Ok, ich verlasse mich auf sie Lieutenant. INVINCIBLE Ende."

 

In der Flotte kam es öfter vor, daß niedrigere Ränge für Spezialaufgaben über viele Rangstufen hinweg Befehle erteilen konnten. Die Vollmacht dazu hatte Rankow gerade erhalten. Er machte sich an die Arbeit. Für einen Captain war das manchmal eine ungewohnte Situation, aber üblicherweise war der Vorgesetzte eines bevollmachteten Offiziers gut auf solche Mitarbeiter zu sprechen und unterstützte diesen auch nach besten Kräften. Es war schließlich auch der eigenen Karriere förderlich, vielversprechende Jungoffiziere herangebildet zu haben.

 

Zwischenbericht CDR Steven Francis Drake - TSS HAMMER - Einsatzgruppe History

 

Noch 4 Minuten und die Einsatzgruppe würde am vereinbarten Treffpunkt aus dem Hyperraum hervorbrechen. An Bord schien alles in Ordnung zu sein. Ich hatte im Moment nichts zu tun, denn der Austritt aus dem Hyperraum würde computergesteuert erfolgen. Das Schiff selbst war auf Alarmstufe Gelb und damit auf fast alles vorbereitet.

 

Ich ging die Spezifikationen der HAMMER durch. Das Schiff verfügte über verschiedenste offensive und defensive Waffensysteme und Schilde. Was mich wirklich erstaunte, war das Beschleunigungsvermögen und die Geschwindigkeit eines Schiffes dieser Klasse. Die Triebwerke gaben mir ein gutes Gefühl - noch dazu, wo wir wußten, daß unsere Maschinen etwas besser waren als die der Uldat. Wir hatten einen Faktor von 1,19 errechnet, die unsere Triebwerke effizienter waren. Unsere Techniker hatten dazu das Triebwerksleuchten der Uldat-Maschinen einer Spektralanalyse unterzogen und dann mit den Werten unserer Triebwerke verglichen.

 

Die Forschungsmission der EXPLORER hatte so gut wie alle ehemaligen Crewmitglieder des Forschungskreuzers in höhere Ränge oder höherwertige Positionen befördert. Warum das Flottenoberkommando mir gleich beides hat angedeihen lassen, wußte ich zwar nicht, aber ich wollte mich auch nicht beschweren. Ich fragte mich ernsthaft, was dahintersteckte. Beförderungen aufgrund von guter Leistung waren zwar durchaus normal in der Flotte, aber ich war erst 34 Jahre alt. In diesem Alter schon den zweithöchsten Rang auf regulären Flotteneinheiten und gleichzeitig die Funktion des Ersten Offiziers auf einem Schlachtkreuzer zu bekleiden, war doch unüblich. Entsprechend viel Aufmerksamkeit wurde meiner Arbeit von allen möglichen Leuten entgegengebracht, dessen war ich mir sicher. Es versuchte zwar jeder, das Interesse zu verbergen, aber man bemerkte die etwas verstohlenen Blicke und andere Anzeichen trotzdem.  Bisher hatte es noch keine Probleme gegeben. Das Schiff selbst war erst zwei Jahre alt und damit so gut wie neu, allerdings mit einer sehr gut eingespielten Crew.

 

Vom früheren Kommandoteam bestehend aus Kommandant, Erstem Offizier und Operationsoffizier war nur der Operationsoffizier geblieben. Captain Paul Richardson und sein XO Commander Michael Thomas Gibson waren vor vier Monaten bei einem Shuttle-Unfall verunglückt. Sie hätten die HAMMER eigentlich auf dieser Mission führen sollen. Operationsoffizier Lieutenant Ishy Toronaga hatte wahrscheinlich nicht ganz unberechtigt auf die Beförderung zum Ersten Offizier gehofft. Andererseits war sie mit 26 Jahren definitiv noch zu jung dafür - abgesehen vom Dienstrang. Ich schätzte die junge Japanerin. Sie war fachlich wirklich gut und erleichterte mir das Leben als Erster Offizier erheblich. Vor allem während der Planung für die Abwehr der Uldat-Flotte hatte sie fast alleine meine Aufgaben als XO übernommen und mich für die zeitkritische Planungsarbeit freigespielt.

 

Als der Zeitpunkt für den Hyperraumaustritt näher rückte, kam auch Captain McPherson auf die Brücke. Er hatte die letzten Stunden im Quartier beziehungsweise mit Commodore Fitzgerald verbracht. Ich stand aus dem Kommandantensessel auf und begab mich wieder zu meinem eigenen Platz. McPherson ließ sich nieder und blickte fragend zu mir.

 

"Vorsichtshalber Alarmstufe Gelb, ansonsten keine Vorkommnisse, Captain. Alles im grünen Bereich. Austritt in 120 Sekunden." berichtete ich dem kommandierenden Offizier.

 

"Gut. Gehen sie auf Gefechtsbereitschaft." ordnete McPherson an.

 

Ich löste den Gefechtsalarm aus. Die Sirenen heulten auf. Das übliche Rennen und Hasten in allen Bereichen des Schiffs blieb aus, da wir uns schon auf Alarmstufe Gelb befanden. Die Schutzschirme wurden hochgefahren und die Waffensysteme auf Bereitschaft geschaltet. Das taktische Computersystem Scimitar ging in Bereitschaft und wartete automatisch auf den Hyperraumaustritt. Derzeit konnten die Sensoren und Scanner noch nichts erfassen, was sich im normalen Raum abspielte, aber das würde sich bald ändern. Der Gefechtsalarm bei Austritt aus dem Hyperraum war zwar nicht üblich, aber aufgrund der speziellen Situation schien McPherson es für nötig zu halten - innerlich pflichtete ich ihm bei.

 

Mit dem üblichen Lichtblitz kam die HAMMER aus dem Hyperraum. Rundherum geschah das gleiche mit den anderen Schiffen der Einsatzgruppe History. Den Lichtblitz selbst bemerkte man an Bord nicht, aber ich wußte, daß man ihn von einem anderen Schiff aus durchaus sehen konnte. Die Formation der Schiffe hatte sich wie immer aufgelöst. Der Hyperraumaustritt konnte nicht präzise genug gesteuert werden, daß man in Formation aus dem Hyperraum kam. Selbst die sehr genauen Atomuhren an Bord von Spezialschiffen wie der ARGUS reichten dafür nicht aus. Dazu kam noch, daß diese Uhren auch noch einer Zeitdilatation aufgrund der Geschwindigkeit unterlagen. Der Effekt war zwar sehr klein, aber trotzdem vorhanden. Erst wenn die Hyperraumfelder aktiviert wurden, fielen die Probleme der Relativitätstheorie weg.

 

Kaum hatte sich die Sicht auf den Bildschirmen geklärt, als die Apokalypse ausbrach. Ein uldatscher Plasmatorpedo schlug mit vernichtender Gewalt in den Schutzschirm ein. Die zweite Begegnung mit den Uldat hatte sich das Flottenkommando sicher anders vorgestellt.

 

Ende des Zwischenberichts

 

Die Kampfschiffe der Einsatzgruppe History konnten den bedrängten Resten der 3. Flotte für einige Zeit Luft verschaffen. Fitzgerald nahm Verbindung mit Yeager auf und ließ sich über die Vorkommnisse informieren.

 

Demnach war die Uldat-Flotte während der Vorbereitungen zur Ausschaltung der Ortungsdrohnen mitten unter ihnen aufgetaucht und hatte sofort das Feuer eröffnet. Die ARGUS hatte sie nicht warnen können. Das Schiff war durch eine im Wrack des geborgenen Raumjägers installierte Bombe schwer beschädigt worden. Von den 44 Mann Besatzung waren bis auf acht alle gefallen. Captain Baily ordnete die Aufgabe des Schiffes an. Von den drei leichten Shuttles war nur mehr eines einsatzfähig, aber das würde genügen. Das kleine Boot konnte gerade noch rechtzeitig aus dem Hangar flüchten, bevor die ARGUS gänzlich explodierte. Von den acht Überlebenden waren drei schwer verletzt. Bailys Erster Offizier Lieutenant Gedosim war auch Sanitäter und übernahm die erste Hilfe soweit es die Möglichkeiten an Bord des Shuttles zuließen. Während dessen versuchte Baily möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Die INVINCIBLE hatte Glück gehabt, denn sie war nicht auf dem direkten Angriffsvektor der Feindflotte gelegen. Augenblicklich schleuste Yeager alle Jäger und Bomber aus und gab die Jagd frei. Die anderen Schiffe lagen unter mehr oder weniger heftigem Feindfeuer. Im ersten Anlauf hatten die Uldat ein Schlachtschiff und zwei Schlachtkreuzer vernichtet. Sie hatten ganz offensichtlich die großen Kampfschiffe als Primärziele gewählt.

 

Die restlichen leichteren Einheiten machten ihnen das Leben so schwer wie möglich und konnten anfangs auch Erfolge verbuchen. Die beiden Schlachtkreuzer hatten es noch geschafft vier schwere Kampfschiffe der Uldat mit in den Tod zu nehmen. Mehrere leichtere Einheiten in der terranischen Größenordnung von Zerstörern fanden ebenfalls ihr Ende. Aber die drückende Übermacht von 18 schweren und 12 leichten Feindschiffen begann sich nach bereits zehn Minuten auszuwirken. Die terranischen Einheiten hatten sich gerade zurückgezogen, um sich neu zu formieren, als die Einsatzgruppe History aus dem Hyperraum kam.

 

Commodore Fitzgerald an Bord der HAMMER übernahm sofort den Oberbefehl über die Flotte.

 

"Frachter EVEREST soll sofort zum Ausweichpunkt A3 verschwinden und von dort die Heimat anfliegen. Der Rest der Flotte schützt den Frachter, aber nicht zu auffällig. Captain McPherson, sie suchen mir das Kommandoschiff des Feindes und die kleine Spezialeinheit heraus. Scimitar sollte das schaffen. Danach kombinierter Jäger- und Bomberangriff auf beide Schiffe bis zur Vernichtung. Flotte vorbereiten für Abflug zu Ausweichpunkt A4. INVINCIBLE soll aus der Gefechtszone bleiben. Ohne Jäger ist der Pott hilflos."

 

Captain Yeager mußte ihm mit Zähneknirschen recht geben. Nichts desto trotz ließ er es sich nicht nehmen, schwerste Torpedos gegen den Feind abzufeuern. Die Raumtorpedos trugen sehr schwere Wasserstoffbomben und konnten einen ungeschützten Träger mit ein oder zwei Treffern komplett zerstören. Niemand wußte, wie sich diese Urgewalt gegen Schutzschirme bewehren würde. Die Torpedos wurden von Operatoren an Bord per Videokamera und Funk gesteuert.

 

Die HAMMER wich zwei weiteren Torpedos aus und schoß drei andere mit dem Abwehrsystem aus dem Weltraum. Als MEDUSA, EAGLE und FALCON ihren Kurs angeglichen hatten, schalteten sich die Schiffe in den Scimitar-Verbund. Dadurch wurden sie mehr oder weniger zu einer großen, kampfstarken Einheit. Das Kampfgeschwader pflügte von schräg hinten in die Formation der Uldat. Die MILAN glich den Kurs an den Feind an und feuerte ihre Unmengen an Torpedos von diesem Parallelkurs in die feindliche Formation. Die Geschosse trugen ähnlich wie alle Schiffe ein Freund/Feind Erkennungssystem mit sich und würden daher keine eigenen Schiffe angreifen.

 

Der erste Treffer, den die HAMMER erhalten hatte, war Zufall gewesen, denn die Zielerfassung der Uldat hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfaßt gehabt. Trotzdem hatte der Treffer ausgereicht, die Schutzschirme bis nahezu an die Leistungsgrenze zu fordern. Als sie die ersten Treffer erzielten, wurde die Uldat-Flotte auf die neue Bedrohung aufmerksam. McPherson fragte sich, warum der Feind so langsam reagierte. In diesem Moment kam eine Nachricht von der MILAN herein. Sie schien das Kommandoschiff identifiziert zu haben. Es war eine der schweren Einheiten. Fitzgerald ließ alle Jäger und Bomber von ihren aktuellen Zielen abdrehen und Kurs auf das Kommandoschiff nehmen. Innerhalb von wenigen Minuten griffen ungefähr 140 Maschinen das Kommandoschiff an. Einige Minuten hielt es stand, doch dann zeigten die pausenlosen Einschläge der Railguns, Torpedos und Bomben ihre Wirkung. Das Schiff verlor an Geschwindigkeit und explodierte kurze Zeit später endgütlig. Wenige Minuten später konnte auch das Scanner-Schiff der Uldat zerstört werden.

 

Die EVEREST hatte bereits Kurs auf den Ausweichtreffpunkt genommen und war verschwunden. Der Flug würde sie acht Lichtjahre weiter entfernt wieder aus dem Hyperraum auftauchen lassen. Völlig allein und ungeschützt würde sie dann von dort den Heimflug antreten.

 

Die Jagdmaschinen erlitten mittlerweile durch gezieltes Sperrfeuer des Gegners empfindliche Verluste. Die Uldat hatten begriffen, daß die Jäger durchaus auch für große Einheiten eine Gefahr darstellten, wenn sie konzentriert eingesetzt wurden. Fitzgerald beorderte sie auf die INVINCIBLE zurück. Die Jagdpiloten atmeten auf, als sie die neuen Befehle erhielten. Kurz darauf kam die Order für den allgemeinen geordneten Rückzug. Die MILAN verschoß die restlichen Torpedos um den Sprungpunkt zu decken. Die anderen Einheiten taten es ihr nach, behielten aber einen gewissen Anteil an Torpedos in Reserve. Die INVINCIBLE verschwand als erste. Danach folgten die kleinen Einheiten. Die MILAN verschoß noch die letzten Reste ihrer Torpedos und drang dann ebenfalls in den Hyperraum ein. Die MEDUSA und die HAMMER blieben noch etwas zurück.

 

In diesem Moment gingen in den Reihen der Uldat vier Sonnen auf. Die schweren Torpedos des Trägers entfesselten ihre Gewalten. Vier Uldat-Schlachtschiffe vergingen in den massiven Glubällen der Wasserstoffbomben, sechs leichte Einheiten wurden nur schwer beschädigt, weil sie von der Druckwelle sozusagen davongewirbelt wurden. Der Rest der Feindflotte setzte zur Verfolgung an. Die böse Überraschung folgte auf dem Fuß. Die Torpedos der MILAN erreichten ihre Ziele. Sie konnten die schweren Schiffe zwar nicht wirklich zerstören, aber sie beschädigten sie doch mehr als man gehofft hatte. Die leichten Einheiten konnten sogar von mehreren Treffern zerstört werden. Ab dann schossen die restlichen Uldat-Schiffe mit ihren schweren Kanonen Sperrfeuer gegen den Torpedoregen. Nur der Menge an Geschützen und ihren starken Schutzschirmen verdankten sie, daß sie den Torpedoangriff überstanden. Die ersten zwei schweren Einheiten brachen durch und feuerten ihre brachialen Plasmatorpedos ab.

 

HAMMER und MEDUSA konzentrierten das Feuer auf ein schweres Schlachtschiff. Die Railguns forderten das am nächsten gekommene Feindschiff als weiteres Opfer, als der Schutzschirm zusammenbrach und die beinahe lichtschnellen Geschosse in das ungeschützte Schiff eindrangen. Kleine interne Explosionen beschädigten das Schiff immer mehr, bis es schwerst beschädigt vom Kurs abkam und rapide an Beschleunigung verlor. Es waren noch zwölf leichte und sieben schwere Kampfschiffe auf dem Weg zu ihnen.

 

"Ok, verschwinden wir." befahl Fitzgerald.

 

Nur mehr die zwei Schlachtkreuzer und die MILAN waren noch an Ort und Stelle. Der Countdown für den Hyperraumeintritt begann bei 30 Sekunden. Bei Sekunde 2 schoß das manövrierunfähige Schlachtschiff der Uldat sechs Plasmatorpedos auf die MEDUSA ab.

 

"Taktik hier, Captain. Sechs Torpedos im Anflug auf MEDUSA. Erster Einschlag in 26. In Reichweite des LADS in 18. Schilde bei 85% Leistung."

 

"Schwere Waffen aufschalten, Täuschkörper und Torpedos abfeuern für Sperrfeuer. Schutzschirm am Heck verstärken mit allem was da ist." befahl McPherson.

 

McPherson wollte mit der HAMMER in den gleichen Kurs fallen, doch Fitzgerald erteilte Befehl zu verschwinden. Für weitere Maßnahmen war es zu spät. Jetzt konnten sie für das Schwesterschiff nur mehr hoffen.

 

Auf der MEDUSA traten die Automatiken in Aktion. Alles geschah rasend schnell - zu schnell für menschliches Eingreifen. Das Laser Area Defense System (LADS) begann zu feuern und das Sperrfeuer wurde aktiv. Die Täuschkörper nahmen ihre Arbeit auf und sandten elektronische Profile aus, die dem eines Schlachtschiffes ähnelten. Zwei Torpedos ließen sich täuschen und jagten den elektronischen Gespenstern nach. Zwei weitere Torpedos wurden vom LADS erwischt und zündeten daraufhin automatisch. Die Heftigkeit der Explosionen ließ das schwere Schiff erzittern, obwohl sie zu weit weg erfolgten. Mehrere Anzeigen auf der Brücke gingen wegen der Erschütterungen zu Bruch. Das Sperrfeuer erwies sich als erfolglos. Zwei Torpedos kamen durch. 

 

"Fertig für Einschlag in 7." gab XO CDR Kazinsky über den Interkom schiffsweit bekannt.

 

Im  letzten Moment erwischte das LADS noch einen Sprengkopf, doch er war bereits zu nahe. Die Explosion brachte die MEDUSA zum Beben und dellte die Aussenhülle ein. Kurs darauf erfolgte der Einschlag des letzten Torpedos. Mit apokalyptischer Gewalt schlug der Gefechtskopf in den Schutzschirm ein und detonierte. Das Schiff wurde noch während des Eintritts in den Hyperraum getroffen und aufgerissen, als der Schutzschirm nachgab. Mehrere Decks wurden in der Mitte des Schiffes aufgesprengt und von innen nach außen in den lebensfeindlichen Weltraum gekehrt. Mehrere glühende Metalltrümmer bahnten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit einen Weg durch das Schiff und zerstörten alles auf ihrem Weg. Eigenartigerweise wurde die Antriebssektion verschont. Das Schiff war auf dem Weg zum Rendezvouspunkt A4. Das CIC wurde vollkommen zerstört. Die Beiboothangars wurden ein Raub der Flammen. Die Brücke wurde von mehreren Trümmerstücken verwüstet. Die künstliche Gravitation fiel aus und die Notbeleuchtung konnte das Chaos nur teilweise erhellen.

 

Als Hidetaka Yamato aus der Bewußtlosigkeit erwachte, sah er anfangs nur rot. Der Helm seines Kampfanzugs hatte sich automatisch geschlossen. Er dachte es wäre Blut. "Wohl mein eigenes." Als er sich aufrichten wollte, durchzuckte Schmerz seinen Brustkorb. Er versuchte an sich hinunterzublicken. Ein unidentifizierbares Stahlteil lag quer über seinen Oberkörper. "Daher also die Schmerzen. Da werden Rippen gebrochen sein", dachte er, um sich selbst zu beruhigen. Mit den behandschuhten Händen griff er nach dem Trümmerstück und schob sich langsam darunter hervor. Als er sich befreit hatte, atmete er tief durch. Die Schmerzen dabei bestätigten seine Annahme von gebrochenen Rippen. Die fehlende Schwerkraft hatte ihm geholfen, aber trotz allem hatte er die Masse des Trümmerstücks bewegen müssen.

 

Dann begutachtete er das Helmvisier. Scheinbar war der Blutfilm aussen und nicht innen. Das war zwar gut für ihn, aber sehr schlecht für jemand anderen auf der Brücke. Er fuhr mit dem Handschuh an den Regler links vom Visier. Das automatische Reinigungssystem beseitigte den Blutfilm durch ein ionisierendes Feld. Langsam versuchte er sich aufzurichten. Links und rechts von ihm herrschte Chaos. Fast alle Konsolen waren zerstört. Der Hauptbildschirm hatte es mit einem Sprung über die gesamte Länge überstanden funktionierte aber ansonsten noch. Überall lagen Tote oder Schwerverletzte - so genau konnte man das bei reglosen Kampfanzügen auf den ersten Blick nicht sagen. Er drehte sich um und sah zu Captain Grischenko hinüber.

 

Eine aktenkoffergroße Stahlplatte war wie ein Schwert in seinen Oberkörper eingedrungen und hatte den Captain nahezu halbiert. Yamato schwebte die zwei Meter hinüber und untersuchte ihn, doch es gab keine Lebenszeichen. Er analysierte die Atmosphäre mit dem eingebauten Chromatographen seines Kampfanzugs. "Luft in Ordnung. Gut, weigstens etwas." Er öffnete den Helm und machte dann das selbe mit Grischenkos Kampfanzug. Yamato griff nach dem Puls des Captains, doch da war nichts. Sein Life-Transponder gab ebenfalls nichts von sich.

 

Den nächsten Versuch startete er bei Natalia Kazinsky, doch die XO war bewußtlos und blutete aus einer Kopfwunde. Das ließ Schlimmes befürchten. Ein Blick über die Brücke ließ ihn erschauern. Im ganzen Brückenbereich schien ein Tornado gewütet zu haben. Die Brückenmannschaft lag bis auf ihn bewegungslos am Boden oder schwebte wegen der fehlenden Schwerkraft in der Luft. Die Konsolen waren zertrümmert oder komplett aus der Verankerung gerissen. Die Sessel vor den Konsolen sahen nicht besser aus. Warum er überlebt hatte, konnte er nicht feststellen. Er aktivierte den Helmfunk und versuchte auf der schiffsinternen Frequenz Kontakt zu finden.

 

"Brücke an alle Stationen. Yamato hier. Schiff befindet sich trotz schwerster Schäden im Hyperraum und wird diesen wahrscheinlich auch wieder planmäßig am Zielort verlassen. Offensiv-, Defensiv- und Ortungssysteme sind tot. Captain gefallen, XO bewußtlos und schwer verletzt. Ich übernehme hiermit interimistisch das Kommando. Sanitätstrupps sofort das Schiff durchkämmen. Vorsicht, die Sektionen B und C auf den Decks 3 bis 5 stehen unter Vakuum. Ein Sanitätsteam und ein Reparaturtrupp auf die Brücke. Der Rest der Besatzung kümmert sich als erstes um die primären und sekundären Antriebssysteme. Statusmeldung aller Stationen an mich. Brücke Ende."

 

Yamato schleppte sich mit schmerzendem Brustkorb mühsam zum einzigen noch intakten Sitzplatz auf der Brücke - es war der Platz des Ersten Offiziers. Die meisten Anzeigen waren tot, aber Flugplan, Kurs und Geschwindigkeit wurden noch angezeigt. Er versuchte den Schiffsstatus abzurufen. Die meisten Anzeigen blieben einfach schwarz. Viele zeigten rote Warnhinweise, einige standen auf Gelb und einige wenige auf Grün. Warum gerade der Antriebsbereich so gut davongekommen war, konnte er sich nicht erklären, aber es hatte ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet. "Einigen von uns", verbesserte sich Yamato in Gedanken selbst, als er sich umsah und die Toten auf der Brücke erblickte.

 

"Maschine an Brücke. Lt Tsien hier." gab der kleine Lautsprecher in seinem Helm von sich.

 

"Brücke hier." meldete sich Yamato.

 

"Hülle über 3 Decks und 63 Meter aufgerissen. Sektion B und C von den Decks 3 bis 5 stehen unter Vakuum. Gesamtstruktur stabil und vibrationsfrei. Antrieb soweit in Ordnung, bis auf ein sekundäres Kühlaggregat. Impulstriebwerke für Unterlichtflug beschädigt, aber noch mit 60% Leistung verfügbar. Hangars und alle Shuttles zerstört. Die meisten Schotte haben die Dekompression überstanden. Einige sind aber verzogen und lassen sich daher nicht mehr so einfach öffnen oder schließen. Ich habe soviele Teams zu je drei Leuten losgeschickt wie möglich. Zwei davon sind auf dem Weg zur Brücke."

 

"Gut. Was ist mit LCDR Blackhurst?"

 

"LCDR Blackhurst fällt temporär aus, Sir. Er ist bewußtlos und hat einen offenen Bruch am linken Unterarm sowie einen Splitterdurchschuß im linken Oberschenkel."

 

"Vielen Dank. Gut gemacht, Lieutenant. Sehen sie zu, dass Blackhurst raschest versorgt wird. Wirt brauchen ihn für die Koordination."

 

Nach und nach kamen auch von den anderen Abteilungen Statusberichte herein. Die Krankenstation hatte es erstaunlicherweise kaum getroffen. Bis auf ein paar umgestürzte Schränke und zerstörte Computer war dort nicht viel passiert. Die Med-Teams waren ebenfalls schon ausgerückt, um die notwendigsten Maßnahmen einzuleiten.

 

Als das Schott zur Brücke hochfuhr blickte Yamato auf. Ein Sanitäter und die Schiffsärztin kamen mit kompletter Ersthelferausrüstung auf die Brücke.

 

"Kümmern sie sich bitte dringend um LCDR Kazinsky." sprach er die beiden an.

 

"Wir sind hier, um auch sie notdürftig zu versorgen.  Sie klangen gar nicht gut am Helmfunk. Das hier ist Chief Petty Officer Brenda Donaldson."

 

"Mir geht es auch nicht sonderlich gut, aber es gibt sicher Patienten, die sie notwendiger brauchen als ich."

 

"Ich meine, wir brauchen jetzt vor allem einen handlungsfähigen Offizier auf der Brücke. Bei Bedarf kann ich sie zu den notwendigsten Maßnahmen zwingen, Lieutenant."

 

"Verdammt, sie denken auch immer an alles.  Haben wir schon Verlustzahlen?" antwortete Yamato mit einem schmerzverzerrten Grinsen.

 

"Ja, das tue ich für gewöhnlich. Der XO-Stuhl ist noch intakt. Gut. Hinsetzen und entspannen. Unsere Verluste sind hoch, Sir. Die meisten Opfer hat der Vakkumeinbruch gefordert. Die Leute hatten einfach keine Kampfanzüge an. Das sollte man bei einem Gefechtsalarm in Zukunft vielleicht ändern. Wir haben gesamt 323 Crewmitglieder verloren. 40 Offiziere, 215 aus den niederen Dienstgraden und 68 Marines. Eine detaillierte Aufstellung habe ich hier."

 

Damit reichte sie ihm ein Datapad mit der Verlustliste. Die Schiffsärztin LT Dr. Sarah Dunham scannte ihn mit einem Med-Scanner auf Knochenbrüche und innere Verletzungen. Nach wenigen Augenblicken schien sie nicht unbedingt glücklich aber halbwegs zufrieden.

 

"Wie schlimm ist es?"

 

"Sie haben links die untersten zwei Rippen gebrochen, den restlichen Brustkorb geprellt und eine mittlere Gehirnerschütterung. Das ist alles. Also kein Grund zu jammern."

 

"Na danke auch. Mir reicht es auch so. Sind sie fertig?" fragte Yamato nach.

 

"Wie lange sind wir noch im Hyperraum?"

 

"Ach, so an die 75 Stunden noch, warum?"

 

"Sie sollten sich ein paar Stunden ausruhen. Ich kann ihnen etwas gegen die Schmerzen geben, wenn sie wollen."

 

"Sie glauben, ich könnte jetzt schlafen?"

 

"Auch dafür habe ich etwas dabei. Sie würden dann acht Stunden schlafen. Momentan können sie kaum etwas tun. Das Schiff ist ein fliegendes Wrack. Derzeit haben wohl die Techniker und Ärzte das Sagen an Bord."

 

"Sieht so aus. Vielleicht komme ich später auf ihr Angebot zurück Doc."

 

"Ok, dann bin ich soweit fertig. Sie sind an sich nur bedingt diensttauglich, aber aufgrund der Umstände vermerke ich, daß sie voll einsatzfähig sind. Passen sie mir aber auf ihre Rippen auf, Captain."

 

"Ein feiner Captain bin ich. Chef eines Wracks ..."

 

"Die Aufgabe ist größer als bei einem neuen Schiff, Sir."

 

"Sie haben recht. Aber wenn ich mir die Toten hier ansehe ... ich hätte mir einen besseren Start für mein erstes Kommando gewünscht."

 

Dunham sah ihn einige Augeblicke an:"Wir wären momentan wohl alle gern woanders, Captain, aber wir können es uns nicht immer aussuchen."

 

"Ja, leider. Also packen wir die Sache an. Und jetzt raus mit ihnen."

 

"Jawohl Sir. Ich soll ihnen auch ausrichten, ein Technikerteam ist auf dem Weg hierher. Sie beseitigen noch ein kleines Problem am Interkom und kommen dann auf die Brücke."

 

Yamato nickte nur mehr und vertiefte sich in die Statusanzeigen.

 

Im Hinausschweben drehte sich Dunham noch einmal um:"Ich melde mich in sechs Stunden wieder. Dann müssen sie schlafen. Bis später."

 

Er schüttelte nur den Kopf bevor er sich wieder der gewaltigen Aufgabe widmete. Er gab Befehl einen Hangar als Leichenhalle zu benutzen und die Toten dort hinzubringen. Viele würde man nicht mehr finden. Yamato vertiefte sich ins Katastrophenmanagement an Bord. Mechanisch nahm er Statusberichte entgegen und gab Befehle aus.

 

Nach zehn Minuten war der Interkom wieder online. Die künstliche Schwerkraft wurde kurze Zeit später wieder hergestellt. Auf der Brücke arbeiteten sechs Techniker und versuchten die notwendigsten Schaltungen wiederherzustellen. Mit der Reparatur der Konsolen hielten sie sich gar nicht erst auf. Die zerstörten Konsolen wurden einfach abgebaut oder einfach herausgeschnitten und durch neue ersetzt.

 

Die Krankenstation war ebenfalls wieder voll einsatzbereit und arbeitete auf Hochtouren. Die Verletzten hatten meistens mit Knochenbrüchen, Prellungen und Quetschungen zu kämpfen. Diejenigen, die von herumfliegenden Trümmern oder Splittern getroffen worden waren, waren großteils sofort tot gewesen. Zwei konnten durch Amputationen gerettet werden, vier weitere durch Notoperationen. Sie brauchten schnellstens ein echtes Krankenhaus. Ob sie die Hyperraumflüge bis zur Erde überleben würden, war ungewiß. Blackhurst war aufgrund seiner Verletzungen noch einer der unproblematischen Patienten. Ein Sanitätsteam hatte ihn erstversorgt. Kurz darauf gab er schon Anweisungen an seine Techniker und beaufsichtigte zusammen mit seinem Stellvertreter Tsien die Reparaturarbeiten.

 

"Technik an Brücke. Captain, Vakuumeinbruch versiegelt und gesichert. Lebenserhaltungssysteme stabilisiert und auf 95% Leistung. Alle Hauptschotten wieder funktionsfähig. Die Impulsaggregate lassen sich nicht mehr reparieren. Wir werden wohl mit 60% Leistung auskommen müssen. Wir können uns jetzt um die gesamte andere Elektronik kümmern."

 

"Yamato hier. Sehr gut Mr. Blackhurst. Nehmen sie zuerst die Kommunikation und dann Sensoren und Scanner in Angriff. Waffen werden wir vorerst keine brauchen."

 

"Aye, Captain."

 

In diesem Moment ging das Schott zur Zentrale auf und Dr. Berneau kam herein. 

 

"Sie wollen mich jetzt schlafen legen Doc. Richtig?" fragte Drake.

 

"Ja."

 

"Fein. Das Kommando übergebe ich in der Zwischenzeit LCDR Blackhurst. Wie geht es Commander Kazinsky?"

 

"Sie hat einen Schädelbasisbruch. Ein Blutgerinsel konnten wir noch rechtzeitig beseitigen. Sie ist kurz bei Bewußtsein gewesen, aber wir haben sie gleich wieder schlafen gelegt. Medizinisch können wir kaum etwas tun, ausser für Ruhe sorgen. Ob sie irgendwelche neuralen Schäden davongetragen hat, wissen wir erst nach Auswertung der EEGs und der Tomographie."

 

Yamato zog kurz eine Augenbraue hoch. Das Gähnen unterdrückte er mit einiger Mühe. Blackhurst war per Interkom innerhalb von wenigen Minuten in alles eingewiesen. Berneau verpaßte ihm eine Spritze. Die Quartiere waren zerstört oder überhaupt verschwunden. Die Explosion des letzten Plasmatorpedos hatte sie großteils aus dem Schiff herausgesprengt. Yamato hatte gerade noch Zeit, sich einen Schlafplatz auf einem halbwegs intakten Sessel auf der Brücke zu suchen. Kaum hatte er es sich halbwegs bequem gemacht, fielen ihm auch schon die Augen zu.

 

TSS MEDUSA - 18 Lichtjahre von Sol entfernt

 

Yamato und Blackhurst hatten sich abgewechselt mit kurzen Schlafpausen, trotzdem hatte die Anstrengung an beiden gezehrt. Aber auch alle anderen Besatzungsmitglieder trugen erschöpfte Gesichter zur Schau. Jeder hatte praktisch bis zum Umfallen gearbeitet, um das Schiff zusammenzuhalten und die notwendigsten Systeme wieder instand zu setzen.

 

Auf der Brücke herrschte Nervosität. Die Konsolen waren notdürftig instand gesetzt oder ausgetauscht worden. Die meisten Anzeigen blieben trotz allem dunkel, da die entsprechenden Instrumente zerstört waren. Yamato als amtierender Captain, Blackhurst als amtierender Erster Offizier und Ensign Michael Jefferson als Kommunikationstechniker saßen inmitten der verwüsteten Brücke und warteten. In 30 Sekunden würde sich zeigen, ob der Hyperantrieb in Ordnung war und sie die übergeordnete Dimension wirklich verlassen konnten.

 

Sie ersparten sich das Herunterzählen eines Countdowns. Das Schiff war auf Katastrophenalarm. Die Gefechtsbereitschaft wäre sinnlos gewesen. Alle Waffensysteme, Ortungsgeräte und auch der Schutzschirm waren außer Betrieb. Nur den Navigationsdeflektor hatten die Techniker wieder hinbekommen. Das wiederum hatte Yamato sehr erleichtert. Ein Raumflug mit relativistischer Geschwindigkeit ohne Navigationsdeflektorschild konnte von sehr kurzer Dauer sein. Selbst kleinste Meteoriten konnten dann ein Schiff komplett zerstören. Das Ergebnis wäre gleich wie der Treffer einer Railgun.

