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Kapitel 1

Nun sitze ich also hier, mit meinen 17 Jahren, zwei schreiende, kleine Babys in meinen Armen, eins links, eins rechts. So schrecklich es sich für manche anhören mag, ehrlich gesagt finde ich, mein Leben ist besser als je zuvor. Ich könnte nicht glücklicher sein. Jetzt im Nachhinein bereue ich nichts mehr von dem, was passiert ist.

 

Ich habe vieles daraus gelernt, sehr vieles. Auch wenn am Anfang meine Welt völlig aus dem Ruder geraten war...

 

Ich war 16 - ja, sweet sixteen - und stand mit beiden Beinen fest im Leben. Es hätte nicht besser sein können: Ich hatte endlich meinen Abschluß in der Tasche, ich hatte Freunde, mit denen ich jeden Unsinn machen konnte, eine Familie, auf die man sich verlassen konnte. Alles war gut, bis zu diesem einen Tag....

 

Ich drehte den Schlüssel um und sperrte die Tür ab. So. Jetzt gab es nichts mehr, was mich aufhalten konnte, die geilste Zeit meines Lebens zu verbringen. Die Schule war geschafft, Party ohne Ende, und jetzt das Highlight des Jahres: die langersehnte Abschlussfahrt. So viele vor uns hatten sie schon hinter sich, und nun waren wir an der Reihe. Ich konnte es immer noch kaum fassen.

 

Gartentür zu, Au Revoir, geliebtes zuhause!

 

Meine beste Freundin Sabrina und ich hatten uns hoch und heilig geschworen, in Paris die beste Zeit unseres Lebens zu verbringen. Und jetzt war es endlich soweit.

Ich konnte sie schon an der Haltestelle für den Bus erkennen, der in wenigen Minuten kommen sollte. Der Bus nach Paris.

 

"Das wird die beste Zeit unseres Lebens, Ana! Wir müssen noch einmal so richtig die Sau rauslassen, bevor der Ernst des Lebens beginnt!"

"Der Ernst des Lebens - hört sich ja an wie eine Drohung."

"Naja, ist es ja auch in gewisser Weise, oder nicht?"

 

Mitten unter unserer Konversation hörte wir langsam die Geräusche des Buses.

 

"Auf nach Paris!", schrien wir beide monoton und winkten bereits den anderen im Bus entgegen. Nachdem wir unsere Koffer eingeladen hatten, stiegen wir ein und setzten uns zum Rest unserer Clique:

Da waren einmal Jessie und Tim, die schon eine gefühlte Ewigkeit ein Paar waren und meiner Meinung nach wirklich füreinander geschaffen waren. Daniel und Christina waren ebenfalls zusammen, auch sie begrüßten uns ebenso wie die anderen beiden mit lautem Geschrei.

 

Sabrina und ich nahmen vor Jessie und Tim Platz und stecken und beide Kopfhörer ins Ohr. Musik an, Welt aus. Ruhe. Schlaf. Davon werden wir in nächster eh kaum etwas abbekommen. Ich glaube, so ruhig war es noch nie, wenn wir mit der Schule unterwegs waren, stellte ich fest, als ich kurz meine Kopfhörer abnahm. Es war stockdunkel im Bus und es war mucksmäuschenstill. Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy und musste feststellen, dass ich bereits 6 Stunden geschlafen hatte, die Busstops miteinbezogen. Es war Punkt zwei Uhr.

 

"Aufwachen, du Schlafsack!", war das erste, das ich am nächsten Morgen zu hören bekam. Typisch Sabrina! Ich grinste sie verschlafen an und streckte mich.

"Wo sind wir?"

"Weiß ich nicht, aber in 20 Minuten sind wir in Paris.", antwortete mir Daniel.

"Was? Wie lange habe ich denn geschlafen?"

Die anderen lachten über meinen schockierten Gesichtsausdruck. War ja klar.

Zwanzig Minuten später kam der Bus zum stehen. "Sie haben Ihr Ziel erreicht."

Der erste Schritt auf französischen Boden ließ ihn mir sämtliche Glücksgefühle hervorsprudeln. Ich wollte schon als kleines Kind immer mal nach Frankreich. Und jetzt war ich ENDLICH da.

Oh nein... Jake... auf den hätte ich auch verzichten können. Obermacho Nummer 1 am Collage. Der hat mindestens schon die Hälfte aller Mädchen unserer Jahrgangsstufe durch. Ich verstehe einfach nicht, wie man einem solchen vertrauen kann, wenn man weiß, welchen Ruf er an unserer Schule hat. Aber anscheinend sehen es seine Ex-Freundinnen als Ehre an, ein weiterer Name auf seiner Liste zu sein. Ich verstehs einfach nicht.

Wir luden unsere Koffer aus und marschierten alle ins Empfangsportal unseres Hotels ein. Es hatte einen leicht tropischen Touch, aber mir gefiel es.

 

Nachdem schließlich auch Sabrina und ich unsere Zimmerschlüssel erhalten hatten, begaben wir uns direkt dorthin und warfen uns erstmal auf Bett. Nach 5 Minuten Durchschnaufen packte ich das Kissen neben mir und schlug es Sabrina ins Gesicht.

"Hey, das bekommst du zurück!", brüllte sie, und die legendäre Kissenschlacht hatte begonnen.

"Stop! Schau mal aus dem Fenster. Hast du je so eine geile Aussicht gesehen? Das ist ja unglaublich!"

Das war wieder mal typisch Sabrina. Nach einer halben Ewigkeit fallen ihr manchmal erst manche Dinge auf. Wie jetzt gerade zum Beispiel.

Als sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte, war es bereits kurz vor halb sieben. In fünf Minuten mussten wir wieder in der Empfangshalle sein.

Kapitel 2

"Um 23 Uhr will ich euch alle wieder auf euren Zimmern sehen. Ihr seit noch nicht volljährig, ich habe die Aufsicht über euch. Trinkt nicht allzu viel! Sollte jemand gegen die Regeln verstoßen, gehts auf direktem Weg wieder zurück nach Hause. Verstanden?"

Nachdem unser Klassenlehrer gefühlt zum 20. Mal die Regeln bekannt gegeben hatte, gingen wir alle gemeinsam zum Abendessen.Es gab fritierte Weinbergschnecken.Die ganzen Tussis bekamen nicht einen Bissen davon runter, während ich und Sabrina die Teile bis zum Abwinken verschlangen.

"Hey, was machen wir denn heute noch?"

"Uns einen ansaufen natürlich, ich hab da schon so ein Lokal in unserer Umgebung gesehen. Ich will da unbedingt rein."

Typisch Daniel. Immer Party, immer Saufen.

Meinetwegen. Wir wollten ja alle ein bisschen Spaß haben.

"Ok. Wann und wo treffen wir uns?"

"Um acht vor dem Eingang?"

"Um acht vor dem Eingang. Bis später."

 

Sabi und ich gingen wieder aufs Zimmer, um uns noch ein wenig hübsch zu machen. Wer weiß, vielleicht würden uns ja ein paar nette Jungs über den Weg laufen...

 

Mit Mascara, Kajal und Lipgloss im Gesicht, unseren fetzigsten Partyklamotten und guter Laune machten wir uns auf den Weg zum Rest unserer Clique. Und dann zogen wir auch schon los.

Das besagte Lokal hieß "La bum"und sah von außen schon mal nicht schlecht aus. Lichter in allen Farben blinkten wie in den Casinos in Las Vegas.

 

Nachdem wir an den Türstehern vorbei waren, konnten wir unseren Augen nicht trauen: Menschen überall, laute Musik, heiße Luft, geile Stimmung... wie für uns gemacht!

Wir stürmten sofort auf die Tanzfläche und bewegten uns im Takt. Die Musik war so laut, dass man sich kaum unterhalten konnte.

 

Nach ein wenig Tanzen gingen wir auch schon das erste Mal zur Bar.Daniel bestellte für uns alle einen Scotch, den wir im Nu hinunterspülten. Doch es blieb nicht nur bei einem. Aus einem wurden zwei, aus zwei wurden drei...

Puh, schön langsam wurde mir echt heiß.

 

Wir tanzten alle wieder ein wenig und ließen die Sau raus wie noch nie zuvor. Zum Glück kannte uns hier niemand, das würde sonst peinlich werden.

 

Oh nein! Zu früh gefreut. Ein Blick nach rechts und ich blicke direkt in Jakes braune Augen. Der hatte jetzt gerade noch gefehlt. Und seine Kumpels waren auch noch dabei. Hilfe!

Aber ich wollte mir von DEM meine Stimmung auf keinen Fall vermiesen lassen. Also fragte ich Sabrina und die anderen, ob wir noch eine Runde trinken. Wodka war diesmal an der Reihe.

Ich musste zugeben, ich hatte noch nie so viel auf einmal innerhalb so kurzer Zeit getrunken.

Mein Gleichgewichtssinn fing langsam an zu taumeln. Ich stützte mich kurz an Sabrinas Schulter, die mich fragte, ob alles in Ordnung sei."Okay okay, alles gut. Mach dir um mich keine Sorgen."

Und noch ein Wodka.

Und noch einer.

Noch mehr Menschen.

Noch heißer.

Ich musste mich schwer darauf konzentrieren, mich nicht mitten auf der Tanzfläche zu übergeben. Das wäre ja mal RICHTIG PEINLICH.

Als mein Magen immer mehr rebellierte und sich weigerte, seinen Inhalt zu behalten, rannte ich verzweifelt ohne Rücksicht auf die anderen auf die Toilette.

Oh nein!

Eine riesige Menschenschlange.

So lange konnte ich es unmöglich noch in mir behalten.

Jungentoilette. Geh auf die Jungentoilette.

Mein Unterbewusstsein redete mir weiterhin ein.

Okay okay, Jungentoilette.

Ja, sieht doch schon mal besser aus.

Ich stürzte taumelnd zur nächstgelegenen Schüssel und sank zu Boden. Die alkoholhaltige Kotze stieg meine Speiseröhre hoch und spritzte ins Klo.

Und schon gings mir wieder viel besser.

Es gab da nur noch ein Problem: Mein Kreislauf.

Mir wurde urplötzlich immer schummriger vor den Augen und ich konnte kein klares Bild mehr erkennen.

Nein! Jetzt bloß nicht in Ohnmacht fallen! Die anderen finden mich hier nie! Scheiße, scheiße, scheiße. Ich hätte wenigstens Sabrina Bescheid geben können. Aber zu spät.

Was passiert hier mit mir...

Ich habe es definitiv übertrieben mit dem Trinken.

Mir wurde schwarz vor Augen und schon war ich weg vom Fenster.

Kapitel 3

Hmm. Aah, mein Kopf schmerzte. Und mir war kotzübel. Wo war ich? Alles um mich herum war alles dunkel. Scheiße. Was war passiert? Wo waren Sabrina und die anderen? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern, außer dass wir letzte Nacht alle zusammen in dieses eine Lokal gegangen sind.

Aber warum zur Hölle liege ich irgendwo im Nirvana in einem fremden Bett, es ist dunkel, und ich bin allein? Irgendwas stimmte hier nicht. Und ich war gerade schwer dabei herauszufinden, was.

Ich tastete mich langsam und orientierungslos durch das unbekannte Dunkle und schaltete das Licht ein, nachdem ich mindestens fünfmal gegen eine Wand gerannt war.

Ein erster Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst halb sechs war.

Beim zweiten Blick stockte mir der Atem: Ich war diese Nacht anscheinend nicht allein gewesen.

Neben wir im Doppelbett lag JAKE ! Jake?! Mein allerschlimmster Erzfeind, den ich aus tiefster Seele verabscheute, der den berühmt berüchtigten Ruf DES Machos schlechthin trägt und jede ins Bett bringt, die er haben will.

So etwas wie MICH will er sicher nicht, in seinem ganzen Leben nicht. NEVER. Und da war ich auch froh drum. Woher ich das so sicher wusste? Er hatte es mir letztens vor seiner ganzen Meute an Exen ins Gesicht geworfen. Peinlich, peinlich...

 

Ich ging im Kreis und dachte haarscharf nach. Warum war ich hier und nicht bei Sabrina und den anderen. Keinen Plan.

 

Ou. SHIT.

 

Jake bewegte sich. Langsam streckte er seine Arme und gähnte müde vor sich hin. Als er schließlich seine Augen öffnete, musste er selbst erst zweimal hinsehen, als er mich erblickte.

Ich ergriff schlagartig die Initiative.

"Was zum Teufel mache ich hier?! Kannst du mir das erklären?!!"

Ich herrschte ihn an, so aufgebracht und verwirrt wie noch nie jemanden zuvor. Ich wusste gar nicht, dass ich das so dermaßen drauf hatte.

Er sagte nichts. Er schlug sich nur reflexartig die Hand aufs Gesicht.

Nach einer Weile antwortete er mir endlich:

"Du weißt es wirklich nicht mehr?"

"Nein, was sollte ich denn alles wissen?"

"Sag mir zuerst was du noch alles weißt."

"Jake... ich will wissen warum ich hier bin verdammt noch mal!"

"Ich versuchs ja es dir gerade zu erklären aber du antwortest mir ja nicht."

 

Stille.

 

"Na schön. Da waren zuerst Sabrina, Daniel, Christina, Jess, Tim und ich im Hotel und wir sind losgezogen in dieses "La Bum". Das wars."

Er schaute mich erstaunt an.

"Was?! Du weißt sonst nichts mehr? Du hast ja wirklich einen kompletten Filmriss."

"Filmriss? Was redest du da? Sag bloß, ich hab etwas getrunken..."

"Um genau zu sein, Shots und Whiskey... wie viel weiß ich nicht. Aber ich hab euch ab und zu beobachtet."

"Okay okay. Ich war also anscheinend ziemlich betrunken."

"Oh ja, und wie. Ich hab dich gefunden, auf der Toilette. Ich wollte eigentlich schon gehen, aber dann sah ich dich da liegen und wusste nicht, wo deine Freude waren..."

"Was? Du bist mir ins Klo gefolgt? Sag mal gehts noch?!"

"Äh nein... du bist am Boden gelegen, in der Jugentoilette, in deiner eigenen Kotze. Und ich hab dich dann mitgenommen, weils doch schon spät war und liegen lassen wollte ich dich nicht, wie schon gesagt."

Ich war verwirrt. Jungentoilette? Kotze? Ich?

 

Er redete weiter.

"Ich hab dich dann jedenfalls in deinem Vollrausch zurück ins Hotel getragen und dich unbemerkt zu mir aufs Zimmer gebracht, weil es schon so spät war. Dann hab ich dich ins Bett gelegt."

Sollte ich ihm jetzt danken, dafür, dass er mich nicht im Klo in irgendeiner Diskothek vergammeln ließ? Mein Unterbewusstsein redete mir ein, ich sollte es anstandshalber tun, trotz dem dass er mein Erzfeind war.

"Danke."

 

"Nichts zu danken. Gern geschehen.", antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln in die Luft.

Ich war skeptisch.

"Ich geh dann mal lieber, bevor noch jemand kommt und denkt, ich bin die nächste in deiner Sammlung."

Kommentarlos machte ich mich aus dem Staub.

 

Ich konnte es immer noch nicht fassen.

Besoffen in meiner eigenen Kotze bin ich eingeschlafen und er hat mich zurück ins Hotel gebracht.

Hoffentlich waren die anderen auch wieder alle da.

Aber das würde ich ja mit Sicherheit gleich sehen.

 

Als ich mein Stockwerk erreicht hatte und durch meine geöffnete Zimmertür durchging, stellte ich erleichtert fest, dass Sabrina tief und fest in ihrem Bett lag und schlief. Dem Himmel sei Dank! Die anderen mussten also wohl auch alle sicher und wohlbehalten wieder von unserer nächtlichen Expedition zurückgekehrt sein.

Puh! Gerade noch einmal gutgegangen.

Ich legte mich jetzt auf alle Fälle erst einmal noch ein wenig schlafen, bevor wir wieder aufstehen mussten.

Kapitel 4

Und schon klingelte auch schon wieder der Wecker. Arrrgh! Ich packte mein Kissen und hielt mir damit meine Ohren zu. 

 

Mir war nach wie vor zum Kotzen zu Mute. Trotz alldem bewegte ich meinen Arsch langsam und gemächlich zu Sabrinas Bett und forderte sie auf, endlich aufzustehen. 

 

"Neiiiin, lass mich schlafen, ich will nicht..."

 

"Sabrina!"

 

"Ana, bitte..."

 

"Wir müssen in 10 Minuten beim Frühstück sein! Und ich muss zuerst noch mit dir reden! Es ist wichtig."

 

Als sie endlich aufgestanden war schilderte ich ihr die Ereignisse der letzten Nacht in Kurzfassung und musste feststellen, dass sie sich sich an wesentlich mehr erinnern konnte als ich.

 

"Ja, auf einmal da warst du plötzlich weg und wir wollten schön langsam wieder zurück. Wir haben dich überall gesucht. Als wir dich nicht finden konnten, dachten wir, du seist vielleicht aus irgendeinem Grund schon alleine zurückgegangen. Wir hätten niemals ahnen können, dass du ohnmächtig im Vollrausch auf dem Boden des Männerklos liegst."

 

"Ou mann. Zum Glück ist noch mal alles gut ausgegangen und Jake hat mich gefunden. Womöglich wäre ich noch einem Pedo zum Opfer gefallen, der mit mir alles angestellt hätte, wozu ihm der Sinn stand."

 

"Ja, womöglich. Ich denke, heute Abend lassen wir es etwas ruhiger angehen. Ich will dich nicht nochmal in so eine Situation bringen."

 

"Mmh du hast recht. Komm gehen wir zum Frühstück. Mal sehen wie's den anderen so geht. Ich brauche jetzt jedenfalls erst mal etwas zu essen, damit ich nicht gleich an Ort und Stelle hier hinkotze."

 

Zu spät. Noch bevor wir den Speisesaal betraten, musste ich mich im nächstbesten Mülleimer übergeben. Mein Magen wollte sich einfach nicht mehr beruhigen. Ich glaube, so schlimm wie an diesem Tag ist es mir bis dahin noch nie ergangen, nachdem ich etwas getrunken hatte.

 

"Alles ok?"

 

"Jaja, geht schon. War nur ein wenig viel gestern."

 

"Okay, das vergeht schon wieder."

 

"Ja, hoffentlich ziemlich bald, ich habe eigentlich nicht geplant heute vom Eiffelturm herabzukotzen. Das möchte ich den armen Touristen wirklich ersparen."

 

Sabrina lachte. 

 

Heute stand eine große Sightseeingtour an. Die zwei bekanntesten Sehenswürdigkeiten, die wir heute besichtigen würden, waren mit Abstand der Eiffelturm und das Louvre. 

Mein absolutes Highlight war definitv der Eiffelturm!

 

Nach dem Frühstück gingen wir auch schon zur Metro und steuerten die erste Station an. Den Eiffelturm.

 

"Woooooouuuu... schau mal, Ana! Da drüben ist er! Wahnsinn ich hätte niemals gedacht, dass der so groß ist! Groß schon, aber gleich sooo groß?! Wahnsinn!"

 

Wir stiegen aus, kauften Tickets und fuhren auch gleich mit dem Aufzug nach oben. Durch die Glastür konnte man zusehen, wie der Abstand zum Boden immer größer wurde. Oben angekommen war der Ausblick wirklich atemberaubend! Man konnte die gesamte Skyline von Paris sehen.

Nach einem kurzen Selfie-Shooting und ein wenig Aufenthalt in den Geschäften fuhren wir wieder nach unten und machten uns auf den Weg Richtung Louvre. 

Wie nicht anders zu erwarten, sahen wir die Mona Lisa und viele weitere bedeutende Kunstwerke. 

 

(Ich bin mir sicher, unseren Kunstlehrer Herrn Öll. hätte das wesentlich mehr interessiert wie mich. Ich hätte ihm gerne meine Eintrittskarte spendiert, aber leider musste er sich ja gerade an unserer Schule mit den neuesten technischen Erfindungen wie dem Internet beschäftigen und die Schüler davon überzeugen, dass man ohne Kunst nicht existieren kann. Jaja, Menschen gibts man glaubt es kaum.)

 

Nach dem Sightseeing-Teil hatten wir noch Zeit zur freien Verfügung, in der Sabrina und ich gefühlt die halbe Stadt leerkaufen.

 

Am Abend kehrten wir dann wieder ins Hotel zurück und ließen es wesentlich ruhiger angehen als am Vortag. Wir chillten einfach nur in unseren Zimmern und redeten. Hauptthema war nach wie vor der letzte Abend.

 

Der restliche Teil unserer Abschlussfahrt war eigentlich nicht mehr so spektakulär: Nein, nicht dass es mir nicht gefallen hätte, es war wunderschön. Aber es kam zu keinem größeren Ereignis mehr, das zu erwähnen wäre. 

 

Und wie im Flug war unsere Zeit in Paris auch schon wieder vorbei. Die Sache mit dem Feiern hatten wir definitiv abgehakt, auch wenn alles ein wenig aus dem Ruder lief und es nur ein Abend war. Aber den zweiten würden wir sicher zu Hause in nächster Zeit nachholen.

 

Wir stiegen in den Bus und verließen somit wieder den französischen Boden unter unseren Füßen. Au revoir, Paris! Wer weiß, vielleicht war es nicht das letzte mal, dass wir hier herkommen würden...

 

Kapitel 5

 

Die Busfahrt war überstanden und ich war bereits wieder vor meinem Zuhause.

Ich sperrte die Tür auf und konnte bereits Stimmen hören.
Meine Eltern. Es hörte sich nicht gerade gut an. Genauer gesagt eher nach einem richtig heftigen Streit. Das kam äußerst selten vor, bei Mam und Dad. Irgendwas war hier faul, soviel stand fest.
Da kommt man mit guter Laune aus Paris zurück und schon ist die Stimmung wieder im Keller...

 

"Ach ja, dann geh doch! Hau ab, ich werde dich nicht vermissen! Geh doch zu deiner blonden Tussi!"

