„Anna? Anna! Bist du endlich fertig? Du musst für mich einkaufen gehen. Ich habe dafür gerade keine Zeit!“
Die Stimme meiner Mutter hallt durch das angesehene Haus und holt mich aus meinen Gedanken. Ich habe die ganze Zeit vor dem kleinen Spiegel gesessen und meine blonden kurzen Haare gekämmt. Langsam lege ich meine Haarbürste auf den kleinen Schminktisch und stehe auf. Streiche meinen braunen Rock glatt und verlasse mein Zimmer. Zusammen mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder Ben lebe ich in Berlin. Der deutschen Hauptstadt. Da wo auch der Führer Adolf Hitler ist. Mein Vater ist ein SS-Soldat und sehr nahe mit dem Führer. Beide verstehen sich blendend und schon des Öfteren ist Adolf Hitler bei uns zu Gast gewesen.
Um uns herum tobt der Zweite Weltkrieg und schon oft sind wir in den Bunker gelaufen als Bombenalarm gewesen ist. Wir sind nicht von dem Hass betroffen, denn wir sind eine reine deutsche Familie. Keine Juden. Meine Mutter ist Näherin und verdient somit ihr eigenes Geld. Ben ist er sieben Jahre alt und ich bin 16. Sobald ich unten bin reicht mir meine Mutter den Korb und das Geld und ich nehme Beides entgegen. Ziehe jedoch den Wintermantel an und den Schal. Es ist Mitte Februar im Jahr 1944 und eiskalt. Als ich auch meine Stiefel anhabe, gebe ich meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und verlasse das Haus. Unser Haus steht in einer netten Wohngegend wo noch keine einzige Bombe irgendetwas getroffen hat.
Langsam gehe ich die wenigen Stufen nach unten, trete durch das kleine Gartentor und wende mich nach rechts um zu den Geschäften zu gelangen. Unterwegs treffe ich auf viele SS-Soldaten und diese begrüßen mich freundlich. Kennen mich durch meinen Vater und niemand darf uns etwas antun. Darauf steht die Todesstrafe. Persönlich angeordnet vom Führer. Ich mag ihn nicht. Ich hasse den Krieg und diese Menschenverachtung. Als der zweite Weltkrieg angefangen hat, war ich 6 Jahre alt. Habe es nie wirklich verstanden, aber ich war klein gewesen und habe mit meinen Eltern mitgezogen. Zumindest mit meinem Vater. Meine Mutter ist schon immer dagegen gewesen und ich mittlerweile seit 4 Jahren ebenfalls. Doch das dürfen wir niemals laut sagen oder auf der Straße bekunden.
Mein Vater ist so überzeugend von den ganzen Vorstellungen des Führers, dass er sicherlich auch seine eigene Familie verraten würde. Also stimmen wir ihm immer zu und er ist zufrieden. Mittlerweile bin ich an den ersten Läden vorbei gekommen und sehe was passiert ist. Viele sind mit Brettern zugenagelt und judenverachtende Worte stehen dort geschrieben. Uns ist es nicht gestattet bei Juden einzukaufen. Also halte ich mich von den Läden fern wobei ich früher gerne dort gewesen bin. Ich habe als Kind immer einen Lutscher bekommen. Heute ist das nicht mehr so. Jetzt komme ich mir vor wie in einer Geisterstadt. Viele Menschen sitzen auf der Straße, Juden werden eingesammelt und weggebracht.
Ich habe meinen Vater eines abends gefragt wo sie denn hinkommen und er meinte ins KZ Auschwitz. Verstanden habe ich nicht was das ist und somit bin ich in die Bibliothek und habe nachgeschlagen. Es ist ein Konzentrationslager wo Juden hingeschafft werden. Sie werden erschossen oder in die Gaskammer geschafft. Unheimlich und schrecklich. Ich träume fast jede Nacht davon und wünsche mir das Ende des Krieges. Doch das ist noch in weiter Ferne. Mittlerweile bin ich bei den Läden die von Deutschen geführt werden und betrete den Einen. Er ist fast leer. Nur wenige Menschen kaufen ein und sind angespannt. Lauschen ob ein Bombenanschlag angekündigt wird.
Alle haben Angst und alle wollen nur noch überleben. Die Anspannung überträgt sich auch auf mich und ich versuche dennoch ruhig zu bleiben. Im Korb liegt ein Einkaufszettel, den arbeite ich ab und habe schon nach 10 Minuten alles bezahlt. Meine Mutter hat mir noch etwas mehr Geld dazu gegeben und ich weiß wofür. Um etwas Süßes zu besorgen für Ben und für mich. Ich bin wieder auf der Straße und steuere einen Bäcker an. Auch von Deutschen. Dort kaufe ich Milchbrötchen und Milchzöpfe, bezahle bei dem schon älteren Mann und bin wieder an der frischen Luft. Die Backware ist noch frisch, warm und der Duft umweht meine Nase. Ich atme diesen tief ein und lächle. Ben wird sich sehr darüber freuen und alles schnell verschlingen.
Auf dem Weg nach Hause werfe ich einen Blick auf die Uhr und weiß, dass mein Vater in zwei Stunden Feierabend hat. Ich habe Zeit, nehme einen Umweg nach Hause und gehe nun durch leere Gassen an Häusern vorbei die wahre Ruinen sind. Ab und zu sehe ich streunende Hunde oder Katzen, mager die etwas zu fressen suchen. Sie sind so friedlich, dass sie sich nicht bekämpfen. Ich habe Glück und sehe zwei verschiedene Tiere. Einen großen Hund und eine kleine Katze. Offenbar noch ein Jungtier. Beide suchen im Abfall nach etwas Essbarem und der Hund passt gut auf sie auf. Wieso können die Menschen nicht so wie die Beiden sein? Weshalb müssen sie sich bekämpfen und einem Geisteskranken folgen? Warum können sie sich nicht alle zusammen tun und ihn stürzen?
Dann würde es doch viel besser sein, Juden würden keine Angst mehr haben und alle leben zusammen in friedlicher Stimmung. Ein Wunschtraum. Ich gebe den beiden Tieren ein Milchbrötchen von meinen Süßigkeiten und sie fressen es gemeinsam. Bedanken sich mit ablecken meiner Hand und suchen nun weiter. Ein Lächeln überzieht mein Gesicht und ich gehe langsam weiter. Bis mich ein Geräusch aus einer Ruine innehalten lässt und ich stehen bleibe. Wende mich dem Haus zu und mustere es. Das Dach ist zum größten Teil zerstört und es würde innen nass werden, wenn es regnen sollte. Irre ich mich oder ist da wirklich ein Geräusch gewesen. Meine Stirn legt sich in Falten als ich nachdenke und ich hebe nur die Schultern. Will weiter gehen und da ist schon wieder ein Geräusch.
Also nähere ich mich dem kaputten Hauseingang und betrete diese Ruine. Jetzt kann mich niemand mehr sehen und ich bleibe zwischen Schutt und Asche stehen.
„Hallo? Ist da jemand?“, rufe ich und lausche.
Nichts. Werde ich jetzt schon verrückt? Gerade als ich wieder gehen will, ertönt über mir in der oberen Etage abermals dasselbe Geräusch und ich bin mir nun sicher, dass dort jemand ist. Vorsichtig schleiche ich mich die morsche Treppe hinauf und muss aufpassen, nicht hindurch zu brechen. Mein Herz schlägt schneller, ich höre mein eigenes Atmen und muss mich zur Ruhe zwingen. Es kann alles sein. Ein Tier wie ein weiterer Hund, eine Katze oder sogar Ratten. Die Neugier besiegt praktisch die Angst und ich bin schließlich oben angekommen.
Bleibe stehen und lausche mit angehaltenem Atem. Wieder höre ich etwas, ein leises Scharren und es kommt von links. Leise schleiche ich mich darauf zu, schaue in jeden heruntergekommenen Raum und beim Letzten bleibe ich stehen. Es ist nicht gerade hell, da es nur ein Fenster gibt und meine Augen müssen sich an die Dunkelheit gewöhnen. Erst dann erkenne ich eine dunkle Gestalt in einer Ecke und bin überrascht. Es ist ein Junge ungefähr in meinem Alter und seine braunen Augen blicken mir voller Angst entgegen. Braun! Verdammt ein Jude! Ich trete einen Schritt auf ihn zu und bleibe dann stehen. Nicht das er denkt, ich will ihm etwas tun.
„Du musst keine Angst haben. Ich werde dir nichts tun oder dich verraten“, beruhige ich ihn und schaue mich um.
Na zum Glück hat er ein Dach über dem Kopf. Doch es ist eiskalt hier und er hat sich nur in eine dünne verschlissene Decke eingehüllt. Die Mütze tief über die Ohren gezogen und der gelbe Judenstern prangt auf seiner Brust.
„Wie heißt du?“, frage ich ihn und warte auf eine Antwort.
Die ich jedoch nicht bekomme. Noch immer lässt er mich nicht aus den Augen und ich stelle den Korb ab, da er zu schwer geworden ist.
„Kannst du nicht sprechen?“
Langsam nickt er und ich lächle leicht. Zumindest ein Anfang.
„Paul. Mein Name ist Paul Bakaloff“, antwortet er leise und ich nicke verstehend.
„Ich bin Anna Henß. Versteckst du dich?“
„Ja. Vor den Nazis. Sie haben meine Familie fortgebracht ins KZ aber ich konnte fliehen und habe mich hier versteckt.“
„Das tut mir leid.“
Paul schnaubt nur verächtlich und richtet sich auf.
„Dir tut das leid? Du bist eine Deutsche und Judenhasserin!“
Ich hebe eine Augenbraue und schüttle mit dem Kopf.
„Nein bin ich nicht! Also eine Judenhasserin! Ich habe nichts gegen Juden, aber das kann ich nicht so frei heraus vor Anderen sagen. Das ist verboten. Meine Mutter hat gesagt, ich muss aufpassen was ich zu wem sage. Sie ist der gleichen Meinung wie ich“, protestiere ich und reibe mir über die Stirn.
Kann ein Geräusch vernehmen und das kommt von Paul. Sein Magen.
„Hast du Hunger?“
Misstrauisch nickt er langsam, ich bücke mich und hole das zweite Milchbrötchen und ein Milchzopf raus. Meine restlichen süßen Backwaren. Die von Ben kann ich nicht weggeben. Er wäre sehr traurig. Ich reiche die Sachen Paul und er nimmt sie etwas zurückhaltend entgegen.
„Danke“, murmelt er und verschlingt es regelrecht.
Ich beobachte ihn dabei und muss mir eingestehen, dass er wirklich gut aussieht. Er hat braunes Haar, braune Augen, ein markantes Gesicht, hohe Wangenknochen und rote volle Lippen.
Nachdem er fertig ist lehnt er sich zurück und hat die Augen geschlossen.
„Ich kann dir noch mehr besorgen und auch etwas zum schlafen. Eine bessere Decke, damit du nicht so frieren musst“, schlage ich vor und nehme den Korb wieder hoch.
„Das ist zu gefährlich. Was ist, wenn sie dich erwischen? Dann kommst du auch ins KZ und am Ende in die Gaskammer“, widerspricht er und ich nicke langsam.
„Das weiß ich aber ich gehe dieses Risiko ein. Ich spreche mit meiner Mutter. Die wird es verstehen und mir helfen. Mich decken und beschützen. Meine Mama ist keine Judenhasserin. Genauso wenig wie ich. Ich komme Morgen wieder. Versprochen.“
Ich wende mich von ihm ab und will das Zimmer verlassen, als seine Stimme meine Ohren erreicht.
„Warte Anna!“
Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn fragend an.
„Danke und passe auf dich auf.“
Ein Lächeln gleitet über mein Gesicht und ich nicke.
„Ich verspreche es dir.“
Langsam verlasse ich das Haus nachdem ich mir sicher bin, dass mich niemand beobachtet und eile nach Hause.
Keinem ist es aufgefallen und jeder der mich kennt weiß, dass ich immer diesen Umweg nehme. Auf den Weg nach Hause denke ich noch einmal nach und innerlich strahle ich. Ich habe endlich etwas zu tun was helfen kann. Ein jüdischer Junge soll überleben und ich werde ihn unterstützen. Dass es jedoch schon bald zum Negativen gewendet wird, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
„Mama! Ich bin wieder da“, rufe ich, stelle den Korb auf die Kommode und ziehe die Stiefel, den Mantel und den Schal aus.
Mein Blick fällt auf weitere Stiefel und ich weiß, dass mein Vater zu Hause ist. Ben kommt aus dem Wohnzimmer gerannt und bleibt strahlend vor mir stehen.
„Hast du mir etwas mitgebracht?“, fragt er mich mit seiner Kinderstimme und ich lächle. „Natürlich Ben. Komm gehen wir in die Küche“, antworte ich ihm, er jauchzt und folgt mir eilig in die Küche wo ich den Korb auf dem Tisch abstelle.
Meine Mutter steht am Herd, kocht das Abendessen und mein Vater kommt ebenfalls dazu. „Hallo Papa“, begrüße ich ihn, er lächelt und nimmt mich in seine Arme.
„Hallo Anna! Wie war dein Tag?“
Das ist unser Ritual. Immer wenn er nach Hause kommt fragt er mich, wie mein Tag gewesen ist. Innerlich weiß ich jedoch, dass er mich aushorcht.
„Ganz ruhig. In der Schule haben sich Anton und Max geprügelt. Und ich war bis jetzt in der Stadt und habe eingekauft“, antworte ich ihm, lächle und räume den Korb aus.
Reiche Ben seine Süßigkeiten und er setzt sich um diese zu essen. Mein Vater ist groß. Mindestens 1,80m. Seine blonden Haare sind ganz kurz geschoren und einige Falten hat er ebenfalls. Meine Mutter hingegen hat langes dunkelblondes Haar und ist 1,75m groß. Im Gegensatz zu mir. Meine Körpergröße beträgt gerade mal 1,69m und ich bin da eher klein. Doch niemand sagt etwas dagegen und ich werde auch nicht verachtet.
Ich bin in der Schule eigentlich sehr beliebt, schreibe gute Noten und ich habe mir schon ein Ziel gesteckt. Ich will studieren und zwar Kunst. Etwas Gutes was sogar dem Führer sehr gefallen hat und er hat mir schon jetzt einen Studienplatz gesichert. Er kann auch zeichnen wie ich, doch er wurde immer abgelehnt. Das weiß ich von ihm persönlich, als er mal wieder einen Abend bei uns gewesen ist.
„Du hast dir nicht so viele Süßigkeiten gekauft?“, fragt mich meine Mutter und stellt den Korb weg.
„Doch aber ich habe schon unterwegs etwas gegessen. Daher ist nur noch ein Milchzopf übrig“, log ich perfekt und sie glaubt mir.
Oder auch nicht, aber mein Vater macht es.
Er glaubt es mir sofort und ich bin auch froh darüber. Mit meiner Mama kann ich jetzt nicht über Paul reden, wenn Papa dabei ist. Später erst wenn Papa in der Badewanne liegt und sich im oberen Badezimmer aufhält. Wir werden nicht belauscht. Das hat Papa gemeint aber wir haben ihm nicht wirklich vertraut. Also haben wir den einen Tag das Haus auf den Kopf gestellt und herausgefunden, dass wir abgehört werden. Er hat gelogen. Würde selbst uns nicht retten wollen, wenn wir als Verräter da stehen. Nur ein Raum ist ausgelassen wurden. Die Küche. Ich decke den Tisch, Ben hat seine Süßigkeiten aufgegessen und freut sich auf das Abendessen. Er kann immer essen und wird nie dick.