 

Als der Timer auf dem Hauptbildschirm auf Null sprang, zerriss der graue Schleier und machte dem Anblick des normalen Weltraums Platz. Im Maschinenraum zerrissen Überspannungsblitze die Luft, und einer der Speicherkondensatoren hauchte sein Leben aus, als er schmelzend in sich zusammensank. Der Gestank von verbrannten Kunststoffen und Metall erfüllte die Luft. Die Löschanlagen wurden manuell aktiviert und kühlten die anderen Kondensatoren. Sie würden die Energiespeicher für den Weiterflug brauchen. Einer konnte leicht ersetzt werden, aber nicht alle.

 

Einige Schiffe der 3. Flotte waren bereits kurz zuvor angekommen und sahen einen Lichtblitz mitten unter ihnen auftauchen. Als sie ihre Ortungsgeräte auf die Quelle richteten, sahen sie die schwer angeschlagene MEDUSA daraus hervorschießen. Captain McPherson von der HAMMER hatte schon Befehl gegeben, alles für einen Notfall vorzubereiten. Blitzschnell lösten sich einige Shuttles und rasten auf die MEDUSA zu, während die HAMMER selbst ebenfalls Kurs auf das angeschlagene Schwesterschiff nahm.

 

Zwischenbericht Captain McPherson

 

Als wir die MEDUSA aus dem Hyperraum brechen sahen, wußten wir gleich, daß etwas nicht stimmte. Der Lichtblitz des Austritts war etwas stärker als üblich gewesen. Ich wies meinen Funker an, Kontakt aufzunehmen und schickte auch die vorbereitete Unterstützung los. 13 Shuttles starteten sofort mit medizinischem und technischem Personal. Sie würden die Helfer absetzen und die transportfähigen Verletzten zu uns zurückbringen. Unsere Krankenstation war bereits informiert. Kurz darauf kam die Verbindung zustande.

 

"HAMMER an MEDUSA."

 

"Captain, gut sie zu hören. Yamato hier. Captain Grischenko ist gefallen und Commander Kazinsky liegt verletzt auf der Krankenstation."

 

Einige Momente schwieg ich. Grischenko war mir ein guter Freund gewesen. Kazinsky kannte ich immerhin als sehr gute Offizierin.

 

"Das heißt, sie haben das Kommando. Medizinische und technische Unterstützung ist unterwegs. Können sie einige Schleusen oder einen Hangar frei machen?"

 

"Ein Hangar ist notdürftig bereit für Shuttle-Landungen. Wir sind schwer beschädigt. Die Verluste sind hoch, Captain. Ich schicke ihnen die Details per Normalfunk. Die Verletzten sind notdürftig versorgt und für den Abtransport vorbereitet, sofern sie transportfähig sind. Was uns vor allem fehlt, sind Techniker und Ersatzteile. Einer unserer Kondensatoren ist zum Beispiel gerade dahingeschmolzen." antwortete Yamato - immer noch hielt er sich an den Befehl keine Bildfunkverbindung zu verwenden - guter Mann.

 

"Drei große Shuttles haben wir für die Verletzten vorgesehen. Zwei werden gerade mit Ersatzteilen beladen. Die kleinen Shuttles bringen ihnen alle Techniker, die ich hier entbehren kann. Aber es stellt sich eine andere Frage Captain: Wäre es nicht klüger, die MEDUSA aufzugeben und zu sprengen?"

 

"An sich ist sie hyperraumtauglich. Die meisten Schäden sind an den etwas empfindlichen Computern sowie an Sensoren und Scannern entstanden. Diese Dinge kann man einfach austauschen. Der Hüllenbruch ist zwar groß, hat aber keine Stabilitätsprobleme verursacht. Die Mannschaftsquartiere sind ersetzbar. Ich denke, es ist billiger das Schiff zu reparieren, als ein neues zu bauen. Die Sektionen B und C kann man einfach ganz herauslösen und mit den Normmodulen ersetzen."

 

Ich konnte Yamato verstehen, daß er das Schiff nicht so einfach aufgeben wollte. Ich mußte ihm auch bezüglich seiner Einschätzung recht geben, als ich den Schadensbericht las. Es würde zwar einige Wochen Werftliegezeit kosten, aber an sich sah es schlimmer aus, als es war. Das sagte ich ihm auch.

 

"Ach Captain, ich tue einfach, was zu tun ist."

 

"Unser nächster Sprung findet in 3 Stunden statt und wird uns direkt nach Hause bringen. Schaffen sie es bis dahin, den Kondensator zu tauschen?" fragte ich ihn.

 

"Ja, das sollte gehen. LCDR Blackhurst ist wieder bedingt diensttauglich. Wir bauen ihn schon aus, obwohl er fast noch glüht. Ein Testlauf sollte auch möglich sein."

 

"Gut. Falls sie sonst noch etwas brauchen, melden sie sich einfach."

 

"Eine Mütze voll Schlaf, Captain. Alles andere wird sich finden."

 

Ich mußte grinsen:"Dafür müssen sie schon selber sorgen." Damit schaltete ich die Verbindung ab.

 

Yamato nahm seine Aufgabe sehr ernst. So gesehen konnte die Besatzung der MEDUSA keinen besseren Krisenmanager finden. Ob er auch als regulärer Captain taugen würde ... die Zukunft würde es zeigen. Er hatte mittlerweile etwas, was den meisten anderen Offizieren der Flotte fehlte, nämlich echte Kampferfahrung. Das prädestinierte in geradezu für ein eigenes Kommando. Ich beneidete ihn nicht darum. Er war trotz all seiner Qualitäten noch sehr jung und würde noch zwei oder drei Jahre auf ein Kommando warten müssen. Selbst ich mit meinen 34 Jahren war für den Kommandosessel eines Schlachtkreuzers noch recht jung. Ich verdankte meine Beförderung wohl eher dem intensiven Flottenbauprogramm als meiner Erfahrung.

 

Als ranghöchster Offizier hatte jetzt Commodore Fitzgerald wieder das Kommando über die gesamte 3. Flotte. Ich berichtete ihm vom Stand der Dinge an Bord der MEDUSA. Er bestätigte meine Ansicht über das Schiff und nickte meine Maßnahmen ab. Die Verluste hatten auch ihn betroffen gemacht. Außer dem Frachter war nur der Träger ohne Verluste und Gefechtsschäden davon gekommen. Fitzgerald fragte seinerseits noch einmal bei Yamato nach, ob er noch etwas tun konnte für die MEDUSA. Yamato bat ihn nur um zwei kleine Shuttles als Ersatz für die eigenen zerstörten. Fitzgerald sagte ihm diese zu und schickte sie auch gleich auf den Weg. Mannschaften konnte Yamato keine mehr gebrauchen, denn die Leute würden sich nur gegenseitig im Weg stehen. Kurz darauf kam Fitzgerald zu mir in den Bereitschaftsraum.

 

"Was kann ich für sie tun, Commodore?"

 

Fitzgerald rieb sich mit einer Hand das Kinn:"Die MEDUSA braucht einen Kommandanten. Yamato und Blackhurst sind überlastet. Die beiden sind gute Offiziere, aber eben noch zu grün für diese Situation. Und sie sind erschöpft."

 

In diesem Moment wußte ich, was er von mir wollte. Aber so leicht würde ich es ihm nicht machen:"Ja, ich weiß. Wäre gut, wenn wir jemanden rüberschicken könnten. Aber wen können wir halbwegs schmerzlos entbehren?"

 

"Wir haben 11 Totalverluste ohne Überlebende. Das ist ein Drittel der Trägerkampfgruppe. Die MEDUSA konnte beschädigt entkommen, wohl mehr zufällig als aufgrund taktischer Exzellenz. Alle anderen Einheiten ausser der INVINCIBLE haben die verschiedensten Schäden davon getragen. Das Gefecht ist vorbei, und die Uldat können uns nicht mehr erreichen, bevor wir in den nächsten Sprung gehen. Daraus folgt, daß wir keinen Stress haben. Schicken sie Drake hinüber. Er soll die MEDUSA übernehmen, wenn er will. Hier ist er ohnehin unterfordert."

 

Mir war nicht wohl dabei, einen frischgebackenen Ersten Offizier gleich an sein erstes Kommando sozusagen weiterzureichen. Es war zwar aller Voraussicht nach nur ein temporäres Kommando für die Rückführung des Schiffes zur Erde, aber das Schiff war in einem schlimmen Zustand, sowohl was das Material anging wie auch die Crew. Ich sagte das auch Fitzgerald.

 

"Ja, sie haben schon recht. Andererseits ist die letzte Hyperraumetappe eine einfache Sache. Alles andere ist eine Frage des Krisenmanagements an Bord. Und Drake bekommt einen unmittelbaren Eindruck davon, wie ein Gefecht ausgehen kann. Das kann einem zukünftigen Kommandeur nicht schaden. Am liebsten würde ich dafür alle Offiziere hinüberschicken - Training on the job."

 

Ein paar Sekunden dachte ich über Fitzgeralds Worte nach. Unser Gefecht war taktisch gesehen als Niederlage zu betrachten. Die Auswirkungen direkt zu erleben, konnte eine sehr wichtige Erfahrung für einen Offizier sein. Fitzgerald hatte recht, ich brauchte Drake nicht unbedingt an Bord der HAMMER, also stimmte ich zu. Ich rief meinen XO also zu mir den Bereitschaftsraum.

 

Drake trat ein:"Sie wollten mich sprechen, Captain? Commodore ..."

 

"Ja. Nehmen sie Platz, Commander. Wir haben eine neue Aufgabe für sie."

 

"Habe ich irgendetwas falsch gemacht, Captain?"

 

Fitzgerald mußte ob dieser Frage grinsen: "Ich würde sagen, das kommt auf den Standpunkt an, Commander."

 

Er schien meinen XO foltern zu wollen und es zu genießen:"Der XO ist eine wichtige Position an Bord eines Schiffes, aber derzeit sind sie an Bord der HAMMER nicht unbedingt erforderlich. Aus diesem Grund möchten wir ihnen eine neue Aufgabe vorschlagen. Wie gesagt, es ist ein Vorschlag und sie können auch ablehnen."

 

"Wie lautet der Vorschlag, Sir?" fragte Drake vorsichtig nach.

 

"Die MEDUSA ist schwer beschädigt. Captain Grischenko ist gefallen und Commander Kazinsky ist nicht einsatzfähig. Derzeit leitet Yamato zusammen mit Blackhurst das Schiff. Beide sind erschöpft und an ihren physischen und mentalen Grenzen angelangt. Kurz gesagt, die MEDUSA braucht einen neuen Kommandanten. Sie haben bisher alles richtig gemacht und ich denke, sie sind der Aufgabe gewachsen. Ihr zusätzlicher Vorteil ist, dass sie die halbe Besatzung des Schiffes noch gut von der EXPLORER her kennen."

 

"Ich nehme an, sie brauchen meine Entscheidung gleich?"

 

"Ja."

 

"Ich packe meine Sachen. In 30 Minuten kann ich übersetzen."

 

"Gut. Noch etwas: Das ist eine Einsatzbeförderung ohne Änderung ihres Ranges und eine temporäre Angelegenheit. Ich kann keine reguläre Kommandoübergabe ohne Admiral Yamatos Zustimmung anordnen. Es ist möglich, daß das Flottenkommando ihnen nach der Rückkehr das Kommando wieder entzieht. Das ist sogar wahrscheinlicher, als daß man es ihnen läßt, würde ich mal sagen."

 

"Ich weiß, danke Commodore. Auf jeden Fall ist es eine wertvolle Erfahrung. Was ist der genaue Auftrag?"

 

"Rückführung des Schiffes und Übergabe an die Werft für eine Instandsetzung. Wahrscheinlich werden sie auch noch die Instandsetzung und Neuausrüstung überwachen, aber das ist bereits eine Entscheidung, die das Flottenkommando treffen wird. Dann sehen wir weiter. Das wäre vorerst alles."

 

"Dann mache ich mich gleich auf den Weg, Sir. Captain ..."

 

Ich schüttelte meinem ehemaligen XO die Hand und wünschte ihm viel Glück. Er konnte es brauchen. Auf so einem Flug mit einem schwer beschädigten Schiff konnte noch eine Menge schiefgehen.

 

Ende des Zwischenberichts

 

Kurz darauf setzte Drake mit einem Shuttle zur MEDUSA über. Kazinsky und die anderen Verletzten der MEDUSA wurden per Shuttle abtransportiert. Drake konnte die Shuttle-Prozession auf dem Rückweg zur HAMMER sehen. Wenige Minuten später betrat er die Stahlplatten des Hangardecks. Er kannte die geordneten Zustände an Bord eines intakten Schlachtkreuzers. Umso mehr überraschte ihn das Chaos, das er schon im Hangar vorfand. Niemand war gekommen um ihn abzuholen. Der Eindruck verstärkte sich noch, als er sich auf den Weg zur Brücke machte.

 

Bahren mit Verletzten standen in einer Ecke des Hangars. An- und abfliegende Shuttles mußten manuell gesteuert werden, da das automatische Landesystem ausgefallen war. Stahlträger waren verbogen oder gar zerrissen worden. Verkleidungen aus massiven Stahlplatten lagen wie Papier zerknüllt im Hangar rum. Die Fahrstühle waren ausgefallen oder als Vorsichtsmaßnahme abgeschaltet. Crewmitglieder rannten gehetzt herum. Notfallteams in ihren orangeroten Anzügen begegneten ihm mit Strahlungsmessgeräten, Feuerlöschern und Sanitätskits. Die Leute sahen müde und abgekämpft aus.

 

Minuten später erreichte er die Brücke und trat durch das ächzende Panzerschott.

 

Yamato sah ihn als erster:"Captain Drake! Schön sie zu sehen."

 

"Sie wissen es also schon. Freut mich ebenfalls sie zu sehen. Vor allem, daß es ihnen gut geht."

 

"Ja, sie übernehmen das Kommando. Ehrlich gesagt Commander, ich bin froh darüber. Die Arbeit nimmt kein Ende, und dann noch das Kommando. Alles in allem ein bißchen viel. Blackhurst und ich sind sozusagen am Limit."

 

"Ja, kann ich mir vorstellen. Ich denke, wir sollten uns mit Blackhurst für ein paar Minuten zusammensetzen und den Status sowie die laufenden Tätigkeiten und ihre Prioritäten durchgehen. Sagen wir in zehn Minuten im Bereitschaftsraum?"

 

"Gern, Captain. Ich verständige noch LCDR Blackhurst." Damit war Yamato auch schon verschwunden.

 

Drake ging zu den bereits instand gesetzten Konsolen und schaltete durch die wichtigsten Statusmeldungen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Dann öffnete er einen schiffsweiten Kanal per Interkom.

 

"Brücke an Crew. Ich ersuche um ihre Aufmerksamkeit. Hier spricht Commander Steven Francis Drake. Ihnen allen ist bekannt, daß Captain Grischenko gefallen und Commander Kazinsky schwer verletzt ist. Commodore Fitzgerald hat mich daher ersucht, ab sofort das Kommando über die MEDUSA zu übernehmen. Vor allem um LCDR Blackhurst und LCDR Yamato zu entlasten. LCDR Yamato wird ab sofort als mein XO fungieren. Strategisch gesehen hat die Einsatzgruppe History zwar die Missionsziele erreicht, aber die Schlacht verloren. Wir haben 11 Einheiten verloren und schwere Verluste erlitten. Die Uldat wissen aber Gott sei Dank nicht, wo sie uns suchen sollen. Unser Auftrag lautet, das Schiff zur Instandsetzung in die Werft zu bringen. Voraussichtlich wird das Schiff dann einige Wochen in der Werft zur Reparatur liegen und dann wieder in den regulären Dienst genommen. Wer die MEDUSA dann kommandieren wird, kann ich ihnen leider nicht sagen. Meine Abkommandierung hierher ist wahrscheinlich zeitlich begrenzt. Die restliche Flotte beginnt die letzte Hyperraumetappe um 1330 Uhr Bordzeit. Wir werden dabei sein, aber wahrscheinlich ein anderes Geschwindigkeitsprofil fliegen. Das wäre vorerst alles. Brücke Ende."

 

Kurz darauf betraten Yamato und Blackhurst die Brücke und folgten Drake in den Bereitschaftsraum, der erstaunlicherweise nicht beschädigt war. 

 

"Nehmen sie Platz, meine Herren, und dann informieren sie mich bitte über den Stand der Dinge."

 

Blackhurst begann sofort:"Aye, ... Captain. Aktuell ist der Status wie folgt: Lebenserhaltungssysteme sind stabil bei 95% Leistung. Impulsantrieb auf 60% und nur im Dock reparabel. Hyperraumantrieb ist soweit betriebsbereit, aber er ist an einigen Stellen notdürftig geflickt. Bis nach Hause wird es aber halten. Was uns etwas Kopfzerbrechen bereitet, ist der eine Kondensator. Mit dem Starttermin um 1330 wird es etwas knapp. Kommunikation ist bis auf den KW-Funk ausgefallen. Einen Hyperkom kriegen wir vielleicht zum Laufen, aber sicher ist das nicht. Wir haben Totalausfall bei Ortung und Waffen - zumindest die Computersteuerung. Manuell ließe sich einiges davon verwenden, wäre aber in einem Gefecht ziemlich sinnlos. Derzeit sind wir dabei, die Kommunikationssysteme zu reparieren. Danach kommt die Ortung und dann die Waffensysteme."

 

"Danke Commander. Mr. Yamato?"

 

"Wir haben 323 Crewmitglieder verloren - 40 Offiziere, 215 aus den anderen Rängen und 68 Marines. Die Leute sind zur Zeit erschöpft, sie arbeiten rund um die Uhr, seit wir History verlassen haben. Davor standen sie unter Gefechtsstreß. Dazu kommt noch, daß die Leute frustriert sind. Die Realität des Kampfes hat sie wieder auf den Boden geholt, und das auch noch sehr schnell und hart."

 

"Ok, dann müssen wir etwas tun, bevor noch Probleme aufgrund von Übermüdung entstehen. Ab sofort ist in jeder Abteilung ein Drei-Schicht-Betrieb mit 10 Stunden pro Schicht davon zwei Stunden Überlappung mit der Folgeschicht einzuführen. Die Leute brauchen einfach Erholungsphasen. Wer die Regelung nicht beachtet, wird ab sofort sanktioniert. Machen sie den Leuten klar, daß es nichts bringt, wenn sie sich zu Tode arbeiten. Das betrifft auch sie beide."

 

"Aye, Captain."

 

"Was die Prioritäten der Reparaturen angeht: Als erstes bringen sie mir den neuen Kondensator online. Danach möchte ich aber den Hyperraumantrieb abgesichert wissen. Ersetzen sie alles notdürftig geflickte Zeug durch vernünftige Ersatzteile, soweit es sich bis zum Starttermin noch ausgeht. Systeme, die im laufenden Betrieb nicht repariert werden können, sind vorrangig instandzusetzen. Wir werden aus dem Ersatzteildepot der HAMMER einen kompletten Hyperkom anfordern. Das Ding muß nicht besonders gut oder stark sein. Es muß bloß von hier bis zur Erde morsen können. Dann können wir uns auf die Ortung und den Schutzschirm konzentrieren. Ihr Vorschlag zur Reisegeschwindigkeit Mr. Blackhurst?"

 

"So langsam wie möglich, Sir. Kühlsysteme und Vibrationsdämpfer sind genau von dem Flickwerk betroffen. Zu lange sollte der Flug aber auch wieder nicht dauern."

 

"Das habe ich schon befürchtet. Na gut, ist wohl nicht zu ändern. Entwerfen sie mir ein Geschwindigkeitsprofil. Ich brauche es 10 Minuten vor Abflug. Gibt es von ihrer Seite noch etwas?"

 

Yamato blickte kurz zu Blackhurst. Er war einfach zu höflich, um als erster das Wort zu ergreifen, aber von Blackhurst kam nur ein leichtes Kopfschütteln.

 

"Wie geht es Commander Kazinsky?" fragte Yamato

 

"Soweit ich weiß, hat sie einen Schädelbruch. Ein Blutgerinsel konnte rechtzeitig aufgelöst werden. Auf dem Scanner sieht soweit alles normal aus, aber Doc Dunham kann neurologische Schäden nicht gänzlich ausschließen. Körperlich ist sie aber bald wieder fit."

 

"Danke Captain."

 

"Gut. Wann haben sie das letzte mal geschlafen?"

 

"Ähm ... vor 22 Stunden Sir." antwortete Yamato.

 

"Ok, dann ab in die Koje. Und sie Blackhurst?"

 

"Hm, ich glaub, ich leg mich auch hin."

 

Drake lehnte sich zurück und grinste leicht:"Richten sie vorher noch die Schichtpläne ein. Das wäre dann alles."

 

Damit trabten Yamato und Blackhurst aus dem Bereitschaftsraum und machten sich an die Arbeit. Drake machte sich auf den Weg zur Krankenstation. Er wollte sich selbst ein Bild vom Zustand seiner Crew machen. Auf dem Weg erreichte ihn Major McWalsh, der Kommandanten der Infanterieeinheit an Bord, am Kommunikator.

 

"Drake hier, Major. Was kann ich für sie tun?"

 

"Herzlichen Glückwunsch zum Kommando, Captain. Ich wollte fragen, ob meine Jungs und Mädels irgendwo aushelfen können."

 

"Danke, aber ich hätte mir andere Umstände gewünscht. Ich bin auf dem Weg zur Krankenstation. Danach komme ich gern bei ihnen vorbei, und wir sehen uns die Möglichkeiten an."

 

"Das trifft sich gut, ich bin nämlich bei Dr. Dunham. Mich hat ein wild gewordenes Schott attackiert und mir den Unterarm gebrochen."

 

"Dann sollten sie aber außer Dienst sein, Major."

 

"Captain, schiessen kann ich mit beiden Armen gleich gut. Solange ein Marine eine Waffe halten kann ... und der andere Arm ist ja gesund."

 

Drake mußte grinsen:"Ok, dann bis gleich."

 

Je näher er der Krankenstation kam, desto intensiver wurde der Betrieb in den Korridoren. Im Lazarett selbst war Hochbetrieb. Viele Patienten waren schon zur HAMMER abtransportiert worden, doch es gab noch eine Menge Verletzte, die erst mit dem zweiten Transport abfliegen würden und viele, die freiwillig hier geblieben waren.

 

Drake sah auf die Armbanduhr als er die Schiffsärztin erreichte. Es war gerade 1020 Uhr.

 

"Guten Morgen Doc. Wie stehen die Dinge?"

 

"Guten Morgen, Captain. Die Dinge stehen nicht gut, was die Crew angeht. Zusätzlich zur Verlustliste haben wir noch mehr als 200 Verletzte. Die Bandbreite reicht vom Schädelbruch bis zu Prellungen. Ich habe schon eine Liste vorbereiten lassen für sie. Darauf sehen sie die Namen der Verletzten und den Grad ihrer Diensttauglichkeit." Damit drückte sie ihm einen kleinen Speicherchip in die Hand.

 

"Ach ja, eine Liste der notwendigen Vorräte finden sie dort auch. Bitte dringend beim Commodore anfordern. Und jetzt möchte ich sie bitten, nicht im Weg zu stehen. Wir haben hier eine Menge Arbeit."

 

Major McWalsh sah Drake leicht amüsiert an, der ein etwas erstauntes Gesicht zur Schau trug:"Nehmen sie es nicht tragisch, Captain. Momentan haben die Ärzte und die Techniker das Sagen an Bord. Offiziere sind derzeit nur Statisten oder Hindernisse."

 

"Tja Major, dann sollten wir uns eine ruhige Ecke suchen, damit die Ungnade der Domina dieser Einrichtung nicht über uns hereinbricht." gab Drake zurück.

 

Dr. Dunham konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als sie sich umdrehte:"Raus mit ihnen beiden, sonst zieh ich mir eine große Spritze mit dicker Nadel und Betäubungsmittel auf."

 

McWalsh nickte mit dem Kopf in Richtung Ausgang und machte sich auf den Weg. Drake folgte ihm unversehens.

 

Als die beiden Offiziere die Krankenstation verlassen hatten, drehte sich einer der Patienten zu einem anderen um:"Wußte gar nicht, dass Drake Humor hat."

 

"Und was für einen Kumpel. Der kann die Leute ziemlich auf die Schippe nehmen und trotzdem ist keiner sauer auf ihn." kam die Antwort zurück.

 

"Richtig meine Herren, aber jetzt Ruhe. Ausserdem spricht man nicht über Leute, die nicht anwesend sind." bemerkte die Schiffsärztin.

 

"Ach Doc, wenn's was Schlechtes gewesen wäre, hätten sie Drake ohnehin mit Klauen und Zähnen verteidigt."

 

Erst wollte Dr. Dunham zornig auffahren, überlegte es sich aber noch rechtzeitig und wandte sich ab, damit die Beiden die leichte Röte in ihrem Gesicht nicht bemerkten:"Klar, wir Offiziere müssen ja gegen die niederen Dienstränge zusammenhalten, sonst bricht noch Anarchie aus an Bord."

 

Die beiden Patienten ließen es dabei bewenden, um ihre Ärztin nicht wirklich zu verärgern. Dunham konnte ziemlich unangenehm werden, wenn ihr etwas nicht paßte.

 

McWalsh und Drake machten sich auf den Weg zu McWalshs Büro. Dort angekommen bot ihm McWalsh einen Kaffee an. Er wußte, daß Drake ein passionierter Kaffeetrinker war, der aber auch durchaus gerne guten Tee zu schätzen wußte.

 

"Vielen Dank Major."

 

"Gern. Also, wo können wir helfen?"

 

Drake lehnte sich im Sessel zurück und nippte an seinem Kaffee: "Ich denke die Erstversorgung der Verletzten ist abgeschlossen. Was das Schiff derzeit braucht, sind Techniker, Logistiker und viele starke Arme."

 

"All das haben wir bei den Marines, Captain. Wir haben einige Pioniere dabei, die sich um stukturelle Probleme des Schiffs wie Korridore, verbogene Träger, etc. kümmern können. Sie können mit den Laserschneidern so gut wie alles entfernen. Sie brauchen nur einen Techniker, der ihnen sagt, was abzuschneiden ist. Die Techniker können sich um Ortungs- und Waffensysteme kümmern - zum Beispiel durch Kalibrierung von Sensoren, Scannern und Waffensystemen. Die Logistiker könnten eine genaue Inventur der Schäden und der Lagerbestände durchführen und die ganzen Umlagerungen organisieren. Wir können auch Wege für die Techniker übernehmen und auch bei Arbeiten assistieren, damit die Experten nicht ständig von der Arbeit weg müssen. Dadurch hätten wir bei Eintreffen im Sol-System auch gleich einen recht kompletten Schadensbericht."

 

"Klingt gut. Setzen sie sich mit Blackhurst in Verbindung und überlegen sie sich einen effizienten Einsatz ihrer Leute. Behalten sie aber 30 Marines in Reserve. Sie sollen sich für einen Sicherheitseinsatz vorbereiten."

 

"Sicherheitseinsatz? Haben wir Kriminelle an Bord?" fragte McWalsh überrascht nach.

 

"Das nicht, aber die Leute sind momentan moralisch sagen wir mal nicht gerade in der besten Stimmung. Es könnte Probleme mit der Ordnung an Bord geben. Meuterei wird es wohl keine werden, aber auch das kann man nicht ausschließen. Ich will einfach nur vorbereitet sein."

 

"Aye, Captain."

 

"Sonst noch etwas Major?"

 

"Nein, Sir."

 

"Gut, dann verabschiede ich mich wieder. Danke für den Kaffee."

Kapitel 7 - Neue Heimat

TSS MEDUSA im erdnahen Raum ...

 

Ein Entladungsblitz krachte quer durch den Kondensatorraum und erzeugte einen fast schon ätzenden Ozongeruch in der Luft. Der ausgetauschte Kondensator schmolz halb dahin und der Rest versank in der Kunststoffschmelze. Auf dem Hauptbildschirm der Brücke verschwand das übliche graue Wallen des Hyperraums und wurde durch den normalen Weltraum ersetzt. Sie waren endlich zuhause angekommen. Mit einem Aufatmen kommentierte Drake still die Ankunft der MEDUSA im heimatlichen Sol-System.

 

Blackhurst hatte eine Hyperraumetappe mit mittlerer Geschwindigkeit vorgeschlagen. Die MEDUSA hatte die Rückkehr daher in knapp 80 Stunden geschafft. Damit war sie doppelt so lange unterwegs gewesen, wie der Rest der Flotte.

 

LCDR Yamato blickte kurz von den Anzeigen zu ihm hinüber: "Endlich wieder zuhause."

 

"Ja, ich war mir nicht so sicher, daß wir es schaffen würden." antwortete Drake wahrheitsgemäß. Yamato gegenüber konnte er offen sein. Allen anderen gegenüber hatte er Optimismus ausstrahlen müssen - eine neue Erfahrung für ihn.

 

Vom Platz des Kommunikationsoffiziers meldete sich ein junger Ensign dessen Namen sich Drake einfach nicht merken hatte können: "Captain, wir bekommen gerade Anweisungen für das Docking-Manöver in der Werft."

 

"Sehr gut. Weitergeben an Navigation. Navigation, bringen sie uns in die Werft."

 

"Aye Captain."

 

Drake beobachtete aufmerksam das Treiben der Ersatzbrückenmannschaft. Die jungen Leute hielten sich gut, auch wenn die meisten dicke Ringe unter den Augen hatten. Die Brücke war instand gesetzt worden. Operations, Kommunikation, Navigation und die Plätze von Captain und XO waren notdürftig funktionsfähig gemacht worden. Gleichzeitig ließ Drake den vergangenen Flug noch einmal vor seinem geistigen Auge ablaufen. Schon nach 15 Stunden hatte es Probleme mit einem der Vibrationsdämpfer gegeben. Blackhurst persönlich hatte sich daran gemacht, das Problem zu beheben. Dabei hatte er sich durch ein kleines Plasmaleck die rechte Hand verletzt - an sich nur eine Brandwunde, aber am wichtigsten Werkzeug eines Cheftechnikers. Den defekten Vibrationsdämpfer hatte er trotzdem noch unter Kontrolle gebracht. Nach weiteren vier Stunden waren in den Schaltkreisen der inaktiven Waffensysteme plötzlich erhebliche Kriechströme aufgetreten. Um eine Überlastung der Waffensysteme zu verhindern, mußten die Zuleitungen unterbrochen werden. Kurz darauf war die Ursache gefunden worden. So war es während des gesamten Fluges weitergegangen. Ständig war man damit beschäftigt gewesen, irgendetwas zu verhindern und die Ursachen auszubügeln.

 

"Captain, wir haben Dockrampe 6 zugewiesen bekommen. Wir erreichen es in wenigen Minuten. Die Flight Control fordert uns auf, das Schiff per Traktorstrahler reinbringen zu lassen, sobald wir nah genug sind."

 

"Navigation, können sie uns ohne Probleme selbstständig reinbringen?"

 

"Ja, Captain."

 

"Gut, dann lehnen sie das nette Angebot ab." gab Drake mit einem Schmunzeln zurück.

 

LT Sherman grinste über das ganze Gesicht bei dieser Anweisung:"Geht klar, Sir."

 

Mit viel Fingerspitzengefühl brachte Sherman schließlich das zerschossene Schiff ins Dock und in die finale Wartungsposition. Von außen näherten sich Dockklammern und eine Menge Versorgungsverbindungen dem Schiff. Die Systeme des Schiffes wurden nach und nach abgeschaltet. Nur die Lebenserhaltung blieb online. Die Reaktoren wurden ebenfalls heruntergefahren und auf externe Versorgung umgeschaltet. Als die Lautsprecher den Dock-Alarm durch das ganze Schiff meldeten, brandete kurz Jubel auf. Die Erleichterung der Crew war förmlich zu spüren. Kurz darauf erhielt Drake die Nachricht, sich in einer Stunde bei Admiral Yamato zu melden. Yamato war extra zur Werft geflogen, um die MEDUSA selbst zu sehen.

 

Mit einem Fingerdruck öffnete Drake einen Interkom-Kanal zum gesamten Schiff: "Brücke an Besatzung. Hier spricht ihr kommandierender Offizier. Wir haben soeben die Werft erreicht und angedockt. Ab sofort sind nur mehr die für die Sicherheit der Besatzung und des Schiffes notwendigen Reparaturen abzuschließen. Danach wird das Schiff an die Werftcrew übergeben. Ich möchte mich bei ihnen allen für ihren unermüdlichen Einsatz bei der schwierigen Rückführung der MEDUSA danken. Ich werde für alle beteiligten Crew-Mitglieder einen entsprechend positiven Eintrag im Personalakt veranlassen. Ich habe in einer Stunde einen Termin bei Admiral Yamato. Ich denke, danach kann ich ihnen allen mehr darüber sagen, wie es die nächsten Wochen weitergeht. Bis dahin müssen sie sich noch gedulden und an Bord bleiben. Sonst habe ich derzeit keine weiteren Befehle für sie. Das wäre alles. Brücke, Ende."

 

Kaum hatte das Schiff angedockt, überschwemmten auch schon Teams der Werft die MEDUSA sowohl innen wie auch außen.

 

Zwischenbericht CDR Steven Francis Drake

 

An die Verluste, die wir bei dem Gefecht erlitten hatten, durfte ich nicht denken. Mir graute immer noch dabei. Über 4.000 Tote, mehr als 2000 Verletzte, 11 zerstörte Schiffe und über 30 vernichtete Jäger waren die erschütternde Bilanz. Strategisch war die Operation Exodus zwar ein Erfolg gewesen, aber taktisch gesehen hatten wir eine sehr herbe Niederlage erlitten.

 

Meine Uniform war fleckig, hatte einen Riss von einer scharfen Stahlkante, und war durchgeschwitzt. So wollte ich dem Oberbefehlshaber der Raumflotte Admiral Hiryu Yamato - gleichzeitig der Vater meines XO - nicht gegenübertreten. Ich begab mich unter die Dusche und warf mich danach in eine frische Uniform. Erst jetzt merkte ich, wie müde ich wirklich war. Ein schwer beschädigtes Schiff mit einem Drittel der Crew über fast 20 Lichtjahre nach Hause zu bringen, war definitiv ein Knochenjob. Ein Blick auf die Uhr entspannte mich etwas. Ich hatte Zeit genug bis zu meinem Termin mit Yamato, um mich in aller Ruhe umzuziehen.

 

Die Nachricht hatte ein Büro auf der Werft als Treffpunkt angegeben. Yamato war bekannt für seinen Pragmatismus. Er verzichtete auf großartiges Geleit. Nur sein Adjutant CDR Liu Song sowie zwei Leibwächter aus den Reihen der Spezialeinheit der Spartaner begleiteten ihn auf seinen Reisen. Bei Letzteren konnte man trotz der Tatsache, daß Yamato Japaner war, durchaus erkennen, daß sie ihm lästig waren, aber der regierende Rat kannte bei der Sicherheit gewisser Personen keine Kompromisse. Ähnlich einfach liebte es Yamato auch in seinem Arbeitsumfeld. Sein übliches Büro zierte die Flagge der Flotte und auf dem Schreibtisch stand ein Foto seines Sohnes. Yamatos Frau war vor zwei Jahrzehnten einem Krebsleiden erlegen.