"Katharina, jetzt glaub mir doch endlich! Ich hatte nichts mit der und ich werde auch nie etwas mit ihr haben, so einfach ist das! Aber du bist da ja anderer Meinung."

 

"Ja, allerdings. Und warum um alles in der Welt hast du ihr dann mit "Schatzi" geantwortet, hmm? Kannst du mir das erklären? Es ist aus, vorbei, auf nimmer Wiedersehen! Mach dir noch eine schöne Zeit mit Blondie!"

Mit Tränen in den Augen sah ich meine Mutter ins Schlafzimmer flüchten. Ich stand weiterhin fassungslos im Flur und mir klappte die Kinnlade herunter. Es kam mir alles vor wie aus einem schlechten Film: Heile Welt, und dann das Disaster... wie es doch immer ist im Leben.

 

Von der Situation überfordert rannte ich erst einmal in mein Zimmer und setzte mich aufs Bett. Was war das da draußen gerade? Mein Vater hatte eine Neue? Nein, das konnte nicht wahr sein. Das DURFTE einfach nicht wahr sein.


Meine Familie war perfekt so wie sie ist, es konnte gar keine bessere geben.
Wir waren wie die Familie aus dem Bilderbuch, so wie es sich jeder wünscht: Mein Dad, meine Mam, mein kleiner Bruder Joe, und ich.
Aber auch in der schönsten Geschichte zerplatzt der Traum irgendwann...

Joe. Joe! Ich musste zu Joe gehen um zu fragen, was genau passiert war.

 

"Joe? Bist du da?"

Ich öffnete die Tür und sah meinen kleinen Bruder tränenübersät auf seinem Bett sitzen.

"Joe... Was ist mit Mam und Dad los? Hör auf zu weinen, das macht es auch nicht besser..."

"Da..Dad...", schluchzte er, "er will Mam anscheinend nicht mehr."

 

Oh shit. Noch einer der meine böse Vermutung bestätigte.

Ich konnte es nicht fassen.

 

Ohne Worte ging ich wieder zurück in mein Zimmer und legte mich in mein Bett, in der Hoffnung am nächsten Morgen aufzuwachen und zu realisieren, dass alles nur ein böser Traum war...

Aber so war es nicht:


Am nächsten Tag ging ich zum Frühstücken in die Küche.
Auf dem Esstisch lag ein Zettel:

"Schönes Leben noch mit Blondie, Mike.
Und tut mir leid, Ana und Joe. Ihr wisst, wo ihr mich erreichen könnt. Ihr könnt mich jederzeit anrufen, ich bin immer für euch da. In Liebe, eure Mam."

 

Sie war wirklich weg. Einfach weg. Ohne ein Wort zu sagen. Sie hätte es wenigstens UNS sagen können, aber der Abschiedsschmerz wäre zu groß gewesen. Vor allem bei ihrem Liebling Joe. Er war ein wirkliches Wunschkind gewesen.

 

Im Gegensatz zu mir:
Meine Mutter hat mir als ich 15 Jahrealt war erzählt, dass ich eigentlich nur aus Zufall entstanden sei.
Was aber nicht hieß, dass sie mich nicht wollte. Ich war nur nicht geplant gewesen, vor allem so früh. Meine Mutter war 18, als sie mich bekam. Aber sie ist jede Sekunde froh darüber, mich nicht abgetrieben zu haben, auch wenn ich ihr am Anfang ziemlich auf die Nerven ging. Kurz gesagt, ich war eigentlich ein Unfall. Ein Unfall, der überlebt hat.

 

Langsam spürte ich die pure Wut in mir aufkochen. Sie konnte uns doch jetzt nicht einfach so im Stich lassen! Ich am Anfang meiner Ausbildung, Joe in der sechsten Klasse. Wie sollten wir das schaffen ohne sie? Wir waren ja schon überfordert, als sie mit ihren Freundinnen drei Tage weg war. Es war einfach unmöglich ohne sie...

Ganz ehrlich, die Lust zum Frühstücken war mir jetzt vergangen. Mir wurde ganz flau im Magen. Ich ging wieder hoch in mein Zimmer und schrieb Sabrina, was passiert war.

Na toll, immer wenn man mal jemanden wirklich dringend braucht, hat er gerade keine Zeit.
Typisch.

Ich lehnte mich an die Wand und hörte Schritte über den Flur näher kommen. Abrupt ging ich wieder hinaus und sah meinen Vater.

"Hey... hör mal, das ist..."

"Das ist, ja, was ist es? Nicht so wie es sich anhört? Oh doch und wie es das ist! Ich habe Mam schon Ewigkeiten nicht mehr weinen sehen, das letzte Mal an das ich mich erinnern kann war, als sie von Joe schwanger war, und das wegen der Hormone! Ich stehe voll und ganz hinter Mam, sie erzählt immer die Wahrheit, und wenn ich immer sage, dann meine ich auch immer! Also spar dir deine Ausreden für Joe auf, vielleicht glaubt er dir ja. Ich jedenfalls nicht."

 

Ich musste meinen ganzen Frust und Zorn, den ich in mir hatte rauslassen, um mich wieder besser zu fühlen.

"Hör mal"... ja, mit sowas konnte er vielleicht vor fünf Jahren angelaufen kommen, aber nicht jetzt.

Ich schlüpfte in meine weißen Converse an und zog eine dünne Weste an, dann ging ich ein wenig an die frische Luft, um wieder ein wenig klarer im Kopf zu werden.




Kapitel 6

 

Es fing an zu regnen. Ich war gerade am Spielplatz angelangt und suchte mir einen Unterschlupf.
In einem kleinen Tunnel fand ich schließlich Schutz vor dem kalten Nass und kauerte mich zusammen. Mir war kalt und ich zitterte. Ich ließ meinen Kopf in den Schoß sinken und fing an zu weinen. Warum hatte uns das meine Mutter angetan?
Warum?

 

Als sich der Regen wieder halbwegs eingestellt hatte, kroch ich aus dem Tunnel hervor und machte mich auf den Weg zu Sabrina. Ich wollte nicht mehr nach Hause. Nicht, wenn meine Mutter ausgezogen war. Kurz kam mir mein Bruder in den Sinn, aber er würde das schon aushalten, bis ich wieder zurückkam.

Vor ihrem Haus angekommen drückte ich die Klingel und fiel kurze Zeit später meiner besten Freundin um den Hals. Irritiert fragte sie mich, was los sei, als mir einfiel, dass sie noch gar nichts vom gestrigen Vorfall wusste. Ich klärte sie auf und sie war genau so mitgerissen wie ich. Sabrina bot mir an, ich könnte erst mal einige Zeit bei ihr bleiben, zumindest solange, bis meine Ausbildung begann. Denn spätestens dann würde ich wohl oder übel wieder nach Hause müssen.

 

Ich zog mir erstmal eine trockenes Tshirt von Sabrina an und setzte mich neben sie ins Bett. Danach schalteten wir den Fernseher ein und sahen den restlichen Tag alle möglichen Serien an. Dadurch konnte ich wenigstens eine Zeit lang meine Probleme vergessen.

 

Der nächste Morgen fing genauso schlecht an wie der Tag zuvor:
Diesmal fand ich zwar keine schlechten Neuigkeiten auf dem Küchentisch, aber die Toilette bekam meinen gesamten Mageninhalt ab.

 

Sabrina fragte mich, ob's mir gut geht oder ob ich krank bin, aber ich erklärte ihr nur, dass das in letzter Zeit öfter der Fall sei. Sie meinte ich sollte mal zum Arzt gehen, aber ich lehnte ihr Angebot ab.

Ich blieb einige Tage bei ihr, mein Vater meldete sich kein einziges Mal bei mir, vielleicht wusste er auch gar nicht wusste, wo ich war, aber dass war mir ehrlich gesagt scheiß egal. Er hatte ja auch keine Rücksicht auf Mam genommen sondern mit Blondie rumgemacht oder was auch immer. Wie du mir, so ich dir!

 

Als dann die Zeit gekommen war, wo ich doch wieder nach Hause musste, öffnete mir mein Vater die Tür. Zornerfüllt herrschte er mich an, warum ich einfach abgehaut sei ohne ein Wort zu sagen, ich ignorierte ihn aber gekonnt und schlug mit einem lauten Geräusch meine Zimmertür zu ohne Rücksicht auf Verluste.

Ich fühlte mich gerade einfach nur leer. Ja, leer mit zwei e, und ich konnte nichts dagegen tun. Das Leben war scheiße. Aber ich war eine Kämpferin. Und würde es auch immer sein. Auch wenn ich draufegehe, ich kämpfe bis zum Ende. Als Unfall meiner Mutter habe ich ja schließlich auch überlebt.

 

Und wenn ich in nächster Zeit meine Ausbildung als Designerin anfange, werde ich mir nichts mehr anmerken lassen, von dem was passiert ist. Es würde wieder alles besser werden. Auch wenn es gerade nicht danach aussah.
Nur die Starken überleben, das war schon immer so. Und nun musste ich beweisen, dass ich auch zu den Starken gehörte...






Kapitel 7

 

Ja, ich hatte es geschafft! Mein erstes, selbst kreiertes Teil war fertig! Es war eine Art Jumpsuit, nur ein wenig variiert.
Die Ausbildung als Designerin machte mir einen Riesenspaß.
Ich war nun bereits einen Monat dabei und hatte noch genauso viel Freude dabei wie am ersten Tag.

Sabrina war ebenso wie ich begeistert von meiner Modeschöpfung.

Im Beruf lief alles super, in der Gesundheit sah es dagegen weniger prickelnd aus. Meine morgendlichen Kotzanfälle seit der Abschlussfahrt hatten sich immer noch nicht gelegt.
Sabrina hatte den Verdacht, dass ich Schäden von meinem Vollrausch davongetragen hatte. Ich hoffte schwer, dass dies nicht der Fall war.
Nachdem sie mich ständig drängte, mich untersuchen zu lassen, ging ich doch irgendwann zum Arzt und ließ mich durchchecken.

Ich musste zuerst einen Liter einer undefinierbaren Flüssigkeit zu mir nehmen, danach machten sie mir eine Magen-Spiegelung. Allerdings konnten sie nichts finden.
Als ich zu dann einem weiteren Arzt ging und ihm meine Vorgeschichte erzählte, riet mir der dazu, einen Ultraschall durchzuführen.

Ich willigte ein und legte mich auf den Tisch. Er schmierte meinen Bauch mit dem kalten Ultraschall-Gel ein und meine Haut überzog sich abrupt mit Gänsehaut.

Kritisch beäugte er den Bildschirm und beugte sich etwas näher heran.

"Ich glaube, ich habe die Ursache gefunden, warum du dich immer übergeben musst."

"Ach echt? Was ist es denn?"

"Da... schau."

Er deutete auf den Monitor und ich konnte nur zwei kleine Punkte erkennen.

"Gallensteine?"

"Du bist auch ein Gallenstein."

Er lachte.

"Nein, keine Gallensteine. Du bist schwanger."

"Ähm ja, guter Witz. Was ist denn nun der wirkliche Grund für meine Kotzerei?"

"Ich habe es dir doch gerade gesagt."

"Nein. Das kann nicht sein."

Ich konnte nicht schwanger sein. Das war UNmöglich. Wie um alles in der Welt...halt, andererseits, ich hatte schon seit ein paar Monaten meine Tage nicht mehr bekommen.
Nein. Das waren nur die Hormone. Ich würde sie sicher bald kriegen. Nur Geduld.

"Doch du bist schwanger."

Der Arzt riss mich wieder ins Hier und Jetzt zurück.

Nein, nein und nochmal nein.
ICH.BIN.NICHT.SCHWANGER.
Von mir aus bin ich komisch, drogenabhängig oder Kiffer oder habe ein Alkoholproblem, aber ich bin NICHT SCHWANGER!

Ich musste gerade ziemlich irritiert dreinschauen, anscheinend wartete der Arzt auf eine Reaktion.

Nach einer Weile stand er dann auf, verabschiedete sich und wünschte mir alles Gute für die Zukunft. Ich immer noch ziemlich fassungslos und ungläubig erwiderte seinen Händedruck und verließ das Zimmer.

Schwanger. So ein Schwachsinn. Ich war doch nicht annähernd in die Umgebung von Spermien gelangt. Ich hatte noch nie Sex, geschweige denn überhaupt einen Freund. Das war also unmöglich. Ich verdrängte einfach diese Diagnose, als hätte ich sie nie bekommen...

Nach weiteren vier Wochen, in denen mir ständig übel wurde, ging ich dann doch irgendwann zur Apotheke und holte mir einen Schwangerschaftstest.
Es war mir mega peinlich, ich konnte der Verkäuferin kaum ins Gesicht blicken, mit Abstand die bislang peinlichste Situation in meinem Leben. Meine Hände glänzten vor kaltem Schweiß und mir wurde immer heißer. Ich konnte erst wieder richtig durchatmen, als ich das Ding in der Tasche hatte. Puh...immerhin hat sie mich nicht darauf angesprochen...

Zuhause angekommen, zog ich mich erstmal zurück und ging aufs Klo, um die Gebrauchsanweisung zu lesen. Einfach draufpinkeln und hoffen, dass er nicht positiv wird. Er KONNTE nicht positiv sein. Nein. Nein. Kein Plus. Bitte nicht...

Ich wartete auf das Ergebnis. Langsam aber sicher konnte ich erkennen, wie das Plus immer deutlicher wurde. Ich dagegen sank immer mehr in den Boden und wollte einfach nur versinken. Vor Schock erstarrt setzte ich mich mit zittrigen Händen auf die Kloschüssel und schaute den Test an. Plus. Schwanger. Nein. Nein! NEIN!

Wie oft habe ich schon gehört, dass solche Tests auch nicht immer zuverlässig sind. Vielleicht sollte ich mir noch einen holen, in der Hoffnung, dass der eine das Falsche angezeigt hatte.

Noch am selben Tag suchte ich eine andere Apotheke auf und holte mir einen zweiten Test. Wieder das gleiche Spiel wie vorher und wieder dasselbe bangende Warten auf die Auswertung.

Und wieder dasselbe Ergebnis. Schwanger. Schwanger. Schwanger. Ich sagte das Wort Ewigkeiten vor mich hin und hoffte, dass es dadurch seine Bedeutung verlieren würde. Aber das tat es nicht.

Mit anderen Worten: Ich steckte gerade ziemlich tief in der Scheiße. Und ich wusste nicht, wie da wieder hinauskommen sollte.




Kapitel 8

 

Ich saß auf meinem Bett und weinte vor mich hin. Die Arbeit ließ ich an jenem Tag ausfallen. Es war unfassbar. Eine Träne nach der anderen rann meine Wange hinab - nichts war da, was mein Weinen hätte beenden können. Was sollte ich jetzt bloß tun? Ich hatte gerade erst meine Ausbildung begonnen, wie sollte ich das jetzt je zu Ende bringen? Ich wusste ja nicht mal, wie ich mich um mich selbst sorgen sollte, wie um alles in der Welt sollte ich dann Verantwortung für jemanden anderen, für ein kleines Kind übernehmen? Das GING nicht. Das würde es nicht überleben. Und woher sollte ich das alles finanzieren? Mein Vater wird mir den Kopf abschlagen, wenn er das erfährt. Und Mam ist ausgezogen. Wo ich sie gerade jetzt so dringend brauchen würde...

 

In meinem Kopf schwirrten tausend Fragen. Wie lange war ich schon schwanger? Und wer ist überhaupt der Vater? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Wie sollte es jetzt alles weitergehen?

 

Ich dachte haarscharf nach. Wann könnte es passiert sein? Und vor allem WIE? Mit welchen Jungen hatte ich in letzter Zeit Kontakt? Mir fielen spontan -mein Bruder ausgeschloßen- nur Daniel und Tim ein. Aber die hatten ja beide bereits eine Freundin.

 

Halt. Scheiße. Da war noch Jake! Er hatte mich ja aufgesammelt, als ich zu betrunken war um alleine zurechtzukommen. Von allen meinen potenziellen Spermienspendern erschien mir er am passabelsten.

Immerhin bin ich neben ihm im Bett aufgewacht. Andererseits war ich voll bekleidet und er schlief wie ein Stein. Und außerdem war er sicher auch ziemlich berauscht. Habe ich etwa in meinem Vollrausch mit ihm geschlafen? Nein, ich war ja in dieser Nacht nicht mal mehr im Stande, gerade zu stehen geschweige denn überhaupt irgendetwas zu tun. Auch wenn er mit Abstand der Obermacho Nummer Eins unter allen Jungen am Collage war: Ohne meine Einwilligung würde er nicht mit mir schlafen. Dafür kannte ich ihn zu gut. Die ganzen bitchigen Schlampen bieten sich ihm sogarimmer freiwillig an, dass er sie entjungfert. So etwas wie ich passte also so ganz und gar nicht in sein Schema.

 

Nichts desto trotz: Ich würde ihn wohl oder übel darauf ansprechen müssen. Egal ob er es nun war oder nicht. Wie sollte ich sonst herausfinden, warum ich auf einmal schwanger war, ohne es je getan zu haben?

 

Zwei Stunden später stand ich bereits aufgeregt und mit verweinten Augen vor seiner Haustür. Er wohnte etwa zehn Minuten von meinem Zuhause entfernt. Nachdem ich endlich die Klingel gedrückt hatte, konnte ich bereits erste Schritte hören. Mein Puls schlug immer höher und mir wurde übel. Oh nein. Die Türklinke bewegte sich.

 

"Hallo Ana. Was machst du denn hier?"

Seine Mutter.

"Hallo. Ich wollte nur fragen, ob Jake zuhause ist."

"Ja, warte, er ist auf seinem Zimmer. Ich hole ihn schnell."

 

Seine Mutter war im Gegensatz zu ihm ein Engel. Das musste also heißen, dass er seine Macho-Gene von seinem Vater geerbt hatte. Sein Vater hatte übrigens ein Alkoholproblem und war deshalb nur selten ansprechbar. Aber zurück zu Jake. Da kam er auch schon...

 

"Ana! Was willst denn du hier?"

"Das ist ja mal eine nette Begrüßung. Ich bin hier, weil ich mit dir reden muss. Und zwar dringend."

"Was gibt es denn so Wichtiges? Ich muss in einer halben Stunde zur Bandprobe."

"Keine Sorge, du kommst schon rechtzeitig zu deiner Probe. So lange dauert es nicht."

 

Er war Sänger in einer Boyband und hatte gelegentlich Auftritte, alle Mädchen liefen ihm deshalb nach. Alle außer ich. Ich brauchte keinen Badboy zum leben und glücklich sein. Ich war auf der Suche nach der großen Liebe, und nicht nach einem Macho.

 

"Ja, dann komm rein."

 

Er schloß die Tür und ging voran in sein Zimmer. Großer Raum mit großem Fenster und großem Bett. Nicht ganz so unordentlich wie angenommen. Gefällt mir.

 

"Also, schieß los."

 

Er setzte sich auf sein Bett und stütze sich mit beiden Armen an der Wand ab.

 

"Neulich, auf der Abschlussfahrt, du hast mich ja auf dem Klo gefunden und zurück ins Hotel gebracht."

"Ja, das hab ich. Und, weiter?"

"Am Morgen bin ich aufgewacht und war erstmal völlig schockiert, warum ich neben dir lag."

"Ja, kann passieren, dass man neben mir aufwacht." Er zwinkerte.

"Jake! Das ist nicht lustig!"

"Jaja, schon gut."

"Jedenfalls als ich dich dann gefragt habe, warum ich da liege, hast du gesagt, du hättest mich nur ins Bett gebracht in meinem Vollrausch. Bist du dir da ganz sicher?"

"Ja. Ich hab dich nur schlafen gelegt."

"Jake."

"Es ist die Wahrheit Ana."

"Jake."

"Es ist verdammt noch mal die Wahrheit!"

 

Stille. Schweigen. Keiner sagte einen Ton. Wir blickten ins Leere und mir stiegen die Tränen in die Augen.

 

"Okay. Wenn du das so sagst."

 

Schweigend verließ ich sein Zimmer und musste mich schwer bemühen, nicht in einen Strom aus Tränen auszubrechen. Wenn er es nicht war, wer war es dann? Ich wusste nicht mehr weiter.

Kapitel 9

 

Ich blieb für den Rest der Woche zu Hause. Mir ging es einfach nur schlecht und es war keine Besserung in Sicht. Neben den körperlichen Defiziten der Schwangerschaft wurde auch der psychische Druck, der auf mir lastete immer größer. Immer und überall wo ich Mütter mit ihren Babys sah, wurde ich daran erinnert: In ein paar Monaten würde auch ich Mutter sein. Mutter. Mutter von zwei kleinen Kindern. Alleinerziehend. Ohne Haus, Geld oder jegliche andere Art von Unterstützung.
Mal abgesehen von Sabrina. Auf sie war immer Verlass, aber in einer solchen Situation war auch sie keine große Hilfe für meine materiellen Sorgen. Ich konnte ja wohl kaum inklusive Kind bei ihr und ihren Eltern einziehen.

Eines Tages war ich dann am bislang schlimmsten Tiefpunkt meines Lebens angelangt und mir wuchs alles über den Kopf. Die Schwangerschaft, die Ungewissheit, meine Ausbildung, mein gesamtes Leben. Ich hatte doch noch so viel vor mir. Und das alles war jetzt wie vom Wind weggeblasen. Wie sollte mein Leben weitergehen?

Ich griff zur Rasierklinge und schnitt mir meinen gesamten Unterschenkel auf. Der Schmerz brannte höllisch und ich dachte kurzzeitig, ich müsste verbluten und meine Probleme wären damit für immer gelöst. Aber so war es nicht. Es kam noch schlimmer:

 

Mein Vater erwischte mich dabei, als ich zerstört und blutend auf dem verfliesten Boden des Badezimmers zusammengebrochen da lag und wollte mich daraufhin in eine Psychatrie stecken. Ich musste ihm zuerst tausendmal versichern, dass alles gut ist und versprechen, dass ich so etwas nie wieder machen würde.

