Ich öffnete zum ersten mal die Augen und sah ein grelles Licht. Es war so eng dort wo ich war, dass ich mich kaum bewegen konnte. Ich schien zu schweben. Mich umgab eine bläuliche, zähe Flüssigkeit, doch die Stimmen die ich außerhalb dieses engen Raumes wahrnahm, interessierten mich viel mehr. Das Interesse wurde so groß und ich bekam auch ein wenig Angst, dass ich anfing mit meinem Schwanz um mich zu schlagen. Ich klopfte mit ganzer Kraft gegen die Wände die mich so eng umschlungen hatten. Ich wollte einfach nur raus . Sehen woher die Stimmen kamen und was mich außerhalb dieser Kapsel erwartete. - Knack - Die Wände um mich herum rissen und ich konnte mich nach einiger Zeit endlich befreien. Ich erblickte das Licht der Welt und atmete zum ersten mal die frische Luft ein. Ich sah in zwei tief blaue Augen und eine sanfte Stimme sagte: "Na endlich mein kleiner Lucifer. Da hast du dir aber ganz schön Zeit gelassen beim Schlüpfen." Ich wusste sofort wem diese glänzenden blauen Schuppen und diese wunderbar herzliche Ausstrahlung gehörten. "Mama!" Sie legte ihren Schwanz um mich und zog mich mit seiner Hilfe zu sich. Dann leckte sie mir übers Gesicht und drückte mich ganz fest. - Grummel - "Oh da hat wohl einer Hunger was?" Mama grinste. "Ich musste ja auch schwere Arbeit verrichten. Diese fiesen Wände waren ganz schön zäh. Ist Vati grade Futter holen?" Mutter senkte den Kopf. Ich erhaschte eine Träne die ihr über das schuppige Gesicht lief und die im Sonnenlicht glitzerte. "Er wird nicht wieder kommen." ,brachte sie stotternd hervor. Ich war enttäuscht, dass ich meinen Vater niemals kennenlernen würde, doch es sollte noch schlimmer werden.
Es war ein düsterer Tag und es regnete von früh bis spät. Am Abend zog Mutter los um Futter zu beschaffen. Mit ihrem Verschwinden begann es zu Donnern und Blitzen. Ich rollte mich in unserer Höhle zusammen und zitterte. Es war zwar schon knapp ein Jahr seit meiner Geburt verstrichen, doch wir Drachen bleiben bis zu unserem dritten Lebensjahr bei unseren Eltern und mögen es nicht gerne allein zu sein. Ich hoffte jede Sekunde, dass Mutter schnell wiederkommen würde. Doch aus Sekunden wurden Stunden und aus Stunden wurden Tage. Sie kehrte niemals zurück und bis heute weiß ich nicht was ihr zugestoßen war. Von diesem Moment an war ich auf mich allein gestellt. Doch wie sollte ich mir selber Fressen beschaffen? Es hatte mir noch nie jemand gezeigt wie das geht und meine Kraft war auch noch nicht voll ausgereift. Selbst meine Zähne waren noch nicht hart genug Fleisch zu reißen. Die Zähne eines Drachen brauchen nämlich zwei Jahre bis sie einem Hirsch oder Büffel gefährlich werden können. In der Höhle konnte ich auf keinen Fall bleiben, also beschloss ich einfach los zu gehen und nach etwas anderem zu fressen zu suchen. Ach ja, falls ihr euch nun fragt wieso ich gehen sage, fliegen können wir Drachen auch erst nach zwei bis drei Jahren. Also stampfte ich los.
Ich suchte und suchte, doch als ich nach einer Woche immer noch nichts gefunden hatte, merkte ich wie meine Kräfte nachließen. Ich ruhte mich auf einem Hügel aus und ließ meinen Blick ins Tal schweifen. Gar nicht weit entfernt sah ich Rauch aufsteigen und Lichter zwischen den Bäumen aufleuchten. Was war das? Waren das die Menschen von den Mutter mir mal erzählt hatte? Ich bekam Angst, denn sie hatte nichts Gutes erzählt. Sie sagte, dass sie unsere Wälder zerstören und uns den Lebensraum nehmen. Einige, so sagte sie, zogen sogar gegen uns in den Krieg, da sie scharf auf unser Blut und unsere Schuppen waren. Ich zuckte zusammen, als ich eine Stimme hörte. "Pah ich soll eine Hexe sein? Ich glaub die ticken nicht ganz richtig!", sagte diese. Als ich sie erblickte raubte es mir den Atem. So klein, zierlich und einfach wunderschön. Wie konnte so etwas Wunderbares böse sein? Doch ich erinnerte mich an die warnenden Worte meiner Mutter und zog mich in den Wald zurück. Aber nur soweit, dass ich die Frau noch beobachten konnte.