 

Als ich vor dem Büro ankam, sah ich mich zwei schwarz gekleideten Elitesoldaten gegenüber, deren Aufmerksamkeitspegel sich bei meiner Annäherung schlagartig erhöht hatte. Scheinbar waren seit dem Gefecht die Sicherheitsmaßnahmen drastisch verschärft worden. Ich ließ mich auf keine unnötigen Diskussionen ein. Mit den Spartanern war nicht zu spaßen. Nach Prüfung meiner Identität und meines Dienstausweises wurde ich eingelassen. Ich war ein paar Minuten zu früh, aber CDR Song erwartete mich bereits.

 

"Ah, Commander Drake. Gehen sie gleich hinein. Der Admiral erwartet sie bereits."

 

Vor mir öffnete sich eine schallschluckende Tür, und ich trat in das ungefähr 25 Quadratmeter große Büro des Flottenkommandeurs. Mit einigen wenigen Schritten trat ich vor den Schreibtisch und nahm Haltung an.

 

"Commander Steven Francis Drake wie befohlen zur Stelle, Sir."

 

Yamato sah nicht einmal von dem Tablet-Computer in seiner Hand auf: "Nehmen sie bitte Platz Commander und gewähren sie mir noch eine oder zwei Minuten."

 

"Vielen Dank Sir." antwortete ich etwas steif und setzte mich. Ich fühlte mich nicht sonderlich wohl in so hoher Gesellschaft nach der Schlappe, die wir erlitten hatten.

 

Yamato las noch irgendetwas auf dem Tablet. Kurz darauf legte er das Gerät weg und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück.

 

"Zu allererst herzlichen Glückwunsch zu ihrer sicheren Heimkehr, Commander."

 

"Vielen Dank, Sir, aber mein Anteil daran war eher bescheidener Natur. Das Lob gebührt der Crew."

 

"Keine falsche Bescheidenheit, Commander. Sie haben gemessen an ihrer Erfahrung und ihrem Dienstalter sehr gute Arbeit geleistet, noch dazu in einer Situation, die völlig neu für alle in der Flotte war."

 

"LCDR Yamato und LCDR Blackhurst haben mich sehr tatkräftig mit ihrer fachlichen Kompetenz und ihrem Engagement unterstützt Sir."

 

"Freut mich zu hören, daß auch die Crew einen wesentlichen Anteil am Erfolg hatte."

 

Hätte ich nicht gewußt, dass LCDR Hidetaka Yamato sein Sohn war, man hätte ihm nichts davon angemerkt, als ich den taktischen Offizier der MEDUSA erwähnte.

 

"Sie wollten mich sprechen Sir. Was kann ich für sie tun?"

 

"Mehrere Dinge. Ich habe ihre Vorab-Berichte gelesen, aber trotzdem möchte ich einige Dinge persönlich mit ihnen besprechen. Zu allererst die strategische und taktische Seite der ganzen Angelegenheit. Was halten sie davon?"

 

"Strategisch war die Operation Exodus zwar ein Erfolg, taktisch aber eine große Pleite, Sir. Andererseits war es das erste Raumgefecht unserer Flotte mit einem fremden Gegner, der über jahrtausendelange Erfahrung in solchen Gefechten verfügt. So gesehen haben wir noch unverschämtes Glück gehabt. Es stellt sich auch die Frage, warum sie uns das Täuschungsmanöver anfangs abgenommen haben und dann trotzdem angegriffen haben. Irgendwie müssen sie herausgefunden haben, wer wir wirklich sind. Wir sollten versuchen, mit den Kruhl in Kontakt zu treten. Vielleicht können wir hier irgendeine Form von Hilfe erhalten. Generell sollten wir herausfinden, wie die innenpolitische Situation im Uldat-Imperium ist. Vielleicht ergeben sich Ansatzpunkte für uns."

 

"Sie meinen, wir könnten innere Unruhe provozieren ..."

 

"Ja. Das ist zwar keine sehr vornehme Kriegsführung, aber angesichts unserer möglichen Ausrottung sollten wir nicht allzu wählerisch sein.

 

Ich machte eine kurze Pause. Yamato musterte mich eingehend oder schien über meine Worte nachzudenken.

 

"Taktisch sollten wir sehen, daß wir irgendein Mittel gegen die Plasmatorpedos der Uldat finden. Die Treffer sind zerstörerisch genug, den Schutzschirm eines Schlachtkreuzers mit ein oder zwei Treffern auszuschalten. Danach kommen ihre schweren Energiestrahler und zerlegen ein Schiff, wie es ihnen gerade paßt. Unsere Nahbereichsverteidigung kann zwar einiges abfangen, aber nicht alles. Das liegt in der Natur solcher Systeme. Dabei sind die Uldat noch gar nicht auf die Idee gekommen, unsere LADS mit Torpedos in Maßen zu überfordern. Diese Vorgehensweise hat übrigens auf unserer Seite gut funktioniert, nur leider waren die Torpedos der MILAN etwas zu schwach. Die schweren Torpedos der INVINCIBLE haben vernichtend eingeschlagen, waren aber zu langsam. Was sich auch bewehrt hat, sind Jägeroperationen in Kombination mit Bombern gegen Großkampfschiffe. Nur die Schirme der Jagdmaschinen sollte man verstärken oder vielleicht eine schwere Jägerklasse entwickeln. Schnelligkeit ist bei den Uldat nicht unbedingt ein Kriterium, sondern eher die Beständigkeit unter schwerem Feuer. Sie kämpfen nicht mit dem Skalpell sondern mit dem Vorschlaghammer. Dummerweise sind sie aber auch sehr erfahrene Taktiker."

 

Zu diesem Thema hatte ich nichts mehr hinzuzufügen, daher schwieg ich. Yamato ließ einige Sekunden verstreichen, wie es die japanische Höflichkeit in einem Gespräch forderte.

 

"Diese Angaben decken sich mit den Aussagen der anderen Kommandeure. Ich gehe daher davon aus, daß sie alle recht haben. Wie sieht es mit der MEDUSA aus?"

 

"Grundsätzlich sind die Kernsysteme des Schiffs in Ordnung. Die Sektionen B und C kann man aber getrost herausschneiden und durch neue ersetzen. Ich denke der Unterschied zwischen Instandsetzung und Neubau ist nicht allzu groß aber doch zugunsten einer Reparatur vorhanden. Meiner Schätzung nach ist eine Reparatur um 12% billiger und in ungefähr neun Wochen schaffbar. Ansonsten wartet die Besatzung des Schiffes auf Befehle."

 

"Gut. Wir werden sie wieder instand setzen. Die entsprechenden Beschlüsse sind aufgrund ihrer Berichte bereits gefaßt worden. Die Crew geht für vier Tage auf Landurlaub. Danach wird sie teilweise aktiv mit den Werftmannschaften gemeinsam die Instandsetzung durchführen. Das Kommando wird bis auf Weiteres CDR Kazinsky übernehmen. Sie wird nach dem letzten medizinischen Gutachten in vier Tagen wieder eingeschränkt diensttauglich sein und die Aufgabe erfüllen können."

 

Enttäuschung machte sich in mir breit. Ich hatte darauf gehofft, die MEDUSA wenigstens noch während der Reparaturen kommandieren zu dürfen. Das hätte die Chance sie überhaupt als Kommandant behalten zu können, massiv erhöht. Scheinbar war mir meine Gefühlslage anzusehen.

 

"Sie sind damit nicht unbedingt einverstanden Commander?" fragte Yamato.

 

"Sie werden Gründe für ihre  Entscheidung haben, Admiral. Die Frage, ob ich damit einverstanden bin oder nicht, stellt sich in meiner Position nicht." antwortete ich möglichst neutral.

 

"Diese Frage stellt sich meiner Ansicht nach durchaus. Ich kann mir gut vorstellen, daß sie die MEDUSA gerne als Kommandant behalten hätten. Sehe ich das richtig?"

 

"Ja Sir."

 

"Gut. Sie stehen wenigstens zu ihren Ansichten, wenn sie auch diplomatisch genug sind, diese manchmal auch für sich zu behalten. Ich habe auch für sie eine neue Aufgabe Commander. Und zwar eine gefährliche."

 

Ich spitzte bildlich gesprochen blitzartig die Ohren, versuchte aber meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten.Gespannt wartete ich auf das, was kommen sollte.

 

"Kommen sie mit Commander, ich zeige ihnen etwas."

 

Ende des Zwischenberichts von CDR Steven Francis Drake

 

Als vor 189 Jahren die terranische Zentralregierung gegründet worden war, waren die Nationalstaaten zwar rein völkerrechtlich aufgelöst worden, aber in Form von Provinzen mit großer Selbstbestimmung erhalten geblieben. Kurz darauf war in der Sahara mit der Planung und dem Bau der Anlagen für die Raumflotte begonnen worden. Der afrikanische Kontinent hatte von dem massiven Bau- und Forschungsprogramm wirtschaftlich massiv profitiert. Der Aufstieg dieser Region hatte den ganzen Kontinent wirtschaftlich und auch politisch stabilisiert. Das wiederum hatte eine starke Vorbildwirkung für andere Krisenregionen der Erde gehabt. Man hatte ein positives Beispiel geben wollen, und das Experiment war gelungen. Im Zuge des Entwicklungsprogramms der Flotte war die restliche Fläche der Sahara nachhaltig begrünt worden. Die Natur hatte sich entsprechend schnell angepaßt. Die üppige Savanne wurde von allen möglichen Tieren bewohnt, die vor allem aus dem Süden zugewandert waren. Es war immer noch heiß und trocken, aber eben nicht mehr so extrem wie noch zwei Jahrhunderte zuvor.

 

Hier gab es Testgelände, Werften, Raumhäfen, Kasernen, Trainingseinrichtungen, die Akademien für Flotte und Marines und Ähnliches. So war die Wüste einer sinnvollen Nutzung zugeführt worden, ohne an anderen Stellen des Planeten wertvolle Flächen in Beschlag nehmen zu müssen. Das Flottenhauptquartier befand sich in einem Tiefbunker im Ahaggar-Gebirge im Süden des ehemaligen Algeriens. Östlich davon lagen die Anlagen der Flotte selbst. Den Neo-Terranern wurde ein großes Gelände für ihre Forschungstätigkeiten zur Verfügung gestellt. Den Rest der Wüste nahmen verschiedenste Flotteneinrichtungen in Anspruch. Das neue Forschungszentrum war ausserhalb von Kambila - einem Ort ungefähr 25 km nord-nord-westlich von Bamako, der Hauptstadt der Provinz Mali - angesiedelt.

 

Aufgrund der guten Erfahrungen mit Kreftan hatte sich die Regierung dazu entschlossen, die Kanaer gleich nach ihrer Ankuft auszuschiffen. In einer geräumten Kaserne am nördlichen Ende des Flottenraumhafens waren die Leute vorerst einquartiert worden. Dann hatte die logistische Aufgabe begonnen, sie mit den notwendigsten Dingen des täglichen Gebrauchs zu versorgen und ihr neues Leben aufzubauen. Ein Forschungsunternehmen mit verschiedensten Instituten war bereits im Vorfeld gegründet worden und kümmerte sich um die Beschäftigung der neuen Bürger. Die Kanaer waren sichtlich froh, wieder in einer einigermaßen sicheren Umgebung zu sein. Der Gefrierschlaf auf History war immerhin ein Risiko gewesen, das einige Hundert von ihnen nicht überlebt hatten. 

 

Magron Gever, der neue Regierungsvorsitzende der Kanaer, arbeitete eng mit der Regierung der Erde zusammen. Es hatte um seine Berufung als Vorsitzenden der Kanaer einige Reibereien gegeben, da der Rat mit der alten Tradition der Vergabe dieser mächtigen Position gebrochen hatte und zum ersten Mal keinen echten Forscher gewählt hatte. Ichtyn Lagros - sein Vorgänger - hatte trotz seines hohen Alters eine flammende Rede für Gever gehalten und die meisten Ratsmitglieder von der neuen Richtung überzeugt. Natürlich hatte sich Lagros nicht alleine auf seine Qualitäten als Redner verlassen. Er hatte im Vorfeld eine Menge inoffizieller Sondergespräche mit Ratsmitgliedern geführt. Trotz allem war es keine so klare Sache gewesen, wie er Gever gegenüber absichtlich den Anschein erweckt hatte.

 

Präsident Lee Harper und Magron Gever saßen gerade im offiziellen Büro des Präsidenten und erörterten bei einer Tasse Kaffee die aktuelle Situation der Kanaer auf der Erde. Grundsätzlich waren die Kanaaer sehr zufrieden. Was beiden Männern aber Sorgen bereitete, waren diverse rassistische Gruppierungen, die sich mit ihrer Agitation gezielt gegen die Kanaaer wendeten. Irgendwie waren die Verlustzahlen der Schlacht bei Waypoint durchgesickert. Der Pressesprecher des Präsidenten hatte darauf hingewiesen, daß es irgendwann passieren würde. Dadurch manifestierten sich Ablehnung und Agression gegenüber den Kanaern. Es war schon einige Male zu Übergriffen gekommen. Dabei hatte es auch Menschen getroffen, die gar keine Kanaer waren. Kanaer und Menschen waren selbst medizinisch nur mit beträchtlichem Aufwand voneinander zu unterscheiden. Die exotischen Namen der Kanaer waren beibehalten worden, gaben aber ebenfalls keinen Aufschluß über die Herkunft einer Person, denn ungewöhnliche Namen gab es auch unter der Erdbevölkerung zur Genüge.

 

"Mr. President, das Problem der Ablehnung bekommen wir nur mit einer Aufklärungskampagnie in den Griff. Ich rate dringend dazu." bemerkte Gever.

 

"Ich weiß. Mein Stab befaßt sich bereits damit. Die Planung dafür hat gerade begonnen. Die Kampagnie startet in vier Wochen und wird sechs Monate dauern. Könnte ihre Gruppe einige Leute zur Unterstützung abstellen?"

 

"Gern. Sie können sich die Personen gerne aus unserer gesamten Gruppe aussuchen. Das Thema ist uns wichtig genug, daß wir jeden, den sie brauchen, sofort zur Verfügung stellen."

 

"Gut, ich werde mich gleich im Anschluß darum kümmern und den Projektmanager darüber informieren. Wie haben sie sich eingelebt?"

 

"Bisher sehr gut. Die Arbeitsstätten und Wohnungen sind mehr als ausreichend in Qualität und Quantität. Ich denke, wir sind in einer Woche soweit, daß wir einen geregelten Forschungs- und Entwicklungbetrieb starten können. Von der Flotte haben wir schon einige sehr konkrete Anfragen zu Themen im Bereich Abwehrsysteme, Antriebe und Waffen. Vor allem geht es um Leistungssteigerung und Miniaturisierung." antwortete Gever wahrheitsgemäß.

 

"Dann wird ihnen ja nicht langweilig. Vergessen sie auch nicht, daß wir einige Dinge benötigen, die auch für den normalen Bürger einen Mehrwert haben. Andernfalls wird sich die Akzeptanz ihrer Volksgruppe nicht verbessern. Gleichzeitig muß der Wissenstransfer weiter vorangetrieben werden. Ich weiß durchaus, daß einige ihrer Leute das für falsch halten. In diesem Bereich müssen sie aber selbst für Aufklärung sorgen. Ihre Anzahl ist zu gering, um die gesamte irdische Wissenschaft abzudecken. Wir sitzen im gleichen Boot."

 

"Sie haben recht, Mr. President. Einige Mitglieder unserer Gemeinde sind da noch etwas zurückhaltend."

 

"Das ist wohlwollend ausgedrückt, Ratsvorsitzender Gever. Aber ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit. Wir wissen beide, daß es auf beiden Seiten Bunkerköpfe gibt, die aus irgendwelchen Ängsten heraus keinen Blick auf den Horizont riskieren wollen."

 

Erde - Orbitalwerft 2, Dockrampe 12

 

Drake folgte Yamato aus dem Büro und hinaus auf den Zentralkorridor der Werft. Er konnte seine Ungeduld nur schwer in Zaum halten, aber gerade Yamato gegenüber war Ungeduld eher unangebracht - nicht nur weil er Japaner war, sondern auch sein höchster Vorgesetzter in der Flotte. Yamatos temporäres Büro war in der Nähe der Rampe der MEDUSA. Sie passierten einige Dockrampen und blieben schließlich an der Besichtigungsplattform einer Rampe stehen. Auf dem Zutrittsschott zum Schleusentunnel prangte in schwarzen Ziffern die Zahl 12. Neben dem Panzerschott hatten zwei Marines Haltung angenommen.

 

"Was halten sie von diesem Schiff?" fragte Yamato.

 

Drake betrachtete das Schiff genau. Schon beim ersten Blick war ihm aufgefallen, daß es anders war, hätte aber den Unterschied nicht auf die Schnelle angeben können. Jetzt nahm er den Anblick bewußt in sich auf und studierte ihn genau. Yamato wiederum studierte ihn genau.

 

"Von der Größe her würde ich sagen ein normaler Zerstörer der Shark-Klasse, aber einige nicht unwesentliche Dinge sind anders. Sie sieht irgendwie schlanker, agiler aus. Sie hat mehr Luken, einen anderen Aufbau der Kommunikations- und Ortungssysteme. Die Triebwerke sind kleiner."

 

"Gut beobachtet, Commander. Sie haben hier ein Schiff der neuen Barrakuda-Klasse vor sich. Die TSS BARRAKUDA ist vor wenigen Tagen von einem ausgiebigen Testflug zurückgekommen. Das Schiff gilt als abgenommen. Ihre Missionsprofile sind Hit&Run-Einsätze, bewaffnete Aufklärung und Infiltration. Die ersten Einsatzbefehle liegen schon vor. Sie braucht noch einen Kommandanten. Interessiert?"

 

Drake konnte den Blick nicht von dem neuen Schiff abwenden und kniff die Augen zusammen:"Wo soll es denn als erstes hingehen?"

 

"Nach Kruhlan 2. In zwei Wochen."

 

Der junge Commander wandte sich überrascht um und sah Yamato in die Augen. Er bemerkte, daß es diesem ernst war. Yamato würde bei solchen Themen auch keine Scherze machen. Eine Mission nach Kruhlan war eine brandgefährliche Mission, befand sich das Kruhlan-System doch 60 Lichtjahre innerhalb der Einflußsphäre des Uldat-Imperiums und 130 Lichtjahre von der Erde entfernt.

 

"Unter einer Bedingung Sir. Ich möchte mir zwei Offiziere selbst aussuchen."

 

"Das kommt auf ihren Wunsch an Commander. Nicht alle Offiziere sind verfügbar."

 

"Ich will ihren Sohn Hidetaka und LCDR Blackhurst."

 

"Ich denke, das läßt sich einrichten. Herzlichen Glückwunsch zu ihrem neuen Kommando, Commander. Wenn sie sie besichtigen wollen, tun sie sich keinen Zwang an. Die beiden grimmigen Wachen dort sind informiert." merkte Yamato an, als er ihm ein Datenpad in die Hand drückte. "Ihre Befehle Commander ..."

 

"Danke, Sir."

 

"Danken sie mir besser erst nach der Mission. Es wird sicher nicht einfach werden. Ach ja, die Mission ist als geheim eingestuft. Auf Wiedersehen, Commander." Damit ließ Yamato ihn mit seinem neuen Kommando alleine.

 

Drake war immer noch beeindruckt von dem Schiff und dem Angebot. Dann fasste er sich ein Herz und marschierte zu dem Panzerschott hinüber. Drake richtete die Augen auf die beiden Vollblutsoldaten, die beide einen Kopf größer waren als er:"Stehen sie bequem. Ersuche um Erlaubnis an Bord gehen zu dürfen."

 

"Danke Sir! Erlaubnis erteilt." antwortete einer der Marines an der Grenze zwischen normaler Gesprächslautstärke und Brüllen. Danach tippte er am Schott einen Code ein und es gab darauf hin den Weg frei.

 

Er blickte in den Schleusentunnel, der wie üblich oben und an den Seiten durchsichtig gehalten war. Er konnte die Schiffe in den benachbarten Dockrampen sehen. Die MEDUSA war allerdings zu weit weg. Das Schiff sah nicht nur nagelneu aus, sondern roch auch so. Kaum war er durch die Schiffsschleuse getreten, nahm er den Geruch war. Er hatte Gerüchte gehört über eine neue Zerstörerklasse, aber nicht im Traum daran gedacht, das erste Schiff der neuen Klasse kommandieren zu dürfen. Das war einerseits zwar eine schwierige Aufgabe, da die Systeme bei neuen Schiffsklassen immer wieder kleinere Probleme machten, aber andererseits auch eine Ehre.

 

Hinter ihm fuhr das Schott mit einem leisen Zischen wieder zu und rastete luftdicht ein. Derzeit war im Korridor nur die Notbeleuchtung eingeschaltet. Drake nahm an, daß es im ganzen Schiff so sein würde, denn die Crew schien noch nicht an Bord zu sein. Alle Anlagen bis auf die Lebenserhaltungssysteme schienen still zu stehen, zumindest konnte er keines der typischen Geräusche eines aktiven Schiffes feststellen. Ein paar Minuten später erreichte er die Brücke und sah sich um. In den Armlehnen des Kommandosessels fand er die üblichen eingebauten Bedienelemente und Anzeigen. Drake aktivierte das Sprachinterface zum Bordcomputer.

 

"Identifizieren sie sich bitte." war die prompte Antwort.

 

"Drake, Steven Francis, Commander und Captain dieses Schiffes."

 

"Identifizierung anhand Sprachmuster positiv. Nennen sie den Berechtigungscode für den Transfer der Kommandoberechtigungen."

 

Er aktivierte das Datenpad mit seinen Befehlen und fand dort den Code:"Gamma-Whisky-Sierra-9-5-6-7-1-Zulu-3-7-2."

 

"Berechtigungscode valide und akzeptiert. Transferiere Kommandoberechtigung an Commander Steven Francis Drake ... Kommandotransfer abgeschlossen. Bereit für Befehlsannahme."

 

"Computer, erstelle mir eine Liste der geplanten Crew mit allen Personalakten und eine Level -3 Spezifikation der technischen Systeme des Schiffes. Beides an mein Tablet schicken."

 

"Informationen erstellt und weitergeleitet an ihren Tablet-Computer."

 

Drake nickte nur. Der Bordcomputer war ohnehin nicht empfänglich für Höflichkeiten. Auf seinem Tablet öffnete er die eingetroffenen Daten. Als XO und taktischer Offizier war LCDR Hidetaka Yamato aufgelistet, als 2. Offizier und leitender Ingenieur Jason Blackhurst. Mit einem Lächeln stellte er fest, daß die beiden Einträge schon vor seinem Treffen mit Admiral Yamato festgestanden hatten.

 

"Computer, Befehl an die Crew Boarding morgen 0800. Versammlung der gesamten Crew um 1000 in der Messe. Offiziersbesprechung im Besprechungsraum an Bord übermorgen um 0800 mit Statusbericht aller Abteilungsleiter. Auslaufen übermorgen um 1000."

 

"Nachricht verschickt."

 

Nachdem er das erledigt hatte, widmete er sich wieder dem Crew-Manifest. Blackhurst und Yamato kannte er gut. Was ihn überraschte, war, daß auch Lt Dr. Francoise Berneau zu ihm abkommandiert worden war. Sie würde als leitende Ärztin an Bord gehen. Fachlich war die zierliche aber resolute Französin sicher ein Gewinn für das Schiff. Daß Dr. Dunham nicht auf der Liste stand, war klar. "Schade eigentlich", dachte Drake, denn er mochte die Schiffsärztin der MEDUSA. Für sie wäre eine Versetzung von der größeren MEDUSA auf die kleine BARRAKUDA allerdings einer Degradierung gleich gekommen. Ein weiterer bekannter Name tauchte auf der Liste auf. 1st Lieutenant Roger Dalmore hatte das Kommando über die Marines bekommen. Auch damit war Drake zufrieden. Dalmore war zwar noch jung, hatte sich aber bisher sehr professionell verhalten und exzellente Arbeit geleistet. Die anderen Crewmitglieder kannte er nicht. Den Diensträngen nach zu schließen, waren es aber alle erfahrene Leute. Yamato schien der Mission einige Bedeutung beizumessen, wenn er so viel erfahrenes Personal auf einem Schiff zusammenzog.

 

In den Personalakten gab es einige Auffälligkeiten. Die Taktik-Offizierin LT Teresa Marconi schien einmal an einer Geheimoperation beteiligt gewesen zu sein, denn in ihrem Lebenslauf war ein Zeitraum von fünf Monaten geschwärzt. Natürlich war der Eintrag nicht wirklich schwarz auf dem Display. Statt der Daten stand dort einfach "CLASSIFIED", aber der Begriff aus dem 20. Jahrhundert hatte sich gehalten.

 

Navigationsoffizier LT Bradley Trent hatte einmal bei einem illegalen Gleiterrennen in der Wüste von Nevada Pech gehabt. Er hatte beim Zieleinlauf nicht rechtzeitig bremsen können und zwei geparkte Gleiter total zerstört. Das Dumme daran war, er hätte damals mit 16 Jahren noch keinen Gleiter fliegen dürfen. Seine Eltern hatten den Schaden damals beglichen, um dem Sohn eine ernste Verurteilung zu ersparen. Eine Fluglizenz hatte Trent erst mit 20 Jahren erwerben können, da er für 2 Jahre gesperrt worden war. Umso amüsanter fand es Drake, dass er erfolgreich Prüfungen für so gut wie alle militärischen Raumschiffstypen abgelegt hatte und auch schon alle Typen gesteuert hatte.

 

Die China-stämmige Kommunikationsoffizierin LT Yan Xilai hatte einen Aktenvermerk wegen einer Schlägerei in einer Bar. Sie war aus Mangel an Beweisen frei gesprochen worden. Angeblich hatte sie damals vor zwei Jahren vier Marines verprügelt, die leider alle verschwunden waren, bevor die Sicherheitskräfte eingetroffen waren. Der Richter schien damals eher ihrer Version zu glauben, denn wie sollte eine zartgliedrige Chinesin mit 165cm Größe und 50kg Gewicht vier ausgewachsene Marines verprügeln? Drake schaute sich ihre Akte genau an. Als er einen Hinweis auf Nahkampfausbildung in Wu Shu fand, wurde ihm klar, daß sie es vielleicht doch getan haben konnte. Drake hatte selbst jahrelang traditionelles Karate trainiert und tat es immer noch soweit es seine Zeit erlaubte. Er kannte also sehr wohl die Möglichkeiten, asiatischer Kampfsysteme.

 

Der Chefingenieur LT Piet Yorgenson schien ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Alles was vermerkt worden war, war der Hinweis, dass er an der Entwicklung einiger Hilfssysteme und der Auslegung des Datenverbundes der Computersysteme der Barrakuda-Klasse beteiligt gewesen war. Das konnte noch hilfreich sein, einen der Entwickler der eigenen Schiffsklasse an Bord zu haben, dachte Drake bei sich.

 

Nachdem er die Crew durchgegangen war, machte er sich an die Spezifikationen des Schiffes. Als er sich die Liste der Offensiv- und Defensivsysteme ansah, verschlug es ihm fast den Atem. Lautlos pfiff er durch die Zähne. Die BARRAKUDA konnte es locker mit einem leichten Kreuzer und mit etwas Vorsicht vielleicht auch mit einem schweren Kreuzer aufnehmen. Vor allem das computergesteuerte Zusammenspiel der Systeme würde für einen Gegner sehr unangenehm werden. Diese kleine Bestie konnte gut einstecken und noch viel mehr austeilen. Dazu kam ein Impulsantrieb der zweiten Generation und ein zusätzliches hohes Frequenzband beim Hyperantrieb, was wesentlich höhere Geschwindigkeiten zuließ. Die Sensoren und Scanner waren die besten, die man finden hatte können. Was die Ortung aber wirklich stark verbesserte, war die Signalverarbeitung in den nachgelagerten hochspezialisierten Computersystemen.

 

Alle neuen Systeme waren einzeln und auch im Verbund ausgiebig getestet worden.  Die Testberichte lagen vor. Das entspannte Drake etwas, aber nicht zur Gänze, denn Probleme traten bei neuen Klassen immer wieder auf. Ausserdem war es ganz etwas anderes, die Spezifikationen zu lesen und dann wirklich auf einem solchen Schiff Dienst zu tun. Yamato hatte ihm zwei Wochen Zeit eingeräumt, sich und seine Mannschaft mit der neuen Klasse vertraut zu machen.  Er würde diese Zeit auch mit einigen Übungsflügen füllen. Waffentests und eine Erkundungsmission zu Testzwecken waren ebenfalls schon eingeplant.

 

In die technischen Daten der BARRAKUDA vertieft, bemerkte er anfangs das Summen seines Kommunikators nicht. Umso schneller öffnete er dann die Verbindung.

 

"Drake hier."

 

"Blackhurst hier, Captain. Ich habe so einen eigenartigen Befehl bekommen, mich ab morgen 0800 auf einer TSS BARRAKUDA einzufinden. Gezeichnet von einem gewissen Commander Drake. Was ist da los, Captain?"

 

"Ganz einfach Commander. Kazinsky übernimmt die MEDUSA während der Werftliegezeit. Ich bekomme als neues Kommando die BARRAKUDA und habe explizit sie als 2. Offizier und Yamato als XO angefordert."

 

"Aber ich kann keine Daten über die BARRAKUDA im Flottendatennetz finden."

 

"Die BARRAKUDA ist ein Zerstörer der neuen BARRAKUDA-Klasse. Kommen sie einfach morgen zur Dockrampe 12 und sie werden sehen, worum es geht."

 

"Moment mal. Ein Schiff, das so heißt wie seine Klasse? Das ist doch dann üblicherweise das erste seiner Klasse. Wir kriegen eine First-Of-Class Einheit?"

 

"Ja."

 

" Ach du meine Güte ... Ich werde pünktlich sein." Blackhurst schien aus dem Häuschen zu sein vor Freude.

 

"Das hoffe ich doch. Drake Ende." antwortete Drake mit einem Grinsen im Gesicht.

 

Blackhurst mochte vielleicht ein starkes Interesse an der Technik des neuen Schiffes haben, aber seine Aufgabe würde die des Operationsoffiziers und zweiten Offiziers sein. Der Maschinendompteur würde jemand anders sein, nämlich Piet Yorgenson. LCDR Yamato meldete sich nicht, was Drake nicht verwunderte. Blackhurst hatte ihn sicher umgehend informiert. Berneau würde vor einem Anruf bei ihm wohl eher zu Yamato gehen, also würde sie sich auch nicht mit Fragen melden. Bei Dalmore war Drake sich nicht sicher. Alle anderen kannte er nicht, daher war auch hier keine Rückfrage zu erwarten.

 

Er begann Hunger zu verspüren. Als er auf die Uhr schaute, wußte er auch warum. Seine Uhr zeigte 1400 Standardzeit. Das Studium der Unterlagen hatte ihn die Zeit vergessen lassen. Üblicherweise war es militärischem Personal gestattet, den persönlichen Transponder in der Freizeit abzuschalten. Es störte ihn aber nicht, wenn er beim Essen erreichbar und auffindbar war. Er kannte auf der Orbitalstation ein sehr nettes mexikanisches Steak-Lokal namens El Torro. Ein Steak mit Folienkartoffel und Salat würde ihm gut tun nach all den Ereignissen, vor allem da er keine Gelegenheit für ein Frühstück gehabt hatte.

 

Das Lokal war zwar gut besucht, aber nicht überfüllt. Er suchte sich einen Tisch in einer ruhigen Ecke und griff zum Datapad, das als Karte diente. Seine Bestellung gab er direkt auf dem Datapad elektronisch auf.

 

"Darf ich mich zu ihnen setzen, Commander?", hörte er eine weibliche Stimme.

 

Er sah auf und blickte ins Gesicht von LT Dr. Sarah Dunham.

 

"Oh, hallo Doc. Bitte, nehmen sie doch Platz. Was führt sie hierher?"

 

"Ich habe sie gesucht. Sie haben immerhin meine Assistenzärztin zu einer anderen Einheit abkommandiert. Ich würde gerne wissen, was dahintersteckt."

 

"Das ist ganz einfach. Ich habe einen neuen Auftrag von Admiral Yamato bekommen, und er hat mir Dr. Berneau zugeteilt. Sie wird ab sofort auf der TSS BARRAKUDA als Schiffsärztin Dienst tun."

 

"Den Schiffsnamen BARRAKUDA hat sie mir erzählt. Gefunden habe ich dazu aber nichts." Nebenbei orderte Dunham ebenfalls einen kleinen Imbiss.

 

"Barrakuda-Klasse, ein Zerstörer-Prototyp. Zu klein für eine profilierte Ärztin wie sie Doc, daher Berneau, die sie perfekt eingeschult haben."

 

"Und ich wollte schon enttäuscht sein, dass sie nicht mich mitnehmen ..."

 

"Würde ich gern, aber wie gesagt, sie werden auf der MEDUSA gebraucht."

 

"Wo soll die BARRAKUDA hinfliegen?"

 

"Tut mir leid, der Missionsbefehl ist geheim. Details habe ich selbst auch noch keine."

 

Das gefiel der Ärztin nicht, aber sie würde sich damit zufrieden geben müssen. Sie unterhielten sich über die verschiedensten dienstlichen Themen. Vor allem die MEDUSA und der Zustand der Besatzung waren ein wichtiges Thema für beide. Für Dunham weil sie sich verantwortlich fühlte für die Gesundheit der Crew und für Drake, weil er sie eine Weile kommandiert hatte und auch viele davon von der EXPLORER-Mission persönlich kannte. Drake mochte die irischstämmige Ärztin gut leiden. Ihre schwarzen Haare bildeten einen aufregenden Kontrast zu ihren grünen Augen. Es wunderte ihn immer wieder, wie eine Irin so schwarze Haare haben konnte.

 

"Im Augenblick gibt es für mich nicht viel zu tun, ausser gelegentlich den Status der MEDUSA-Crew abzufragen. Alle Verletzten sind in diverse Krankenhäuser überstellt worden, und das Schiff selbst wird gerade zerlegt und wieder zusammengebaut. Wie siehts bei ihnen aus Commander?"

 

"Lieutenant, stört es sie, wenn wir außer Dienst die Dienstgrade weglassen? Ich fände es passender."

 

"Zu Befehl, Sir." antwortete sie mit einem schelmischen Grinsen.