Männer und Gefühle. Wie blind musste man sein, um nicht zu erkennen, dass es mir schlecht geht...

Und was machen normalerweise Mädchen in meinem Alter, wenn es ihnen schlecht geht? Richtig, sie verkriechen sich in ihr Bett und fressen eine Tafel Schokolade nach der anderen in sich hinein. In dieses typische Teenie-Verhalten zurückzufallen machte meine Lage auch nicht gerade besser.

 

Ich sollte mich eher um eine gesündere Lebensweise bemühen, um wenigstens ein gesundes Kind zu bekommen. Ein kleines, unschuldiges Baby, das nichts dafür konnte, dass es ohne Vater aufwachsen musste, und eine Mutter haben würde, mit der ganzen Situation maßlos überfordert. Es konnte nichts dafür. Ich auch nicht. Wäre die Abschlussfahrt nicht gewesen, wäre es jetzt nicht alles so wie es jetzt war. Aber daran konnte ich nun auch nichts mehr ändern. Es war zu spät. Es MUSSTE gehen. Irgendwie...

Um mich und mein Kind zu schützen, stellte ich von diesem Tag an meine Ernährung um und nicht nur das - mein ganzes Leben. Ich nahm mir vor, nicht mehr so viel zu weinen, mir keine Vorwürfe mehr zu machen, nicht mehr so deprimiert zu sein. Denn es war jetzt sowieso nichts mehr zu ändern. Ich musste die Situation hinnehmen so wie sie war, so gut es ging.

 

Ich versuchte, das Verhältnis zu meinem Vater wieder zu bessern, auch wenn ich über die Sache mit Blondie immer noch nicht einfach hinwegsehen konnte. Seine Unterstützung würde ich jetzt in jedem Fall brauchen. Auch wenn ich nicht wusste, wie ich es ihm sagen sollte. Schon bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. Mit 16 Jahren den Eltern sagen zu müssen, dass sie Großeltern werden, ist schon ein harter Schlag ins Gesicht.

 

Es wurde alles besser. Zwar langsam und schleichend, aber es war spürbar. Und ich merkte, wie mir die Zeit langsam immer knapper wurde. Ich sollte dringend zum Frauenarzt gehen, um zu sehen, wie weit meine Schwangerschaft schon fortgeschritten war und vor allem, ob es dem Kleinen gut geht. Alle Mädchen gehen mit ihrer Mutter das erste mal dort hin - ich nicht. Ich konnte es meiner Mutter einfach nicht antun, zu sagen, dass ich schwanger bin. Ich wusste einfach nicht, wie...

 

Also ließ ich mir einfach einen Termin geben und ging alleine hin. Das erste Mal, und dann auch noch schwanger...

Es kostete mich Überwindung, aber ich musste es machen.

Um neun Uhr hatte ich meinen Termin. Zehn Minuten früher betrat ich zum ersten Mal die Praxis, in der übrigens meine Mutter auch war. Ich sprach mit der Lady an der Rezeption und sie sagte, ich solle mich ins Wartezimmer setzen. Mir war heiß und kalt zugleich. Ich hatte ja keine Ahnung, was da auf mich zurollte...

 

"Mrs. Smith bitte."

Scheiße. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

"Hallo. Ich bin Dr.Fisher. Wie ich sehe ihr erster Termin hier, richtig?"

"Jap, das stimmt."

"Aber kein Grund zur Aufregung. Wir kriegen das schon hin."

Na hoffentlich. Irgendwie war mir der Arzt vom ersten Moment an sehr sympathisch.

Er führte mich in ein Zimmer und schloß die Tür. Mein erster Blick landete auf dem besagten gynäkologischen Stuhl. Ich hatte eine Heidenangst davor.

"Setzen Sie sich bitte."

Ich setzte mich ihm gegenüber auf einen ganz normalen Stuhl.

"Ich habe da zuerst ein paar grundsätzliche Fragen an Sie. Und behalten Sie immer im Hinterkopf, ich habe Schweigepflicht über alles, was hier gesprochen wird."

Er stellte mir Fragen wie zum Beispiel wann ich meine letzte Periode hatte, ob ich schon mal Sex hatte und so... als er alles notiert hatte, sagte er:

"Na, dann wollen wir mal zur Sache kommen. Also warum sind Sie hier?"

"Mein Hausarzt hat mich überwiesen. Er hat da beim Ultraschall was gefunden, aber ich bin mir nicht sicher. Ich wollte mir nur Gewissheit verschaffen, ob er damit recht hatte."

"Okay, dann sehen wir mal. Setzen Sie sich bitte auf den Stuhl."

Gesagt, getan. Ich nahm auf dem Stuhl Platz und er fing an, seiner Arbeit nachzugehen...

Kapitel 10

 

Die Untersuchung war eigentlich halb so schlimm wie vermutet. Er fummelte nur ein wenig mit seinen Gummihandschuhen rum und ich redete mir die ganze Zeit ein "Der macht das jeden Tag mindestens 20 mal."

Dann machte auch er - ebenso wie mein Hausarzt - einen Ultraschall.
Ein zweites Mal bekam ich das klitschige Gel auf den Bauch geschmiert und blickte gespannt auf den Monitor.

 

"Herzlichen Glückwunsch, Miss Smith, sie erwarten Zwillinge."

 Was? Zwillinge? Das konnte doch nicht wahr sein. Zum ersten Mal schwanger und dann auch noch Zwillinge. Bei mir traf Mutter Natur jedes mal aufs Neue ins Schwarze.

 "Zwillinge."

"Jawohl, Zwillinge."

 

Auf dem Bildschirm waren deutlich zwei kleine, noch nicht fertig entwickelte Babys zu erkennen. Als ich bei meinem Hausarzt war, dachte ich noch, der zweite kleine Punkt sei etwas anderes, und keine befruchtete Eizelle.
Aber anscheinend lag ich mit meiner Vermutung etwas daneben.

 

"Mit einer Zwillingsgeburt sind immer höhere Risiken verbunden als bei einer normalen Geburt, ist Ihnen das bewusst?"

War mir das bewusst?

"Äh, nein. Noch nie davon gehört. Aber wenn Sie das so sagen."

"Ja, bei Mehrlingsschwangerschaften wird der Körper noch mehr strapaziert als normal, der Umfang des Bauches wird noch größer als bei normalen Schwangeren, was heißt, dass das Gewebe stark gedehnt wird. Sie müssen viel mehr essen als gewohnt, die Stimmungsschwankungen werden auch immer stärker. Vor allem in Ihrem zarten Alter eine enorm hohe Belastung für den Körper."

 

Ich musste schlucken.
Ich war also keine "Normal-Schwangere", sondern eine Risiko-Schwangere.
Ich wusste doch schon immer, ich war "anders".

 

"In welchem Monat bin ich eigentlich schon?"

"Hmm, ich denke Anfang Viertes. Eine Abtreibung wäre also nicht mehr so einfach einzuleiten."

Eine Abtreibung? Denkt er etwa das war ein Unfall? Denkt er ich gehörte zu dieser Art von Mädchen, die unüberlegt handeln und sich nicht um Verhütung kümmern? Ich wurde wütend.

"Sagen Sie sowas nicht. Ich hatte nie vor abzutreiben. Es war kein Unfall wie bei so manch anderen, wenn Sie jetzt sowas denken."

In gewisser Weise war es ja schon ein Unfall, aber ich hatte keine Schuld daran. Ich trug das Resultat davon in meinem Körper. Und früher oder später würde es jeder sehen. JEDER.

Ein Blick auf den Monitor, und ich konnte das heranwachsende Leben in meinem Bauch sehen. Der Herzschlag war bereits deutlich sichtbar und - auch wenn ich am Anfang nie an so etwas geglaubt hätte - in mir waren plötzlich so etwas wie Gefühle da. Muttergefühle.
Auch wenn ich mir meine erste Schwangerschaft immer anders vorgestellt hätte, unter anderen Bedingungen, ich hatte die Kleinen in mein Herz geschlossen. Und einer Sache war ich mir ganz sicher: Ich würde sie behalten.
Eine Abtreibung könnte ich mir in meinem ganzen Leben nicht verzeihen.

Er reichte mir ein Tuch und ich wischte mir damit das Gel von meinem Bauch ab.

Dann setzte ich mich nochmal zu ihm an den Schreibtisch und er fing an, mir sämtliche Informationen über Schwangerschaften um die Ohren zu werfen.

Ich sollte viel Vitamine essen, eisenhaltige Nahrung, Magnesium, etc., keine Überanstrengung, keine schweren Sachen heben und so weiter...

Danach gab er mir noch ein Rezept für Tabletten gegen die Übelkeit und drückte mir das Ultraschallbild in die Hand.

"Hier, das dürfen Sie sich behalten."

Das erste Foto meiner Kinder. Ich musste lächeln und fragte mich, ob meine Mam damals wohl auch so glücklich war wie ich jetzt gerade, als sie das erste Mal ein Bild von mir in den Händen hielt. Im Nachhinein war sie damals auch froh, mich nicht abgetrieben zu haben und ich hoffte aus tiefstem Herzen, dass ich diese Meinung teilen konnte...

Vollgepackt mit Glück und guter Laune -und einer Packung Tabletten gegen die Übelkeit-kam ich wieder nach Hause und setzte mich auf mein Bett.

Hmm... jetzt gab es da bloß noch ein Problem. Wie sollte ich es allen sagen, dass ich schwanger bin? Nicht mal Sabrina hatte ich bisher eingeweiht, obwohl wir uns sonst doch auch immer jede Kleinigkeit erzählen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Ich sollte es ihr wirklich sagen, ich war jetzt bereits im vierten Monat. Es half alles nichts, sie musste es wissen...

"Hey Sabrina."

"Ana! Endlich rufst du mal wieder an! Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als du meine Anrufe nicht mehr angenommen hast."

Sie war zur Zeit in München und machte dort eine Ausbildung zur Bankerin, deshalb hatten wir in letzter Zeit nur noch selten Kontakt.

"Tut mir leid, aber mir gings in letzter Zeit nicht so gut."

"Was ist denn los? Soll ich am Wochenende vorbeikommen?"

"Also...es ist kompliziert. Ich weiß echt nicht wie das alles passiert ist geschweige denn wo ich überhaupt anfangen soll."

"Sag mir erst mal was los ist."

Ich holte tief Luft und spuckte es schweren Herzens aus.

"Ich bin schwanger."

Stille.

"Scheiße."

"Dachte ich am Anfang auch. Mir gings erst richtig scheiße. Mittlerweile ist alles halb so wild."

"Was? Wie weit bist du denn schon? Und von wem ist es überhaupt?"

"Der Arzt hat gesagt Anfang viertes Monat. Und es sind zwei. Ich bekomme Zwillinge. Und ich habe keinen blassen Schimmer wer der Vater ist. Ich dachte zuerst an Jake, weil ich ja neben ihm aufgewacht bin, aber er hat alles abgestritten. Ich weiß es also nicht."

"Zwillinge, keine Ahnung von wem... ach du Arme. Dass es immer dich erwischt. Ich versteh's nicht...
Ich komme am Samstag vorbei, okay?"

"Okay. Du bist die Beste. Was würde ich nur ohne dich machen..."

Ich seufzte.

Ich legte mein Handy bei Seite und warf mich auf mein Bett, das Ultraschallbild in der Hand.

In fünf Monaten würde ich sie zum ersten Mal in den Armen halten, sofern alles gut ging.

Ich schloß die Augen und schlief mitsamt dem Bild in der Hand ein.














Kapitel 11

 

Elf Uhr schon! Ich musste mich beeilen. In ein paar Minuten kam Sabrina zu Besuch.

Haare kämmen, Wimpern tuschen, aufräumen... in letzter Zeit war ich morgens nicht gerade produktiv, und ich kam des öfteren in Eile. Wie jetzt gerade.

Und da klingelte es auch schon:
Ich rannte zur Tür und begrüßte meine beste Freundin seit dem Kindergarten mit einer stürmischen Umarmung.

"Holla, nicht so wild!
Du bist schwanger, du musst dich schonen."

"Jaja, nur die Ruhe. Komm rein!"

Ich führte sie hinauf in die Küche im ersten Stock und schenkte uns beiden ein Glas Wasser ein. Sie nahm am Küchentisch Platz, ich lehnte mich an die Theke.

"Wo ist eigentlich dein Dad?"

"Achso, der ist auf Geschäftsreise in Hamburg mit seiner Firma, er kommt erst in zwei Wochen wieder."

"Der lässt euch einfach alleine? Was für ein Vater! Du könntest ja theoretisch eine Party nach der anderen schmeißen."

"Ja, theoretisch. Wenn das bloß so einfach wäre in meinem Zustand. Ich kann nur Wasser trinken, bei allen anderen Getränken muss ich mich übergeben. Und Alkohol ist sowieso Tabu."

"Du Arme. Du darfst ja nicht mal Kaffee trinken! An deiner Stelle wäre ich schon längst tot. Und meine Eltern hätten mich auch schon in der Luft zerrissen."

Ich blickte nachdenklich auf den Boden.

"Sag bloß, sie wissen noch gar nichts davon!"

Ein Blick genügte und sie wusste die Antwort.

"Ach Ana! Wie lange willst du es denn noch verschweigen! Du bist mittlerweile schon im vierten Monat. Ein paar Wochen noch, und..."

"...und ich bin fett. Ja, ich weiß. Wie soll ich ihnen denn sagen: 'Hey, übrigens, ich bin schwanger.' oder wie?"

"Nein. Sag's deinen Eltern einfach. Ohne lange Worte. Und dass es nicht deine Schuld war.
Erzähl ihnen, dass bereits alles geregelt ist und dass du schon beim Arzt warst."

"Okay. Ich ruf sie demnächst an."

"Gut."

Wenigstens in dieser Sache war ich jetzt ein Stück voran.

"Und der Rest der Welt? Die denken bestimmt alle ich bin eine billige Schlampe, wenn sie meinen Bauch sehen."

"Moderne Medien. Das ist es! Wofür gibt es denn das Internet..."

Sabrina sprang auf und rannte in mein Zimmer. Verdutzt folgte ich ihr. Was machte sie da bloß?

"Wo ist dein Ladekabel?"

Sie kam wieder mit meinem Laptop und stellte ihn auf dem Küchentisch ab.

"Puh, ist das eine alte Kiste."

"Immerhin eine funktionierende, alte Kiste."

"Na wenigstens etwas."

Was hatte sie da vor?

"Hier, logg dich ein."

Facebook. Ihr Ernst?

"Okay..."

"Und jetzt schreiben wir einen Post, in dem die Wahrheit steht, dann kann keiner irgendwelche Gerüchte verbreiten."

"Sabrina, du bist der Wahnsinn!
Ich wäre nie im Leben auf so etwas gekommen."

"Dafür hast du ja mich." Sie grinste und zog ihre Augenbrauen hoch.

"Okay,
dann lass uns mal anfangen."

"Hallo Leute...", diktierte ich ihr, "ich muss euch jetzt etwas beichten: ich bin schwanger. Im vierten Monat."

"...und damit keine falschen Vermutungen entstehen, erzähle ich euch die Wahrheit."

"Es passierte anscheinend auf der Abschlussfahrt nach Paris, ich denke, ich wurde vergewaltigt. Allerdings weiß ich nicht von wem, obwohl ich eine schwere Vermutung habe. Egal, ich habe keine Schuld daran, ich trage nur neun Monate lang das Resultat davon in meinem Körper.

PS.: es sind Zwillinge."

Noch einmal schnell drüberlesen und abgeschickt.

"Siehst du, ist doch alles halb so wild."

Ich wusste ehrlich gesagt nicht, wie alle meine Freunde darauf reagieren würden. Ich hatte Angst vor den Kommentaren.

"Ich weiß nicht. Vielleicht hätte ich es doch noch nicht allen sagen sollen."

"Ach komm. Jetzt hast du es wenigstens hinter dir."

Und schon trudelten auch schon die ersten Nachrichten ein, wie zum Beispiel "OMG, du Arme :o" und lauter "Beileidswünsche". Dabei wollte ich eigentlich gar nicht bemitleidet werden.

"Die reagieren alle ganz angemessen finde ich. Hey, kannst eigentlich schon was spüren?"

"Naja, hin und wieder schon mal einen leichten Tritt."

"Darf ich mal?"

Bevor ich ihre Frage verstehen konnte, hatte sie auch schon ihre Hände auf meinem Bauch und wartete gespannt.

"Da ist was!
Ana! Sie bewegen sich! "

"Ich glaube, sie mögen dich. Du wirst bestimmt mal eine gute Patentante."

Sabrinas Blick war einmalig.

"Hast du gerade gesagt, ich bin die Patentante deiner Kinder?"

"Ist hier noch jemand außer dir im Raum?"

Sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd und warf sich mir um den Hals. Ich glaube, das bedeutet ihr wirklich sehr viel.

"Danke Ana! Du machst mich gerade so verdammt glücklich, das glaubst du nicht!"

"Willst du ein Bild deiner Patenkinder sehen?"

"Du hast ein Bild und hast es mir noch nicht gezeigt?!"

"Abwarten und Kuchen essen."

"Hier."

Ich drückte ihr den Ultraschall in die Hand und sie war sofort begeistert.

"Die beiden werden bestimmt so fesch und putzig wie du, da bin ich mir sicher!"

"Du hast was vergessen, sie werden nicht nur so heiß sein wie ich, sondern sie werden ihre Patentante über alles lieben!"

Der erste Teil dieser Aussage war zwar Selbstironie, der zweite stimmte aber voll und ganz.
Es gab keine bessere Patentante und es wird sie auch nie geben.
Sabrina war einfach einmalig.

Und ich bald nicht nur so heiß wie die Sonne, sondern auch so fett.

*Selbstironie*





Kapitel 12

 

"It's my liiife, and it's now or never, I'm gonna live foreveeer..."

Sonntag Morgen. Ich war gerade dabei, mir Frühstück zu machen und sang dabei wie eine Verrückte zur Musik von Bon Jovi. Mit Honigbrot und Kaba in der Hand genoss ich es in vollen Zügen, das ganze Haus für mich allein zu haben.

Nebenbei lief der Radio und alles war gut. Die Übelkeit hatte sich gelegt und ich war rundum zufrieden.

Ich las gerade Nachrichten aus aller Welt auf meinem Handy.
"Hund fällt während dem Mittagsschlaf vom Baum und stirbt" - was es nicht alles gibt...
Ich stellte mir die Situation gerade vor...

"Erotische Spielchen wurden einem niederländischen Pärchen zum Verhängnis" - als ich den Artikel anklickte, ging plötzlich ein Anruf ein. Eine fremde Nummer. Ich wischte über den Touchscreen.

"Hallo?"
"Ana!"

Meine Mam. Ach du Scheiße.

"Wie geht's dir? Warum um alles in der Welt hast du mir nichts davon erzählt?"

Wie ging das Atmen noch mal? Ich glaube, ich hatte es verlernt.

"Ana..."

"Mam - ich...es tut mir so leid ich wollte es dir selbst sagen...woher weißt du das?"

"Ach, eine alte Bekannte hat es mir erzählt. Sie hat einen guten Freund, der ebenfalls mit deinem Vater auf Geschäftsreise ist. Der kann euch beide doch nicht einfach alleine lassen! Was fällt dem eigentlich ein? Mieses Dreckstück!"

Was? Sie redete von Dad? Sie wusste also noch gar nicht, dass sie bald Oma wird?

"Ach, mach dir um uns keine Sorgen. Wir kommen schon ganz gut allein zurecht."

Ach du Scheiße.

"Wirklich? Wenn ihr etwas braucht, ihr könnt mich jederzeit anrufen."

"Ja, das wissen wir schon. Und Mam... ich muss dir was sagen..."

In meinem Kopf dröhnte das Lied "Wenn nicht jetzt, wann dann..."

"Oha, sowas hört man ja selten von dir."

"Ja...es tut mir so furchtbar leid dir das sagen zu müssen...ach Mam..."

"Was ist denn los? Brauchst du Geld? Hast du Drogen genommen? Bist du von irgendwas abhängig?"

"Nein! Was denkst du von mir? So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Die Sache ist die..." - tief durchatmen - "...in 5 Monaten wirst du Oma."

Ich schluckte.

"Was? Stimmt, das hat mir Susi erzählt. Sie arbeitet in der Apotheke. Sie hat gesagt, du hättest dir einen Test geholt. Und dann hat sie gestern die Nachricht auf Facebook gelesen und mir alles erzählt. Aber keine Sorge, du schaffst das schon. Weißt du denn schon, ob's ein Junge oder ein Mädchen wird?"

What? So reagieren Mütter, wenn man ihnen mit 16 Jahren erzählt, dass man schwanger ist? Ich konnte es nicht fassen.

"Mam? Du weißt schon, ich bin erst 16. Ich habe noch keine feste Arbeit, kein eigenes Haus, kein Geld. Und es werden Zwillinge. Keine Ahnung ob Jungen oder Mädchen oder beides. Ich lass mich überraschen."

"Ach Ana mein Schatz. Ich hab dich auch so früh bekommen und jetzt? Jetzt lebe ich immer noch. Also schaffst du das auch. Wir sind beide vom gleichen Schlag, wir packen so etwas."

"Ich weiß übrigens nicht, wie das passiert ist. Anscheinend wurde ich vergewaltigt. Und ich habe keinen blassen Schimmer, wer der Vater ist. Ich trage lediglich die Folgen mit mir rum."

"Vergewaltigt? Ich dachte, du hättest einen Freund und euch ist ein kleines Missgeschick passiert! Du musst denjenigen finden und Anzeige gegen ihn erstatten! Ana... du tust mir so leid... das glaubst du gar nicht."

Ein kleines Missgeschick. Das sind aufteilt und verdoppelt und mich immer fetter werden lässt. Und nach 9 Monaten schreit wie am Spieß, alles vollkackt und alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist in den Mund steckt. Ein "kleines" Missgeschick eben...

Ich ersparte mir meinen Kommentar auf ihre Aussage und führte das Gespräch weiter.

"Hast du damals auch so viel gekotzt am Anfang als du von mir schwanger warst?"