Das liegt in der Familie, denn wir sind alle schlank. Papa setzt sich an das Kopfende des Tisches und wartet geduldig ab. Früher ist er anders gewesen. Bevor Hitler an die Macht kam, war mein Vater lockerer und sah das Leben viel einfacher. Doch als er den einen Tag zum Führer bestellt wurde, kam er verändert zurück. Hatte die Juden gehasst und wir haben es nicht wirklich verstanden. Ich habe die Vermutung, dass er einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und deshalb so redet. Äußerlich gibt er sich der perfekte SS-Soldat aber innerlich sträubt er sich gegen das Alles. Er darf nur nie auffliegen. Meine Mutter stellt das Essen auf den Tisch, wir setzen uns ebenfalls und sie gibt jedem etwas auf den Teller.
Dann fangen wir an zu essen.
„Papa hast du heute wieder Onkel Adolf gesehen?“, fragt Ben und sieht seinen Papa neugierig an.
Er ist nicht unser biologischer Onkel aber er hat uns schon damals angeboten ihn Onkel zu nennen. Ben hat es mit Freude angenommen. Ich nur widerwillig. Das weiß nur keiner. Niemand weiß das. Meine Geheimnisse bleiben in mir drinnen und selbst in meinem Tagebuch steht es nicht. Ich bin mir ganz sicher, dass mein Vater es heimlich liest um Informationen zu finden, dass ich nicht ganz und gar unserem Führer folge. Doch das Einzige was er lesen wird, sind Dinge vom Tag die ich erlebt habe.
„Ja ich habe ihn gesehen Ben. Ich arbeite jeden Tag mit ihm zusammen“, antwortet Papa und Ben trinkt einen Schluck von seiner Milch.
„Wann kommt er wieder zu uns?“
Ich schaue von meinem Essen auf und warte gebannt auf die Antwort.
„Zur Zeit geht das nicht mein Sohn. Onkel Adolf hat ganz viel zu tun. Ich kann ihn morgen bei der Arbeit fragen.“
„Okay Papa. Sagst du mir dann Bescheid?“
Papa lächelt und wuschelt Ben durch das blonde Haar.
„Ich gebe dir und unseren Frauen Bescheid mein Sohn.“
Ben freut sich, denn immer wenn er zu Besuch bei uns war, hatte er immer ein Geschenk für uns Beide dabei. Meistens ein deutsches Modellauto für Ben und für mich Schmuck oder ein Kunstbuch. Das Abendessen verläuft in einer ruhigen Atmosphäre, ich räume dann den Tisch ab und meine Mutter geht nach oben ins Badezimmer um heißes Wasser in die Wanne zu lassen.
Mein Vater folgt ihr kurz darauf und Ben verschwindet in seinem Zimmer, wo er mit seinen Autos spielt. Ich werfe einen kurzen Blick aus dem Fenster und seufze. Es hat angefangen zu schneien und automatisch denke ich an Paul. Er wird sicherlich wie verrückt frieren, denn er hat doch nur eine dünne zerschlissene Decke und ich mache mir Sorgen. Verstehe nur nicht wieso. Wenn ich an ihn denke, dann schlägt mein Herz schneller und ich habe ein Kribbeln im Bauch. Kann es sein, dass ich mich in ihn verliebt habe? Obwohl diese Liebe verboten ist? Wenn das raus kommt, dann werde ich sofort nach Auschwitz gebracht und komme dann in die Gaskammer. Schritte ertönen auf der Treppe und meine Mutter erscheint in der Küche.
„Alles okay Anna? Du bist so nachdenklich. Hast du ein Problem?“, fragt sie mich und kocht uns beiden eine Tasse Tee.
Stellt die Tassen bereit und verschwindet kurz im Wohnzimmer wo sie die Pfeife und den Tabak bereit legt. Mein Vater raucht abends immer eine Pfeife und trinkt ein Glas Wein dazu, um sich zu entspannen. Kurz darauf ist sie wieder in der Küche und ich lausche nach Ben und Papa. Nichts zu hören und ich wende mich meiner Mutter zu.
„Ich muss dir etwas erzählen Mama“, fange ich an, sie gibt den Tee in die Tassen und wir setzen uns an den Tisch.
„Als ich nach Hause gegangen bin, habe ich meine Abkürzung genommen und bin an den Ruinen vorbei. Dabei habe ich einen jungen jüdischen Mann kennengelernt. Also entdeckt und er ist in meinem Alter. Er heißt Paul und hat sich dort versteckt“, fange ich leise an und bin angespannt.
„Und er haust in einer Ruine?“, hakt sie noch einmal nach und ich nicke langsam.
„Ich werde dir helfen aber wir müssen es für uns behalten. Niemand darf davon jemals erfahren, wenn wir sein Leben schützen wollen. Ich werde dir Morgen einen Korb vorbereiten mit warmen Essen, etwas zu trinken und einer alten Decke. Auch Klamotten werde ich suchen. Irgendwo gibt es welche und die gebe ich dir mit. Paul kann sie behalten, damit er nicht erfriert“, meint sie und ich atme tief durch.
„Danke Mama. Ich habe ihm versprochen zu helfen und vorsichtig zu sein. Es bleibt unter uns und niemand wird davon erfahren.“
Gleichzeitig trinken wir unseren Tee und hören Schritte. Mein Vater ist fertig mit baden, bleibt in der Küchentür stehen und lächelt.
„Na worüber unterhaltet ihr euch Damen?“, fragt er und wir sehen uns grinsend an.
„Wir überlegen was wir am Wochenende essen könnten. Anna hat doch ein gutes Gedächtnis und schreibt es dann auf“, antwortet meine Mama und mein Vater nickt.
„Gut dann plant ruhig weiter. Ich ziehe mich ins Wohnzimmer zurück.“
Wir nicken gleichzeitig und er verschwindet zu seinem Ohrensessel.
„Ich hole mal einen Block und einen Stift Mama.“
„Gut, dann können wir es aufschreiben.“
Ich verschwinde nach oben in mein Zimmer, gehe zu meinem großen Schreibtisch und ziehe die rechte Schublade auf.
Hole einen Block und einen Bleistift und kurz darauf sitze ich wieder unten in der Küche. Im Wohnzimmer kann ich blauen Pfeifenrauch sehen und muss lächeln. Gemeinsam mit meiner Mutter erstelle ich eine Liste und da heute erst Mittwoch ist, werde ich am Freitag wieder einkaufen gehen. Bis dahin kann ich Paul nicht alleine lassen, befürchte, dass er erfriert. Verhungert oder erwischt wird. Dieses Risiko gehe ich auf keinen Fall ein. Natürlich ist es gefährlich entdeckt zu werden, aber irgendetwas sagt mir, dass ich es tun muss. Mein Herz ist meiner Meinung und es hat sich bisher noch nicht getäuscht.
Mittlerweile ist es schon 10.00 Uhr abends und Zeit für mich ins Bett zu gehen. Ben schläft schon seit 3 Stunden, ich wünsche meinen Eltern eine gute Nacht und gehe nach oben in mein Zimmer. Ziehe mich aus, schlüpfe in mein Nachthemd und krieche unter die Bettdecke meines großen Bettes. Von meinem Platz aus kann ich aus dem Fenster schauen und sehe in den Sternenhimmel. Denke dabei an Paul und innerlich bete ich für ihn, dass er lange durchhält, bis wir eine Lösung gefunden haben. Meine letzten Gedanken sind bei ihm und ich schlafe ein.
Am nächsten Morgen weckt mich Ben, damit ich aufstehe.
„Komm schon Anna! Du musst aufstehen und zur Schule gehen! Komm schon“, quietscht er und mit einem Türenknallen ist er aus meinem Zimmer verschwunden.
Langsam schäle ich mich aus meinem Bett, gehe ins Badezimmer und wasche mich. Putze mir auch die Zähne und in meinem Zimmer ziehe ich mir ein knielanges Kleid in einem dunklen Blau an. Mein Lieblingskleid. Sobald ich fertig bin gehe ich nach unten und in der Küche steht schon das Frühstück bereit. Mein Vater ist schon lange aus dem Haus und Ben wird für ein paar Stunden in den Kindergarten um die Ecke gehen. Dahin soll ich ihn bringen und da er seine Autos so liebt, ist er noch einmal nach oben gerannt um diese zu holen.
„Ich werde dir einen Korb zurecht machen und ihn hinten im Hof ins Gebüsch stellen. Du kannst nach der Schule gleich dorthin gehen und den Korb holen. Es gibt einen versteckten Weg direkt zu diesen Ruinen wo du Paul die Sachen bringen kannst. Niemand kennt diesen Weg, selbst dein Vater nicht und du bist wie unsichtbar“, erklärt mir meine Mutter leise und eindringlich und ich nicke kaum merklich, als Ben wieder erscheint.
„Ich habe alles. Können wir jetzt gehen?“, fragt er drängend, ich packe mein Essen noch in die Schultasche und ziehe mich warm an.
Mama hilft Ben, da er es noch nicht richtig kann und sobald ich mir meine Schultasche umgehangen habe, gehen wir auch schon los. Es ist ein sonniger Februartag.
Der letzte Tag des Monats und dann kommt endlich der Frühling. Verdächtig ruhig ist es zur Zeit, keine Panzer oder scharenweise SS-Soldaten. Ab und zu treffen wir auf einen und dieser grüßt uns freundlich. Der Kindergarten ist nur zwei Straßen von unserem Zuhause entfernt und sobald Ben das Gebäude sieht, rennt er auch schon los. Ich komme kaum hinterher, betrete dann den Kindergarten und kann sehen, wie Ben sich schnell die Jacke und Schal auszieht. Seine Brottasche hat er selber aufgehangen und mit seinen Autos verschwindet er in der Gruppe.
„Guten Morgen Anna“, begrüßt mich Frau Schmidt und ich lächle freundlich zurück.
„Meine Mutter holt ihn nachdem Mittagsschlaf wieder ab“, sage ich, Frau Schmidt nickt und ich eile die Straße weiter entlang um rechtzeitig in der Schule zu sein.
Unsere Klasse besteht aus 25 Schülern und wir haben meistens Jungs. Mein Platz ist hinten am Fenster neben Katja und sie ist schon da. Meine beste Freundin. Ebenfalls eine Deutsche. Ihr Vater ist Bäcker und bei dem habe ich gestern auch die Süßigkeiten gekauft. Katja kommt kurz vor Stundenbeginn ins Klassenzimmer und lässt sich neben mir nieder.
„Hast du schon gehört? Letzte Nacht wurde die Familie Baummann aus dem Haus gezerrt. Der Vater soll angeblich Juden versteckt gehalten haben und sie wurden ins KZ gebracht“, fängt sie an und ich werde ganz still.
„Und was ist mit Margarete?“, frage ich sie schließlich und sehe zum leeren Platz weiter vorne.
„Sie ebenfalls. Keiner weiß, was mit ihr wird. Vielleicht kommt sie zu ihren Großeltern nach Bayern und überlebt das Ganze. Sicher bin ich mir nicht. Mein Vater hört einiges und kann sich umhören. Doch dein Vater ist doch mit dem Führer sehr persönlich. Er kann sicherlich noch mehr dazu sagen.“
Ich nicke und lehne mich auf meinem Stuhl zurück. Bis der Lehrer erscheint und wir aufstehen müssen. Wie jeden Morgen müssen wir den rechten Arm hochrecken und „Heil Hitler“ sagen. Für mich völlig absurd, aber damit würde ich nicht weit kommen, wenn ich es frei sagen würde. Nein, denn man würde mich aus der Klasse holen und dann sitze ich auch schon in einem Zug Richtung KZ. Ich halte mich zurück, denn nur so kann ich überleben und das Gesetz brechen. Einem Juden zu helfen. Ein Skandal für meinen Vater, sollte es jemals raus kommen.
Er würde im Boden versinken, alles abstreiten und mich als Tochter nicht mehr ansehen. Kurz vor meinem Abschluss, denn die Prüfungen werden schon bald geschrieben. Der Tag zieht sich endlos lang wie Kaugummi und endlich als der Unterricht zu Ende ist, komme ich aus der Schule raus. Katja ist an meiner Seite und schultert ihre Tasche.
„Kommst du später zu mir, damit wir lernen können?“, fragt sie mich und sieht mich dementsprechend fragend an.
„Ich kann nicht. Ich muss meiner Mama heute im Haushalt mit helfen. Du weist doch, dass es immer Donnerstags ist“, erwidere ich und Katja nickt langsam.
„Stimmt ja. Dann vielleicht am Samstag?“ Ich runzle die Stirn und nicke.
„Das geht. Am Samstagnachmittag bei dir um zu lernen.“
Katja umarmt mich zum Abschied und wir gehen in verschiedene Richtungen nach Hause. Wenige Menschen sind auf den Straßen, mindestens zwei Panzer fahren an mir vorbei und ich sehe ihnen hinterher. Seufze und komme dann bei mir zu Hause an. Schnell verstaue ich meine Schultasche in einem Gebüsch, schleiche um das Haus herum und finde den schweren Korb in einem dunklen Gebüsch. Ich nehme ihn hoch, blicke mich um und kann den zugewachsenen Eingang sehen. Schnell bin ich im Gebüsch verschwunden und eile so gut es geht diesen Weg entlang. Schon bald habe ich den Weg verlassen und finde mich zwischen den Ruinen wieder.
Finde das Haus sofort und verschwinde darin. Schleiche mich nach oben und schaue nach Paul.
„Paul? Bist du da?“, frage ich leise und lausche.
„Hier Anna“, kommt die zaghafte Stimme von ihm und ich finde ihn in einem anderen Raum wieder. Dieser ist noch besser geschützt und ich stelle den Korb ab.
„Meine Mama weiß davon und hat mir einen großen Korb hergerichtet. Nur für dich“, sage ich, ziehe mir eine alte Holzkiste heran und lasse mich dort nieder.
Nehme die warme Kuscheldecke runter und reiche sie ihm. Seine klammen Finger umschließen den weichen Stoff und er schließt die Augen. Atmet den Duft davon ein und ein Lächeln zeigt sich das Erste mal.
„Die Decke riecht gut und sie ist so schön warm. Vielen Dank und danke an deine Mutter Anna.“
Paul wirft die zerschlissene dünne Decke in eine Ecke und breitet die Neue über sich aus. Ich lächle, hole einen Behälter raus samt Besteck und reiche es ihm. Er öffnet den Deckel, eine Dampfwolke kommt hervor und ich kann sehen, wie ihm das Wasser im Mund zusammen läuft. Er schluckt, hält das Besteck fest und dann fängt er an zu essen. Verschlingt es regelrecht, während ich eine Thermoskanne hervor hole und heißen Tee in den Becher gebe. Paul nimmt ihn entgegen, legt seine kalten Finger darum und seufzt auf.
„Deine Mutter ist ein Engel. Viel zu gut für diese grausame Welt in der wir leben“, murmelt er und trinkt einen Schluck.
„Meine Mutter ist meiner Meinung. Bei meinem Vater muss ich vorsichtig sein. Ihm kann ich es nicht anvertrauen. Er würde mich sofort verraten. Doch ich gehe das Risiko ein, denn ich mag dich irgendwie“, erwidere ich und bin rot geworden.
Paul sieht das und lächelt.
„Wie alt bist du Anna?“
Ich sehe ihm beim essen zu und lehne mich etwas zurück. Stütze mich am Rand der Truhe ab. „16 Jahre und wie alt bist du?“
„17. Ich werde nächsten Monat schon 18.“
„Und ich werde nächsten Monat 17. Wann hast du denn Geburtstag?“
„Am 16 März.“
„Und ich am 20. Das ist echt cool. Wo hast du denn gewohnt?“
„In der Nähe vom Reichstag. Mein Vater hat als SS-Soldat gearbeitet, bevor er wegen Verrat festgenommen wurde. Sie kamen abends während des Abendessen einfach in unsere Wohnung und haben alle mitgenommen. Ich habe mich auf dem Dach versteckt. Hinter dem Schornstein und als sie weg waren bin ich geflohen. Lebe nun schon seit einer Woche hier und habe Essen gestohlen.
Naja bis du dann hier erschienen bist. Zuerst habe ich gedacht jetzt holen sie mich, aber da habe ich noch einmal Glück gehabt“, erzählt er mir, hat aufgegessen und gibt mir den Behälter zurück.