 

Drake mußte lachen, und sie stimmte mit ein. Nach all den schrecklichen Ereignissen tat es ihnen beiden unheimlich gut, sich etwas zu entspannen. Dunham hatte ihn dafür genau auf dem richtigen Fuß erwischt. Ob es Absicht gewesen war, wußte er nicht, und es war ihm eigentlich auch gleichgültig. Als sie beide schließlich wieder zu Atem kamen, versank er mit seinem Blick für einige Sekunden in ihren grünen Augen.

 

"Danke, Sarah."

 

"Gern geschehen, Steve. So, jetzt muß ich zurück und Berneau auf Vordermann bringen, damit sie mir keine Schande macht auf der BARRAKUDA."

 

"Schade. Aber das muß wohl sein."

 

"Ich verschwinde ja nicht ans andere Ende des Universums." antwortete sie mit ein Lächeln. Eine widerspenstige lockige Strähne ihres langen Haars hing ihr neckisch ins Gesicht.

 

"Gott sein Dank. Wer sollte mich sonst aufheitern?"

 

"Ach, da findet sich schon jemand."

 

"Wer will schon irgendjemanden? Ich nicht. Sie vielleicht?"

 

"Nein. Ich muß gehen, Steve. Wir sehen uns."

 

Damit war sie dahin. Dunham hatte es auf einmal recht eilig gehabt zu verschwinden. Scheinbar hatte sie bemerkt, wie es zu knistern begonnen hatte zwischen ihnen. Drakes Blick folgte ihr gespannt. Natürlich drehte sie sich nicht mehr um. Sie hatte sich gut unter Kontrolle. Sie hatte es so eilig gehabt, daß sie vergessen hatte, ihre Rechnung zu bezahlen. Er lehnte sich zurück und ließ den Augenblick nachwirken. Dunham war nicht nur hoch intelligent, sondern auch noch ausnehmend attraktiv.

 

"Sie haben die Dame doch nicht verärgert, Commander?" fragte der Kellner, als er am Tisch vorbeikam.

 

"Nein, eher im Gegenteil. Bringen sie mir die Rechnung."

 

"Gern, Commander."

 

Auf dem Weg vom Essen im El Torro zurück an Bord der BARRAKUDA bekam er Dunham nur schwer aus den Gedanken. Als er das Schiff wieder betrat, bemerkte er, daß er nicht mehr alleine war an Bord. Er hatte Blackhurst dringend im Verdacht, schon eingecheckt zu haben. Der Ingenieur aus Leib und Seele konnte wahrscheinlich nur schwer bis zum Boarding-Termin warten. Drake sollte recht behalten mit seiner Vermutung, aber Blackhurst war nicht der einzige. Auch Yamato war bereits an Bord. Damit war das Kommandoteam bereits vollzählig. Der Rest der Besatzung würde wahrscheinlich im Laufe des Abends und der Nacht sukzessive an Bord eintreffen.

 

"Drake an Blackhurst und Yamato! Was machen sie schon hier? Schlagen sie sich lieber noch eine Nacht um die Ohren."

 

"Blackhurst hier. Ich bevorzuge diese sehr attraktive Lady hier, Captain. Da ich in Zukunft ja als Operationsoffizier Dienst tun soll, wollte ich sie mir schon mal vorab anschauen. Nachher komme ich vielleicht nicht mehr dazu."

 

"Yamato hier, Sir. Ich möchte ohnehin eine ruhige Nacht zum Ausruhen. Da kann ich genauso gut gleich an Bord gehen. Hier ist es wahrscheinlich ruhiger als in den Durchgangsquartieren der Werft."

 

Drake mußte lachen:"Da haben sie sicher recht Commander. Na dann wünsche ich ihnen beiden einen angenehmen Urlaubstag an Bord."

 

Er vertiefte sich wieder in die Unterlagen zu Crew und Schiff. Zur Crew gab es ausser den bereits aufgefallenen Dingen keine weiteren Besonderheiten. Er würde mit jedem der Offiziere ein intensives Gespräch führen, unter Umständen auch mit einigen der anderen Soldaten. Die Crew war mit 70 Personen klein genug, so konnte er sich alle Personalakten durchlesen. Die Leute, die er schon kannte, konnte er vernachlässigen. Es blieben also 65 übrig. Seine Konzentration wurde abrupt unterbrochen, als Francoise Berneau an Bord eintraf und in der Zentrale auftauchte. Drake hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, mit seinen Akten in den Bereitschaftsraum zu wechseln.

 

Berneau nahm vor ihm Haltung an: "Doctor Lieutenant Francoise Berneau meldet sich wie befohlen zum Dienst, Sir."

 

"Stehen sie bequem, Doc. Ihre Befehle ..."

 

Sie reichte ihm wortlos ein Datapad. Er brauchte es nicht zu lesen, denn er wußte ohnehin, wie ihre Befehle lauteten, aber der Ordnung mußte Genüge getan werden.

 

"Sie werden also unsere neue Chefärztin. Wie geht es ihnen damit?"

 

"Sir?"

 

"Was geht ihnen dabei durch den Kopf?"

 

"Ich freue mich darauf. Dr. Dunham war eine großartige Lehrerin und jetzt kann ich alles selbst umsetzen. Noch dazu auf einem neuen Schiff."

 

"Tja, das Problem dabei ist nur, daß sie hier keine große Krankenstation wie auf der MEDUSA finden werden. Unsere ist erheblich kleiner. Sie werden  auch mit nur zwei Assistenzärzten und vier Pflegern auskommen müssen."

 

"Ich weiß Captain. Trotz allem ist es eine neue und interessante Aufgabe. Wissen wir schon wohin die Reise gehen wird?"

 

"Das erfährt die Crew kurz vor dem Start, die Offiziere eingeschlossen. Bis dahin müssen sie sich noch gedulden."

 

"Ok. Dann beziehe ich mal mein Quartier und schaue mir die Krankenstation an."

 

"Tun sie das. Wenn sie etwas brauchen für ihre Station, dann melden sie sich bei Mr. Blackhurst, er ist unser Operationsoffizier. Wenn in irgendeinem Lager oder der Werft jemand rumzickt, dann kommen sie zu mir."

 

"Mach ich. Danke, Sir." Damit war die zierliche aber resolute Französin auch schon wieder beim Schott hinaus. Er sah ihr kurz nach und schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf. Als das Panzerschott zur Brücke kurz darauf wieder aufging, blickte er etwas müde hinüber. Die Person im Schottrahmen hätte er als Letzte erwartet.

 

"Sarah ... was treibt sie hierher? Und wie sind sie überhaupt an Bord gekommen?"

 

"Ein bißchen Geklimper mit den Augen hilft auch bei den Marines am Schott unten. Ich will nur sicher gehen, daß sie nicht zuviel arbeiten Steve."

 

"Dann muss ich mit den beiden mal ein Hühnchen rupfen. Naja, Standarddienstverträge haben wir bei der Flotte ja alle nicht."

 

"Stimmt, aber derzeit ist ihr Engagement nicht so dringend erforderlich - hoffe ich zumindest. Es ist bereits Abend. Wie lange hatten sie noch vor hier zu sitzen?"

 

"Bis ich einschlafe oder jemand eine bessere Idee hat."

 

"Ich bin ihnen noch einen kleinen Imbiss schuldig von heute Mittag."

 

"Achja, stimmt. Sie hatten es irgendwie eilig, wenn ich mich richtig erinnere. Wohin verschleppen sie mich?"

 

"Ich kenne ein sehr nettes kleines französisches Lokal auf der Raumbasis drüben. Kommen sie mit?"

 

Drake schaute sie ein paar Sekunden forschend an und überlegte. Seine Gedanken rasten. "Ok, gehen wir."

 

Er schaltete das Datapad ab und ein paar Minuten später waren sie schon per Shuttle auf dem Weg von der Orbitalwerft zur Raumbasis Base One. Der Flug dauerte nur wenige Minuten. Da Drake eine Pilotenlizenz hatte, war es kein Problem gewesen, einfach ein Zivilshuttle der Werft zu leihen. Sarah Dunham saß neben ihm auf dem Copilotensitz. Eigentlich war das nicht gestattet, da sie keine Pilotenlizenz hatte, aber sie hatte Drake versprochen nichts anzufassen.

 

"Meine Güte, ist die Basis riesig."

 

Der Habitatring der Station war nur mehr 600 Meter entfernt. Der Durchmesser des Rings betrug vier Kilometer, vor ihnen ragte die Wand 400 Meter auf. Auf dem Habitatring durften nur Shuttles in eigenen Dockbuchten landen. Über ihnen erstreckte sich der Dockring mit den Dockrampen für Schiffe jenseits einer Größe von 50 Metern Länge. Landungsboote, Jäger und Bomber konnten problemlos in den kleineren Dockbuchten des Dockrings landen. Derzeit waren die Dockbuchten weniger ausgelastet. Vier Flotteneinheiten, darunter ein Träger, sechs zivile Frachter und zwei private Raumyachten belegten einige der 32 Dockrampen.

 

Die Basis war zwar keine rein militärische Einrichtung, aber der Anteil an militärischem Personal war doch relativ hoch. Sie würden also kaum auffallen mit ihren Uniformen.

 

Der Normalfunk meldete sich: "Base One Flight Control an Shuttle Sierra-Whisky-7. Sie haben Landeerlaubnis für Dockbucht Zwo. Ich schicke ihnen einen Leitstrahl. Klinken sie sich mit dem Autopiloten ein."

 

"Roger Flight Control. Eingeklinkt in Leitstrahl." antwortete Drake, während er einige Schalter betätigte.

 

Das Shuttle wurde vom Antrieb sanft nach links geschoben, als der Navigationsrechner die Landeanweisungen vom Leitstrahl auszuführen begann. Einige Minuten flogen sie am Habitatring entlang - links die hoch aufragende Aussenhülle des Rings und rechts zur Hälfte die Schwärze des Weltraums und die andere Hälfte der Anblick der Erde. Über ihnen hingen Schiffe verschiedener Größen an ihren Andockrampen. Vor allem der Schatten des Großkampfschiffes EXCALIBUR war beeindruckend. Mit fast 1900 Metern Länge war das Schiff selbst schon fast halb so lang wie der Radius des Andockringes. In der Außenhülle gab es Lichtpunkte von beleuchteten Bullaugen, Sensorflächen in denen sich Lichtquellen spiegelten und Menschen, die in Raumanzügen für Wartungsarbeiten herumflogen. Die kleinen Jetpacks konnte man immer wieder aufblitzen sehen vor dem schwarzen Hintergrund. Der Träger war auf der anderen Seite des Dockringes geparkt.

 

"Beeindruckend, nicht war?" fragte Drake seine Begleiterin.

 

"Ja, die Menschheit ist weit gekommen. Die Uldat stellen aber all das in Frage."

 

"Das ist nur ein weiterer Prüfstein auf dem Weg zur interstellaren Reife der Menschheit. Wir werden eine Lösung finden."

 

"Militärisch kann sie aber nicht sein." stellte Dunhman fest.

 

"Nein, das würden wir nicht schaffen, zumindest nicht ohne die Hilfe anderer Völker. Die Menschheit ist in der interstellaren Politik aber noch ein unbeschriebenes Blatt. Es ist also eine komplexe Herausforderung für uns. Aber sollten wir die dienstlichen Angelegenheiten nicht weglassen für heute Abend?"

 

"Ja, sie haben recht. Das sollten wir."

 

Die Landung erfolgte dann relativ überraschend. Von einem Moment zum anderen drehte das Shuttle um 90 Grad und flog mit der Nase voraus in eine Dockbucht ein. Das Einparken in einen Stellplatz der Dockbucht ging automatisch vor sich. Auch die Verbindung des Flextunnels mit der Schleuse des Shuttles erfolgte computergesteuert. Für den Zutritt zum Habitatring mußten sie nur ihre ID-Cards an einen Scanner halten. Die Optik des Überwachungssystems verglich das darauf gespeicherte Foto über eine Gesichtserkennungssoftware mit der Realität und gab den Zutritt frei.

 

Zur Orientierung war der Habitatring in zwei Decks und vier Quadranten eingeteilt, die mit Farben kodiert waren. Innerhalb der Sektionen wurden die einzelnen Teilbereiche mit Zahlen und Buchstaben bezeichnet. Drake selbst war erst zwei Mal hier gewesen, aber Dunham schien sich auf Base One auszukennen.  Im Sektor Blau-4-3 betraten sie dann das Lokal, nach dem Dunham offensichtlich gesucht hatte. Es nannte sich Cuisine Superb.

 

"Ein großes Versprechen, das sie hier mit dem Namen des Lokals abgeben." bemerkte Drake.

 

Dunham ging voraus, blickte sich aber mit einem Lächeln kurz nach ihm um:"Sie halten es auch."

 

Zwei Stunden später - nach dem recht ausgiebigen Abendessen - mußte Drake ihr recht geben. Er fragte sie, wie sie als Irin zur französischen Küche gekommen war.

 

Dunham schmunzelte: "Meine Mutter ist Französin. Meinen Vater hat sie während des Medizin-Studiums in Dublin kennengelernt. Ich war dann sozusagen recht bald der erste Kunstfehler meiner Eltern. Sie haben dann geheiratet. Nach dem Studium sind sie gemeinsam nach Wexford ca. 130km südlich von Dublin gezogen, wo meine Eltern heute noch leben. Zwei Monate später bin ich dann zur Welt gekommen. Die Medizin habe ich wohl von beiden Elternteilen mitbekommen."

 

"Also als Kunstfehler ...", Drake betonte die zweite Worthälfte etwas, "würde ich sie nicht bezeichnen, eher als Kunstwerk."

 

"Sie sind ja ein Charmeur, Steven. Wie sieht das Elternhaus bei ihnen aus?"

 

"Ach, die kulturelle Vielfalt gibt es bei uns auch. Mein Vater Robert Francis Drake, seines Zeichens Kommodore der Raumflotte, kommt aus Upnor in der Nähe von London. Meine Mutter Duquesa Bellinda de Medina Sidonia kommt aus dem südspanischen Sanlúcar de Barrameda. Den alten Herzogspalast hat meine Mutter mit Hilfe der Familie vor 20 Jahren zurückgekauft von der Hotelkette, die ihn sehr lange als Palasthotel benutzt hat. Jetzt ist der Palacio Ducal de Medina Sidonia sozusagen wieder in der Hand der rechtmäßigen Erben des alten Herzogsgeschlechts. Mittlerweile wohnt meine Familie auch dort. Vater hat es nach seiner Pensionierung nicht mehr ausgehalten in England, obwohl sie noch immer ein kleines Anwesen in Schottland bei Inverness haben und im Sommer üblicherweise auch dort sind, da ihnen Spanien zu heiß ist."

 

"Man sagt ihnen nach, daß ihre Linie bis zu Sir Francis Drake zurückzuführen ist. Stimmt das?"

 

"Ach, irgendein Ahnenforscher hat sich die Arbeit mal angetan und den Stammbaum meines Vaters erstellt. Den haben sie ihm dann auf altem Pergament mit Tusche gezeichnet vor zwei Jahren bei der Verabschiedung von der Flotte geschenkt."

 

"Muss aufregend sein, sich in adligen Gesellschaftskreisen zu bewegen."

 

"Nur bedingt Sarah. Alter Adel ist großteils langweilig. Man wächst in gut behüteten Verhältnissen auf. Das ist einerseits ein Vorteil, weil es einem an nichts mangelt, andererseits hat man keinen rechten Bezug zur Lebensrealität des Durchschnittsmenschen. Diesen Bezug muß man sich selbst hart erarbeiten. Ich lebe also ganz bewußt nicht im Palacio in Sanlucar sondern in Barcelona."

 

"Barcelona soll eine schöne Stadt sein."

 

"Ich lebe sehr gerne dort. Wenn sie wollen, zeige ich sie ihnen demnächst."

 

"Tja, sie sollen ja demnächst auf eine geheime Mission gehen. Das wird dann noch eine Weile dauern, schätze ich."

 

"Wir laufen übermorgen für zehn Tage zu Übungen aus. Dann sind wir noch vier Tage im Dock für letzte Rerparaturen und Neuausrüstung. Wie wäre es da mit einem kleinen Abstecher nach Barcelona? Mein XO kann sich um diese Dinge kümmern."

 

"Klingt gut. Wenn ich meinen Terminkalender richtig im Kopf habe, passt das wunderbar."

 

"Fein, dann notiere ich das geistig und hole sie in 12 Tagen ab. Ein Glas schweren Rotwein spät Abends auf dem Mont Juic mit Blick auf den Yachthafen oder des Nächtens die Ramblas entlang schlendern, das hat schon ein eigenes Flair."

 

"Bei entsprechender Gesellschaft fühlt man sich fast immer wohl, da ist das Umfeld nicht wirklich maßgeblich." merkte Dunham an. Dabei blickte sie ihm über das Weinglas in ihren Händen hinweg tief in die Augen.

 

"Wollen wir noch ein Stück die Promenade entlangspazieren?" fragte er sie.

 

"Ja, gern."

 

Sarah beglich noch die Rechnung und dann brachen sie beide auf. Wie selbstverständlich hakte sie sich an seinem Arm unter und sie spazierten die Promenade von Base One entlang. Drake fühlte sich sehr wohl in ihrer Gesellschaft. Am liebsten hätte er sie einfach umarmt, aber irgendwie erschien ihm das unpassend. Er fragte sich, warum er bei dieser Frau zögerte. Er war bisher beileibe kein Kind von Traurigkeit gewesen. Umso mehr verwunderte ihn die eigene Unsicherheit. Sie unterhielten sich über die unterschiedlichsten Themen und lachten gemeinsam. Sarah schien es ebenfalls zu genießen.

 

Gegen Mitternacht lokaler Zeit auf Base One machte sich der schon recht lange Tag bei beiden bemerkbar. Drake begleitete sie noch bis zu ihrem Quartier. Wie die meisten Flottenangehörigen, war auch Dunham kein Dauermieter auf der Basis und hatte daher eines der Standardquartiere bezogen. Sie hatte es sich aber nicht nehmen lassen, eines zu mieten, das an der Aussenseite des Habitatringes lag und einen grandiosen Blick auf die Erde und den umgebenden Weltraum gewährte. Nach einigen Minuten kamen sie vor ihrer Tür an.

 

"Danke für den schönen Abend, Steve. Ich habe mich sehr wohl gefühlt in ihrer Gesellschaft."

 

"Ich muss mich bedanken, Sarah. Mir ging es ebenso."

 

Sie blickten sich einige Sekunden lang tief in die Augen, dann konnten sie beide der Versuchung nicht widerstehen und küssten sich sanft.

 

"Gute Nacht Steve."

 

"Gute Nacht."

 

Er wartete noch bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann machte er sich auf den Weg zurück an Bord der BARRAKUDA. Er würde wahrscheinlich nicht viel schlafen können. 

 

Sarah selbst lehnte sich im kleinen Vorraum auf der anderen Seite der Tür an die Wand und atmete tief durch. Sie fragte sich, was sie da eigentlich tat. Eine Beziehung strebte sie eigentlich nicht an, aber Drake hatte etwas an sich ...

 

Am nächsten Morgen ...

 

Das Boarding war offiziell beendet. Drake wollte es auch definitiv beendet wissen und ließ daher das Zugangsschott sperren. Die beiden Wachsoldaten, die Sarah Dunham durchgelassen hatten, hatte er am Tag davor schon ruhig aber bestimmt darauf hingewiesen, daß das nicht mehr vorkommen dürfe. Personen ohne eindeutigen Befehl das Schiff zu betreten, hatten einfach nichts an Bord zu suchen.

 

Drake betrat die große Messe. Den Raum als groß zu bezeichnen erschien ihm dezent übertrieben, denn die 76 Menschen füllten den Raum fast zur Gänze aus. Nur vorne war Platz für den Kommandaten gelassen worden. Die Crew hatte sich pünktlich versammelt. Für das Boarding waren allerdings zwei Crew-Mitglieder zu spät gekommen und hatten sich erst per Anruf über Kommunikator anmelden müssen. Er hatte sich die Tatsache geistig notiert, denn er konnte Unpünktlichkeit nicht ausstehen. 

 

Als er den Raum betrat, brüllte ein Marine:"Aaaaachtung! Captain an Deck!"

 

Die Crew stand blitzartig auf und nahm Haltung an, während er mit Elan an den kleinen Tisch vor der Projektionsfläche trat. 

 

"Guten Morgen, meine Damen und Herren. Nehmen sie bitte Platz."

 

Für kurze Zeit störten nur Füße scharren und Sessel rücken die Ruhe.

 

"Mein Name ist Steven Francis Drake und ich bin ihr kommandierender Offizier. Ich habe bemerkt, daß es Crewmitglieder gibt, die es mit der Pünktlichkeit nicht so genau nehmen. Ich ersuche die Betreffenden, sich in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln. Ich pflege an sich einen kollegialen Führungsstil, aber es gibt einfach Dinge, die ich nicht akzeptiere."

 

Drake machte absichtlich eine kleine Pause, um das Gesagte besser wirken zu lassen.

 

"Nun zum Zweck ihres Hierseins. Diese Versammlung dient dazu, ihnen das Kommandoteam vorzustellen und sie kurz darüber zu informieren, wie es mit der BARRAKUDA die nächsten Wochen weitergeht. Mir zur Seite stehen LCDR Hidetaka Yamato als XO und LCDR Jason Blackhurst als Zweiter Offizier und Operationsoffizier. Beide Offiziere haben schon auf der EXPLORER und der MEDUSA mit mir zusammen gedient und wir kennen uns recht gut."

 

"Die Besatzung erhält ab sofort 10 Tage Zeit, das Schiff unter realistischen Bedingungen durchzutesten. Dazu gehören Waffentests im Asteroidengürtel ebenso wie Kurzstreckenhyperraumflüge, sozusagen das volle Programm. Dann geht das Schiff wieder ins Dock, um letzte Anpassungen, Reparaturen etc. vorzunehmen und neu zu magazinieren. Vier Tage später brechen wir zu einer Mission auf. Diese Mission ist als streng geheim und sehr riskant eingestuft. Sollte jemand Bedenken haben, dann steht es dieser Person frei, ein Versetzungsgesuch einzureichen. Admiral Yamato hat mir zugesichert, daß solche Gesuche grundsätzlich gewährt werden und sich nicht negativ auf die Karriere auswirken werden. Sie haben mit ihrer Entscheidung Zeit bis morgen 0800. Gibt es dazu Fragen?"

 

"Ja Sir. Wohin wird es gehen?"

 

"In das Uldat-Imperium. Wir werden voraussichtlich mehrere Wochen verdeckt unterwegs sein. Mehr darf ich ihnen derzeit noch nicht sagen. Es wurde für diese Mission ganz bewußt erfahrenes aber alleinstehendes Personal ausgewählt. Des weiteren wurde die Barrakuda-Klasse speziell für hochriskante Missionen entwickelt, da sie aufgrund der hohen Automatisierung weniger Personal benötigt. Ich nehme an, das sagt einiges aus über die Relevanz und das Risiko der Mission."

 

"Danke, Sir."

 

"Sie alle sind hier, weil sie für ihren Posten an Bord Profis sind. Einerseits beruhigt mich das bezüglich der bevorstehenden Aufgabe, andererseits ist es natürlich auch für mich eine große Herausforderung, ihren Ansprüchen gerecht zu werden. Ich werde mein Bestes geben, das garantiere ich ihnen."

 

"Machen sie sich mit dem Schiff vertraut. Einige von ihnen sind ja schon eine Weile an Bord. Mit Lieutenant Yorgenson haben wir sogar einen der Entwickler als Chefingenieur an Bord. Helfen sie sich gegenseitig und stellen sie Fragen. Morgen um 0800 erwarte ich alle leitenden Offiziere zu einem Statusmeeting. Zwei Stunden später laufen wir zu unserer dreiteiligen Testphase aus. Wir werden Kurs auf Testgebiet Gamma-3 im Asteroidengürtel nehmen. Dort treffen wir uns mit zwei Schlachtschiffen für Tests des Gefechtsdatenverbundes, Offensivsysteme und Defensivsysteme. Auf dem Weg dahin sind die Impulsmaschinen zu testen. Danach geht es an den Test der Navigationssysteme und des Hyperantriebs. In der dritten Phase werden wir die neuen Instrumentenpakete für die Torpedos, Shuttles, Kommunikationssysteme und die Multiphasenschilde testen. Alle Testergebnisse sind penibel zu dokumentieren. Ich weiß, das ist viel Arbeit und noch dazu eine sehr langweilige, aber wir müssen die Stärken und Schwächen dieses Schiffes genau kennen. Dr. Berneau, wie sieht es mit der Krankenstation aus?"

 

"Alles bestens, Captain. Die Geräte sind am letzten Stand der Technik und das Equipment ist vollständig und erstklassig. Wir könnten sogar komplexe chirurgische Eingriffe vornehmen."

 

"Gut. Gibt es noch Fragen?" wollte Drake wissen, aber es meldete sich niemand mehr.

 

"Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit. Wegtreten."

 

Sein neuer XO Yamato war während der Besprechung mitten unter der Crew gewesen. Bei seiner Vorstellung war er kurz aufgestanden und hatte der Mannschaft zugenickt. Jetzt wartete Yamato am Schott auf ihn.

 

"Captain ..."

 

"Ja, Commander?"

 

"Die Crew scheint auf den ersten Blick in Ordnung zu sein. Keine wie auch immer gearteten negativen Bemerkungen, sondern einerseits Neugierde und andererseits Unsicherheit wegen des Missionsprofils."

 

"Na das ist ja schon mal ein guter Anfang. Die Unsicherheit wird sich geben, sobald die endgültigen Einsatzbefehle vorliegen."

 

"Davon gehe ich aus. Es werden sich nur wenige versetzen lassen. Die Leute machen einen sehr guten Eindruck."

 

"Hoffentlich. Wir brauchen Profis. Übrigens, wenn wir aus der Testphase zurückkommen, müssen sie mich für die vier Tage Nachbereitung vertreten. Ich habe um Landurlaub angesucht und möchte meine Familie besuchen. Wer weiß, ob ich noch mal die Gelegenheit dafür bekomme. Sie können in dieser Zeit auch allen anderen, die es wünschen Landurlaub gestatten, allerdings sollten ein oder zwei  Engineering-Teams an Bord bleiben. Ich will die Dockmannschaft unter Kontrolle wissen, wenn sie am Schiff herumschrauben. Am liebsten wäre mir Blackhurst, aber das überlasse ich ihnen."

 

"Ich kümmere mich gleich darum. Dann sind zumindest alle informiert. Möchten sie die Namen der Unpünktlichen?"

 

"Nein, ich glaube meine Botschaft ist auch so angekommen. Ein Exempel zu statuieren ist nicht meine Art."

 

Damit ließ es Drake bewenden, und Yamato hatte keine weiteren Anliegen. Nun würden die Einzelgespräche beginnen. Die Termine dafür hatte Drake schon verschickt, sich aber ein Fenster bis kurz nach Mittag offen gehalten. Er hatte im Vorfeld nicht gewußt, ob sich von der Crew-Versammlung nicht irgendwelche notwendigen Tätigkeiten ableiten ließen. Den Anfang machte Teresa Marconi. Er arbeitete in seinem Bereitschaftsraum gerade die Testszenarios für die nächsten zehn Tage durch, als der Türmelder einen Besucher ankündigte. Per Taste an seinem Schreibtisch gab er die Tür frei.

 

"Lieutenant Teresa Marconi wie befohlen zur Stelle, Sir."

 

Die dunkelhaarige junge Frau schien sichtlich etwas nervös. Sie war erst vor kurzem zum vollen Lieutenant befördert worden und dann gleich hierher versetzt worden.

 

"Nehmen sie Platz, Lieutenant."

 

"Danke, Sir."

 

"Ich habe sie hergebeten, weil ich mit jedem meiner Führungsoffiziere ein Gespräch führen möchte. Sie werden hier nicht geprüft also kein Grund für Nervosität. Abgesehen davon, habe ich noch keinem unter meinem Kommando den Kopf abgerissen. Weiters bevorzuge ich einen etwas entspannteren Umgang mit dem Offiziersstab. Ich halte nicht sehr viel vom Strammstehen und lautem -Sir-. Wir sind keine Marines. Ausserdem sind diese Dinge keine Garantie für Respekt."

 

Marconi wußte nicht recht, was sie sagen sollte und zog es daher vor zu schweigen.

 

"Erzählen sie mir von sich. Warum sind sie bei der Flotte?"

 

"Oh, ich wurde auf einer Präsentation der Flotte rekrutiert. Damals hatten sie so einen Taktik-Simulator in einer Messehalle aufgebaut, und ich habe mich zwecks Spass hineingesetzt und mich einweisen lassen. Ich habe dann bei der Simulation gegen den Flottenoffizier gewonnen - haushoch noch dazu."

 

"Daraus folgt, sie wurden an der Flottenakademie in Taktik spezialisiert. Und dann haben sie auch gleich Intel als zweites Fachgebiet gewählt oder?" Das hatte zwar nicht in ihrer Akte gestanden, aber Drake hatte es angenommen, da sie offensichtlich an einer Geheimoperation beteiligt gewesen war.

 

"Sie meinen, wegen des geschwärzten Eintrags in meiner Akte? Ja, sie haben recht. Admiral Yamato meinte, meine nachrichtendienstliche Ausbildung könnte zusätzlich zu meinem taktischen Können hilfreich sein. Ich habe ihm gesagt, daß er ein zu positives Bild von mir hat."

 

"Ich kenne Admiral Yamato persönlich. Sein Sohn ist der XO an Bord. Er ist nicht unfehlbar, aber wenn Yamato ihnen das zutraut, dann hat er sehr wahrscheinlich recht. Womit auch immer er diese Einschätzung begründet ..."

 

Marconi verstand den Wink trotz ihrer Jugend. Sie war gerade mal 24 Jahre alt: "Ich darf ihnen von der Operation erzählen, wenn es sie interessiert."

 

Drake zog eine Augenbraue hoch, doch dann nickte er auffordernd.

 

"Wir haben vor einem Jahr im Asteroidengürtel ein Problem mit Raumpiraten gehabt. Sie haben Frachter geplündert. Wir konnten sie lange nicht finden, bis wir eine großangelegte Aktion starteten, um sie aus den Löchern zu locken. Dazu lancierten wir Falschinformationen an ihre Informanten auf der Erde und dem Mars. Ich hatte im Rahmen eines Intel-Kurses das Vergnügen, die Konzepte für Taktik und Kommunikation auszuarbeiten. Die Mission war ein voller Erfolg. Sie wurde aber aufgrund der Beteiligung einiger sehr bekannter Persönlichkeiten geheim gehalten."

 

"Ok, das reicht mir dann schon als Information. Ich denke, Admiral Yamato liegt richtig. Haben sie Fragen an mich?"

 

"Tja, die Mission würde mich interessieren, Captain. Aber da die Befehle scheinbar noch unter Verschluß sind ..."

 

"Da kann ich ihnen im Moment leider nicht helfen. Versuchen sie nicht, sich in die Systeme zu hacken. Ok?"

 

"Ja, Captain."

 

"Danke, das war dann alles von meiner Seite. Wenn sie etwas brauchen, lassen sie es mich oder den XO wissen. Herzlich willkommen an Bord."

 

"Danke, mach ich gern. Captain ..." damit stand sie auf und verließ den Bereitschaftsraum deutlich entspannter, als sie ihn betreten hatte.

 

Die nächste würde Lieutenant Xilai sein. Auch sie fand sich pünktlich ein. Drakes Einleitung für sie war die gleiche, wie für ihre Vorgängerin.

 

"Was hat sie bewegt zur Flotte zu gehen, Lieutenant?"

 

"Ich komme aus einem sehr bescheidenen Umfeld. Die Flotte gab mir die Möglichkeit, dem zu entkommen. Mein Interesse galt immer schon der Kommunikationstechnik und die Flotte suchte damals Leute in diesem Bereich, Captain."

 

"Versprechen sie mir, daß sie keine Marines mehr vermöbeln, Lieutenant."

 

"Ich bin damals freigesprochen worden, Sir."

 

"Stimmt, Lieutenant. Ich kenne mich aber mit asiatischen Nahkampfsystemen etwas aus. Ich trainiere selbst seit gut 20 Jahren Traditionelles Karate. Wu Shu ist höchst effektiv, und sie trainieren seit ihrer Kindheit. Den Richter konnten sie vielleicht überzeugen, bei mir ist das nicht so einfach."

 

Er ließ seine Worte eine Weile einwirken. Sie saß bewegungslos gegenüber und wußte nicht, was sie davon halten sollte.

 

"Mich stört die Tatsache an sich nicht. Die Marines haben sich einer Dame gegenüber höchst wahrscheinlich daneben benommen und ein paar hinter die Ohren verdient. Ich will nur zwei Dinge nicht: erstens, daß ich sie wegen einer Prügelei als Offizier an ein Gefängnis verliere, und zweitens, daß sie mich für dumm verkaufen wollen. Vor allem zweiteres vertrage ich gar nicht. Ansonsten empfinde ich es durchaus als Bereicherung für die Crew, jemanden mit ihren Nahkampffähigkeiten an Bord zu haben. Wir wissen nicht, was auf uns zu kommt."

 

"Ich werde sie nicht enttäuschen, Sir." merkte sie mit möglichst neutraler Stimme an, aber Drake merkte ihr trotz all der Selbstbeherrschung die Erleichterung an. Er hatte genug Zeit in Ost-Asien verbracht, um die emotionslose Miene etwas durchschauen zu können.

 

"Das weiß ich. Es liegt nicht im Naturell ihres Volkes. Vielleicht würde es ihnen ja Spaß machen, unsere Marines zu trainieren?"

 

"Wenn sie das wünschen, Captain ..."

 

"Nicht weil ich es wünsche, sondern weil Sie es wollen. Ich stelle ihnen das frei, sozusagen als Hobby in ihrer Freizeit an Bord."

 

"Ich denke darüber nach."

 

"Das wäre dann alles, ausser sie haben noch Fragen."

 

"Nein, keine Fragen, Captain."

 

"Dann herzlich willkommen an Bord."

 

Die schlanke Chinesin wurde beim Hinausgehen fast von Piet Yorgenson umgerannt, der gerade den Türmelder drücken wollte. Drake rief den großen Skandinavier gleich zu sich in den Bereitschaftsraum.

 

"Kommen sie nur herein, Lieutenant. wir sind schon fertig."

 

Drake rief sich die Beschreibung des Schweden ins Gedächtnis. Yorgenson war definitiv über zwei Meter groß. Er besaß Hände wie Bärenpranken. Daß diese Hände überhaupt in den teilweise doch recht kleinen Systemen herumstochern und sie reparieren konnten, erschien Drake unwahrscheinlich. Und dennoch mußte es so sein.

 

"Nehmen sie doch Platz, Lieutenant. Sagen sie, was hat sie bewogen, vom Entwicklungslabor zu einer operativen Einheit zu wechseln?"

