Seufzend schloss ich das Buch und ließ das Ende noch auf mich wirken. Als ich das letzte Mal im nahegelegenen Dorf meine Einkäufe erledigt hatte, war ich mal wieder im Buchladen gelandet und hatte neben einiger Fachlektüre auch einen dieser Liebesromane mitgenommen, die derzeit in aller Munde waren. Besonders die einfachen Mädchen sprachen ständig davon, dass sie sich so eine Liebe wünschten. Dass ein Prinz in weißer Rüstung auftauchte und sich in sie verliebten.
Dieses Gerede hatte mich neugierig gemacht. Aber der Roman hatte mich nicht so überzeugt. Vielleicht tickten Mädchenherzen einfach anders. Ich konnte mit dieser „Liebe“ nichts anfangen.
Das Glöckchen meiner Eingangstür klingelte und kündigte Kundschaft an. Ich legte das Buch ab und ging nach vorne in den Eingangsbereich.
„Willkommen im Namenlosen Laden!“, begrüßte ich meine Kundin, ein junges Mädchen, das gerade ins heiratsfähige Alter gekommen war.
„Stimmt es, dass du Tränke und Zauber für alles hast?“, fragte sie sofort ohne Begrüßung. Sie beugte sich halb über den Tresen und sah mich eindringlich an.
„Vielleicht nicht für alles, aber für das meiste. Und ich kann immer neue herstellen.“, antwortete ich etwas überrumpelt. Sie war keine Stammkundin, sonst wüsste sie ja, was ich anzubieten hatte. Und sie wüsste sonst auch, dass ich nervös wurde, sobald man mich so überfiel.
„Ich brauche einen Liebestrank.“, teilte sie mir mit. In ihren Augen lag eine Dringlichkeit.
„Ein… Liebestrank?“, wiederholte ich langsam.
„So etwas gibt es nicht.“, schob ich nach. Es war gegen jegliche Ethik die Gefühle eines anderen Wesens auf diese Weise zu manipulieren.
Sie sah mich enttäuscht an.
„Aber ich dachte… Es hieß, du würdest alle Probleme lösen.“, gab sie von sich. Ihre Augen schimmerten verdächtig. Panik stieg in mir hoch. Damit konnte ich nicht umgehen.
„E-Erklär mir doch mal einfach, wofür du ihn brauchst. Vielleicht kann ich dir ja anders helfen.“, meinte ich schnell, bevor die ersten Tränen kommen konnten. Sie wischte sich über die Augen, schniefte kurz und lächelte wieder.
„Es ist so: Ich bin inzwischen im heiratsfähigen Alter. Mein Vater besitzt einen Bauernhof. Es läuft alles gut. Meine Brüder sind noch viel zu jung, um den Hof zu übernehmen. Jedenfalls hat mein Vater beschlossen, mich zu verheiraten.“, begann sie und atmete tief durch.
„Ich weiß, dass er im Gespräch mit dem Nachbarsbauern ist. Sein Sohn ist etwa in meinem Alter und als Kinder haben wir viel zusammengespielt. Aber ich liebe ihn nicht und ich glaube auch, dass er ebenso nicht daran interessiert ist.“, fügte sie hinzu, dann wandte sie sich ab und faltete die Hände. Ihr Gesicht bekam ganz weiche Züge.
„Außerdem gehört mein Herz bereits jemand anderem. Er gehört der höheren Schicht an, ist gutaussehend und wahnsinnig beliebt.“, erzählte sie mit sanfter Stimme und ich musste mir die nächsten paar Minuten ihre Schwärmereien anhören. Sie erzählte von ihrer ersten Begegnung, während sie einkaufen war. Ich passte nicht mehr richtig auf. Ich hasste es, wenn Kunden mit dieser Art der Probleme ankamen. Gleichzeitig war ich auch immer aufgeregt. Liebe war für mich nur ein Wort, das ich selbst noch nie erlebt hatte und vermutlich auch nie erleben würde. Als namenlose Kreatur waren mir solche Gefühle fremd. Deshalb stellten solche Anfragen auch große Herausforderungen für mich dar.
„Also? Kannst du mir helfen?“, riss mich meine Kundin aus meinen Gedanken. Ich zuckte zusammen und nahm sofort Haltung an.
„Ah, das ist keine einfache Anfrage. Ich brauche etwas Zeit. Gefühle von Menschen sind komplex. Es gibt keinen Universaltrank, der bei jedem wirkt.“, erklärte ich, was nur ein bisschen untertrieben war.
„Dann hilfst du mir? Oh, wundervoll! Ich muss in zwei Monaten mit ihm zusammen sein.“, sagte sie, bevor ich überhaupt eine richtige Antwort gegeben hatte. Sie lächelte, drehte sich um und wollte gehen.
„W-warte!“, hielt ich sie zurück. Sie drehte sich wieder um.
„Ich brauche etwas von ihm. Sonst funktioniert es nicht.“, gab ich von mir. Sie überlegte einen Moment, dann zog sie ein weißes Taschentuch mit eingestickten Initialen hervor und legte es vor mir am Tresen ab.
„Das hat er mir geschenkt.“, erklärte sie. Die Umstände dieses Geschenks hatte sie mir wohl vorhin erzählt, als ich nicht so aufgepasst hatte. Jetzt ging sie wirklich.
Ich stieß einen tiefen Seufzer aus, sobald ich alleine war. Was hatte ich mir da nur wieder eingebrockt.
„Du kannst ruhig auch mal einen Auftrag ablehnen.“, erklang Fukuros Stimme und das Katzenwesen sprang auf den Tresen.
„Großvater hat nie einen Auftrag abgelehnt. Ich darf seinen Ruf nicht beschmutzen.“, erklärte ich, was Fukuro eigentlich wissen sollte. Schließlich war er eigentlich Großvaters magischer Gefährte, nicht meiner. Er beschnupperte das Stück Stoff.
„Und was hast du jetzt vor? Wie willst du einen Liebestrank herstellen, wenn du als namenlose Kreatur nicht mal Liebe verstehst?“, erkundigte er sich in einem Tonfall, der deutlich machte, dass, seiner Meinung nach, diese Aufgabe zu groß für mich war. Ich richtete mich auf.
„Ich gehe einfach zu ihm, lerne, was Liebe ist, und kreiere den Trank, den mein Großvater nicht machen konnte.“, gab ich vollkommen überzeugt von mir.
„Ein Trank, den dein Großvater nie machen wollte.“, korrigierte Fukuro meine Aussage.
„Er hätte es gekonnt, hätte er sich dazu entschlossen, gegen seine Prinzipien zu gehen.“, schob er nach. Das hatte gesessen. Fukuro war immer so harsch zu mir. Aber ich wusste genau, dass auch mein Großvater mal klein angefangen hatte. Ich musste noch lernen, ehe ich an ihn herankommen konnte.
„Jetzt ist es zu spät. Außerdem… vielleicht brauch ich auch gar keinen Liebestrank. Vielleicht kann ich ihr auch anders helfen.“, rechtfertigte ich mich und wandte mich um.
„Ich muss den Laden schließen.“
Das Dorf war so voll wie eh und je. Es waren wohl gerade einige Händler in der Gegend, die seltene Waren anboten. Ich bahnte mir einen Weg durch die Straßen. Hin und wieder blickte ich auf den Kompass in meiner Hand. Die Nadel wackelte etwas. Die Menschen vor mir machten mir den Weg frei. Als namenlose Kreatur hatte ich einen gewissen Status. Auch, wenn ich mich die meiste Zeit eher als Außenseiter fühlte. Meine Rasse hatte nicht mal einen eigenen Namen. Es war, als ob sie einfach alle Wesen, die nicht in die gängigen Kategorien wie Magier, Dämon, Engel, Oni, Elfen oder sonst was reinpassten, zusammengefasst hatten. Die meisten namenlose Kreaturen waren Halbblüter. Ich wusste nicht, wer oder was mein Vater war. Meine Mutter war eine Hexe gewesen. Das hatte sie von meinem Großvater. Meine andere Hälfte war unbekannt. Vermutlich ein Schattenwesen, da es mit meiner Moral etwas her war und ich besonders bei Lichtmagie Schwierigkeiten hatte.