Belegte Brote und Brötchen liegen auch noch verpackt im Korb und ich gebe ihm alles, damit er es bis zum nächsten Tag aushält. Ich finde noch ganz unten im Korb eine Jacke und reiche sie ihm ebenfalls. Sie scheint neu zu sein und offenbar hat meine Mutter diese selber genäht. Innen ist sie gefüttert und wird ihn warm halten.
„Es gibt doch noch anständige Menschen.“
Schnell hat er seine dünne Jacke ausgezogen und ist in die Neue rein geschlüpft. Schließt die Knöpfe und seufzt auf.
„Ich werde morgen wieder kommen. Meine Mutter hat mir einen Weg gezeigt wo ich ungesehen zu dir gelangen kann. Dann bringe ich dir auch wieder warmes Essen mit.“
Ich erhebe mich von der Truhe, schiebe sie an ihren angestammten Platz zurück und klopfe mir den Dreck von meinem Mantel.
„Ich freue mich schon jetzt Anna und passe auf dich auf.“
„Mache ich Paul und du sei bitte vorsichtig. Lass dich nicht von denen erwischen.“ „Versprochen Anna. Wir sehen uns dann morgen.“
Mit einem letzten Lächeln verschwinde ich mit dem Korb nach draußen und nach nur wenigen Minuten bin ich zu Hause.
Mein Bruder Ben hat von alldem nichts mitbekommen und nur meine Mutter weiß Bescheid. Doch sie wird stillschweigen bewahren genauso wie ich. Am Abend habe ich mich im Wohnzimmer in den zweiten Sessel gesetzt und stricke einen neuen Schal. Ein Geschenk für Paul und dazu kommen neue Handschuhe und eine neue Mütze die ihn warm halten sollen. Mein Vater schöpft keinen Verdacht und ich kann beruhigt weiter Paul treffen.
Am Samstagnachmittag bin ich auf dem Weg zu Katja und freue mich auf unseren gemeinsamen Nachmittag. Gestern habe ich Paul den Schal, die Handschuhe und die Mütze vorbei gebracht und er hat sich darüber sehr gefreut. Noch immer laufe ich Gefahr erwischt zu werden oder das man ihn entdeckt, doch bis jetzt ist dem nicht so und ich kann mich entspannen. Meine Mutter behält dieses Geheimnis nach wie vor bei sich und sollte es wirklich zum Allerschlimmsten kommen, dann wird sie uns weiterhin helfen. Sie hat mir schon den Vorschlag gemacht zu flüchten. Nach Amerika ausreisen um dieser ganzen Scheiße zu entkommen. Bis dahin wäre es ein weiter Weg und eigentlich verläuft noch alles ganz harmlos.
Doch wer weiß wie lange noch. Die Zeit sitzt uns sozusagen im Nacken und dennoch genießen wir sie gemeinsam. Nach 10 Minuten Weg bleibe ich vor dem schicken Einfamilienhaus stehen und mustere es genau. Dieses ist verschont geblieben. Wie unser Haus. Wer weiß wie lange noch, denn Informationen zufolge wird es schon bald zum Gegenangriff kommen. Eigentlich schon die ganze Zeit, denn Die Engländer, die Franzosen und die Amerikaner leisten Widerstand. Es heißt sogar, dass die Amis immer näher kommen oder sie sind schon da. Ich weiß es nicht, denn Papa spricht nicht viel darüber. Er will uns Kinder da heraus lassen aber ich bin schon 16. Ich komme mit solchen Nachrichten schon zurecht aber er sieht in mir noch die kleine Anna.
Langsam gehe ich auf die Haustür zu, klopfe und warte ab. Schritte ertönen hinter der Tür, diese wird geöffnet und Katjas Mutter steht vor mir. Eine große schlanke Frau. Eine Deutsche. Wie hätte es auch anders sein können. Hier Haar ist dunkelblond und geht ihr über die Schultern. Sie hat graue Augen und diese schauen mich freundlich an.
„Anna, schön dich mal wieder zu sehen! Komm doch rein. Katja ist oben in ihrem Zimmer“, begrüßt sie mich freundlich und ich betrete das Haus.
Eine wohlige Wärme umgibt mich, ich ziehe meinen Mantel und meinen Schal aus und hänge beides an den Kleiderständer.
„Danke Frau Benzmann. Wir wollen heute lernen“, erwidere ich, sie nickt und verschwindet in der Küche.
Langsam gehe ich die Treppe hinauf nach oben und schräg gegenüber der Treppe ist Katjas Zimmer.
Sobald ich bei ihr bin schaut sie von ihren Büchern auf dem Schreibtisch auf und strahlt.
„Da bist du ja Anna! Ich habe schon auf dich gewartet“, sagt sie und umarmt mich.
„Tut mir leid aber ich hatte noch viel im Haushalt zu helfen.“
In Wahrheit war ich bei Paul und habe mich mit ihm unterhalten. Mehr über ihn erfahren und das er knapp einer kleinen Truppe SS-Soldaten entkommen ist. Auch nur, weil er in der Nacht draußen war um zu sehen wie weit er kommt. Dabei haben einige von denen ihn gesehen und er ist mit vielen geheimen Wegen zurück in sein Versteck. Hat es also unbeschadet überstanden. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, denn wenn er erwischt wird, dann würde ich sterben vor Sehnsucht.
Doch Liebe? Mal überlegen. Ich habe ein Kribbeln im Bauch wenn ich an ihn denke. Meine Augen starren seine Lippen unverwandt an und mein Herz schlägt schneller. Definitiv verliebt. Das bin ich. Ich bin in einen Juden verliebt. Das sehe ich nicht in ihn. Ich sehe einen süßen wundervollen jungen Mann der auf der Flucht ist.
„Hey Anna! Komm zurück zu mir! Du bist ja total weggetreten.“
Katja schnippt vor meinen Augen und holt mich damit aus meinen Gedanken.
„Was?“ Leicht verwirrt sehe ich sie an und frage mich, was sie zu mir gesagt hat.
„Diesen Blick habe ich schon einmal gesehen. Der besagt, dass man verliebt ist. Total verschossen.“
„Verschossen?“ Ich habe eine Augenbraue hochgezogen und bin verwirrt.
Katja nimmt meine Hand und zieht mich auf ihr Bett. Im Schneidersitz hockt sie vor mir und sieht mich neugierig an.
„Okay erzähl schon! Wer ist der Glückliche? Ein Soldat? Ein Offizier? Oder ein ganz normaler Bürger?“
Ich werde rot und gleichzeitig blass, was eine komische Mischung aus Erdbeer- und Vanilleeis ist.
Kann ich Katja vertrauen? Wir sind beste Freundinnen seit dem Kindergarten und sie hat schon immer Geheimnisse für sich behalten. Niemals ausgeplaudert aber ich brauche ihr nichts weiter zu erzählen. Sie hat es erraten. Schnell ist sie aus dem Bett, schließt die Tür und lehnt sich dagegen.
„Ein Jude“, flüstert sie, ich sehe sie an und brauche nicht zu nicken.
Sie weiß, dass sie recht hat. Tief atmet Katja durch, kommt zum Bett und setzt sich wieder vor mich hin. Nimmt meine Hände in ihre und sieht mich ernst an.
„Du weist, dass es verboten ist Anna. Du bist eine Deutsche und er ein Jude.
Wenn das raus kommt...“
„Du wirst es doch niemanden verraten oder? Bitte Katja! Sag es niemanden“, flehe ich sie an und meine Augen füllen sich mit Tränen.
Katja mustert mich eingehend, schließt die Augen und atmet tief durch. Ein leichtes Nicken bestätigt mir ihre Zustimmung und ich stoße die Luft zischend aus.
„Versprochen Anna. Ich werde dich nicht verraten und den Juden auch nicht. Selbst dann nicht, wenn man mich foltern sollte. Wir sind beste Freundinnen seit dem Kindergarten und haben immer die Geheimnisse des Anderen bewahrt. So soll es heute noch sein“, beruhigt sie mich und sieht mich lächelnd an.
„Danke Katja. Du bist wirklich die beste Freundin auf der gesamten weiten Welt.“
Katja grinst und rutscht näher zu mir heran.
„Du musst mir irgendwann mehr erzählen und nein mein Zimmer wird nicht abgehört. Doch sicher ist sicher. Nur nicht jetzt.“
„In Ordnung. Ich werde dir später mehr erzählen und jetzt sollten wir anfangen zu lernen. Nicht das wir die Prüfungen verhauen. Das würde meinen Eltern nicht gefallen und dem Führer auch nicht. Er hat mir schließlich einen Platz besorgt wo ich studieren kann“, wechsle ich das Thema und Katja verzieht das Gesicht.
Dann beugt sie sich vor und sieht mich leicht ängstlich an.
„Ich habe Angst vor ihm und mag ihn auch nicht besonders. Am Liebsten würde ich ihn umbringen wollen. Aber behalte das für dich“, flüstert sie und ich nicke.
„Versprochen. Ich werde dich nicht verraten. Jetzt sind wir quitt. Jeder von uns trägt nun ein Geheimnis des Anderen“, erwidere ich, Katja richtet sich wieder auf und holt dann die Bücher auf das Bett.
Breitet diese dort aus und ich sehe ihr schmunzelnd zu.
„Lass uns anfangen.“
„Einverstanden.“
Wir fangen an zu lernen, sind sehr beschäftigt und die Zeit vergeht ebenfalls schnell. Am frühen Abend klopft die Mutter von Katja an der Tür und schaut dann rein.
„Anna? Es wird Zeit. Du sollst nach Hause kommen“, meint sie, ich klappe das Geschichtsbuch zu und erhebe mich.
Katja folgt mir und führt mich nach unten.
„Was machst du morgen Anna? Schließlich ist da Sonntag“, fängt Katja an, hilft mir in meinen Mantel und ich schließe ihn nachdem ich den Schal umgebunden hat.
„Meiner Mutter im Haushalt helfen oder mit Ben spielen oder Hausaufgaben machen“, antworte ich, ziehe meine Stiefel an und Katja lächelt.
„Stimmt die Hausaufgaben. Ferien sollten bald mal wieder vorbei kommen“, meint sie und ich muss lachen.
„Stimmt aber bald fangen die Prüfungen an und bis dahin müssen wir eben viel lernen. Kein Wunder, dass wir so viele Hausaufgaben auf haben“, erwidere ich, wir umarmen uns und dann verlasse ich ihr Haus.
Trete auf den Fußweg und gehe nach Hause. Plötzlich gibt es auf der anderen Straßenseite einen Tumult und ich bleibe stehen.
SS-Soldaten zerren einen jungen Mann aus der Seitenstraße hervor und ich kann erkennen, dass es ein Jude ist. Im ersten Moment bin ich erschrocken da er fast so genauso aussieht wie Paul doch beim zweiten mal hinsehen, kann ich erkennen, dass dieser Jude da abstehende Ohren hat. Die Soldaten stoßen ihn zu Boden, treten ihn mehrmals und zielen mit einer Waffe auf ihn. Mit vor Schreck geweiteten Augen sehe ich dem Ganzen zu und kann mich nicht vom Fleck rühren. Verstehe auch nicht was sie zu ihm sagen, löse mich aus meiner Starre und eile schnell weiter. Mein Herz rast in meiner Brust, das Blut rauscht in meinen Ohren und ich laufe blindlings irgendwelche Gassen entlang.
Erst als ich an einigen Ruinen vorbei komme bleibe ich stehen und sehe wo ich gelandet bin. Bei Paul. Ich atme tief durch, betrete im Halbdunkeln sein Versteck und kurz darauf bin ich bei ihm. Er liest ein Buch im Schein einer Öllampe und hat sich in die Decke gewickelt. Doch er spürt mich, sieht mein Gesicht und streckt die Arme nach mir aus. Ich lasse mich sofort hineinfallen und vergrabe mein Gesicht in seinem Hemd.
„Shht was ist denn passiert? Hat man herausgefunden, dass du mit mir Kontakt hast?“, fragt er mich und streicht mir beruhigend über den Rücken.
„Nein. Ich habe gerade gesehen wie Soldaten einen Juden aus einer Gasse heraus gezerrt haben und dann zu Boden stießen.
Im ersten Moment sah er so aus wie du. Zum Glück nicht. Ich könnte es nicht ertragen, dass dir das gleiche Schicksal ereilt Paul“, erkläre ich ihm, hebe den Kopf und in meinen Augen glitzern Tränen.
Liebevoll wischt er sie weg und haucht mir einen Kuss auf die Nasenspitze.
„Mich werden sie niemals bekommen. Versprochen. Ich werde auf mich aufpassen.“
Ich nicke, richte mich auf und atme tief durch.
„Ich würde dich gerne etwas fragen.“
„Und was?“
„Darf ich dich küssen?“
Ich sehe Paul an und bin etwas überrascht.
Wow mein erster Kuss.
„Ja darfst du.“
Es ist nur ein Hauch der über meine Lippen gekommen ist, Paul zieht mich näher zu sich heran und dann treffen unsere Lippen aufeinander. Seine Lippen fühlen sich so weich und zart an und wir vertiefen automatisch den Kuss. Sanft gleitet seine Zunge über meinen geschlossenen Mund, ich öffne diesen und dann wird unser Kuss tiefer und inniger. Voller Liebe, wobei es in meinem Bauch kribbelt.
„Ich liebe dich“, bringe ich hervor, Paul lächelt und unterbricht den Kuss nicht.
„Ich liebe dich auch Anna.“
Den Sonntag verbringe ich mit Ben draußen im Garten und wir spielen zusammen. Mein kleiner Bruder hat sehr viel Spaß und rennt dem Ball immer wieder hinterher. Irgendwann habe ich meinen Skizzenblock aus meinem Zimmer geholt, setze mich unter einem Baum in den Schatten und zeichne unser Haus ab. Die ganze Zeit denke ich an Paul, lächle und sinniere dem Kuss nach. Mein allererster Kuss und das mit ihm. Jetzt noch spüre ich seine weichen Lippen auf meinen und schmecke ihn ebenfalls. Als ich gestern Abend nach Hause gekommen bin hat es nur meine Mutter mitbekommen und nachdem Abendessen danach gefragt. Mein Vater ist draußen im Garten gewesen und hat dort seine Pfeife geraucht. So konnte ich mich mit meiner Mutter in der Küche darüber unterhalten und sie hat die ganze Zeit nur gelächelt. Behält das Geheimnis für sich.
Am Montagmorgen treffe ich Katja vor der Schule und sie strahlt mich an. Zieht mich unter den Ahornbaum und sieht mich abwartend an.
„Erzähl schon! Wie geht es ihm und habt ihr euch geküsst?“
Bei dieser Frage werde ich leicht rot und sie kichert vor sich hin.
„Es geht ihm gut und ja wir haben uns geküsst. Der Kuss war einfach nur wundervoll gewesen“, antworte ich leise, Katja nickt verstehend und hakt sich dann bei mir unter. Gemeinsam gehen wir in das Gebäude und weiter zu unserem Klassenzimmer. Dort nehmen wir unsere Plätze ein und packen unsere Schulsachen aus. Indem Moment setzt sich jemand auf den Stuhl vor unseren Tisch und als ich aufschaue, ist es Sönke.
Grinst mich breit an und ich runzle die Stirn. Sönke ist nicht gerade groß, etwas füllig, hat Pickel im Gesicht und sein Haar ist ein dreckiges Blond. Sein Vater arbeitet mit meinem zusammen als SS-Soldat und die Beiden gehen öfters mal einen trinken. Gerade isst Sönke eine Tafel Schokolade und leckt sich die fettigen Finger ab.
„Hallo Anna! Wollen wir heute Nachmittag zusammen Hausaufgaben machen?“, fragt er mich und grinst noch immer, wobei an seinen Zähnen Schokolade klebt.
Echt widerlich.
„Ich muss heute Nachmittag auf meinen kleinen Bruder aufpassen, da meine Mutter in der Stadt ist und mein Vater erst heute Abend nach Hause kommt“, antworte ich ihm und das ist noch nicht einmal gelogen.
