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Minako Senjun lebte im Jahre 1920 in einem kleinen Vorort von Tokio, namens Kimitsu. Zusammen mit ihren Großvater Zen und ihrer Mutter Zoe bewohnte sie ein kleines Haus am Rande eines Hügels. Auf diesem hatte Zen einen kleinen Uhrenladen eröffnet. Er war ein lieblicher, alter Greis mit Glatze und langem weißen Bart, welcher ihm fast bis zum Bauch hing. Ein Buckel zeugte von der jahrelangen Arbeit am Schreibtisch, aber mit seinen 79 Jahren war er immer noch geschickt in seinem Handwerk und brachte gutes Geld mit nach Hause. Die Liebe zu Uhren hatte er von seinem Vater geerbt. Stunden verbrachte er damit die Uhren liebevoll zu verzieren und herzustellen. Minako guckte ihm oft und gerne dabei zu, da sie den Laden auch später weiterführen sollte. Doch noch war sie nicht so weit und ihr Großvater bestand darauf, dass sie die Schule zuende machen sollte, da sie mit ihren 17 Jahren noch viel zu lernen hätte. Zoe, grade erst 36 Jahre geworden, betrieb eine kleine Bibliothek, in der sich Minako oft nach der Schule aufhielt. Sie bekam ihre Tochter schon recht früh im alter von 19 Jahren und sie war seit dem der stolzeste Mensch auf Erden. Nie hat sie diesen Tag bereut. Allgemein gibt es kaum etwas was sie gerne rückgängig machen würde. Nur eines... sie hätte damals ihren Mann davon abhalten sollen los zu ziehen, denn er kam niemals mehr zurück und so musste sie sich alleine um das kleine Mädchen kümmern. Jedes mal, wenn sie Minako ansah sah sie auch ihren Mann vor sich. Alles, aber auch wirklich alles hatte die Kleine von ihrem Vater. Die großen untypischen grünen Augen und das lange ebenfalls seltene braune Haar. Zoe hingegen war eine typische Japanerin. Mittellange schwarze Haare und braune Augen. Alle zusammen lebten ein glückliches und familienbewusstes Leben, doch die Zukunft sollte einiges ändern...





Der Regen klopfte lautstark an Minakos Fenster. Ein donnerndes Grollen ließ Sie endgültig aus ihrem Traum erwachen. Noch im Halbschlaf richtete sie sich auf und rieb sich die müden Augen, in der Hoffnung irgendetwas in dem dunklen Raum erkennen zu können. Ein greller Blitz erhellte für eine Sekunde den Raum. Doch dieser half ihr nicht besser in der Dunkelheit sehen zu können. Im Gegenteil. Das kurze Aufhellen erschwerte es eher. Schlaftrunken zog sie die Beine unter der Decke hervor und stand auf. Sie torkelte zur Tür und tastete nach dem Griff. Leise schob sie die Schiebetür auf. „Das war vorhin wohl ein Glas Sake zu viel.“, dachte sie, als sie den Flur hinunter blickte.

Barfuß schlurfte sie in die Küche und machte das Licht an. Es zwang sie kurz die Augen zu schließen, da diese noch nicht an die Helligkeit gewohnt waren. Nach einem kurzen Moment konnte sie, ohne Schmerzen in den Augen, die hell erleuchtete Küche sehen und schlenderte zum Spülbecken. Sie füllte sich ein Glas mit Leitungswasser und führte es zu Munde.

Ein plötzliches Rumpeln aus dem Bad ließ sie aufschrecken. Sie stellte das Glas beiseite und ging zur Tür. Vorsichtig schob sie den Kopf hindurch und blickte den Flur entlang in Richtung Bad. „Mutter….Großvater? Ist da jemand?“ Keine Reaktion. Dies ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Wieso hatte sie auch so schlecht geträumt und wieso hatte der laute Donner sie auch wecken müssen? Wahrscheinlich geriet sie umsonst in Panik. Es war bestimmt ihr Großvater im Bad, der sie einfach nicht hörte. Trotzdem schlich sie über den Flur anstatt normal zu gehen. Ihre Füße machten dabei dennoch Geräusche, da sie schwitze und diese dadurch ein leises tapsen erzeugten. Sie blieb kurz stehen und hielt inne. „Mensch Minako. Du liest einfach zu viele Horrorgeschichten.“ Plötzlich fuhr sie zusammen. Sie hörte wie sich die Badezimmertür langsam und knarrend aufschob. Vor Schreck kniff sie die Augen zusammen und hörte dann aber eine vertraute Stimmte sagen: „Na mein Kind. Kannst du bei dem Wetter auch nicht schlafen?“ Sie öffnete wieder die Augen und sah ihren Großvater Zen. „Mensch Opa. Ich dachte schon du wärst ein Einbrecher.“, schnaubte sie erleichtert und lächelte beschähmt. Der Großvater erwiderte ihr Lächeln und nahm sie in den Arm. „Na nun werde mal nicht albern. Komm wir gehen wieder ins Bett.“ Sie nickte und stürmte die Treppe hinauf, zurück in ihr Zimmer.

Schnell huschte sie in ihr Bett, um sich wieder mit der wohligen Wärme ihrer Decke umschlingen zu können. Sie blickte sich noch einmal um. Sie hatte kein großes Zimmer, aber das nötigste passte hinein. Ihr Bett, ihr Kleiderschrank aus Bambusholz und ein kleiner Schreibtisch, vor dem ihr lieblings Sitzkissen lag. Es war zwar nur schlicht rot, aber ein Andenken an ihren Vater gewesen. Dann sah sie aus dem Fenster in den Sturm hinaus. Auf der Fensterbank stand eine kleine Buddha Statue und ein Bonsaibäumchen. Vom Bett aus konnte sie den kleinen Hügel sehen auf dem der Uhrenladen ihres Großvaters stand. Stirnrunzelnd stand sie noch einmal auf und ging zum Fenster um genauer sehen zu können. Sie rieb sich die Augen, da sie nicht glauben konnte was sie sah. Als sie die Augen wieder öffnete sah sie nur noch den Hügel und den Uhrenladen, aber nichts mehr von den komischen dunklen Gestalten die sie vorher gesehen hatte und die ihr wieder diesen kalten Schauer auf dem Rücken trieben. Kopfschüttelnd ging sie zurück ins Bett, drehte sich auf die Seite und zog die Decke bis zum Kinn hoch. Nach einiger Zeit gelang es ihr wieder zurück in ihren Traum zu gelangen.

Sie fand sich in einem dunklen Wald wieder. Die Baumkronen rauschten, wenn der starke Wind sie von allen Seiten erfasste. Ihr gruselte es, als plötzlich auch noch ein Platzregen einsetzte und sie begann einfach los zu laufen. Sie spürte ihren Puls schneller schlagen, so dass dieser bald nur noch ein lautes Pochen in ihren Ohren war. Vom Geschwindigkeitsrausch schon beinahe erfasst, stand sie auf einmal vor einer Gabelung. Sie blickte die dunklen Wege entlang und fragte sich welchen sie einschlagen sollte. Plötzlich hörte sie ein Fauchen hinter sich. Sie wollte sich umdrehen, aber verweilte starr auf der Stelle. Dann mit einem mutigen Ruck drehte sie sich doch um und sah in eine hässliche Fratze. Blutrote Augen gierten nach Fleisch. Ein dürrer aber dennoch mächtig aussehender Körper tat sich vor ihr auf. Die Kreatur mit ihren langen Armen, an denen Hände… nein gar Klauen prangten, blickte sie an und riss ihr Maul auf. Mit einem hellen Schrei spukte sie Minako brennenden Speichel ins Gesicht. Sie schrie vor Schmerz auf und...

saß kerzengrade und schwitzend in ihrem Bett. "Was um Himmels Willen...." Sie sah auf die Uhr. "Oh nein ich komm zu spät zur Schule!“, schrie sie und sprang auf. Beinahe stolperte sie über die mit aus dem Bett gerissene Decke, konnte sich aber noch im letzten Moment halten. Schnell riss sie den Kleiderschrank auf, griff ihre Schuluniform und schlüpfte hinein. Dann rumpelte sie weiter ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Noch mit Zahnbürste im Mund rief sie den Flur entlang: " Wieso hat mich denn niemand geweckt?!" Doch so wie gestern Abend keine Reaktion. Erneut blickte sie auf ihre Uhr und sah, dass es schon so spät war, dass ihr Großvater und auch ihre Mutter schon seit einiger Zeit aus dem Haus waren. Schnell spuckte sie die Zahnpasta ins Becken, stellte die Zahnbürste zurück in den dafür vorgesehenen Becher, schnappte sich ihre Schultasche und rannte aus dem Haus in Richtung Schule.

Sie besuchte die Mittelschule, welche nicht weit von ihrem Haus entfernt, neben einem kleinen Park erbaut wurde. Der Park hatte wunderschöne Kirschbäume. Das Schulgebäude war schon einige Jahre alt, was man ihm auch ansehen konnte. Der Schulhof war im Durchschnitt gesehen einigermaßen groß, aber nicht gepflastert. Sie rannte über den sandigen Boden und hinterließ eine Stabwolke. In Windeseile stürmte sie die drei Treppenstufen zum Haupteingang hinauf und öffnete die alte Flügeltür." Minako Senjun du bist mal wieder zu spät. Ab vor die Tür!", brüllte sie Frau Hokawa an, als sie endlich und total außer Atem im Klassenzimmer ankam. Grummelnd folgte sie der Ansage ihrer Lehrerin. "Hm nun kann ich hier 20 Minuten vor der Tür stehen.", brummte sie beleidigt. Und das nur weil sie gestern Nacht so schlecht schlafen konnte. Durch das Gewitter und... da fielen ihr die Gestalten wieder ein die sie gestern glaubte gesehen zu haben. War das nun Einbildung gewesen oder nicht? Die Kreatur aus ihrem Traum sah den Geschöpfen, die sie gestern Nacht auf dem Hügel gesehen hatte, sehr ähnlich. Sie schüttelte den Kopf. "Dass muss ich mir einfach eingebildet haben. Hätte ich bloß auf Mutter gehört und kein Sake getrunken." Ja daran lag es bestimm, war sie sich nun fast sicher. Mal davon abgesehen, dass sie mit ihren 17 Jahren eigentlich noch gar kein Sake trinken durfte. Da hatte das bisschen wohl schon ausgereicht. Doch plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen... was war wenn es nun doch wahr war? Was wenn sie die Gestalten doch gesehen hatte? Und dann schrie sie es einfach raus und rannte los: "Oh Gott Großvater!!!!"

