„Aber ich sage Ihnen doch, ich habe damit nichts zu tun! Was wollen Sie von mir?“ Die Stimme des Mannes überschlug sich fast, seine Halsschlagader pochte heftig, man konnte nicht gerade behaupten, dass er diese Aussage mit seiner Körpersprache unterstützen würde.
Die Polizisten, die so etwas schon zu oft gehört hatten, ließen sich davon nicht irritieren und schickten sich an, dem Kerl Handschellen anzulegen. Er wehrte sich zwar, aber die Uniformierten waren nicht umsonst zu viert angerückt und erledigten diese Aufgabe mit einer Routine die zeigte, dass sie das nicht zum ersten Mal taten.
„Jetzt erzählen Sie doch keinen Stuss, Bergmann. Wir haben Photos von der Überwachungskamera, wir haben Fingerabdrücke, wir haben die Beute bei Ihnen gefunden. Aber Sie sind ganz bestimmt unschuldig. Mann, den Quark können Sie der Parkuhr erzählen. Los, einsteigen. Den Haftbefehl haben Sie gesehen, Ihre Rechte haben wir Ihnen schon so oft vorgelesen, die können Sie wahrscheinlich auswendig. Und ab dafür.“
Bergmann hörte zwar nicht auf, seine Unschuld auch weiterhin zu beteuern, aber es nützte ihm nichts, der Streifenwagen nahm ihn mit zur weiteren Verwahrung. Zurück blieben erstmal seine ratlosen Kumpel. Polizeiobermeister Seibel wandte sich an sie und meinte nur:
„Und ihr könnt froh sein, dass wir nur den Bergmann mitnehmen. Gegen euch haben wir nämlich keine Beweise. Noch nicht. Verlasst die Stadt vorerst besser nicht.“ Mit diesen Worten stieg er in das zweite Fahrzeug und fuhr seinen Kollegen hinterher.
Eine Stunde später fand sich Seibel im Büro des Polizeichefs von Darmstadt wieder. Er wurde zum mündlichen Bericht aufgefordert, schließlich war er so etwas wie der Star des Präsidiums.
„Seibel, wie machen Sie das? Das ist jetzt schon die siebte Festnahme in drei Wochen. Sieben Überfälle aufgeklärt, jedes Mal mit eindeutigen Beweisen. Man könnte fast meinen, das ginge nicht mit rechten Dingen zu.“
„Was soll das heißen, Herr Sauer? Wollen Sie mir unlautere Arbeit unterstellen?“
„Nein nein, um Himmels willen, das nicht. Aber man könnte schon manchmal ein wenig stutzig werden. Zumindest wenn man bedenkt, das zwei der überfallenen Geschäfte gar keine Überwachungskamera hatten. Aber es gibt zu allen Überfällen, die von Ihnen bearbeitet werden, Bilder oder gar Videos, immer Fingerabdrücke, man könnte meinen, diese Brüder wären durch die Bank Dilettanten.“
„Nun ja, offensichtlich machen sie halt immer wieder Fehler, sonst könnten wir sie ja nicht überführen.“
„Richtig, richtig. Da haben wir ganz schönes Glück, was?“
„Richtig, Herr Sauer. Reine Glücksache. Das gehört dazu.“
„Okay. Dann machen Sie mal weiter so, Seibel. Ihre Ergebnisse sind erstklassig, Sie haben auch bislang noch keinen verhaftet, der sich hinterher als unschuldig herausgestellt hätte. Gute Arbeit.“
Unter seinen Kollegen genoss Seibel uneingeschränkte Bewunderung. Da schaute man wirklich nur auf die Ergebnisse und nicht immer auf die Details. Und die Arbeit des Polizeiobermeisters war immer korrekt. Trotzdem war er nicht ganz zufrieden. Er rief seinen zweiten Mann zu sich ins Büro.