"Oh ja, jeden Tag. Das war echt grausam. Einmal habe ich direkt über dem Geldautomaten übergeben. Das war vielleicht peinlich... spürst du eigentlich schon was?"

"Naja, hin und wieder schon mal ein paar Tritte, aber auch nicht mehr."

"Warst du schon beim Frauenarzt?"

"Ja Mam. Alleine. Ohne dich. Aber wie du siehst hab ich es überlebt."

"Ach Schatz das tut mir alles so unendlich leid. Aber ich wusste es ja noch nicht länger als ein paar Tage."

"Mmh..." Ich seufzte.

"Hast du eigentlich schon Kleidung für dich?"

"Du meinst, so Hosen für Fette, die bis knapp unter den BH gehen? Nein, hab ich nicht."

"Nicht nur 'Hosen für Fette', wie du sagst. Du brauchst auch weitere Oberteile, alles in XXXXL..."

Ich hatte mir ehrlich gesagt noch nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, was ich in ein paar Monaten anziehen sollte.

"Wir sollten shoppen gehen, Fräulein, was hältst du davon? Deine alte Mutter kann dir sicher ein paar Tipps geben. Hast du morgen Zeit?"

Wohlgemerkt, meine Mutter war erst 32, also alles andere als alt. Und zum Shoppen war sie immer zu gebrauchen. Sie hatte im Gegensatz zu mir ein Auge dafür.

"Shoppen klingt gut... warte...morgen Vormittag muss ich arbeiten, aber im Nachmittag habe ich Zeit."

"Okay. Ich hol dich um zwei ab. Ich muss jetzt aufhören, in 20 Minuten beginnt mein Kurs."

"Du gehst in einen Kurs?"

"Ich halte einen Kurs. Yoga."

"Du gibst Yoga-Kurse? Seit wann denn das?"

"Naja, als ich deinen Vater verlassen hatte dachte ich mir, jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mein Leben noch einmal neu umkrempeln konnte. Und jetzt habe ich meinen Traum verwirklicht. Was gibt's denn Besseres?"

"Du hast recht.
Klingt gut. Also dann, bis morgen Ich hab dich lieb."

"Ich dich auch."

 

Meine Mam. War sie nicht einfach genial. Wenn das nicht einmal ein gelungener Start in den Tag war...






Kapitel 13

"Mam!"

"Ana mein Schatz! Alles gut?"

"Ja, noch. Aber nicht mehr lange. Bald werde ich fett. Und zwar so richtig. Und dann habe ich tausend Blicke in meinem Rücken und alle stecken ihre Köpfe zusammen und tuscheln. "

"Ach komm, ich hab's auch überlebt. Mach dir nicht so einen Kopf deswegen. Du warst schließlich auch alleine beim Frauenarzt, weil dich deine ach so fürsorgliche Mutter nicht begleitet hat."

"Ach Mam...ich weiß nicht wie das alles werden soll."

Wir befanden mitten im Stadtzentrum vom München. Mam hatte mich direkt nach der Arbeit abgeholt, um miteinander in die Stadt zu fahren. Shoppen. Ich hasste eigentlich shoppen. Stundenlanges Herumrennen und meistens fand ich dann auch nichts wirklich tolles. Ich bummelte lieber mit Sabrina in kleinen Boutiquen und schenkte den kleinen Dingen dort Beachtung. Große Einkaufszentren waren nicht so mein Ding, da waren zum einen so viele shoppinglustige Touristen, die in jedem Laden mindestens 70% der Kunden ausmachten. Außerdem war es dort auch immer ziemlich laut und ich war noch nie ein Fan großer Menschenmassen. Mein Motto war schon immer "Klein und fein".

Aber ich wollte ja meiner Mutter einen Gefallen tun und ging deshalb mit ihr shoppen. Sie wollte mir ja im Grunde genommen nur helfen. Denn ich brauchte dringend Umstandsmode, weil mir meine Hosen allmählich doch ein wenig zu eng wurden. Lange konnte es also nicht mehr dauern, bis mein Bauch klar und deutlich zu sehen war und ich ihn nicht mehr verstecken konnte.

"H&M. Also hier finden wir sicher etwas."

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

Eine Stunde später: eine Tüte in der linken, eine in der rechten Hand, obendrein einen meterlangen Kassenzettel. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Meine Mutter hatte unbedingt darauf bestanden, die Rechnung zu übernehmen, da sie mich in letzter Zeit so vernachlässigt hat. Mein Unterbewusstsein gab mir grünes Licht und ich nahm ihr Geschenk einfach an.

"Lust auf ein Eis? Wenn wir schon mal zusammen was unternehmen, dann soll es ja perfekt sein."

"Eis klingt gut."

"Okay, die Straße runter ist eine Eisdiele. Sogar eine original italienische."

"Na dann, auf geht's!"

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Einmal Vanille und einmal Erdbeere in der Waffel bitte."

"Für mich bitte zwei Kugeln Pistazie."

 

Pistazie. Dieses Wort wenn ich allein schon hörte, lief mir bereits das Wasser im Mund zusammen.

"Warum hast du eigentlich so gelassen darauf reagiert, als du davon gehört hast, dass du Oma wirst?"

"Oma - das hört sich ja an als wäre ich bereits halb dement und hätte graue Haare. Naja, ich war ja auch nicht recht viel älter als du, als ich dich bekommen habe. Mir war klar, dass früher oder später sowieso die Zeit gekommen wäre. Ich war früh dran, du bist es auch. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Was ist denn daran schlimm? Also ich finde das alles andere als verwerflich."

 

Fuck. Jake. Fuck, fuck, fuck. Ein Blick in die Fußgängerzone und ich blickte direkt in Jakes braune Augen. Und er steuerte auch noch direkt auf uns zu. "Der will sich sicher bloß ein Eis kaufen", redete mir mein Unterbewusstsein zur Beruhigung ein. Je näher er kam, umso eindringlicher wurde sein Blick. Langsam entwickelte sich in mir ein Gefühl der Angst.

"Ana? Kennst du den?"

"Ja, das ist Jake. Der ging mit mir auf College, in dieselbe Jahrgangsstufe."

"Sieht ganz so aus, als ob er zu dir will. Ich geh dann mal noch ein wenig bummeln."

Meine Mam zwinkerte. Ich schaute schockiert. Und er betrat die Tür. Meine Augen folgten gespannt seinen Schritten: Er ging an der Theke vorbei, geraderhand auf unseren Tisch zu.

"Hallo Mrs Smith, hi Ana. Ich muss kurz mit dir reden. Es dauert auch nicht lange."

Seit wann kannte der meinen Nachnamen?

"Okay, alles klar. Ruf mich an, wenn ich dich abholen soll. Ich vertreib mir die Zeit derweil in der Stadt. Bis später! Viel Spaß noch!"

Na toll. Meine Mutter ließ mich einfach mit meinem schlimmsten Erzfeind alleine. Wie nett von ihr.

 

"Was gibts denn so Wichtiges, dass du mich mitten in der Eisdiele abfangen musst?"

Ich bemühte mich um einen einigermaßen unaufgeregten Gesichtsausdruck.

"Okay...ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll."

"Am besten von ganz vorne", antwortete ich ihm bissig.

"Ja hey, schon gut. Ich mach ja schon. Also die Sache ist die, es geht um deinen Facebook-Post."

Ach du Scheiße

"Und, weiter?"

Musste ich ihm wirklich jedes Wort aus der Nase ziehen?

"Als ich dich auf dem Klo aufgesammelt habe, habe ich dich ja mit zurück ins Hotel genommen. Ich habe dir erzählt, ich hätte dich schlafen gelegt, aber das stimmt nicht so ganz. Ich habe dich angelogen."

 

Na endlich mal einer, der wenigstens zu seinen Taten steht.

"Was zur Hölle hast du mit mir gemacht?"

"Es tut mir ja so leid. Ich war betrunken, genauso wie du, und du warst so verdammt sexy, als du da in meinem Bett gelegen bist."

"Bitte sag jetzt nicht, dass DAS passiert ist, was ich gerade denke. Sag nicht, dass wir es miteinander getrieben haben. Besser gesagt, du mit mir."

"Ana. Bitte raste jetzt nicht aus, wenn ich dir sagen muss, dass das stimmt. Ich habe die Kontrolle über mich verloren. Es tut mir so leid. Bitte gib mir eine zweite Chance."

"Ist das jetzt dein Ernst? Du verlangst von mir, dass ich dir eine zweite Chance gebe, nachdem du mir nach vier Monaten, nach verdammten vier Monaten gestehst, dass du mich in Paris entjungfert hast? Als ich dich vor Ewigkeiten auf die Abschlussfahrt angesprochen habe, hast du mir alles abgestritten - ALLES! Du bist sowas von feige!"

Ich kämpfte mit den Tränen. Den Blick hatte ich schon längst auf die Tischplatte gerichtet und der Zorn stieg in mir hoch.

"Was? Du warst noch Jungfrau?"

Jetzt war meine Wut am überkochen. Der Siedepunkt war definitiv erreicht.

"Jetzt hör mir mal zu: Du vögelst dich durch Leben, fickst eine nach der anderen, kannst machen was du willst und ICH muss jetzt mit dem Ergebnis deiner Tat weiterleben. Du bist so ein egoistisches, arrogantes Arschloch Jake! Schönes Leben noch!"

 

Ich riss mich von meinem Stuhl und stürmte zum Ausgang. Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss und mir war es in diesem Moment ehrlich gesagt scheißegal, was die Leute über mich dachten. Ich wollte einfach nur weg von hier. Weg von Jake. Irgendwo hin, hauptsache weg.

Ich wollte ihn nie wieder sehen. Nie wieder in meinem ganzen Leben.

Kapitel 14

 

"WAS hat Jake? Sag mal geht´s noch? Dieses...dieser verdammte Dreckskerl!"

"Ja, ihm war eben danach, mit mir zu schlafen, und tja, schön für ihn, er hat ja davon keine bleibenden Schäden."

"Ana! Du hast gerade deine Babys als bleibende Schäden bezeichnet."

"Okay, okay. Schon gut, es sind keine bleibenden Schäden. Es sind meine Kinder. Und ich werde versuchen, sie so gut es geht alleine groß zu ziehen."

"...und wenn du Hilfe brauchst, hast du immer eine Patentante da, die dir hilft. Die zum Beispiel auf die Kleinen aufpasst, wenn du feiern gehen willst."

"Sabrina, du glaubst doch nicht ERNSTHAFT, dass ich so schnell wieder feiern gehen werde, nach dem was passiert ist. Und überhaupt darf ich zur Zeit sowieso nichts trinken in meinem Ausnahmezustand. Und wenn die Kinder dann mal da sind, dann wird es auch schwierig mit Weggehen."

"Dann komm ich eben zu dir und wir feiern zuhause." Das hörte sich gerade ganz klar nach einem Grinsen ins Telefon an. Hört sich echt dämlich an, ich weiß, aber ich hatte einen abnormalen Instinkt für sowas. Ich war eben nicht normal...

"Du weißt hoffentlich schon von meinen Plänen, dass ich vorhabe, die beste Mutter der Welt für meine Babys zu sein und da gehört die Vorbildfunktion ganz klar dazu."

"Dann legen wir eben deine Kinder schlafen und lassen uns dann volllaufen."

"Sabrina... ist ja gut. Ich geh schon mit dir feiern. Sobald es wieder geht."

"Juuuhuuu! Ich wusste doch, du kannst mir keinen Wunsch abschlagen."

"Du bist gerade auf dünnem Eis, meine Liebe. Ich könnte es mir auch noch mal anders überlegen."

"Nein, nein. Ich bin ja schon still. Noch einmal zu Jake: Was habt ihr denn jetzt eigentlich vor so, ich meine ja, er ist ja schließlich der Erzeuger."

"Was WIR vorhaben? Ein WIR gibt es nicht. Hallo, er hat mich vergewaltigt. Sollte ich ihn jetzt abknutschen und ihn heiraten, oder was? Ich wollte schon immer Kinder als Ergebnis der Liebe, und nicht als Resultat einer Vergewaltigung. Aber was soll´s. Ich liebe meine Kinder so wie sie sind, sie können ja auch nichts dafür."

 

"Ja, du hast ja recht. Ich mein ja nur. Vielleicht solltet ihr euch mal treffen oder sowas."

"Uns treffen? Wozu denn das? Treffen mit diesem egoistischem Macho? Nie im Leben. Anstatt Reue zu zeigen für seine Taten hat er sich lieber darüber lustig gemacht, dass ich noch Jungfrau war. Das ist doch echt unter aller Sau..."

"Mmh. Er ist eine arrogante, egoistische Schlampe. Hast du es jetzt eigentlich deinen Eltern schon gesagt?"

"Meiner Mutter ja, meinem Vater nein. Meine Mam hat es schon durch eine Bekannte erfahren und sie war überhaupt nicht entsetzt oder sowas. Sie hat es voll locker aufgenommen, dass sie Oma wird. Also dass meine Mam so gelassen darauf reagiert, hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht."

"Sei doch froh. Wäre ich in deiner Situation, würde mein Kopf bereits auf der nächsten Müllkippe vergammeln. Nachdem ihn mir meine Mutter mit unserem japanischen Gemüsemesser abgeschnitten hat."

 

"Erspar mir bitte diese makraben Vorstellungen, sonst kommt es mir bald wieder hoch. Ich bin schwanger, okay? Also verschone bitte meine Psyche mit deinem schwarzen Humor. In viereinhalb Monaten darfst du mir wieder solche Geschichten erzählen."

 

"Ach Anaaa... ich bin nun mal ein humorvoller Mensch. Sehr ironisch und sarkastisch. Und ich muss dann mal wieder. Im Nachmittag treffe ich mich mit neuen Bekannten, die auch mit mir gemeinsam ausgebildet werden. Und vergiss nicht, du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du reden willst."

"Aber Sabi, dass weiß ich doch. Wie lange kennen wir uns jetzt schon? 13 Jahre?"

"Wenn nicht sogar schon länger... also dann, mach´s gut."

"Jap, tschüss!"

Ach Sabrina. Allein ein Telefonat mit ihr konnte Wunder bewirken. Ich musste sie anrufen und meinen ganzen Zorn rauslassen. Und schon ging es mir gleich wieder viel besser. Meine zweite Seele halt.

 

Und da war noch die Sache mit meinem Vater. Er wusste nichts von seinem Großvaterglück, und würde es auch so schnell nicht erfahren. Er war ja schließlich wieder mal auf Geschäftsreise. Und vor nächster Woche würde er sicherlich nicht zurückkommen. Anrufen wollte ich ihn nicht, weil sonst würde er sofort seine Koffer packen und heimreisen. Und dass hätte mir gerade noch gefehlt. Ich genoss die Ruhe, allein zu Hause zu sein, das ganze Haus für mich allein zu haben. Vor allem dann, wenn ich nicht arbeiten musste.

 

Ich beschloss kurzerhand, ihm einfach einen Zettel auf dem Küchentisch zu hinterlassen, "Herzlichen Glückwunsch, du wirst in 5 Monaten Opa von zwei kleinen Scheißern. Ich kann nichts dafür, deine Tochter." Na der würde sich freuen. Aber was solls. Alle wichtigen Infos in einem Zettel verpackt waren meiner Meinung nach besser als eine stundenlange Diskussion, die nur unnötig meine Nerven strapazierte und sowieso zu keinem sinnvollem Ende kam.

 

Die Sache mit dem "Wer weiß es" war nun also auch endgültig geklärt, ich wusste wer der Vater war, meine Kleinen waren in Entwicklung (oder in Bearbeitung: die Vorstellung, dass in seinem Bauch Babys gebastelt werden, ist doch echt genial).

 

Ich schlenderte durchs Haus - bald würde ich wohl watscheln - und war gerade auf dem Weg hinunter zur Küche, um mir einen Eis-Kaba zu machen, ja, Kaffee-Ersatz.

Stufe. Stufe. Stufe. Noch eine Stufe. Tap. Tap. Tap. Unten.

Ach du sch...schwuler Schwan! Mein Herz machte gerade 20 Saltos hintereinander. Und ich vergaß wie das Atmen ging. WAS um alles in der Welt war da in unserem Haus?!

 

Kapitel 15

 "Ana! Jetzt lass mich doch mal ausreden! Gib mir wenigstens eine Chance!"

 

"Verschwinde hab ich gesagt! Ich will so etwas Abscheuliches wie dich nicht in meinem Haus haben! Geschweige denn überhaupt sehen!

"

 

"Na gut. Dann bin ich eben ein abscheuliches Wesen und ich setze auch nie wieder einen Schritt in dein Haus. Und du brauchst mich auch nicht anzusehen oder so. Aber lass mich bitte mit dir reden."

 

"Du hast zwei Minuten. Und bilde dir ja nicht ein, dass ich auch nur einen klitzekleinen Funken Vergebung für dich übrig habe. Darauf kannst du warten bis du schwarz wirst!"

 

"Bin ich schon fast. Meine Haare sind bereits dunkelbraun, da fehlt nicht mehr vi-"

 

"Ruhig Brauner! Willst du mir jetzt etwas sagen oder nicht?"

 

"Okay, okay. Ich wollte dir eigentlich bloß mitteilen, dass ich für einen Teil der entstehenden Kosten aufkommen werde. Also mindestens die Hälfte, um genau zu sein. Was sagst du dazu?"

 

"Was ich dazu sage? Verpiss dich mit deinem Geld, ich brauch deine Kohle nicht. Steck sie dir doch sonst wo hin!"

 

"Tut mir leid, ich bin auch ohne schon heiß genug, damit der Ofen brennt."

 

Wie lange wartete ich schon auf den Moment, ab denen Blicke endlich töten könnten...

 

Ich heute wieder mal sehr launisch, was mir sogar selber auffiel. Aber ich konnte mich nicht zügeln und Jake bekam gerade alles ab. Geschah ihm auch recht so.

 

Jake seufzte. 

 

"Dann eben nicht. Die Behandlungskosten für deinen Arzt werde ich aber trotzdem übernehmen, ob du willst oder nicht. Ich geh dann mal lieber, bevor du mir noch deine Haustür nachwirfst und mir das Genick brichst."

 

"Wer weiß, eigentlich gar keine so schlechte Idee. Dann wären wir quit."

 

"Hey - stop. Ich habe dir Leben geschenkt, sogar im Doppelpack, und du willst mich dafür abschlachten? Das ist aber nicht besonders nett von dir."

 

"Tja, das Leben war noch nie gerecht und wird es auch nie sein. Und überhaupt, wer hat denn gesagt, dass ich dein "Geschenk",wie du es nennst, annehmen will? Eine Samenbank erfüllt denselben Zweck."

 

"Aber: meins war kostenlos und ziemlich erfolgreich."

 

"Ach halt doch die Klappe. Deine zwei Minuten sind schon längst um."

 

Ich war heute die Höflichkeit in Person und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. So viele Argumente hatte ich noch nie einem Menschen in zwei Minuten um die Ohren geworfen.

 

Ich lehnte mich an die Innenseite der Tür und ließ mich langsam zu Boden sacken. Morgen hatte ich wieder einen Termin beim Fra-

 

Ding-Dong

 

Ich bekam gleich die Krise. Wer wollte denn JETZT schon wieder etwas. 

 

Ich stand wieder auf und öffnete die Tür. 

 

Nein. Nicht schon wieder. Jake.

 

Und die Tür sofort wieder zu.

 

"Hey! Warte doch mal! Wie heißt denn dein Frauenarzt? Wäre ganz gut zu wissen! "

 

Seine Stimme drang durch die Tür bis ins Haus. 

 

Ich brüllte ihm zurück "Fifty Shades of Grey" und ich war echt richtig verdutzt, als er mit "Okay" antwortete. 

 

Sein Humor hatte irgendwie was. Neben seinem Charakter war dieser Teil von ihm eigentlich ganz in Ordnung. 

 

Zurück zu vorher, bevor er meine Gedanken unterbrochen hatte:

Morgen war mein nächster Termin. Ich war schon sehr aufgeregt, fast so schlimm wie beim ersten Mal. So wie es aussah würde ich diesmal wohl wieder alleine hingehen müssen: Meine Mutter musste arbeiten, Sabrina hatte Ausbildung, meinen Vater konnte ich sowieso vergessen.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

 

Med. Praxis Dr. Grey.

 

Ein Schritt und ich betrat zum zweiten Mal die Pforten des Gebäudes. Ich setzte mich ins Wartezimmer und...wartete. Richtig. Ich hatte gehört, das hatten Wartezimmer so an sich.

 

"Mrs. Smith, bitte."

 

Eine vertraute Stimme bat mich, ihr ins Praxiszimmer zu folgen. Dort saß bereits Dr. Grey - nein, nicht Christian Grey, wäre auch zu schön gewesen - und begrüßte mich mit einem Handschlag.

 

"Alles gut soweit? Irgendwelche Beschwerden?"

 

"Bis auf das, dass ich so viel esse wie ein ein ausgehungertes, wildes Tier, ja."

 

"Keine Sorge, das ist normal. Ihre Essgewohnheiten sind während der Schwangerschaft sowieso oft recht ungewöhnlich. Sie wissen schon, Essiggurken mit Nutella und so."

 

"Ana, bitte. Ich bin Ana. Nicht Mrs. Smith."

 

"Okay. Mein ganzer Name ist Marco Grey. Aber du darfst mich auch gerne nur Marco nennen."

 

Ernsthaft? Marco Grey? Was für ein bescheuerter Name.

 

Aber ganz ehrlich, der Typ war schon ein echt heißer Feger. Sicher war er schon längst vergeben. Er wäre aber sowieso zu alt für mich gewesen. Er war sicher zehn Jahre älter als ich. Aber er war echt verdammt sexy.

 

"So, dann leg dich doch bitte hin, Ana. Nichts neues, wie gewohnt Ultraschall."

 

Ich konnte es kaum erwarten, bis auf dem Monitor ein klares Bild zu erkennen war.

 

"Was? Meine Kleinen sind schon so groß?"

 

"Ja, was hättest denn du erwartet. Du bist bald im fünften Monat."