Die Schule war ihr in diesem Moment total egal. Ob sie nun 20 Minuten vor dem Klassenzimmer sich die Beine in den Bauch stand oder ob sie sich eben vergewisserte, dass an ihren Bildern von gestern Nacht wirklich nichts dran war. Ab und zu überkam sie wieder diese Angst. Diese zwang sie zum Rennen. Was ist, wenn es wirklich die Kreaturen aus ihrem Traum gab und sie diese gestern Nacht wirklich beim Uhrenladen ihres Großvaters gesehen hatte? Dann war ihr Großvater vielleicht in großer Gefahr. Von weitem konnte sie schon den Hügel sehen, auf dem die kleine Hütte stand. Doch das Bild gefiel ihr gar nicht. Über dem Hügel verdeckten dunkle Wolken den Himmel und sie war der Ansicht, dass so keine normalen Regenwolken aussahen. Oder schob sie jetzt schon Paranoia? Egal sie rannte einfach weiter den kleinen Weg hinauf, der zum Uhrenladen führte. Zwischendurch kam es ihr so vor, als würden Gestalten aus den dunklen Wolken herab fliegen und dann wieder verschwinden. Doch sie unterdrückte die Gedanken und die Bilder. Dieses Gefühl, nicht zu wissen ob und was da grade passierte, fühlte sich so irre erdrückend an, dass sie versuchte nicht daran zu denken. Sie wollte einfach nur ihren Großvater sehen... sehen ob es ihm gut ging.




Keuchend und völlig außer Atem kam Minako an dem kleinen Uhrenladen an. Es sah eigentlich alles aus wie immer außer... sie konnte nicht sagen was anders war, aber irgendetwas störte sie. Sie blickte nach oben. Die dunklen Wolken waren immer noch am Himmel und schienen zu brodeln. Als fiele ihr wieder ein was sie eigentlich hier wollte, stürmte sie zur Tür hinein und rief nach ihrem Großvater. Sie ließ den Blick durch den leeren Verkaufsraum schweifen. "Wo ist er nur?", dachte sie sich und schlich weiter in den Laden hinein.

Alles war so auffallend still. Kein Kunde war im Laden und es sah auch nicht so aus, als wären vorher schon Kunden hier gewesen. Es hatte die Nacht wie aus Eimern gegossen und der Boden des Ladens war noch immer blitzblank sauber. Sie sah hinter sich. Nur ihre nassen Fußspuren waren zu sehen. Sie schlich weiter und bückte sich über den Verkaufstresen, in der Hoffnung ihren Großvater dort zu finden. Fehlanzeige. Sie wollte sich grad wieder zurück auf die Füße gleiten lassen, als sie in der Ecke hinter dem Tresen etwas sah, was dort nicht hin passte... einen nassen Pfoten Abdruck. Hecktisch ließ sie sich vom Tresen herabfallen und rannte um ihn herum, um den Abdruck aus nächster Nähe betrachten zu können. "Was in Gottes Namen ist das?" Sie glaubte ihren Augen nicht. Der Pfotenabdruck sah zwar von der Form aus wie der einen Wolfes, war allerdings doppelt, nein gar viermal so groß. Sie zuckte zusammen, als sie hinter sich ein lautes Rumpeln vernahm. Wieder einmal hörte sie ihren Herzschlag laut in ihren Ohren pochen und ihre Hände wurden feucht. Dennoch drehte sie sich um und voller erstaunen sah sie nichts. Wo kam dieses Rumpeln nur her? Stille. Sie hörte nur noch ihren lauten, immer noch leicht keuchenden Atem und ihr Herz. Plötzlich hörte sie Schritte die Kellertreppe hinauf schallen. Erst sah sie einen dunkeln furchteinlösenden Schatten und dann…

ihren Großvater. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. "Geht es dir gut?", fragte sie und ging einige Schritte auf ihn zu. "Minako du gehörst in die Schule! Wieso sollte es mir nicht gut gehen? Mir geht es besser denn je also was willst du hier? Verschwinde!" Sie sah ihn mit großen Augen an. Was war mit ihm los? In so einem Tonfall hatte er noch nie mit ihr geredet. Selbst damals nicht, als er so sauer war, weil sie Großmutters Urne kaputt gemacht hatte. Ihr Großvater stand einfach nur da, schockiert, traurig und innerlich ziemlich sauer. Doch er hatte sich recht schnell gefangen und nur leise seine Bemerkung geäußert, dass es ja wohl keine Absicht von ihr gewesen sei. Dann war er einfach in sein Zimmer gegangen, vermutlich um zu trauern. Aber so wie er nun vor ihr stand und sie anbrüllte, nur weil sie sich Sorgen gemacht hatte, dass verstand sie einfach nicht. Ihr Magen zog sich zusammen und ihr schossen Tränen in die Augen. Sie wollte etwas sagen, doch mit den Klos im Hals, welchen sie nun drückend wahrnahm, fiel es ihr schwer. "Aber Großvater was ist mit dir? So hast du ja noch nie mit mir..." Sie konnte noch nicht mal den schwer herausgepressten Satz zu Ende bringen, da unterbrach er sie schon. "Heulst du etwa?! Also mein Kind, wenn du eines Tages mal mein Werk weiter führen willst und diesen wunderschönen Uhren Leben einhauchen möchtest..." Er nahm eines seiner Werke aus dem Regal und streichelte es liebevoll,"dann solltest du aber nicht so empfindlich sein!" Sie stand nun nur noch da, nicht mehr bereit irgendetwas zu sagen und beobachte Zen wie er die Uhr ansah und liebkoste. Auch wenn er seine Arbeit gerne verbrachte und stolz auf seine Werke war, so hatte er die Uhren noch nie angesehen. So voller Ehrfurcht und Respekt, dass es ihr Angst machte. "Na los geh zur Schule! Du musst noch eine Menge lernen!" Schrie er wieder und sie zögerte nicht lange. So wollte sie ihren Großvater nie wieder sehen. "Hoffentlich hat er sich heute Abend wieder beruhigt. ", dachte sie und verließ den Laden.

Sie sah noch ein paar Mal zurück als sie den Weg hinab ging, blieb aber nicht stehen. Sie sah auf ihre Taschenuhr. 08.30. Nun hatte es doch länger als 20 Minuten gedauert und ihrer Lehrerin war bestimmt schon aufgefallen, dass sie weg war. Sie betrat den Schulflur und blieb vor ihrer Klassentür stehen. Zögernd klopfte sie an. "Ich hoffe das ist jetzt nicht...", hörte sie Frau Hokawa hinter der Tür sagen und als diese die Tür öffnete vervollständigte sie ihren Satz mit: "Minako!" Ein leichtes Zucken durchfuhr ihren Körper bei dem lauten Ausrufs ihres Namens. "Erst kommst du zu spät und dann haust du auch noch einfach so ab!!! Sag mal was fällt dir eigentlich ein?!" Die Worte flogen links und rechts an ihr vorbei. Sie beachtete sie einfach gar nicht erst. Ihr war gerade alles egal. Ihre Lehrerin schien das zu merken und guckte sie nur verdutzt an. "Sag mal hörst du mir zu, wenn ich mit dir rede? Was ist denn los mit dir? Ist was passiert?" So viele Fragen. Zu viele für sie in dieser Situation und sie zuckte einfach nur mit den Schultern, den Blick immer weiter ins Leere gerichtet. "Du musst doch wissen ob was passiert ist." Frau Hokawa betrachtete sie nun mit besorgter Miene, dass spürte sie. Dann legte die Lehrerin eine Hand auf ihre Schulter und sagte: " Na komm. Setzt dich auf deinen Platz.“

Den Blick auf den Boden gerichtet, ging sie an den Sitzplätzen ihrer Freunde vorbei und setzte sich auf ihren Stuhl. Ihr Tisch war der letzte in der Reihe und am Fenster. Ihre Klasse war mit achtundzwanzig Schülern recht klein. Es gab andere die hatten vierzig Schüler. Sie richtete ihren Blick aus dem Fenster und schenkte dem Unterricht nur wenig Aufmerksamkeit. Das was sie mitbekommen hatte war, dass grade das Fach japanische Schrift begonnen hatte. Sie quälte sich durch den Unterricht, bis endlich die Schulglocke das Ende einläutete. Langsam schlenderte sie den Flur hinunter. Was war nur los? Was war das für ein Pfotenabdruck bei ihrem Opa im Laden gewesen und was war nur mit ihm losgewesen? Hatte das vielleicht etwas mit den Gestalten, die sie glaubte gestern Nacht gesehen zu haben, zu tun? Stammte dieser Abdruck hinter der Theke vielleicht sogar von einem dieser Geschöpfe? Ihr flogen schon den ganzen Morgen nur solche Fragen durch den Kopf. Sie konnte an nichts anderes mehr denken. Dass es sie aber so verwirrte, dass sie nicht nach Hause gelaufen war, sondern nun auf einmal vor der Eingangstür zur Bibliothek stand, hätte sie nicht gedacht. Das große, pavillonähnliche Gebäude, aus Holz und Beton mit einem wunderschönen Dach, welches dem eines typischen japanischen Tempels ähnelte, gehörte früher ihrem Vater. Aber nun wo er fort war kümmerte sich Zoe darum.

"Mutter!?", rief sie, als diese nicht an der kleinen Theke vom Empfang stand. Drei Bücherregale weiter hörte sie das schieben von Büchern und eines herunterfallen. Sie suchte in den schmalen Gängen der Bibliothek und rief noch einmal nach ihr. Keiner antwortete. Aber irgendwo hier hatte sie doch Geräusche vernommen und wenn sie diese hören konnte, dann müsste ihre Mutter ihr Rufen doch auch hören. Wieso sagte sie dann nichts? "Mutter hör auf! Ich weiß doch dass du hier irgendwo bist. Hab dich schon längst gehört, also komm schon her. Ich hab heute echt schon genug durch gemacht und hab keine Lust auf das Versteckspiel!" Insgeheim musste sie aber zugeben, dass sie dieses Spiel auf andere Gedanken brachte und ablenkte. Als sie dann einen Gang weiter in die Gasse blickte und nur noch einen dunklen Schatten um die Ecke flitzen sah, bekam sie es wieder mit der Angst zu tun. "Mutter es reicht!", schrie sie nun noch viel lauter und gereizter. Danach zog wieder Stille in die alte Bibliothek ein. Sie sah sich um und fühlte sich auf einmal nicht mehr so geborgen wie sonst zwischen den alten Holzregalen und den Büchern. Dann hörte sie einen lauten Aufprall, der so klang, als wäre jemand böse hingefallen. Ob dass der Schatten war den sie gesehen hatte und der es so eilig hatte?