„Kesel, mach die Tür zu, wir müssen uns unterhalten.“
„Was ist denn los, Chef?“ Kesel schloss die Tür und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
„Der Sauer wird langsam misstrauisch. Ich hab´s befürchtet, wir machen im Moment ein bisschen zu viel. Wir müssen langsamer machen.“
„Na ja, was sollen wir tun? Suchen wir uns jetzt die Fälle aus, die wir aufklären?“
„Ich fürchte, das ist besser. In den nächsten drei Monaten nur noch, sagen wir drei Verhaftungen.“
„Ist das nicht ein bisschen wenig nach unserer derzeitigen Quote? Das wirkt doch dann auch seltsam.“
„Du hast recht. Sagen wir fünf. Aber zeitlich gut verteilt. Und langsam müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Ständig diese Überwachungskameras, das glaubt uns bald auch niemand mehr. Wir bräuchten Zeugen.“
„Aber das wird schwierig, Chef.“
„Das weiß ich selber, du Blödmann. Wir müssen uns was einfallen lassen.“
Zwei Wochen später. Seibel würgte gerade die zweite Tasse von dem runter, was auf dem Revier als Kaffee durchging, als Kesel ins Büro platzte:
„Chef, wir haben was. Ein Wachmann ist sich sicher, den Braun erkannt zu haben. Beim Überfall auf die Parfümerie gestern Nacht im Supermarkt.“
„Den Braun? Super, den suchen wir doch schon lange. Hatte der ein Alibi?“
„Kein sehr wasserfestes. War daheim bei seiner Alten. Das reicht nicht. Wir haben einen Zeugen.“
„Alles klar, schnappen wir uns den Dreckskerl. Ich will ihn in einer Stunde im Verhörzimmer haben.“
„Wird erledigt. In einer Stunde ist er da.“
„Okay, Braun, Sie wissen, was Ihnen vorgeworfen wird?“
„Hat man mir gesagt, aber das ist doch totaler Mumpitz. Ich war den ganzen Abend daheim. Fragen Sie die Conny, die wird das bestätigen.“
„Das können Sie vergessen, und das wissen Sie selber. Wenn Sie sich schon eine Zeugin aussuchen für die Tatzeit, dann besser keine, die permanent zugedröhnt ist. Das würde der doch gar nicht auffallen, wenn Sie mal eben für ein paar Stunden abhauen und eine Parfümerie ausräumen.“
„Das ist ja wohl der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe. Was würde ich denn in einer Parfümerie wollen? Ist das hier eine Verarsche, die Sie hier durchziehen? Ich habe damit nix zu tun, und das wissen Sie genau!“
„Na, so ein ungünstiger Zufall, dass wir leider einen Augenzeugen haben, der genau gesehen hat, wie Sie sich in dem Laden nach Herzenslust bedient haben.“
„Ich weiß nicht, was der Typ gesehen haben will, aber mich nicht. Vielleicht eine Luftspiegelung.“
„Sicher. Vermutlich war es ein Doppelgänger. Der auch zufällig über Ihre Fingerabdrücke verfügt und dann die Ware bei Ihnen in der Wohnung versteckt. Da, wo wir sie gefunden haben.“
„Das habt Ihr mir doch untergejubelt, ihr Saukerle. Ich will sofort meinen Anwalt sprechen.“
„Nur zu, der wird Ihnen nicht viel nützen. Ab in die Zelle mit dem Kerl.“
Der zweite Polizist, der bis dahin ruhig in der Ecke gestanden hatte, führte Braun daraufhin weg.
Seibel hingegen ging in sein Büro, setzte sich an den Schreibtisch und verfasste seine Kündigung. Er war zu weit gegangen, hatte sich hinreißen lassen und im Prinzip eben schon alles ausgeplaudert. Wenn er jetzt weitermachen würde, flöge über kurz oder lang alles auf. Und das wollte er nicht, dafür hatte er schon zu viel investiert.
Seine Gedanken schweiften wieder ab zu jenem Tag im letzten Sommer, als er in Österreich den Wanderurlaub gemacht hatte mit seiner Familie. Als er nach drei Tagen einen Ausflug ganz alleine unternommen hatte, dabei von einem üblen Gewitter überrascht wurde und in die Berghütte flüchtete. Als er den kleinen, alten Mann getroffen hatte, der ihm irgendeinen Hokuspokus erzählen wollte und ihm das Angebot unterbreitet hatte.
Doppelgänger wollte er ihm schicken. Er bräuchte nur Fotos und Fingerabdrücke der Personen, von denen er eine zweite Ausgabe haben wollte, und der alte Mann würde ihm solche Wesen vorbeischicken. Die würden dann alles machen, was er wollte. Und er wollte, dass sie für ihn Überfälle nachstellten, sich fotografieren und filmen ließen, ihre Fingerabdrücke hinterließen und dann verschwinden würden. Das hatte auch ganz hervorragend funktioniert, aber jetzt war es zu viel geworden.
Egal, er hatte mit diesen Doppelgängern immerhin ein gutes Dutzend krimineller Subjekte aus dem Verkehr ziehen können. Und es war ja nicht so, als ob die nicht alle Dreck am Stecken gehabt hätten. Was allein der Braun auf dem Kerbholz hatte, passte kaum noch in sein Vorstrafenregister, das mittlerweile mehrbändig war. Jetzt konnte man ihm immerhin etwas nachweisen, besser als gar nichts. Der hatte es mehr als verdient. Der Aufwand, den Doppelgänger in die Parfümerie zu schicken an einem Abend, an dem Braun kein gutes Alibi hatte, der hatte sich gelohnt.
Was hatte er den alten Mann ausgelacht, als der ihm dieses nur scheinbare Ammenmärchen aufgetischt hatte. Das hätte Seibel nie gedacht, dass das so gut funktionieren würde.
Nur der Preis für diese Doppelgänger, der war vielleicht etwas zu hoch gewesen.
Obwohl, er war noch jung, er konnte immer wieder neue Kinder zeugen. Hätte er damals nur das Kleingedruckte genauer gelesen...
Publication Date: 09-13-2009
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