Ich zog meine Kapuze tiefer ins Gesicht. Die Kompassnadel wackelte schneller und zeigte so, dass das Ziel nahe war. Ich blickte auf und wusste genau, wer das Ziel war. Ein paar Meter vor mir stand ein Mann, umringt von einer Traube aus jungen Frauen, die er scheinbar bezauberte. Ich musterte ihn. Er war groß, hatte dunkelbraunes Haar und gerade Gesichtszüge. Unter seiner Kleidung schien ein durchtrainierter Körper zu stecken. Er hatte ein charmantes Lächeln aufgesetzt. Er war wohl ziemlich gutaussehend. Nicht, dass ich das wirklich beurteilen könnte. Ich steuerte eine Gasse an, um aus der Menge rauszukommen, und beobachtete ihn von dort aus. Ich zog aus meiner Tasche mein Notizbuch und schrieb alles nieder, was mir auffiel. Ich schob mein Haar hinter mein spitzes Ohr, um dem Gespräch lauschen zu können. Doch die Informationen, die ich zu hören bekam, waren nicht sonderlich nützlich.
„Und was jetzt?“, hakte Fukuro nach, der mir gefolgt war. Er setzte sich neben mich und begann sich wie eine normale Katze zu putzen. Doch sein geteilter Schwanz verriet, dass er anders war als die Streuner, die sich hier blicken ließen.
„Ich beobachte ihn erst mal eine Weile. Dann…“, antwortete ich und stockte. Ich musste mir was überlegen.
Ich hatte ihn den ganzen Tag verfolgt. Er hieß Kizoku und war der Sohn des großen Gutsbesitzers. Sein Alltag bestand aus Spaziergängen und Dates. Er war selten alleine. Er hatte immer jemanden in seiner Nähe. Meist junge Mädchen, die ihn anhimmelten und rot wurden, wenn er ihnen ein Kompliment machte. Mit diesen sparte er auch nicht.
Als ich am ersten Tag in das Gasthaus einkehrte und meine Beobachtungen nochmal durchging, kam ich zu dem Entschluss, dass er ein absoluter Frauenheld war. So kam ich nicht an mein Ziel. Ich musste mit ihm reden, denn mit diesen oberflächlichen Beobachtungen kam ich nicht weit. Da reichten keine zwei Monate aus. Ich betrachtete mich im Spiegel. Meine spitzen, elfenhaften Ohren waren unter meinem Haar kaum zu erkennen. Meine Züge waren überhaupt nicht männlich. Da hatte ich eine Idee. Männer schien er kaum an sich ranzulassen. Außer ein paar Diener hatte er jedes männliche Wesen vollkommen linksliegengelassen. Aber für Frauen hatte er immer ein charmantes Lächeln aufgesetzt.
„Was hast du jetzt wieder geplant?“, fragte Fukuro argwöhnisch. Ich drehte mich zu der Katze am Bett und legte meine Hände aufs Gesicht.
„Dieser Auftrag erfordert eine Undercover-Aktion. Eine Jungfrau in Nöten wird von ihm ganz bestimmt nicht ignoriert.“, meinte ich. Fukuro sah mich skeptisch an. Er hatte meine Pläne noch nie wirklich gutgeheißen.
„Da ist er.“, meinte ich und machte Fukuro auf ihn aufmerksam. Kizoku spazierte mit einer jungen Frau an seiner Seite am See entlang. Sie schien selbst dem höheren Stand anzugehören. Vermutlich war sie auf Besuch und er musste sie unterhalten. Er war zurückhaltender als gestern. Ich ging davon aus, dass er bei ihr keinen falschen Eindruck erwecken wollte. Nicht, dass sie noch davon ausging, er würde sie umwerben und um ihre Hand anhalten wollen.
„Und was hast du jetzt vor?“, hakte Fukuro nach und streckte sich. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und dachte nach. Ich konnte nicht einfach aus meinem Versteck treten. Er wäre mir gegenüber zwar sicher freundlich, aber er würde mich sicher schnell abwimmeln.
„Hm, ich weiß.“, gab ich von mir.
„Fukuro, jag mich!“, forderte ich meinen tierischen Begleiter auf. Er sah mich skeptisch an.
„Mach einfach!“, fügte ich harscher hinzu. Auf seine Widerworte konnte ich jetzt echt verzichten. Er fauchte, dann schüttelte er sich, ging etwas auf Abstand und sein Körper ging in Flammen auf. Einen Moment später stand er als Bestie vor mir. Bevor ich ihm meinen Plan erklären konnte, machte er einen Satz und landete knapp vor mir. Fast hätte er mich erwischt. Offensichtlich würde er nicht näher nachfragen. Ich wandte mich um und begann zu rennen. Fukuro machte auf Ernst. Er jagte mich durch die Gegend und ich hatte nicht so viel Probleme damit, die Jungfrau in Nöten zu spielen. Ich rannte in Richtung See, den Steg entlang und kam am Ende an. Fukuro sprang über mich hinweg und flog davon, während ich ins Wasser fiel.
„Alles in Ordnung?“, erklang eine Stimme, während ich mich oben hielt. Kizoku stand am Ende des Stegs und streckte mir die Hand entgegen. Ich ergriff sie. Mit Leichtigkeit zog er mich aus dem Wasser.
„Das war haarscharf. Du bist diesem Biest nur knapp entkommen.“, meinte er. Ich gab einen zustimmenden Laut von mir. Aber der Sturz ins Wasser hatte mich selbst überrascht. So etwas hatte ich dann doch nicht geplant. Außerdem war der See viel kälter als erwartet.
„Das arme Ding. Sie ist vollkommen durchnässt. Sie braucht dringend trockene Sachen.“, gab seine Begleitung von sich. Kizoku stützte mich, während wir den Steg verließen.
Das Gutshaus war eine prächtige Villa, die fast eines Königs würdig wäre. Kizoku hatte mich hineingeführt und den Bediensteten die Umstände erklärt. Auf dem Weg hatten er und seine Begleitung versucht mich auszufragen. Ich hatte geantwortet, ich wäre gerade auf Reisen, als aus dem Nichts diese Bestie gekommen war. Die Diener organisierten sofort neue Kleider für mich. Kizoku war ziemlich zuvorkommend, aber dennoch merkte ich, dass er sich wegen seiner Begleitung zurückhielt.
Es dauerte nicht lange, ehe eine Bedienstete mit einem Bündel zurückkehrte.
„Ich begleite Sie in das Gästezimmer. Dort können Sie sich in Ruhe umziehen und erwärmen.“, sagte sie zu mir und blickte auch kurz auf Kizoku, um sich von ihm die Bestätigung zu bekommen, dass dies auch in seinem Sinne war.
„Ich werde später nach dem Rechten sehen. Ruh dich bis dahin einfach aus!“, meinte er an mich gewandt. Ich nickte und folgte dann der Dienerin, die mich durch das labyrinthartige Gebäude führte, bis wir vor einen Raum ankamen, vor dem sie stehenblieb. Sie öffnete die Tür, ließ mich eintreten und ich blickte mich im Zimmer um. Ein großes Schlafzimmer mit Kamin. Eine Tür führte in den Nebenraum, der sich als Bad entpuppte, das sie für mich öffnete.