Ob ich es schaffe zu Paul zu kommen, steht echt noch in den Sternen. Ich werde mich jedoch sehr bemühen und wenn ich mich aus dem Haus schleichen muss. Sönke mustert mich eingehend und sucht in meinem Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen, dass ich gelogen habe. Jedoch entspricht es der Wahrheit. Bei Sönke muss man vorsichtig sein, denn er ist eine Petze. Deswegen ist er auch nicht gerade beliebt in der Klasse. Wir halten alle zusammen und niemand ist so wie er. Wenn jemand eine Regel bricht, dann wird er nicht gleich verraten, aber wenn Sönke es mitbekommt, dann rennt er zum nächsten Lehrer und petzt alles. Er wollte schon immer etwas von mir.
Seit der fünften Klasse, aber ich habe ihn immer wieder abblitzen lassen. Er ist einfach nicht mein Typ und ich muss aufpassen, dass er nichts von Paul erfährt. Sönke würde sofort zu seinem Vater rennen und alles erzählen. Zwar würde Sönke kein einziges Wort über mich verlieren aber er würde mich unter Druck setzen und dann müsste ich mit ihm gehen. Paul hätte ich dann verloren.
„Okay und was ist mit Morgen?“, fragt er mich und ich hebe nur die Schultern.
„Das erfahre ich erst heute Abend. Wie gesagt meine Eltern sind nicht da, wenn ich nach Hause komme. Ich muss nach der Schule auch meinen kleinen Bruder vom Kindergarten abholen.“
Bevor Sönke etwas erwidern kann kommt der Lehrer in die Klasse und ich bin Sönke erst einmal los.
Katja hat nur eine Augenbraue gehoben und schweigt. Im Unterricht dürfen wir nicht reden, denn darauf gibt es den Rohrstock. Dieses Risiko gehen wir sicherlich nicht ein. In der Mittagspause sitzen wir draußen auf einer Bank unter einem Baum und schauen den Anderen beim spielen zu. Oder beim küssen. Gerade noch so erlaubt aber Fummeln geht dann doch zu weit. Mein Blick schweift über die Schülermenge und ich kann Sönke alleine in einer Ecke sitzen.
„Der ist so eklig! Versucht es immer wieder dich anzumachen und merkt nicht, dass du absolut nichts von ihm willst. Auch nur weil sein Vater ein SS-Soldat ist und er glaubt, dass er sich alles erlauben kann. Einfach nur widerlich“, fängt Katja an und sieht ebenfalls zu Sönke.
Doch wir wenden unsere Blicke von ihm eilig ab und essen unsere Brote.
„Er glaubt er kann mich als seine Freundin haben, weil sein Vater so 'einflussreich' sei. Aber mein Papa hat mich aufgeklärt. Sönke übertreibt maßlos, denn sein Vater ist nicht so großartig und wird beobachtet. Der Verdacht liegt nahe, dass er versucht den Führer umzubringen“, meine ich und trinke meinen Tee aus der Thermoskanne.
„Das habe ich auch schon gehört. Echt krass so etwas auch nur zu versuchen“, meint Katja und ich atme tief durch.
Bis zum Schulschluss hat sich Sönke nicht mehr bei mir eingeschleimt und dieses mal begleitet mich Katja nach Hause. Zuvor hole ich Ben im Kindergarten ab und dieser freut sich Katja zu sehen.
„Katja! Du bist dabei“, ruft er, springt ihr in die Arme und sie wirbelt ihn herum.
„Ich freue mich auch dich wieder zu sehen Ben.“
Ben strahlt, sieht den Weg zurück und runzelt die Stirn.
„Ist das da nicht diese Petze Sönke?“, fragt er, wir drehen uns um und sehen Sönke wie er schnell seinen Kopf zurück zieht.
„Er verfolgt mich. Ich fasse es nicht!“
Ich stelle meine Schultasche ab und schreite auf ihn zu. „Verfolgst du mich etwa?“
„Nein das ist mein Schulweg.“
„Vergiss es du Lügner! Du gehst eigentlich in die entgegengesetzte Richtung nach Hause“, schimpfe ich los und Sönke fühlt sich nicht gerade wohl in seiner Haut.
„Ich muss doch sehen ob du wirklich die Wahrheit gesagt hast“, versucht er sich heraus zu reden und ich verenge die Augen. Habe dabei die Hände in die Hüften gestemmt.
„Damit du dann zu Papi rennen kannst um mich zu verpetzen? Was soll ich denn bitte schön Falsches machen? Ich bin wohl erzogen wurden und würde niemals einen falschen Weg einnehmen! Außerdem sollte dir doch bewusst sein, dass mein Vater mit dem Führer sehr eng ist. Sie arbeiten zusammen und an deiner Stelle würde ich nicht so eine große Klappe haben! Ich weiß ganz genau, dass dein Vater etwas vorhat um den Führer umzubringen. Also lass mich einfach in Ruhe, denn ich will nichts von dir. Verstanden?“
Ich wirble herum, recke den Kopf und stolziere zurück zu Katja und Ben. Beide sehen Sönke zu, ich hebe meine Schultasche auf und schultere sie mir. Nehme Ben seine Hand und nicke Katja zu.
Werfe einen letzten Blick zurück zu Sönke und kann sehen wie er wütend davon stampft. „Der wird dir noch Ärger machen Anna. Er gibt keine Ruhe und jetzt musst du auch noch auf der Hut sein“, meint Katja und wir gehen weiter.
„Ja der Gedanke ist mir auch gerade gekommen aber das ist mir ziemlich egal. Er soll wissen, dass ich nichts absolut gar nichts von ihm will.“
Wir überqueren die Straße, bleiben vor unserem Zuhause stehen und ich wende mich Katja um. Ben hat seine Brottasche schon geschnappt und verschwindet im Haus.
„Sei bei ihm wirklich vorsichtig Anna. Er wird dir hinterher schnüffeln und sollte er es mit Paul erfahren, dann kannst du dein Testament machen“, flüstert sie mir zu, ich nicke und umarme sie.
„Ich werde vorsichtig sein und auch auf mich aufpassen.
Der vermasselt mir nicht alles was ich mir aufgebaut habe“, sage ich noch, Katja verabschiedet sich von mir und ich verschwinde im Haus.
Bringe meine Schultasche nach oben in mein Zimmer und in der Küche nehme ich den Aufgabenzettel, welchen meine Mutter mir hinterlassen hat. Die Wäsche von draußen rein holen, meine Hausaufgaben erledigen, die Küche putzen, das Abendessen kochen und für Vater alles vorbereiten, damit er sich ausruhen kann. Also nicht sehr viel. Ich hole den Wäschekorb aus der Wäschekammer und gehe in den Garten. Stelle den Korb ab und fange an die Wäsche von der Leine zu nehmen. Ben kommt kurz darauf auch nach draußen, hat seine Autos dabei und spielt im Gras.
„Warum ist Sönke so gemein?“, fragt er mich nach einer Weile, ich lege das Hemd von meinem Vater zusammen und lege es in den Wäschekorb.
„Weist du Ben? Sein Papa ist auch ein SS-Soldat und da denkt Sönke wohl, dass er sich alles erlauben darf. Und falls er Ärger bekommt, dann kann er petzen gehen und seinem Vater Lügen erzählen. So bekommt Sönke eigentlich alles. Nur keine Freunde sondern Feinde“, antworte ich ihm, nehme dann den Wäschekorb hoch und schaffe ihn nach drinnen.
Ben folgt mir und will noch mehr darüber reden.
„Dann ist Sönke doof! Mama und Papa sollten das wissen“, meint er und ich sehe meinen kleinen Bruder an.
Manchmal habe ich das Gefühl er ist nicht erst 6 Jahre alt sondern schon viel älter. „Ja sollten sie. Meinst du das ist gut?“
Ich hole einen Eimer mit Wasser, einen Lappen und fange an die Küche zu putzen.
„Ich sage es Mama und Papa sobald sie heute Abend zu Hause sind“, meint Ben und sieht mir beim putzen zu.
Ich schaffe die Küche in genau zwei Stunden und dann kann ich meine Hausaufgaben erledigen. Ben ist ganz ruhig, schweigt und wartet bis ich damit fertig bin. Am frühen Abend koche ich das Abendessen und Ben hilft mir dabei so gut er es kann. Dann geht auch schon die Tür und Mama kommt in die Küche.
„Hallo ihr Beiden! Na Ben hast du deiner Schwester auch keinen Ärger gemacht?“, fragt sie meinen kleinen Bruder und nimmt ihn in die Arme.
„Nein ich war ganz brav gewesen und wir haben uns über Sönke unterhalten. Der läuft Anna hinterher.“
„So? Er steht wohl auf dich?“
Ich verziehe das Gesicht und verenge die Augen.
„Leider ja aber ich will nichts von ihm. Ehrlich Mama. Er ist eine Petze und niemand kann ihn leiden.“
Meine Mama nickt, hilft mit den Tisch zu decken und dann warten wir noch auf Papa, der sich verspätet hat.
Die ersten warmen Sonnenstrahlen erleben wir Anfang März. Den ganzen Winter über gab es keinen Bombenalarm und wir hoffen, dass es auch noch eine Weile so bleibt. Ich besuche weiterhin so gut es geht Paul und wir sind uns schon richtig nahe gekommen. Sönke lässt mich seit einiger Zeit in Ruhe aber sicherlich heckt der etwas aus. Ich spüre wie er mich beobachtet, mich verfolgt und mich nicht aus den Augen lässt. Das erschwert natürlich die Besuche bei Paul, denn ich muss richtig aufpassen. Nicht das Sönke auf das Versteck aufmerksam wird und petzen geht. Also muss ich weiterhin den geheimen Weg gehen um zu Paul zu kommen. Schaue mich vor der Ruine mehrmals um, damit ich mir ganz genau sicher sein kann. Katja merkt, dass Sönke irgendetwas vorhat und lässt ihn nicht aus den Augen.
Berichtet mir des Öfteren, was er gerade macht. Meine beste Freundin. Sie hält mir meinen Rücken frei und erfindet immer wieder neue Lügen um Sönke auszutricksen. Es ist Wochenende, wir haben den Samstag Schulfrei und können den Tag so richtig genießen. „Lass uns doch ein Eis essen. Das kühlt uns richtig ab“, schlägt Katja vor und ich bin einverstanden.
Wir sitzen auf einer Mauer in der Nähe des Brandenburger Tors und genießen die Sonne. „Verkauft dein Vater wieder sein Eis?“, frage ich sie und Katja grinst breit.
„Aber sicher doch und die Geschäfte laufen blendend. Es gibt sogar dein Lieblingseis. Schokolade“, lockt sie mich und somit hat sie mich in der Hand.
Bei Schokoladeneis kann ich einfach nicht nein sagen und wir gehen zur Bäckerei ihres Vaters. Er hat draußen einen Stand aufgebaut, zwei SS-Soldaten stehen davor und Katjas Vater bedient die Beiden gerade. Als er uns sieht fängt er an zu strahlen und die beiden Soldaten sehen sich neugierig nach uns um. Erkennen mich und grüßen mich freundlich. „Hallo Anna! Genießt ihr das schöne Wetter?“, fragt mich der Linke und ich nicke lächelnd. „Ja wir wollen die ersten warmen Sonnenstrahlen mit einem Eis genießen“, antworte ich und Katjas Vater reicht mir eine Kugel Schokoladeneis in der Waffel.
Katja stupst mich an, das macht die Soldaten aufmerksam und sie nickt zu Sönke, der mich abermals beobachtet.
„Ist das nicht dieser Sönke vom Müller?“, fragt der Linke und ich nicke bestätigend. „Er verfolgt mich, spioniert mir nach und hofft, dass ich irgendetwas falsch mache. Nur damit er mich verpetzen kann“, erkläre ich und beide Soldaten murren gleichzeitig auf.
„Anna du bist eine tolle Tochter deines Vaters und selbst der Führer ist begeistert von dir. Du achtest immer auf die Regeln und machst deinen Vater stolz. Also kannst du dir sicher sein, dass Sönke nichts finden wird“, beruhigen mich die Beiden, ich esse mein Eis und bin beruhigt.
Wenn die aber wüssten, dass ich Regeln breche wegen Paul, dann würden sie anders über mich denken und reden. Wir verabschieden uns von den Beiden und gehen die Straße entlang.
„Sönke nervt nur! Er ist so ein Widerling.“
„Das kannst du laut sagen.“
Wir genießen gemeinsam den sonnigen Tag und am späten Nachmittag verabschieden wir uns voneinander. Ich gehe ins Haus, finde meinen Papa draußen im Garten und wie er mit Ben spielt. Meine Mutter ist in der Küche und backt gerade einen Apfelkuchen. Der Duft weht mir auf jeden Fall um die Nase und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Also steuere ich die Küche an und betrete diese kurz darauf.
„Das riecht wieder lecker Mama. Gibt es den morgen Nachmittag zum Kaffee trinken?“, frage ich sie und meine Mama dreht sich lächelnd zu mir um.
„Ja gibt es. Also Finger weg und nicht naschen“, sagt sie und ich kichere.
Während der Kuchen im Ofen ist nimmt sie meine Hand und führt mich nach oben in das Schlafzimmer. Hinter mir schließt sie die Tür und sieht mich an.
„Ich habe dir ein Kleid gekauft. Hoffe das es dir gefällt“, erklärt sie mir kurz, öffnet den Schrank und holt ein knielanges beiges Kleid hervor.
Ich strahle und fahre mit den Fingern durch den Stoff.
„Es ist wunderschön Mama“, flüstere ich, entkleide mich und als ich gerade in Unterwäsche da stehe, klopft es an der Tür.
„Was macht ihr da drinnen? Habt ihr Geheimnisse vor mir?“, fragt mein Vater und ich stelle mich sofort hinter Mama als er reinschaut.
„Also wirklich! Willst du deine Tochter in Unterwäsche sehen?“, fragt meine Mutter ihn, mein Vater wird rot und verschwindet ganz schnell.
„Tut mir leid Anna! Ich bin schon weg“, lacht er und ich kann das Kleid anprobieren.
Es liegt eng an meinem Körper und es ist einfach nur perfekt. Ich streiche über den Stoff und stutze als ich etwas fühle. Meine Mutter hält meine Hände fest und schüttelt kaum merklich mit dem Kopf. Offenbar hat sie etwas zusätzlich eingenäht und ich darf es noch nicht öffnen. Ich nicke kurz, drehe mich dann vor ihr und strahle.
„Es ist wunderschön. Darf ich es am Montag anziehen?“
„Natürlich. Zum anschauen habe ich es nicht gekauft und du bist eine wunderschöne junge Frau.“
Ich erröte, nicke und ziehe das Kleid wieder aus. Sobald ich meine vorherigen Sachen anhabe bringe ich das Kleid in mein Zimmer und hänge es in den Schrank. Ich werde wohl erst am Abend herausfinden, was es sein könnte. Meinen Schrank verschließe ich gut, stecke den Schlüssel ein und gehe wieder nach unten. Helfe meiner Mutter beim Abendessen kochen und Tisch decken. Der Kuchen steht abseits zum auskühlen, sein Duft erfüllt die Küche und wird nur vom Duft der Kartoffelsuppe überdeckt. Dann sitzen wir alle am Tisch und essen diese leckere Kartoffelsuppe von Mama gekocht.
„Papa? Sönke hat mich heute wieder verfolgt und mich ausspioniert.
Er glaubt ich würde irgendetwas böses machen oder so. Aber das stimmt nicht. Ich würde niemals irgendetwas gegen das Gesetz machen“, fange ich an und mein Vater sieht von seinem Essen auf.
„Sönke ist aber auch eine Petze. Er kam letztens zu seinem Vater gerannt und hat behauptet, Katja würde Juden verstecken. Wir haben nachgeschaut und sein Vater war stinksauer. Hat seinen Sohn verdrimmt“, erwidert er und ich nicke.