 

"Die sind ja zehnmal so groß wie beim letzten Mal!"

 

"Ein Wunder der Natur - ich sag es jedes Mal aufs Neue."

 

"Mmh. Ein wahres Wunder."

 

Es klopfte an der Tür.

 

"Herein."

 

Hier erlebte man ja wirklich eine Überraschung nach der anderen.

 

Denn so wie es aussah, war ich heute wohl doch nicht allein...

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 16

 "Ruhig! Bleib ruhig, Ana. Wir können das in aller Ruhe klären."

 

"Was zum Teufel machst du hier, Jake?! Und wie hast du überhaupt wissen können, dass ich hier bin?"

 

"Ich habe schon so meine Kontakte."

So ein Arschloch.

 

"Aaarrgh.. die Person ist jetzt schon so gut wie tot."

 

"Beruuuhige dich, das ist nicht gut für dich in deinem Zustand."

 

"Ach halten Sie doch die Klappe, Dr. Grey.

Ich habe einen guten Grund, um mich aufzuregen. Und zwar DER DA."

 

"Ist der DER DA ihr Ex-Freund?"

 

"Nei-"

 

Jake brach mir mitten im Satz das Wort ab.

 

"Nein, ich bin nicht ihr Ex-Freund."

 

"Wer sind Sie dann? Ihr Freund etwa?"

 

"So ungefähr. Es sind jedenfalls unsere Kinder."

 

'So ungefähr.' War das jetzt sein Ernst? Ich hasse ihn nach wie vor wie die Pest dafür.

 

"Wollen Sie den Herzschlag Ihrer Kinder hören?"

 

"Ja. Unbedingt."

 

War das Sarkasmus oder meinte er das Ernst? 

 

Dr. Grey gab ihm das eine Ende des Stethoskops und Jake steckte es sich in die Ohren. Mit dem anderen Ende tastete Dr. Grey meinen Bauch entlang.

 

"Und, hören Sie etwas?"

 

Ich enthielt mich aus der Konversation und ließ die beiden alleine reden.

 

"Und wie! Wahnsinn! Wie geil ist das denn? Ich höre da drin zwei Herzen schlagen!"

 

"Ja...zwei Herzen, die du im alkoholisierten Zustand aus Spaß in mir gezeugt hast."

 

"Es war nicht aus Spaß, ich war betrunken, okay?"

 

"Macht das irgendeinen Unterschied? Du hättest es bestimmt auch nüchtern mit mir getrieben!

 

"A-"

 

Jake stockte mitten im Satz. 

Tja, auf DAS konnte er auch nichts mehr erwidern.

 

Endlich mal ein Erfolgserlebnis. Seltener Moment. Ich feierte diesen kleinen Triumph in meinem Inneren und war zum ersten Mal stolz auf mein Mundwerk.

 

Theoretisch könnte ich ihm ja jetzt die Hölle heiß machen, nachdem was er getan hat. Sein Ruf als Macho war jetzt jedenfalls komplett hinüber.

 

"Ich möchte ja ihre wunderbare Unterhaltung nur ungern unterbrechen, aber dann wären wir es eigentlich auch schon wieder für heute.

Die Babys sind zwar noch sehr klein für ihr Alter, aber es geht ihnen soweit gut. Und das ist doch die Hauptsache."

 

"Ja, Gesundheit ist das Wichtigste."

 

Bildete ich mir das bloß ein oder interessierte er sich wirklich für seine "Werke"? War das etwa sowas wie Besorgnis in seiner Stimme? 

 

"Also dann, machts gut ihr beiden. Bis zum nächsten Mal! Ach ja, hier noch das Ultraschallbild. Und sollten irgendwelche Beschwerden auftreten, komm einfach vorbei!"

 

"Okay. Mach ich. Bis zum nächsten Mal."

 

Ich verabschiedete mich und ging schleunigst zur Tür. Ehe ich mich versah, hatte mich Jake bereits eingeholt und hielt mich am Arm fest. 

 

"Au! Was soll das? Lass gefälligst deine Finger von mir!"

 

"Ich glaube das wird schwer. Du bist nämlich so unwiderstehlich heiß."

 

"Haha. Das ich nicht gleich umfalle vor Lachen. Machst du das bei allen deinen Opfern so?"

 

"Nein. Nicht bei allen. Genauer gesagt nur bei dir. Du bist nämlich nicht wie alle anderen. Du bist anders."

 

"Ja, da muss ich dir wohl recht geben. Ich bin tatsächlich anders. Im Gegensatz zu deinen anderen ehemaligen Jungfern ist bei mir so einiges schief gelaufen - oder soll ich doch lieber sagen schief gespritzt?"

 

"Ich an deiner Stelle würde das eher als Kompliment sehen: Du hast mich im wahrsten Sinne des Wortes völlig aus der Bahn gebracht."

 

Das einzige was ich wirklich an ihm mochte war sein sarkastischer Humor. Und seinen wahnsinns Körper - aber das wars dann auch schon wieder. 

 

Ich musste bei diesem Gedanken schmunzeln. Sein Motto war also nicht 'Ab durch die Mitte' sondern es ging daneben.

 

"Kommt öfters vor, dass Männer bei mir ihren Orientierungssinn verlieren."

 

"Öfters? Ich dachte du warst noch Jungfrau."

 

"Einer muss immer den Anfang machen. Und mit irgendetwas muss ich dich ja provozieren."

 

"Soso. Provokation als Mittel des Zweckes. Nicht Schlecht, Herr Specht."

 

Mittlerweile waren wir kurz vor meinem Auto angelangt.

 

"Hey, warum hast du eigentlich gewusst, dass ich hier bin?"

 

"Naja, ich wusste ja, wie die Praxis heißt, weil du es mir neulich erzählt hast. Und den Rest kannst du dir selbst dichten."

 

"Sag bloß..."

 

"Jap. Genau. Ich habe mich als Vater der Kinder ausgegeben. Was ja auch der Wahrheit entspricht. Ansonsten hätte ich wohl nie die Chance gehabt, sie zu sehen und zu hören."

 

"Willst du damit sagen, ich hätte es dir nicht erlaubt?"

 

"So ungefähr."

 

"Da hast du ja Glück gehabt, dass die Praxis-Blondies so nett zu dir waren."

 

"Nett ist die kleine Schwester von scheiße."

 

"Und Scheiße ist Nutella."

 

Er grinste.

 

"Apropos Nutella. Darauf hätte ich jetzt richtig Bock."

 

"Kauf dir eins."

 

"Kauf du mir eins."

 

"Das hättest du wohl gern. Ich kauf dir nicht eins. Ich kauf dir so viel süße 'Scheiße' wie du willst."

 

Ich setzte mich ins Auto und drehte den Schlüssel um.

 

"Okay. Du hast es versprochen. Ich bin heute den ganzen Tag zuhause, du kannst es jederzeit vorbeibringen."

 

"Vorbeibringen?"

 

Er öffnete die Tür der Beifahrerseite und setzte sich in meinen Wagen...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 17

 "Äh, was? Warum? Sag mal hast du selber kein Auto?"

 

"Doch. Aber das steht noch bei Nina."

 

"Lass mich raten: Die letzte die du abgeschleppt hast?"

 

"Nicht ganz. Aber ich kann echt nicht verstehen, was meine Mutter manchmal gegen sie hat. Sie ist doch eigentlich ganz nett."

 

"Deine Mutter kennt sie? Seit wann hast du eine Freundin?"

 

Jake und eine Freundin? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Das würde nicht länger als zwei Tage gut gehen, bis er mit der nächsten in die Kiste springt.

 

"Nina? Meine Freundin? Weißt du, ich steh nicht so auf Inzest. Sie ist meine kleine Schwester."

 

"Achso. Sag das doch gleich."

 

Mit der Armen hätte ich echt Mitleid gehabt. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass er immer noch Single war. Warte - ein Stein vom Herzen? In meinem Zustand wäre das irgendwie nicht gerade zur Gesundheit beitragend. 

Babys durch Steinschlag getötet - das wäre ja mal eine Schlagzeile, die man auch nicht alle Tage liest. 

 

"Kann es sein, dass da jemand ein kleines bisschen eifersüchtig ist?"

 

Er legte den Kopf schief und grinste. 

"Ich? Eifersüchtig? Na ganz sicher nicht. Ich bin nur froh, dass sie deine Schwester ist und nicht deine Freundin."

 

"Okay? Muss ich nicht verstehen oder?"

 

"Nein, das musst du wirklich nicht. In welchen Supermarkt willst du eigentlich fahren?"

 

"Hmmm...was gibt es denn alles:

Lidl - Lidl lohnt sich. REWE - jeden Tag ein bisschen besser. Edeka -wir lieben Lebensmittel. Ganz ehrlich? Das hört sich doch alles gleich beschissen an."

 

Mit hoher Stimme trällerte mir Jake die einzelnen Werbespots der Lebensmittelketten runter.

 

"Da muss ich dir ausnahmsweise mal recht geben. Aber ich weiß, was wir dagegen unternehmen können: Lass uns einfach zu Aldi fahren. Die haben nicht so einen deprimierenden Slogan, um ihr Geschäft zu puschen. Und außerdem will ich ja meine Kinder vor einem Gehörsturz bewahren, bevor sie aus mir heraußen sind."

 

"Willst du damit etwa mein gesangliches Talent kritisieren?"

 

Ich musste sagen, schauspielern konnte er ja ganz gut. Er riss die Augen auf und formte seinen Mund zu einem O, der gespielt schockierte Blick war das Tüpfelchen auf dem I.

 

"Eveeentuell."

 

"Pffff...das macht dann ein Glas weniger Nutella."

 

Er spielte einen auf beleidigte Tussi.

 

"Jaja, ich bin ja schon still, bevor ich noch im Minusbereich lande. Obwohl, kann ich ja eigentlich gar nicht, du hast mir ja versprochen ich bekomme so viel ich will."

 

"Ou man. Das kostet ja dann mein gesamten Monatsgehalt. Was habe ich da bloß gemacht..."

 

Ich musste lachen.

 

"Naja, selber schuld. Schwangere brauchen ja eine gesunde Ernährung."

 

"Mit Nutella?"

 

"Ja. Nicht nur für sie Nerven. Ich brauche nun mal viel Vitamine, und weil Nutella eher wenig Vitamine enthält, brauch ich eben ein wenig mehr. Klarer Fall von Schicksal für dich."

 

"Okay. Ich werd's überleben. Ich hoffe mal du isst mich nicht arm."

 

"Hey, sooo fett und verfressen bin ich nun auch wieder nicht."

 

"Du bist es nicht, aber wer sagt denn dass du es nicht noch wirst?"

 

Er blickte mich herausfordernd an und ich stellte den Wagen ab und zog ihm mit meiner Handtasche eine über. 

 

"Hey! Au! Du kannst doch nicht den Vater deiner Kinder schlagen!"

 

"Und wie ich das kann!"

 

Er blickte mich wie ein Dackel an und ich legte die Hände um meinen Bauch. 

 

"Aaah! Nicht schon wieder!"

 

"Was ist? Geht's dir gut? Brauchst du etwas?"

 

"Was ich brauche? Nutella. Sie strampeln bloß wieder."

 

"Darf ich?"

 

Er will meinen Bauch anfassen? Okay. 

 

Er zog mein Tshirt nach oben und legte seine Hände an meinen Bauch. 

 

"Wow. Das ist ja mal krass."

 

Ich musste grinsen, als ich sah, dass er sich wie ein kleines Kind freute.

 

"Hey! Sie da! Lassen Sie sofort Ihre Griffel von dem Mädchen oder ich rufe die Polizei! Haben Sie nicht gehört? Finger weg!"

 

Hinter uns war aus heiterem Himmel eine alte Dame aufgetaucht, die gerade dabei war, mit ihrem Stock auf Jake einzuschlagen.

 

"Au! Sag mal geht's noch? Sie ist meine Freundin und sie ist im fünften Monat schwanger! Lassen Sie uns also in Frieden, okay? Danke für Ihr Verständnis."

 

Den letzten - ironischen - Satz murmelte er nur noch so leise, dass nur noch ich ihn verstehen konnte. Ich musste anfangen loszulachen.

 

"Oh mein Gott was war DAS DENN? Ich krieg mich nicht mehr ein! Die Alte hat dir angedroht, dass sie die Bullen ruft! Und danach hat sie dir einen übergedroschen..."

 

"Jetzt hab ich schon zwei Beulen...immer auf die Kleinen."

 

Zwei Beulen - wo war denn bloß die dritte...^^

 

"Du und klein? Du bist einen Kopf größer als ich. Und die Beulen musst du blasen, hilft wirklich."

 

"Blasen? Auf den Kopf? Wie soll das gehen?"

 

"Weiß nicht. Lass dir was Schlaues einfallen."

 

Er kniete sich direkt vor mich auf den Boden und nahm eine Hand von meinem Bauch.

 

"Ana - willst du mir einen blasen?"

 

"Aber immer doch, mein Herr."

 

Ich packte ihn im Nacken und holte tief Luft. Doch anstatt zu blasen musste ich losprusten. War ja klar. 

 

"Ich glaube, ich kann dir keinen blasen."

 

"Schade. Das müssen wir unbedingt ändern."

 

"Was soll das jetzt heißen?"

 

Anstatt auf meine Frage zu antworten, packte er mich an der Hand und wir gingen zum Eingang. 

 

"Wenn wir weiterhin so trödeln, haben sie kein Nutella mehr. Und wir wollen ja nicht, dass du einen Vitaminmangel hast."

 

Mein einziger Gedanke: Sperma enthält Vitamin C.

 

"Find ich auch. Halt. Bevor wir da reingehen, noch etwas wichtiges:"

 

Ich holte einen Zwickel aus meinem Portmonee und löste einen Einkaufswagen.

 

Sein belustigter Blick war einfach genial. 

 

"Hier, bitteschön. Lasset die Spiele beginnen."

 

Nutella, ich komme...

 

 

Kapitel 18

 "Das dürfte jetzt für die nächsten zehn Jahre reichen."

 

"Für die nächsten zehn Tage meinst du wohl eher."

 

"Hey! Ich bin überhaupt nicht so verfressen wie du immer behauptest!"

 

"Das sagen sie alle...und dann sind sie schwanger."

 

"Pfff... mach dich ruhig über mich lustig. Ich kann dafür so viel essen wie ich will solange ich fett bin. Da macht ein Kilo mehr auf den Rippen das Kraut auch nicht fett."

 

"Soweit habe ich noch gar nicht gedacht. Deshalb sind also viele Mütter so fe..."

 

"..fett. Danke aber auch, dass du mich immer so nett daran erinnerst, dass ich in ein paar Wochen wie eine lebendige Kugel durch die Welt rolle."

 

"Ach komm. Ich helf dir gerne essen und versteck dir deine Sachen, damit du ein wenig in Bewegung kommst."

 

"Ich glaube ich mache doch lieber freiwillig Sport."

 

"Sport? Du? Gibt's da nicht sowas wie Schwangerschaftsgymnastik oder so?"

 

"Ja. Stimmt. Aber ich weiß nicht recht, ob ich da hingehen soll. Lauter Ehepaare, die sich wie ein Schnitzel auf ihr gemeinsames Kind freuen, und dann ich: minderjährig, vaterlos und komisch."

 

"Also mit komisch hast du recht, mit vaterlos nicht. Du hast ja mich."

 

"Du bist nicht mein Vater!"

 

"Gehen da die Schwangeren mit ihrem Vater hin? Das ist ja ganz was Neues. Abgefahren."

 

Ich musste lachen. Allein die Vorstellung, mit meinem Vater Gymnastik zu machen, ließ mich in einen Lachkrampf ausbrechen.

 

"Okay, bevor ich DA mit meinem Vater hingehe würde ich ja dich noch lieber mitnehmen. Und das wäre schon schlimm genug."

 

"Darf ich trotzdem mitkommen? Obwohl ich so schlimm bin?"

 

"Wer sagt denn, dass ich da überhaupt hingehe?"

 

"Ich habe es gerade für dich entschieden. Ich will ja nicht, dass du in der nächsten Staffel von Biggest Looser zu sehen bist."

 

Er grinste wie eine Banane.

 

"Ich werd's mir überlegen."

 

"Und ich werde dich anmelden."

 

"Aber nicht ohne meine Erlaubnis."

 

"Und wenn doch?"

 

"Dann..."

 

"...kannst du nichts dagegen tun."

 

"Wir werden sehen."

 

"Und wir werden hören. Und fühlen. Und riechen. Und schmecken."

 

"Dass du alles was ich sage kommentieren musst..."

 

"Tja, wer kann, der kann."

 

"Und weißt du was ich kann? Ich schmeiß dich jetzt aus meinem Wagen."

 

"Ist mir eine Ehre."

 

Vor seinem Haus ausgekommen, blieb ich stehen und er stieg grinsend aus. Am Türrahmen abgestützt bedankte er sich für den Transport.

 

"Bis bald, Fetti!"

 

Wie bitte? Sag mal gings noch? Fetti?

 

"Pfff..."

 

Ich fuhr die Straße entlang und erreichte ein paar Minuten später mein Zuhause.

 

Kaum war ich im Haus und hielt meine Kiste voller Nutellagläser zwischen den Armen, blickte ich auch schon in die grünen Augen meines Dads.

 

Ach du Sch...neebällchen.

 

Er war schon um einiges früher zurück als geplant. Das letzte, womit ich gerechnet hätte, war DAS. Aber das Schicksal hatte ja eine Überraschung nach der anderen auf Lager.

 

Während ich ihn immer noch ansah, als hätte ich ein Gespenst gesehen, hatte er seine Augen auf meinen bereits ein wenig gewölbten Bauch gerichtet. 

 

Was sollte ich jetzt sagen? Die ganze Situation war gerade leicht peinlich.

 

"Hallo Dad."

 

Er sagte nichts und starrte mich weiterhin wortlos an.

 

Zu meinem Glück kam gerade mein Bruder aus seinem Zimmer heruntergerannt.

 

"Und ich werde wirklich Onkel?"

 

"Jap. Sogar zweimal."

 

"Das ist ja krass! Darf ich dann auch babysitten?"

 

"Aber klar doch. Du wirst gewiss ein guter Onkel."

 

"Mmh. Wie lange musst du sie denn noch ausbrüten?"

 

War ich jetzt ein Vogel oder was? Ich hatte zumindest einen, so viel stand fest. 

 

"Ausbrüten... vier Monate."

 

"Und dann kommen sie unten raus, oder?"

 

Hatte er denn in Sachen Aufklärung überhaupt nicht aufgepasst? 

Natürlich werden sie unten rauskommen, am besten hinten, wie bei einem Widerkäuer.

 

"Nein, ich kotze sie aus, weißt du kleines Dummerchen."

 

Auskotzen wäre mir irgendwie lieber. Aber leider war ja das anatomisch unmöglich, selbst wenn die zwei im Magen entstanden wären. 

 

"Dad, es tut mir leid. Ich kann wirklich nichts dafür."

 

"Dann sieht mein Schicksal also so aus, dass ich mit 42 Jahren in die Pension gehen muss, um Windeln zu wechseln und Babys zu füttern. Normale Menschen in meinem Alter haben das schönste Leben: Karriere im Beruf, pflegeleichte Kinder und der restliche Schnickschnack."

 

"Wer sagt denn, dass du deshalb deinen Beruf beenden musst? Davon war nie die Rede. Ich komm allein klar, auf deine Hilfe kann ich verzichten. Dir ist doch dein Beruf sowieso wichtiger als deine Kinder! Also geh und flieg um die Welt, ich schaff das alleine."

 

"Weißt du was? Du bist genau wie deine Mutter, aber genauso!"

 

"Wer war denn derjenige, der sie betrogen hat? Ich kann sie voll und ganz verstehen, warum sie dich verlassen hat! Sie bedeutet dir ungefähr so viel wie eine deiner hunderttausend Krawatten!"

 

Von der Wut gepackt flüchtete ich nach oben in mein Zimmer und warf mich mit voller Wucht auf mein Bett.

 

Handy. Wo war mein Handy. Ich musste Sabrina anrufen, ihr alles vom heutigen Tag erzählen. 

 

Ich konnte es selbst noch kaum glauben, was da alles geschehen war.

 

Jake beim Frauenarzt. Nutella shoppen. Unzählige sarkastische Bemerkungen. Die Auseinandersetzung mir meinem Dad.

 

Das war zu viel für mich. Sabrina musste warten.

 

Ich zog die Decke über meinen Kopf und Minuten später schlief ich so tief und fest wie ein Stein. 

 

 

 

 

Kapitel 19

 "Er hat dich gefragt, ob du ihm einen blasen willst? Und dann hat ihm eine durchgedrehte Oma zusammengeschlagen? Geil!"

 

"Da hättest du dabei sein müssen. Das war SO stark."

 

"Glaub ich dir sofort. Mein Leben ist weit nicht so spannend wie deins. Lernen, Arbeit, essen, schlafen. Jeden Tag. "

 

"Keine Sorge, sobald du Patentante bist wird dein Leben alles andere als langweilig. Die Kleinen werden dich ganz schön auf Trab halten, darauf kannst du wet-"

 

"Wet-? Ich bin nicht wet."

 

"Ähm...wetten."

 

"Ist irgendwas? Geht's dir gut? Schwangerschaftsdemenz? Aaaanaaaaaa...reeede mit mir..."

 

"Dreimal darfst du raten, wer mir gerade geschrieben hat."

 

"Jake the cake."

 

"Jap."

 

"Und was?"

 

"Dass er vor meiner Haustür steht und gerne reinkommen möchte er sich aber vorher absichern möchte, dass ich ihm nicht die Türe vors Gesicht schlagen werde."

 

"Der Typ ist ja echt der Hammer! Okay, dann noch viel Spaß euch beiden! Du rockst das Ding!"

 

"Welches Ding? Was?"

 

"Tschüss!"

 

Biep. Biep. Biep. Und schon hatte sie aufgelegt. Aaargh... da brauchte man sie einmal im Leben und schon war sie weg von der Stange...