„I-ich mach das alleine.“, gab ich schnell von mir, als ich im Bad stand und sie Anstalten machte, mir aus meinen Kleidern zu helfen. Sie wirkte kurz irritiert. Dann lächelte sie verstehend.
„Tut mir leid. Ich bin es so gewohnt, dass von mir Hilfe erwartet wird. Normalerweise kommen nur Edeldamen her.“, erklärte sie sich.
„I-ich gehöre nicht zu diesen Edeldamen.“, erklärte ich.
„Und ich habe auch eine nicht sonderlich hübsche Narbe, für die ich mich schäme.“, fügte ich ganz leise hinzu.
„Oh.“, gab sie knapp von sich. Dann lächelte sie und teilte mir mit, dass sie schonmal den Kamin anheizen würde. Erst als ich allein war und nochmal den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte, entspannte ich mich etwas. Ich schlüpfte schnell aus meinen nassen Kleidern. Meine Verkleidung war nicht sonderlich aufwendig gewesen. Magische Ohrringe sorgten dafür, dass meine spitzen Ohren wie gewöhnlich menschliche aussahen. Mein Umhang hatte meine Figur verdeckt und ein Halsband mit einem Elfenstein ließ meine Stimme etwas heller klingen. Mehr brauchte ich auch nicht, um als Frau durchzugehen. Solange ich angezogen blieb. Ich trocknete mich kurz und zog mir die Kleider an, die die Dienerin gebracht hatte. Dann durchsuchte ich meine Tasche und stellte erleichtert fest, dass das Wichtigste trocken geblieben war. Ich entfernte die magischen Gegenstände, die ich zur Sicherheit immer in meiner Kleidung verstaut hatte, und steckte mir manches in die Taschen meiner geliehenen Kleider. Für den Notfall musste ich gerüstet sein.
Als ich soweit trocken war und mich richtig vorbereitet hatte, atmete ich tief durch und überlegte mir, wie ich die Situation nutzen konnte. Wenn ich mich geschickt anstellte, konnte ich für ein paar Tage hierbleiben. Wenn Kizoku alleine war, würde er vielleicht ein paar nützlichere Informationen hergeben.
Ich verließ das Bad, während ich mir noch die Haarspitzen trocknete. Im selben Moment öffnete sich die Tür zum Gang und ein junger Mann trat ein. Er ging auf die Dienerin zu, die noch mit dem Kaminfeuer beschäftigt war.
„Anne, kannst du…“, begann er, brach aber schnell ab, als wir fast zusammengestoßen wären. Er blickte mich an und starrte einfach nur. Er war etwa ein Kopf größer als ich, war gut gebaut und hatte dunkles Haar. Seine Augen waren wie Bernstein. Auf seinen Wangen lag ein roter Schimmer.
„Ein Gast ihres Bruders Kizoku. Sie hatte einen kleinen Unfall am See.“, stellte Anne mich vor und riss ihn scheinbar aus seinen Gedanken. Für einen Moment schien er verwirrt, dann fing er sich wieder, zwang sich zu einem Lächeln.
„Willst du dich nicht erst mal aufwärmen?“, mischte die Dienerin sich wieder ein und führte mich zum Feuer, wo sie mich in einen bequemen Sessel platzierte. Sie hatte die förmliche Rede mir gegenüber abgelegt, was mir ganz recht war.
„Ich bringe gleich etwas Tee. Das wärmt von innen.“, teilte sie mir mit.
„Shigeru, wollen Sie ihr bis zu meiner Rückkehr nicht etwas Gesellschaft leisten?“, meinte sie zu dem Mann, der sich nicht gerührt hatte, ehe sie verschwand. Ich war mit ihm alleine. Kizokus Bruder. Ich hatte gestern zwar erfahren, dass es einen gab, aber die meisten schienen enttäuscht, dass er nicht ebenso gutaussehend war und weniger charmant. Letzteres schien wohl wahr, ersteres konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Einen Moment stand er unschlüssig da, dann trat er näher und setzte sich auf den zweiten Sessel.
„So, du… hattest einen Unfall am See?“, brach er sein Schweigen.
„Fumei. Ich heiße Fumei.“, stellte ich mich vor, weil ich das bisher nicht getan hatte. Und Shigeru schien der Erste zu sein, der sich für mich interessierte. Zumindest seinem Verhalten nach zu urteilen, denn gesagt hatte er es nicht.
„Und ja. Ich hatte auf meinem Weg wohl eine Bestie verärgert, die mich dann in den See gejagt hat.“, antwortete ich, was nicht mal wirklich gelogen war.
Er wollte etwas darauf erwidern, doch da ging die Tür bereits auf. Erst dachte ich, Anne wäre schnell gewesen, doch stattdessen war es Kizoku, der eintrat und mir sein charmantes Lächeln schenkte.
„Ah, das sieht doch gleich viel besser aus. Wir konnten dich ja schlecht in den nassen Kleidern lassen.“, gab er von sich und trat näher, ehe er meine Gesellschaft überhaupt wahrnahm.
„Shigeru, du auch hier? Du zeigst wirklich auch mal Interesse an einem weiblichen Geschöpf?“, meinte er an seinen Bruder mit einem Unterton, den ich nicht deuten konnte.
„Was für eine faszinierende Frau du sein musst.“, wandte er sich dann an mich. War das ein Kompliment? Ich lächelte leicht verunsichert und senkte dann den Blick.
„Ich habe Anne nur einen Gefallen getan und Fumei bis zu ihrer Rückkehr Gesellschaft geleistet.“, rechtfertigte sich Shigeru, während er aufstand.
„Aber jetzt bist du ja da.“, fügte er hinzu und verließ den Raum. Ich blickte ihm nach und fand es etwas schade. Er schien mir eine angenehme Gesellschaft.
Kizoku nahm seinen Platz ein.
„Mein Bruder hält sich normalerweise von Frauen fern. Er kann nicht gut mit ihnen sprechen. Verzeih sein unhöfliches Verhalten!“, erklärte er und begann dann damit mich auszufragen, während er mich immer mal wieder mit Komplimenten überhäufte. Letzteres brachte mich etwas aus dem Konzept, doch ich tischte ihm eine gute Geschichte auf. Als Anne zurückkehrte, glaubte er bereits, dass ich eine Reisende wäre, die seltene Kreaturen und Pflanzen erforschte. Nett wie er war, bot er mir an, ein paar Tage zu bleiben. Gut, dass ich eine der Nachtzauberblumen mitgenommen hatte, deren Duft meine Mitmenschen beeinflussen konnte. Meinen eigenen Manipulationskünsten traute ich nämlich nicht. In meinem Laden konnte ich gut Verkaufsgespräche führen und Kunden auch mal dazu überreden, das Eine oder Andere mehr zu kaufen. Da kannte ich mich aus und war Selbstsicher. Doch ansonsten hatte ich kaum Kontakt mit anderen Menschen und humanoiden Wesen.
Kizoku war charmant und konnte so gut wie alles in ein Kompliment umwandeln. Er schenkte mir viel seiner Aufmerksamkeit. Schließlich war ich sein Gast. Gleichzeitig wusste ich auch, dass ich ihn neugierig machte. Ich antwortete ihm zwar auf alle Fragen, aber gab kaum echte Informationen preis. Dasselbe galt aber auch für ihn. Unsere Unterhaltungen blieben oberflächlich und nach drei Tagen war ich kaum schlauer. Ich wusste lediglich, was er gerne aß und kannte seinen ungefähren Tagesablauf. Seine Interessen schienen sich aber immer an seine Gesellschaft anzupassen.