Sie ging vorsichtig den kleinen Gang in Richtung Hauptgang entlang und lugte um die Ecke. Ein merkwürdig gekleideter Kerl lag auf dem Boden. Sie schätze ihn so um die 50 Jahre alt. Er hatte einen komischen Hut auf und einen bizarren Bart. Die Klamotten sahen aus als käme er aus dem 18 Jahrhundert. Neben ihm auf dem Boden lag ihre Mutter Zoe und einige Bücher die sie wohl grade abgeholt hatte. "Na was soll denn das? Haben sie denn keine Augen im Kopf? Wieso haben sie es denn so eilig?", stöhnte Zoe und faste sich an den Rücken, der wohl von dem Aufprall noch schmerzte. Sie ging zu ihrer Mutter und half ihr hoch. Der komische alte Mann brachte noch immer kein Wort der Entschuldigung hervor. Er stand auf, klopfte sich den Dreck von der Hose und ergriff die Flucht. Zoe sah ihm nach und dann Blickte sie zu ihrer Tochter. "Was war denn das für ein Kerl?" Minako kniete sich hin und hob die Bücher auf die verteilt auf dem Boden lagen. "Keine Ahnung. Habe ihn vorhin schon durch die Gänge rennen sehen.", sagte sie, erhob sich wieder und überreichte ihrer Mutter die Bücher. "Hm, ein komischer Kerl. Was ist los mein Schatz? Du bist so blass.“, erwiderte ihre Mutter besorgt. "Mir geht es nicht so gut. Ich wollte auch eigentlich direkt nach Hause und mich in mein Bett legen, aber irgendwie haben mich meine Füße hierher getragen. Und wenn ich schon einmal hier bin, darf ich mir doch bestimmt ein Buch aussuchen oder?“ Ein liebevolles Lächeln zeichnete sich auf Zoe´s Gesicht und sie reichte ihrer Tochter eines der neuen Bücher. "Hier du liest doch so gerne Horrorgeschichten. Das ist bestimmt etwas für dich." Sie nahm das Buch an sich und betrachtete es. Dann schüttelte sie den Kopf und entgegnete: "Ich möchte mich mal nach einem anderen Genere umschauen."

Sie ging schnurstracks in den Gang wo sie vorhin, als sie die Bibliothek betreten hatte, das Schieben von Büchern vernommen hatte. Sie wollte gucken ob der komische Kerl, der es so eilig hatte, irgendetwas gestohlen hatte. Sie ging Buch für Buch durch. Sie kannte die Bücher fast alle auswendig, da sie sehr oft nach der Schule hier war und stöberte. Es dauerte nicht lange da fiel ihr ein dickes Buch auf, dessen Einband schon sehr mitgenommen aussah. Auch wenn Zoe hier so einige alte Bücher untergebracht hatte, so eines hatte sie noch nie gesehen. Es war ein dicker Schinken mit einer goldenen Fassung um den Einband. Der Rest des Buches hielt sich in einem schlichten Braun. Vorsichtig zog sie es aus dem Regal und merkte schnell, dass sie die zweite Hand zur Hilfe brauchte, da es so schwer war, dass sie es mit einer nicht halten konnte. Hatte der Mann vielleicht kein Buch entwendet, sondern dieses einfach hier zwischen die Anderen geschoben? Aber wieso sollte er? Wieso hatte er es nicht einfach Zoe gegeben? "Was für ein komischer Tag", dachte sie sich. Dann kam ihr in den Sinn, dass der Kerl vielleicht auch einfach keine Zeit hatte um auf Zoe zu warten und ihr das Buch zu geben. Sie schlug das Buch auf und erschrak bei dem Anblick einer schwarzen Gestalt mit blutroten Augen. Vor Schreck ließ sie das Buch fallen und packte sich mit den Händen an den Kopf. Was sollte das? War sie nun schon total verrückt geworden? Sie ging in die Hocke und klappte das Buch erneut auf, um noch einmal nach zu schauen ob sie sich die Gestalt nicht doch eingebildet hatte. Doch sie musste feststellen, dass sie wirklich dort abgebildet war. Okay verrückt war sie also noch nicht geworden, aber was ging hier vor? "Hast du was gefunden?" Ihre Mutter kam vom Hauptgang aus auf sie zu. Schnell klappte sie das Buch zu, drückte es an ihre Brust und nickte. "Das hier würde ich mir gern leihen." Zoe betrachtete das Buch fragwürdig. "Wo hast du das her? Das kenne ich nicht." Wie blöd musste sie sein zu glauben, dass wenn sie selbst schon sofort erkannte, dass das Buch hier nicht her gehörte, dass ihre Mutter das nicht erkennen würde. Sie zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung wo es her kommt, aber es stand hier im Regal zwischen den anderen Büchern." Zoe legte den Kopf schräg: "Naja dann nimm es halt mit und berichte mir dann wie es ist." Sie nickte, gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und rannte zur Tür hinaus. Vielleicht brachte dieses Buch ja ein paar Antworten auf ihre vielen Fragen. So schnell sie konnte rannte sie nach Hause, dass Buch immer noch fest an ihre Brust gepresst.




Sie ließ die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu fallen, schlüpfte aus ihren Schuhen und rannte die Treppe hinauf auf ihr Zimmer. Sie legte das alte Buch vorsichtig auf ihren Schreibtisch und merkte wie ihre Arme, von dem Gewicht das es hatte, schmerzten. Sie wollte das Buch sofort öffnen und darin lesen, aber dann dachte sie, dass sie sich erst mal ausruhen sollte. Ihre Mutter hatte Recht gehabt. Sie sah wirklich nicht gut aus. Ein Wunder, dass der kleine Spiegel, den sie in ihrem Zimmer an der Wand hängen hatte, heile blieb und nicht in tausend Splitter zersprang, als dieser ihr blasses Gesicht zeigte. Sie zog die Schuluniform aus und legte sie fein säuberlich über den Stuhl.

In Unterwäsche und auf Socken ging sie den Flur hinab ins Bad. Sie drehte den Hahn der Dusche auf heiß und ließ das dampfende Wasser in das Duschbecken prasseln. Sie zog Höschen und Socken aus und warf sie zu der restlichen dreckigen Wäsche in einen Korb. Vorsichtig stieg sie unter das heiße Wasser und genoss das Gefühl von den Tropfen massiert zu werden. Sie schloss die Augen und versuchte an nichts zu denken und die Wärme einfach nur zu genießen. Nach einiger Zeit öffnete sie wieder die Augen und als sie so an sich hinabsah fiel ihr auf, dass ihre Hände schon ganz schrumpelig waren. Wie lange stand sie denn nun schon unter der Dusche? Sie griff schnell die Kernseife, cremte sich damit ein und spülte sie genauso schnell wieder hinunter. Das plätschern des Wassers erlosch und Minako stieg aus der Dusche. Sie konnte kaum die Hand vor Augen sehen, so nebelig war es in dem kleinen Badezimmer, dass noch nicht mal ein Fenster zum lüften besaß. Sie griff nach ihrer Taschenuhr, die sie am Waschbecken abgelegt hatte und wischte einmal über die Anzeige um etwas erkennen zu können. Knapp eine Stunde hatte sie unter der Dusche verbracht. Schnell zog sie ihr Handtuch vom Halter herunter und rubbelte sich trocken. Dann warf sie es über die Dusche und schlüpfte in ihrem Bademantel.

Barfuß tippelte sie wieder in ihr Zimmer zurück, griff im vorbeigehen das Buch und warf sich damit aufs Bett. Grade wollte sie es aufschlagen, da hörte sie die Haustür zufallen. Ein lautes, schweres Atmen das nach und nach zum Husten wurde, schallte zu ihr ins Zimmer. War das Zen? Wieder sah sie auf ihre Tachenuhr. Diese Uhr hatte sie immer bei sich. Sie hatte sie damals mit 8 Jahren von ihrem Vater geschenkt bekommen. Er war damals aufgebrochen um irgendetwas zu suchen und kam nie wieder. Bis heute wusste sie nicht mit Sicherheit, dass er Tot war, aber sie ging davon aus. Ihr Vater war nicht der Typ dafür seine Familie einfach zurück zu lassen. Die Uhr zeigte mittlerweile schon 18:00 Uhr an. Sie stand vom Bett auf und ging in den Flur.

"Großvater? Bist du schon zu Hause?" Sie hörte ihn röchelnd, aber dennoch kraftvoll und patzig antworten: "Ja bin ich. Hast du was dagegen? Soll ich wieder gehen? Ich hoffe für dich du warst noch in der Schule!!" Sie schluckte. Er war immer noch so komisch und mies gelaunt, wie sie es von dem sonst so gut gelaunten alten Mann nicht kannte. Sie konnte sich nicht beherrschen und schrie zurück: "Ja ich war in der Schule! Was um Himmels Willen ist denn los mit dir? Was hab ich dir getan, dass du so zu mir bist?!" Sie schluckte gegen den Schmerz im Hals an. Dieser dicke Klos der sich breit machte und ihr die Luft abschnürte war wieder da. Plötzlich sah sie mit was für einen hasserfüllten Blick Zen sie ansah. Er stampfte auf sie zu: "Du wagst es deine kleine Stimme, die sowieso keinen interessiert, gegen MICH zu erheben?! Ich glaube du nimmst den Mund ein bisschen voll mein Fräulein!" Er blieb vor ihr stehen. Es kam ihr vor als schnaubte er vor Wut. Dann packte er ihren Arm und drückte so fest zu, dass sie aufschrie. "Großvater du tust mir weh! Was soll das?" Sie kniff die Augen vor Schmerz zusammen. Als sie sich zusammen riss und diese wieder leicht öffnete, sah sie in die fremden Augen, die nicht ihrem Großvater zu gehören schienen. Er sah auf ihre Taschenuhr die sie in der Hand hielt und fing an daran zu zerren. "Diese verdammte Uhr! So ganz ohne Herz und Seele. Keine Handarbeit! Totaler Müll!", brüllte Zen und riss ihr die Uhr aus der Hand. Er schmetterte sie mit voller Kraft auf den Boden und trat hasserfüllt zu. Sie sah wie der Display splitterte und ihr schossen Tränen in die Augen. "Ich hasse dich!", brüllte sie, entzog sich seinem Griff und rannte raus.