 

"Ganz einfach, Captain. Ich will erleben, wie sich das Konzept bewährt. Und es ist nur gerecht, wenn ich das Risiko auf mich nehme, ich bin ja auch verantwortlich dafür. Der Datenverbund war meine Idee."

 

"Und was halten sie bisher von der Umsetzung?"

 

"Einfach großartig. Es ist alles umgesetzt worden, was die Entwickler vorgeschlagen haben. Die Computer sind das zentrale Element. Wenn wir die verlieren, ist das Schiff nur wenig mehr als ein Meteor, daher ist der Zentralrechner dreifach ausgelegt. Sie haben ein ausfallsicheres Rechenzentrum an Bord, Captain. Die Standorte an Bord sind ebenfalls disloziert. Ein schwerer Treffer kann also den Datenverbund nicht ausschalten. Selbst wenn das halbe Schiff wegbricht, ist der Datenverbund immer noch aktiv."

 

"Das mag ja im Gefecht mit Flotten recht praktisch sein, aber haben sie auch für den Fall geplant, daß das Schiff in Feindeshand fällt? Wir können es uns nicht leisten, daß die Uldat einen funktionsfähigen menschlichen Schiffscomputer in die Hände bekommen."

 

Yorgenson wurde um eine Nuance blasser:"Daran haben wir tatsächlich nicht gedacht."

 

"Tja, Und was die Entwickler nicht vorgeschlagen haben, ist offensichtlich nicht umgesetzt worden. Dann haben wir ja schon etwas, womit sie sich beschäftigen können. Der Datenverbund darf nur völlig zerstört dem Feind in die Hände fallen, und damit meine ich Hardware, Software und Datenbestände. Gerade auf der bevorstehenden Mission ist das essentiell. Finden wir da keine Lösung, werde ich Admiral Yamato raten, die Mission von einem anderen Schiff ausführen zu lassen."

 

"Ich werde mich gleich damit beschäftigen, Sir."

 

"Gut. Haben sie noch Fragen?"

 

"Nein, Sir."

 

"Das wäre dann alles, Lieutenant."

 

Yorgenson schien etwas irritiert, als er den Bereitschaftsraum verließ.

 

Der neue Navigator Lieutenant Bradley Trent ließ nicht lange auf sich warten. Er schien in der Vergangenheit nicht allzu viel Wert auf Pünktlichkeit geleget zu haben. Sein Personalakt enthielt einen entsprechenden Hinweis. Scheinbar hatte er sich jenen Teil von Drakes Ansprache zu Herzen genommen. Trent bemühte sich gar nicht erst um eine militärische Haltung als er den Bereitschaftsraum betrat.

 

"Guten Morgen Captain. Sie wollten mich sprechen. Was liegt an?"

 

"Guten Morgen. Nehmen sie Platz und geben sie mir noch eine Minute." Drake studierte noch einmal rasch den Personalakt von Trent auf dem Tablet-Computer.

 

"Anliegen tut im Augenblick nichts, Lieutenant. Ich will einfach nur das Offiziersteam kennenlernen und mir vor allem von den Abteilungsleitern ein Bild machen. Es ist keine Prüfung in irgendeiner Form. Ich will einfach nur ein Gefühl für die Leute bekommen, mit denen ich auf eine gefährliche Mission fliegen soll."

 

"Kann ich gut verstehen. Geht mir nicht anders. Ich will auch den Captain kennenlernen, dem ich in die Hölle folgen soll."

 

"Erzählen sie, was hat sie in die Flotte gebracht?"

 

"Ach, das ist einfach. Ich fliege für mein Leben gern. Als ich in meiner Jugend das kleine Problem mit den zerstörten Gleitern hatte, war die Alternative zum Herumkriechen auf dem Boden, das Fliegen bei der Flotte. Und es macht tierisch viel Spaß."

 

"Solange sie nichts zertrümmern dabei, wird sie die Flotte gern eine Weile fliegen lassen." bemerkte Drake lachend.

 

"Eine Weile ... ?"

 

"Naja, irgendwann werden sie die Ränge hinaufklettern und die Abkommandierung zu einem Posten, wo sie nicht mehr selbst fliegen, ist dann kaum noch zu verhindern."

 

"Sie haben recht, aber ich versuche mich bei Beförderungen immer zu ducken. Das ist wie feindliches Geschützfeuer."

 

"Vergessen sie dabei eines nicht: manchmal trifft der Feind auch sehr gute Piloten. Auch wenn es nur zufällig ist, der Effekt ist der gleiche."

 

"Was hat sie in die Flotte getrieben, Captain?"

 

Trent war der erste, der ihn das ernsthaft fragte. Damit hatte er nicht gerechnet und bisher auch nicht über die wirklichen Gründe nachgedacht.

 

"Gute Frage, Lieutenant. Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nicht wirklich nachgedacht. Ich denke es gibt zwei gute Gründe. Die Flotte hat väterlicherseits Familientradition. Und der zweite Grund ist wohl der Wunsch, aus der wohl behüteten Welt meiner Eltern und dem affektierten Gehabe des alten Adels auszubrechen."

 

"Das sind doch sehr gute Gründe, Captain. Bessere als meiner."

 

"Finden sie?"

 

"Also sollte ich mal die Lust am Fliegen verlieren, dann ist wohl auch die Flotte nicht mehr interessant für mich."

 

"Täuschen sie sich nicht. Die Interessen verändern sich mit der Erfahrung und dem Alter. Wer weiß, vielleicht werden sie noch Schiffsarzt." warf Drake lachend ein.

 

Trent lachte herzlich mit: "Also nein, Arzt werde ich sicher nicht."

 

"Haben sie noch irgendwelche Fragen, Lieutenant?"

 

"Nein, zur Zeit nicht. Ich nehme an, über die Mission dürfen sie noch nichts erzählen."

 

"Ich kenne das Ziel, aber alle anderen Details sind selbst mir noch nicht bekannt. Das Ziel ist derzeit noch streng geheim."

 

"Dann fällt mir nichts mehr ein, Sir."

 

"Gut. Das wäre dann alles. Sie können wegtreten."

 

Seine Notizen zu den einzelnen Besatzungsmitgliedern begannen Gestalt anzunehmen. Bisher hatte er einen guten Eindruck von den Leuten. Der Interkom unterbrach seine Gedanken mit einem Piepsen. Mit einem Tastendruck öffnete er die Verbindung und akzeptierte die Kommunikationsanfrage ohne hinzusehen.

 

"Drake hier."

 

"Hier ebenfalls, mein Sohn." klang die Stimme seiner Mutter aus dem kleinen Lautsprecher.

 

"Hi, Mum! Freut mich, daß du dich meldest. Wie geht es euch?"

 

"Alles bestens. Wir sind die nächsten zwei Monate in Sanlucar. Du weißt ja, daß Spätwinter und Frühling in Spanien wesentlich angenehmer sind als in England. Dein Vater lebt immer auf, wenn wir hier sind, du weißt ja, wie er ist. Dein Schwesterherz hat seit kurzem scheinbar einen ernsthaften Freund."

 

"Oh, Julia wird seßhaft? Kaum zu glauben."

 

"Nicht nur das, sie geht auch wieder regelmäßig auf die Uni. Ich wundere mich seit einiger Zeit nur mehr über sie."

 

"Hört sich doch gut an. Lass sie einfach." Seine Schwester war schon immer widerspenstig gegenüber dem Establishment gewesen. Sie war mehrmals aus der ihrer Meinung nach spießbürgerlichen Gesellschaft ausgebrochen. Der Sinneswandel kam für die Familie überraschend, aber beschweren wollte sich natürlich auch niemand darüber.

 

"Was gibt es bei dir Neues, Steven?"

 

"Ich habe mein erstes Kommando bekommen - die TSS BARRAKUDA, neuer Zerstörer der Barrakuda-Klasse."

 

"Hört sich gut an. Testfahrt?"

 

"Zehn Tage Tests, vier Tage Nachbereitung und dann erste Mission."

 

"Wo soll's hingehen?"

 

"Tut mir leid Mum, die Mission ist streng geheim."

 

"Oh, das klingt gefährlich."

 

"Ja, ist es auch."

 

Seine Mutter war es gewohnt, daß ihre engsten Familienangehörigen gefährlich lebten.

 

"Sehen wir dich vorher noch?"

 

"Wenn ihr wollt, gern. Ich habe geplant, die vier Tage in Barcelona zu verbringen. Eine Kollegin will mitkommen, sie kennt die Stadt noch nicht."

 

"Kommt doch für zwei Tage bei uns vorbei."

 

"Ich rede mal mit ihr, ob sie das möchte."

 

"Wer ist die Dame?"

 

"Lieutenant Dr. Sarah Dunham, die Schiffsärztin von der EXPLORER-Mission."

 

"Klingt irisch."

 

"Ist es auch."

 

"Fein, dann rede mal mit ihr und gib mir Bescheid."

 

"Ok, Mum. Ich muss wieder an die Arbeit. Lass Dad und Julia grüßen."

 

"Mach ich. Bis später dann."

 

Als die Verbindung beendet war, ließ er sich vom Bordcomputer mit Sarah auf Base One verbinden.

 

"Hallo Steve."

 

"Hallo Sarah. Hast du heute Abend schon was vor?"

 

"Hm, mal meinen Kalender befragen. Oje, das sieht sehr schlecht aus."

 

Drake konnte den leicht amüsierten Unterton heraushören: "Du bist eine schlechte Lügnerin." Sie hatte sich aber auch nicht gerade bemüht ihn zu verbergen.

 

"Ok, erwischt. 1900 zum Abendessen?"

 

"Fein, ich hol dich dann ab. Sag, würde es dir etwas ausmachen, wenn wir von Barcelona aus einen Abstecher zu meinen Eltern nach Sanlucar machen? Sie wollen mich noch sehen, bevor die BARRAKUDA aufbricht."

 

"Oha, na du legst aber ein ordentliches Tempo vor. Gleich bei deinen Eltern einfallen nach einem flüchtigen Kuss ..." bemerkte sie lachend. "Ich will das Familientreffen aber nicht stören Steve."

 

Er mußte lachen: "Keine Sorge, meine Eltern haben öfters Gäste. Es ist ganz normal, daß die Kinder mal jemanden mitbringen. Meine Schwester wird auch da sein, nehme ich an."

 

"Na dann ... ich habe ohnehin noch keinen Palacio von innen gesehen."

 

"Fein. Bis später dann."

 

"Bis später."

 

Seiner Mutter schickte er noch eine Nachricht, daß Sarah mitkommen würde.

 

Admiral Yamato sah auf, als sein Adjutant eintrat. CDR Liu Song hatte sich an die wenig förmliche Art seines Vorgesetzten angepaßt, auch wenn es eine Weile gedauert hatte: "Sir, ich habe gerade einen Anruf von Tanos Kreftan erhalten. Er will auf der BARRAKUDA-Mission dabei sein. Woher weiß er davon? Nicht einmal ich kenne die Details."

 

"Ich habe so etwas in der Art schon erwartet. Kreftan ist in seiner Funktion als Außenminister mehr oder weniger überflüssig geworden für seine Leute. Gever erledigt die Kommunikation mit unserer Regierung selbst und nach außen gibt es noch nichts zu vertreten. Andererseits ist Kreftan Xenopsychologe, Wirtschaftswissenschafter und war Außenminister. Er wäre definitiv ein wertvoller Mitarbeiter im außenpolitischen Bereich oder aber auch beim FIS. Und ausserdem hätten wir ihn ja auf der BARRAKUDA sowieso mitgeschickt."

 

"Da haben sie sicher recht Sir, aber ob sie das beim Präsidenten durchkriegen? Das Mißtrauen gegenüber den Kanaern ist immer noch vorhanden. Und ihn in den Fleet Intelligence Service zu integrieren ... das ist selbst für meinen Geschmack etwas zu progressiv."

 

"Lassen sie das meine Sorge sein, Commander. Ich habe heute einen Termin beim Präsidenten und werde das klären. Apropos, organisieren sie mir einen schnellen Gleiter für den Flug nach Genf. Ich muss um 18:00 dort sein, das heißt ich muss gegen 16:30 starten. Captain McPherson soll sich bereit machen mitzukommen." antwortete Yamato.

 

"McPherson? Warum das denn?"

 

"Er kennt Kreftan am besten von uns allen. Der Präsident wird ihm mehr glauben als mir. Da die HAMMER momentan ohnehin im Dock liegt, sollte er verfügbar sein."

 

Song sah auf die Uhr: "Das sind nur mehr zwei Stunden. McPherson ist noch auf der HAMMER. Ihn herunter zu befehlen macht keinen Sinn. Das würde zu lange dauern. Am schnellsten ginge es, wenn sie ihn gleich mit einem Shuttle abholen, Sir. Vom Orbit aus, haben sie bessere Anflugvektoren für Genf." Song tippte gerade eine Nachricht an McPherson ber den geplanten Ausflug nach Genf.

 

"Gut, dann machen wir das so."

 

Kurze Zeit später kam die Bestätigung McPhersons auf Songs Tablet-Computer an. Yamato stellte sich noch die Unterlagen zusammen, die er benötigte. Schließlich informierte ihn sein Adjutant, daß es Zeit wäre, sich beim Shuttle einzufinden. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Orbitalwerft. Yamato würde diese Woche schon das zweite Mal dort sein. Der Werftkommandant würde bald im Quadrat springen. Eine halbe Stunde später dockten sie an und Captain McPherson kam an Bord. Der Pilot legte kaum fünf Minuten später wieder ab. Niemand hatte bemerkt, daß der Flottenkommandant auf der Weft gewesen war.

 

Da sie in Eile waren, griff der Pilot zu einem sehr direkten und daher steilen Anflug auf Genf. Vom Boden aus mußten sie aussehen wie ein Meteor. Kurz vor der kritischen Distanz griffen die Bremstriebwerke ein und brachten das Shuttle auf Landegeschwindigkeit. Vom Genfer Flottenterminal aus brachte sie ein Regierungsgleiter zur Präsidentenvilla. Präsident Harper empfing sie rechtzeitig.

 

"Mr. President, darf ich ihnen vorab einen Vorschlag machen, der nicht auf der heutigen Agenda steht? Dieser ist auch der Grund warum ich Captain Jake McPherson mitgebracht habe." eröffnete Yamato die Besprechung.

 

"Dann mal los Admiral."

 

"Minister Kreftan möchte an der Barrakuda-Mission teilnehmen."

 

Präsident Harper sah erstaunt auf und setzte sich. Die Frage, wie Kreftan überhaupt von der Barracuda-Mission erfahren hatte, stellte er bewußt hintan. Yamato würde sich von selbst darum kümmern: "Und was halten sie davon?"

 

Yamato erläuterte dem Präsidenten die gleichen Argumente wie seinem Adjutanten Song.

 

"Ehrlich gesagt, halte ich das für etwas riskant. Wir wissen noch nicht, wie die Kanaer zu uns stehen. Unter ihnen gibt es genauso Separatisten wie bei uns. Ist Kreftan einer dieser Leute?"

 

"Sir, Captain McPherson kennt Kreftan besser als jeder andere. Wenn sie gestatten ..."

 

"Ja, gern. Captain ..."

 

McPherson räusperte sich etwas: "Kreftan war derjenige, der uns das Angebot machte. Er war auch derjenige, der alle Kanaer und auch uns zur Eile antrieb. Über die wirkliche Motivation kann man spekulieren, aber zu den separativen Elementen gehört er sicher nicht. Seine Erfahrungen mit anderen Rassen der Galaxis und seine Ausbildung als Xenopsychologe könnten von unschätzbarem Wert sein für die Mission. Und wie Admiral Yamato schon gesagt hat, Kreftan ist derzeit langweilig. Er hat einfach nichts zu tun. Jemand mit seinen Fähigkeiten sollte nicht tatenlos rumsitzen, Wer weiß schon, was ihm sonst einfallen würde. Ich bin der Meinung, es ist besser, er ist dabei und Drake hat ihn unter Kontrolle, als er sitzt hier auf der Erde herum."

 

Der Präsident lehnte sich zurück und spielte in Gedanken mit einem Kugelschreiber: "Beantworten sie mir nur eine Frage Captain: Würden sie ihn auf diesen Tripp mitnehmen? Auf einem Prototypen mit der neuesten Technologie?"

 

"Ja, Sir."

 

"Gut, dann richten sie es ein, Admiral. Kreftan fliegt als ziviler Berater mit. Er hat keine Weisungsbefugnis sondern ausschließlich beratende Funktion."

 

"Ja, Mr. President. Vielen Dank, Captain. Ich brauche sie dann nicht mehr. Nehmen sie einfach das gleiche Shuttle für den Rückflug."

 

"Gern geschehen, Admiral. Mr. President ..." verabschiedete sich McPherson.

 

Auf dem Weg nach draußen hatte er endlich Gelegenheit tief Luft zu holen. Er war gerade beim Präsidenten gewesen - ganz einfach so, weil Yamato es für richtig gehalten hatte. Das warf ein bezeichnendes Licht auf das Arbeitsverhältnis zwischen Harper und Yamato. Sollte jemals jemand zwischen die beiden geraten, dann Gnade ihm Gott. Nun, er würde dann weit weg sein. Die Reparaturen an der HAMMER waren vor Kurzem abgeschlossen worden. Die letzten Computertests liefen noch. In der Schlacht bei Waypoint hatten sich die Schlachtkreuzer gut bewährt. Sie boten offenbar den richtigen Mix aus Wendigkeit, Offensivkraft und Durchhaltevermögen. Die MEDUSA hatte einfach Pech gehabt bei dem Treffer in letzter Sekunde. Die Schlachtschiffe waren allesamt aufgerieben und zerstört worden. Nur der Träger hatte das Glück gehabt, weit genug ausserhalb der heißen Gefechtszone gewesen zu sein. Die Uldat hatten es scheinbar fertig gebracht, die großen Pötte sehr schnell und sicher anzupeilen. Das koordinierte schwere Feuer hatte dann den Rest getan.

 

Das Flottenkommando hatte auch Umbesetzungen vorgenommen. Grischenko war im Gefecht gefallen, daher war die MEDUSA ohne Captain. Carmen Cordalez von der FALCON hatte sich gut bewehrt. Sie war zum Captain befördert worden und hatte die wiederhergestellte MEDUSA bekommen. Kazinsky war wieder voll diensttauglich und hatte ihren Posten als XO der MEDUSA wieder eingenommen. Die FALCON wurde ab sofort von Cordalez früherem XO CDR Martins befehligt. Der zweite Zerstörer der neuen Barrakuda-Klasse würde in 3 Wochen in die Testphase gehen. CDR Jennifer Baily hatte das Kommando bekommen. Ihre alte Crew war fast vollständig im Gefecht gefallen, und die ARGUS hatte aufgegeben werden müssen. Der Feind hatte schnell erkannt, wo er die Augen und Ohren der Flotte zu suchen hatte. 

 

Für die Barrakuda-Mission würden die HAMMER und die MEDUSA als Rückendeckung bereit stehen. Zusätzlich würde noch die MILAN als Torpedoschiff dabei sein. Auf ein Spezialschiff wie die ARGUS konnte verzichtet werden, da BARRAKUDA, HAMMER und MEDUSA selbst über Anlagen ähnlicher Qualität verfügten. Die MILAN wurde gerade mit den neuen Ortungssystemen nachgerüstet. Die Zusammenstellung widersprach jeder bisherigen taktischen und strategischen Planung in der Flotte, aber der Stab nahm damit Rücksicht auf die im Gefecht gewonnenen Erkenntnisse. Die neuen Systeme der BARRAKUDA paßten gut in dieses Schema von Offensivkraft kombiniert mit Schnelligkeit, konnten aber nicht schnell genug in die anderen Schiffe der Mission eingebaut werden - vor allem auch deshalb, weil die bisherigen Modulkonzepte nicht dafür vorgesehen waren. Einzig die Ortungsanlagen konnten übernommen werden. Dazu wurden einfach die Sensoren und Scanner gegen die hochwertigeren  ausgetauscht, die auf der ARGUS verwendet worden waren. Die Anpassung der bestehenden Computersysteme reduzierte sich auf ein schlichtes Installieren der neuen Software.

 

Als Drake vor Sarahs Tür ankam, war er etwas nervös. Auf dem 10-minütigen Flug von der Orbitalwerft zu Base One hatte sich das nicht wirklich gebessert. Er hatte vor einigen Sekunden den Türmelder betätigt, doch sie schien sich Zeit zu lassen. Zu einer roten Rose hatte er sich nicht überwinden können, daher war es nur eine rosafarbene geworden, die er hinter seinem Rücken in der Hand hielt. In dieser Hinsicht war er altmodisch, geprägt von der spanischen Seite seiner Eltern. Schließlich öffnete sie doch die Tür. Ein leichtes, frisches Parfum machte sich in seiner Nase bemerkbar. Für ihn war es sich nicht mehr ausgegangen, die Uniform abzulegen, Sarah hingegen trug Zivilkleidung. Das schwarze Kleid umschmeichelte ihre schlanke Figur. Die langen schwarzen Haare trug sie hochgesteckt, doch eine Strähne schlängte sich scheinbar widerspenstig in ihr Gesicht.

 

Sie lächelte sanft: "Hi. Komm rein."

 

Er trat ein und nahm sie sanft in den Arm. Mit dem Fuß schob er die Tür hinter sich zu.

 

"Ich hab dir etwas mitgebracht.", sagte Drake schmunzelnd und hielt ihr die Rose vor die Nase.

 

Sie lächelte nur und küßte ihn so sanft wie am Abend zuvor. Sie lösten sich kurz voneinander, doch Drake zog sie sanft aber bestimmt an sich, und sie küßten sich noch mal - intensiver.

 

"Soviel zum Thema flüchtiger Kuss ... jetzt hast du keine Ausrede mehr für Sanlucar." stellte er nach dem Kuss grinsend fest.

 

"Steve, du bist unmöglich ...", gab sie lachend zurück.

 

"Ich weiß. Wo gehen wir hin? Ich kenne da ein nettes Lokal auf Base One ..."

 

"Wie wäre es, wenn wir einfach hier bleiben?" fragte sie zurück.

 

"Sag bloß, du hast gekocht ..."

 

"Nein, das tue ich dir nicht an." antwortete sie mit einem Augenzwinkern. "Ich habe Essen für zwei und eine Flasche guten Rotwein bestellt. Möchtest du etwas trinken?"

 

"Campari Orange wäre nett. Und du?"

 

"Das gleiche bitte. Du weißt, wo die Bar ist?"

 

"Ja, ich hab schließlich das gleiche Standardquartier wie du."

 

Während sie in der kleinen Küche verschwand, marschierte Drake zur Bar und mixte ihre Drinks. Campari-Orange war als Aperitif immer noch sehr gefragt. Steve gab noch Eis dazu und ging dann mit den beiden Gläsern in die Küche hinüber. Sarah hatte die Rose inzwischen in eine Vase gestellt und entkorkte gerade den Wein - einen australischen Shiraz.

 

Steve bot ihr den Drink an: "Hier, für dich."

 

"Danke"

 

"Kann ich dir irgendwie helfen?"

 

"Ja, das Besteck habe ich vergessen - hinter dir in der linken Lade."

 

"Ok, ich erledige das."

 

Steve fischte aus der Bestecklade zwei Sätze Besteck heraus und legte sie am Esstisch neben den Tellern auf. Sarah schob hinter ihm einen kleinen Servierwagen von der Küche ins Wohnzimmer an den Esstisch. 

 

"Was gibt es denn Feines?"

 

"Klassische Rindsuppe mit Gemüse, danach Entenbrust mit Orangensauce. Als Nachtisch habe ich bei Bedarf noch ein Schoko-Mousse."

 

"Das klingt nach mindestens zwei verschärften Abenden im Fitness-Center." antwortete er lachend.

 

"Tja, das nennt man reichhaltige Ernährung."

 

"Verglichen mit der langweiligen Kost auf den Schiffen, ist es ein Festessen. Vielleicht auch der Grund, warum Flottenangehörige auf der Basis begünstigt einkaufen können."

 

"Gut möglich, dass dieser Gedanke, dabei mitgespielt hat."

 

Drake trat mit dem Glas in der Hand an das Aussichtsfenster. Es nahm fast die ganze Wand des Wohnzimmers ein und konnte segmentweise abgeblendet werden. Sarah gesellte sich zu ihm und sie genossen gemeinsam den ungefilterten Blick auf die Erde aus 400km Höhe. Base One umkreiste die Erde auf einer Äquatorbahn. Sie stand gerade ziemlich genau über dem Central Command Center der Flotte in der Nähe von Tamanrasset. Der Ausblick war einfach großartig. Vor ihnen zogen auf der Nachtseite der Erde Wolken über die Sahara und das Mittelmeer. Über ihnen ragten einige große Schiffe an ihren Dockrampen hinaus in den Weltraum. 

 

Sarah schmiegte sich sanft an ihn, und er legte den Arm um ihre Taille.

 

"Ein unglaublicher Ausblick - die Erde ist ein wunderschöner Planet."

 

"Ich freu mich auf Sanlucar." sagte sie übergangslos.

 

Es verschlug ihm fast die Sprache. Sie hatte ihm gerade indirekt gesagt, daß sie ihn liebte. Ob ihr das bewußt war? Er drehte sich zu ihr: "Ich auch Sarah, ich auch."

 

Einige Momente ließ er die Atmosphäre wirken. Dann sagte er: "Lass uns essen. Den Ausblick haben wir nachher auch noch. Wäre doch schade um die Entenbrust."

 

"Du bist unromantisch." meinte sie nicht ganz ernsthaft.

 

"Also ein Abendessen mit einer bildschönen Frau und dieser Aussicht ist durchaus romantisch, würde ich mal sagen."

 

"Touchè."

 

Während des Essens unterhielten sie sich über Gott und die Welt. Sie stellten fest, daß sie einige gemeinsame Interessen hatten, wie zum Beispiel klassische Musik, die Bilder von Wassily Kandinsky, Motorrad fahren und tauchen. Das wunderte Steve doch etwas. Im Allgemeinen waren Ärzte für gefährliche Freizeitbeschäftigungen eher nicht zu begeistern. Sie sahen beruflich zu oft die Unfallopfer. Als Drake sich Sarah in enger Lederkluft vorstellte, waren seine Gedanken nicht mehr jugendfrei. Sie schien seine gedankliche Abwesenheit zu bemerken.

 

"Steve? Alles in Ordnung?"

 

"Ja, ich war nur mit den Gedanken kurz abwesend."

 

"Einen Credit für deine Gedanken ...", bot sie schmunzelnd an.

 

"Lieber nicht."

 

"Warum? So schlimm?", fragte sie nach.

 

"Könnte gut sein, daß du mir dann eine langst." antwortete er frech grinsend.

 

Sie nippte neckisch an ihrem Weinglas: "Wer weiß ... vielleicht auch nicht." 

 

Drake wurde mit einem Mal heiß, als sie aufstand und zu ihm auf die andere Seite des Tisches kam. Er stand ebenfalls auf und sie küßten sich. Er drückte sie an sich. Sie genoß es sichtlich. Schließlich löste sie sich von ihm und nahm ihn an der Hand: "Komm ..."

Kapitel 8 - Feuertaufe

TSS BARRAKUDA, 18. März 2158, 1000 Uhr Bordzeit

 

Das Schiff war klar zum Auslaufen, so weit wie ein First-Of-Class Schiff dafür eben bereit sein konnte. Drake hatte es aufgegeben, alle Probleme noch vor dem Auslaufen finden zu wollen. Auch Blackhurst hatte die Sinnlosigkeit irgendwann eingesehen, obwohl es eigentlich nicht seine Aufgabe war. Yorgenson und Blackhurst würden irgendwann aneinander geraten, dessen war sich Drake sicher. Die Auffassungen, wie die Dinge zu erledigen seien, waren bei den Beiden einfach zu verschieden. Er würde auf die beiden ein Auge haben müssen, damit sie sich nicht an die Kehle gingen.

 

"Flight Control, BARRAKUDA hier. Ersuchen um Starterlaubnis und Fluchtvektor für Missionsbefehl Gamma-233."

 

"Hier Orbital Dock Flight Control. Sie haben Startfreigabe in 300 mit Vektor 84-211-39. Viel Erfolg, BARRAKUDA."

 

"Danke, Orbital Dock. Sir, wir haben Startfreigabe und Fluchtvektor."

 

"Sehr gut. Navigation, setzen sie Kurs auf unsere Übungspartner am Rand des Asteroidengürtels.

 

"Aye, Captain."

 

An der Operationskonsole meldete sich Blackhurst: "Energieversorgung auf intern umgestellt. Verbindungen zur Dockrampe getrennt. Reaktoren auf Leistung. Alle Schotten dicht. Alle Systeme auf grün."

 

Yamato gab noch einige Kommandos an seiner Konsole ein, dann meldete er sich ebenfalls: "Crew vollzählig an Bord. Crew-Liste an Flottenkommando verschickt. Schiff klar bei Start, Sir."

 

Drake lehnte sich zufrieden zurück. Das Statusmeeting vor zwei Stunden war gut gelaufen. Nur einige kleinere technische Probleme an Bord waren noch ungelöst.

 

"Manövertriebwerke auf Station halten. Impulstriebwerke auf Standby." befahl Drake.

 

Trent schaltete präzise und schnell: "Station halten, Impuls auf Standby. Aye Captain."

 

"Mr. Trent, bringen sie uns sachte vom Dock weg und dann mit 20% Schub auf Kurs. Navigationsdeflektor voll ausfahren. Bei Erreichen des Sicherheitsabstandes zum Raumdock maximalen Schub bis auf 98% Lichtgeschwindigkeit."

 

"Aye, Captain. Aktiviere Manöverdüsen ... Einleitung Wendemanöver ... Impulsantrieb auf 20% ... Aktiviere Kursprogramm."

 

Auf dem Hauptbildschirm verschwand das Orbitaldock scheinbar nach unten, dabei war es die BARRAKUDA, die mit dem Bug noch oben kippte. Trent hatte diese neue Bestie gut im Griff. Als der gesamte Rumpf parallel zur Hauptachse des Docks stand, aktivierte er das Kursprogramm. Der Autopilot schaltete die Impulstriebwerke rücksichtslos hoch auf 20% und ließ das Schiff eine 90° Kurve fliegen. Nach wenigen Minuten war der Sicherheitsabstand von 1000km vom Dock erreicht. Der Vollschub der Impulstriebwerke setzte brutal ein, aber die Maschinen nahmen es gelassen - im Gegensatz zur Besatzung. Die Nervosität war spürbar. Drake war allerdings nicht gewillt, die Maschinen beim Testflug zu schonen. Die Vibrationsdämpfer setzten wie üblich ein paar Augenblicke zu spät ein. 

 

Der Zerstörer schwang herum und ging scheinbar sprunghaft auf Kurs. Wenige Minuten später war das Geschwindigkeitsmaximum mit 98% Lichtgeschwindigkeit erreicht. Jetzt konnte nur mehr ein Eintritt in den Hyperraum die Flugdauer verkürzen. Hyperraumflüge waren allerdings in der ersten Phase noch nicht vorgesehen, daher blieb das Schiff im Normalraum. Die Flugzeit würde ungefähr 20 Minuten betragen.

 

Als Drake kurz an den letzten Abend dachte, glitt ein leichtes Schmunzeln über seine Lippen. Am Morgen war es Sarah und ihm schwer gefallen sich zu trennen, da beide wohl wußten, daß es für mindestens zehn Tage sein würde. Sarah hatte ihm erzählt, dass sie zeitgleich mit ihm an Bord der MEDUSA auf eine geheime Mission gehen würde. Drake begann zu ahnen, daß es die selbe Mission sein würde. Das Leben in der Flotte brachte diese unsicheren Lebensumstände einfach mit sich. Ein geregeltes und dauerhaftes Familienleben war nur den wenigsten Flottenangehörigen vergönnt. Drakes Eltern hatten es irgendwie geschafft. Sein Vater war jahrzehntelang wenig zuhause gewesen. Trotzdem war es ihm irgendwie gelungen, einen engen Kontakt zu den beiden Kindern aufrecht zu erhalten. Seine Mutter war ihrer Tätigkeit als Universitätsprofessorin für Geschichte nachgegangen. Ob Sarah und er dieses Kunststück auch schaffen konnten, war mehr als ungewiß, denn sie waren beide in der Flotte.

 

"Navigation, unser ETA bis zum Treffpunkt?"

 

"16 Minuten und 20 Sekunden, Captain." antwortete Trent.

 

"Kommunikation, melden sie TRIDENT und NEPTUN unsere Ankunft. Taktik, gehen sie auf Emission Control."

 

Die Maschinen des Impulsantriebs kamen zur Ruhe. Computergesteuert ging die BARRAKUDA auf Emission Control, was bedeutete, daß das Schiff so wenig Energie wie möglich nach außen abgab. Funkimpulse wurden zwar empfangen, aber nicht beantwortet. Die Waffen waren deaktiviert und die Zielerfassung mit ihren Ortungsgeräten stillgelegt. Die Aktivierung des Schutzschirms war ebenfalls nicht vorgesehen. Die Energieabstrahlung konnte schon von weitem angemessen werden. Weiters hatte man in Unterlagen über militärische Stealth-Technologie aus dem 21. Jahrhundert einige interessante Techniken und Materialien gefunden, die man konsequent eingesetzt hatte. Dadurch war das Ortungsprofil des Schiffes so schwach geworden, daß man sie selbst mit den neuen Ortungsanlagen der Barrakuda-Klasse nur schwer erfassen konnte. Die Uldat würden sich damit noch wesentlich schwerer tun.

 

Die BARRAKUDA schlich sich sozusagen im freien Fall an die beiden anderen Schiffe heran. Impulstriebwerke konnten nicht benutzt werden. Das wäre auch unsinnig, denn spätestens das grelle Leuchten der Impulstriebwerke würde die Position des getarnten Schiffes verraten. Als sie jenen Bereich erreichten, in dem die eigenen passiven Sensoren die beiden Schiffe orten konnten, erschienen die ersten Anzeichen auf den Ortungsschirmen der BARRAKUDA. Von den anderen Schiffen kam noch keine Meldung per Funk. Sie waren angewiesen worden, sich beim ersten Anzeichen einer Ortung der BARRAKUDA zu melden.

 

"Navigation, wie nahe werden wir vorbeifliegen?"

 

"Genau zwischen den beiden Pötten durch, Sir. Minimaldistanz 2000 Meter in 60 Sekunden."

 

"Ich hoffe sie haben sich bei der Berechnung nicht verschätzt, sonst machen wir in eines der Schiffe ein schönes Loch." meinte Drake.

 

Trent grinste: "Das würde uns auch nicht gut tun, Captain. Liegt also im Eigeninteresse, das zu vermeiden."

 

Drake lehnte sich im Kommandosessel zurück: "Taktik, bei Minimaldistanz Emission Control aufheben."