Manchmal begegnete mir auch Shigeru. Aber er sprach nicht mehr mit mir. Wenn wir uns sahen, wandte er meistens den Blick ab und drehte um. Offensichtlicher konnte es nicht gehen.
Ich wusste nach ein paar Tagen gar nicht mehr, warum ich eigentlich hier war. Meine Aktion war ziemlich sinnlos. Aber ich wollte den Auftrag nicht einfach aufgeben. Auf der Suche nach einer zündenden Idee wanderte ich durch das Gutshaus. Die Bediensteten ließen mich gewähren. Niemand hielt mich auf. Ich ging nach draußen und steuerte den Stall an. Das Gebäude war groß und es standen etwa 15 Pferde darin. Ich ging durch die Reihe, streichelte die Tiere, die den Kopf aus ihrem Stall steckten und merkte, dass im hinteren Bereich eine Tür geöffnet war. Ich näherte mich und blickte hinein. Das Pferd stand noch dort, zusammen mit Shigeru, der ihm über den Hals strich. Die Tür quietschte etwas, als ich mich dagegen lehnte. Shigeru drehte sich um und schien überrascht mich zu entdecken. Schnell wandte er sich wieder ab.
„Kizoku ist nicht hier.“, gab er knapp von sich und strich wieder durch das Fell.
„Ich weiß.“, erwiderte ich gelangweilt und betrat die Box.
„Was machst du hier?“, fragte ich. Ich spürte seinen Blick auf mir. Er zögerte etwas.
„Aki isst kaum etwas.“, antwortete er. Ich konnte die Sorge in seiner Stimme hören. Ich ging zu dem Kopf des Tieres, strich ihm über die warme Schnauze und sah ihm in die traurigen Augen.
„Kein Appetit? Oder krank?“, fragte ich leise, während ich nach Krankheitsanzeichen suchte. Als namenlose Kreatur hatte ich ein ganz gutes Gespür. Ich fragte nach Details. Seit wann sich das Pferd so verhielt, andere Anzeichen und ob sonst noch etwas aufgefallen war. Shigeru beantwortete meine Fragen sehr knapp.
„Scheint, als hätte er Elfenblüten erwischt.“, diagnostizierte ich schließlich, griff in meine Tasche und suchte nach dem richtigen Fläschchen. Dann griff ich nach einem Büschel Heu und schüttete ein paar Tropfen der Tinktur darauf. Dieses hielt ich Aki vor die Schnauze. Es dauerte etwas, ehe ich das Pferd zum Fressen brachte.
„Was ist das?“, fragte Shigeru schließlich. Scheinbar hatte er sich endlich durchgerungen, doch mit mir zu sprechen.
„Ein Gegenmittel. Für die meisten Tiere sind Elfenblüten giftig. Aki hat wohl nicht viel erwischt. Er wird bald wieder. Morgen sollte er wieder fressen. Und in ein paar Tagen wird er wieder ganz fit sein.“, erklärte ich in professionellem Ton. Da war der Geschäftsmann etwas mit mir durchgegangen. Ich konnte mich gerade davon abhalten, für die Behandlung Geld zu verlangen.
„Danke! Ich wüsste nicht, was ich hätte machen sollen.“, gab Shigeru von sich. Wir standen uns so nahe wie bisher noch nie. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
„Ah, gern geschehen.“, antwortete ich. Shigeru lächelte mich an und in mir breitete sich ein seltsames Gefühl aus. Ich spürte Hitze in meinen Wangen aufsteigen.
Wir verließen den Stall und allmählich schien Shigeru sich mit mir unterhalten zu wollen. Tiere und Pflanzen waren das Thema. Mein Fachgebiet. Ich wusste fast alles über die Kreaturen dieser Welt und Shigeru schien ernsthaft interessiert.
„Großvater hat mir alles beigebracht.“, antwortete ich auf die Frage, woher ich dieses Wissen hatte.
„Er war immer sehr streng und hat mir kaum Freizeit gelassen.“, fügte ich hinzu.
„Und dein Großvater ist…?“, wollte er fragen, brach aber ab, bevor er es aussprechen konnte. Ich warf abwehrend die Hände in die Höhe.
„Nein, nein. Er lebt noch. Vermutlich. Er ist vor etwas mehr als einem Jahr auf Reisen gegangen. Er hat mir alles überlassen. Das ist in meiner Familie normal.“, erklärte ich schnell und räusperte mich. Ich musste aufpassen, dass ich mich bei den persönlichen Themen nicht verplapperte. Gleichzeitig wollte ich auch nicht lügen. Ich wollte nichts durcheinanderbringen und Shigeru war nett zu mir.
„Was ist mit deinen Eltern?“, fragte er vorsichtig.
„Meinen Vater kenne ich nicht. Und meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt.“, antwortete ich und er teilte mir sein Beileid mit.
„Aber jetzt bist du dran. Jetzt musst du etwas von dir erzählen. Das ist nur fair.“, lenkte ich ab, um die bedrückte Stimmung abzuwehren. Er kratzte sich am Hinterkopf.
Wir gingen durch den Garten, während er scheinbar überlegte, was er mir erzählen könnte.
„Es gibt nichts Besonderes über mich zu erzählen. Meine Eltern sind beide am Leben und Kizoku kennst du ja.“, sagte er schließlich.
„Du kannst deinen Bruder wohl nicht wirklich leiden, was?“, hakte ich nach. Er presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen.
„Es ist nicht wirklich so, dass ich ihn nicht leiden kann.“, wehrte er ab und seufzte.
„Wir haben halt unterschiedliche Ansichten. Früher haben wir viel zusammen unternommen, aber wir haben uns wohl auseinandergelebt. Er hat sich immer mehr für Mädchen interessiert und ich für… anderes.“, erklärte er. Es schien, als hätte er etwas verschwiegen, aber ich wusste nicht was.
„Wie ich sehe, hast du unserem Gast Gesellschaft geleistet.“, erklang plötzlich die Stimme des älteren Bruders. Für einen Moment war ich enttäuscht, dass wir gestört wurden. Deshalb reagierte ich auch zu langsam, als Kizoku meine Hand ergriff und seine Lippen auf meinen Handrücken drückte. Shigeru fühlte sich scheinbar unwohl in dieser Situation.
„Tut mir leid, dass ich dich solange alleine lassen musste. Aber ich hatte Verpflichtungen.“, entschuldigte Kizoku sich bei mir. Ich konnte mir schon denken, welche Verpflichtungen er hatte.
„Es ist bald Zeit fürs Abendessen.“, wechselte er das Thema. Er begleitete mich zurück zu meinem Zimmer. Als ich mich umdrehte, war Shigeru bereits in der entgegengesetzten Richtung verschwunden. Ich spürte einen Stich in meiner Brust, den ich nicht verstand.
Vor meiner Tür ließ er mich alleine, damit ich mich frisch machen konnte.
„Auch, wenn du jetzt schon wundervoll aussiehst. Und ich dich ungern gleich wieder alleine lassen will.“, gab er von sich. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Ich wusste nie, was ich auf solche Komplimente erwidern sollte. Stattdessen schlüpfte ich schnell durch die Tür und lehnte mich dagegen, als ich alleine war. Ich seufzte.
„Schon irgendwelche Fortschritte gemacht? Oder hast du deine Aufgabe schon vergessen, Fräulein.“, erklang plötzlich eine bekannte Stimme.
„Fukuro! Was hast du die letzten Tage gemacht?“, fragte ich und war etwas wütend, dass er mich alleine gelassen hatte. Und dass ich seinetwegen ein Bad im kalten See gemacht hatte.