 

So. Was sollte ich nun tun. In meinen Schlabberklamotten konnte ich mich ja wohl kaum vor ihm zeigen. Da kam ich mir ja neben ihm vor wie ein Müllssack neben einem Porsche. Nicht dass er aussieht wie ein Porsche oder so... aber wenn man sein Aussehen verkaufen müsste würde das ein Heidengeld einbringen - und Porsches sind ja auch nicht gerade billig. 

 

Also: was anziehen? Der Schrank machts möglich. Also zum Schrank. Ach du Sch....

Wäre ich mir nicht sicher, dass unser Haus windsicher war, würde ich knallhart behaupten, hier hätte ein Tornado gewütet.

 

Pinkes Tshirt? Nein, da sah ich zu fett aus. Gelbes Top? Nein auch nicht...

 

Nach gefühlten zwanzig Jahren fand ich schließlich ein passendes Outfit: Ein mintgrünes Sweatshirt und eine schwarze Leggins. Konnte sich einigermaßen sehen lassen.

 

Haare richten, schminken, Parfum, Tür auf.

 

"Hi."

 

"Guten Tag, Miss Smith, wie geht's wie steht's?"

 

"Mir geht's gut und bei mir steht gar nichts."

 

"Oh. Da bin ich aber erleichtert."

 

"Willst du noch lange da draußen auf bessere Zeiten warten oder endlich reinkommen, wenn du schon mal darfst?"

 

Türe zu. Schlüssel umdrehen. Es gab kein Entkommen mehr. 

Nein, wir waren hier nicht in Shades of Grey.

 

"Komm mit."

 

Ich führte ihn in mein Zimmer, weil ich mir nicht sicher war, ob ich heute den ganzen Tag das Haus für mich alleine hatte.

 

"Schick schick."

 

Er begutachtete den Raum und ließ sich anschließend auf mein Bett plumpsen.

 

"Warum bist du eigentlich hier?"

 

"Naja, ich dachte mir, wenn ich schon mal frei habe kann ich den Tag sinnvoll nutzen und einen Abstecher bei meiner schwangeren Freundin machen."

 

Und da war es schon wieder. Dieses Wort.

 

"Seit wann bin ich deine Freundin?"

 

"Wer sagt denn, dass du meine Freundin bist? Freunde - okay?"

 

"Wir sind Freunde? Seit wann denn das?"

 

"Auch wenn ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst habe ich nach dem gestrigen Tag einfach kurzerhand beschlossen, dass wir Freunde sind. Ist das in Ordnung für dich?"

 

"Neben deinen 938 Facebook-Freunden bin ich dann also Nummer 939 in der Sammlung. Okay."

 

Eine weitere, unbedeutende Person, mit einer Nummer abgestempelt, gleich wie alle andern. Nur dass der Unterschied daran liegt, dass er die anderen nicht geschwängert hatte. 

 

Ich musste mich am Riemen reißen, um nicht in Tränen der Wut auszubrechen. 

 

"Hey hör mal! Du bist etwas ganz anderes als die ganzen andern!"

 

"Ach ja? Und warum sollte das so sein? Beweise es mir!"

 

So ein Arschloch.

 

Im nächsten Moment hatte er bereits seine Lippen an meine gepresst. Was? Er küsste mich gerade? Jake? Vor lauter Verwirrung vergaß ich ganz, meine Augen zu schließen. Das war doch alles nicht mehr echt. 

Ich hoffte sehr, dass es nur ein gewöhnlicher Tagtraum war - aber das war es nicht.

 

Als sich seine Lippen wieder von mir lösten, fragte er:

 

"Beweis genug?"

 

"Du kannst zu jeder sagen, Du bist etwas Besonderes und sie abschnullen."

 

"Dann glaubst du mir halt nicht."

 

Sein eindringlicher Blick schien irgendwie vermitteln zu wollen, dass er die Wahrheit sagte. Aber ich blieb bei meiner Meinung. 

 

Themawechsel.

 

"Lass uns etwas kochen."

 

"Okay. Wie wär's mit Lasagne?"

 

"Oh ja - auf geht's! "

 

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

 

"Hack dir bitte nicht den Finger ab. Oder willst du den Kleinen mal erzählen, dass ihr Vater deinen Daumen gegessen hat?"

 

"Makabre Vorstellung. Das passiert auch nicht jedem. Aber lieber nicht. Der ist gerade so schön lackiert und ich will dich ja nicht vergiften."

 

Er schmunzelte.

 

"Du gefällst mir, Mädchen."

 

"Mein normales Ich oder mein sarkastisches Ich?"

 

"Beides."

 

Und da kam es mir wieder. Er hatte mich geküsst. Einfach so. 

Ich blickte ihn kurz von der Seite an. Ja, kurz. Aber er war schneller.

 

"Ertappt."

 

"Ist Leute anschauen etwa seit neuestem verboten?"

 

"Nein. Du darfst mich gerne anstarren. Aber auf eigene Gefahr. Ich habe dich gewarnt. Es sind schon so manche blind geworden."

 

"Kann ich verstehen. Du siehst einfach blendend aus. Wie eine Granate. Da wird man im wahrsten Sinne des Wortes blind vor Schönheit."

 

"Und ich bin so heiß wie ein Vulkan, ich verbrenne mich daran."

 

"Wwaaa! Verschwinde aus meinem Haus! Du bist ja eine Bedrohung für mich und meine zwei kleinen Mitesser."

 

"Deine zwei Mitesser - genial. Und nein - ich verschwinde nicht von hier. Du brauchst doch noch einen heißen Gegenstand, auf dem du die Lasagne kochen kannst."

 

Ich hustete gekünstelt. 

 

"Da bleibt dir jetzt im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke weg..."

"Kann man wohl so sagen."

 

"Aber ich weiß was, was dagegen hilft..."

 

Eine Sekunde später war ich bereits damit beschäftigt, Jakes feuchtes Lippenbekenntnis zu erwidern...

 

Kapitel 20

"Ach Jake. Hör doch auf damit. Ich meine, mit wie vielen hast du das schon gemacht? Egal. Ich wills gar nicht wissen."

Ich nahm die Lasagne und stellte sie in den Ofen. Ein guter Küsser war er ja schon...

"Ich wollte dir lediglich nur helfen, damit du nicht austrocknest, wenn dir von meiner Anwesenheit immer die Spucke wegbleibt."

"Ja, meine Babys brauchen Flüssigkeit. Aber nicht deinen bakterienverseuchten Speichel."

"Sind nur ein paar Essenreste drin. Aber mehr auch nicht."

"Und ein paar Herpesviren..."

"Ich hab keinen Herpes!"

"Dann eben ein paar nette, kleine Zungenbelag-Bakterien."

"Anaaa... mach den Kleinen keine Angst. Wer weiß, vielleicht können sie uns ja bereits verstehen."

Der Gedanke, zwei kleine Stalker im Bauch zu haben, war irgendwie komisch.

"Fast fünftes Monat. Sie können also schon hören."

"Okay. Dann dürfen wir jetzt nur noch von positiven Dingen reden."

"Einhörner."

"Blumen."

"Bienen."

"Insekten."

"Moskitos."

"Ebola."

"Irgendwie ist das nicht so unser Ding. Von Einhorn zu Ebola."

"Na und? Es muss doch auch Verrückte auf dieser Welt geben, sonst wäre doch das Leben langweilig."

"Wo du recht hast, hast du recht. Was machen wir denn jetzt noch bis das Essen fertig ist?"

"Hmm... erzähl mir was über dich. Irgendwelche Hobbies, Leidenschaften oder sonstige Fetische."

"Was soll ich da schon groß erzählen. Ich treffe mich gern mit Freunden. Ich esse gerne Kuchen. Ich höre gerne Heavy Metal."

"Du hörst Heavy Metal?"

"Ja. Hättest du nicht gedacht oder?"

"Nein, nicht wirklich. Noch eine von der harten Sorte."

"Hehe. Weiche Schale, harter Kern. Du etwa auch?"

"Mmh. Und welche Bands hörst du am liebsten?"

"Metallica. Ich LIEBE sie."

"Ou ja. Die sind echt nicht schlecht. Was ist dein Lieblingslied?"

"Ehrlich gesagt habe ich gar keins. Sie haben viele wahnsinnig gute Songs."

"Was hältst du davon, wenn wir mal auf ein Konzert von ihn gehen?"

"Auf ein Konzert? Auf ein Metallica-Konzert? Die Karten sind doch gewiss ewig teuer. Und ich bin schwanger, das geht nicht."

"Wer sagt denn, dass es bald sein muss? Ich meine nächstes Jahr oder so. Und ich lade dich selbstverständlich ein."

"Also wenn du zahlst, dann überlege ich es mir vielleicht noch mal. Nein Spaß. So ein Konzert wäre schon der Hammer. Mal sehen, vielleicht klappts ja irgendwie."

"Wenn du mich an deiner Seite hast klappt alles."

Er grinste.

"Hey, nicht abheben. Immer schön auf dem Boden der Tatsachen bleiben."

"Okay. Aber nur solange ich noch nicht weiß, ob es im Himmel Lasagne gibt."

"Willst du etwa schon wieder eine Beule?"

"Wer sagt denn, dass ich nicht schon eine habe?"

"Und wo bitte?

Nicht sein Ernst. Sein Blick richtet sich zwischen seine Beine.

"Verstehe. Also du bist ja echt pädophil."

"Ich? Pädophil?"

"Ja. Du stehst schon auf die Kleinen bevor sie überhaupt da sind."

"Bist du dir da wirklich sicher, dass ich nur auf die Babys stehe?"

"Ah. Die Lasagne. Kann ich verstehen. Der erregende Duft raubt mir auch alle Sinne."

"Du bist wirklich unermüdlich."

Jackpot. Pfiffige Kommentare waren schon immer mein Ding.

"Irgendwie riecht es hier ziemlich heiß."

"Mal abgesehen von mir könnte es die Lasagne sein."

Während ich bereits Teller aus dem Schrank holte, schaltete Jake den Ofen aus und servierte das Essen.

"Boah siehst du scharf aus! Diese Hügel und Täler!"

"Meine Cellulite bedankt sich für das Kompliment!"

Ich hörte Jake hinter mir in einen Lachkrampf ausbrechen und drehte mich mit den Tellern in der Hand um.

"Was? Du redest doch von meinem Arsch, oder etwa nicht?"

"Eigentlich habe ich damit die Kruste der Lasagne gemeint, aber dein Arsch ist auch ziemlich scharf. "

"Fishing for compliments."

"Du Luder."

"Anmerkung: geiles Luder. Man hat ja nicht immer so ein Prachtstück am Tisch."

"Ja. Aber solange ich hier bin, dürfte sich nichts fehlen."

"Du darfst später den ganzen Sarkasmus, den du hier rumwirfst wieder aufwischen, dass weißt du schon oder?"

"Aber vorher muss ich das scharfe Ding hier essen."

"Ich dulde keine Kannibalen in meiner Wohnung."

"Guten Appetit."

 

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

 

"Die intelligente Hausfrau: 'Wisch die sarkastischen Bemerkungen vom Geschirr' anstatt zu sagen 'Spül das Geschirr'"

"Tja, wer kann, der kann."

"Ich muss dir jetzt dann etwas zeigen. Zieh dich warm an."

"Aber es ist heiß draußen."

Er verdrehte die Augen.

"Wir fahren wo hin. Und es wird später."

"Wo fahren wir hin?"

"Lass dich überraschen."

"Überraschungen enden bei mir nie gut."

"Das müssen wir unbedingt ändern."
Das hatte er auch schon gesagt, als ich ihm gesagt hatte, dass ich ihm keinen blasen kann. Hat sich bisher etwas geändert? Nein.

"Kein Grund zur Sorge. Es wird dir gefallen."

"Sicher?"

"Ganz sicher."

"Gehört es zum Standardprogramm deiner Loverinnen?"

"Standardprogramm? Ganz und gar nicht."

Ich grübelte schwer, was er bloß mit mir vorhatte. Ich hatte keinen blassen Schimmer.
Aufgeregt wie ein kleines Kind ging ich in mein Zimmer und hübschte mich ein wenig auf.

Als ich fertig an, wartete Jake bereits vor der Tür und blickte mich auffordernd an.

"Können wir?"

"Let's go."

 

 

Kapitel 21

 "Wie lange fahren wir noch?"

 

"Nur Geduld, Miss Smith. Wir sind gleich da."

 

"Du bist gemein, weißt du das? Mich so auf die Folter spannen."

 

"Was sein muss, muss sein. Ach ja, ich hoffe du kannst schwimmen."

 

"Schwimmen? In meinem Zustand? Nicht dein Ernst, oder?"

 

"Oh doch. Du wirst das schon überleben."

 

Ich war geschockt. Er wollte seine schwangere Freundin zum schwimmen zwingen. Na das konnte ja lustig werden. 

 

"So. Hier wären wir auch schon. Bitteschön."

 

Ehe ich mich versah, hielt mir Jake bereits ganz gentlemanlike eine Hand zum Aussteigen hin und öffnete meine Tür. 

 

"Ach halt. Ich muss dir noch die Augen verbinden."

 

Oh nein. Unfall vorprogrammiert. 

 

Ohne Widerrede ließ ich es über mich ergehen und stand nun mit verbundenen Augen neben einem heißen Typen mitten im Wald.

 

"So. Und jetzt kann's auch schon losgehen."

 

Er ergriff aus heiterem Himmel meine Hand und ich ließ mich von ihm führen.

 

"Und was ist, wenn du mich jetzt irgendwo im Busch vergewaltigst?"

 

"Die Gefahr besteht natürlich immer. Aber schwanger bist du ja schon, was soll also schon groß passieren?"

 

"Ja, stimmt, du HAST mich ja schon mal vergewaltigt."

 

"Hey. Ich war betrunken. Das zählt nicht."

 

"Na und. Gefickt ist gefickt."

 

"Ach komm. Wenns nicht so gewesen wäre, wären wir jetzt nicht hier."

 

Hmm. Stimmt. Da hatte er recht. 

 

"Okay, ich bin ja schon still."

 

"Gut. Stopp! Da kommt ein Baum!"

 

"Wenn ich mir meine Beine breche, dann bist du schuld."

 

"Das passiert so schnell nicht, keine Sorge."

 

"Hey! Was soll das! Lass mich runter!"

 

Jake hatte mich plötzlich auf seine Arme genommen und transportierte mich durch den Wald.

 

"Nicht randalieren, Fetti!"

 

"Nenn mich noch einmal Fetti und ich beiße dir den Schwanz ab!"

 

"Hoho, jetzt dreht sie aber auf!"

 

"Glaubst du nicht? Soll ich's machen?"

 

"Du und deine Hormone..."

 

"Aarrghhh..."

 

Ich konnte mich nicht mal mehr richtig bewegen, so fest hatte er mich zwischen den Händen.

 

Oh Gott! Mein Herz. Von Jake getragen zu werden war Adrenalin pur. Auf und ab, links, rechts, schlimmer als Achterbahn zu fahren.

 

"Wie lange noch?"

 

"Schlimmer als ein kleines Kind..."

 

Er ließ mich endlich runter und nahm mir die Augenbinde ab.

 

Vor mir war ein Fluss, direkt vor mir war ein Kanu.

 

"Jap. Das gehört uns."

 

Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, hatte ich bereits eine Antwort auf meine unausgesprochene Frage.

 

"Da bringen mich keine zehn Pferde rein."

 

"Meinst du?"

 

"Nein - lass mich runter Jake, wir saufen ab wenn ich da drin sitze."

 

"Sehe ich nicht so. Noch sind wir über Wasser."

 

Nachdem er mich ins Boot gesetzt hatte, nahm er hinter mir Platz und die Ruder in die Hand.

 

"Schau, dir passiert nichts. Zieh die Schwimmweste an."

 

"Jake."

 

"Komm schon. Vertrau mir. Nur dieses eine Mal."

 

Was blieb mir auch anderes übrig. 

Ein Zurück gab es nicht mehr, denn die Strömung trieb uns sowieso bereits weiter den Fluss entlang. 

 

"Warum machst du das überhaupt mit mir?"

 

"Keine Ahnung. Irgendwie bin ich dir doch das schuldig. Und unsere Kinder sollten zumindest Eltern haben, die sich mögen."

 

"Ein Annäherungsversuch also."

 

"Wie man's nimmt."

 

Grübelnd über seine Worte ließ ich mich gemütlich übers Wasser kutschieren uns betrachtete dabei den Wald.

 

"Also so ganz allein wäre das irgendwie gruselig."

 

"Findest du?"

 

"Ja. Der Fluss mitten im Wald, wilde Tiere..."

 

"Und Zombies, Außerirdische und Vampire."

 

"Hey - wag es ja nicht dich über mich lustig zu machen."

 

Ich holte mit einer Hand aus und spritzte ihm Wasser ins Gesicht.

 

"Wird da etwa jemand frech?"

 

"Ich und frech? Da verwechselst du etwas."

 

"Das sagen sie alle und dann sind si-"

 

"Jake! Da vorne kommt ein Baum! Und wir fahren direkt darauf zu! Mach etwas!"

 

"Ach du Scheiße! Wie bremst man schnell noch mal mit diesem Ding?"

 

"Keine Ahnung! MACH ETWAS!"

 

"Kopf einziehen!"

 

Zu spät. Wir waren schon zu schnell dran, um eine Kollision zu verhindern. 

 

"Ana - alles ok?"

 

"Bei mir schon, aber das Kanu sieht irgendwie nicht so gut aus."

 

Wir standen mit beiden Beinen im Wasser und sahen zu, wie es immer mehr wurde.

 

"Schnell. Raus hier. Wir müssen an Land."

 

"Schwimmen?"

 

"Nein, fliegen, Dummerchen."

 

Ohne weiter groß zu überlegen machte ich einen Satz ins Wasser und brachte mich im Schlepptau ans Ufer.

 

"Tut mir echt leid. Ich dachte, das Teil würde mehr aushalten."

 

"Es gehört dir?"

 

"Ja, zum Glück. Ansonsten wäre es teuer geworden."

 

"Was machen wir jetzt?"

 

Wir waren patschnass und hatten keinen Plan, wo wir waren. 

 

"Wir gehen jetzt schräg durch den Wald, bis wir wieder beim Auto sind."

 

"Ab durch die Hecke. Und du siehst übrigens gerade aus wie ein begossener Pudel."

 

Aber genau so.

 

"Jake? Was ist?"

 

Sein Blick war starr nach vorne gerichtet. Als ich ihm folgte, blieb mir fast das Herz stehen.

 

Vor uns waren zwei riesige Wildschweine. Und sie rannten direkt auf uns zu.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 22

"Oh. Mein. Gott. Lauf!"

 

Gute Idee. Okay. Füße. Lasst mich jetzt bloß nicht im Stich.

 

"Gib mir deine Hand!"

 

Ich streckte ihm meine Hand entgegen und schon war ich um einiges schneller.

 

Was wollte er jetzt machen?

Bis zum Auto laufen? Das wäre Selbstmord für mich in meinem Zustand. Da konnte ich mich genauso gut von den Wildschweinen zerfetzen lassen.

 

Nach einer Weile Renn-um-dein-Leben wurde Jake plötzlich langsamer und blieb vor einem Baum stehen. Ich ahnte Böses. Bitt nicht...

 

"Du willst doch nicht etwa- "

 

"Doch. Genau das will ich. Und jetzt rauf hier. Steig auf meine Schultern."

 

Ohne große Widerrede befolgte ich seine Anweisungen und bestieg

- schwanger im fünften Monat - einen Baum. Ja, einen Baum. Es wäre schon ohne zwei blinde Passagiere schwer genug gewesen,  aber mit ihnen gestaltete sich die Sache noch um einiges schwieriger. Ich musste wie ein Fuchs aufpassen, dass ich nicht mit meinem Vorbau an einem Ast oder am Baumstamm hängen blieb. 

 

Letztendlich hatte ich es dann doch irgendwann geschafft und Jake war im Nu auch bei mir heroben.

 

Wir rangen nach Luft und brauchten erstmal einige Zeit, bis wir wieder einigermaßen klar im Kopf waren.

 

"Machst du das öfter?"

 

"Was? Vor Wildschweinen weglaufen oder auf einen Baum klettern?"

 

"Hmm. Was wohl."

 

"Naja, klettern zu können kann manchmal ganz nützlich sein."

 

"Also gegen meine Kletter-Skills kommst du im Leben nicht an."

 

"Soso. Verstehe. Ich habe harte Konkurrenz neben mir."

 

Ja, das hatte er. Ich bestätigte sein Statement mit einer nickenden Kopfbewegung.

 

"Dann wollen wir mal sehen, wie du da alleine wieder runterkommst."

 

Ehe ich antworten konnte, setzte Jake bereits zum Sprung an.

 

"Halt! Siehst du denn nicht da vorne! Die sind immer noch da!"

 

Ja, sie wichen uns nicht mehr von der Seite. Drei kleine Frischlinge und ihre psychisch gestörte, fette Mutter, die alles daran setzte, uns umzubringen.

 

"Nicht jetzt oder. Das darf doch nicht wahr sein."

 

"Knallharte Realität. Jetzt haben wir ein Problem."

 

Ein klitzekleines Problem. 

 

"Wir warten jetzt einfach, bis sie irgendwann weg sind."

 

"Kann sich nur noch um Stunden handeln. Bis dahin bin ich verhungert."

 

"Ist da etwa jemand hungrig?"

 

"Nein, ich glaube da ist jemand schwanger."

 

"Oh. Dann bin ich also schwanger. Das erklärt so einiges."

 

"Die ersten Bauchansätze kann man ja schon erkennen."

 

Ich fuhr mit einer Hand über seinen Bauch und musste feststellen, dass er einen Sixpack hatte.

 

"Da gibt es doch dieses Syndrom, wo die Männer mit schwanger werden - also scheinschwanger sozusagen. Ich glaube das hast du."

 

"Vielleicht sollte ich mal zum Arzt gehen. 

 

"Oder am besten gleich in die Geschlossene."