Sie dachte in diesem Moment nicht daran, dass sie Barfuß und nur im Bademantel gehüllt war. Sie wollte einfach nur weg. Die Tränen erschwerten ihr die Sicht und plötzlich fand sie sich in den Armen ihrer Mutter wieder, die sie aufgefangen hatte. "Mutter.", schluchzte sie und drückte sich schützend in ihre Arme. "Kind was ist denn passiert?" Sie wusste nicht wie sie es sagen sollte. Ihr fiel das Reden, durch den schnürenden Schmerz im Hals, auch immer noch schwer. "Ich... Großvater...er..." Zoe´s Blick füllte sich mit Sorge. "Was ist mit ihm? Minako bitte reiß dich zusammen. Was ist mit Zen?" Leise murmelte sie die Wahrheit, obwohl sie davon ausging, dass ihre Mutter diese nicht glauben würde: "Er kam nach Hause und war nicht mehr er selbst. Er scheint krank zu sein oder so." Zoe schüttelte, wie erwartet, den Kopf und sagte: "Aber ihm ging es doch heute Morgen noch so gut. Na komm wir gehen zusammen wieder Heim und sehen nach wie es ihm geht ok?" Ihr schauderte es, wenn sie daran dachte ihren Opa noch einmal so zu erleben. Sie wollte nicht Heim gehen, doch als sie so an sich hinab sah fiel ihr erst auf, dass sie nur im Bademantel und Barfuß da stand. Sie nickte ihrer Mutter zu und diese legte den Arm schützend um sie. Gemeinsam gingen sie zurück.

Erst als ihre Füße den warmen Fußboden im Flur betraten merkte sie, wie ausgefroren sie nach diesen paar Metern schon waren. Zitternd blieb sie im Flur stehen, während ihre Mutter sich die Schuhe auszog und in Richtung Wohnraum ging. "Zen! Bist du zu Hause?", rief Zoe doch keiner antwortete. "Liebling bist du sicher dass er zu Hause war?" Sie hatte sich nun wieder gefasst und entgegnete mit voller Überzeugung: "Ja Mutter. Er war hier und er hat mich so fest am Arm gepackt das es wehtat. Er röchelte und hustete. Er brüllte mich an, weil ich ihm eine simple Frage gestellt hatte. Mutter so kenne ich ihn nicht." Zoe guckte ungläubig. "Naja jedenfalls ist er jetzt nicht mehr zu Hause. Also geh in dein Zimmer und zieh dir etwas Warmes an. Du zitterst ja total." Dabei hatte sie es schon versucht zu unterdrücken. Sie ging mit gesenktem Kopf den Flur entlang in ihr Zimmer.

Wieso nur wollte ihre Mutter ihr kein Glauben schenken? Was für ein Grund hätte sie gehabt zu lügen? Aber im nächsten Moment dachte sie daran, dass es ja auch so absurd war wie ihr Großvater sich im Moment verhielt, dass sie es womöglich auch nicht glauben würde, hätte sie es nicht selber erlebt. Sie stand vor ihrem Kleiderschrank und wühlte einen warmen Pullover und eine bequeme Hose heraus. Sie zog die Klamotten über und genoss, wie der weiche Stoff sie wärmte. Sie kuschelte sich in ihr Bett und schloss die Augen. Sie war kurz davor ein zu schlafen, da setzte sie sich wieder auf. Sie hatte Angst zu schlafen und wieder von diesen merkwürdigen Kreaturen zu träumen.

Sie griff unter die Matratze, wo sie das alte Buch versteckt hatte. Sie schlug es auf und begann die erste Seite zu lesen. Da das Buch in Englisch geschrieben war, konnte sie nur Bruchstücke verstehen, da ihr Englisch leider noch nicht so ausgereift war. Dort stand in alter Schrift irgendetwas von Dämonen. Sie konnte nicht sehr weit lesen, da klopfte ihre Mutter an der Tür. Sie zuckte zusammen und packte das Buch schnell wieder unter die Matratze. "Schläfst du oder soll ich uns eine warme Suppe machen?" Sie stand auf und öffnete Zoe die Tür. "Nichts von alledem Mutter. Ich gehe lieber kurz eine Runde spazieren." Ohne auf eine Antwort zu warten ging sie an ihr vorbei, zog sich ihre Schuhe an und verließ das Haus.

Nun stand sie da auf der Straße und blickte hinauf zum Uhrenladen. Sie nahm ihren Mut zusammen und machte sich auf den Weg, um noch einmal nach ihrem Großvater zu sehen. Sie dachte, dass wenn er nicht zu Hause war, er zu hundert Prozent dort zu finden sei. Sie machte sich diesmal keine Hektik und ging langsam, aber nicht entspannt. Innerlich war sie so angespannt und fragte sich was sie machen würde, wenn ihr Großvater sie wieder so anfuhr. Doch diese Gedanken versuchte sie ganz schnell wieder zu verdrängen. Vielleicht ging es ihm ja auch einfach nicht gut und er war deswegen so aggressiv. Der Husten, welchen sie vorhin wahrgenommen hatte, klang auch nicht gut.

Nach fünfzehn Minuten stand sie vor der Eingangstür zum kleinen Laden und atmete noch einmal tief durch. Die kleine, alte Hütte sah mit den Jahren schon ziemlich mitgenommen aus. Die Stürme die oft über Japan hinwegzogen, hatten schon einmal das komplette Dach abgeräumt. Deswegen bestand es heute nur noch aus Holzbalken. Die Ritzen hatte Zen mit Lehm zu gespachtelt. Er wollte es eigentlich noch wieder neu machen lassen, hatte aber keine Zeit dafür gefunden. Das kleine Schild mit geöffnet hing im Fenster. Sie öffnete die Tür. Das Quietschen, das diese erzeugte ließ Minako eine Gänsehaut bekommen. Sie wunderte sich, denn im Laden waren mindestens sechs Kunden. So viele hatte sie hier noch nie auf einmal gesehen. Auch wenn Zen guten Umsatz mit den Uhren machte, war es eher nicht der Fall, dass sich so viele Kunden auf einmal hier einfanden. Noch seltsamer war, dass ihr Großvater sich nicht um die Kunden kümmerte sondern irgendwo anders war, aber nicht hier.

Sie ergriff die Initiative. "Guten Tag. Kann ich ihnen irgendwie weiter helfen?" Statt mit ihrer freundlichen und zuvorkommenden Art positiv aufzufallen, sahen die Kunden sie zornig und genervt an. Sie war verdutzt, machte sich aber nichts daraus. Sie pickte sich eine junge Dame heraus, die ihr am freundlichsten erschien und ging direkt auf sie zu. "Guten Tag meine Dame. Was suchen sie denn genau für eine Uhr? Eine zum hinstellen oder eine Wanduhr?" "Ich suche mir meine Uhr schon selber aus!“, fuhr diese sie lautstark an. "Außerdem will ich keines von Beiden. Ich will eine Taschenuhr, die ich immer bei mir tragen kann. Und diese hier soll es sein." Minako verstand die Welt nicht mehr. Wieso waren hier alle so unfreundlich und aggressiv? Sie guckte in die Hand der Dame und sah eine Uhr aus schwarz gefärbtem Silber, mit rotem Ziffernblatt. Das musste eines der neuen Werke von ihrem Großvater sein, denn so hässliche Uhren besaß er sonst nicht. Sie verstand nicht was aus ihm geworden war. Früher hatte er so schöne Silber- und Golduhren hergestellt. Doch jetzt diese pechschwarzen Dinger, die sie überall im Laden sah. Sie schüttelte kurz den Kopf, riss sich zusammen und bat die Frau zur Kasse. Diese guckte sie nur schräg von der Seite an. "Was soll dass denn jetzt?", meckerte sie. "Also der alte Herr, der vor circa zehn Minuten noch seine neuen, wunderschönen Werke in die Regale gestellt hat meinte, dass wir die Uhren einfach mitnehmen können. Er sagte nur, dass es bei einer Uhr pro Person bleiben sollte. Von bezahlen allerdings hat er nichts gesagt." Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Das war nicht ihr Großvater gewesen, der dies behauptete. Doch als sie ein Schild an der Kasse entdeckte, wo drauf stand: "Bitte bedienen sie sich. Jeder Kunde darf eine Uhr der neuen schwarzen Kreation mitnehmen und braucht dafür nichts zahlen.", wusste sie, dass die Frau die Wahrheit gesagt hatte und dass es sehr wohl ihr Großvater gewesen war. Daraufhin stimmte sie der Frau zu und verließ den Laden.

Sie brauchte frische Luft um überhaupt atmen zu können. Was war nur in ihn gefahren? Warum verschenkte er seine Uhren? Dachte er denn nicht einmal daran, dass er das Geld brauchte? Die Ladentür ging hinter ihr auf und die Dame stürmte an ihr vorbei. Sie sah ihr nach und schüttelte den Kopf. Ihr fiel auf, dass die Ladentür nicht zugefallen war und jemand hinter ihr stand. Sie drehte sich um und sah ihrem Großvater in die Augen. Sie vernahm einen leichten, roten Schein in ihnen, der ihr Angst machte. "Also jetzt geht es aber los! Drängst dich jetzt auch noch meinen Kunden auf!?", brüllte Zen sie an. "Ich verbiete dir noch einmal einen Fuß in den Laden zu setzten! Sollte ich dich hier noch einmal sehen, dann Gnade dir Gott!" Sie wollte das alles nicht mehr hören. Es war falsch gewesen hier her zu kommen und sie rannte los.

Als ihr Haus in Sichtweite kam, sah sie schon, dass ihre Mutter vor der Tür stand und nach ihr Ausschau hielt. Sie blieb vor ihr stehen und sah, dass Zoe die kaputte Uhr ihres Vaters in der Hand hielt. "Kleines. Was ist denn damit passiert?" Ihr Gesicht verzog sich vor Zorn. "Das war Großvater! Aber das glaubst du mir ja sowieso nicht!", brüllte sie und rannte in ihr Zimmer. Sie zog die Schiebetür so laut zu, dass es knallte. Dann warf sie sich auf ihr Bett und weinte. Nach einiger Zeit schlief sie vor lauter Erschöpfung ein.




Sie stand auf einer Lichtung umgeben von dicken Baumstämmen, die ihr ein sicheres Gefühl verleihen sollten. Doch das taten sie nicht. Bei jedem pfeifen des Windes zuckte ihr Körper zusammen. Eine Eule saß in einer Baumkrone und blickte mit leuchtenden Augen auf sie hinab. Die Laute die diese von sich gab, flößten ihr Angst ein. Dieses Kreischen das signalisierte, dass sie hungrig war. Mit einem lauten Schrei stürzte sich die Eule vom Baum hinunter auf sie und krallte sich eine Maus, die direkt neben ihr durchs Gras gehuscht war. Zufrieden flog sie wieder davon, setzte sich auf den nächstbesten Baum, zerriss ihre Beute in mundgerechte Stücke und schlang diese hinunter. Bei dem Anblick musste sie schlucken, so als lägen ihr die kleinen, blutigen Mäusestücken auf der Zunge. Sie streckte die Zunge angewidert raus.