„Ach, nicht viel. Ich habe nur meine freien Tage genossen.“, antwortete der Kater und sprang vom Fenstersims.
„Also, wie weit bist du?“, lenkte er wieder ab, während er das Zimmer erkundete. Ich ließ mich seufzend aufs Bett plumpsen.
„Ich komm nicht weiter. Kizoku ist so oberflächlich. Ich weiß nicht, warum so viele Frauen hinter ihm her sind.“, antwortete ich. Fukuro ließ sich vor dem Kamin nieder.
„Das liegt daran, dass du dich kopflos in den Auftrag stürzt und keinen richtigen Plan hast. Du weißt noch nicht mal, was du eigentlich erreichen willst.“, belehrte mich Fukuro.
„Ich bin kein Kind mehr. Ich habe alle Aufträge immer professionell erledigt.“, verteidigte ich mich. Fukuro sah mich aus seinen leuchtenden Augen an.
„Du hast nur getan, was dein Großvater dir beigebracht hat. Du hast letztendlich nie selbst eine Lösung geschaffen.“, erwiderte er. Ich wollte dem etwas entgegensetzen. Doch ich konnte nicht, denn er hatte recht.
„Was soll ich machen?“, fragte ich schließlich den Gefährten meines Großvaters und ließ resigniert die Schultern hängen.
„Denk doch mal nach! Was brauchst du, um den Auftrag zu erfüllen?“, fragte er und hatte denselben Lehrerton drauf, den er schon früher hatte, wenn ich als kleines Kind eine Aufgabe nicht hatte lösen können, die Großvater mir gestellt hatte.
Ich dachte nach.
„Ein Liebestrank. Dafür müsste ich erst mal Liebe verstehen. Ansonsten wäre alles, was ich produziere nur ein Verführungstrank, der aus ihm einen willenlosen Zombie macht.“, überlegte ich laut.
„Ich könnte aber stattdessen dafür sorgen, dass meine Kundin für ihn interessanter wird. Dass er sich von sich aus in sie verliebt.“, fuhr ich fort.
„Und weiter? Wie stellst du das an?“, forderte Fukuro mich auf.
„Hm, ich muss herausfinden, was er an Frauen interessant findet. Sie muss genau seinem Typ entsprechen.“, sprach ich weiter.
„Das Aussehen könnte ich anpassen…“, murmelte ich.
„Ein Illusionstrank wäre wohl am besten. Meine Kundin kann ihr Äußeres nicht komplett ändern, wenn sie überhaupt nicht sein Typ wäre. Das würde ihr Umfeld irritieren. Aber sie könnte Kizoku einen Illusionstrank verabreichen, der dafür sorgt, dass er sie anders sieht. Ihre Interessen müsste sie anpassen. Je nachdem, was er mag, kann ich ihr vielleicht da auch Unterstützung bieten.“, gab ich schließlich meinen halbwegs soliden Plan bekannt.
„Du kannst es doch.“, lobte Fukuro in einem etwas abfälligen Tonfall.
„Das Problem ist nur, dass ich nichts herausfinden kann. Kizoku gibt nichts von sich preis.“, gab ich zu bedenken.
Das Abendessen hatte eine seltsame Stimmung. Kizoku machte mir immer mal wieder Komplimente, während Shigeru, der ausnahmsweise ebenso anwesend war, sich immer mal wieder einmischte. Er klang fast schon feindselig. Im Gegensatz zu Kizoku wollte sich Shigeru mehr über meine Interessen reden. Er war scheinbar von meinem Wissen fasziniert. Ich unterhielt mich gern mit ihm. Da war auch immer mal wieder dieses warme Gefühl. Doch dann war es Kizoku, der sich immer wieder einmischte, und in mir wallte der Wunsch auf, ihn fortzuschicken. Doch dann erinnerte ich mich, dass ich dann keine Informationen von ihm bekommen könnte.
In den folgenden Tagen unterhielt ich mich immer öfter mit Shigeru. Es war bald ganz locker zwischen uns und ich spürte immer öfter ein warmes Kribbeln in meinem Bauch. Ich wollte mich immer weniger mit meinem Auftrag beschäftigen. Die Zeit mit Shigeru war viel lustiger. Vermutlich, weil ich den Kontakt mit anderen Menschen nicht gewohnt war. Irgendwann begann ich Shigeru subtil über seinen großen Bruder auszufragen. Viel schlauer wurde ich allerding nicht. Er wollte nicht wirklich über ihn reden. Und ich ließ meist das Thema auch viel zu schnell fallen.
Shigeru hatte mich zu einem Spaziergang durch den nahegelegenen kleinen Wald mitgenommen. Vor ein paar Tagen war ich schon mit Kizoku hier gewesen. Aber jetzt hatte ich eindeutig mehr Spaß. Wir diskutierten über die Verwendungsmöglichkeiten einiger Heilpflanzen und die richtige Haltung bestimmter Tierwesen. Schließlich kamen wir zu einer Lichtung mit Blumenwiese. Noch mitten in der Unterhaltung setzten wir uns. Einen Moment später verfielen wir in Schweigen. Wir sahen uns in die Augen. Das warme Kribbeln in meinem Magen war wieder da und schien noch gewachsen. Ich biss mir auf die Unterlippe, um das Grinsen zu unterdrücken, das einfach nicht verschwinden wollte. Shigeru lächelte ebenso. Er hatte ein schönes Lächeln. Ich könnte ewig einfach nur dasitzen und ihm beim Lächeln zusehen.
Shigeru beugte sich langsam vor, ohne den Augenkontakt abzubrechen.
„Du bist so wunderschön.“, flüsterte er. Seine Lippen waren so nah an meinen, dass ich seinen Atem spürte. Mein Herz raste. Er war mir so nahe wie noch nie jemand.
„Fumei.“, flüsterte er meinen Namen, als wäre er ein kostbares Geheimnis. Er kam mir noch ein Stück näher.
„Ah, hier seid ihr!“, riss uns eine Stimme aus diesem Moment, der nur uns gehört hatte. Erschrocken rückten wir beide auseinander und blickten in die Richtung, aus der die Stimme des Störenfrieds gekommen war. Mein Herz raste jetzt aus einem anderen Grund. Kizoku kam näher, lächelte, warf seinem Bruder aber undefinierbare Blicke zu. Bei uns angekommen widmete er seine ganze Aufmerksamkeit mir. Ich hatte alle Mühe, ihn nicht anzugiften. Ich spürte so etwas wie Hass ihm gegenüber. Einen Augenblick später war ich über mich selbst verwirrt. Was sollten diese Gefühle?
Kizoku störte uns immer wieder, aber so einen Moment wie auf der Lichtung hatte es ohnehin nicht mehr gegeben. Zwischen Shigeru und mir war es ohnehin etwas seltsam geworden. Nicht unbedingt auf eine schlechte Art. Es war zwischen uns nur immer diese Stimmung, die ich nicht deuten konnte.
Diese hielt auch an, als der erste Monat vergangen war. Fukuro wurde allmählich ungeduldig. Er wollte zurück in den Laden. Ich konnte es verstehen. Aber ich wollte nicht hier weg. Nicht unbedingt wegen dem Auftrag. Der war mir inzwischen egal geworden, auch wenn ich das vor Fukuro nicht zugeben würde. Es war Shigeru, der mich hielt.
Mit der Ausrede, ich wolle Shigeru über seinen Bruder ausfragen, weil ich ihm gerne irgendwie dafür danken wollte, dass ich als sein Gast so lange hatte hierbleiben können, schlenderte ich durch den Gang und überlegte, ob ich den jüngeren Bruder nicht zu einem kleinen Ausflug überreden könnte. Ich war aber nicht weit gekommen, als ich schon von weitem die beiden Brüder hörte. Sie schienen zu streiten. Ich versteckte mich im Seitengang und lauschte. Dank meines guten Gehörs musste ich nicht so nah ran.