 

"Hey! Dann kommst du aber mit. Du hast mich dann ja schließlich eingewiesen."

 

"Müssen wir mal machen. Ist bestimmt ganz amüsant."

 

"Aber ich habe die Befürchtung, dann lassen sie uns nie wieder raus."

 

"Stimmt. Dann lieber nicht. Da fällt uns bestimmt noch etwas anderes lustiges ein."

 

"Zum Beispiel alle Eieruhren in einem Laden auf fünf Minuten stellen und dann abhauen."

 

"Hast du das schon mal gemacht? "

 

"Sehe ich so aus, als ob nicht?"

 

"Naja. Also dein Heiligenschein verliert schön langsam an Farbe. Solltest du bald wieder nachfärben."

 

"Haha. Der war nicht schlecht. Machst du auch so Aktionen wie ich?"

 

"Ich? Na hör mal, ich doch nicht. Ich bin doch die Heiligkeit in Person. Also das letzte, an das ich mich erinnern kann war im Dezember. Damals bin ich nachts gemeinsam mit meinem Vater - der als Nikolaus verkleidet war - als sein Gehilfe Knecht Ruprecht über den Netto-Parkplatz gefahren. Immer wenn ein Typ an uns vorbei rannte, hab ich das Licht im Auto eingeschaltet und mein Vater erschreckte die Leute. Das war vielleicht lustig..."

 

"Hätte ich gern gesehen. Allein die Vorstellung - du als Krampus... muss ja echt süß aussehen."

 

"Hey! Ich war richtig angsteinflößend, okay. Ob du's glaubst oder nicht."

 

"Nicht solange ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe."

 

"Hast du am sechsten Dezember schon was vor?"

 

"Du meinst wir ziehen das Ganze nochmal durch?"

 

"Ja. Warum nicht. Bis dahin sind die Kleinen schon drei Monate, da findet sich schon ein Babysitter."

 

"Bin dabei. Das wird ein Spaß."

 

Auf alle Fälle. 

 

Stille.

 

Was macht man zu zweit auf einem Baum? Außer reden? Flirten, genau. Wenn schon, denn schon.

 

"Was? Warum starrst du mich so an?"

 

Ich zog meine Augenbrauen hoch und grinste. 

 

"Hab ich was im Gesicht?"

 

Hatte er da was?

 

"Abgesehen von deinem Mund? Da ist so ein Teil mit zwei Löchern zwischen deinen Augen."

 

"Ja. Es soll Menschen geben, die haben so was hab ich gehört."

 

"Achso. Na dann."

 

Bloß nicht aufgeben.

Weiterhin anstarren. 

 

Ja. Geschafft. Jetzt starrte er immerhin schon zurück. 

 

"Jaahaaake- mach mich nicht nach."

 

"Aaaaaaana - schau mich nicht so an. Sonst muss ich noch lachen."

 

"Und das wäre so schlimm weil?"

 

Darauf konnte er jetzt nichts mehr sagen. Ein Punkt für mich. 

 

Anstatt ihn weiterhin anzustarren, wurde mein Blick weicher und eindringlicher. Er hatte echt wunderschöne braune Augen.

Haselnussbraun. So braun wie eine Haselnuss eben.

 

Sein Hundeblick gab meinem Herz einen Stich und ich rückte ein Stückchen näher zu ihm.

 

So schnell konnte ich gar nicht schauen, da hatte er bereits einen Arm ausgestreckt und zog mich immer weiter zu ihm heran. 

 

Wie von oben gesteuert legte ich meine Arme um seinen Nacken und fing an, ihn zu küssen. Zuerst langsam und zart, dann immer stürmischer. 

 

Und irgendwann so stürmisch, dass wir beide vom Baum fielen.

 

 

Kapitel 23

"Aaaaaahhhh."

"Ana? Geht's dir gut? Bist du verletzt?"

"Das fragst ausgerechnet du? Du liegst am Boden, nicht ich."

Ja, ich war Gott sei Dank weich gelandet, mitten auf Jakes Bauch.

"Von Wildschweinen verfolgt im Liebeswahn vom Baum gefallen. Das vergesse ich mein Leben nicht."

Liebeswahn. Hört sich nicht schlecht an.

Ich schaute ihm in die Augen. Wie er da am Boden lag, ein einmaliger Anblick.

"Wie lange hast du eigentlich noch vor auf mir liegen zu bleiben?"

"Hmm. Weiß nicht. Mir gefällt's gerade hier."

Ich ließ meinen Kopf fallen und umklammerte Jake wie einen großen, knuffigen Teddybären.

"Du bist aber ganz schön schwer, weißt du das?"

"Nicht ich, sag das deinen Kindern."

"Aaaha. Immer alles auf die anderen schieben. Ich an deiner Stelle wäre da vorsichtiger, ein Schubs und du liegst neben mir."

"Schwerste Drohungen."

"Glaubst du nicht?"

"Hey! Du kannst doch deine schwangere Freundin nicht einfach durch den Wald rollen!"

"Und wie ich das kann."

Ehe ich mich versehen konnte lag ich bereits am Waldboden.

Mit einem allesvernichtenden Blick blickte ich ihn an, allerdings nicht ziemlich erfolgreich. Bereits nach ein paar Sekunden brach er in schallendes Gelächter aus.

"Wage es ja nicht mich auszulachen."

Ich war gerade dabei, auf seinen Arm einzuschlagen, als er mich plötzlich vom Boden riss und über seine Schulter warf.

"Lass. Mich. Runter! Auf der Stelle!"

"Hatten wir das nicht schon mal? Kommt mir irgendwie bekannt vor."

"Jaaake. Ich bin zwar schwanger, aber nicht gehbehindert. Also lass mich bitte runter."

"Noch nicht gehbehindert."

"Was soll das jetzt heißen?"

Alles Strampeln war umsonst, also gab ich auf und ließ mich einfach durch den Wald tragen.

Nach ein paar Minuten wurde ich ihm allerdings schon zu schwer, denn er ließ mich wieder selber weitergehen.

"Und du bist dir wirklich sicher, dass wir hier richtig sind?"

"Ich hoffe mal schwer ja."

"Na toll. Es wird bald dunkel."

"Keine Panik. Wir kommen schon irgendwie zum Auto."

Mit meinem Orientierungssinn wäre dieser Wald mein Todesurteil. Aber zum Glück hatte ich noch Jake an meiner Seite.

"Jake. Was war das. Ich hab Angst."

Vor uns war ein Busch. Und er bewegte sich. Mein Herz pochte wie verrückt.

"Keine Ahnung. Komm, wir gehen rechts. Langsam wird es hier echt unheimlich."

Am liebsten hätte ich die Augen zugemacht und mich von Jake tragen lassen. Aber das war in dieser Situation leicht unangebracht.

Stattdessen griff ich nach seiner Hand, was mich wenigstens ein kleines bisschen beruhigte.

Irgendwie schafften wir es letztendlich doch, wieder zu Jakes Auto zu finden. Dem Himmel sei Dank. Gott weiß was sonst noch alles passiert  wäre, wenn wir es nicht geschafft hätten.

"Jake. Ich bin am Ende. Das war ja schlimmer als jeder Horrorfilm."

Er antwortete nicht, legte aber anstelle dessen seinen Arm um mich uns zog mich an sich.
Sein Körper war warm, was in diesem Moment eine Wohltat war, denn die Temperatur im Wald hatte im Laufe des Nachmittags stark abgekühlt.

"Sowas müssen wir öfter machen Ana."

"Nur ohne Wildschweine und Wald."

Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn und ich schmolz innerlich dahin.

"Ach Jake. Ich bin so froh dich zu haben."

"Ich auch. Hast du heute noch was vor?"

"Nein, nicht dass ich wüsste. Warum fragst du?"

"Willst du noch mit zu mir nach Hause?"

Mit zu ihm nach Hause? Das durfte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.

"Klar."

"Okay. Dann mal los."

Er zündete den Motor und ich löste mich von seinem Körper.

Nach einer Stunde parkte er den Wagen vor seinem Haus und wir gingen hinein.

"Hast du Lust auf Heiße Schokolade?"

"Ich würde gerade alles essen."

"So hungrig?"

"Ja, und wie."

"Willst du Kuchen? Hat meine Mutter heute frisch gebacken."

"Her damit. Kuchen geht immer."

Ein Blick und mir lief das Wasser im Mund zusammen beziehungsweise aus dem Mund.

"Birne?"

"Ja, Birnenkuchen."

"Ich brauche unbedingt das Rezept. "

Er lachte.

"Was? Denkst du etwa ich bin verfressen?"

"Ein bisschen vielleicht."

Ich stand aus Protest auf und er legte seine Arme um meine Taille und küsste mich.

"Sind deine Eltern nicht zu Hause?"

"Nein, die sind irgendwo bis morgen Abend."

"Ach so. Okay."

Er nahm mich an der Hand und wir gingen Richtung Wohnzimmer.

"Schauen wir einen Film?"

"Ja. Welchen?"

"Marvel the Avengers?"

"Ja. Klingt gut."

Den Film hatte ich zwar bereits zehn mal gesehen, aber okay.
Wir setzten uns auf die Couch und schauten Ironman, Captain America, Hulk, Thor und dem Rest zu. Ach Thor und sein Hammer...

An der spannendsten Stelle pressten wir uns immer mehr aneinander und der Film rückte immer mehr in den Hintergrund.

Nach einem kurzen Kuss fing Jake an, vom Hals herab behutsam über meinen gesamten Körper zu streichen.
Ich setzte mich auf ihn und legte meine Hände um seinen Nacken.
Seine Augen strahlten und ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihnen abwenden. Es heißt ja, die Augen seien der Spiegel zur Seele. Wenn das wirklich stimmt, ist Jake mein absoluter Lieblingsmensch.

Je länger ich ihn ansah, desto mehr wurde mir bewusst, dass es besser war, meine Gefühle für ihn zuzulassen anstatt sie weiterhin zu unterdrücken.

Auch wenn ich anfangs niemals gedacht hätte, dass Jake auch nur ansatzweise mein Typ war, musste ich jetzt sagen, dass ich etwas für ihn empfand. Und dieses Etwas war etwas ganz Besonderes. So ein Gefühl hatte ich vorher noch bei keinem einzigen Menschen.
Ich glaube, dieses Etwas war Liebe.
















 

Kapitel 24

Ich konnte mich nicht mehr länger zurückhalten und fing an, ihn zu küssen, mit mehr Gefühl als je zuvor. Der anfangs sinnliche, ruhige Kuss artete jedoch ziemlich bald in einer leidenschaftlichen Knutscherei aus und wir konnten uns nicht mehr länger bremsen.

"Jake."

Als wir kurz verschnauften, kam es mir schon wieder in den Sinn. Ich musste es ihm endlich sagen. Es lag mir einfach schon viel zu lange Zeit auf dem Herzen.

"Ich liebe dich."

Ich hatte es gesagt. Die drei magischen Worte.

"Ich liebe dich auch."

Ein weiterer wilder Kuss raubte uns unseren restlichen Atem. Jetzt, wo ich gerade so richtig in Fahrt war, war ich nicht mehr zu bremsen.
Ich hatte gerade ein dringendes Verlangen nach ihm. Und das sollte er wissen.

"Jake. Ich will dich. Hier. Jetzt."

Sein Körper war einfach unwiderstehlich. Er war einfach unwiderstehlich.

"Bist du dir da wirklich-"

"Ja, ich bin mir sicher."

Sein Ernst? Bei unserem ersten Mal hatte er mich nicht gefragt.

Ohne weitere große Worte packte er mich und transportierte mich auf seinen Armen in sein Zimmer.

Er riss die Tür auf, vor seinem riesigen Bett angekommen, ließ er mich hinab und lag im Nu neben mir.

Ohne Rücksicht auf Verluste riss ich ihm sein T-Shirt vom Leib, er entledigte mich meiner Klamotten.

So schnell konnte ich gar nicht denken, da lagen wir auch schon splitterfasernackt nebeneinander im Bett und schauten uns tief in die Augen. Also von meiner Seite aus konnte es jetzt losgehen.

Um Verhütung brauchten wir uns Gott sei Dank keine Gedanken machen, denn was passiert war, war nunmal passiert und nicht mehr rückgängig zu machen.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Jake. Das. War. Der. Hammer."

Wow. Ich hatte es gerade zum ersten Mal getan. Okay, besser gesagt ich hatte es gerade zum ersten Mal nüchtern getan. Und einer Sache war ich mir sicher: Ich wollte es wieder tun.

Neben dem, dass ich jetzt sicher keine Jungfrau mehr war, hatte ich soeben auch eine kleine Domina in mir entdeckt.

"Wenn ich dir eine Note geben müsste Ana, würde ich sagen, es war befriedigend."

"Das müssen wir unbedingt nochmal wiederholen."

"Solange die Kleinen noch nicht da sind, haben wir ja noch genug Zeit zum Üben."

"Mmh."

Eng umschlungen lagen wir im Bett und schmiegten unsere nackten Körper aneinander.
Jake nahm eine Strähne meiner Haare zwischen seine Finger und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

Irgendwann mussten wir beide eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es draußen bereits hell.

Als ich meinen Arm nach Jake ausstreckte, musste ich feststellen, dass er nicht mehr neben mir im Bett lag.

Ich spitzte meine Ohren und konnte aus der Küche Musik spielen hören.
Außerdem verriet mir meine Nase, dass ich gleich etwas Leckeres zu essen bekommen würde. In der Luft lag der Duft von frischen Pfannkuchen.

Allein schon der Gedanke an Essen ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Ich zog mich an und ging in Richtung Küche, wo ich Jake mit einem kurzen Küsschen einen Guten Morgen wünschte.

"Na, gut geschlafen Prinzesschen?"

"Mit dir neben mir, da fragst du noch?"

Er legte ein Grinsen auf und servierte das Frühstück.

Nachdem wir unsere Bäuche mit leckeren Pfannkuchen vollgestopft hatten, legten wir uns ins Wohnzimmer und kuschelten ein wenig.

Nach einer Weile fing Jake an, mich zu kitzeln. Ich hasste es wie die Pest, wenn mich jemand kitzelte, weil ich dann meist am Boden landete und mich vor Lachen nicht mehr einkriegte. Das Schlimmste war jedoch, dass ich mich nicht wehren konnte und so Jakes Händen komplett ausgeliefert war.

"Du Sadist!"

"Jaaa Baby...ich liebe es dich so leiden zu sehen!"

Auch wenn mir klar war, dass seine Aussage ironisch gemeint war, glaubte ich insgeheim, dass er doch ziemlich Spaß daran hatte, mich zu ärgern.

Jake wollte einfach nicht damit aufhören und ich hatte bereits das Ende der Couch erreicht, weshalb ich mich irgendwo anders hin verziehen musste. Bei meinem Fluchtversuch schaffte ich es nicht nur, eine Flasche zu zerschmettern, sondern auch einen Ventilator vom Stuhl zu werfen.

Die Kitzelei war unerträglich.
'Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann male einen Kreis' - oder iss ein wenig Reis, küsse ihn ganz heiß. Das war die Lösung des Problems!

Ein Kuss und seine Hände hörten auf, mich weiter zu quälen.
Küssen konnte wirklich wahre Wunder bewirken. Und daneben war es auch noch wunderschön.
Liebe war etwas Schönes.
Ich wollte nie wieder ohne ihn. Innerhalb von ein paar Wochen war Jake mein Lebensinhalt geworden. Die ganze Sache war einfach zu verrückt, um sie zu glauben. Von Erzfeind zu Freund.


 

Kapitel 25

 
Der Ausflug mit Jake und der Tag danach gingen leider viel zu schnell vorbei und wir mussten wieder wie gewohnt unseren alltäglichen Pflichten nachgehen.

Er musste die nächsten drei Wochen aus beruflichen Gründen zwecks der Ausbildung nach Berlin, ich musste ebenfalls fast die ganze Woche arbeiten. In letzter Zeit war ich wegen den Kotzattacken sowieso öfters verhindert gewesen, was ich jetzt wieder nachholen konnte.

Neben der Ausbildung musste ich mich zusätzlich auch noch um das Haus kümmern, denn Dad war wieder einmal nicht daheim, sondern im großen Business unterwegs. Und selbst wenn er zu Hause wäre, würde das auch nichts an der Sache ändern.

Und dann waren da noch die wöchentliche Schwangerschaftsgymnastik, Frauenarztbesuche - und das alles mit einer immer größer werdenden Kugel vorne dran, was das stressige Alltagsleben nicht gerade einfacher machte.
Mit jedem Schritt verspürte ich zusätzliches Gewicht, was für meinen Rücken und den Rest meines Körpers auch nicht sehr angenehm war.

Ende August, ich war Mitte sechstes Monat, kam ich wie gewohnt von der Arbeit nach Hause und wollte mir etwas zu essen machen. Auf einmal verspürte ich auf der linken Seite meines Bauches einen immer stärker werdenden Druck, der ziemlich bald in starken Schmerzen ausartete.
Anfangs dachte ich, sie treten nur wie gewohnt, aber nach einer Weile wurde mir klar, dass der Auslöser dafür etwas Anderes sein musste. Als sich der Schmerz nach ein paar Minuten immer noch nicht gelegt hatte, bekam ich langsam ein mulmiges Gefühl. Vielleicht sollte ich doch kurz in die Praxis fahren und mich abchecken lassen, obwohl es bereits kurz vor sechs war.
Vor drei Tagen hatte ich meine letzte Routine-Untersuchung, wo nach Aussage des Arztes noch alles in Ordnung war.

Ich zog mir schnell eine Jacke über und machte mich auf den Weg in die fünf Minuten Fußmarsch entfernte Praxis.

Aaah! Ein Schmerzensstich durchfuhr meinen gesamten Körper. Irgendwas stimmte hier nicht. Ich hatte während der letzten sechs Monate noch Schmerzen gehabt.

Ich legte einen Gang zu, um der Tortur möglichst schnell ein Ende zu bereiten. Bereits nach wenigen Metern durchzuckte ein erneuter Schmerz meinen Leib.
Ich spürte, wie langsam Tränen in meine Augen stiegen.

Bald hast du es geschafft. Komm schon. Da vorne ist der Eingang. Halte durch.

Meine innere Stimme redete mir ein, nicht aufzugeben. Weiter zu gehen. Immer weiter. Nur das eine Ziel vor Augen. Die Praxis von Dr. Grey, der mir hoffentlich helfen konnte. Er MUSSTE mir helfen.

Jeder Schritt war mit Schmerzen verbunden, aber irgendwann erreichte ich mein Ziel.
Ich betrat mit letzter Kraft das Haus und blickte als Erstes in die Augen der Termindame.

Mein schmerzverzerrtes Gesicht verriet wohl bereits, dass ich schleunigst einen Arzt brauchte.

"Um Himmels Willen, Mrs. Smith! Was ist denn mit Ihnen los! Dr. Grey! Wir haben hier einen Notfall! Kommen Sie bitte schnell!"

Auf die Schreie der Dame hin kam Dr. Grey sofort aus dem Sprechzimmer geeilt, auch er sah mich zuallererst schockiert an und griff mir daraufhin unter die Arme, um mich vor dem Umfallen zu bewahren.

"Raven, nehmen Sie die andere Seite!"

Von Armen umzingelt brachten mich die zwei ins Praxiszimmer und legten mich auf den Behandlungstisch.

Danach entfernten mir sie die Kleidungsstücke an den Körperstellen, wo sie mich untersuchen mussten.

Raven hielt meine Hose in der Hand, auf der zwischen den Beinen deutlich ein großer Blutfleck zu erkennen war. Bei halbem Bewusstsein griff ich mir zwischen die Beine und musste feststellen, dass ich mitten in meiner eigenen Blutlache lag.

Innere Blutungen.

Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Was war nur mit mir los?
Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Mir war zum Schreien zu Mute, doch mir fehlte die Kraft dazu.

Dr. Grey verrieb das kühle Ultraschallgel auf meinem Bauch, was für einen kurzen Moment meinen Schmerz verdrängte. Aber auch nur für einen kurzen Moment.

Wäre das Gel doch nur noch etwas kälter, dann könntest du den Schmerz betäuben.

Der Arzt holte mich im Gespräch mit meinem Unterbewusstsein zurück ins Hier und Jetzt.

"Vorzeitige Placentaablösung. Mein Verdacht hat sich bestätigt. Rufen Sie sofort einen Krankenwagen Raven!"

Das hörte sich nicht gut an. Überhaupt nicht gut.

"Bei einer vorzeitigen Placentaablösung trennt sich die Placenta bereits vor der Geburt des Kindes von der Gebärmutter, daher die Blutungen und die starken Schmerzen. Diese Form tritt äußerst selten auf und man sollte sie keinesfalls unterschätzen. Uns bleibt jetzt nur noch zu hoffen, dass sich noch nicht viel abgelöst hat und die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung noch funktioniert."

"Und was, wenn nicht?"

Ich hatte Angst. Nein. Nicht um mich. Um meine Kinder. Um unsere Kinder. Ich wollte sie nicht verlieren. Ich hatte sie zu sehr in mein Herz geschlossen.

"Wenn nicht... dann müssen wir etwas anderes in die Wege leiten. Wir müssten einen Notfallkaiserschnitt vornehmen. Allerdings wäre so ein Eingriff für die Babys ein Spiel mit dem Feuer."

Eine Träne kullerte über meine Wange.

"Hey, Ana. Nicht weinen. Wir schaffen das schon. Du bist eine starke Frau. Du hast es bis hierher geschafft, du hast dich nie unterkriegen lassen. Also schaffst du das letzte Stück jetzt auch noch."
Seine Worte spendeten mir Trost und ich versuchte, ruhig zu bleiben, doch es gelang mir nicht. Stattdessen konzentrierte ich mich auf das gleichmäßige Ticken der Uhr, solange, bis Hilfe kam...

Kapitel 26

 

"Sie verliert viel zu viel Blut. Es hat sich schon zu viel Placenta abgelöst, wir müssen es machen."

"Ohne ihre Einwilligung? Das dürfen wir doch gar nicht."