Dann sah sie sich weiter um. Zwischen den dicken Baumstämmen konnte sie kaum etwas erkennen, so dunkel war es. Ihr Blick wanderte weiter im Kreis, als sie auf einmal zwischen den Baumstämmen etwas sah, das sich bewegte. Egal was es war, es war ziemlich schnell. Sie versuchte es angestrengt im Auge zu behalten, was gar nicht so einfach war. Plötzlich glaubte sie es verloren zu haben, doch dann sprang es zwischen den Bäumen hervor, direkt auf sie zu.

Ein großer Hirsch stand vor ihr und zeigte sein großes, prächtiges Geweih. Erschrocken und zitternd stand sie da und wusste nicht was sie tun sollte. Sie blickte an ihm vorbei in den Wald und meinte ein Reh mit einem Kitz zu sehen. Sie konnte es nicht genau erkennen, sie sah bloß die Umrisse. Aber das würde erklären, warum der Hirsch sie angriff. Er wollte wohl seine Familie beschützen. Nun sah sie ihn mit ganz anderen Augen. Nicht mehr mit Angst sondern mit Respekt. Er erinnerte sie an ihren Vater, der auch immer so gekämpft hatte, nur damit es ihrer Mutter und ihr gut ging. Allein deshalb passte es nicht zu ihm, dass er damals abgehauen war. Er musste verunglückt sein. Bei diesen Erinnerungen schossen ihr Tränen in die Augen. Sie sackte zu Boden und der Hirsch, welcher immer noch mit gesenktem Geweih vor ihr stand geriet in Vergessenheit. Sie saß nun auf Knien vor ihm und weinte. Langsam und zögernd hob er das Geweih, guckte sie schräg an und sprang zurück in den Wald zu seiner Familie. Nun saß sie da zusammen gekauert auf dem feuchten Boden der Lichtung und verlor sich in ihrer Trauer.

Sie nahm den Wald und alles Andere um sich herum nicht mehr wahr. Erst das laute Knacken von Holz ließ sie erwachen und zusammen schrecken. Sie sah sich prüfend um und realisierte wieder wo sie war. Doch hören konnte sie nichts mehr. Der Wald war wieder von totaler Stille erfasst. Sie versuchte sich wieder zu fassen und auf zu stehen, doch sie hielt inne, als sie einen starken Atem, direkt hinter sich wahrnahm. Sie spürte ihn so intensiv und stark im Nacken, dass er wohl kaum von einem Menschen sein konnte. Im nächsten Moment hörte sie ein Knurren. Sie merkte wie die Angst in ihr hochkroch und ihr den Hals zu schnürte. Sie rieb sich die kalten Hände, die feucht vom Angstschweiß waren. Doch zu einer weiteren Bewegung war sich nicht in der Lage. Sie beschloss ruhig sitzen zu bleiben und abzuwarten was geschehen würde. Vielleicht war es ein Bär und bei denen hieß es doch immer, dass man sich nicht bewegen und ruhig bleiben sollte. Doch was war, wenn es kein Bär war und sie genau das Falsche tat? Vielleicht sollte sie schon längst anfangen zu rennen? Sie ballte die Hände zu Fäusten und riss sich zusammen. Das Knurren wurde zu einem tiefen Schnauben und pustete ihr ein paar ihrer Haare ins Gesicht. Sie drückte ihre Fäuste, die auf ihren Oberschenkeln lagen fester zusammen. Doch es half alles nichts. Sie hörte, wie unter dem Gewicht der Gestalt hinter ihr, ein Zweig zerbrach, der sie zusammen zucken lies. Die Kreatur hatte das Gewicht verlagert. Setzte es etwa zum Angriff an? Sie wollte nicht sterben. Nicht hier und nicht von etwas, wo sie noch nicht einmal wusste was es war. Sie nahm ihren Mut zusammen und rannte los.

Sie rannte durch den dichten Wald ohne sich um zu drehen. Sie rannte ohne ihre eigene Hand vor Augen sehen zu können. Ihr war egal wohin, sie wollte einfach nur Leben, die Angst verdrängen und hier weg. Der Wald machte es ihr nicht leicht. Er umhüllte sie nicht nur mit Dunkelheit, sondern ließ auch einen so lauten Wind durch die Bäume pfeifen, dass sie ihren Verfolger nicht hören konnte. Wie nah war er an ihr dran? Sie wagte es nicht sich um zu drehen und nach zu sehen. Sie stolperte über einige Baumwurzeln und verlor das Gleichgewicht. Glücklicherweise konnte sie sich schnell wieder fangen, ohne hilflos am Boden zu liegen. Doch das Taumeln nahm ihr kurzzeitig das Tempo und ließ ihren Gegner aufholen. Oder verfolgte er sie schon gar nicht mehr? Sie fing an zu keuchen und merkte, wie der Schweiß ihr den Rücken herunter lief. Ihr T-Shirt klebte an ihrer nassen Haut. Sie wusste schon gar nicht mehr, wie lange sie nun schon am rennen war. Noch trieb die Panik sie an, doch wie lange würde sie so weiter rennen können ohne zusammenzubrechen?

Ein Platzregen erhöhte die Geräuschkulisse noch weiter und prasselte auf sie hinab. Nun war ihre Kleidung nicht nur von ihrem Schweiß getränkt, sondern auch von dem Regen durch und durch nass. Sie rannte weiter, immer tiefer in den Wald und obwohl sie schwitze fror sie, da der kalte Wind dafür sorgte, dass sich die nassen Klamotten wie eine Eisschicht anfühlten. Sie merkte wie ihr Kreislauf gegen all die Strapazen ankämpfte und langsam am Ende war. Doch sie wollte nicht aufgeben. Sie rannte weiter, den Kopf immer geradeaus gerichtet, auf den Weg vor ihr den sie aber nicht sehen konnte. Plötzlich erblickte sie am Ende des dunklen Tunnels, durch den sie zu laufen schien, einen Lichtschimmer. Vor ihr tat sich eine lange Treppe auf, die zu einem Tempel hinauf zu führen schien.

Sie sammelte kurz ihre Kraftreserven und begann diese zu erklimmen. Genauso plötzlich wie der Regen begonnen hatte, genauso plötzlich hörte er auch wieder auf. Der Wind ließ nach, doch auch wenn sich damit das Rauschen der Bäume legte, hallte das Geräusch in ihren Ohren noch einige Minuten nach. Als es dann endlich verlosch hörte sie, geschätzte sechs Meter hinter sich, das Schnauben und Knurren immer lauter werden. Sie versuchte noch schneller zu rennen, doch ihre Kräfte waren schon zu schwach. Die Treppe unter ihr war nass, matschig und rutschig. Und dann geschah es…

Sie verlor den Halt, rutschte nach hinten weg und landete mit der Hüfte auf der harten Treppe. Ihre Reaktion war schon eingeschränkt, so dass sie es nicht mehr schaffte sich vorher mit den Händen abzustützen. Sie spürte wie ihr etwas ins Bein stach und sie stöhnte vor Schmerz auf. Mit letzter Kraft griff sie in ihre durchnässte Hosentasche und zog eine Spiegelscherbe, die sich in ihren Oberschenkel gebohrt hatte, heraus. Warum hatte sie auch immer den kleinen Schminkspiegel ihrer Mutter dabei haben müssen? Sie hörte wie das Schnauben nun wieder direkt hinter ihr war. Im Augenwinkel sah sie rechts und links von ihr riesige Wolfspranken. Doch es konnte kein Wolf sein, denn die Gestalt stand auf 2 Beinen und beugte sich von hinten über sie.

Sie nahm ihren Mut zusammen und drehte die blutverschmierte Spiegelscherbe so, dass sie dadurch hinter sich schauen konnte. Doch der Anblick schnürte ihr den Hals und den Atem ab. Sie sah in ein sabberndes, wolfsähnliches Gesicht mit blutroten Augen. Die spitzen, übergroßen Zähne blitzen in dem riesigen Maul und gierten nach Fleisch zum zerreißen. Das Fell war schwarz wie die Nacht und die Kreatur war von einem noch dunkleren Nebel umgegeben.
Sie drehte sich um. Mit ihrem Leben hatte sie schon abgeschlossen. Nun wollte sie der Gestalt ins Gesicht schauen, wenn es seine Zähne in ihr Fleisch schlug und ihr das Leben nahm. Sie blickte tief in die roten Augen, die von Hass und Hunger gezeichnet waren. Doch die Kreatur ließ sich Zeit. Der Speichel, der sich in dem offenstehenden Maul sammelte, tropfte auf ihr T-Shirt. Er ätzte sich durch den Stoff und brannte sich tief in ihre Haut. Doch Schmerz oder Eckel empfand sie nicht mehr. Sie empfand eigentlich gar nichts mehr. Sie schloss die Augen, ließ ihr Leben an sich vorüber ziehen und wartete auf das Ende.

Sie erinnerte sich an die kurze, aber schöne Zeit mit ihrem Vater und an die vielen schönen Bücher die sie gelesen hatte. Sie sah ihre Familie und Freunde vor ihrem inneren Auge und merkte wie ihr eine Träne übers Gesicht lief. Ein lautes Heulen versetzte ihr eine Gänsehaut. Sie öffnete die Augen und sah wie die wolfsähnliche Gestalt immer noch breitbeinig über ihr stand. Den Kopf in Richtung Himmel und die Arme ausgebreitet, erzeugte es das schrille Heulen, dass durch den Wald schallte. Zwischen den Bäumen um sie herum, von denen die Treppe umgeben war, sah sie weitere blutrote Augen blitzen. Der Anführer hatte sein Rudel zur Mahlzeit gerufen…

Die unzähligen Gestalten kamen auf sie zu. Sie sah dem Anführer noch einmal tief in die Augen, mit einem Ausdruck, der vermittelte: „Tu es nicht!“ Doch der Hunger und der Hass waren zu groß. Er leckte sich das Maul, riss es so weit auf, dass er hätte ein Säugling in einem verschlingen können und rammte ihr die spitzen Zähne in das Fleisch. Sie spürte den heftigen Schmerz und wie sich noch weitere Zähne in ihr Fleisch bohrten. Dann fiel sie in einen tiefen Schlaf.