„Du machst das doch ständig mit Absicht.“, gab Shigeru aufgebracht von sich.
„Fumei ist mein Gast. Ich kümmere mich nur angemessen um sie.“, erwiderte Kizoku.
„Angemessen? Für dich ist sie doch nur wie eine deiner hundert Verehrerinnen. Du hast dich nur so lange mit ihr beschäftigt, weil sie nicht auf deine oberflächlichen Komplimente angesprungen ist.“, konterte Shigeru.
„Ich behandle Frauen wie es sich gebührt. Das verstehst du natürlich nicht. Du hast dich ja immer verkrochen und jedes weibliche Wesen gemieden, außer sie gehört zu unserer Dienerschaft. Du weißt gar nicht, wie man eine Frau richtig behandelt.“, sagte Kizoku und fühlte sich ganz klar überlegen.
„Fumei ist nicht irgendeine Frau. Sie ist keines der oberflächlichen Mädchen, die sich von ein paar netten Worten beeindrucken lassen. Sie ist klug und interessant. Sie hat Charakter und ist aufmerksam. Sie ist ein wundervoller Mensch.“, entgegnete Shigeru. Seine Stimme hatte einen weichen Unterton angenommen, was mein Herz zum Rasen brachte.
„Das klingt, als ob du willst, dass sie die Mutter deiner Kinder wird.“, kommentierte Kizoku und es klang, als ob er seinen Bruder damit aufziehen wollte.
Mir war es aber, als ob jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über meinen Kopf ausgeschüttet hätte. Mutter deiner Kinder. Diese Worte klangen in meinem Kopf noch nach. Ich war so mit diesen neuen Gefühlen beschäftigt gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, dass mich alle für eine Frau hielten. Dabei konnte ich nicht mal schwanger werden. In meiner Brust zog sich etwas zusammen. Ich ging zurück in mein Zimmer.
„Hast du nicht Arbeit zu erledigen?“, erklang Fukuros Stimme und er sprang in mein Bett. Ich war noch so mit mir selbst beschäftigt, dass ich nicht antwortete. Fukuro stieß einen Seufzer aus.
„Kleiner, wirst du langsam erwachsen?“, fragte er, kam zu mir her und sah mir ins Gesicht.
„Hä? Was?“, fragte ich verwirrt.
„I-ich bin doch schon lange erwachsen.“, verteidigte ich mich verwirrt. Fukuro setzte sich.
„Körperlich vielleicht. Aber geistig? Naja, ich hatte bisher eher die Vermutung, du wärst zu solchen Gefühlen nicht fähig gewesen.“, erwiderte er. Er wollte ich mich darüber aufregen, dann schluckte ich aber meinen Kommentar herunter.
„Was für Gefühle?“, fragte ich leise. Fukuro hatte inzwischen angefangen sich zu putzen. Einen Moment hielt er inne, dann leckte er sich weiter über das Fell. Erst nach einer Weile, in der ich angespannt auf eine Antwort wartete, hob er den Kopf wieder und sah mich an.
„Es ist doch offensichtlich. Selbst ein Blinder mit Krückstock würde das erkennen. Dein Verhalten ist eindeutig. Das, was du bisher nicht kanntest, hast du jetzt in seinem ganzen Ausmaß kennengelernt. Das, was du für diesen Auftrag eigentlich gesucht hast.“, gab er kryptisch von sich. Einen Moment brauchte ich um zu verstehen. Fukuro sprach wichtige Dinge oft nicht klar aus. Das war Teil seines Charakters. Aber selbst in meinem Inneren wollte sich die Antwort nicht deutlich formulieren, weil ich gleichzeitig wusste, dass es kein Zurück mehr gab, sollte ich es mir eingestehen.
„Dein Großvater hat nicht immer alle Aufträge erfüllt. Es gab viele, die er abgelehnt hat. Und in seiner Anfangszeit gab es auch den einen oder anderen Fehlschlag.“, fügte Fukuro mit gelangweilter Stimme hinzu. Diesmal brauchte ich nicht so lang, um ihn zu verstehen.
„Ja, du hast wohl recht.“, murmelte ich und war bedrückt.
Ich beschloss, dass es Zeit für meine Heimkehr war. Doch ganz wollte ich noch nicht gehen. Noch ein bisschen. Ich wollte noch ein paar schöne Stunden mit Shigeru.
Wir machten einen Spaziergang durch den Garten und erreichten schließlich den Stall. Dort besuchten wir Aki, dem es wieder prächtig ging. Er begrüßte uns freudig und schien wohl auf einen Ausritt zu hoffen.
„Deine Medizin hat wunderbar geholfen.“, meinte Shigeru und strich dem Gaul über die Nase.
„Ich hätte echt nicht mehr gewusst, was ich mit ihm hätte machen sollen.“, fügte er hinzu und schenkte mir ein Lächeln, das wohl nur ganz wenige zu sehen bekamen. Mein Herz setzte einen Schlag aus und raste dann.
„Habe ich gern gemacht.“, gab ich leise von mir. Ich spürte seine Hand an meiner Hüfte. Er berührte mich nur ganz leicht. Ich wusste, er würde sie sofort zurückziehen, wenn ich sie wegwischen würde. Er beugte sich vor. Nur ganz langsam. Er schien auf jedes Zeichen von mir zu achten. Doch ich rührte mich nicht. Mit jedem Zentimeter, den er näherkam, schien mein Herz etwas schneller zu pumpen. Mir wurde fast schwindelig. Kurz, bevor seine Lippen meine berührten, wallte Panik in mir auf.
„Ich reise ab.“, entkam es meinen Lippen, bevor er sie verschlossen hatte. Shigeru richtete sich abrupt auf und sah mich erschrocken an. Eine Sekunde später schien er verstanden zu haben, was ich gesagt hatte, denn sein Blick wurde traurig. Mein Herz wurde schwer wie Stein.
„Du gehst?“, fragte er kaum hörbar. Ich senkte den Blick und trat einen Schritt zurück, um Abstand zu gewinnen.
„Ja. Ich muss mal wieder nachhause. Und ich bin schon viel zu lange hier. Ich hatte nie vorgehabt, solange zu bleiben.“, erklärte ich und sah auf.
„Und ich gehöre nicht hierher.“, fügte ich leiser hinzu. Shigeru fuhr sich durch sein wirres Haar, öffnete immer wieder den Mund und schien nach einer Antwort zu suchen, vielleicht wollte er mich auch zum Bleiben überreden. Letzteres war vielleicht nur Wunschdenken.
Seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl nieder und starrte die Tür an. Kaum war ich zuhause angekommen und hatte den Laden wieder geöffnet, hatte ich einige Kunden gehabt, die völlig banale Probleme hatten. Das hatte mich allerdings wenigstens ein paar Tage abgelenkt. Shigeru hatte noch den Kontakt halten wollen, doch ich hatte gemeint, ich würde weit weg wohnen und wäre ohnehin ständig auf Reisen.
Beim Mittagessen, das ich noch mit den anderen eingenommen hatte, hatte ich ein paar Tropfen Vergissmeinnichttrank untergemischt, der dafür sorgte, dass ihre Erinnerungen an mich verschwommen sein würden. Schließlich lebte ich ja nicht wirklich weit weg, auch wenn es eher unwahrscheinlich war, dass wir uns wiedersehen würden.
Kizoku hatte meinen Abschied besser aufgenommen. Er war charmant, hatte mir angeboten, ich könne jederzeit wiederkommen. Aber ich war mir sicher, dass er mich schnell vergessen hatte.