 

"Aufhebung in 3 ... 2 ... 1 .... jetzt!"

 

"Navigation, Rückkehrbahn zum Treffpunkt mit Stillstand einleiten. "

 

"Umkehrbahn eingeleitet. Acht Minuten bis Stillstand. Entfernung zur TRIDENT danach zehn Kilometer."

 

"TRIDENT an BARRAKUDA! Drake sie Verrückter! Sie sind 1990m von uns entfernt vorbeigedonnert!" brüllte jemand an Bord der TRIDENT ins Mikrofon.

 

Drake grinste wie ein Schuljunge, als er sich etwas zu seinem XO Yamato hinüberlehnte. Laut genug, daß es jeder auf der Brücke hören konnte, meinte er: "Captain Felbs neigt etwas zum Übertreiben, meinen sie nicht Commander?"

 

"Es steht mir nicht zu Senior Offiziere zu kritisieren, Sir." gab Yamato mit einem verdächtigen Zucken um die Mundwinkel zurück.

 

"Achja, stimmt. Kommunikation, öffnen sie die Verbindung mit der TRIDENT, sonst platzt Captain Felbs noch vor Ärger.

 

"Kanal offen, Captain.", meldete sich die schlanke Chinesin.

 

"Guten Morgen Captain Felbs. Von Donnern kann keine Rede sein, wir sind ohne ein einziges Quäntchen Schub an ihnen vorbeigeschwebt. Unser Navigator gehört angeblich zu den besten. Ich wollte einfach herausfinden, ob das auch stimmt."

 

"Wie heißt der Irre?"

 

"Lieutenant Bradley Trent, und er ist definitiv nicht irre, Sir." Das "Sir" hatte er ganz bewußt betont. Drake mochte es nicht, wenn jemand Leute unter seinem Kommando verbal angriff. Felbs schien es zu bemerken.

 

"Trent, auch das noch. Der Schrecken aller Flight Controller ... aber ansonsten ein guter Mann."

 

"Haben ihre Ortungspezialisten irgendetwas mitbekommen?" wechselte Drake das Thema.

 

"Zu meinem Leidwesen nein. Erst als sie mitten unter uns waren."

 

"Da haben wir die Emission Control aufgehoben. Genauso gut hätten wir in diesem Moment auch Schiff-Schiff-Raketen abfeuern können."

 

"Ich habe es fast befürchtet. Der neue Stealth-Modus ist großartig. Sind sie bereit für die Tests?"

 

"Ja. Wir haben im Dock noch einige Kinderkrankheiten gefunden. Sie kennen das ja bei neuen Schiffsklassen."

 

Felbs nickte verstehend: "Na dann wollen wir doch gleich starten und die letzten davon auch noch eliminieren."

 

Damit starteten sie das für Crews und Schiffe anstrengende Test- und Übungsprogramm.

 

Planet Uldat 2, Hauptquartier der Imperialen Flotte

 

Admiral Klidan marschierte in seinem Büro vor der Front an strategischen und taktischen Kartenprojektoren auf und ab. Die vielen Missionen zum Auffinden der mysteriösen Fremden, die scheinbar irgendwie mit den Kanaern nahe verwandt waren, hatten bisher keine Ergebnisse gebracht. Er wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis die Flotte sie fand, aber Zeit war etwas, was ihm der Imperator nicht zugestehen wollte.

 

Dabei gab es nach Klidans Ansicht im Imperium weit dringendere Probleme militärischer Natur. Sie verloren immer wieder einzelne Schiffe verschiedenster Größe an einen unbekannten Gegner. Nachforschungen hatten bisher zwar einige Indizien Richtung der Kruhl ergeben, aber keine definitiven Beweise. An der Ostseite des Imperiums gab es immer wieder Probleme mit den Schiffen der Zalden. Die riesigen Generationenschiffe dieser Weltraumnomaden waren allein schon aufgrund ihrer Größe ein ernstes Problem. Wirklich dingfest machen konnte man die Zalden auch nicht, da sie keinen Heimatplaneten besaßen. Man wußte nicht einmal, ob sie irgendeinen Punkt in der Galaxis hatten, an dem sie sich gelegentlich trafen. Neben den Zalden gab es noch ein gutes Dutzend anderer Krisenherde, die aber vom Imperator ignoriert wurden, sobald es auch nur irgendeinen Hinweis auf Kanaer in der Galaxis gab. Dabei war der fast wiedergefundene Zweig der Kanaer wohl militärisch unbedeutend, denn keines der den Uldat bekannten Völkern kannte dieses neue Volk oder hatte auch nur davon gehört.

 

In dieser Hinsicht verstand Großadmiral Klidan den Imperator nicht. Die Verbohrtheit des Imperators war unerklärlich. Schon mehrmals in der Geschichte der Uldat war aus der zwanghaften Verfolgungswut der Imperatoren gegen die Kanaer dem Imperium als Ganzes ein Nachteil entstanden. Manche waren harmlos gewesen, andere jedoch nicht. Der Imperator war in dieser Hinsicht genauso wenig zugänglich für logische Argumente wie seine Vorgänger. Diesen Kurs fuhren die Imperatoren nun schon seit fast 12.000 Jahren.

 

Die Schlacht während der Nangir-Mission war zwar taktisch ein Erfolg gewesen, aber das strategische Ziel hatte trotz allem nicht erreicht werden können. Der Heimatplanet des neuen "Feindes" war im Dunkel des Raums verborgen geblieben. Wobei sich Klidan nicht sicher war, ob das neu entdeckte Volk überhaupt ein Feind war, aber das durfte er offiziell nicht einmal denken. Diese Gedanken führten recht schnell zu einer Hinrichtung, sollte er sie jemals aussprechen.

 

Die Tür ging auf und sein Sekretär kam herein:"Admiral, der Bericht den sie wollten ..."

 

"Danke."

 

Er nahm das Datenpad entgegen und studierte den Bericht. Es handelte sich um die Verlustzahlen der Nangir-Mission. Sie hatten acht Schiffe verloren und auch auf den zurückgekehrten Einheiten hatte es schwere Verluste und Schäden gegeben. Vier weitere Schiffe würden wohl verschrottet werden. Nun, Schiffe waren ersetzbar, daran störte sich Klidan nicht.

 

Die Verluste an qualifizierten Mannschaften waren allerdings nicht so einfach auszugleichen. Gründe dafür gab es mehrere. Das Imperium war nicht ganz so stabil wie es sich selbst den Anschein gab. Es gab immer wieder ein Aufflackern von Widerständen. Dazu kam noch die unglaubliche Ausdehnung des Imperiums selbst. Mit einer ungefähren Ausdehnung von 2.000 mal 150 mal 150 Lichtjahren hatte das Imperium eine Ausdehnung erreicht, wo sich selbst die 100.000 Schiffe der Flotte recht schnell  im Raum verloren. Auch Bedrohungen von außen gab es. An der Ostgrenze stellten die insektoiden Ch'tar mit ihren riesigen Flotten und ihrer Schwarmmentalität eine wachsende Bedrohung dar. Aus den Tiefen der Galaxis kamen immer wieder fremdartige und völlig unbekannte Wesen. Manche waren friedlich, andere wiederum waren äußerst kriegerisch und mußten ihre Lektion erst lernen. Erst vor zwei Jahren waren die biomechanischen Ptogan aus dem Sagittarius-Hauptarm der Milchstraße im Imperium aufgetaucht und hatten eine Menge Ärger verursacht. Die Flotte hatte sie zurückgedrängt und ihnen einige harte Niederlagen zugefügt, aber vernichtet oder zumindest ruhig gestellt war diese Rasse nicht.

 

Was ihn also wirklich störte, war das strategische Unvermögen des Imperators das Gesamtbild zu sehen. Er wußte, daß auch einige andere hochrangige Flottenoffiziere dachten wie er. Sie hatten sich nicht geäußert, aber man bekam mit den Jahrzehnten ein gutes Gespür für Leute, wenn man ständig mit ihnen zu tun hatte. Trotzdem lag es an ihm, den Imperator in strategischer Hinsicht so weit es eben ging - der Grad der möglichen Einflußnahme hielt sich sehr in Grenzen - zu lenken. 

 

So erstellte Klidan wieder einen Bericht über die mißglückte Operation bei Nangir. Natürlich nahm er den Kommandanten insofern in Schutz, daß er die zweifellos vorhandenen Erfolge ausführlichst beschrieb. Sie hatten wertvolle Daten über Technik und Strategie des Feindes sammeln können. Das Ziel der feindlichen Operation konnte nicht vereitelt werden, aber das war auch nur eines der eigenen Nebenziele gewesen.

 

Primäres Missionsziel war das Auffinden des Heimatplaneten gewesen. Die Fremden hatten sich auf ihrer Flucht geschickt der Ortung entzogen, indem sie einfach eine Strecke im Hyperraum zurücklegten, die lang genug war, um am Ausbruchspunkt von den Uldat-Einheiten nicht geortet werden zu können. Das Problem waren also in Wirklichkeit die schlechten Ortungsgeräte der Uldat-Flotte. Woher die Fremden über die Leistungsdaten der Uldat-Ortungsanlagen so gut Bescheid wußten, konnte er nur vermuten. Sollten sie wirklich mit den Kanaern verwandt sein, dann bestand die Möglichkeit, daß sie die Informationen von ihren Verwandten erhalten hatten. Demnach mußten sie auf Nangir lebende Kanaer gefunden haben oder deren Computer geknackt haben. Zweiteres erschien unwahrscheinlich, denn die Kananer hatten es schon immer verstanden, ihre Computersysteme gut abzusichern. Diese Tatsachen hatten auch zu der Annahme geführt, daß die Fremden Artgenossen der Kanaer waren.

 

Derzeit lag eine große Kampfgruppe um Nangir und untersuchte die Explosionsstelle. Bisher waren die Nachforschungen aber umsonst gewesen. Das Analyseteam am Boden hatte so gut wie jeden Stein umgedreht und nachgesehen. Mit modernsten Methoden, waren Messungen durchgeführt worden, die zumindest eine Rekonstruktion des Stützpunktes ermöglicht hatten. Aus diesen Daten war dann recht deutlich hervorgegangen, daß es sich um einen besonderen Bunker gehandelt haben mußte - die Anordnung der Räume und Decks ließ keinen anderen Schluß zu. Die Kampfgruppe aus 60 Schiffen würde zur Sicherheit noch eine Weile dort bleiben und die Umgebung beobachten.

 

Innerlich verfluchte Klidan die Flotte von damals, daß sie den Mond nicht komplett zerstört hatten, aber es ergab natürlich wenig Sinn, der verpaßten Gelegenheit nachzutrauern. Er war ein pragmatischer Uldat, daher nahm er die Tatsache als gegeben hin und richtete sein Verhalten danach. Er hatte bereits Befehl gegeben, dieses Versäumnis zu korrigieren.

 

TSS BARRAKUDA, 25. März 2158, 1915 Uhr Bordzeit

 

Die Tests waren bisher gut verlaufen. Einige kleinere Probleme technischer Natur traten auf, konnten aber recht schnell gefunden und beseitigt werden. Die letzten beiden Tage waren dem Antriebssystem vorbehalten. Ein Hyperraumflug über das Maximum der Entfernung sollte durchgeführt werden. Dabei ging es einerseits um die Zuverlässigkeit des Antriebs an sich, anderseits aber auch um die erreichbare Genauigkeit der Zielkoordinaten eines Hyperraumfluges. Die Ingenieure versprachen eine Verbesserung der Genauigkeit um 95%. Das war eine Abweichung von maximal einer Lichtstunde bei einer Entfernung von 50 Lichtjahren. Darüber hinaus wurden die Abweichungen so groß, daß es ratsam war, die Distanz eines Fluges zu reduzieren.

 

Drake erinnerte sich an die EXPLORER-Mission. Das ursprüngliche Ziel war der Stern 18 Scorpii gewesen. Aufgrund der Ereignisse auf Nangir hatten sie den Stern aber nie erreicht und die ursprüngliche Mission in der Folge abgebrochen. Er hatte vor, die Mission zumindest mit einem Testflug endgültig abzuschließen. Das Flottenkommando war selbstverständlich über sein Vorhaben informiert.

 

Die beiden Übungspartner TRIDENT und NEPTUNE würden zurückbleiben, denn für den Rest der Tests wurden sie nicht benötigt. Derzeit war Drake mit Yamato auf dem Weg zur TRIDENT. Sie wollten die bisherigen Übungen mit einem gemeinsamen Abendessen aller Captains und ihrer XOs beschließen. Als sich hinter dem Shuttle die Dockbucht wieder schloß, bekam Drake den ersten Eindruck von der TRIDENT. Ein Sicherheitsoffizier der TRIDENT erwartete sie bereits.

 

"Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen." fragte Drake traditionell an, als er das Shuttle verlassen hatte.

 

"Erteilt. Willkommen an Bord Commanders. Ich bin Ensign Francesco Cavaliere. Darf ich sie in den Konferenzraum führen?"

 

"Gern Ensign. Gehen sie voran. Sind die Herren von der NEPTUNE schon an Bord?"

 

"Ja, Captain. Captain Szabo und sein XO Commander Petrow sind vor einigen Minuten eingetroffen."

 

Er war noch nie an Bord eines Schlachtschiffes gewesen. Alles schien hier größer zu sein. Das Shuttle wurde gerade wie ein Frachtstück automatisch auf einem freien Abstellplatz verstaut. In dem Hangar mit 58 weiteren Shuttles und Jägern fiel ihres gar nicht mehr auf. Die TRIDENT war sechs mal so lang wie die neue BARRAKUDA. Als er schließlich den Konferenzraum betraten, lernte Drake auch die Kommandanten und deren Stellvertreter von ihren Übungspartnern kennen.

 

Der junge Ensign stellte die anwesenden Offiziere einander vor, dann machte er sich davon und schien erleichtert zu sein, daß er dieser Ansammlung von Kommando-Offizieren entkommen konnte. Felbs nahm daraufhin seine Rolle als Gastgeber wahr und führte die Kollegen an den gedeckten Tisch. Trotz der technischen Umgebung eines Raumschiffes schaffte es fast jede Besatzung, dem eigenen Schiff auch eine eigene Atmosphäre aufzuprägen. Felbs war der australische Typ, und seine Mannschaft schien ähnlich gestrickt zu sein. Lockerer Umgang miteinander kennzeichnete scheinbar das Schiff. Drake selbst schätzte ebenfalls einen entspannten Umgang mit seiner Crew, aber so entspannt wie Felbs, wollte er die Sache dann doch wieder nicht angehen. Der Ausgleich schien sein XO zu sein. CDR Torsten Bergmann machte den Eindruck, daß er außer der Diensterfüllung keinen Sinn im Leben sah. Seine Bewegungen waren schneidig und exakt, seine Sprache ebenfalls. Wie er und Felbs miteinander zurecht kamen, konnte sich Drake nicht vorstellen. Bei CAPT Erik Szabo und seinem XO CDR  Sergei Petrow schien es sich um ein Team auf der gleichen Wellenlänge zu handeln. Der russischstämmige Petrow war im Grunde eine Seele von Mensch mit einer gehörigen Portion Mißtrauen gegen Fremde, kam aber als etwas hölzern und rauh bei den Leuten an. Szabo war eher der intellektuelle Typ. Sein ungarisches Temperament blitzte hin und wieder in seinen Augen durch.

 

Captain Felbs bat die Kollegen zum Essen, nachdem sich alle irgendwie in Fachgespräche zu vertiefen begannen. Ein Steward trug das Essen auf. Der leichte Weißwein zum Fisch hob die Stimmung etwas. An sich gab es auf Flotteneinheiten ein Alkoholverbot, aber gelegentlich drückte man ein Auge zu. Der kommandierende Offizier konnte das Alkoholverbot auch zeitweilig aussetzen.

 

Während des Essens glitten sie bald wieder in technische Fachgespräche ab. Felbs schloß sich ebenfalls an.

 

"Also Drake, jetzt erzählen sie mal, wie sich dieses neue Biest anfühlt. Die technischen Daten kennen wir ja ungefähr, auch wenn wir die genauen Spezifikationen noch nicht einsehen dürfen."

 

"Sie würden staunen, Captain. Die technischen Daten sind natürlich beeindruckend, aber das wirklich geniale an diesem Schiff ist die Computerunterstützung. Sie ermöglicht ein Zusammenspiel der Systeme mit einer Effizienz, die meiner Meinung nach schon die halbe Miete der ganzen Geschichte darstellt. Der ausfallsichere Computerverbund hat eine Systemintegration erreicht, die gewaltige Vorteile bietet. Die Besatzung konnte um 22 Mann reduziert werden und die Marines gleichzeitig um sechs Soldaten erhöht werden. Macht netto gesehen 16 Mann weniger an Bord bei gleichzeitiger Stärkung der Bodenkampfkraft um 50%. und wir sind noch nicht einmal sonderlich geübt in der Anwendung."

 

"Klingt gut. Aber dafür sind sie auch anfälliger für Personalverluste oder?" fragte Captain Szabo.

 

"Generell gesehen haben sie recht, Captain. Aber unsere Missionsprofile benötigen keine oder eben sehr selten Außenteams. Für Boarding-Aufgaben sind die Marines ohnehin die bessere Wahl. Für echte Gefechte ist die Klasse auch nicht vorgesehen. Wir sollen schnell zuschlagen und noch schneller verschwinden."

 

Commander Petrow war der neuen Klasse gegenüber eher reserviert:"Und das Schiff selbst? Sie haben uns ja mächtig eingeheizt, Commander."

 

"Was uns in der Gefechtssimulation geholfen hat, waren die Agilität des Schiffes und der Stealth-Modus. Sie fliegt sich viel intuitiver und agiler als ein anderer Zerstörer; fast wie eine Korvette. Es ist gewöhnungsbedürftig dieses Schiff zu steuern. Sie ist sehr sensibel und reagiert unmittelbar auf Steuerimpulse. Unser Pilot brauchte nur zwei Stunden, bis er den Dreh raus hatte, aber Trent ist in dieser Hinsicht auch ein eigenes Kapitel. Ich denke andere Piloten benötigen sicher eine intensive Eingewöhnungsphase."

 

"Wie schafft der Kerl das?" wollte Felbs wissen.

 

"Er meinte, man muß die Barrakuda-Klasse wie einen Atmosphärenjäger steuern, dann käme man recht schnell damit zurecht."

 

Commander Bergmann lehnte sich etwas zurück: "Typisch Trent. Er hat nicht umsonst alle militärischen Fluglizenzen, die es gibt. Yamato hat ihn sicher deswegen ausgesucht. Mit seiner laxen Dienstauffassung werden sie aber auch leben müssen Captain Drake."

 

"Trent scheint zwar dafür bekannt zu sein, aber bisher konnte ich davon nichts bermerken. Warum das so ist, weiß ich allerdings auch nicht. Sobald er am Steuer sitzt, ist er in jeder Hinsicht Profi, Commander. Mir scheint, Trents Ruf stimmt einfach nicht. " merkte Drake an.

 

Damit hatte Drake das Thema fürs Erste erledigt. Trent schien wirklich ein heißes Eisen in der Flotte zu sein. Vielleicht war Trent einmal irgendjemandem in der Flotte auf die Füße getreten. Seiner Meinung nach stimmte hier etwas nicht. Er würde über dieses Thema noch ein Gespräch mit seinem XO Yamato führen - in der Folge vielleicht auch mit Trent selbst. 

 

"Sie haben noch drei Tage Zeit für Tests, Drake. Was werden sie unternehmen?" wollte Szabo wissen.

 

"Wir werden das ursprüngliche Ziel der EXPLORER-Mission den Stern 18-Scorpii anfliegen. Admiral Yamato hat den Vorschlag genehmigt. Wir kommen dabei auch recht nahe an History vorbei, was uns einen Blick auf etwaige Aktivitäten dort ermöglichen sollte."

 

Szabo hob eine Augenbraue: "Oh, das klingt aber nicht gerade ungefährlich. Ich könnte mir vorstellen, daß die Uldat-Flotte bei History noch Beobachter oder gar einen ganzen Verband stehen hat."

 

Yamato meldete sich zum ersten Mal an diesem Abend zu Wort: "Wir gehen davon aus, daß dort immer noch ein Verband liegt - auch mit spezialisierten Ortungsschiffen. Wir werden sehr vorsichtig sein. Der Einsatzbefehl legt ausdrücklich fest, daß wir entsprechende Informationen von History zurückbringen."

 

Drake nickte zu Yamatos Aussage: "Ja. Wenn dabei etwas schief geht, werden wir eben recht schnell verschwinden müssen. Wir haben Befehl nur dann zu schießen, wenn es zur Selbstverteidigung unbedingt sein muß."

 

Felbs nahm einen Schluck von seinem Weinglas: "Gibt es im Sternkatalog der Kanaer irgendwelche Informationen zu 18-Scorpii?"

 

Die Informationen waren an sich nicht geheim, so ergriff Yamato die Initiative, als Drake nicht antwortete: "Ja, gibt es Sir. Sieben Planeten, Nummer 3 und Nummer 4 sind in der HZ. Die Planeten haben jeweils mehrere Monde. Pflanzliches und tierisches Leben auf Kohlenstoffbasis gibt es auf beiden HZ-Planeten, Intelligenz aber nicht. Nummer 4 ist vor 36 Jahren von den Zalden für einige Jahre besetzt gewesen. Sie haben den Planeten kurzzeitig als Stützpunkt genutzt, ihn aber nach ungefähr 20 Jahren wieder geräumt. Niemand weiß warum. Ansonsten sollte das System sauber sein."

 

"Hm, klingt irgendwie eigenartig. Die Zalden sind doch seit ewigen Zeiten schon als Weltraumnomanden bekannt und dann besetzen sie kurzfristig einen Planeten?" warf Bergmann ein.

 

Drake legte die Serviette beiseite: "Ja, hört sich etwas geheimnisvoll an. Die Zalden tun an sich nichts ohne guten Grund. Umso mehr sollten wir uns dort genau umsehen. Ob die Zeit dafür allerdings reichen wird, ist eine andere Geschichte. Aber vielleicht finden wir genug, um eine Folgemission zu rechtfertigen. Das wäre schon ein Erfolg."

 

"Wie sieht es mit dem Wissenschaftsbereich der BARRAKUDA aus Commander?" fragte Szabo.

 

"Kurz und bündig gesagt, ist der Bereich nicht vorhanden. Wir haben eine Krankenstation mit biologisch-medizinischen Analysemöglichkeiten und einige sehr rudimentäre Möglichkeiten im physikalischen und chemischen Bereich. Der Personalstand erlaubt auch nicht mehr. Die Barrakuda-Klasse ist per se als rein militärische Einheit konzipiert." gab Drake zurück.

 

So setzte sich die Unterhaltung noch einige Zeit fort, bis Felbs als dienstältester Offizier das Treffen auflöste. Die beiden Shuttles verließen die TRIDENT und brachten die Offiziere wieder zu ihren Schiffen zurück.

 

Als Drake spät Abends - nach Bordzeit - wieder auf der BARRAKUDA war, setzte er ein Briefing für den folgenden Morgen um 0800 an und verschickte den Termin gleich an alle Führungsoffiziere.

 

Der Auftrag, bei History Daten zu sammeln, bereitete ihm zwar nicht unbedingt Kopfzerbrechen, aber sie würden vorsichtig sein müssen. Die Erkundung von 18 Scorpii würde eine Art Blitzerkundung sein, denn für mehr fehlten ihnen sowohl Zeit als auch Equipment. Andererseits mußten sie nach dem ehemaligen Stützpunkt der Zalden nicht lange suchen, die Position war bekannt. Das hieß aber auch, daß dort wahrscheinlich schon eine Menge Leute gesucht hatten. Die Zalden verfügten über einige interessante Technologien, die sie nicht mit anderen Völkern zu teilen gewillt waren. Vielleicht würden sie sogar auf irgendwelche Schatzsucher stoßen. Auch diese Möglichkeit mußte einkalkuliert werden.

 

TSS BARRAKUDA, 23. März 2158, 0800 Uhr Bordzeit

 

Die Führungsmannschaft des Schiffes trudelte im Besprechungsraum ein. Selbst Trent war pünktlich.

 

Drake traf als Letzter in den Besprechungsraum und eröffnete noch im Stehen die Sitzung: "Guten Morgen!" Dann bat er die Offiziere Platz zu nehmen und setzte sich auch selbst.

 

"Sie alle kennen den Befehl für unsere Tests. Die letzte Phase sieht einen Erkundungsflug nach 18-Scorpii über History vor. Wir werden History auf dem Hinweg anfliegen. Des weiteren müssen wir mit einer Uldat-Präsenz im System rechnen. Wie diese aussieht, können wir nicht sagen Es kann sich um einen Ortungssatelliten oder auch um einen Flottenverband handeln. Entsprechend vorsichtig müssen wir vorgehen. Mr. Yorgenson, wie lange können wir im Stealth-Modus bleiben, wenn wir bis auf Lebenserhaltung, Computer und passive Ortung alles auf Standby schalten?"

 

Der Chefingenieur nahm seinen Tablet-Computer zur Hand und schien einige Berechnungen anzustellen, bevor er antwortete: "Das Maximum würde ich mit acht Stunden veranschlagen Captain. Aber das ist dann wirklich das Ende der Fahnenstange. Ab diesem Zeitpunkt ist mit Problemen für Besatzung und Schiff zu rechnen."

 

"Ok, damit läßt sich schon etwas anfangen. Ms. Marconi, wie nahe müssen wir an History ran, um brauchbare Daten zu bekommen?"

 

"Kommt darauf an, was sie alles wissen wollen, Captain. Wenn sie Daten von der Oberfläche brauchen, dann müssen wir auf eine Lichtsekunde rangehen - alles andere würde nichts bringen. Brauchen wir aber nur eine taktische Übersicht von Raumschiffen, dann sollten fünf Lichtsekunden reichen. Aber je näher, desto besser."

 

"Gut. Ich denke, die Aktivitäten an der Oberfläche werden sich in Grenzen halten, da dort nichts mehr zu holen ist. Der Stützpunkt ist vollkommen zerstört. Aus diesem Grund werden wir uns das ersparen und uns auf die taktische Übersicht beschränken. Mr. Trent, kriegen sie eine Kurskalkulation hin, sodaß wir im freien Fall mit Maximalgeschwindigkeit durch das System gleiten können?"

 

"Das läßt sich machen, Sir. Ich sehe dabei nur ein Problem. Wir wollen ja unbemerkt bleiben. Wenn aber dann zufällig genau ein Schiff oder ein anderes Objekt auf unserem Kurs liegt, müssen wir manövrieren. Damit wären wir entdeckt. Das kann ich im Vorfeld nicht berücksichtigen. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber doch vorhanden."

 

Drake lehnte sich im Sessel zurück: "Ja, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben. Aber selbst dann können wir kurz die Triebwerke aktivieren. Klar ist, daß wir uns dann nicht nur deutlich bemerkbar machen, sondern auch noch einiges über unsere Stealth-Technologie preisgeben. Damit werden wir leben müssen."

 

Yorgenson ergriff das Wort: "Captain, Zu ihrer Anfrage wegen des Computerverbundes. Alle drei Systeme sind mittlerweile gegen unberechtigten physischen Zugriff gesichert. Die Sicherung löscht alle Daten und zerstört die Hardware endgültig. Der Prozess wird mittels eines sehr begrenzten EMPs auf der Datenbusleitung realisiert."

 

"Hört sich gut an. Wir werden uns das dann zusammen mit Commander Blackhurst anschauen. Mir ist einerseits die Sicherheit wichtig, aber andererseits muß es einfach genug zu bedienen sein, daß hier keine ungewollte Selbstzerstörung passiert. Und der Befehl soll von einem der drei Kommando-Offiziere über irgendeine Konsole widerrufen werden können. Ein manueller Auslöser sollte auch eingerichtet werden."

 

"Wird erledigt Sir."

 

"Ms. Xilai, bereiten sie die Com-Station für eine Breitbandaufzeichnung auf allen Frequenzen für Audio und Video vor. Die Sendeprotokolle der Uldat finden sie in der Datenbank. Sobald wir im System sind, werden wir alles protokollieren und aufzeichnen. Die Analytiker zuhause sollen sich dann die Köpfe über die Auswertung und die Interpretation der Daten zerbrechen, also halten sie sich damit gar nicht erst auf."

 

"Aye Captain. Ich nehme an, sie wollen die Hyperraumfrequenzen auch überwachen?"

 

"Ja, auch wenn sich da nicht allzu viel tun wird. Sollte wirklich eine Flotte im System stehen, dann wird sie wohl eher auf den Normalfunkkanälen kommunizieren. Aber man weiß ja nie."

 

Xilai nickte: "Gut, dann werde ich mich anschließend gleich an die Arbeit machen."

 

Drake war mit seinem Team zufrieden. Sein positiver erster Eindruck schien sich zu bestätigen.

 

"Nun zu den Details. Ich möchte ausserhalb des Systems im Kuipergürtel aus dem Hyperraum kommen. Die Uldat-Ortung ist zu schwach, um uns draussen noch erfassen zu können. Für ihre Spezialortungsschiffe haben wir dann auch zu wenig Masse. Dann werden wir parallel zur Ekliptik aber knapp drei Lichtsekunden darüber im freien Fall und unter Tarnung durch das System rauschen. History selbst werden wir nicht für einen Sensordurchgang anfliegen. Nach der Größe des Systems sollten wir in sechs Stunden durch sein. Auf der anderen Seite des Systems verschwinden wir wieder in den Hyperraum. Hat jemand Vorschläge oder Anmerkungen dazu?"

 

"Ja Sir." meldete sich Marconi. "Sollten wir nach der Durchquerung nicht eine oder auch zwei Stunden bleiben und beobachten? Wenn sie uns irgendwie erfassen können, sollte eine Reaktion erfolgen. Verschwinden können wir dann immer noch. Dann wären wir zumindest sicher, was die Wirksamkeit des der Stealth-Technologie angeht."

 

"Guter Gedanke, Ms. Marconi. Mr. Trent?" sprach Drake ganz bewußt den Navigator an.

 

"Kein Problem soweit. Ich muß nur den Anflugvektor so legen, daß wir an History vorbeikommen und eine Draufsicht auf den Planeten und seine Monde haben. Des weiteren sollten wir auch an der Sonne vorbeifliegen. Wenn sie dort Schiffe stationiert haben, können wir sie sonst nicht entdecken."

 

"Hört sich vernünftig an. Bis wann kann ich den Flugplan haben, Mr. Trent?" wollte Drake wissen.

 

"Der Flugplan selbst ist nicht das Problem Sir. Aufgrund der ständigen Bewegung der Objekte im Weltraum ist eher das Einhalten des Startzeitpunkts das Kriterium. Fliegen wir erst ein paar Minuten später los, als der Flugplan vorsieht, könnte es Probleme geben. Weiters kommt es auch darauf an, wo uns der Hyperraum wieder ausspuckt."

 

"Verstehe. Gut, dann errechnen sie mir drei Pläne mit den eben genannten Parametern mit einem Unterschied bei den Startzeiten von 15 Minuten. Die Kursprogramme sind gleich einzugeben. Der Startpunkt ist der Endpunkt unseres Hyperraumfluges und muß für alle Pläne gleich sein - suchen sie sich zusammen mit Marconi einen passenden Punkt am Rande des Systems. Wir werden den Punkt dann exakt ansteuern, sobald wir den Hyperraum verlassen haben und aus dem Stillstand starten."

 

"Aye Captain. Ich denke das läßt sich in ungefähr zwei Stunden bewältigen. Unser Hyperraumflug nach Gliese 581 wird etwas über 19 Stunden dauern. Ich setze den ersten Flugplan auf 2 Stunden später an. Dann können wir uns in Ruhe darauf vorbereiten."

 

"Soll mir Recht sein. Wir haben keine Eile. Die Erkundung von 18-Scorpii ist nicht so dringend. Mir ist unsere Sicherheit wichtiger. Gut, wenn es sonst keine Fragen mehr gibt, dann an die Arbeit. Den Hyperraumflug nach Gliese 581 starten wir um 1000 Bordzeit."

 

 

 

Die Besprechung löste sich auf, als die Offiziere den Raum verließen. Zu tun gab es genug für alle, denn die Besatzung war klein und die Arbeiten für einen Hyperraumflug waren auf einem kleinen Schiff die gleichen wie auf einem großen. Blackhurst beaufsichtigte die Vorbereitungen, die direkt mit ihrer neuen Heimat der TSS BARRAKUDA zu tun hatten. Yamato kümmerte sich um die übergeordneten Angelegenheiten und die Crew.

 

 

 

Drake schickte per Funk noch eine kurze Nachricht an Sarah. In den letzten Tagen hatte er dafür keine Zeit gefunden. Dann nahm er sich die Testprotokolle und Berichte der einzelnen Arbeitsgruppen vor. Als Trent ihn ansprach war er gerade in das Studium der Waffentests vertieft. Die Schiff-Schiff-Raketen hatten sich gut bewehrt gegen die beiden Schlachtschiffe. Die KUDA, wie ihr Schiff mittlerweile schon von einigen aus der Crew kurz genannt wurde, hatte sich erstaunlich lange gegen die beiden Schlachtschiffe halten können. Nach einiger Zeit aber hatte sich einfach der Größenvorteil der beiden Übungsgegner bemerkbar gemacht. Die virtuellen Schiffsmagazine waren irgendwann leergeschossen gewesen und der Schutzschirm hatte darauf hin recht bald und konstant an Energie verloren. TRIDENT und NEPTUNE hatten allerdings auch einiges an simulierten Schäden einstecken müssen. Die NEPTUNE war in der Simulation so schwer beschädigt worden, daß man sie nach einem solchen Gefecht realistischer Weise verschrotten würde. Captain Szabo hatte es mit Fassung getragen und war noch vor dem Treffen an Bord der TRIDENT an die Analyse der Gefechtsdaten gegangen. Die TRIDENT hatte den Hyperantrieb und den Schutzschirm verloren. Der Impulsantrieb war nur mehr auf 40% Leistung. Die Offensivbewaffnung hatte 25% eingebüßt.

 

 

 

Die KUDA war in dieser letzten Simulation zwar zerstört worden, aber für Drake war das ein sehr gutes Ergebnis gegen zwei schwer bewaffnete Schlachtschiffe der Stingray-Klasse, von denen eines schon sechs mal so lang war wie sein eigenes Schiff. Die Beweglichkeit der KUDA und der Stealth-Modus hatten sich als Schlüsselelemente für das lange Überleben in diesem Gefecht erwiesen. Immer wieder hatten  sie es geschafft dem Zangenangriff der beiden Schlachtschiffe durch Tarnung und überraschende Manöver zu entkommen oder sich selbst in eine gute Angriffsposition zu bringen.

 

"Sir? Flugplan für History erstellt und eingegeben. Wir können starten."