Minako wachte auf. Innerlich hoffte sie, dass sie die letzten Tage nur geträumt hatte und jetzt erst aufwachte. All die seltsamen Dinge mit ihrem Großvater. Ihre Augen fühlten sich dick und geschwollen an. Sie drehte ihren Kopf zur Seite, um aus dem Fenster zu sehen und merkte, dass ihr Kissen feucht war. Dann erinnerte sie sich, dass sie unter Tränen eingeschlafen war. Sie sah aus dem Fenster und bemerkte, dass es schon Morgen war. Die Herbstsonne tat ihr in den Augen weh und hüllte die Bäume in einem leichten Orange. In der Ferne sah sie aber schon wieder Regenwolken. Sie setzte sich auf und betrachtete ihr Kissen fragwürdig. Es konnte unmöglich noch von gestern Abend feucht sein. Hatte sie etwa im Schlaf geweint? Wundern würde sie das nicht mehr, nach allem was ihr in der letzten Zeit passiert war. Oder war es doch alles nur ein Traum gewesen? Sie erinnerte sich an das alte, dicke Buch über Dämonen. Um zu wissen ob es Traum oder Realität gewesen war, musste sie einfach nur unter der Matratze nachschauen. Doch sie zögerte. „Bitte, bitte lass es nicht dort sein. Lass es mich einfach nur geträumt haben.“, flüsterte sie leise, nahm ihren Mut zusammen und fasste unter die Matratze um nachzusehen. Mit dem rechten Arm griff sie das alte Buch und zog es heraus. „Wenn das alles Realität war… warum kann ich mich dann an fast nichts mehr erinnern?“ Die letzten Tage flogen wie kleine Spiegelscherben in ihrem Kopf herum, die schmerzten, wenn sie versuchte sie zusammenzusetzen. Sie erinnerte sich an das Buch, das sie nun wieder zurück unter die Matratze schob und an das merkwürdige Verhalten ihres Großvaters. Alles Andere… das was sie gemacht, gesehen oder gesagt hatte wusste sie nicht mehr. Es war als wäre jemand in ihren Verstand eingedrungen und hätte ihre Erinnerung an die letzten zwei Tage gelöscht.

„Minako bist du wach!?“, schallte die Stimme ihrer Mutter durch den Flur. „Frühstück ist fertig!“ Sie schüttelte den Kopf, so als versuche sie ihre Gedanken abzuwerfen. Mit einem lauten Gähnen und die Arme in die Luft streckend quälte sie sich aus dem Bett, um ihre Mutter nicht warten zu lassen. Noch in ihrem knielangem T-Shirt, welches früher ihrem Vater gehörte und dass sie zum schlafen anzog, ging sie in die Küche.

Sie blieb in der Tür stehen und sah sich suchend um. „Wo ist denn Großvater?“ Zoe drehte sich zu ihr um und begrüßte sie mit einem aufgeweckten: „Guten Morgen mein Engel. Zen ist heute schon sehr früh in den Uhrenladen gegangen.“ „An einem Samstagmorgen?“, entgegnete sie. Das hatte ihr Großvater noch nie gemacht. Das Wochenende war im heilig, da er sich dort Zeit für die Familie nahm. „Der Uhrenladen scheint wohl im Moment besonders gut zu laufen. Komm setz dich. Möchtest du deinen Grünentee wie immer?“, sagte Zoe in einer Tonlage die Minako wissen ließ, dass sie sich keine Sorgen um Zen machte. Sie ging zum gedeckten Tisch und setzte sich auf ein Sitzkissen. Ihre Mutter brachte ihr den Tee und setzte sich zu ihr: „Und was möchtest du heute machen Liebes?“ Sie schenkte ihr keinen Blick, sondern starrte in ihre Teetasse. „Minako? Ich hab dich was gefragt. Was ist denn los?“ Aus den Gedanken heraus gerissen, schaute sie auf und antwortete: „Ich weiß nicht Mutter. Ich denke ich lege mich gleich noch ein wenig in mein Bett und lese. Außerdem sieht es draußen schon wieder nach Regen aus.“ „Ach Kleines, in den Tempel kann und sollte man aber bei jedem Wetter gehen. Außerdem waren wir schon so lange nicht mehr dort und haben gebetet.“ Als das Wort „Tempel“ fiel, zuckte sie zusammen und vor ihrem inneren Auge tat sich eine lange Treppe auf. Was… war das? Ein Bruchteil ihrer vergessenen Erinnerung? „Okay. Es ist wohl besser, wir bleiben doch zu Hause. Ich weiß zwar nicht was mit dir los ist, aber irgendwie bist du komisch. Wenn du reden willst, dann…“ „Danke Mutter, aber ich gehe nun besser in mein Bett. Und ja wenn ich reden will weiß ich, dass ich zu dir kommen kann.“, unterbrach sie Zoe und verschwand, mit dem Tee in der Hand, in ihrem Zimmer.

Sie stellte die Tasse auf ihren Schreibtisch ab und kramte das Buch wieder unter dem Bett hervor. Sie legte es neben dem Tee auf dem Schreibtisch und setzte sich. Sie nahm die Tasse in beide Hände und pustete, bevor sie einen großen Schluck davon nahm. Der Tee war trotz des Pustens noch immer so heiß, dass er brennend ihren Hals hinunter lief und sie sich die Zunge verbrannte. Sie stellte die Tasse wieder ab und schlug das Buch auf. Auf der ersten Seite sah sie die wolfsähnliche Gestallt, eine Erinnerungen in ihr entfachte, die sie aber nicht zuordnen konnte. Sie wusste, dass sie ihr bekannt vorkam, mehr aber auch nicht. Auf der nächsten Seite begann, in alter Schriftart und englischer Sprache, der Text. Sie versuchte sich besser an ihr Schulenglisch zu erinnern, was aber sicher auch nicht ausreichen würde um diesen anspruchsvollen Text zu verstehen. Somit konnte sie ihn nur teilweise übersetzen. Dämonen, Künstler der Gestaltenwandlung, rote Augen und das Böse in Person. Auf den nächsten Seiten endschlüsselte sie die Worte: die Diener Satans, hasserfüllt, grausam und skrupellos. Mit jedem weiteren Wort das sie las kam ihre Erinnerung Stück für Stück zurück. Sie erinnerte sich an die Nacht mit dem Gewitter, welches sie aus ihrer Traumwelt gerissen hatte und an ihren Großvater, der auf einmal so grausam geworden war. Sie erinnerte sich daran, wie sie zum Uhrenladen gegangen war und daran, dass die Kunden dort auch so komisch waren. Dann kam die Erinnerung an die neuen, ungewöhnlichen Uhren von Zen zurück. Und dann… ja nun erinnerte sie sich wieder an den Schatten, die sie in der Nacht des Gewitters gesehen hatte und an die Kreaturen aus ihrem Traum. Wie konnte sie das alles vergessen? Sie blätterte weiter in dem Buch und las, dass sich die Dämonen einen Unterschlupf suchen. „So etwas wie eine Hauptbasis? Oder hatten sie überhaupt nur einen Unterschlupf?“, fragte sie sich. Dann wurde ihr Einiges klar. „Wenn es wirklich diese Dämonen gibt über die dieses Buch berichtet und wenn ich mir diesen Schatten in der Nacht beim Uhrenladen wirklich nicht nur eingebildet habe, dann wird ihr Unterschlupf sicher der Uhrenladen sein.“ Aber wieso hatte ihr Großvater, oder zu mindestens einer der Kunden, noch nichts davon mitbekommen? Sie nahm noch einen großen Schluck von dem inzwischen kalt gewordenen Tee, klappte das Buch zu und schob es zurück unter die Matratze.


Sie wollte grade in Richtung Haustür gehen, um zu kontrollieren ob sie mit ihrer Vermutung Recht hatte, da hielt sie inne. Vielleicht sollte sie nicht zum Uhrenladen gehen, solange sich ihr Großvater noch dort aufhielt. Erstens hatte sie nicht das Bedürfnis danach sich wieder von ihm anschreien zu lassen, noch wollte sie ihn in Gefahr bringen falls sie Recht hatte. Mal davon abgesehen hatte er ihr sowieso verboten den Uhrenladen je wieder zu betreten. Also beschloss sie zu warten, bis Zen wieder nach Hause kam.

Um sich die Zeit zu vertreiben, ging sie wieder in die Küche zu ihrer Mutter. „Sorry, dass ich eben so komisch war, aber ich mache mir einfach Gedanken um Großvater. Er ist so merkwürdig. Findest du nicht?“ Zoe blickte sie mitfühlend an und entgegnete: „Ach Liebes. Das liegt bestimmt nur daran, weil er grade so viel zu tun hat. Mach dir keine Sorgen.“ Sie wollte ihre Mutter in dem Glauben lassen und sagte: „Du hast bestimmt Recht. Wollen wir gleich doch zum Tempel gehen? Wir waren echt schon lange nicht mehr dort.“ Ein Strahlen machte sich auf Zoes Gesicht breit und sie nickte. „Ich spül nur eben das Geschirr vom Frühstück, dann bin ich soweit.“ Minako nahm sich das Handtuch und half ihrer Mutter dabei.

Sie gingen die lange Steintreppe, die zum Tempel führte hinauf. Diese war umgeben von Ahorn- und Kirschbäumen. Die Treppe war übersät mit Kirschblütenblättern und an den Seiten jeder fünften Stufe standen Rankei Statuen. Als sie die oberste Ebene erreichten sahen sie rechts und links eine große Buddha Statue. Im Inneren des Tempels sagte Zoe dann: „Na los Schatz. Geh du vor. Du scheinst eine Menge auf dem Herzen zu haben.“ Minako trat vor die Rotweiß geflochtene Kordel und schüttelte sie bis die Glocke läutete. Dann klatschte sie zweimal in die Hände, bevor sie die Handflächen vor der Brust aufeinander legte und anfing zu beten. „Oh bitte... bitte mach, dass es meinem Großvater bald besser geht. Mach, dass ich mit meiner Vermutung unrecht habe und dass es diese Dämonen nicht gibt. Und bitte schick mir meinen Vater zurück, wenn du ihn mir noch nicht genommen hast.“ Sie merkte wie ihr eine Träne über die Wange lief und wischte diese schnell weg bevor ihre Mutter es sehen konnte. Doch diese stand schon hinter ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter. Mütter brauchten es wohl nicht erst sehen, dass ihre Tochter weint, sie hatte es wohl gespürt. „Kopf hoch Kleines. Es wird schon alles wieder gut.“ Dann trat Zoe vor die Kordel und führte ebenfalls das Ritual durch. Danach fragte sie: „Gehen wir noch ins Teehaus?“ Minako zögerte, nickte dann aber. „Siehst du. Mein Gebet ist schon in Erfüllung gegangen.“ Beide fingen an zu lachen und machten sich auf den Weg zurück ins Dorf.

Im Teehaus angekommen setzen sie sich an den Tisch neben dem Zimmerbrunnen und bestellten sich einen grünen Tee.