„Spätzchen ich weiß, dass du niemals etwas dummes oder böses machen würdest. Ich vertraue dir.“
Ich lächle, fühle mich schon viel besser und nach dem Abendessen helfe ich meiner Mutter beim abräumen. Dann gehe ich nach oben in mein Zimmer, nehme mein Buch und lese es in Ruhe weiter.
Denke an Paul und muss ihn bald wieder besuchen. Eine verbotene Liebe ist zwischen uns entstanden. Miteinander geschlafen haben wir noch nicht, denn wir wissen nicht was die Zukunft bringt. Wir wollen definitiv zusammen bleiben und hoffen, dass wir irgendwann Ruhe haben werden. Nach zwei Stunden kommen meine Eltern in mein Zimmer, ich schaue auf und sie wünschen mir eine Gute Nacht.
„Und mache dir keinen Kopf mehr über Sönke. Das ist er nicht wert und wir alle wissen, dass du nichts Verbotenes anstellst“, beruhigt mich meine Mama, streicht mir über den Kopf und beide verlassen mein Zimmer.
Sobald ich derer Tür gehört habe stehe ich auf und gehe zu meinem Schrank. Hole mein Kleid raus, breite es auf dem Bett aus und mustere es.
Dann nehme ich eine Schere speziell für das Nähen, drehe das Kleid auf links und taste es ab. Etwas weiter unter der Mitte ist etwas dickes eingenäht, ich trenne die feine Naht auf und ein Umschlag kommt zum Vorschein. Ich hänge das Kleid wieder zurück in den Schrank und lasse mich auf mein Bett sinken. Was wohl in diesem Umschlag drinnen ist? Leise öffne ich ihn, ein Brief steckt drinnen und diesen entfalte ich um den Inhalt zu lesen.
„Meine kleine Prinzessin!
Ich habe dir und deinem Freund Paul einiges besorgt, falls es wirklich zum äußersten Notfall kommen wird. In den letzten Tagen habe ich einen alten Freund besucht der Pässe fälscht und hat mir zwei davon angefertigt. Zudem bekommt ihr noch Geld und zwei Fahrkarten einer langen Schiffsreise von Calais nach Dover und von dort aus nach Amerika. Sollte dein Freund erwischt werden musst du ihn befreien und dann flieht aus diesem Staat. Um mich braucht ihr euch keine Sorgen machen und auch nicht um Ben.
Wir werden untertauchen und ebenfalls fliehen, denn sobald ihr beide weg seid, wird dein Vater kontrolliert. Im schlimmsten Fall werden wir ins KZ gebracht und dann ermordet. Wir haben Verwandte in Amerika die euch gerne aufnehmen werden und wissen schon Bescheid. Verstecke diesen Brief und alles was im Umschlag ist, damit dein Vater ihn nicht findet. Unter deinem Bett ist eine lose Bodendiele und da kannst du die Sachen vor deinem Vater in Schutz bringen. Denke immer daran, falls es soweit kommen wird.
In Liebe deine
Mama!“
Ich überfliege noch einmal den Brief, schaue in den Umschlag und dort sind wirklich zwei gefälschte Pässe und zwei Fahrscheine. Ich stecke alles schnell wieder zurück, knie mich vor mein Bett und finde das lose Dielenbrett, nachdem ich einige getestet habe. Darunter verstecke ich den Brief, stehe wieder auf und lasse mich auf mein Bett fallen. Meine Mutter weiß, dass es nicht lange gut gehen wird und hat schon einmal vorgesorgt. Dafür liebe ich sie sehr und kann bald Paul davon erzählen. Ich kuschel mich in meine Bettdecke, ziehe sie bis zum Kinn hoch und schließe die Augen. Dass wir schon bald die Dinge brauchen werden, habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht geahnt.
Die Katastrophe lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Kurz vor dem Geburtstag von Paul wird er verraten und wer kann es auch anderes sein als Sönke Müller. Ich bin am schönen sonnigen Tag auf dem Weg zu Paul als ich Stimmen höre. Vorsichtig schaue ich um die Ecke der Ruine und sehe SS-Soldaten wie sie Paul raus zerren. Ihn zu Boden stoßen und ich kann Sönke erkennen. Mit Genugtuung sieht er dem ganzen Spektakel zu und hat ein böses Grinsen auf dem Gesicht. Die Soldaten zerren ihn wieder auf die Füße und schleifen ihn mit. Schnell ziehe ich mich wieder zurück und eile nach Hause. Dort ist zum Glück nur meine Mutter, denn mein Vater ist mit Ben in der Stadt eine Show ansehen mit Autos. In der Küche werfe ich mich ihr in die Arme und schluchze auf.
„Sönke hat Paul verraten Mama! Was mache ich denn jetzt?“, frage ich sie und sie streicht mir tröstend über den Rücken.
„Du musst mir jetzt ganz genau zuhören Anna. Ich habe geahnt, dass es kommen wird und erkläre es dir“, sagt sie, sieht mich an und wischt die Tränen von meinem Gesicht.
„Ich werde dir einen Rucksack packen mit frischen Sachen und Lebensmitteln. Den Brief wirst du ebenfalls mit einpacken und heute Abend gehen dein Vater und ich früh ins Bett. Schleiche dich raus und dann hole Paul raus. Den Rucksack verstecke ich im Gebüsch neben der Haustür. Nehmt ihn und lauft nach Frankreich. Von dort aus fahrt ihr mit dem Schiff nach England und dann weiter nach Amerika.
Beim Gefängnis gibt es eine lose Stelle im Zaun hinter dem Gebäude und dadurch kannst du kriechen. Die Zellengitter sind nicht richtig verankert und Paul kann ganz leicht ausbrechen. Somit könnt ihr verschwinden. Macht euch um uns keine Sorgen. Wir werden uns in Amerika wieder treffen“, erklärt sie mir eindringlich und ich nicke verstehend.
Straffe meine Schultern, gehe nach oben und suche schwarze Kleidung raus. Finde welche und verstecke sie unter meinem Bett. Lasse mir nichts anmerken. Auch nicht als Papa und Ben wieder zu Hause sind. Das Abendessen verläuft friedlich und es ist das letzte Mal, dass wir als Familie zusammen sitzen. Wie gewohnt nehme ich ein Bad, ziehe mein Nachthemd an und erledige in meinem Zimmer die Hausaufgaben.
Meine Eltern wünschen mir dann eine Gute Nacht, meine Mutter hält mich für einen kurzen Moment etwas länger als sonst in ihren Armen und hätte fast alles verraten. Doch dann sind beide in ihrem Schlafzimmer verschwunden und ich hole die schwarzen Sachen unter dem Bett hervor. Ziehe diese an, eine schwarze Wollmütze auf meinem Kopf und verstecke darunter meine blonden Haare. Ganz leise drücke ich die Klinke der Tür runter, husche aus meinem Zimmer und ziehe hinter mir die Tür wieder zu. Schleiche mich die Treppe hinunter und verschwinde in den Garten. Es ist eine klare Nacht, die Sterne funkeln am Himmel aber der Mond ist nicht zu sehen. Ich schlüpfe auf den versteckten Weg, laufe diesen entlang und komme zu den Ruinen. Bleibe kurz stehen und denke kurz nach.
Kann Paul noch ein paar Minuten warten? Ja das kann er, ich verschwinde in dieser Ruine und in seinem ehemaligen Versteck ist ein wahlloses Durcheinander. Das Essen wurde zertreten, die Öllampe liegt kaputt in einer Ecke und einige Sachen sind zerrissen. Doch die Decke hat überlebt. Ich nehme sie hoch, falte sie zusammen und draußen neben der Ruine verstecke ich sie. Hier werden wir sie dann holen. Schnell mache ich mich weiter auf den Weg, nehme jeden Schatten mit und komme an Soldaten vorbei, die Nachtwache halten. Nach einigen Abbiegungen in den Straßen sehe ich von Weiten das Gefängnis und laufe darauf zu. Plötzlich erscheinen an der Straßenecke zwei Soldaten und ich suche ein Versteck.
Ein Hauseingang ist auf meiner rechten Seite, ich husche hinein und presse mich an die Wand. Reguliere meine Atmung und halte sie dann an, als die Stimmen immer näher kommen. Meinen Herzschlag kann ich jedoch hören und ich hoffe, der verrät mich nicht. Nur noch wenige Schritte, dann haben sie mein Versteck erreicht und dann...gehen sie weiter. Ich halte meine Luft noch immer an bis sie um die Ecke gegangen sind und stoße sie schließlich aus. Beruhige mein Herz und schaue vorsichtig nach, ob nicht doch noch jemand erscheint. Aber das Glück ist auf meiner Seite und ich laufe weiter. Komme beim Gefängnis an und schleiche mich schnell am Zaun entlang.
Die betroffene Stelle finde ich nach einigem Suchen, krieche dort hindurch und bleibe hocken da ich einen Soldaten sehe der gerade in meine Richtung schaut. Hat er mich entdeckt? Sekunden verstreichen und werden zu Minuten bis er sich abwendet. Ist verschwunden und ich laufe zur Wand. Presse mich dagegen und dann fange ich an ihn zu suchen. Schaue durch jedes Gitterfenster und erspähe Männer und Frauen in den einzelnen Zellen. Bis ich Paul gefunden habe. Dieser liegt auf einer harten Liege und starrt die Decke an.
„Pst Paul! Ich bin es! Anna“, flüstere ich, schaue mich kurz um und er steht auf.
Kommt zum Gitterfenster und ist überrascht.
„Was machst du hier? Wenn sie dich erwischen, dann wirst du gleich mit eingesperrt und morgen Früh ins KZ Auschwitz gebracht“, zischt er mir zu und ich lächle.
Rüttle unbewusst an den Gitterstäben und habe zwei davon schon in den Händen. Überrascht sieht mich Paul an und hilft mir dann dabei alle raus zu nehmen. Ohne zu mosern, denn fragen kann er mich später. Sobald das Loch groß genug ist, stemmt er sich hoch und rollt sich kopfüber nach draußen. Landet mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Rasen und wir lauschen beide auf etwaige Geräusche. Als nichts davon an unsere Ohren dringt, richtet er sich auf und sieht mich abwartend an. Ich ergreife seine Hand, wir schleichen uns an der Wand entlang und sind angespannt.
Jederzeit kann man uns erwischen und dann sitzen wir beide tief in der Tinte drinnen. Wie lange wird es dauern bis sie merken, dass Paul weg ist? Minuten, Stunden oder sogar erst am nächsten Tag? Den Zaun haben wir erreicht, Paul kriecht zuerst hindurch und wartet auf der anderen Seite. Gerade als ich ein Bein durch gesteckt habe ertönt eine Sirene und Stimmengewirr.
„Schnell Anna! Sie haben heraus gefunden, dass ich ausgebrochen bin“, drängt mich Paul, ich quetsche mich durch das Loch und dann rennen wir was das Zeug hält.
Hinter uns hören wir Autos, verschwinden eilig in einer Seitengasse und pressen uns dort an die Wand. Autos fahren an uns vorbei, wir sehen ihnen nach und nehmen dann den Weg hinter den Häusern.
Bei seinem ehemaligen Versteck hole ich die Decke, Paul nimmt sie schweigend an sich und wir laufen zu mir nach Hause. Dort sind die unteren Lichter an, ich schleiche mich zum Busch neben der Haustür und ziehe den großen Rucksack hervor. Der Brief mit den falschen Pässen und den Fahrscheinen steckt tief unten drinnen, ich laufe zu Paul zurück und indem Moment geht die Haustür auf.
„Es kann nicht sein, dass unsere Tochter mitten in der Nacht verschwindet und jetzt ein Anruf reingekommen ist, dass einer der Häftlinge geflüchtet ist. Ich bete inständig, dass Anna nichts damit zu tun hat“, hören wir meinen Vater, stehen im Dunkeln und warten ab, bis er verschwunden ist.
Ein Auto hält vor unserem Haus, mein Vater steigt ein und dann fahren sie auch schon davon. Ich kann meine Mutter einen Moment noch in der Tür stehen sehen und schwöre darauf, dass sie mir kurz zugenickt hat, bevor sie wieder nach drinnen verschwunden ist. Paul packt die Decke in den Rucksack, verschließt diesen und schultert ihn sich auf. Nimmt meine Hand und wir gehen in die entgegen gesetzte Richtung des Gefängnisses. Ohne zu reden rennen wir immer wieder im Schatten durch Berlin und wollen diese Stadt nur ganz schnell verlassen. Müssen quer durch Deutschland um die Grenze nach Frankreich zu erreichen und es wird ein schwerer harter Weg bis wir dort angekommen sind. Nach einem langen Lauf haben wir die Stadtgrenze erreicht und nehmen den Weg weiter durch den Wald.
Auf der Straße wäre es zu gefährlich, sie würden uns sofort erwischen und ich will noch nicht ins KZ. Genauso wenig wie Paul. Im Wald müssen wir langsamer sein und aufpassen, dass wir nicht über eine Wurzel stolpern und hinfallen. Irgendwann halten wir an und setzen uns. „Okay und jetzt erzähle mir mal, wieso du dieses Risiko eingegangen bist und wo wir hingehen“, fängt Paul an und ich strecke die Beine aus.
„Paul ich liebe dich über alles und bin das Risiko wegen dir eingegangen. Wegen unserer Liebe und meine Mutter hat mir geholfen. Sie hat von uns beiden gewusst und alles vorbereitet. In einem Brief mir alles erklärt, falsche Pässe besorgt und Fahrkarten für ein Schiff in Frankreich.
Damit fahren wir bis nach Dover und von dort aus dann weiter nach Amerika. Wir haben Verwandte dort und die wissen Bescheid. Werden uns also aufnehmen“, erkläre ich ihm und hoffe, dass er nicht sauer auf mich ist.
Nein er nimmt mein Gesicht in seine Hände und sieht mir tief in die Augen.
„Wir werden quer durch Deutschland müssen, weiter durch den Schwarzwald und den Rhein überqueren. Erst dann sind wir in Sicherheit. Sozusagen. Ein langer weiter Weg“, flüstert er und haucht mir einen Kuss auf die Lippen.
„Aber das schaffen wir.“ Paul steht auf, zieht mich auf die Beine und nimmt den Rucksack hoch.
„Na dann auf zu diesem abenteuerlichen Spaziergang.“
Ich lächle und wir laufen weiter durch den Wald.
Wir gehen die halbe Nacht lang durch den Wald, finden eine verlassene Hütte und betreten diese. Während Paul den Rucksack abstellt finde ich eine Öllampe und kann sie anzünden, da meine Mutter Streichhölzer eingepackt hat. Sobald wir Licht haben schaue ich mich in der Hütte um und es gibt ein einziges Bett.
„Ich kann auf dem Boden schlafen“, meint Paul und ich hebe nur eine Augenbraue.
„Brauchst du nicht. Wir schlafen beide in dem Bett. Die Matratze sieht weich aus“, erwidere ich, teste sie aus und habe recht.
Sie ist wirklich weich und sieht auch noch nicht so heruntergekommen aus. Paul holt die Decke raus, legt sie auf das Bett und findet verschiedene Behälter. Ein zweiter Umschlag ist mit Geld gefüllt und Paul bekommt große Augen.
„Wow so viel“, meint er, ich nicke und er lächelt.
„Deine Mama hat wirklich an alles gedacht. Sie hat es geplant.“
„Ja sie hat ein Gespür für Gefahren und es war nur eine Frage der Zeit, bis Sönke mir soweit gefolgt ist um dich zu verraten“, seufze ich und Paul öffnet einen Behälter.
Dampf steigt auf, die Hütte ist erfüllt von Reis und ich schnuppere. Königsberger Klopse. Mein Leibgericht. Paul setzt sich neben mich, reicht mir die Gabel und wir fangen an zu essen.
„Oh man habe ich einen Hunger. Das Wegrennen laugt ganz schön“, mampfe ich und Paul muss kichern.
„Und wir haben gerade mal die Stadt verlassen und sind ungefähr 5 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Wir werden dann ein paar Stunden schlafen und essen am Morgen noch eine Kleinigkeit.