 

"Gut. Starten sie nach eigenem Ermessen."

 

"Aye, Skipper." antwortete Trent ohne sich noch einmal nach Drake umzudrehen. Er ließ den Manöveralarm aufheulen. Eine Minute später gab Trent Vollschub auf die Impulstriebwerke und aktivierte das Kursprogramm. Drake zog etwas verwundert eine Augenbraue hoch, als er die neue Anrede hörte. Die Bezeichnung Skipper entsprach definitiv nicht dem Flottenkodex für den korrekten Umgang mit kommandierenden Offizieren, aber er war flottenweit bei Offizieren in Gebrauch, die die Persönlichkeit und fachliche Kompetenz ihrer Einheiten-Kommandeure schätzten und respektierten.

 

"Mr. Trent, sobald sie abkömmlich sind, möchte ich sie gern kurz im Bereitschaftsraum sprechen."

 

"Aye, Sir, geben sie mir noch ungefähr fünf Minuten."

 

"Hat keine Eile. Das Schiff ist wichtiger. Mr. Yamato, sie haben die Brücke. Ich bin im Bereitschaftsraum." Yamato übernahm darauf hin Drakes Platz.

 

Als es an der Tür des Bereitschaftsraumes läutete, blickte Drake auf und ließ den Besucher ein. Trent kam an den Tisch und nahm Haltung an.

 

"Setzen sie sich doch, Lieutenant."

 

"Danke, Sir."

 

"Mr. Trent, scheinbar jeder Offizier in der Flotte mit einem Rang höher als ihrer hat eine etwas eigenartige Meinung von ihnen. Mir wäre am liebsten, sie könnten mir das erklären."

 

"Es betrifft aber meine Privatsphäre, Captain." gab Trent sehr förmlich zurück. Drake horchte gleich auf, denn Trent war beileibe kein förmlicher Mensch.

 

"Sie müssen nicht, wenn sie nicht wollen. Mein Motiv ist einfach, daß ich gern verstehen würde, wie das sein kann. Und wissen sie auch warum? Weil sie im Dienst ganz und gar nicht so lax sind, wie alle meinen. Das paßt für mich einfach nicht zusammen."

 

Trent schien eine Weile nachzudenken und dann einen Entschluß zu fassen: "Ok, ich erzähl's ihnen. Ich hatte vor drei Jahren eine Affaire mit Patricia Zukovsky. Sie hat sich damals offensichtlich mehr erwartet, als ich wollte. Nach einigen Wochen habe ich die Beziehung beendet. Seither stagniert meine Karriere bei der Flotte."

 

"Oh, sie haben also die Tochter des Verteidigungsministers angebumst, und sie rächt sich über ihren Vater beziehungsweise er rächt sich von sich aus an ihnen. Nicht sehr nett, würde ich sagen. Haben sie schon mit ihr darüber gesprochen?"

 

"Nein. Was hätte das für einen Sinn?"

 

"Tun sie es so bald wie möglich. Vielleicht weiß sie nichts davon, dann kann sie ihren Daddy bitten, es bleiben zu lassen. Falls sie selbst dahinter steckt, findet sich ein anderer Weg, dem ein Ende zu setzen. Drei Jahre Leidensweg für einen guten Offizier sind genug."

 

"Ich werds versuchen."

 

"Gut. Achja, noch etwas. Die Sache mit dem Skipper ... Ich kenne die Bedeutung dieses Begriffs in der Flotte. Kann ich davon ausgehen, daß sie das aus Überzeugung getan haben?"

 

"Klar. Die anderen werden bald folgen."

 

"Hm, ich kann mich nicht erinnern, etwas getan zu haben, das diese Bezeichnung rechtfertigt."

 

"Oh, ich kenne einige Geschichten von der HAMMER und auch von der Rückkehr der MEDUSA, ihr Navigator ist ein Cousin von mir. Und ich habe sie selbst als kommandierenden Offizier erlebt. Zur Zeit ist das Vertrauen der Leute an Bord noch im Wachsen begriffen. Warten sie noch eine Weile, und sie folgen ihnen auch in die Hölle und zurück. Kann ich sonst noch was für sie tun, Skipper?"

 

"Nein, das wäre alles. Danke."

 

Drake fehlten die Worte. Er besaß durchaus ein gesundes Selbstbewußtsein, aber selbst sah er sich nicht als außergewöhnlich guten Offizier.

 

Die BARRAKUDA fiel unter Emission Control aus dem Hyperraum und steuerte mit möglichst wenig Schub den Startpunkt für ihre getarnte Systemdurchquerung an. Trent war wie gewohnt an der Navigationskonsole. Drake war selbstverständlich ebenfalls auf der Brücke. Die Uldat-Flotte mit ihren zwei Verbänden konnte recht schnell geortet werden. Die Aufklärer fanden ihre Ortungsgeräte noch nicht, aber Drake war sich sicher, daß zumindest eines dieser Schiffe im System stand. Marconi und Blackhurst waren dabei, diese gefährlichen Schiffe zu finden. Scheinbar hatte der eine Verband den Mond History bombardiert, denn dort tobten gewaltige Vulkanausbrüche.

 

20 Minuten später hatten sie die Startposition erreicht.Trent synchronisierte den Flugplan im Navigationscomputer mit der Borduhr und gab das Startsignal: "Skipper, wir sollten in 40 Sekunden starten für den Flugplan Beta."

 

"Gut. Lösen sie aus. Taktik, gibt es schon Neues?"

 

"Ja, Skipper. Ein Aufklärer scheint über dem Nordpol der Sonne zu stehen. Wir haben von dort ein sehr kurzes Funksignal an den Verband 2 geortet. Die Position macht durchaus Sinn, wenn man das System beobachten will. Es wird dann aber über dem Südpol der Sonne auch eine Einheit stehen. Andernfalls würde ihnen in dieser Richtung ein Raumkegel entgehen."

 

"Maschine, alles mitprotokollieren. Ich will sofort wissen, wenn es irgendwelche Unregelmäßigkeiten in den neuen Anlagen gibt. Taktik und Kommunikation, gleiches gilt für die Positionen aller Schiffe im System und den Funkverkehr."

 

"Start in 3 ... 2 ... 1 ... 0" meldete sich Trent. 

 

Da die Aufzeichnungen schon vorbereitet worden waren, hielt sich der Arbeitsaufwand für die Offiziere an den Konsolen in Grenzen. Wenige Minuten später hatten sie den Kuipergürtel verlassen und rasten im freien Fall direkt in das Sonnensystem hinein. 

 

Drake lehnte sich zurück: "Antrieb aus. Systemzustand nach Plan Sigma, Ortungsschutz hochfahren."

 

"Schiff im Stealth-Modus, Skipper." meldete sich Blackhurst.

 

Drake nickte nur und beobachtete scheinbar entspannt den Bildschirm. Wer ihn aber kannte, merkte ihm die innere Spannung an.

 

"Skipper, ich habe hier seltsame Messwerte von History. Ich bin kein Wissenschaftler, aber es sieht so aus, als würde History auseinanderbrechen! Sie zerstören den Mond komplett! Das ist doch völlig unnötig und ein Verbrechen!" meldete sich Marconi entrüstet.

 

Drake zeigte sich erschüttert: "So sehen sie das, Lieutenant. Die Uldat denken da offensichtlich anders. Sie zeigen hier ihre Kompromisslosigkeit zum zweiten Mal. Wir sollten sehen, daß sie die Erde niemals finden. Und wenn, dann müssen wir mit ihnen fertig werden, sonst geht es unserem Planeten genauso wie History."

 

Trent gab scheinbar einige Berechnungen in den Computer ein. Nach wenigen Minuten meldete er sich: "Skipper, wenn History auseinanderbricht, fliegen wir durch eine Wolke großer Asteroiden. Das ist gar nicht gut. Getarnt können wir nicht einmal ausweichen, sollte ein Trümmerstück im Weg sein. Bis wir dort sind, wird sich die Wolke noch nicht genug ausgedehnt haben. Wahrscheinlichkeit für einen Asteroideneinschlag liegt bei 30%."

 

"Taktik, wieviel Impulsschub können wir abgeben, ohne dass wir hier entdeckt werden?" fragte Drake.

 

"Ich schätze 3 bis 4 Sekunden mit 20%. Die Aufklärereinheiten werden uns selbst da noch mit ca. 30 Wahrscheinlichkeit entdecken. Die anderen sind einfach zu blind."

 

"Gut. Navigation, berechnen sie einen Schub von einer Sekunde Dauer mit 15% Leistung, der den Kurs weit genug ändert, daß wir am Trümmerfeld von History vorbeifliegen."

 

Trent meldete sich erst gar nicht, sondern hämmerte in seinen Navigationscomputer. Nach einer Weile war er anscheinend zufrieden: "Kurs berechnet Skipper. Er würde uns drei Lichtsekunden an der originalen Position von History vorbeiführen. Kursprogramm erstellt und ausführbereit. Ausführung in 60 Sekunden erforderlich."

 

"Navigation, Ausführung! Taktik, stellen sie wenn möglich fest, womit sie gearbeitet haben." setzte Drake seine Befehle fort.

 

"Aye, Skipper. Wird aber eine Weile dauern, da wir im Stealth-Modus sind." bestätigte Marconi.

 

Drake nickte ihr nur zu. Es war schließlich egal, ob die Ergebnisse jetzt oder in drei Stunden vorlagen. Ändern konnten sie nichts mehr, und sie würden ja noch einige Stunden antriebslos durch das System fallen, ohne irgendetwas zu tun ausser das Sonnensystem zu überwachen.

 

Der Kurimpuls aus den Impulstriebwerken ließ das Schiff kurz erzittern. Die Trägheitsdämpfer hatten keine Freude damit gehabt, innerhalb von eineinhalb Sekunden auf Touren gebracht und danach gleich wieder heruntergefahren zu werden.

 

"Skipper, wir haben Ortungsimpulse auf der Außenhülle. Die Stealth-Beschichtung nimmt die Energie aber wie vorgesehen auf und emittiert die Strahlung in eine andere Richtung." meldete sich Marconi von der Taktik-Konsole.

 

"Also haben die Aufklärer den Impulsstoß wahrscheinlich bemerkt. Die regulären Einheiten haben es sicher übersehen. Ich empfehle, die Defensiv- und Offensivsysteme zu aktivieren, Captain." bemerkte Yamato.

 

"Taktik, gibt es Schiffsbewegungen in unsere Richtung?"

 

"Nein, Skipper. Alles ruhig derzeit. Der Planetenkillerverband durchsucht scheinbar das Sonnensystem. Der andere Verband steht nahe der Sonne auf einer Parkbahn als Reserve."

 

"Dann lassen wir das noch, Commander. Wir würden unser Energieprofil damit nur verdreifachen. ETA bis zum nächsten Wegpunkt Mr. Trent?"

 

"Noch vier Stunden und 22 Minuten, Skipper."

 

"Gut. Commander, sie haben die Brücke. Verständigen sie mich umgehend, sollte sich die Situation ändern."

 

Damit verließ Drake die Brücke und begab sich in seine Kabine. Dort aktivierte er das Terminal und öffnete eine hochgradig verschlüsselte Nachricht vom Flottenkommando und las die Befehle für ihren Flug nach 18-Scorpii.

 

----- Begin Message ----- From: Yamato Hiryu, ADM, Fleet Command Date/Time: 2158-03-17, 11:21 To: Drake Steven Francis, CMD, TSS EXCALIBUR Subject: Geheim - Missionsbefehl Gamma-233

 

Message-Text:

 

Commander Drake,

 

sie erhalten hiermit den Befehl, im Rahmen ihrer Systemtests das System 18-Scorpii anzufliegen und den ehemaligen Zalden-Stützpunkt zu untersuchen. Ziel der Untersuchung ist festzustellen, welche Gründe die Zalden für den temporären Stützpunkt auf diesem Planeten hatten.

 

Ich weise sie ausdrücklich darauf hin, daß dieser alte Stützpunkt auch für einige andere "Interessenten" ein lohnendes Ziel darstellt, und sie daher auf Begegnungen mit anderen Kräften vorbereitet sein sollten.

 

 

 

Gezeichnet, ADM Hiryu Yamato Flottenkommando

 

----- End Message -----

 

Er hatte diesen Befehl eigentlich schon erwartet, als er zum ersten Mal von dem alten Zalden-Stützpunkt erfahren hatte. Daß andere sich auch für den Stützpunkt interessieren würden, war klar. Die Zalden waren zu sehr Geheimniskrämer, als daß andere Völker diese Chance auslassen würden. Da der Stützpunkt aber schon seit ungefähr 16 Jahren verlassen war, würde das Interesse innerhalb der Galaxis wohl schon etwas abgeebbt sein. Warum Yamato daraus einen Geheimbefehl gemacht hatte, verstand er daher nicht wirklich, aber er akzeptierte es einfach.

 

Auf dem Terminal in seiner Kabine rief er den aktuellen taktischen Status ab. Die Schiffsbewegungen hatten sich nicht verändert. Der Suchverband war auf dem Weg zu Planet 3 im System und würde dort bald ankommen. Den Planeten 4 mit seinen Monden hatten sie schon abgearbeitet. Drake war darüber nicht unglücklich, denn Nummer 4 würden sie recht nahe passieren.

 

Als Drake zwei Stunden später wieder auf die Brücke kam, hatte sich an der Situation immer noch nichts geändert. Die beiden Verbände operierten unabhängig voneinander, wobei einer nur in einer Umlaufbahn um die Sonne parkte.

 

"Skipper, wir erreichen die kleinste Distanz zu Nummer 4 in vier Minuten." gab Yamato bekannt: "Sonst gibt es keine Vorkommnisse."

 

"Gut." meinte Drake und setzte sich wieder auf den Kommandostuhl.

 

Die Spannung unter der Besatzung hatte sich merkbar erhöht, seit sie mehr oder weniger mitten im Sonnensystem Gliese 581 waren. Der Gegner stand mit einem weit überlegenen Flottenverband nicht allzu weit entfernt, ein Mond war völlig vernichtet worden, und sie durften nicht entdeckt werden.

 

Marconi blickte plötzlich mit Skepsis auf ihre Konsole: "Skipper, ich habe hier eigenartige Funksignale, kann sie aber keinem Objekt zuordnen! Am Urpsungsort ist einfach nichts." 

 

"Wie lange noch?" fragte Drake und wurde sofort mißtrauisch.

 

"Vier Minuten und 20 Sekunden." gab Trent zurück.

 

Auf diese Entfernung hätten sie normalerweise jedes noch so kleine Raumschiff orten können. Dann fiel ihm die Schlacht bei Waypoint wieder ein. Die Uldat hatten dort kleine Ortungsplattformen mit einem Schild aus kleinen Waffendrohnen eingesetzt. Er wurde blaß.

 

"Sie haben uns wahrscheinlich entdeckt. Das ist eine der neuen kleinen Ortungsplattformen mit Kampfdrohnen als Begleitschutz. Wie nahe kommen wir vorbei?"

 

"5.000 Kilometer, Skipper." antwortete Trent.

 

"Viel zu nah. Trent, berechnen sie einen Hyperraumflug mit Maximalgeschwindigkeit nach 18-Scorpii und lösen sie aus sobald sie soweit sind. Wir wissen genug. Machen wir, daß wir wegkommen."

 

Eine Minute später erwachte der Hyperantrieb zum Leben. Die Impulstriebwerke brauchten sie nicht, denn der freie Fall war noch schnell genug für das Eindringen in den Hyperraum. Der elliptische Ring des Hyperraumantriebs rund um die Maschinensektion des Schiffes glühte kurz aber intensiv auf und die BARRAKUDA verschwand im Hyperraum.

 

Flottengefechtsstand Flaggschiff Uldat-Flotte, System Gliese 581

 

Admiral Ulrans saß in seinem Flottengefechtsstand und überblickte die taktische 3D-Karte des Sonnensystems. In diesem Hologramm wurden sämtliche bedeutende Himmelskörper des Systems und alle künstlichen Objekte dargestellt.

 

Aus einem der Himmelskörper waren vor ungefähr einer Stunde viele kleine und einige wenige große Bruchstücke geworden. Er hatte dort auch eines dieser neuen Ortungspakete absetzen lassen. Darin befanden sich 60 kleine Kampfdrohnen und eine Ortungsdrohne. Er würde das in der Nähe von jedem Planeten machen. Es sollte endgütlig Schluß sein mit den Umtrieben irgendwelcher Raumschiffe in diesem System, ohne daß die Uldat davon wußten.

 

Im Hologramm leuchtete für ein paar Momente ein Signal der Ortungsdrohne auf. Anscheinend hatte sie etwas entdeckt und die Daten wie üblich an das Kommandoschiff geschickt. Danach verschwand das Symbol wieder spurlos. Kurz darauf sprach die Ortung der Drohne wieder an. Das erste mal war es eine Energieortung gewesen, dieses Mal waren es sehr schwache Gravitationswellen - so schwach, daß sie an der Nachweisgrenze der eingesetzten Geräte lagen.

 

Er forderte vom Kommandanten seines Flaggschiffes eine genaue Auswertung aller Beobachtungen in diesem Sektor an. Sie stellten fest, daß der Bereich nahe der Umlaufbahn des ehemaligen Mondes Nangir lag. Das verstärkte seine Unruhe noch mehr. Admiral Ulrans gab Befehl, die Position anzufliegen. Sein Flottenverband machte sich mit vollem Schub auf den Weg und würde in wenigen Minuten vor Ort sein.

 

Dort angekommen, fanden sie nichts Ungewöhnliches außer einem sehr schwachen Nachschwingen der Raumzeit, wie wenn ein Objekt plötzlich aus dem Normalraum verschwunden wäre - das klassische Szenario eines Raumschiffes, das in den Hyperraum eingetreten war. Das fremde Schiff zu verfolgen, war unmöglich, da es keine Kursdaten gab. Selbst die Ortungsdrohne hatte außer der Gravitationswelle nichts erkennen können. Die Position, an der das Schiff in den Hyperraum eingedrungen war, hatte die Ortungsdrohne errechnen können. Die Stärke der Gravitationswelle war ebenfalls bekannt.

 

Ulrans Nachrichtenoffizier meldete sich bei ihm mit einer ersten Einschätzung: "Admiral, dabei könnte es sich um eine Korvette der Neo-Kanaer handeln. Berücksichtigt man die Dämpfungssysteme der Neo-Kanaer dann war das Schiff sicher um eine Klasse größer, das heißt wir haben es hier mindestens mit einer Fregatte zu tun."

 

"Das ist gar nicht gut. Ich mag es nicht, wenn der Feind ständig hinter uns herschnüffelt." bemerkte Ulrans. "Wenn das einer ihrer Spezialaufklärer war, dann haben sie mehr über uns erfahren, als gut ist. Finden sie dieses Schiff - egal wie! Und zwar schnell!"

 

"Ja, Admiral."

 

Die Ortungs- und Berechnungsmaschinerie der Uldat-Flotte lief an. Captain 2. Klasse Artan Krowar vereinnahmte fast die gesamte Computerleistung des Reserveverbandes und kombinierte die Rechner per Funkverbindung zu einem neuronalen Netzwerk. Die einzelnen Schiffskommandeure waren nicht sehr glücklich darüber, aber Krowar als strategischer Operationsoffizier der Flotte und rechte Hand des Admirals duldete keinen Widerstand.

 

Krowar nahm die Flugstrecke des Feindes mit maximal 50 Lichtjahren an. Das war mehr als Uldat-Schiffe üblicherweise ohne Unterbrechung flogen, denn jenseits von 40 Lichtjahren wurden die Austritte aus dem Hyperraum zu ungenau. Er wußte aber auch, daß die Technologie des Gegners in einigen Bereichen leistungsfähiger war, als die der Uldat. Weiters ging er von der Masse eines Zerstörers aus. Mit diesen Basisdaten kombinierte er die Meßdaten der Ortungsdrohne und die Navigationsdaten aus dem Sternenkatalog. Er ließ sich die interessanten Ziele anhand verschiedener Parameter heraussuchen und filterte sie durch die technischen Daten und die Ortungsergebnisse. Heraus kam ein Zielstern, der für einen Uldat-Kommandanten wertlos war, aber für den Kommandanten aus einem neuen Volk auf der galaktischen Bühne durchaus interessant war - nämlich der Stern Zalcon, in irdischen Sternkarten auch als 18-Scorpii bezeichnet.

 

"Admiral?"

 

"Ja, Captain?"

 

"Ich könnte mir vorstellen, wohin sie unterwegs sind. Die Hinweise deuten auf Zalcon. Wahrscheinlichkeit 43%. Ich überspiele ihnen die Unterlagen."

 

"Das ist aber nicht gerade viel, Captain."

 

"Das ist das Ziel mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, und es ist plausibel."

 

"Gut. Stellen sie eine kleine aber schlagkräftige Einsatzgruppe zusammen, die mit dem Zerstörer fertig wird und schicken sie die Schiffe hin mit dem Auftrag, das Feindschiff zu zerstören."

 

"Darf ich anregen, das Schiff wenn möglich aufzubringen, Admiral?"

 

"Warum?"

 

"Sie sind durch das System geflogen, ohne daß wir sie orten konnten. Erst der Hyperraumeintritt hat sie verraten. Ich denke das Flottenkommando wüßte zu gerne, wie sie das angestellt haben."

 

"Guter Gedanke, Captain. Geben sie entsprechende Befehle."

 

"Ja, Admiral."

 

Captain Krowar schickte einen schweren und fünf leichte Kreuzer nach Zalcon. Die kleine Einsatzgruppe startete sofort. Er hätte selbst das Kommando übernehmen können, aber Krowar wollte sich nicht in die internen Belange der Schiffskommandeure einmischen. Das hätte nur die Crews verunsichert. So betraute er einfach den Kommandanten des schweren Kreuzers mit der Aufgabe. Captain 2. Klasse Vranen Lorak war zwar nicht sonderlich erfreut darüber, aber es blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Alles andere wäre als Befehlsverweigerung aufgefaßt worden und hätte mit seiner sofortigen Hinrichtung geendet.

 

Die Ortung des Feindes war der seinigen überlegen, daher gedachte Captain Lorak, auf ein heimliches Eindringen ins System zu verzichten. Die Alternative war, mit voller Gefechtsbereitschaft sehr schnell in das System vorzustoßen und den Gegner zu finden. Seine Schiffe steuerten daher verschiedene Punkte im Sonnensystem Zalcon an, die eine Ortung erleichterten und ein schnelles Binden des Gegners ermöglichten. Normalerweise sollte dafür ein leichter Kreuzer für einen Zerstörer der Neo-Kanaer genügen. Die anderen fünf Schiffe sollten nur das folgende Feuergefecht unterstützen. Auch wenn er keine Freude mit seiner Aufgabe hatte, so hatte Lorak keine Skrupel für den Erfolg seiner Mission einen Kreuzer zu opfern. Sollte der Feind gleich das Pech haben, in der Nähe des schweren Kreuzers aufzutauchen, dann würde das für ihn zwar unangenehm werden, aber nicht wirklich gefährlich. Die leichten Kreuzer waren die schnellsten Schiffe in der Flotte und würden dementsprechend rasch in das Gefecht eingreifen können.

 

Die Schiffe verschwanden gleichzeitig und gut koordiniert aus dem System Gliese 581. Der Flug nach Zalcon würde bei Höchstgeschwindigkeit 36 Stunden dauern. Lorak wußte, daß der Feind schneller war, aber das gegnerische Schiff hatte keinen Grund, sich zu beeilen. Wenn man vernünftig war, dann nutzte man das Potential seiner Triebwerke nur im Notfall aus.

 

TSS BARRAKUDA, System 18-Scorpii, 27 Stunden später

 

Der Hyperraum spuckte den Zerstörer nach fast 27 Stunden wieder aus, diesmal im System 18-Scorpii. Der orange-gelbe Zwergstern aus der Hauptreihe war so offensichtlich anders verglichen mit der Heimatsonne Sol, daß über den Aufenthaltsort keine Zweifel bestanden.

 

Die astronomische Abteilung begann sofort mit der Vermessung des Systems und verglich die Daten mit dem Sternenkatalog der Kanaer. Die Daten wurden innerhalb weniger Minuten bestätigt. Demnach hatte das System sechs Planeten. Nummer 2 und Nummer 3 lagen in der sogenannten habitablen Zone oder auch kurz HZ genannt. Beide HZ-Planeten hatten flüssiges Wasser an der Oberfläche in Form großer Meere oder Seen. Die Fauna und Flora schien hoch entwickelt zu sein.

 

Planet 1 war dem solaren Merkus sehr ähnlich. Viel zu heiß für irgendwelche Besiedlungsversuche, stellte er trotz allem eine wertvolle Quelle für Metalle und andere Rohstoffe dar. Die Bedingungen waren allerdings aufgrund der Sonnennähe alles andere als einfach. Ein Abbau würde schwierig werden. Der Planet war etwas kleiner als die Erde, aber aufgrund des hohen Metallanteils wesentlich dichter. Die Schwerkraft lag daher bei 1,3g.

 

Planet 2 war für menschliche Ansprüche etwas zu warm mit einer Durchschnittstemperatur von 23 Grad Celsius. Das klang im ersten Moment nicht sonderlich hoch, aber der irdische Durchschnitt lag bei ca. 15 Grad. Die Extremwerte an den Polen und am Äquator lagen auch etwas höher als auf der Erde. Die zwei nahezu perfekt kugelförmigen Monde umkreisten den Planeten auf fast kreisförmigen Bahnen. Da geringfügig größer als die Erde aber mit sehr ähnlicher Dichte hatte der Planet eine Schwerkraft von 1,2g.

 

Bei Planet 3 war es umgekehrt. Er war etwas kühler als die Erde. Der Durchschnitt lag bei fast 14 Grad. Er war der Erde also ähnlicher als der näher an der Sonne liegende Planet 2. Nummer 3 hatte drei kleine Monde, die wohl eingefangene Asteroiden waren. Die Umlaufbahnen waren entsprechend exzentrisch und die Form der Monde typisch für Asteroiden, die durch den Staub schon abgeschliffen genug waren, dass sie wie unregelmäßig geformte Kartoffeln aussahen. Die Schwerkraft lag bei 0,98g.

 

Die Planeten 4 und 5 waren Gasriesen mit farbenprächtigen Wolkenbändern ähnlich dem solaren Jupiter und Saturn. Beide hatten zahlreiche Monde unterschiedlichster Größe, was sie wiederum interessant machte.

 

Planet 6 schien eigentlich nur ein eingefangener Komet zu sein, der im Laufe der Jahrmillionen eine Menge Materie aus dem Sonnensystem und dem noch weiter aussen liegenden Kuiper-Gürtel aufgesammelt hatte. Mond gab es keinen, dafür waren aber Dichte und Größe des Planeten recht bescheiden. Weiters schien die gesamte Planetenmasse nicht sonderlich stabil zu sein.

 

Es gab in diesem System keine nennenswerten Ringe um die Planeten und auch keinen Asteroidengürtel. In dieser Hinsicht war das System eher langweilig.

 

Auf Planet 2 befand sich der verlassene Stützpunkt der Zalden. Die Zalden hatten den Planeten Zarquum genannt. Nachdem das System nicht allzu viel interessantes hergab und der Stern laut Computer stabil war, nahm Drake Kurs auf Zarquum. Der Planet lag nicht allzu weit voraus, daher ließ Drake sich Zeit. Während der Annäherung an den Planeten ließ die BARRAKUDA ihre Sensoren und Scanner spielen. Die Planetendaten wurden immer genauer und vielfältiger, je näher sie kamen. Den Stützpunkt der Zalden fanden sie dann auch kurz bevor sie einen Zwei-Stunden-Orbit erreichten und einschwenkten.

 

Schon kurz nach dem Ausbruch aus dem Hyperraum hatte Drake ein Bodenteam zusammenstellen lassen. Yamato würde es leiten. Berneau war als Ärztin genauso mit von der Partie wie ein Team Marines. Ein Ingenieur aus Yorgensons Team, Ensign Max Claden und die Allgemeinwissenschaftlerin Lieutenant Janet Dellington würden das Team ebenfalls begleiten. Als Pilot würde LT Dave Randall mitfliegen. Bis zur geplanten Landung hatten sie noch ein paar Stunden Zeit. Die BARRAKUDA selbst war eigentlich nicht zur Landung auf Planeten vorgesehen, besaß aber die technischen Möglichkeiten dazu. Es wäre allerdings eine etwas verzwickte Angelegenheit ein Schiff mit über 200 Metern Länge auf offenem Gelände zu landen. Eine entsprechend große und auch ebene Fläche zu finden, wäre nicht ganz einfach. Man konnte schließlich nicht davon ausgehen, daß auf einem Planeten immer auch gleich ein Raumhafen vorhanden war.

 

Das Team machte sich auf den Weg zum Hangar. Dellington hatte eine Reihe von Analysegeräten eingepackt. Vor sich hatten alle ihre Überlebenspakete und Bewaffnung auf dem Hangarboden abgestellt. 1LT Roger Dalmore kontrollierte das Vier-Mann-Team. Die teilnehmenden Schiffsoffiziere checkte LCDR Hidetaka Yamato. Alles in allem würden also zehn Personen landen. Mit all ihrer Ausrüstung würde es in dem leichten Transportshuttle eng werden, obwohl es für 12 Personen und zwei Piloten ausgelegt war. Den Platz des Copiloten würde Dalmore einnehmen. Marines-Offiziere hatten so gut wie immer eine gültige Fluglizenz für Landungsboote.

 

Auf der Brücke suchte man noch nach einem brauchbaren Landeplatz für das Shuttle. Er sollte nicht zu weit vom alten Zalden-Stützpunkt weg sein und auch Sichtschutz für das Shuttle bieten. Ähnlich war man bei der Landung auf History während der EXPLORER-Mission erfahren und es hatte sich bewährt.

 

Marconi meldete sich von der Taktik-Konsole: "Captain?"

 

"Einen Landeplatz gefunden?" fragte Drake.

 

"Nicht so ganz. Ich habe hier Störungen der Raumzeitkrümmungen. Es sind Schiffe hierher unterwegs. Sie sind in ungefähr 190 Sekunden da."

 

"Gelber Alarm! Navigation, bringen sie uns mit Vollschub auf Fluchtkurs zum gewählten Versteck! Drake an Landungsgruppe: Mission abbrechen! Das ist keine Übung. Ich wiederhole, das ist keine Übung."

 

Im Schiff plärrten die Alarmsirenen ihr entnervendes Lied durch alle Räume und Korridore. Trent schob als erstes den Schubkraftregler bis zum Anschlag nach vorn und aktivierte das vorbereitete Kursprogramm. Der Fluchtkurs würde sie zum fünften Planeten und dort in den Orbit eines Mondes bringen. Im Maschinenraum fluchte Yorgenson ungehemmt, als sein "Baby" so unvermittelt auf Touren gebracht wurde.

 

"Yamato an Brücke. Skipper was ist passiert?"

 

"Wir haben einkommende Schiffe. Wahrscheinlich haben uns die Uldat doch geortet bzw. gut geraten, wo wir hin wollen."

 

"Unser Ziel war scheinbar zu offensichtlich."

 

"Ja."

 

Auf dem Bildschirm verschwand der Planet rasend schnell, als die BARRAKUDA den Orbit verließ. 

 

"Operations, sobald Sollgeschwindigkeit erreicht ist, auf Stealth gehen. Alles abschalten, was Strahlung nach außen abgibt."

 

"Aye, Skipper. Wird in 20 Sekunden sein." meldete sich Blackhurst.

 

"ETA der Schiffe, Marconi?"

 

"28 Sekunden."

 

"Ok, das geht sich also gerade noch aus. Offensiv- und Defensivsysteme auf Standby zurückschalten."

 

Drake wußte, daß die Energiestreuung von Schutzschirmen und Waffensystemen nach den Triebwerken die größte war. Diese Systeme hatten auch eine gewisse "Nachleuchtdauer", wenn sie abgeschaltet wurden. 

 

Blackhurst drehte sich zu Drake um: "Schalte Schiff in Stealth-Modus, jetzt."

 

Auf den Bildschirmen veränderte sich das Bild. Die aktiven Ortungssysteme waren abgeschaltet, und daher waren auch die Daten wesentlich ungenauer als vorher. Die Bilder verloren entweder an Detailqualität, oder die Objekte des Sonnensystems wurden überhaupt durch Symbole ersetzt.

 

Yamato erschien wieder auf der Brücke. Er hatte seine Ausrüstung einfach im Hangar liegen gelassen. Nur die handliche Impulspistole, die bei Alarm ohnehin jeder an Bord trug, hatte er mitgenommen.

 

Der Lärm und die Vibrationen der Maschinen waren verstummt, als Blackhurst auf Stealth geschaltet hatte. Es war fast schon unnatürlich still an Bord. Die Besatzung starrte gespannt auf die Bildschirme. Als der kleine Zähler in einer Ecke der Bildschirme auf Null sprang erschienen taktische Symbole auf dem Hauptbildschirm.

 

"Taktik, geben sie eine taktische Übersicht auf den Hauptschirm. Ich brauche Eintrittspunkt, Kurs und Geschwindigkeit der Objekte sowie jede Veränderung."

 

"Aye Skipper." antwortete Marconi als sie bereits konzentriert schaltete.

 

Auf dem Hauptbildschirm erschien eine taktische Karte des Sonnensystems. Die Planetenbahnen und alle Schiffe waren eingetragen.

 

"Uldat-Schiffe. Fünf leichte Kreuzer und ein schwerer, Captain. Sie sind verteilt aus dem Hyperraum gekommen. Wären wir noch im Orbit gewesen, hätte uns zumindest einer gebunden, bis die anderen heran gewesen wären. Schlaue Taktik, aber etwas zu langsam." meinte Marconi.

 

"Wir sind ihnen ortungstechnisch überlegen. Wie sehr, wissen sie scheinbar noch nicht. Wie lange noch bis zur Warteposition?" 

 

"Noch eine Stunde freier Fall, Skipper. Dann fängt uns die Schwerkraft des Mondes ein und bringt uns in einen exzentrischen Orbit."

 

Uldat-Einsatzgruppe - Schwerer Kreuzer UDF KLACHIN

 

Captain Lorak saß in seinem Kommandantensitz und dachte nach. Einerseits war er froh darüber, daß er nichts vorgefunden hatte, aber andererseits hätte er sich ein Erfolgserlebnis gewünscht. Daß er kein fremdes Schiff entdeckt hatte, hieß aber nicht, daß sie nicht im System waren. Als erstes ließ er den Planeten Zarquum absuchen. "Vielleicht sind sie ja gelandet", dachte er bei sich, obwohl er nicht daran glaubte. Schiffe mit einer Größe jenseits der einer Korvette landeten üblicherweise nicht auf Himmelskörpern, auch wenn sie dazu in der Lage sein sollten. Die Suche brachte nichts zutage und  wurde nach zwei Stunden eingestellt.