"Und wie war es denn in der Schule?"
„Ehrlich gesagt habe ich vom Unterricht nicht viel mitbekommen. Ich mache mir echt große Sorgen um Großvater. Mutter bitte glaube mir. Er ist echt nicht mehr der Selbe.“
„Wie kommst du denn darauf? Ich kann mir das einfach nicht vorstellen.“
„Ich könnte mir das auch nicht vorstellen, aber ich
habe es gesehen. Er hat die Uhr die ich von Vater bekommen habe kaputt gemacht!"
„Das kann ja wohl nicht wahr sein. Wie kommt er dazu? Ich versteh das alles nicht.“
„Ich weiß es auch nicht. Er hat nur gesagt die Uhr sei Müll und keine Handarbeit. Dann hat er sie mir aus der Hand gerissen."


Die Bedienung im rosa Kimono und schwarzen, hochgesteckten Haaren goss ihnen den fertigen Tee ein. Sie bedankten sich und setzten ihre Unterhaltung fort.
„Mutter. Sag mal... weißt du Genaueres über Vater?
Ich meine... wo ist er damals hingegangen und meinst du er lebt noch?“
Zoe schluckte. „Ich weiß es nicht mein Kind. Ich weiß leider nur das was ich dir schon erzählt habe. Er wollte irgendetwas suchen. Was Wichtiges sagte er und dann kam er nicht zurück.“ Sie fing an zu weinen und den Rest der Zeit waren Beide der Meinung, dass es besser wäre zu schweigen.

Als sie zu Hause ankamen erwartete Zen sie schon im Flur. Er stand da und seine Augen funkelten böse. „Na! Kommt ihr auch mal nach Hause!?“
„Hallo Zen. Schön das du auch wieder zu Hause bist. Minako und ich waren oben im Tempel. Schade das du nicht mit warst.“
„Mich hat ja auch keiner gefragt! Ich stehe da oben im Laden und arbeite für uns und ihr habt nichts Besseres zu tun als euch zu amüsieren!? Ihr hättet hier ja auch mal aufräumen können!“ Zen tobte vor Wut. Als Minako das erstaunte Gesicht ihrer Mutter sah, warf sie ein: „Du verschenkst deine Uhren doch eh, wieso arbeitest du dann noch? Und das auf einem Samstag? Das hat doch alles keinen Sinn!!!“
„Ich bin euch keine Rechenschaft schuldig! Das muss ich mir hier nicht anhören!“
Dann verschwand er in seinem Zimmer und zog die Schiebetür so fest zu, dass es knallte.
„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich weiß aber nun was du meintest mein Kind.“ Zoe war total perplex und murmelte noch: „Ich... ich muss das verarbeiten.“ Dann verschwand auch sie in ihrem Zimmer. Darauf hatte Minako gewartet, doch sie hielt es für sicherer, wenn sie noch einen Moment warten würde bis Zen und Zoe eingeschlafen waren. Also schlich auch sie erst einmal auf ihr Zimmer und legte sich in ihr Bett.

Sie zog den kleinen Schminkspiegel, den sie von ihrer Mutter bekommen hatte, aus der Hosentasche und klappte ihn auf. Sie blickte hinein und sah, dass ihr rundes Gesicht von dem ganzen Stress der letzen Tage schon ziemlich mitgenommen war. Ihr braunes Haar hing ihr wirr ins Gesicht und als sie diese hinters Ohr legte sah sie ihre großen, grünen Augen, die von Falten umwuchert waren.Ihre sonst so zärtliche Haut fühlte sich ganz rau an. Ihre kleinen, schmalen Lippen waren auch schon ganz spröde. Sie griff in die Schublade neben ihrem Bett und holte Creme heraus, mit der sie sich das Gesicht einschmierte. Dann legte sie den Spiegel auf ihren Nachttisch und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Nach einiger Zeit sprang sie auf. „Oh nein ich bin doch eingeschlafen.“, flüsterte sie. Draußen war es schon tiefste Nacht. Leise schob sie die Schiebetür auf und schlich nach unten in den Flur.

Vorsichtig legte sie ihr Ohr an die Tür ihrer Mutter. Ein ruhiges, tiefes Atmen versicherte ihr, dass sie schlief. Leise tippelte sie weiter zum Zimmer ihres Großvaters. Doch an seiner Tür konnte sie kein Geräusch hören. Es war totenstill.
„Ob er schon wieder zum Laden gegangen ist?“, fragte sie sich. Sie nahm ihren Mut zusammen und schob gefühlvoll die Schiebetür auf, aber nur so weit, dass sie mit einem Auge hindurch gucken konnte. Sie erschrak und taumelte mit einem lauten Knall rückwärts gegen die Wand. Zen lag auf seinem Bett und schien zu schlafen, aber der dunkle, rote Nebel der um ihn herum zu pulsieren schien, machte ihr Angst. Sie blieb noch einen Moment an der Wand gelehnt stehen, um abzuwarten, ob der Knall ihn geweckt hatte. Aber er zeigte keine Reaktion. Sie eilte so leise es geht zur Haustür, schlüpfte in ihre Schuhe und zog die Tür leise hinter sich zu.

Sie blickte zum Laden hinauf, sah die dunklen Wolken immer noch über ihm kreisen, nahm einen tiefen Zug von der frischen Nachtluft, als könnte sie Mut einatmen und machte sich auf den Weg.




Minako atmete noch einmal tief durch, als sie beim Uhrenladen ankam. Sie fragte sich was sie machen sollte, falls sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Was sollte sie tun, wenn sie ein Dämon angreifen würde? Sie stand einige Zeit vor der Tür und merkte wie ihr der Angstschweiß den Rücken runter rann. Sie redete sich immer wieder Mut zu, doch ihr Atem wurde dennoch schneller, als sie leise die Ladentür öffnete. Sie steckte den Kopf vorsichtig durch den Türspalt und blickte in den Laden. Auch im Inneren war nichts Auffälliges zu sehen. Sie zögerte einen Moment bevor sie den ersten Schritt in den Laden wagte.

Der Laden sah heruntergekommen und wüst aus. Überall waren matschige Fußspuren auf dem Boden und den Pfotenabdruck hinter dem Tresen hatte Zen auch nicht weggewischt. In den verstaubten Regalen standen seine neuen Werke. Er schien sich nur noch mit ihnen zu beschäftigen, kümmerte sich nicht mehr um die Optik des Ladens und hatte die alten Uhren wohl im Keller verstaut. Oder hatte er sie sogar weggeschmissen? Ihr war es egal und sie würde ihrem Großvater im Moment alles zutrauen. Sie war der festen Überzeugung, dass er nicht mehr er selbst war. Nun musste sie nur noch herausfinden, was mit ihm geschehen war. Sie nahm eine der Uhren aus dem Regal. Im Gegensatz zu diesem war die Uhr von jeglichem Staub befreit und poliert worden. Sie glänzte und funkelte. Das Ziffernblatt ähnelte einem roten Vollmond und das schwarze Silber schmiegte sich so wunderschön um ihn. Minakos Blick wurde leer und sie schien sich in der Uhr zu verlieren.

Als sie plötzlich zwei blutrote Augen vor sich sah, ließ sie vor Schreck die Uhr fallen. Das Glas, welches das Ziffernblatt schützend umhüllte, zersprang in tausend Scherben. „Du hast uns doch aufgespürt Auserwählte.“, fauchte der Dämon, welcher direkt vor ihr stand. „Auserwählte?“ „Schade nur, dass es nichts gebracht hat, dass ich mich in deinen Traum geschlichen habe, damit du die Erinnerung an uns verlierst. Nun muss ich es anders verhindern, dass du deinen Weg einschlägst.“ Die tiefe, düstere Stimme brachte ihren Körper zum beben. Wovon sprach er da nur? Er machte einen Schritt auf sie zu und aus seiner rechten Klaue schnellten Krallen hervor. Er knurrte und aus seinem zähnefletschenden Maul triefte der Sabber. Ihr Herz blieb stehen. Was sollte sie tun? Sie hätte sich eine Waffe mitnehmen sollen, irgendetwas womit sie sich in diesem Falle hätte wehren können. Doch es schien aussichtslos, als er mit aufgerissenem Maul auf sie zusprang. Um ihr Leben kämpfend, reagierte sie blitzschnell und rollte sich zur Seite. Mit ganzer Kraft und vom Willen gestärkt überleben zu wollen, warf sie das Regal auf ihn und mit einem lauten Knall wurde er darunter begraben. Sie atmete erleichtert auf. Sie wollte grade über den Trümmerhaufen steigen und zur Tür gehen, da hörte sie das Holz durch einen kräftigen Schlag zerspringen und der Dämon richtete sich, nun noch wütender, vor ihr auf. Fliehen konnte sie nun nicht mehr, da er ihr wieder den Weg zur Tür versperrte. Verängstigt ging sie rückwärts um einen Ausweg zu finden und ihn nicht aus den Augen zu lassen, doch als sie die Wand im Rücken spürte, wusste sie es gibt keinen. „Du wirst es bereuen hier her gekommen zu sein! Und du wirst keine Möglichkeit mehr haben uns aufzuhalten! Wir werden weiterhin besitz von den Menschen ergreifen und sie auf die Seite des Bösen ziehen!“ Minako blickte um sich und hielt nach einer Waffe ausschau. Der Dämon holte grade zum Schlag aus, da bohrte sie ihm den Nagel in die Brust, den sie zuvor aus der Wand gezogen hatte. Er heulte auf, sie ergriff die Gelegenheit und rannte an ihm vorbei zur Tür.

Doch sie war nicht schnell genug. Die Uhren fingen an zu wackeln und brachten die Regale zum beben. Aus den roten Ziffernblättern trat Nebel aus, der so aussah wie die Wolken über dem Laden, Pechschwarz und rot pulsierend. Er umschlang Minako und hinderte sie am weitergehen. Die roten Blitze brachten ihren Körper zum zucken und sie ballte vor Schmerz die Hände zu Fäusten. Dass sich dabei ihre Fingernägel tief in ihr Fleisch bohrten, spürte sie schon gar nicht mehr. Durch einen tiefen Schmerz im Magen schrie sie auf und blickte an sich hinunter. Ein großer, tiefer Schnitt reichte von der rechten Seite ihrer Hüfte bis hinauf zu ihrer linken Brust. Ihr weißes Kleid war an dieser Stelle schon Blutrot getränkt. Sie sackte zusammen und hielt sich die klaffende Wunde. Der Nebel um sie herum hörte auf zu pulsieren und zu funken. Sie sah auf den Boden und zählte um sich herum acht Dämonenpfoten. Ein Sabbertropfen bohrte sich tief in ihren Handrücken und die tiefe Wunde die dadurch entstand fing an zu qualmen. Der Speichel ätzte sich immer tiefer in ihr Fleisch. „Du hast unseren Meister verwundet.“, knurrte einer der Dämonen hasserfüllt. „Wir werden dich töten!!!!“ Sie sah ihrem Ende entgegen und schloss die Augen. Sie wartete darauf, dass sie ihre Haut zerreißen und der Speichel ihre Knochen zersetzt. Doch es geschah nichts.