Danach werden wir die nächste Stadt ansteuern oder ein Dorf und versuchen ein Auto zu bekommen. Ja ich kann Auto fahren und das seit meinem 14. Lebensjahr. Ist ziemlich einfach, wenn man es erst einmal kann“, erklärt mir Paul und ich bin erstaunt über ihn.
Seit Februar kenne ich ihn schon, aber diese Information noch nicht. Bis jetzt. Wir leeren den Behälter gemeinsam, trinken noch etwas und packen die Sachen wieder in den Rucksack. Ich breite die Decke über dem Bett aus, sehe Paul an und er legt sich zuerst hin. Mit dem Rücken zur Wand. Ich lächle, klettere ins Bett und er deckt mich zu. Legt einen Arm um mich und zieht mich näher an sich heran. Die Öllampe ist mittlerweile aus und die Dunkelheit schwebt über uns.
„Dann schlafe gut Anna und keine Angst. Ich passe auf dich auf“, flüstert er nah an meinem Ohr, ich bekomme dadurch eine Gänsehaut und schlafe ein.
Am nächsten Morgen werde ich von der Sonne geweckt, diese kitzelt meine Nase und ich muss niesen. Gähnend strecke ich mich im Bett, drehe mich und im ersten Moment habe ich das Gefühl wieder zu Hause zu sein. Doch als ich die Augen öffne sehe ich die Hütte und Paul. Dieser ist schon auf den Beinen und hat aus dem Rucksack Brötchen hervor geholt. „Guten Morgen Anna! Es wird Zeit zum Frühstück, damit wir uns dann auf den Weg machen können“, sagt er, dreht sich zu mir um und lächelt.
Ich stehe auf, lege die Decke zusammen und nehme mir ein Brötchen. Ich beiße in den weichen Teig, packe die Decke in den Rucksack und esse nebenbei.
Paul verwischt draußen alle Spuren und ich bin alleine in der Hütte. Bis er plötzlich auftaucht und mich ernst ansieht.
„Ich habe Soldaten gesehen. Sie sind auf dem Weg zur Hütte. Wir müssen uns beeilen und zu sehen, dass wir wegkommen“, erklärt er mir, nimmt mir den Rucksack ab und wir verlassen die Hütte.
Ich schließe die Tür hinter mir, ergreife seine Hand und wir schauen uns um. Ich kann in einiger Entfernung ein Auto erkennen und nicht weit entfernt die Soldaten. Vier Mann. Wir wenden uns um, laufen leise los und verschwinden im Dickicht. Nur unser Atem ist zu hören, wir blicken nicht zurück und schlagen uns durch das Unterholz. Nach einer Weile müssen wir anhalten und blicken auf einen langen Fluss.
„Das ist die Elbe“, sage ich atemlos, drehe mich um und lausche.
Nichts zu hören. Keine Verfolger und auch keine lauten Stimmen, dass man uns entdeckt hat. „Ja und wir müssen irgendwie dort rüber kommen. Da hinten ist ein Dorf und vielleicht können wir uns dort ein Auto besorgen“, erwidert Paul und wir eilen an der Elbe entlang. Weiter vorne ist eine Brücke zu erkennen, die Gefahr jedoch groß schneller gefasst zu werden und mein Herz wummert in meiner Brust. Dieses Risiko müssen wir eingehen, wenn wir auf die andere Seite der Elbe wollen. Also rennen wir los, achten nicht auf unsere Umgebung und beeilen uns. Die Brücke kommt immer näher, wir haben die Hoffnung diese zu erreichen und das Glück scheint offenbar auf unserer Seite.
Oder aber auch nicht, denn plötzlich tauchen Soldaten auf und blicken uns entgegen.
„Stehen bleiben und zwar sofort!“
Wir machen das was er sagt, halten uns an den Händen und sehen uns an. Dann wenden wir uns den Soldaten zu, es sind genau sechs Mann und diese zielen auf uns.
„Sagt Bescheid, dass wir sie haben“, sagt der Eine, ein junger Soldat läuft zurück und wir sind geschnappt.
Vielleicht auch nicht. Paul sieht sich genau um, sein Blick bleibt kurz auf der Elbe haften und nickt kaum merklich. Ich habe es mitbekommen, aber die Soldaten nicht und weiß, was nun kommt. Dann geht alles ganz schnell. Paul rennt los, zieht mich hinterher und wir springen gleichzeitig in das kalte Wasser.
Geschrei ist noch zu hören, Schüsse fallen und wir tauchen unter. Ich kann sehen wie die Kugeln in die Wasseroberfläche schlagen, uns aber nicht treffen. Wir tauchen noch etwas tiefer und schwimmen zum anderen Ufer. Warten bis die Soldaten keine Kugeln mehr haben. Das dauert auch nicht lange, denn sie schießen wahllos um sich und als wir auftauchen, stehen sie nur blöd da. Gemeinsam klettern wir aus dem Wasser, sind tropfnass und rennen sofort in das Dickicht um aus derer Blickfeld zu verschwinden. Als wir aus dem Gebüsch draußen sind sehen wir einen alten Bauernhof und wie uns jemand näher winkt. Wir denken nicht lange nach, laufen zu ihm hin und er hält uns eine Tür auf.
Schnell verschwinden wir und unser Retter folgt uns. Hat hinter sich die Tür geschlossen und Licht geht an. Wir sind in einem Stall, ein Auto steht jedoch dort und eine Frau tritt auf uns zu. Sie ist noch jung, hat ein langes Kleid an und ist schwanger. Sofort sehen wir, dass es Juden sind und der Mann lächelt.
„Offenbar braucht ihr Hilfe“, sagt die junge Frau und reicht uns trockene Kleidung.
„Zieht sie an und keine Angst. Hier seid ihr sicher“, meint der Mann, wir verschwinden einzeln hinter einer Boxenwand und ziehen uns um.
Die trockene Kleidung wärmt sofort meinen Körper und die nassen Sachen lassen wir liegen. Vor unseren Rettern bleiben wir stehen.
„Wir haben die Schüsse gehört und ich habe nachgeschaut. Im ersten Moment habe ich gedacht, ihr wurdet getroffen aber als ich euch dann im Wasser entdeckt habe, war ich erleichtert gewesen. Braucht ihr irgendetwas?“, fängt der Mann an, Paul und ich wechseln einen Blick und nicken.
„Wir sind auf der Flucht nach Amerika und müssen vorher nach Frankreich. Wir haben Fahrkarten für ein Schiff“, antworte ich und das Paar nickt verstehend.
„Wir brauchen ein Auto, damit wir bis dorthin kommen“, sagt Paul noch und der Mann lächelt.
„Ihr könnt das hier haben. Wir schenken es euch.“
„Eigentlich wollte wir es Ihnen abkaufen.“
„Das braucht ihr nicht. Wir sehen, dass ihr ein Paar seid und ein hohes Risiko eingeht. Schließlich seid ihr eine Deutsche und ein Jude. Eine verbotene Liebe“, mischt die Frau sich ein und wir werden rot.
Der Mann holt einen Schlüssel aus einer kleinen Kiste und reicht diese Paul.
„Er ist aufgetankt, drei Kanister sind hinten im Kofferraum und ihr solltet bis nach Frankreich kommen. Meidet jedoch möglichst die Städte wie Hamburg, denn dort sind die Soldaten haufenweise stationiert.“
„Vielen Dank für die Hilfe.“
Paul legt den Rucksack hinten auf die Rückbank und die Frau reicht uns noch eine große Reisetasche.
„Da drinnen ist etwas zu essen und etwas zu trinken für euch beide. Es wird eine Weile halten“, meint sie noch, ich stelle die Reisetasche neben den Rucksack ab und wir bedanken uns noch einmal.
Dann steigen wir in das Auto, Paul sitzt hinter dem Lenkrad und er startet den Motor. Wie eine Katze schnurrt dieser, wir nicken dem Pärchen zu und verlassen die Scheune. Sind nun auf dem Weg nach Frankreich.
„Wie Bonnie und Clyde“, bemerke ich nach einer Weile und beide müssen wir lachen.
Den ganzen Tag lang sind wir unterwegs und wie uns geraten wurde, meiden wir die Städte. Fahren nur durch Dörfer und auch hier sehen wir, was der Krieg angestellt hat. Heruntergekommene Häuser, Menschen versuchen zu überleben und kaum jemand ist auf der Straße. Alle haben Angst, verstecken sich und wollen nur noch überleben. Als der Tag sich seinem Ende neigt halten wir außerhalb vom Dorf an und steigen aus. Strecken uns und verschwinden hinter verschiedenen Büschen um uns zu erleichtern. Am Auto treffen wir uns wieder, holen uns etwas zu essen raus und in der Reisetasche sind viele belegte Brote. Wie die Frau das nur geschafft hat? Wir nehmen uns jeder einen Packen und füllen unseren Magen. „Wo sind wir jetzt eigentlich?“, frage ich Paul und schaue mich um.
„Wir sind weit gekommen und befinden uns im Harz. In der Nähe der Weser und morgen Früh fahren wir weiter Richtung Rhein. Bis dahin müssen wir es schaffen. Ansonsten halten wir in der Nähe von Frankfurt und übermorgen sollten wir die Grenze von Frankreich erreichen“, antwortet er mir, ich nicke und setze mich wieder ins Auto.
Mache es mir auf meinem Sitz bequem und gähne herzhaft. Auch Paul hat wieder platz genommen, streckt sich und dann schlafen wir auch schon ein. Mit halben Ohr lauschen wir jedoch den Geräuschen der Nacht und sind auf der Lauer. Doch alles verläuft ruhig und wir werden am nächsten Morgen vom Regen geweckt. Wie immer ist Paul als Erster wach, dreht sich nach hinten und holt etwas zu essen nach vorne.
„Wir schaffen es heute sicherlich noch und wenn ich bis spät in die Nacht fahren muss“, fängt er an, ich trinke einen Schluck von meinem Tee und schaue dem Regen zu.
„Ich frage mich wie es meiner Familie geht. Besonders meiner Mutter und meinem kleinen Bruder Ben“, seufze ich und verfolge die Tropfen auf der Windschutzscheibe.
„Ob ich dort mal anrufen sollte?“
„Das ist keine so gute Idee Anna. Es könnte abgehört werden oder die Soldaten sind im Haus und warten nur darauf, dass du diese Dummheit begehst. Sie wissen wie wichtig dir deine Familie ist.“
Ich atme tief durch, nicke verstehend und esse mein belegtes Brot. Trinke den Tee aus und setze mich aufrechter hin.
„Du hast recht. Die denken wahrscheinlich ich wäre so blöd und würde zu Hause anrufen. Aber das mache ich nicht. Ich bin dieses Risiko eingegangen dich zu befreien und mit dir zu fliehen, weil ich dich liebe.“
Paul lächelt, wendet sich mir zu und dreht mein Gesicht zu sich.
„Und ich liebe dich Anna. Ich will mit dir mein Leben verbringen“, haucht er an meinen Lippen und dann küsst er mich.
Erst sanft und vorsichtig und dann leidenschaftlicher. Alles kribbelt in mir, mein Herz schlägt schneller und ungeahnte Empfindungen kommen auf.
„Hast du schon mal mit einem Mann geschlafen?“, fragt mich Paul, ich öffne die Augen und werde rot.
„Nein. Du bist mein erster Freund“, gestehe ich und Paul lächelt.
„Wenn wir Ruhe haben, werde ich die mir zuteil gewordene Ehre annehmen Anna.“
Nun werde ich noch roter und Paul startet das Auto. Fährt weiter und wir schweigen während der Fahrt.
„Hast du schon mal mit jemanden geschlafen?“, frage ich ihn nach einer Weile und sehe den Scheibenwischern zu.
„Ja vor drei Jahren. Ich war 14, kurz vor meinem Geburtstag ist es passiert. Sie war 18 und sie hat sozusagen mich entjungfert. Danach ist sie verschwunden. Später habe ich erfahren, dass sie vergast wurde. Im KZ Buchenwald.“
„Das tut mir leid. War sie deine Freundin?“
Paul grinst und schüttelt mit dem Kopf.
„Nein sie war eher ein Verhältnis gewesen. Mehr nicht.“
„Ah ich verstehe.“
Ich sehe wieder aus dem Fenster, schweige und versuche die Landschaft zu erkennen.
Am späten Mittag halten wir vor dem Rhein und ich springe aus dem Auto da ich mir fast in die Hose mache. Das Lachen von Paul begleitet mich bis zu einem Busch und ich erleichtere mich dahinter. Danach komme ich wieder zu ihm und strecke ihm die Zunge raus.
„Sehr witzig! Ich musste mal dringend und es wäre fast schief gegangen“, sage ich und er prostet mir mit seinem Tee zu.
Plötzlich hören wir Geräusche die näher kommen, Paul steigt aus und Panzer erscheinen. Bleiben vor uns stehen und es sind keine Deutschen. Nein es sind Amerikaner, die eine Tür vom Panzer geht auf und ein Soldat schaut uns an. Klettert raus, tritt auf uns zu und bleibt vor uns stehen.
„Hey! Hier sind Kinder“, ruft er auf amerikanisch und andere Soldaten kommen zu uns. „Kannst du derer Sprache?“, fragt mich Paul und ich nicke.
„Und du?“
„Ja ich ebenfalls.“
Wir sehen die Soldaten an, diese reichen uns eine Thermoskanne und wir sollen etwas trinken.
„Was macht ihr hier? Wo sind eure Eltern?“, fragt uns der erste Soldat und wir sehen uns abermals an.
„Wir sind auf der Flucht nach Frankreich. Von dort aus wollen wir nach Dover und dann weiter nach Amerika. Unsere Liebe ist hier in Deutschland verboten weil er als Jude abgestempelt wurde und ich eine Deutsche bin.
Aber wir lieben uns und als sie ihn festgenommen haben, bin ich in der Nacht los um ihn zu retten. Wir wollen raus hier aus diesem Land und zu meinen Verwandten nach Amerika“, erkläre ich ihnen auf amerikanisch und diese verstehen uns.
„Dann geht ruhig. Wir sind hier um den Zeitpunkt abzuwarten um zuzuschlagen. Ihr sollt nicht mit hineingezogen werden“, meint der zweite Soldat und wir lächeln freundlich.
„Wir verstecken uns, warten auf Verstärkung und schlagen dann zu. Aber wartet.“
Der Soldat geht zu seinem Panzer, klettert kurz hinein und kommt dann wieder zu uns. Hat Hemden dabei und reicht sie uns.
„Zieht die hier an, sobald ihr in Frankreich seid.
Sicherlich habt ihr gefälschte Pässe dabei aber diese Hemden helfen euch weiter. Frankreich steht mit auf unserer Seite und werden euch auf das Schiff lassen“, erklärt er uns, wir packen die Hemden ein und ich umarmte ihn.
„Vielen vielen Dank. Macht dem Ganzen ein Ende. Bitte. Paul und ich wollen in Frieden leben und keine Angst mehr haben. Sie haben schon seine Familie mitgenommen“, flüstere ich und der Soldat nickt.
„Wir bereiten dem Ganzen ein Ende.“
Ich löse mich vom Soldaten, trete zurück und sie steigen alle wieder in ihre Panzer. Winken uns kurz zu und führen dann ihren Weg fort. Wir sehen ihnen nach, ich habe mich an Paul gelehnt und bin total erleichtert.
„Ich habe schon gedacht, wir sind gefunden wurden. Wie gestern“, sage ich schließlich, Paul stimmt mir zu und haucht mir einen Kuss auf das Haar.
„Wir werden jetzt erst einmal weiter fahren und dann suchen wir uns eine Bleibe. Vielleicht können wir in einem Hotel wohnen oder in einer Pension und uns waschen. Wir wollen doch nicht stinken“, erwidert er und ich kichere.
„Stimmt. Wir sollten dringend ein Bad nehmen, denn wir wollen ja nicht als Stinktiere auf das Schiff gehen“, stimme ich ihm zu und wir müssen beide lachen.
