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Liebesbrief

Ich verstehe nicht viel von Romantik. Ich hab auch keine Ahnung von sternenklaren Vollmondnächten oder kristallklingenden Bächen die funkelnd in der Sonne glitzern. Ich weiß nichts von blühenden Wiesen und fröhlichem Kindergeschrei, von einsamen Inseln und der am Horizont versinkenden Sonne. All das ist nichts für mich. Mir fehlen die schönen Worte, die gehauchten Liebesschwüre die kitschigen Momente in denen man den Alltag durchbricht und Worte findet für das was man fühlt.

 

Ich weiß du liebst mich auch ohne die Worte die es ausdrücken könnten. Und wenn ich danach suche, fallen mir Dinge ein wie in dem Moment als ich dich so um die Ecke kommen sah mit diesem leicht hysterisch wirkenden Gang der so typisch für dich ist. Ich muss daran denken wie ich nach Hause gekommen bin mit tierischem Druck auf der Blase. Ich kann schon die Haustür sehen. Noch im laufen krame ich in meiner Tasche nach dem Schlüssel. Der Druck wird schlimmer je näher ich unserer Wohnung komme. Mit Mühe ramme ich den Schlüssel ins Schloss und stürme mit ungelenken Bewegungen die Treppe hoch. Kaum in der Lage den verdammten Schlüssel in die verdammte Wohnungstür zu bringen gelingt es mir endlich die Tür zu öffnen. Ich renne zum Klo, mein Reißverschluss klemmt. Ich zerre mir die Hose vom Leib und setze mich... Ohhhjaaa... Vielleicht kennst du das Gefühl. So fühle ich wenn ich dich um die Ecke kommen sehe in deinem komischen Gang. Nein du hast recht. Das ist nicht romantisch.

 

Du lachst. Da fällt mir ein wie ich neulich im Stadion war. Das letzte Spiel der Saison. Nur einen Punkt vom Abstiegsplatz entfernt. Wenn wir heute nicht siegen, ist alles vorbei. In der dritten Minute macht der Gegner ein Tor. Mit 1:0 Rückstand gehen wir in die zweite Halbzeit. Meine Hoffnung schwindet in der 87sten Minute. In der 89sten Minute kommt der Ausgleich. Mit einem sagenhaften Tor. Aber es reicht nicht. Und dann in der Nachspielzeit, ich kann es immer noch nicht fassen, landet dieser wunderbare Ball zum zweiten Mal im Tor. Das ist der Sieg. 2:1 wir haben es verdammt noch mal geschafft. Ich tanze vor Freude und verteile mein Bier großzügig in den Klamotten meiner Freunde. So fühle ich wenn du lachst. Ich weiß, du stehst nicht auf Fußball.

 

Das ist ärgerlich. Wie damals als ich diesen Vorstellungstermin hatte. Wie aus dem nichts waren da auf einmal unzählige Autos. Nichts ging mehr. Das Einzige was lief, war die Zeit. Noch zwanzig Minuten. Noch fünfzehn. Wenn ich jetzt könnte wie ich wollte, ich würde es noch schaffen. Endlich hatte ich das Stauende erreicht. Vor mir war nur noch ein Auto. Durch die Heckscheibe sehe ich einen Hut an der Frontscheibe kleben. Ein Greis. Ein elender schleichender Greis und ich komme nicht vorbei. Ich hupe, fluche und wünsche das Männlein zum Teufel. Das fühle ich wenn du ärgerlich bist. Nein ich habe nichts gegen alte Leute. Ich wollte dich damit nicht traurig machen.

 

Traurig war ich als ich dem Mann im Krankenhaus begegnete, der gerade sein Kind verloren hatte. Er stand ganz stumm da. Nur die Tränen liefen aus seinen Augen. Augen die nach innen schauten. Das fühle ich wenn du traurig bist. Entschuldige jetzt bist du schlecht drauf.

 

Ich hab dir die Laune verdorben. Ich bin halt nicht romantisch.

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Text: Freimut Falk
Publication Date: 04-19-2014

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