 

"Dann müssen wir eben auch den Rest des Sonnensystems durchsuchen. Laßt die Kreuzer ausschwärmen. Jeder kümmert sich um einen Planeten mit allen Monden. Sobald etwas entdeckt wird, möchte ich sofort Meldung erhalten. Wir selbst nehmen Planet Nummer 5. Navigation, bringen sie uns schnellstens in eine Umlaufbahn von Nummer 5. Abtastung des Planeten und seiner Monde mit voller Leistung."

 

"Ja, Captain." antwortete der erfahrene Flugoffizier des Schiffes. Der Kreuzer ging mit voller Beschleunigung auf Zielkurs. Sie würden den Orbit um den Planeten in 12 Minuten erreichen. 

 

Die Scanner und Sensoren waren bereits auf volle Leistung geschaltet und überschwemmten die Umgebung des Planeten mit Ortungsimpulsen. Die Triebwerke donnerten mit ihrer vollen Leistung. Sie würden das Tempo nicht allzu lange durchhalten, denn der Hauptreaktor wurde bei solchen Gewaltmanövern  überlastet. Einige Zeit hielt der Reaktor einer solchen Belastung durchaus stand. Sollte die Belastung aber länger dauern, dann würde es Schwierigkeiten geben. Die Schirmfelder der Reaktionskammer würden zusammenbrechen. Explodieren würde er nicht, aber ein Strahlungsschock, der die gesamte Besatzung töten würde, wäre die Folge. Das Schiff konnte nach einem solchen Vorfall allerdings geborgen werden. Die empfindlichen Computer mußten dann ersetzt werden, aber der Rest des Schiffes konnte ohne Probleme verwendet werden. Andere Schiffe in der Umgebung waren von solchen Strahlungsschocks nicht betroffen, da sie zu weit weg waren oder im Falle eines Gefechts ohnehin die Schutzschirme aktiviert hatten. Für das Erreichen des Planetenorbits waren sie aber noch weit außerhalb des kritischen Bereichs. Was dem Operationsoffizier aber etwas Sorge bereitete, war die zusätzliche Belastung durch die Ortungssysteme, die im aktuellen Zustand ebenfalls eine Menge Energie verbrauchten.

 

System 18-Scorpii - TSS BARRAKUDA

 

An Bord der BARRAKUDA bemerkte LT Marconi den Energieausstoß der fremden Schiffe sofort.

 

"Skipper, wir haben sechs Feindschiffe im System. Klassifizierung als fünf leichte und ein schwerer Kreuzer der Uldat. Der schwere Brocken ist zu uns unterwegs und in 12 Minuten hier. Er hat es verdammt eilig. Die anderen Schiffe steuern jeweils einen der anderen Planeten an."

 

"Ok, sie suchen also das gesamte System ab. Wie lange noch bis sie uns orten können?"

 

"Schwer zu sagen. Bei der Ortungsleistung, die sie momentan fahren, finden sie uns in elf Minuten, wenn wir hier bleiben. Das ist aber vorsichtig geschätzt."

 

"Mr. Trent, errechnen sie einen Fluchtkurs mit einem initialen Schubstoß und anschließendem freien Fall. Der Schubstoß sollte hinter dem Mond erfolgen, damit sie uns dabei nicht orten. Der Kurs soll uns aus der Ekliptik katapultieren."

 

"Aye, Skipper. Ausführung wann?"

 

"Sofort."

 

"Vorschlag Ausführung in 205 Sekunden, dann sind wir hinter dem Mond."

 

"Tun sie's."

 

Die Sekunden tropften scheinbar endlos langsam vorbei. Die Brückencrew blickte konzentriert auf den Counter, der langsam gegen Null zählte. Bei Null sprangen die Triebwerke mit Überlast an und katapultierten das Schiff aus dem Orbit. Der Schubstoß dauerte nur zwei Minuten, und änderte den bisherigen Orbit in eine Spiralbahn, die nach unten aus der Ekliptik des Sonnensystems führte. Nach Ende der kurzen Schubphase ging die BARRAKUDA wieder in den Stealth-Modus und verschmolz mit dem schwarzen Hintergrund des Weltraums.

 

"Und jetzt, Captain?" fragte Yamato nach. Yamato würde ihn wohl niemals mit Skipper ansprechen. Das verhinderte das kuturelle Umfeld in dem er aufgewachsen war.

 

"Wie meinen sie das Commander?"

 

"Ok, sie finden uns jetzt wahrscheinlich nicht, aber wie kommen wir wieder an Zarquum heran?" fragte Yamato nach.

 

"Solange sie im System stehen, gar nicht. Wir können nur abwarten, bis sie abziehen. Sollte es zu lange dauern, werden wir wohl unverrichteter Dinge heimkehren müssen. Schließlich haben wir noch einen Termin im Solsystem. Auf ein Gefecht sollten wir es nicht ankommen lassen. Den dicken Brocken könnten wir schaffen, aber alle schaffen wir sicher nicht."

 

"Was tun wir, wenn sie Ortungsdrohnen hier lassen?" wollte Blackhurst wissen.

 

"Tja, dann werden wir irgendwann eine böse Überraschung erleben, oder auf die Erforschung Zarquums verzichten müssen." antwortete Drake.

 

Blackhurst drehte sich zu Drake um:"Skipper, kann es sein, daß die Ortungsdrohnen nur Normalfunk an Bord haben?"

 

"Wie kommen sie darauf Commander?"

 

"Sie setzen diese Dinger nur ein, wenn ein Schiff da ist. Die Drohnen bei History waren neu. Die Drohnen bei Waypoint sind nach der Schlacht irgendwann verschwunden, das haben Einheiten von uns festgestellt. Hier gibt es noch keine, obwohl das System ein logisches Ziel ist. Und außerdem sind die Dinger recht klein. Beim aktuellen Stand der Uldat-Technologie halte ich einen Hyperkom in diesen Dingern eher für unwahrscheinlich. Er wäre einfach zu groß. Außerdem scheint mir, das Konzept der Ortungsdrohnen mit den Kampfdrohnen ist selbst für die Uldat noch recht neu, denn sie setzen die Ausrüstung sehr sparsam ein. So als ob nicht jedes Schiff damit bestückt wäre."

 

"Interessanter Gedanke, Commander. Machen sie einen Eintrag ins Logbuch und wir geben den Hinweis ans Flottenkommando weiter.  Wir können das auch an den FIS weitergeben. Sollen die sich die Köpfe darüber zerbrechen."

 

Die Köpfe der Brückencrew drehten sich scheinbar zufällig zu LT Teresa Marconi hinüber. Jeder schien ihre teilweise geschwärzte Personalakte gelesen zu haben. Der Fleet Intelligence Service war den meisten regulären Flottenangehörigen freundlich ausgedrückt etwas suspekt oder wurde gar offen abgelehnt. Marconi nahm es gelassen, sie hatte sich an diese Dinge gewöhnt. Yamato beobachtete das Zwischenspiel sehr genau, denn als XO war er für die Crew und ihre Moral zuständig.

 

Plötzlich meldete sich Marconi: "Captain, wir haben Ortungsimpulse auf der Außenhaut. Die Stealthbeschichtung kann sie nur bedingt ablenken. Sie kommen vom schweren Kreuzer. Sie werden zwar ein stark verschwommenes Echo von uns bekommen, aber trotzdem ein Echo."

 

"Ändert sich an deren Ortungsverhalten etwas?" fragte Drake nach.

 

"Sie ändern gerade den Kurs in unsere Richtung und verstärken ihre Scannerleistung."

 

Drake lehnte sich in seinem Sessel zurück: "Sie haben uns, und wir kommen nicht mehr rechtzeitig weg, da wir im freien Fall sind. Gefechtsalarm. Taktik, alle Gefechtssysteme auf Standby. Wir wollen sie noch etwas im Unklaren lassen. Kommunikation, verschlüsselter Situationsbericht an unsere Funkrelaisstation. Operations, alle Anlagen auf Krisenfall vorbereiten. Navigation, Fluchtkurs nach Gamma-3 berechnen und eingeben. Ortung, was machen die anderen vier Schiffe?"

 

"Sie nehmen Kurs auf uns, sind aber zu weit weg um eingreifen zu können. Der schwere Brocken ist in 80 Sekunden in Waffenreichweite. Die anderen brauchen acht Minuten länger. Sie wissen offenbar noch nicht ganz, was sie von dem Ortungsecho halten sollen." berichtete Marconi.

 

"Gut. Belassen wir es auch dabei. Wenn sie auf Waffenreichweite heran sind, beschleunigen wir voll auf sie zu. Wenn wir die Reichweite für unsere Schiff-Schiff-Raketen erreicht haben, drehen wir bei und verpassen ihnen eine Breitseite. Danach unter Dauerfeuer eine Umrundung und hinter ihnen setzen wir uns fest. Wir wenden ihnen nach der Breitseite immer den Bug zu. Wir haben nicht viel Zeit, mit ihnen fertig zu werden."

 

Trent nickte: "Aye, Skipper."

 

"Status, Mr. Blackhurst?"

 

"Schiff klar zum Gefecht."

 

"Los gehts, Mr. Trent."

 

Die BARRAKUDA erwachte blitzartig zum Leben. Aus dem wie tot dahintreibenden Brocken wurde ein gefährliches Raumschiff. Die Impulstriebwerke röhrten auf und katapultierten das Schiff in Richtung des Feindes. Der Schutzschirm war noch nicht eingeschaltet. Die Waffensysteme wurden aktiviert und die separaten Zielerfassungsgeräte begannen mit der Zielselektion. Dieser Vorgang dauerte gerade mal ein paar Sekundenbruchteile. Scimitar war für Gefechte mit bis zu 128 feindlichen  Einheiten ausgelegt. Ein einzelnes Schiff forderte den taktischen Computer nicht einmal annähernd.

 

"Erreichen Raketendistanz in 20 Sekunden." meldete sich Marconi.

 

"Dauerfeuer in 20 Sekunden aus allen Waffensystemen."

 

"Einkommende Torpedos. Einschlag in 16."

 

"Abwehren."

 

Der schwere Kreuzer der Uldat hatte im Bug nur 2 Torpedorohre. Die Ladeautomatik schien 20 Sekunden für das Nachladen zu brauchen. Zwei Plasmatorpedos rasten auf den nur halb so großen Zerstörer zu. Das ECM-System Echo 2 setzte eine Stördrohne ab und aktivierte die aktive Abwehr durch das LADS. Scimitar aktivierte vorsorglich den Schutzschirm.

 

Die Abwehrlaser feuerten röhrend im Dauerfeuer ihre kurzen aber zerstörerischen Lichtpulse gegen die feindlichen Torpedos. Einer der Torpedos ließ sich von der Stördrohne ablenken und detonierte weit ab vom Ziel. Der zweite Torpedo wurde ein Opfer der Abwehrlaser, detonierte aber genau auf dem Kurs der BARRAKUDA. Das Schiff flog in den Feuerball der Explosion hinein, doch der Schutzschirm zeigte sich dem als gewachsen.

 

Daraufhin drehte die BARRAKUDA bei und  eröffnete das Feuer. Die Kurzstreckenraketen rasten aus den Werferbatterien an der Steuerbordseite. Zwei Salven gingen sich aus, bevor Trent das Schiff wieder drehte und den Bug auf die Mitte des Gegners richtete. Dann sprachen die schweren Torpedos, Railguns und Impulskanonen. Das Feuer wurde auf einen Punkt des gegnerischen Schutzschirms gerichtet. Die Raketen rissen den Schutzschirm zeitweise auf und die folgenden schlugen in die ungeschützte Schiffshülle ein. Schwere Explosionen rissen die Hülle auf und schleuderten Teile aus dem Inneren in den freien Weltraum. Große Risse brachen auf.

 

Dann hatte sich die Besatzung von der Überraschung erholt und feuerte zurück. Die BARRAKUDA war zu nah für Plasmatorpedos, also griff man zu den anderen Systemen. Schwerste Laser und Railguns blitzten auf und schleuderten ihre Energien und Geschosse gegen den Feind. Scimitar verdichtete den Schutzschirm im Bugbereich und fing so gut wie alles ab. Zwei Lasertreffer kamen allerdings durch. Die Panzerung hielt zwar stand, aber die kinetische Energie des Einschlags brachte das Schiff zum Beben und verursachte ein mittleres Chaos im Bugbereich. Ein Nukleartorpedo wurde aus der Lagerverankerung gerissen und krachte gegen die Seitenwand des Torpedoraums. Die Mannschaft wurde kurz leichenblaß, aber für eine Selbstauslösung war der Zündmechanismus zu komplex. Der Torpedo würde einfach unbrauchbar sein.

 

Der gegnerische Schutzschirm flackerte bereits als die BARRAKUDA die Position hinter dem Heck des Gegners erreichte. Dort drehte sie wieder bei und ließ zwei Breitseiten der Schiff-Schiff-Raketen gegen den Triebwerksbereich des schweren Kreuzers los. Gleichzeitig warfen die Railguns und Impulskanonen weiter ihre Munition gegen den Schutzschirm. Die erste Raketensalve ließ den feindlichen Schutzschirm verwehen. Die zweite Salve krachte in die ungeschützten Triebwerke. Die Geschosse der Railguns krachten mit fast Lichtgeschwindigkeit in das Chaos der Explosionen und fuhren wie glühende Nadeln durch Papier in das Schiff. Kleine Sekundärexplosionen blitzten immer wieder auf. Der Kreuzer verlor an einigen Stellen Atmosphäre und Plasma. Taumelnd kam er vom Kurs ab. Das Schiff war offensichtlich manövrierunfähig.

 

"Wie lange noch, bis die anderen hier sind?", wollte Drake wissen.

 

"Drei Minuten Skipper." meldete Marconi.

 

"Ok. Mr. Trent, verschwinden wir. Operations, Schadensbericht so schnell wie möglich. Taktik, 10 Minen absetzen."

 

Die angesprochenen Offiziere nickten. Yamato war mit dem Befehl die Minen auszusetzen nicht einverstanden, aber er sagte nichts. Warum sollte man ein schrottreifes Schiff unnötigerweise ganz zerstören? Drake bemerkte aber sehr wohl den Blick Yamatos. Trent aktivierte das vorbereitete Kursprogramm. Eine Minute später war die BARRAKUDA im Hyperraum verschwunden. Sie hatten das getan, wofür die Barrakuda-Klasse konstruiert worden war - zuschlagen und verschwinden.

 

System 18-Scorpii - Schwerer Kreuzer UDF KLACHIN

 

Captain Lorak konnte es nicht glauben. Ein einzelner Zerstörer hatte seinen schweren Kreuzer schwer angeschlagen. Der Schadensbericht verhieß nichts Gutes. Das Schiff war manövrierunfähig, die gesamte Kommunikation war genauso ausgefallen wie die Ortung. Die Waffensysteme waren großteils noch in Ordnung, aber ohne Zielerfassung waren sie sinnlos. Er ließ sie daher abschalten. Die anderen Kreuzer hatten sicherlich mitbekommen, was da passiert war und würden zu Hilfe kommen. Den Feind einzuholen war illusorisch. Ausserdem war sich Lorak nicht sicher, ob die anderen vier Schiffe mit diesem Gegner fertig werden konnten. Er selbst hatte den Feind schwer unterschätzt, aber nach den Berichten der letzten Auseinandersetzung bei Nangat, hatte er maximal mit einem gleichwertigen Gegner gerechnet. Er würde für diese Niederlage wahrscheinlich hingerichtet werden, aber er mußte die Informationen über diesen neuen Schiffstyp zurückbringen. Vielleicht würde der Imperator ihn dann verschonen ...

 

Einer der Bildschirme funktionierte eigenartiger Weise noch. Der Gegner war verschwunden, aber der Rest seiner kleinen Flotte kam mit Höchstgeschwindigkeit heran. Die vier leichten Kreuzer begannen mit dem Bremsmanöver und gingen in Sicherheitsdistanz längsseits. Er konnte sie nicht rufen, da die Kommunikation tot war. Er öffnete einen Interkom zum Hangar und ließ das einzige Beiboot starten, das noch funktionsfähig war. Es sollte mit den Kreuzern Verbindung aufnehmen.

 

Kaum war das Beiboot aus dem Hangar, blitzte es ausserhalb des Hangars auf und das Beiboot verschwand in einer Explosion. Kurz darauf rasten die restlichen neun Minen der BARRAKUDA auf den wehrlosen Kreuzer zu und schlugen ein. Von dem Schiff blieb nur eine glühende Wolke, die sich langsam ausbreitete.

 

Die Kommandanten der anderen Schiffe saßen erstarrt vor den Bildschirmen und trauten ihren Augen nicht.

 

Waypoint Gamma-3 - TSS BARRAKUDA

 

Nach fast 18 Stunden hatten sie den Wegpunkt erreicht. Sieben Lichtjahre von der Erde entfernt bezogen sie Parkposition. Drake ging mit den Offizieren im Besprechungsraum das Gefecht noch einmal anhand der Computeraufzeichnungen durch. Sie kamen zu der Einsicht, daß das Gefecht an sich tadellos abgelaufen war. Nur das taktische Verhalten davor hätte man eindeutig besser anlegen können. Der direkte Anflug auf das eigentliche Missionsziel vom System Gliese 581 aus war ein Fehler gewesen. Ihr Ziel war von einem findigen Uldat aufgrund der gegebenen Fakten errechnet worden. Es hätte sie zwar etwas Zeit gekostet, aber nach einem Umweg hätten sie dann höchstwahrscheinlich ungestört auf Zarquum arbeiten können. Die Uldat wären dann in die falsche Richtung geflogen. Wieder einmal war der Gegner unterschätz worden. Dieses Mal war es glimpflich ausgegangen.

 

"Commander, sie schienen mit meinen letzten Befehlen im Gefecht nicht einverstanden gewesen zu sein."

 

"Sir, wir haben ein schrottreifes Schiff angegriffen. Sie hätten uns nichts mehr anhaben können. Warum sie also vernichten?"

 

"Grundsätzlich haben sie recht Commander. Sie vergessen dabei aber etwas sehr Wichtiges. Wir sind ein Prototyp mit einer Menge neuer Technologien an Bord. Das einzige Schiff, das uns genauer beobachten konnte, war der schwere Kreuzer. Ich wollte sicherstellen, daß keine Informationen über die BARRAKUDA zurück ins Uldat-Imperium kommt. Es klingt grausam, aber wir wollten diesen Krieg nicht. Ich weiß noch nicht, ob es richtig war, aber ich denke Admiral Yamato oder ein Kriegsgericht wird das entscheiden."

 

Als Drake das Kriegsgericht erwähnte, wurde es still am Tisch. Verfahren vor dem Martial Court der Flotte waren so gut wie immer riskant für einen Offizier.

 

"Ok, nun zu den Gefechtsschäden." forderte Drake seine Offiziere auf.

 

Blackhurst stützte seine Ellbögen auf den Tisch: "Wir haben eine Delle am Bug auf Deck 2. Der Torpedoraum dahinter ist leicht eingedrückt. Ein Torpedo hat sich aus der Halterung gelöst und ist durch den Raum geflogen. Den Torpedo sollten wir entsorgen."

 

"Doc?"

 

Berneau war etwas nervös, hatte sich aber gut im Griff: "Zwei gebrochene Unterarme, ansonsten nur ein paar leichte Prellungen und Blutergüsse. Nichts ernstes also. Die beiden Verletzten Warrant Officer Baker und Ensign Ortega sind versorgt. Die neuen Heilmethoden der Kanaer funktionieren gut. In zwei Tagen sind die beiden wieder voll einsatzfähig."

 

Drake nickte: "Klingt gut unter diesen Umständen. Waffenstatus?"

 

Marconi blickte kurz auf ihren Tablet-Computer bevor sie berichtete: "10 Nuklearminen, 15 Schiff-Schiff-Raketen, zwei Torpedos, eine Stördrohne und 10% der Railgeschosse verbraucht Skipper. Ansonsten alles nominal."

 

"Die Railguns verpulvern die Munition in einem Tempo, das beängstigend ist." warf Blackhurst polternd ein.

 

"Wir haben sie für Sperrfeuer mißbraucht und auf große Distanzen gefeuert. Da läßt sich das nicht vermeiden." entschuldigte sich Marconi.

 

"Schon ok, Lieutenant. Die Railguns sind immer schon Munitionsfresser gewesen." warf Drake ein, um der jungen Offizierin den Rücken zu stärken. Blackhurst hatte sie sicher nicht angreifen wollen, dazu kannte er ihn zu gut, aber er war in seiner Wortwahl nicht immer sehr diplomatisch.

 

"Ihre taktische Beurteilung der Waffenwirkung Lieutenant?"

 

"Die Schiff-Schiff-Raketen waren die absoluten Highlights, allerdings funktionieren sie erst so richtig, wenn der gegnerische Schirm schwach oder ausgefallen ist. Danach kommen gleich die Railguns. Die hoch beschleunigten Metallwürfel sind verheerend, wenn sie die Schirme durchdringen, was oft geschieht, selbst wenn der Schirm noch aktiv ist. Die Impulskanonen sind am wirksamsten gegen den Schutzschirm. Das mag eigenartig erscheinen, ist aber so. Es liegt vielleicht an der Verwandtschaft der Energiearten. Das LADS hat sich sehr gut gehalten, die computergesteuerte Kooperation der taktischen Systeme ebenfalls."

 

"Commander Yamato?"

 

"Ich sehe das ähnlich. Der Computerverbund funktioniert ausgezeichnet. Die Schildsteuerung war zum Beispiel völlig unter Computerkontrolle. So schnell wie die beiden Lasertreffer einschlugen, hätte bei der kurzen Distanz niemand reagieren können. Die Schildsteuerung hat uns da vor einem schweren Wirkungstreffer bewahrt."

 

"Mr. Yorgenson?"

 

"Ich bestätige Commander Yamatos Einschätzung. Der Computerverbund war nur zu drei Prozent ausgelastet. Die Echtzeitoptimierung hat sich bezahlt gemacht. Selbst als wir die vier anderen Schiffe eingebunden haben, ist die Auslastung auf nur sechs Prozent gestiegen. Die anderen Systeme wurde im Rahmen des Üblichen belastet ausgenommen die Impulstriebwerke, als wir sozusagen aus dem Stand auf den Gegner losgegangen sind. Wir waren kurzzeitig bei 120% Leistung. Das halten die Querschnittsregler in den Abstrahltrichtern nicht lange und auch nicht allzu oft aus. Da wird uns irgendwann ein Triebwerk um die Ohren fliegen. Das wäre auch schon alles."

 

"Ok, dann lassen sie die Impulstriebwerke in Zukunft bei 105% abregeln. Alles darüber bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Kommandanten. Überlegen sie sich dazu eine Lösung mit einer Autorisierung aufgrund von Kommandocodes."

 

"Aye, Skipper."

 

"Skipper, eine Kleinigkeit gibt es doch." machte Trent auf sich aufmerksam.

 

"Ja Lieutenant?"

 

"Die Computerunterstützung für die Navigation erscheint mir unter Gefechtsbedingungen etwas langsamer. Die Steuerung fühlt sich dann etwas indifferent an. Das müßte man aber erst mal prüfen."

 

"Mr. Yorgenson, kümmern sie sich bitte mit Mr. Trent darum. Vielleicht können sie da noch etwas optimieren. Wenn es nicht anders geht, dann kürzen sie die Gefechtscomputerleistung etwas. Mir ist die Manövrierfähigkeit im Gefecht wichtiger als die Gefechtsleistung. Wenn sonst keine Fragen mehr vorliegen, dann können sie wegtreten. Mr. Trent, setzen sie Kurs nach Hause bei 75% Schub. Ausführung sofort. Allgemein gilt wieder Status Grün."

 

"Aye, Skipper" antwortete Trent bereits im Hinausgehen. Yorgenson nickte einfach nur, während er sich Notizen machte.

 

Sie hatten ihre Mission nach 18-Scorpii wieder nicht erfüllen können. Dieses Mal war es sogar ihr eigenes Verschulden gewesen. Er würde natürlich die Verantwortung dafür übernehmen. Yamato würde ihm zwar nicht gleich den Kopf abreißen, aber vielleicht doch seine Wahl betreffs des Kommandanten der BARRAKUDA überdenken - jetzt wo er dieses Schiff erst so richtig zu schätzen begann.

 

"Wir werden sehen ..." dachte er bei sich, als er sich wieder auf den Weg zur Brücke machte.

 

Wenige Stunden später fiel das Schiff auf der Mondbahn aus dem Hyperraum. Wären sie näher an der Erde aufgetaucht, hätte sie die planetare Verteidigung ohne Vorwarnung aus dem Weltraum geschossen. So meldete sich das Schiff ordnungsgemäß zurück und ersuchte um Anflugvektor und Dockplatz. Eine halbe Stunde später dockten sie in der Werft an. Dort würde die Reparatur des eingedrückten Torpedoraumes sofort beginnen. Drake und Yamato machten sich auf den Weg ins Flottenhauptquartier, um Bericht zu erstatten.

Kapitel 9 - Geheimnisse

Flottenhauptquartier, 22. März 2158, 1930 Uhr

 

In seinem Büro erhielt Admiral Yamato die Nachricht, daß die BARRAKUDA zurückgekehrt war - mit Gefechtsschaden. Mehr wußte man in der Werft auch noch nicht genau, aber der endgültige Schadensbericht würde nicht lang auf sich warten lassen. Der Chefingenieur der Werft hatte etwas salopp gemeint, der Schaden wäre harmlos, aber Yamato wußte, daß die Leute in der Werft manchmal etwas lax an die Sache herangingen.

 

Yamato überlegte, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, Drake das Kommando zu geben. Er hatte noch eine gute Stunde Zeit, in seinen Überlegungen zu einem Ergebnis zu kommen. Den Bericht des Kommandanten mußte er ohnehin abwarten. Vielleicht hatte Drake eine Erklärung. Die Erforschung des Zalden-Stützpunktes hatte also auch dieses Mal nicht stattgefunden. Der FIS mußte weiter auf seine Informationen warten.

 

Fast pünktlich eine Stunde nach dem Andocken erschienen Drake und LCDR Hidetaka Yamato vor Admiral Yamatos Büro und wurden hineingebeten. Drake wußte allerdings, daß eine Bitte Yamatos durchaus als Befehl zu verstehen war. Die beiden Offiziere marschierten in das Büro des Oberkommandierenden der Flotte und nahmen vor dessen Schreibtisch Haltung an. Üblich war es nicht, daß jeder Kommandant direkt an den Oberkommandierenden berichtete, aber im Falle eines Prototypen oder von Sondermissionen kam das öfter vor.

 

"Nehmen sie Platz meine Herren. Und dann informieren sie mich bitte über die Geschehnisse." 

 

Drake und sein XO nahmen Platz.

 

"Danke, Sir. Wir sind nach Abschluß der Tests nach Gliese 581 geflogen und unter Stealth im freien Fall durch das System geglitten. Wir haben eine große gemischte Uldat-Flotte mit 60 Schiffen vorgefunden. Die Uldat haben History genau in dem Moment völlig zerstört, als wir vorbeiflogen. Wir waren zum Manövrieren gezwungen, um nicht in die Explosions- und Trümmerzone zu geraten. Sie hatten auch ihre Ortungsplattformen rund um History eingesetzt. Der Gegner hat uns mit einer dieser Plattformen entdeckt, da wir sie recht knapp passieren mußten bei unserem Manöver. Wir haben daraufhin Kurs nach Zarquum gesetzt und sind weisungsgemäß ohne Feindkontakt im Hyperraum verschwunden. Sie haben es aber geschafft unser Ziel zu erraten. Diesbezüglich haben wir den Gegner unterschätzt. Im System 18-Scorpii  ist der Gegner dann ausgeschwärmt und hat das gesamte System nach uns abgesucht. Dort haben sie uns dann wieder aufgespürt. Wir waren gezwungen, einen schweren Kreuzer zu zerstören und dann schnell zu verschwinden, als der Rest der Verfolgerschiffe herankam. Die Untersuchung von Zarquum haben wir abgebrochen, da wir nicht mehr ohne Gewaltanwendung an den Planeten herangekommen wären. Ich übernehme die volle Verantwortung, denn die Fehleinschätzung war allein mein Fehler, Sir."

 

Yamato hatte emotionslos und ohne Kommentar zugehört. Als Drake geendet hatte, lehnte sich der Admiral in seinem Sessel zurück und dachte offensichtlich ein paar Sekunden nach. Wenn Drake richtig lag, würde die Antwort maximal sieben Sekunden auf sich warten lassen. Er sollte sich nicht irren.

 

"Wir wollen nichts überstürzen Commander. Natürlich hatte sich das Oberkommando mehr erwartet. Es ist sehr bedauerlich, daß Zarquum nicht erforscht werden konnte, aber aufgrund der Situation war es wohl die klügere Entscheidung sich zurückzuziehen. Ich werde noch die letzten Berichte und Auswertungen abwarten, bevor ich entscheide, wie wir weiter vorgehen mit der geplanten Mission für die BARRAKUDA. Haben sie noch Fragen?"

 

"Ja, Admiral. Was ist an Zarquum so wichtig? Ich meine, es haben sich wahrscheinlich schon alle möglichen Rassen dort umgesehen und alles mitgenommen, was man irgendwie abtransportieren kann. Wir werden dort nichts Verwertbares finden."

 

"Tut mir leid, Commander, aber das unterliegt der Geheimhaltung. Es ist aber gut möglich, daß wir die Erkundung von Zarquum wiederholen werden."

 

Drake schluckte einen zynischen Kommentar darüber hinunter, eine Crew ins Ungewisse zu schicken. Er würde bei Yamato nichts damit erreichen.

 

"Keine weiteren Fragen, Sir."

 

"Dann können sie wegtreten."

 

Auf dem Weg zur Raumstation, einem der üblichen Aufenthaltsorte von Schiffsmannschaften, war Drake sehr wortkarg. Sein Erster Offizier Hidetaka Yamato bemerkte die Unruhe seines Vorgesetzten. Als Drake nach mehr als zehn Minuten immer noch nichts gesagt hatte, ergriff Yamato die Initiative.

 

"Was geht ihnen durch den Kopf, Captain?"

 

"Ich habe einen Fehler gemacht. Dieses Mal ging es noch recht glimpflich aus, aber beim nächsten Mal könnte es jemanden das Leben kosten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Abzeichen ..." Drake deutete auf das Abzeichen des kommandierenden Offiziers über der linken Brusttasche seiner Uniform ... "verdiene. Die Wahl ihres Vaters für das Kommando der BARRAKUDA war falsch."

 

"Nein, war sie nicht. Er hat diese Besetzung sehr ausführlich mit mir diskutiert, weil ich alle Kandidaten schon persönlich kannte. Ihr großer Vorteil ist die Selbstreflexion. Kombiniert mit ihren anderen Eigenschaften ist das sehr wertvoll für ein Schiff wie die BARRAKUDA."

 

"Ich danke ihnen, Commander. Wir werden sehen, wie sich ihr Vater entscheidet."

 

Yamato lehnte sich mit einem unsichtbaren geistigen Grinsen in die Sitzpolster des Orbitalshuttles zurück. Er hatte bei Drakes Beurteilung recht gehabt. Zufriedenheit erfüllte ihn. Sobald sie an Bord der Station sein würden, würde er eine entsprechende Nachicht an seinen Vater schicken. Man durfte nur nicht zulassen, daß Drake in Selbstzweifeln versank.

 

"Ich werde dann bei den Verletzten im Krankenhaus vorbeischauen. Wissen wir schon wie lange die Reparaturen und die noch notwendigen Anpassungen dauern werden?" fragte Drake nach einigen weiteren Minuten Stille.

 

"Den beiden geht es gut Skipper. Ich habe kurz vor dem Termin beim Admiral vom Doc eine Nachricht bekommen. Sie werden schneller wieder auf dem Damm sein, als die KUDA. Die Reparatur wird wahrscheinlich neun Tage dauern. Die Torpedorohre sind verzogen und müssen eingerichtet werden. Die Frontsensoren hat es teilweise auch erwischt. Sie wissen ja, das ist etwas heikel."

 

"Ja, ich weiß. Sehen sie zu, daß wir zum Starttermin für die Kruhl-Mission fertig sind zum Auslaufen. Falls sie dazu etwas brauchen oder jemand bremst, dann kommen sie sofort zu mir. Ob wir allerdings starten werden, steht auf einem anderen Blatt."

 

"Gern Sir, aber sie werden doch da sein?"

 

"Vier Tage lang nicht. Da haben sie die alleinige Verantwortung. Ich werde aber über Com-Link erreichbar sein. Dafür sind sie für die nächsten 3 Tage auf Urlaub, wenn sie möchten."

 

"Ich halte ihnen den Rücken frei, Skipper."

 

Von diesem Tag blieben nur mehr zwei Stunden, als Drake in sein Quartier auf Base One kam. Dort angekommen ließ er sich auf die Coach fallen. Er hatte endlich Zeit Sarah eine Nachricht zu schicken, was er dann auch tat.  Kaum hatte er die Nachricht verschickt, piepste auch schon sein Kommunikator. Er nahm das Gespräch an.

 

"Was dachtest du dir dabei, auf euch schießen zu lassen?"

 

"Oh, es hat wohl schon die Runde gemacht. Guten Abend Sarah."

 

"Ja. Angeschossene Schiffe gibt es schließlich sehr selten. Die Basis ist zu klein für Geheimnisse. Ich hoffe ihr seid alle in Ordnung."

 

"Es gab zwei gebrochene Arme und ein paar Hämatome. Das Schiff hat einen eingedrückten Torpedoraum. Sonst ist alles ok. Allerdings flog ein scharfer Fusionstorpedo quer durch den Bug."

 

Auf dem kleinen Bildschirm riß Sarah die Augen auf: "Meine Güte, dich kann man auch nicht alleine aus dem Haus lassen."

 

"Ich werde nicht an der nächsten Mission teilnehmen, Sarah. Ich habe einen Fehler gemacht und Yamato weiß es." Drake wollte Sarah gegenüber nichts verschweigen.

 

"Hm, möchtest du herüberkommen?"

 

"Heute nicht mehr Sarah. Ich wäre keine gute Gesellschaft."

 

"Das würde mich nicht sonderlich stören. Du kannst auch bei mir in einer Ecke sitzen und schmollen."

 

Drake mußte schmunzeln und damit hatte sie ihn schon überzeugt: "Überredet. Bis gleich."

 

Wenige Minuten später umarmten sie sich bereits. Er spürte sofort, daß es ihm gut tat, die Probleme für eine Weile auszublenden. Die Zukunft würde noch anstrengend genug werden - nicht nur für sie beide, sondern für die gesamte Menschheit.

Imprint

Text: Armin Regner
Images: Cover-Foto: NASA - Hubble Space Telescope
Publication Date: 02-12-2014

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