Ich hole etwas zu essen aus dem Rucksack, reiche Paul ebenfalls belegte Brote und stillschweigend stehen wir nebeneinander beim Auto.
Lauschen den Geräuschen der Natur und hängen unseren Gedanken nach.
„Bist du dir sicher, dass deine Familie tot ist?“, frage ich ihn nach einer Weile und trinke einen Schluck Tee hinterher.
„Nein bin ich nicht Anna. Aber ich habe das Gefühl, dass sie nicht mehr am Leben sind. Vielleicht werde ich sie eines Tages doch noch sehen oder erst, wenn ich tot bin.“
Ich merke das Paul traurig ist und hake nicht weiter nach. Selbst ich bin mir nicht sicher ob ich meine Familie je wieder sehe. Es ist noch nicht lange her wo ich Paul gerettet habe und wir beide dann weggerannt sind. Sozusagen zwei Tage. Oder fast. Paul kommt aus einem Gebüsch, hat sich offenbar erleichtert und schließt die hintere Tür des Autos.
Wirft einen Blick auf die Tankanzeige und nickt langsam.
„Ich denke wir schaffen es noch bis wir in Frankreich sind. Da können wir dann nach tanken.“ „Okay. Ich vertraue dir voll und ganz in der Sache Paul. Mein Vater hatte auch ein Auto gehabt und wir sind Sonntags immer raus aufs Land gefahren um zu Picknicken. Ich bin noch nie gefahren.“
„Wenn wir das Alles geschafft haben werde ich es dir beibringen. Versprochen.“
„Wow das ist ja klasse! Da freue ich mich schon jetzt“, erwidere ich, wir steigen ins Auto und sind kurz darauf wieder unterwegs.
Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, jedoch ist der Himmel bewölkt und sicherlich würde es bald wieder ein Regenguss geben. Am späten Nachmittag fahren wir etwas Abseits der Kontrollgrenze nach drüben und Paul hält an. Dreht sich zu mir um und lächelt. „Willkommen in Frankreich“, sagt er, küsst mich und mein Herz macht einen Hüpfer.
Jetzt sind wir in Sicherheit und niemand kann uns noch bekommen.
Wir haben es geschafft. Frankreich. Hier sind wir nun. Genauer gesagt sind wir in der Stadt Metz. Straßenlichter sind schon an und weißen uns den Weg durch die Stadt, damit wir eine Unterkunft finden. Und schon bald haben wir eine entdeckt. Halten dort an und steigen aus. Etwas unwohl ist mir schon, denn ich weiß nicht wie die Franzosen auf zwei Deutsche reagieren. Nicht das sie denken, wir spionieren sie aus und würden sie verraten. Paul ergreift meine Hand und drückt diese beruhigend.
„Wir haben doch die Hemden von den amerikanischen Soldaten. Diese ziehen wir an und dann schaffen wir es schon“, meint er, holt die zwei Hemden raus und wir ziehen diese über den Kopf.
Die amerikanische Flagge prangt auf dem linken Ärmel oben am Oberarm und jeder kann es sehen. Paul holt noch den Rucksack und die Reisetasche aus dem Auto, schließt dieses ab und wir betreten die Pension. Schummriges Licht erhellt einen kleinen Vorraum und ich kann eine Rezeption erkennen. Dahinter ist eine schon etwas ältere Frau, kleiner als Paul und pummelig. Sie hat angegrautes kurzes Haar und ihre blauen Augen mustern uns aufmerksam.
„Bonjour Monsieur et Madame! Puis-je les aider?“
Paul und ich schauen uns an und runzeln die Stirn.
„Ah Sie sind gar nischt Franzosen. Sie kommen aus Deutschland.“
Gemeinsam sehen wir zu der Frau und nicken langsam.
„Aber Sie aben amerikanische Emden an.“
Wie niedlich das klingt.
„Wir sind auf der Flucht vor der deutschen Macht und kommen auch aus Deutschland. Sind jedoch nur auf der Durchreise in Richtung Calais um von dort aus nach Dover zu reisen. Wir wollen nach Amerika“, erklärt Paul ihr und die Frau nickt verstehend.
„Dann brauchen Sie sischerlich eine Unterkunft. Isch abe noch ein S'immer frei. Für Sie beide. Ein Bades'immer ist ebenfalls dabei.“
Wir atmen erleichtert tief durch, die Frau wendet sich um und holt aus einem Regal einen Schlüssel. Reicht ihn Paul und wir sehen die Zimmernummer 5.
„Erste Etage und es kostet euch 10 Reichsmark“, fügt sie noch hinzu, ich bezahle das Zimmer und wir gehen eine alte Holztreppe hinauf.
In der ersten Etage steckt Paul den Schlüssel ins Schloss der Zimmertür Nummer 5 und sperrt auf. Als ich das Licht anmache zeigt es ein Zimmer mit einem Doppelbett, einem Schrank und einer weiteren Tür, welche zu einem Badezimmer führt. Paul schließt die Tür, stellt die Sachen ab und setzt sich auf das Bett.
„Nicht schlecht und für eine Nacht reicht das vollkommen aus. Morgen früh tanke ich das Auto auf und dann fahren wir nach Calais“, meint Paul, erhebt sich und zieht sich das Hemd aus.
Ich kann seinen Oberkörper zum ersten Mal sehen und finde ihn einfach nur wundervoll.
Er sieht trainiert aus, hat kein Gramm Fett am Körper und am liebsten würde ich ihn anfassen wollen. Doch traue ich mich das nicht, denn das ist eigentlich unzüchtig oder? Paul verschwindet im Badezimmer, schließt die Tür hinter sich und kurz darauf kann ich das Wasser rauschen hören. Ich packe derweil den Rucksack aus und schaue nach frischen Sachen. Finde ein paar Hosen, Hemden und auch Unterwäsche. Suche mir neue Unterwäsche, ein Hemd und eine Hose raus und warte dann geduldig, bis Paul fertig ist.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt er wieder ins Zimmer, hat ein Handtuch um die Hüften geschlungen und ich muss meinen Mund wieder zuklappen. Er sieht einfach umwerfend aus und so schön. Natürlich bleibt das bei Paul nicht unbemerkt und er wirft mir einen Blick zu. Ein Lächeln breitet sich über seine Lippen aus und das macht ihn noch süßer. Indem Moment frage ich mich, ob meine Mutter ebenfalls so gefühlt hatte, als sie meinen Vater kennenlernte. Mit Sechs Jahren hat sie es mir erzählt, woran ich mich gerne erinnere.
„Mama? Wie merkt man, dass man sich verliebt hat?“
„Du hast Schmetterlinge im Bauch und dein Herz schlägt schneller.“
„Und wenn man jemanden ganz dolle liebt, wie merkt man, dass man soweit ist um mit ihm zu schlafen?“
Röte zieht sich über Papas Gesicht und er versteckt sich hinter seiner Zeitung.
„Das merkst du einfach Prinzessin. Du fühlst das tief in dir drinnen und weist: jetzt ist es soweit.“
„Alles in Ordnung? Du siehst so nachdenklich aus.“
Paul holt mich in die Gegenwart zurück und ist leicht besorgt.
„Ja es geht mir gut. Ich werde jetzt baden.“
Mit einem hochroten Gesicht eile ich ins Badezimmer und schließe hinter mir die Tür. Lehne mich dagegen und atme tief durch. Mein Herz schlägt schneller als sonst in meiner Brust und ich habe mehr Schmetterlinge im Bauch als sonst. Jetzt ist es soweit. Ich weiß, dass ich bereit bin für mein erstes Mal. Doch würde Paul es auch wollen? Langsam entkleide ich mich, steige in das noch heiße Wasser und entspanne mich mit geschlossenen Augen. Die ganze Anspannung fällt von mir ab, zum ersten Mal fühle ich mich sicher und niemand wird uns hier finden.
Nach ein paar Minuten setze ich mich auf, nehme den Lappen und fange an den Dreck von meinem Körper zu waschen. Gehe dabei gründlich vor und sobald ich fertig bin, trockne ich mich gut ab. Nehme die Sachen und ziehe diese an. Eigentlich nur ein Hemd und das Höschen und so komme ich wieder ins Zimmer. Paul liegt im Bett, sieht zu mir rüber und ich werde leicht rot. Ein Kribbeln macht sich in meinem Körper breit, ich lege meine Hose und den BH auf einen Stuhl und krieche unter die Bettdecke zu Paul. Ein Bett. Ein schönes Bett. Hier kann ich in Ruhe schlafen und niemand wird uns stören. Als das Licht aus ist spüre ich Paul näher kommen und dann küssen wir uns.
Erst zaghaft, dann immer leidenschaftlicher und ich schlinge meine Arme um seinen Hals.
„Willst du wirklich Anna? Ich möchte dich zu nichts zwingen?“, fragt er mich flüsternd und ich kann ihn in der Dunkelheit ausmachen.
„Ja ich möchte wirklich mit dir schlafen“, antworte ich ihm, Paul lächelt und küsst mich wieder. Seine Hand gleitet unter mein Hemd, findet den Weg zu meinen Brüsten und er umfasst die Linke. Ein Schauer durchrieselt meinen Körper, ich bekomme eine Gänsehaut und will mehr haben. Paul massiert und knetet meine Brust, streicht über meine Brustwarze und diese stellt sich auf. Überall kribbelt es auf meiner Haut, meine Atmung geht schneller und mein Herz hat sich beschleunigt. Langsam zieht Paul mir das Hemd aus, halb nackt liege ich unter ihm und ich lächle, während seine Hände meinen Körper erkunden.
Es ist ein total neues Gefühl für mich, es tut mir gut und ich habe alles abgeschalten. Nur noch er und ich sind präsent. Die Decke ist von unseren Körper verschwunden, mit seinen Lippen erkundet er jede nackte Haut und ich fühle mich wie in einem Rausch. Alles ist viel empfindlicher, reizbarer. Paul hat seinen Slip ausgezogen und ist nun nackt. Sein erigierter Penis ist groß und ich befürchte schon, dass er nicht reinkommen wird. Paul hat sich zwischen meine Beine gelegt und küsst mich. Ich fühle die Spitze seines Penis an meiner Scheide und mache mich bereit für sein eindringen. Ganz langsam und sehr vorsichtig dringt er tiefer ein, trifft auf mein Jungfernhäutchen und ich entspanne mich.
Darf mich jetzt nicht verkrampfen. Paul zieht sich zurück, hat mich fast verlassen und dann dringt er mit einem einzigen Stoß tief in mich ein. Mein kurzer Schrei fängt er mit seinem Mund auf und küsst mich. Lässt mich erst einmal fühlen und es ist wie im Himmel. Wir sind eng miteinander verbunden, sehen uns an und ich lächle. Schlinge automatisch meine Beine um seine Hüften und meine Finger verkrallen sich in seinen Oberarmen. Dann fängt er an sich zu bewegen und wir küssen uns wieder. Lieben uns langsam, denn wir wollen es genießen und es gibt nichts schöneres als Sex mit dem Partner. Unser Keuchen vermischt sich miteinander, immer wieder füllt er mich aus und ich spüre, dass ich wie geschaffen bin für seinen Penis.
Sanft umschließen meine Muskeln seinen Penis, fangen an zu kontrahieren und er erhöht sein Tempo. Wird schneller, mittlerweile stöhnen wir und ein Ziehen in meinem Unterleib kündigt den herannahenden Höhepunkt an. Dieser bricht wie ein Orkan über uns Beide rein, ich bäume mich auf und werde in den Himmel katapultiert. Paul hat den Kopf in seinen Nacken gelegt, ist wie erstarrt und dann liegt er auf mir. Ich streiche liebevoll über seinen Rücken, höre seinen schnellen Atem und auch ich spüre, wie mein Herz in meiner Brust rast. Eng umschlungen warten wir bis der Höhepunkt abgeklungen ist, er zieht sich von mir zurück und lässt sich neben mir nieder.
Hat die Augen geschlossen und kleine Schweißperlen sind in der Dunkelheit auszumachen, welche auf seiner Stirn sind. Ich ziehe die Decke über uns, kuschle mich an ihn ran und bette meinen Kopf auf seinen Oberkörper. Seine Arme umschlingen mich und er hält mich fest. Haucht mir einen Kuss auf das Haar und streichelt über meinen Arm.
„Habe ich dir wehgetan?“, fragt er mich nach einer Weile, ich hebe den Kopf und lächle ihn an. „Schöner hätte ich mir mein erstes Mal nicht vorstellen können. Es war perfekt“, antworte ich ihm, gebe ihm einen Kuss auf diese weichen Lippen und sobald ich meinen Kopf wieder auf seinen Oberkörper gelegt habe, schlafe ich auch schon ein.
Am nächsten Morgen wachen wir beide gleichzeitig auf und ich merke, dass ich Muskelkater in den Beinen habe.
„Guten Morgen mein Liebling. Hast du gut geschlafen?“, fragt mich Paul, ich lächle und gebe ihm einen Kuss.
„Wunderbar! Ein Bett ist doch besser, als das Auto. Viel bequemer“, antworte ich ihm, stehe auf und sehe einen kleinen Blutfleck auf dem Bettlaken.
„Oje und wie erklären wir das den Besitzern?“, frage ich ihn, Paul sieht ebenfalls den Blutfleck und lächelt.
„Wir beziehen das Bett einfach neu und das Bettlaken lassen wir verschwinden“, antwortet er mir, ich kichere und ziehe mich an.
Habe keine Scheu mehr, dass er mich nackt sieht, denn ich fühle mich als richtige Frau.
Gemeinsam ziehen wir uns an, wechseln das Bettlaken aus und nehmen dann unsere Sachen, nachdem wir uns im Badezimmer auch noch einmal frisch gemacht haben. Hand in Hand gehen wir nach unten, reichen der Dame den Zimmerschlüssel und sie führt uns noch in einen kleinen Raum wo das Frühstück schon bereit steht. Am Tisch lassen wir uns nieder, trinken den frisch gekochten Kaffee und fangen an die Brötchen zu belegen.
„Wie weit werden wir heute kommen?“, frage ich Paul, beiße von meinem Marmeladenbrötchen ab und sehe ihn an.
„Wir schaffen es heute bis nach Calais. Es gibt eine Fähre von dort nach Dover, da ich mich mal erkundigt habe. Die Fahrkarten gelten dennoch ab Calais und in Dover ruhen wir uns erst einmal aus. Spätestens Morgen begeben wir uns auf das Schiff nach Amerika“, antwortet er mir und wir frühstücken in Ruhe weiter.
Bis wir draußen zwei SS-Soldaten sehen wie sie unser Auto inspizieren. Auch die ältere Frau hinter dem Tresen sieht das, winkt uns zu sich und als wir unsere Sachen genommen haben, führt sie uns durch eine Tür und wir kommen in einen Hinterhof.
„Ich lenke die Beiden ab und ihr macht, dass ihr wegkommt“, sagt sie und Paul wird ernst.
„Wir müssen das Auto noch auftanken sonst kommen wir nicht weit.“ Die Frau denkt nach und nickt. „Dann werde ich die Beiden gut ablenken, ihr tankt das Auto auf und verschwindet ganz schnell.“
Paul und ich nehmen uns an die Hand und die Frau verschwindet wieder nach drinnen. Leise laufen wir um das Haus herum, schauen nach und können erkennen, dass die beiden Soldaten nach drinnen verschwinden.
Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Geduckt rennt Paul zum Auto, holt den ersten Kanister raus und tankt das Auto neu auf. Er muss vorsichtig dabei sein, denn Benzin ist schnell entzündbar und wir wollen nicht, dass unser Auto in die Luft fliegt. Immer wieder schaut er zum Haus und vergewissert sich, dass die beiden Soldaten noch immer da drinnen sind. Ich stehe versteckt nahe am Haus und warte bis die Luft rein ist. Plötzlich packt mich jemand von hinten, hält mir den Mund zu und ich werde festgehalten.