Ich seufzte erneut.
„So vertreibst du nur weitere Kunden.“, meldete sich Fukuro zu Wort.
„Ich kann nichts dafür. Es hört einfach nicht auf. Ich habe keine Motivation. Ich fühle mich so leer. Und es tut hier drin weh.“, antwortete ich und legte meine Hand auf die Brust. Fukuro sprang auf den Tresen und musterte mich. Dann lehnte er seine Stirn an meine. Das hatte er früher manchmal getan, als ich noch ein Kind gewesen war, um mich zu trösten. Fukuro war oft harsch zu mir und unnachgiebig, wie mein Großvater, aber er war irgendwie immer dagewesen und hatte mir jedes Mal geholfen, wenn ich Schwierigkeiten gehabt hatte. Er war Familie für mich.
„Das ist Liebeskummer. Er gehört zum Erwachsenwerden dazu.“, flüsterte der Kater.
Die Tür ging auf und ich richtete mich auf. Sofort hatte ich ein professionelles Lächeln aufgesetzt. Diese Maske hatte ich gut drauf. Aber sie würde nicht lange halten.
Ich brauchte einen Moment, um die Kundin zu erkennen. Es war diejenige, mit der alles angefangen hatte. Diejenige, die unbedingt einen Liebestrank gewollt hatte. Sie kam näher an den Tresen, während ich überlegte, was ich jetzt machen sollte. Ich hatte auf ganzer Linie versagt. Ich hatte zwar einen soliden Plan B für ihr Problem gehabt, aber ich hatte nichts über Kizoku herausfinden können, das ich hätte nützen können. Ich musste ihr wohl mein Versagen gestehen. Ich atmete tief durch und wurde sofort von ihr unterbrochen.
„Ich habe gehört, dass du wieder offen hast. Deshalb komm ich vorbei. Ich wollte eigentlich schon länger mit dir reden.“, plapperte sie sofort los.
„Äh, ja, also wegen deinem Auftrag…“, begann ich, kam aber nicht weiter.
„Oh, genau, deshalb bin ich auch hier. Weißt du, ich habe mich geirrt. Der Mann, den Vater für mich gedacht hat, hatte doch Interesse. Er hat mich ziemlich umworben und ich habe gemerkt, dass Kizoku vielleicht gar nicht so toll ist. Ich meine, er ist charmant und sieht wundervoll aus. Aber er ist ein Frauenschwarm. Er ist zu allen nett und es fühlt sich nicht nach etwas Besonderem an.“, erklärte sie und ich gab einen zustimmenden Laut von mir, weil ich dieselbe Erkenntnis gewonnen hatte.
„Meine Schwärmerei war keine Liebe. Und im Nachhinein betrachtet hätte ein Liebestrank mir auch nicht geholfen. Es wäre nicht echt gewesen.“, fügte sie hinzu. Ich dachte darüber nach, doch da fragte sie schon nach einer Medizin für ihren Bruder, der sich in letzter Zeit seltsam verhielt. Ich ließ mir die Symptome beschreiben, ging eines von Großvaters alten Notizbüchern durch, um sicher zu gehen, dass ich in meiner Diagnose nichts übersehen konnte, und gab dann genaue Anweisungen, was sie zu tun hatte. Erst musste sich mein Verdacht, was die Ursache sein könnte, bestätigen, dann erst konnte sie ihm die richtige Medizin verabreichen. Ich war in meinem Element und sie ging sichtbar erleichtert.
Als ich wieder alleine war, dachte ich über ihre Worte nach. Automatisch erschien Shigerus Gesicht vor meinem geistigen Auge. Ich vermisste ihn so sehr, dass es körperlich schmerzte. Das lag wohl daran, dass ich als namenlose Kreatur solche Gefühle bisher nicht gekannt hatte.
Es war schon fast Abend. Etwas früher als sonst beschloss ich den Laden zu schließen. Ich ging zur Tür und drehte das Schild draußen um. Dann schloss ich sie und machte mich auf den Weg in den hinteren Bereich, wo meine Wohnung lag, die sich, seit ich denken konnte, nicht verändert hatte.
Das Glöckchen über der Tür klingelte. Ich drehte mich um.
„Wir haben schon geschlossen.“, sagte ich in der Bewegung, hielt aber inne, als ich den späten Kunden sah. Shigeru!
Was machte er hier? Wie hatte er mich gefunden?
„Ah, tut mir leid. Ich hatte gehofft, …“, erklang seine Stimme, die mein Herz höherschlagen ließ.
„W-warum… bist du hier?“, fragte ich. Er trat weiter ein und schloss die Tür hinter sich. Hatten wir uns wirklich erst vor ein paar Tagen das letzte Mal gesehen? Ich wollte mich ihm nähern, endlich das tun, wobei wir mehrere Male unterbrochen wurden, doch dann erinnerte ich mich, dass er sich unmöglich an mich erinnern konnte. Ich war verkleidet gewesen und er hatte Vergissmeinnichttrank getrunken.
Ich räusperte mich und setzte eine professionelle Miene auf.
„Was kann ich für dich tun?“, fragte ich mit möglichst neutraler Stimme, wobei es mir nicht so gut gelang wie bei anderen Kunden.
„Die Sache ist die: Ich suche jemanden.“, antwortete er.
„Mein Bruder hat sie vor einer Weile aufgelesen. Sie hatte eine unschöne Begegnung mit einer Bestie und ist in den See gefallen. Erst dachte ich, sie wäre nur eine weitere Verehrerin meines Bruders. Aber letztendlich…“, begann er zu erzählen und hielt inne.
„Es hat mich vom ersten Moment an erwischt. Sie ist wundervoll und wahnsinnig klug. Schöne Kleider waren ihr egal und Blumen hatten sie nur interessiert, wenn man daraus Tränke machen konnte.“, fuhr er mit einer weichen Stimme fort. Dann nahm sein Gesicht einen traurigen Ausdruck an.
„Ich dachte, sie würde dasselbe empfinden. Ihre Aufmerksamkeit galt mir, nicht meinem Bruder. Aber dann ging sie und hat jeglichen Kontakt abgebrochen.“, fügte er hinzu.
„V-vielleicht hatte sie ihre Gründe. Und vielleicht hatte sie Geheimnisse, weshalb es besser ist, dass sie gegangen ist, bevor etwas passiert ist.“, meinte ich und selbst ich hörte die Unsicherheit in meiner Stimme.
Einen Moment hielt er inne. Dann schien sich etwas zu verändern.
„Weißt du, ich hatte von Anfang an wohl schon geahnt, dass etwas nicht stimmte. Die Wahrheit ist, Mädchen haben mich nie interessiert. Ich bin nicht mit ihnen klargekommen. Ich… fand andere Jungs immer schon anziehender.“, gestand er leise. Ich blickte auf und sah ihm in die Augen. Sein Blick war sanft. Im nächsten Augenblick beugte er sich vor. Ich spürte seine Lippen auf meinen und registrierte wie weich sie waren. Mein Herzschlag setzte aus.
„Fumei!“, flüsterte er, als sich seine Lippen langsam wieder lösten. Mein Name klang wie Musik. Im nächsten Augenblick wusste ich, dass er es wusste. Meine Kunden kannten meinen Namen nicht. Für sie war ich nur die namenlose Kreatur aus dem Namenlosen Laden. Das sollte sie auch auf Abstand halten.
„Wie kannst du…? D-du hast doch Vergissmeinnichttrank getrunken.“, erwiderte ich und meine Augen brannten. Er schien zu strahlen und ich merkte, dass ich ihn noch hätte glauben machen können, dass es eine Verwechslung gewesen war. Aber jetzt war es zu spät.