Sie kam immer näher und steuerte direkt auf mich zu. Hätte ich mich in dem Moment bewegt, hätte sie mich sofort gesehen. Also blieb ich ganz ruhig und atmete flach. Dann lehnte sie sich gegen den Baum direkt vor mir. Sie stöhnte: "Wieso nur ich? Wie kommen sie nur auf die schwachsinnige Idee, dass ich eine Hexe bin? Nur weil ich mich, seit ich sechs Jahre alt bin, bestens alleine versorgen kann? Was kann ich denn dafür, dass meine Eltern im Krieg gestorben sind und ich..." Sie find an zu weinen. Sie hatte das gleiche Schicksal getroffen wie mich. Mietfühlend schnaubte ich, ohne daran zu denken, dass sie mich dann hören konnte. Ihr pechschwarzes Haar wirbelte in meinem Atem herum. Sie stieß sich vom Baum ab und drehte sich schreckhaft zu mir um. Sie stieß einen schrillen Schrei hervor und die Angst war ihr ins Gesicht geschrieben. Wenn die Menschen vor uns Angst haben, wieso sollen wir dann vor ihnen Angst haben? Ich ging vorsichtig und langsam auf sie zu. Um ihr zu zeigen, dass ich ihr nichts tun wollte legte ich mich flach auf den Bauch. Sie guckte mich fragend an. "Was machst du da? Willst du mich nicht... fressen?" Ich fragte mich ob sie mich verstehen konnte und versuchte es dann einfach. "Ich habe das selbe durch gemacht wie du. Ich bin noch zu jung um Fleisch zu reißen, auch wenn ich einen Drachenhunger habe. Und selbst wenn ich es könnte würde ich es bei dir nicht tun." Sie schreckte zurück. "Was? Wieso? Wieso kann ich dich verstehen?" Ich freute mich, dass sie es tat und entgegnete: "Was ist daran so schlimm? Ich finde das schön!" Ich schnaubte zufrieden und die Frau fing an zu lächeln. "Ich habe immer nur gehört wie ihr uns Menschen bekriegt und tötet, aber du scheinst anders zu sein." Nun war ich sauer und schnaubte wütend: "Was? Wir bekriegen euch? Wir wehren uns nur. Ihr seid doch hinter unserem kostbaren Blut her und unseren Schuppen!" Die Frau zuckte zusammen. "Ich habe von einer Legende gehört, die besagt, dass euer Blut unsterblich macht, aber dass die Menschen daran glauben und so naiv sind habe ich nicht gedacht." Ihr Blick füllte sich mit Mitleid. "Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht wütend machen. Mein Name ist Lyn und mir kommt da so eine Idee. Wir ziehen zusammen los und ich helfe dir etwas zu Essen zu bekommen. Im Gegenzug wirst du mich beschützen ja?" Ich überlegte kurz. Doch lange zögerte ich nicht, da ich ohne ihre Hilfe verhungern würde. "Ich bin Lucifer." Wir zogen gemeinsam durch die Wälder und wurden schon bald die besten Freunde. Es waren schon knapp zwei Jahre verstrichen, als auch sie beinahe von mir gegangen wäre...
Wir hatten grade unser Lager für die Nacht aufgeschlagen und ich genoss den Rest vom Hirsch, als wir hinter uns aus dem Wald ein lautes Gebrüll wahrnahmen. Eine grölende, mit Fackeln bestückte Menschenmenge stürmte auf uns zu. "Da ist sie die Hexe! Schnappt sie euch! Wir haben sie endlich gefunden! Sie ist Schuld, das unser Dorf an Hungersnot leidet!" Lyns Blick erfüllte sich mit Angst und sie sah mich hilfesuchend an. "Steig auf meinen Rücken und halt dich fest!" Sie reagierte schnell und saß innerhalb weniger Sekunden an ihrem Platz. Ich rannte los, doch zu Fuß war ich nicht schnell genug um die Menge abzuschütteln. Ich schlug mit meinem Schwanz nach ihnen, doch sie waren so zäh, dass sie immer wieder aufstanden. Leider konnte ich noch kein Feuerspucken, doch vielleicht... "Okay pass auf, dass du dich jetzt auch gut festhältst!" Ich nahm meinen Mut zusammen, stieß mich vom Boden ab und begann mit den Flügeln zu schlagen. Es war eine wackelige Angelegenheit, doch nach einigen Versuchen gelang es mir schließlich in die Luft empor zu steigen. "Woohooo! Wir haben es geschafft! Ist der Ausblick nicht herrlich?" Lyn reagierte nicht. Ich drehte meinen Kopf zu ihr und sah, dass sie schwach auf meinem Rücken hing und vor Schmerz stöhnte. Dann sah ich, dass sie einen Pfeil in der Brust stecken hatte. "Oh Nein!" Ich setzte zur Landung an. Ein hoher Fels mit einer Höhle gewehrte uns Zuflucht. Vorsichtig legte ich Lyn auf den Boden und legte meinen Flügel wärmend um sie. "Hörst du mich Liebes? Geht es dir gut? Sag doch etwas." Sie öffnete kurz ihre Augen und ich sah ihren leeren Blick, dem das Leben zu entweichen schien. "Nein du darfst nicht gehen. Nicht jetzt wo die schönste Zeit doch noch vor uns liegt." Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten und eine tropfte direkt auf Lyns Brust. Im nächsten Moment wurde ich von einem grellen Licht geblendet. Als dieses wieder erlosch und ich meine Augen wieder öffnete sah ich, dass Lyn sich die geheilte Brust hielt und mich erstaunt ansah. Ich freute mich so sehr und leckte ihr quer durch das Gesicht. Sie fing an zu lachen und sagte: "Die Menschen haben sich geirrt. Nicht euer Blut macht unsterblich und hat heilende Kräfte sondern eure Tränen." Ich freute mich noch mehr, da vor uns nun eine lange... nein eine unendliche, gemeinsame Zeit lag.
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Publication Date: 09-15-2011
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