„Shht! Wenn du einen Ton sagst, dann ist dein Judenfreund tot“, zischt mir eine Männerstimme ins Ohr und ich bin ganz starr.
Haben mich die Soldaten entdeckt? Ich werde weiter nach hinten gezerrt und kann mich nicht befreien. Habe mehr Angst um Paul als um mich.
Durch die Hintertür des Hauses werde ich hineingezogen und dann losgelassen. Ich wirble herum und sehe die zwei Soldaten an. Also doch die Beiden.
„Sag Bescheid, dass wir sie haben“, meint der mit der Glatze und der andere Große verschwindet. Ich habe mich an die Wand gepresst und sehe den Soldaten stur an. Dieser hat sich vor der Hintertür postiert und lässt mich nicht aus den Augen. Offenbar glaubt er, dass ich abhaue und das habe ich eigentlich auch vor. Doch die Angst um Paul lässt mich bleiben wo ich bin. Hoffentlich ahnt Paul etwas und haut ab nach Calais. Ich würde schon zurecht kommen. Der Lange kommt wieder und grinst.
„Der Führer weiß Bescheid und wir sollen sie zurück nach Deutschland bringen. Dieser Jude hat Fersengeld gegeben. Er ist mit dem Auto auf und davon“, erklärt er und der Glatzkopf nickt.
„Der wird schon noch eingefangen und dann geht es sofort ins KZ“, lacht er und der Lange stimmt in das Lachen mit ein.
Dann werde ich gepackt und durch diese Pension gezogen an der Rezeption vorbei. Der Glatzkopf vor mir und der Lange hinter mir. Ein dumpfer Aufschlag ist zu hören, wir bleiben stehen und drehen uns um. Der lange Soldat liegt am Boden, hat eine Blutlache unter seinem Kopf und er ist bewusstlos. Der Glatzkopf lässt mich los, zieht seine Waffe und schaut sich um. Doch niemand ist zu sehen.
Stirnrunzelnd beugt er sich zu seinem Kameraden runter, die Besitzerin schlägt ihm ebenfalls auf den Kopf und nun liegen beide auf dem Boden.
„Lauf petit! Dein Freund ischt schon Rischtung Calais gefa'ren“, sagt sie, ich nicke und verlasse eilig die Pension.
Nehme die Richtung in der Paul gefahren ist und renne so schnell ich kann. Noch nicht einmal 50 Meter weiter ertönt ein Pfiff und ich bleibe stehen. Schaue mich um und sehe ein Winken. Paul. Ich lächle, laufe auf ihn zu und stürze mich in seine Arme.
„Ich habe gedacht, ich sehe dich nie wieder“, flüstere ich und er streicht mir beruhigend über den Rücken.
„Ganz ruhig Anna. Ich bin schon vorgefahren und habe so getan als würde ich flüchten. Dem war aber nicht so gewesen. Ich wollte das Auto verstecken, zurück gehen und dich befreien“, beruhigt er mich, ich sehe ihn an und er küsst mich sanft.
„Die nette Dame hat mir geholfen. Sie hat die beiden Soldaten nieder geschlagen.“
Paul versteht, nimmt meine Hand und führt mich zum Auto, welches er schon mit Blättern und Zweigen verdeckt hat. Gemeinsam befreien wir das Auto von den ganzen Dingen, steigen ein und fahren weiter. Schweigen dabei und Paul macht das Radio an.
„Noch immer sind der Jude Paul Bakaloff und Anna Henß auf der Flucht. Ganz Deutschland sucht dieses Paar und jeder der sie zurück nach Deutschland zu Adolf Hitler bringt, bekommt 10.000 Reichsmark. Informanten zufolge sind sie auf dem Weg nach Calais in Frankreich“, ertönt die Stimme eines Deutschen und wir sehen uns kurz an.
Dann wird jedoch die Stimme gewechselt und ein französischer Sprecher ist zu hören. „Gebt dem Paar eine Chance. Lasst es nach Calais und beschützt es unterwegs. Deutschland muss aufgehalten werden. Die Alliierten sind schon auf dem Vormarsch.“
Gleichzeitig atmen wir tief durch und müssen dann lachen.
„Die Franzosen sind auf unserer Seite und helfen uns zu fliehen. Besser können wir es wirklich nicht haben“, sagt Paul und ich stimme ihm voll und ganz zu.
Wir brauchen ein bischen länger bis nach Calais, parken dann das Auto und steigen aus. Paul nimmt unsere gesamten Sachen, verschlingt meine Finger mit seinen und wir machen uns zu Fuß weiter auf den Weg zum Hafen. Unterwegs erscheinen Franzosen, bleiben am Wegesrand stehen und säumen uns den Weg. Links und Rechts, wir sehen uns neugierig um und ein Franzose winkt uns zu sich.
Wir bleiben vor ihm stehen, er hat einen Korb und reicht uns diesen.
„Frisches Essen für euch und auch etwas zu trinken. Das reicht bis nach England. Viel Glück. Sobald ihr in Dover seid, kann euch niemand mehr etwas antun. Und wenn ihr auf dem Schiff nach Amerika steht, könnt ihr eure Freiheit praktisch schon riechen“, erklärt er uns auf französisch und ich nehme den Korb entgegen.
„Vielen Dank Monsieur. Wir haben es auch fast geschafft“, bedanke ich mich, er verneigt sich vor mir und wir gehen weiter.
Ob deutsche Soldaten hinter dieser Mauer aus Menschen stehen und versuchen zu uns zu kommen, wissen wir nicht.
Wir wollen nur voran kommen und endlich fort sein. Weit weg und in Sicherheit. Meine Tante und mein Onkel wissen Bescheid und würden uns in Amerika dann entgegen nehmen. Endlich sehen wir von Weitem die Fähre, wir eilen regelrecht darauf zu und stellen uns mit an. Paul holt die Papiere raus, hält sie gut fest und auch die Fahrkarten. Wir stehen noch einmal eine halbe Stunde lang an, viele Franzosen fliehen auch und dann sind wir dran. Der Kontrolleur nimmt unsere Papiere und die Fahrkarten entgegen, schaut sie sich kurz an und nickt dann. Reicht sie an Paul zurück und wir betreten die Fähre.
Hinter uns wird abgesperrt, wir stellen die Sachen ab und drehen uns um. Dann geht die 90 minütige Fahrt los und Calais entfernt sich von uns immer weiter. Plötzlich spüre ich Erleichterung in meinem Herzen, atme tief durch und dann muss ich lachen. Befreit lachen und Paul stimmt mit ein. Hand in Hand stehen wir da und schon bald ist Calais verschwunden. Nun sind wir auf dem richtigen Weg nach Amerika um dort sicher aufgenommen zu werden.
Die Fahrt nach Dover verläuft richtig ruhig, wir haben uns einen gut geschützten Platz gesucht und nun essen wir etwas. Noch immer kann ich es nicht fassen, dass wir endlich raus sind. Raus aus Deutschland und auf den Weg nach England. Dabei sind doch erst ein paar Tage vergangen und ich frage mich, wie es meiner Familie geht. Ob meine Mutter und Ben ebenfalls fort sind? Wurden sie geschnappt und ins KZ gebracht? Viele wissen was in so einem Lager passiert, aber es gibt auch welche, die keinen blassen Schimmer haben. Juden erst recht nicht. Die werden einfach eingesammelt, in einen Zug gesetzt und dann dorthin gebracht. Was dann passiert kann man sich nicht vorstellen, aber mein Vater hat es mir erzählt.
Es gibt zwei Konzentrationslager soweit ich weiß. Eins in Auschwitz und eins im Buchenwald. Juden werden dorthin gebracht, sie müssen ihre wenigen Habseligkeiten abgeben und dann fürchten sie jeden Tag um ihr Leben. Kinder werden von den Eltern getrennt, werden zu medizinischen Versuchszwecken benutzt und den Ärzten ist es egal ob diese daran sterben oder nicht. Hauptsache sie können ihre Experimente machen. Meistens sind es kleine Kinder die darunter leiden müssen. Männer und Frauen werden entweder zum arbeiten gezwungen, hungern jedoch oder sie werden in die Gaskammer gesteckt. Auf engsten Raum stehen bis zu fast 200 Menschen drinnen und dann werden sie vergast.
Tag und Nacht raucht der Schornstein, denn die Leichen werden verbrannt und es muss schrecklich für die Menschen dort sein. Ich hatte nach diesen Erzählungen meines Vaters noch nächtelang Alpträume gehabt und finde es einfach nur grausam. Als ich Paul beim essen beobachte muss ich daran denken, dass es Glück im Unglück gewesen ist ihn gerettet zu haben. Wer weiß was mit ihm passiert wäre, wenn ich es nicht gemacht hätte. Mein Blick gleitet zu den anderen Fahrgästen und ein älterer Mann offenbar ein Deutscher, hat eine Zeitung in der Hand. Das Titelbild kann ich erkennen und es zeigt Sönke und seine Familie. Neugierig wie ich bin, gehe ich zu diesem Mann und lächle schüchtern.
„Entschuldigen Sie bitte, aber dürfte ich dann Ihre Zeitung kurz haben? Jedoch erst, wenn Sie fertig sind“, frage ich höflich, der Mann schaut zu mir auf und lächelt freundlich.
Sein Gesicht ist von Falten zerfurcht und er hat nur noch ein Auge.
„Sie können die Zeitung jetzt schon gerne haben, wenn Sie wollen junge Dame“, antwortet er mir, klappt die Zeitung zusammen und reicht sie mir.
Freundlich bedanke ich mich, gehe zu Paul zurück und schaue mir bei ihm das Titelbild an. Es zeigt Sönke und seine Eltern wie diese aus dem Haus gezerrt werden und innerlich triumphiere ich darüber. Die Schlagzeile sagt schon alles aus. „Verschwörer gegen den Führer geschnappt!“ Ich schlage Seite 3 auf und beginne den Artikel zu lesen.
„Am Mittwochabend wurde die Familie Müller von SS-Soldaten aus dem Haus geschafft, da der Verdacht sich bestätigt hatte. Herold Müller ehemaliger SS-Soldat hat einen Mordanschlag auf den Führer Adolf Hitler geplant und wollte es in der Nacht durchführen. Ihr 17- jähriger Sohn Sönke Müller wird zusammen mit seiner Mutter nach Auschwitz gebracht, während der Vater vor ein Schießkommando gestellt wird.“
„Die Gerechtigkeit siegt immer aber gemein ist das schon“, sage ich leise und Paul sieht mich an. Ich reiche ihm die Zeitung und er liest sich den Artikel ebenfalls durch.
„Mhm. Das ist doch dieser Junge der mich verpetzt und an Soldaten ausgeliefert hat“, fängt er an und reicht mir die Zeitung zurück.
„Ja das ist er gewesen. Jetzt sitzt er im KZ und läuft nicht mehr frei herum“, erwidere ich und mein Blick fällt auf einen weiteren Artikel. Ein Artikel über meine Familie. Sofort schlägt mein Herz vor Aufregung und Angst schneller und ich fange an zu lesen.
„Noch immer sind die Soldaten auf der Suche nach der 16-jährigen Anna Henß die seit Tagen auf der Flucht ist. Mit ihr ist es der 17-jährige Jude Paul Bakaloff dessen Eltern ins KZ Auschwitz gebracht wurden. Die Familie Henß ist seit der Flucht von Anna Henß spurlos verschwunden und sind bis jetzt nicht gesichtet wurden. Augenzeugen berichten die Familie sei ins Ausland geflüchtet. Dies wurde jedoch nicht bestätigt. Es ist ein Suchbefehl rausgegangen, dass die Familie umgehend gefunden werden soll, da ihnen die Einführung in ein KZ droht. Jeglicher Hinweis ist sofort den SS-Soldaten zu berichten.“
Ich klappe die Zeitung zusammen und reiche sie dem Mann zurück, der sie dankend annimmt. Lehne mich dann zurück und spüre die sanften Wellen des Meeres.
„Hast du noch etwas Interessantes gefunden?“
Die Frage von Paul reißt mich aus meinen tiefen Gedankengängen und ich wende mich ihm zu.
„Ja meine Familie ist auf der Flucht, wir werden gesucht und uns droht die Strafe in ein KZ gebracht zu werden. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, wie sich die Juden fühlen oder gefühlt haben“, antworte ich ihm leise und friemel an einem Faden meines Hemdes, welches sich gelöst hat.
Paul legt eine Hand auf meine und wir sehen uns an.
„Du bist eine wundervolle junge Dame Anna und riskierst alles nur um mir das Leben zu retten. Deiner Familie geht es sicherlich gut und sie sind bestimmt in Sicherheit. Ich liebe dich Anna und werde es mein Leben lang machen. Versprochen. Keine Andere wird jemals deinen Platz einnehmen, welcher in meinem Herzen ist“, beruhigt er mich, ich atme tief durch und lächle.
„Du hast recht Paul. Wir werden unseren Weg nach Amerika fortsetzen und dort bei meiner Tante und meinem Onkel leben können. Sie werden uns aufnehmen. Mein Onkel ist der große Bruder meiner Mutter und damals, kurz bevor Adolf Hitler an die Macht gekommen ist, mit meiner Tante geflüchtet. Sie haben versucht meine Eltern umzustimmen, aber diese wollten partout nicht mitkommen.
Also wuchs ich eben in einer nicht gerade schönen Welt auf. Daher sind sie erleichtert, dass ich nicht so stur bin wie mein Vater. Doch sicherlich hat er mittlerweile auch verstanden, dass es nie richtig gewesen ist und ist auch geflohen. Mit Mama und Ben.“
Paul lächelt und nickt.
„Ich freue mich schon deinen Onkel und deine Tante kennenzulernen. Sie sind sicherlich genauso wunderbare Engel wie deine Mutter.“
Ich schmunzle und atme tief durch. Dann erhebe ich mich und schaue mich um.
„Wir sind bald in Dover angekommen und dann haben wir noch zwei Stunden Zeit bis das Schiff ausläuft und nach Amerika fährt. Dann sind wir ungefähr 12 Tage auf dem Meer“, erklärt Paul mir und ich nicke verstehend.
„Du kennst dich ziemlich gut aus.“
„Ja ich habe mich mit dem Thema beschäftigt und zwar eingehend. Daher weiß ich das so genau. Oder fast genau.“
Ich lächle, lehne mich an ihn und wir sehen gemeinsam über das Meer.
Der Wind ist eher eine leichte Brise, bringt süßliche Wassertropfen mit und ich nehme ein Taschentuch um mir damit das Gesicht abzuwischen. Dasselbe mache ich bei Paul auch und wir küssen uns immer wieder. Müssen uns aber voneinander lösen, denn Dover ist nun zu sehen und wir wenden uns dieser Stadt zu. Zuerst ist sie klein, doch von Zeit zu Zeit wird sie immer größer und die Fähre steuert den Hafen an. Unsere Hände finden sich sofort, Paul hat vorher unsere Sachen hochgenommen und wir warten geduldig. Sobald die Fähre sozusagen angedockt ist, wird die Rampe raus geschoben und Menschenscharren drängen sich durch den Durchgang.
Wir reihen uns als Letzte ein, lassen uns Zeit und sobald wir festen Boden unter unseren Füßen spüren, atmen wir erleichtert tief durch. Jetzt sind wir vorerst in Sicherheit. Weit weg von Deutschland und wir wissen beide, dass die Engländer gegen Deutschland in den Kampf ziehen wollen. Die Alliierten treffen aufeinander, verbünden sich und wollen Adolf Hitler stürzen. Doch wir sind davon weit entfernt und können in aller Ruhe ohne Angst durch Dover gehen.
Text: Das meiste vom Inhalt entstammt meiner Fantasie. Informationen über dem zweiten Weltkrieg stammt aus dem Internet
Images: Cover wurde von Patrizia_G erstellt
Publication Date: 04-15-2015
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Dedication:
Dieses Buch widme ich all denen die meine Bücher sehr gerne lesen und ich hoffe, dass ihnen dieses Buch ebenfalls gefällt.