„Ich bin so froh, dich gefunden zu haben. Ich habe es so sehr bereut, dich einfach gehen zu lassen.“, sagte er leise. Ich spürte Nässe an meiner Wange. Tränen? Ich konnte sie nicht mehr zurückhalten. Shigeru wischte sie weg.
„Ist der Grund, dass du kein Mädchen bist? Oder… das hier?“, fragte er sanft und strich mir über meine spitzen Ohren, die überempfindlich schienen.
„B-beides?“, gab ich zögernd von mir. Er strich meinen Hals entlang und lächelte.
„Wie gesagt, Jungs sind mir lieber. Und das andere… Ich weiß nicht, ob das wirklich ein Hindernis sein könnte. Besonders, da es ohnehin keinen Nachwuchs von uns geben kann.“, zerstreute er einfach meine Bedenken.
„Also, um genau zu sein gibt es Möglichkeiten.“, erwiderte ich langsam. Ich wusste einiges über Anatomie und mein Großvater hatte mir oft Probleme genannt, die ich in der Theorie hatte lösen müssen. Konkret hatte ich zwar nie eine Lösung dafür finden müssen, wenn zwei Männer zusammen Kinder wollten, aber in den letzten Tagen hatte ich in ungestörten Momenten meine Gedanken wandern lassen und auch darüber nachgedacht. Eine vage Idee hätte ich.
„Das klingt, als ob es Grund gibt, überhaupt über so etwas nachzudenken.“, entgegnete Shigeru. Ich biss mir auf die Unterlippe.
„Kann sein.“, meinte ich vage. Schweigend sahen wir uns eine Weile in die Augen. Ich wollte so viel sagen und konnte es nicht. In seinem Blick las ich, dass es ihm ähnlich ging. Er strich mir durchs Haar. Auf seinen Lippen lag ein schiefes Lächeln.
Warum waren so viele Frauen hinter Kizoku her? Shigeru war doch der wundervollste Mensch überhaupt. Sein Blick reichte aus, um mein Herz zum Rasen zu bringen. Sein Lächeln machte mich fast schwindelig. Und jede Berührung löste ein wohliges Kribbeln auf meiner Haut aus.
„Ich liebe dich, Fumei.“, flüsterte er so leise, dass ich für einen Moment glaubte, ich hätte es mir nur eingebildet. Das Gefühlschaos, das diese Worte in mir ausgelöst hatten, konnte ich kaum erfassen. Ich spürte nur eines ganz deutlich.
„Ich liebe dich auch!“, sagte ich schnell, als ob dieses Gefühl wieder verschwinden könnte, wenn ich es nicht schnell aussprach. Sein Gesicht schien noch etwas mehr zu leuchten. Ehe ich darüber nachdenken konnte, stellte ich mich auf Zehenspitzen und legte meine Lippen ungeschickt auf seine. Der Kuss war erst unschuldig. Shigerus Arme schlangen sich um meine Taille und er drückte mich an sich, während er den Kuss vertiefte, mit der Zunge über meine Lippen strich und Einlass forderte, den ich gewährte. Er erkundete meine Mundhöhle. In meinem Kopf kreiste alles.
Erst nach einer Weile lösten wir unsere Lippen wieder voneinander, doch loslassen konnten wir uns nicht.
„Du bist das wundervollste Wesen, das mir je begegnet ist. Ich hätte den Rest meines Lebens nach dir gesucht.“, flüsterte er und lehnte seine Stirn gegen meine. Ich konnte nicht aufhören zu grinsen. Gut, dass ich meine Identität doch nicht geheim halten hatte können.
„Ich bin froh, dass du nicht Kizokus Charme erlegen bist. Für mich gibt es nur dich. Ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, dich glücklich zu machen.“, versprach er. Ich konnte all die Gefühle in meinem Inneren gar nicht richtig verarbeiten. Das war zu viel für mich.
„Kizoku ist doch nur hübsch anzusehen. Ansonsten ist er langweilig.“, gab ich von mir, während ich noch über seine letzten Worte nachdachte.
„Und in meinen Augen siehst du viel besser aus.“, fügte ich leise hinzu. Sein Lächeln war hypnotisierend.
„Heißt das, ich darf bleiben? Du jagst mich nicht davon?“, bohrte Shigeru nach.
„Warum sollte ich?“, sagte ich nur, während mir diese Möglichkeit vollkommen unsinnig erschien.
„Brauchst du nicht noch einen Lehrling? Unsere Gespräche waren wirklich interessant und ich würde gerne mehr davon lernen. Als Lehrling wäre es wohl das Beste, ich würde hier wohnen. Wenn du noch Platz für mich hast.“, sprach er weiter. Ich war zu überwältigt, um genau zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Mein langes Schweigen schien ihn zu verunsichern. Er löste seine Arme langsam von mir, doch ich hielt ihn auf.
„Nein! Ich meine, ja, ich… Ein Lehrling wäre… toll.“, stotterte ich und grinste debil, als er wieder lächelte.
„Vielleicht könntest du mir dann auch die Sache vorhin erklären. Wegen dem Nachwuchs.“, sagte er mit rauer Stimme.
„Wir könnten auch ausprobieren, ob ohne irgendwelche Vorbereitungen funktioniert.“, raunte er in mein Ohr. Ein wohliger Schauder lief meinen Rücken hinab, aber so ganz kapierte ich nicht.
„Scheint wohl, als könnte ich dir auch noch ein paar Dinge beibringen.“, sagte er. Ich nickte, auch wenn ich immer noch nicht ganz verstehen konnte.
Das Chaos in mir war kaum zu kontrollieren. An all diese neuen Gefühle musste ich mich erst mal gewöhnen. Nur das Verlangen nach Shigerus Nähe war so deutlich, dass ich es nicht ignorieren konnte.
„I-ich zeig dir meine Wohnung.“, brach ich endlich mein Schweigen.
„Und vielleicht könnten wir reden? Ich würde gerne erfahren, wie es dazu kam, dass du überhaupt bei uns untergekommen bist.“, meinte er und sah in Richtung Tresen.
„Und vielleicht kannst du mir erklären, warum diese Katze mich schon seit einer Weile so wachsam anstarrt.“, fügte er hinzu. Ich folgte seinem Blick.
Fukuro saß neben der Kasse und hatte den Blick auf Shigeru gerichtet.
„Ich hoffe, du bist keiner dieser wankelmütigen Menschen, die all ihre Versprechen wieder vergessen, sobald es ernst wird.“, brach Großvaters Gefährte sein Schweigen.
„Andernfalls lernst du mich richtig kennen.“, fügte er drohend hinzu.
„Ich liebe Fumei über alles. Das wird sich nie ändern.“, erwiderte Shigeru mit einer Sicherheit, die ich im Moment nicht aufbringen könnte. Nicht mit all diesen neuen Gefühlen in meinem Inneren.
„Dann pass auf ihn auf! Sein Herz ist zerbrechlicher als das eines Menschen. Seine Natur wehrt sich gegen diese neuen Gefühle.“, sprach Fukuro, ehe er vom Tresen sprang und Richtung Tür ging. Er blickte noch einmal zurück und unsere Blicke trafen sich. Etwas sagte mir ganz deutlich, dass ich ihn nicht wiedersehen würde. Es fühlte sich genauso an wie der Moment, als Großvater gegangen war. Fukuro würde jetzt wohl ihm Gesellschaft leisten. Schließlich war er Großvaters magischer Gefährte. Ich hatte jetzt meinen eigenen. Auch wenn er auf eine andere Art magisch war.
Publication Date: 07-30-2021
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