Sie öffnete die Augen und sah sich in dem leeren Raum um. Die Sonne war aufgegangen und es war nichts mehr von den Dämonen zu sehen. Ihr Blick wanderte von Uhr zu Uhr. „Das ist also ihr Versteck. Sie leben tagsüber in den Uhren.“, dachte sie und rappelte sich auf. Vor Schmerz klappten ihr die Beine weg und sie hielt sich wieder ihre Wunde am Bauch. „Ich muss ganz schnell zum Arzt.“ Sie biss ihre Zähne zusammen und versuchte erneut aufzustehen. Nach dem sie sich einige Sekunden ohne zu wanken auf den Beinen halten konnte versuchte sie ein paar Schritte zu gehen. Doch sie kam nicht weit. Nachdem sie den Laden verlassen hatte und die erste Priese der frischen Morgenluft einatmen konnte wurde ihr auch schon schwarz vor Augen und sie brach zusammen.

Sie erwachte in einer wohligen Wärme. Sie lag in einem Bett und war von einer dicken Daunendecke umhüllt. Ihr Blick schweifte durch das steril in Weiß gehaltene Zimmer. Neben dem Bett auf einem Regal stand eine Vase mit frischen Blumen. „Wo bin ich?“, stöhnte sie. Mit der rechten Hand führ sie unter die Bettdecke und betastete ihren Bauch. Sie erfühlte einen dicken Verband. „Es ist also wirklich passiert...“ Die Tür öffnete sich und unterbrach ihre Gedanken. „Minako! Du bist wieder wach. Oh Gott geht es dir gut?“ Ihre Mutter stürmte in das Zimmer und nahm sie in den Arm. „Mutter vorsichtig mein Bauch.“, sagte sie mit schmerzverzogenem Gesicht.
„Oh. Tut mir Leid Liebes. Wie ist das denn passiert? Was hast du mitten in der Nacht im Laden gemacht?"
„Woher weißt du dass ich dort war?“
„Ich war heute früh gegen halb Fünf aufgewacht und bin zur Toilette. Ich hatte ein komisches Gefühl im Bauch und wollte nach dir sehen. Doch du lagst nicht in deinem Bett. Ich bin losgestürmt und habe dich überall gesucht und dich dann schließlich zusammengebrochen und blutüberströmt vor dem Uhrenladen gefunden.“
„Ach Mutter... wenn ich dich nicht hätte.“
Eine Träne lief Minako über ihr Gesicht und Zoe wischte sie weg.
„Nun erzähl schon Kind. Wer hat dir das angetan und was wolltest du bei dem Laden?“ „Wenn ich dir das jetzt erzähle glaubst du mir sowieso nicht, also lass uns erst mal nach Hause gehen." Kaum hatte Minako dies ausgesprochen kam der Arzt rein.
„Wie geht es ihnen Frau Senjun?"
„Soweit ganz gut. Den Umständen endsprechend würde ich sagen. Aber ich bin der Meinung, dass ich das auch zu Hause weiter auskurieren kann.“
„Das freut mich zu hören. Ich würde ihnen dennoch raten noch ein bis zwei Tage hier zu bleiben.“ „Das geht leider nicht. Dann entlassen sie mich auf eigenen Wunsch.“
„Wie sie wünschen. Ich mache ihnen die Endlassungspapiere fertig und schaue dann gleich noch mal rein.“ Zoe guckte sie besorgt an.
„Bist du sicher dass du schon nach Hause kannst?"
„Ja Mutter und dann erzähle ich dir die ganze Wahrheit. Vielleicht kannst du mir sogar helfen diese zu verstehen.“

Als sie zu Hause ankamen gingen sie in Minakos Zimmer. Sie legte sich in ihr Bett und ihre Mutter setzte sich zu ihr. „Kannst du mir das Buch geben, was ich mir bei dir in der Bibliothek ausgeliehen habe? Es liegt unter der Matratze.“ Zoe guckte verdutzt und holte es hervor. „Wieso versteckst du es?“ „Weil in diesem Buch die ganze Wahrheit steht. Schau dir die erste Seite an.“ Sie tat es und erblickte die Abbildung des Dämons. „Was ist das?“
„Das ist ein Dämon. So einer ist mir im Uhrenladen begegnet und hat mich angegriffen. Sie verstecken sich in den Uhren und der Laden ist ihr Unterschlupf oder Hauptquartier. Ich denke, dass das der Grund ist warum Opa sich so komisch verhält. Die Kunden waren letztens auch alle so mies drauf. Ich bin mir sicher es liegt an den Uhren, beziehungsweise an den Dämonen.“ Zoe guckte ungläubig und blätterte weiter im Buch.
„Also hier steht etwas von dem was du gesagt hast, aber bist du dir sicher, dass es wahr ist und nicht nur eine Geschichte?“ Minako nickte mit voller Überzeugung und zeigte dabei auf ihren Verband. „Mutter kannst du mir aus dem Buch vorlesen? Dein Englisch ist bei weitem besser als meines.“ Zoe schluckte, sah noch einmal auf die Wunde ihrer Tochter und nickte dann, als hätte sie begriffen, dass sie die Wahrheit sagte. Sie blätterte im Buch, bis sie auf der Seite ankam wo der Text anfing und begann zu lesen.

 

 

Wir schreiben das Jahr 1870. Es ist Herbst und eigentlich ein ganz gewöhnlicher Tag. Doch nun muss ich mit ansehen wie der Himmel sich tief schwarz färbt und rote Blitze auf den Boden der Erde nieder schnellen. Dieses Phänomen habe ich noch nie zuvor gesehen und auch keine Geschichtsbücher schreiben darüber. Das weiß ich denn ich bin Lehrer dieses Faches und habe schon alle möglichen Bücher dieses Generes mindestens zwei Mal gelesen.

 

Heute, einen Tag nach dem ungewöhnlichen Gewitter, erzählen die Leute in den Nachrichten von dem Zorn der Götter. Ich glaube nicht an Götter, Dämonen, Engel oder Teufel. Ich denke eher es ist ein Naturwunder, doch kann ich mir nicht erklären wie es zustande gekommen ist. Ich habe mich in der Schule mit unserem Naturkundegenie Yakomi Induya zusammengesetzt und meine Theorie mit ihm besprochen. Doch auch er kann sich nicht erklären wie sowas zustande kommen kann. Diese roten Blitze sind einfach unerklärlich. Ich werde mir weiter, zusammen mit Yakomi, Gedanken machen und meine Ergebnisse hier für die Menschheit festhalten.

 

Heute sind Yakomi und ich die Gegend um Kimitsu abgefahren und haben mit entsetzen festgestellt, dass die tiefschwarzen Wolken nur über unseren kleinen Ort hängen. Außerdem haben wir beobachtet, dass die Menschen in dem von Dunkelheit durchzogenen Gebiet von Tag zu Tag komischer und mieser gelaunt wurden. In der Zeitung stand heute, dass die Kriminalität gewaltig gestiegen ist. Ob das alles mit den dunklen Wolken und den roten Blitzen zusammenhängt? Wir bleiben dran.

 

Heute habe ich den blanken Horror erlebt. Meine kleine Tochter, grade mal 8 Jahre alt, war schon seit Stunden im Bad verschwunden, als ich mich entschied mal nach zu sehen. Als ich die Tür aufschob sah ich wie sie wie angewurzelt da stand und mit leerem Blick in den Spiegel starrte. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich meine einen leichten, dunklen Nebel gesehen zu haben, der aus dem Spiegel kam und sie umklammerte. Ich sagte ihre Namen mehrfach und wurde immer lauter, bis ich schrie. Erst dann sah sie mich an fragte mich wütend was ich wolle und warum ich einfach so rein komme. Ich habe sie noch nie so erlebt. Noch nie hat sie mich so wütend angesehen. Und da war noch etwas. Ich mag langsam völlig durchdrehen, aber ich meine in ihren Augen einen roten Schimmer gesehen zu haben.

 

Ich halte es nicht mehr aus. Jeder neue Tag in dieser verfluchten Welt. Was ist das für eine Wolke die sich hier über Kimitsu niedergelassen hat? So langsam glaube auch ich nicht mehr daran, dass es ein Naturwunder ist, sondern es irgendetwas mit übernatürlichen Kräften zu tun hat. Als ich heute Morgen vor dem Spiegel stand und mir eine passende Krawatte zu meinem Hemd raussuchte, sah ich das Böse in Person. Der Nebel, den ich gestern bei meiner Tochter gesehen hatte…. Er hat heute auch mich heimgesucht. Er kam aus dem Spiegel und versuchte nach mir zu greifen. Ich hörte ein Flüstern, gar so wie ein Rauschen in den Bäumen. Ich verstand nur Bruchstücke. Sie sagten etwas von „wir brauchen deine Hülle“ und „hilf uns“. Ich verlor mich in dem Nebel und schrak auf als ich eine schwarze Gestallt mit blutroten Augen vor mir sah. Der Nebel war verschwunden und ich wieder klar bei Sinnen. Doch was um Himmels Willen war das?

 

Es ist nun eine Woche her und so langsam drehe ich vollkommen ab. Ich hatte letzte Nacht einen merkwürdigen Traum. Ich erinnere mich nur noch an Bruchstücke, aber da war ein alter Tempel und ein alter, merkwürdiger Greis. Er sagte irgendetwas von Auserwählter und dass ich mich auf die Reise begeben müsste um die Dämonen zu bekämpfen. Ich weiß nicht was ich davon halten soll. Diese komischen Gestallten und der Nebel aus den Spiegeln. Hatte das alles was mit meinem Traum zu tun? Ich werde diesem Traum auf den Grund gehen müssen und versuchen den Greis in dem Tempel zu finden. Es wird ein harter Weg meine Familie hinter mir zu lassen, aber ich weiß, dass sich meine Frau Zoe gut um unsere kleine Minako kümmern wird.

Imprint

Text: Copyright Text liegt beim AutorCopyright Cover bearbeitet von Riedel und Autor
Publication Date: 08-25-2011

All Rights Reserved

Dedication:
Ich widme dieses Buch allen die es lesen und mich in meiner Arbeit unterstützen. Doch vor allem will ich hier meine Familie erwähnen, die schon immer gesagt hat, dass ich was aus meinem Talent machen soll. Ich danke euch

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