"Wir brauchen keine Einwilligung. Hier geht es um Leben und Tod. Und wir wollen hier nicht, dass jemand stirbt. Weder sie, noch die Kinder. Also los. Bereiten Sie alles vor!

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Wo ist sie? Ich muss zu ihr!"

"Sir, das geht leider nicht. Ihr Zustand verschlechtert sich immer mehr. Wir müssen sie notoperien. Und zwar so schnell es geht, ansonsten..."

Jake schluckte.

"Aber Sie denken, sie schafft es, oder?"

Seine Augen fingen an zu glänzen und er versuchte, seine Tränen zurückzuhalten.

"Sagen Sie es. Bitte."

Keine Antwort. Eine Träne floß über sein Gesicht. Mit zittriger Stimme sprach er weiter.

"Versprechen Sie mir, dass Sie alles tun für Ana, was in Ihrer Macht steht. Versprechen Sie mir es."

Stille.

"Okay. Wir werden unser Bestes versuchen."

Der Arzt blickte Jake mitleidig an und verschwand in der Tür zum OP-Saal. Jake blieb alleine zurück, während ihn die Gedanken in seinem Kopf fast umbrachten.

Sie mussten ihr helfen. Er durfte sie nicht verlieren. Sie hatte ihm gezeigt, dass er dazu fähig war, einen Menschen aufrichtig zu lieben, mit Leib und Seele, egal was passiert.

Er fuhr sich aufgebracht durch die Haare und rannte weiterhin verzweifelt im Kreis, den Blick starr zum Boden gerichtet.

Jede Sekunde des Wartens war eine Qual. Diese Ungewissheit, wie es um sie steht, das Bangen, das Hoffen, die Angst...alles stand in sein Gesicht geschrieben. Es war unerträglich.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir müssen die Kinder holen. Ansonsten überlebt sie es nicht."

Dr. Brown blickte grübelnd auf den OP-Tisch zu Ana und erklärte den anderen Ärzten und Assistenten die Gründe für sein weiteres Vorgehen.

"Sie haben recht. Es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben. Die Babys bekommen zu wenig Sauerstoff, weil ihr Puls zu niedrig ist. Fangen wir an."

Die Ärztin, Dr. Morgan, gab den anderen Beteiligten die Anweisung, den Eingriff zu starten. Sie hatte neben Dr. Brown die obere Aufsicht und leitete die OP.

"Vorsichtig! Verletzt die Kinder nicht. Sarah, Nina, schaltet die Inkubatoren ein, damit die zwei keine Unterkühlung bekommen. Das wäre in ihrem Zustand tödlich. Sie sind knapp über der Sechsmonatsgrenze und somit sehr frühe Frühlinge."

Der Schnitt in den Bauch war geschafft.

"Ich hole jetzt das erste Kind heraus. Haltet die Decken bereit! Uuund... es ist ein Junge! Das nächste kommt auch gleich. Ein Mädchen!"

Dr. Brown trennte die Nabelschnur der beiden ab und legte die Kinder in die Arme seiner Assistenten.

"Wie viel wiegen sie?"

"Der Junge 820 Gramm, das Mädchen 730 Gramm. Sie sind beide nur 37 cm klein."

Dr. Morgan schluckte. Solche Werte bedeuteten die Grenze zwischen Leben und Tod.

"Wir dürfen sie nicht länger hier lassen. Sie haben noch kein Körperfett entwickelt und bräuchten noch ein paar Monate den Bauch ihrer Mutter. Legt sie in die Inkubatoren."

Inkubatoren waren Brutkästen, die die Gebärmutter simulieren sollten und Frühlinge so vor dem Kältetod schützten, solange, bis sie alt genug waren, um ohne künstliche Wärme zu überleben.

"Wie geht es der Mutter? Hat sich ihr Zustand schon wieder etwas stabilisiert?"

"Nein. Aber das dürfte sich hoffentlich bald ändern. Ich entferne jetzt die Placenta und die Blutung sollte nachlassen."

"Okay. Ich sage ihrem Freund kurz Bescheid, wie es ihr geht."

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Sir, herzlichen Glückwunsch! Sie sind Vater von einem Jungen und einem Mädchen."

"Sie leben! Dem Himmel sei Dank! Kann ich sie sehen? Wie geht's Ana?"

"Tut mir leid, das ist leider nicht möglich. Sie können noch nicht selbstständig atmen und werden daher beide mit Sauerstoff versorgt. Der Zustand der Kinder ist noch sehr kritisch. Ihrer Freundin geht es noch immer nicht sonderlich gut, aber die Ärzte versuchen derzeit die Blutung einzudämmen."

Jake zögerte mit seiner Antwort.

"Okay. Danke."

"Nichts zu danken, Sir. Setzen Sie sich in aller Ruhe irgendwo hin, trinken Sie einen Tee, entspannen Sie sich. Sie machen sich sonst noch verrückt. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn sie zu ihrer Freundin können."

Tee trinken. Entspannen. Für Jake waren das zu diesem Zeitpunkt Dinge der Unmöglichkeit. Dennoch gab er sein Bestes und versuchte es wenigstens.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Mit der OP sind wir jetzt fertig. Die Patientin verlagern wir auf die Intensivstation, ihr Zustand ist zu instabil. Die Kinder kommen beide in ein keimfreies Zimmer und werden rund um die Uhr überwacht.
Ich denke, wir haben getan was wir tun konnten. Der Rest liegt in den Händen des Schicksals."

Alle an der OP beteiligten verließen den Saal und folgten den Anweisungen des Chefarztes.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Sir, Sie dürfen Ihre Kinder jetzt sehen. Aber nur mit dieser Schutzkleidung."

Die Schwester hielt ihm einen Schutzanzug entgegen.

"Folgen Sie mir."

Am Ende des Gangs angekommen, öffnete sie die Tür und deutete auf die Babys.

"Ihre Kinder."

Als Jake zum ersten Mal auf die Bettchen sah, sprudelten 1000 Gefühle in ihm hervor. Einerseits natürlich die Freude, dass sie lebten, andererseits empfand er Angst, dass sie es nicht schafften.

Die unzähligen Kabel, mit denen sie verbunden waren, bereiteten ihm einen Stich ins Herz. Was wäre, wenn die Maschinen versagen würden? Was wäre dann?

Natürliche Selektion. Nur die Starken überleben.

Er durfte nicht daran denken. Es tat zu weh.

Jake trat zuerst zu den beiden Kasten näher. Seine Babys hatten die Augen geschlossen und waren winzig. Sie sahen so zerbrechlich aus, so schwach.
Eine Glasscheibe trennte ihn von seinen Kindern.
Er durfte sie noch nicht einmal in den Armen halten. Es wäre zu gefährlich

Jake drehte sich um, als sich die Tür des Raumes hinter ihm öffnete.
Dr. Morgan trat herein.

"Wir haben schlechte Neuigkeiten."









Kapitel 27

 

"Es geht um ihre Freundin."

Jake wich alle Farbe aus dem Gesicht.

"Was ist mit ihr?"

"Sie liegt nun auf der Intensivstation und wird rund um die Uhr überwacht. Solange, bis wir uns sicher sein können, dass ihr Kreislauf wieder einwandfrei funktioniert. Der Blutverlust hat ihren Körper sehr strapaziert. Sie braucht jetzt erstmal viel Ruhe."

"Wann kann ich sie sehen?"

"Lassen Sie mich kurz überlegen. Eigentlich...jederzeit. Sie liegt in Zimmer 361. Aber beachten Sie: Sie dürfen die Station nur mit entsprechender Schutzkleidung betreten. Und eine Sache sei noch gesagt: Sie ist momentan noch nicht wirklich ansprechbar. Aber das sollte sich im Laufe der Zeit bessern. In ein paar Stunden sollte sie wieder ein wenig bei Kräften sein. Aber dennoch - strenge Bettruhe!"

"Okay. Vielen Dank, Dr. Morgan."

Jake schüttelte ihr die Hand als Zeichen des Dankes und machte sich auf den Weg in Richtung Intensivstation. Die Wände waren im ganzen Gebäude kahl und farblos, die gesamte Klinik ein Inbegriff von Sterilität.

Vor der abgeschlossenen Tür der Station angekommen, drückte Jake die Klingel, woraufhin augenblicklich eine Schwester auf ihn zukam und ihm die Schutzkleidung in die Hand drückte. Sie wies ihn außerdem darauf hin, dass er sich leise zu verhalten hatte und nur noch eine halbe Stunde bleiben durfte, bis die Besucherzeit vorüber war. Verständnisvoll nickte er und betrat einen langen Gang, stets mit der Zimmernummer 361 im Hinterkopf.
Alles war still. Kein einziger Ton zu hören, alles wie ausgestorben.
Als er nach kurzer Suche das Türschild mit der korrekten Nummer erblickte, zögerte er kurz und drückte dann leise die Türklinke.

Und da lag sie. Ana. Umgeben von einem riesigen Kabelsalat, an unzählige Maschinen angeschlossen. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihre Augen geschlossen. Das Lachen, dass sie stets in ihrem Gesicht trug, war wie weggeblasen. Bei ihrem Anblick verspürte Jake einen tiefen Stich in seinem Herz. Sie so leiden zu sehen, und alles wegen dieser einen Nacht. Schuldgefühle machten sich in ihm breit. Was, wenn sie nicht mehr aufwacht? Wenn sie ihm nie wieder in die Augen schaut, ihn nie wieder anlächelt? Dann trug er die alleinige Schuld dafür. Es waren seine Kinder, die schuld daran waren, dass Ana nun hier lag, so leblos, als hätte man jeglichen Lebenswillen aus ihr herausgesaugt.

Er nahm ihre Hand und wärmte sie zwischen seinen Handflächen.

Sie musste wieder aufwachen. Für ihn. Für die Kinder.

Während er weiterhin ihre Hand hielt, fing er an, ihr zu erzählen, was ihm gerade auf dem Herzen lag. Es hieß ja, auch wenn Menschen gerade abwesend waren, dann konnten sie einen trotzdem hören, auch wenn sie nicht die Kraft dazu hatten, zu antworten.

"Ana. Es tut mir alles so leid."

Die letzten Worte, die Jake aussprechen konnte, bevor ihn die Krankenschwester daran erinnerte, dass er nun wieder zu gehen hatte."

"Sir, Sie müssen jetzt leider die Station verlassen. Die Besucherzeit ist zu Ende."

Mit traurigem Blick flüsterte er Ana ein leises "Ich liebe dich" zu, so leise, dass nur er und sie es hören konnten. Dann ließ er langsam ihre Hand los und ging wieder nach unten zu seinen Kindern.

Als er den Raum betrat, war er jedoch nicht allein. Eine junge Frau, er schätzte sie auf Anfang 30, beugte sich besorgt über die beiden Glaskästen.

"Ah, Sie müssen der Vater der Kinder sein, hab ich Recht?"

"Ja, der bin ich. Und Sie Ana's Mutter."

"Treffer. Wie konntest du nur so etwas tun mit meiner Tochter? Sieh sie dir jetzt an, ihr geht es gerade richtig schlecht. Und das alles nur, weil du dich damals nicht beherrschen konntest."

"Es tut mir wirklich leid, Mrs. Smith. Aber mittlerweile haben sich die Umstände geändert, falls es Ihnen Ana noch nicht erzählt hat."

"Ach wirklich? Und das heißt konkret?"

"Wir sind ein Paar."

"Ihr seid was? Ja das nenne ich mal Schicksal. Wahnsinn. Dass es so etwas auch noch gibt... wie lange schon? Ana hat mir kein Wort darüber berichtet."

"Es gibt eigentlich kein genaues Datum, aber seit ungefähr zwei Monaten."

"Das finde ich gerade echt toll, die beste Nachricht des Tages - neben dem natürlich, dass die Babys leben. Ich dachte schon, sie findet nie einen."

"Dann sind Ihre Bedenken jetzt wohl nicht länger begründet."

"Ja, sieht ganz so aus. Wie geht's Ana?"

"Sie ist immer noch nicht ansprechbar. Dr. Morgan meint aber, das sollte sich bald ändern."

"Hoffentlich. Den Kleinen geht's auch noch nicht sonderlich gut."

"Mmh."

Jake seufzte und blickte auf seine Kinder. Sie sahen so schwach aus, so zerbrechlich. Einfach hilflos dieser Welt ausgeliefert.
Und das Schlimmste war, niemand konnte ihnen helfen. Jeder konnte nur zusehen und hoffen, dass sie die kritische Zeit überstehen, um eines Tages ohne die Maschinen um sie herum leben zu können.

"Ich hol mir schnell einen Kaffee."

Jake schloss die Tür hinter sich und suchte nach einem Kaffeeautomaten.

"Ah, Sir, gut dass ich Sie treffe. Zu Ihnen wollte ich gerade. Ihre Freundin ist gerade aufgewacht. Also wenn Sie zu ihr möchten..
"

"Die Besucherzeit ist leider schon vorbei."

Zermürbt blickte Jake in Dr. Morgans Gesicht.

"Hmm. Was machen wir denn da."

Dr. Morgan holte einen Zettel aus ihrem Arztkittel und fing an, etwas daraufzuschreiben.

"Hier. Eine Ausnahmegenehmigung. Ich denke, da lässt sich etwas machen..."

"Wahnsinn! Ich kann Ihnen gar nicht genug danken!"

"Nicht der Rede wert. Und jetzt gehen Sie, bevor sie wieder einschläft!"

Jake befolgte ihre Anweisung und legte einen rasanten Sprint durch die Klinik hin. Mit seinen Überzeugungskünsten schaffte er er mit links, die Schwester vor der geschlossenen Tür um den Finger zu wickeln und so in die Station zu gelangen.

Zimmer 361.

Tür auf.

"Jake. Ich liebe dich."

"Ich liebe dich auch, mein Schatz. Mehr als du dir vorstellen kannst."


Kapitel 28

 

"Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, deine Stimme zu hören."

Ee strich mir eine Strähne aus meinem Gesicht und setzte sich zu mir an den Bettrand.

"Die Schmerzen sind weg."

"Ja, sie haben dich notoperiert."

Ich fasste an meinen Bauch und musste feststellen, dass meine Kugel weg war und ich stattdessen großflächig mit Verband eingebunden war.

"Haben sie es überlebt?"

Bitte sag Ja. Bitte. Bitte bitte bitte.

"Ihnen geht's nicht besonders gut. Sie brauchen Maschinen, um leben zu können. Ich durfte sie bis jetzt noch nicht mal in den Armen halten."

Ich musste schlucken.

"Ich will zu ihnen."

Ich versuchte, mich in meinem Bett aufzusetzen, doch es gelang mir nicht. Ich war zu schwach dafür. Der Vorfall hatte mir alle Kräfte geraubt.

"Ana! Bleib liegen! Du hast eine schwere Operation hinter dir! Ich frage einen Arzt, ob du sie sehen darfst. Aber versprich mir, dass du dich keinen Zentimeter bewegst, bis ich wieder da bin. Okay?"

"Okay."

Er stand auf und wollte gehen, doch ich hielt ihn zurück.

"Hey. Warte."

Ich zog ihn zu mir herab und küsste ihn. Eigentlich wollte ich ihm ja nur einen kurzen Kuss geben, aber irgendwie fand ich gerade daran Gefallen und wir knutschten einfach weiter. Plötzlich öffnete sich die Tür des Zimmers und Dr. Morgan trat herein.

Jake zuckte zurück und tat so als, als wäre nichts gewesen. Stattdessen setzte er sein schelmisches Grinsen auf und sagte zu Dr. Morgan: "Es ist immer wieder eine Freude, Sie zu sehen.", die dagegen peinlich berührt zu Boden schaute und sich tausendmal dafür entschuldigte, dass sie einfach so hereingeplatzt war.

"Ach, ich war auch mal so jung und verliebt wie ihr beide. Ich weiß genau, wie verrückt man da nach dem Anderen ist."

Ich wechselte einen schmunzelnden Blick mit Jake, was Dr. Morgan allerdings nicht verfehlte und ich daraufhin so rot anlief wie eine Tomate.

Genug der peinlichen Situationen - für heute zumindest.

"Wie geht es Ihnen, Mrs. Smith?"

"Nur Ana bitte."

"Okay, Nur-Ana, wie geht's dir?"

"Den Umständen entsprechend soweit gut."

"Wie dir dein Freund sicherlich schon erzählt hat, mussten wir die Geburt ein paar Monate vorziehen. Es ist zwar nicht sehr gut für die Kinder, aber wir hatten keine andere Wahl. Sie wurden in deinem Bauch unterversorgt - durch die Placentaablösung - und wir versuchen nun, sie ein wenig aufzupäppeln. Beim Jungen funktioniert es ohne Komplikationen, das Mädchen ist immer noch sehr schwach."

Ein Junge und ein Mädchen! Ich war jetzt eine Mutter. Wir waren eine Familie. Das war einfach alles zu verrückt, um es zu glauben.

"Kann ich sie sehen?"

Mit Hundeblick ging alles. Ich setzte meinen süßesten Blick auf, in der Hoffnung, dass es bei ihr anschlagen würde und ich mein Bett verlassen durfte.

"Hmm... eigentlich gilt strenge Bettruhe für dich. Aber aufgrund der Tatsache, dass es deine Kinder sind und eine Mutter ihre Kinder sehen sollte, werde ich es dir möglich machen. Aber psst - zu Niemandem ein Wort dazu, sonst bin ich meinen Job los!"

"Okay. Danke! Sie sind die Beste!"

Ich könnte schwören, noch ein leises 'Ich weiß, ich weiß' von ihr gehört zu haben, aber vielleicht war es auch nur meine Einbildung.

"Ich bin gleich wieder da. Wartet hier!"

Sie verließ den Raum und Jake und ich waren für eine kleine Weile ungestört.

"Jake. Weißt du was? Wir sind jetzt eine Familie. Wir haben Kinder. Dabei sind wir eigentlich selbst noch Kinder."

"Teenie Mütter - wenn Kinder Kinder kriegen."

Ich funkelte ihn gespielt böse an.

"Hey! Das ist nicht witzig. Du warst das Unschuldslamm, das mich geschwängert hat. Ich könnte Anzeige gegen dich erstatten, also überleg dir gut was du sagst."

"Hohooo, und warum hast du es nicht gemacht?"

"Ich weiß nicht. Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Jemanden dafür bestrafen, dass er Leben geschaffen hat. Und überhaupt waren wir beide dicht wie sonst Irgendwas."

"Und nicht zu vergessen, ich hab dich auf dem Klo gefunden und dich mit in mein Bett genommen. Und wie heißt es so schön? Was man findet, das darf man behalten."

In diesem Fall hatte er sogar Recht.
"Schaut mal was ich da habe."

Dr. Morgan öffnete die Tür und schob einen Rollstuhl herein. Einen pinken Rollstuhl.

"Hier. Das dürfte funktionieren. Setz dich rein und verschleier dich noch ein wenig, damit es nicht auffällt, dass du dein Bett verlassen hast und dich stattdessen im ganzen Haus herum treibst."

Jake und Dr. Morgan griffen mir unter die Arme und hievten mich in das Gefährt. Rollen durfte ich mich nicht selbst, diesen Part übernahm Dr. Morgan.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Ana mein Schatz! Wie geht's dir?"

Meine Mam. Mit ihr hatte ich gerade echt nicht gerechnet.

"Geht soweit. Woher wusstest du, dass ich hier bin?"

"Mütter wissen alles, merk dir das."

War ja wieder mal typisch Mam. Ich grinste sie an und schob sie bei Seite.

"Aus dem Weg, Mutti, ich möchte meine Kinder auch mal sehen."

Und da lagen sie vor mir. Zwei kleine Babys, meine kleinen Babys. Links das Mädchen, rechts der Junge. Sie hatten beide die Augen geschlossen. Neben ihnen war ein Monitor, der ihren Herzschlag aufzeichnete. Er war sehr schwach, aber ihr Herz schlug. Und das war im Moment alles, was zählte.





 

Kapitel 29

 

Sie hatten alles gegeben. Doch gegen den Tod hatte keiner eine Chance, nicht einmal die modernsten Maschinen. Nicht die Reichen, nicht die Armen. Die Entscheidung über Leben und Tod lag allein in Gottes Händen.
Noch am selben Tag erreichte uns die traurige Nachricht, dass es unser Mädchen nicht geschafft hatte. Ihr Herz hatte versagt, es hatte einfach aufgehört zu schlagen. Sie war zu schwach. Alle Versuche, sie zurückzuholen waren fehlgeschlagen. Uns blieb nichts anderes übrig, als sie gehen zu lassen. Unserer Tochter zuzusehen, wie sie starb. Es gab nichts Schlimmeres auf dieser Welt, als seinem Kind beim Sterben zuzusehen und nichts dagegen tun zu können. Der Schmerz, den man in diesem Moment verspürte, konnte niemand beschreiben. Warum hatte sie nicht die Chance, zu leben, richtig zu leben, langsam heranzuwachsen zu einer schönen, jungen Frau wie so viele andere? Warum waren ihr nur so wenige Atemzüge zugeteilt? Das war nicht fair. Die Menschen werden immer älter, viele wünschen sich, endlich von dieser Welt gehen zu dürfen, aber sie können nicht. Sind stattdessen ans Bett gefesselt, krank, hilflos. Und so jungen Menschen, die ihr Leben erst noch vor ihnen haben, warum schenkt Gott ihnen nicht mehr Tage, mehr Zeit, in der sie so wie ich verbotene Dinge anstellen können, um daraus zu lernen? Das war alles so ungerecht. Die ganze Welt war so verdammt ungerecht.

"Ana." Jake schluchzte.

"Ana."

Ich konnte ihm nicht antworten. Ich konnte ihn nicht einmal ansehen, ohne noch mehr zu weinen.

Das einzige, was ich jetzt brauchte, war jemand, der mich in den Arm nahm. Ich wollte ihn nie wieder loslassen. Die Angst, ihn auch noch zu verlieren, war zu groß. Noch einen Menschen zu verlieren, den ich liebte.

Ich hatte das Gefühl, ich zog das Unglück nahezu an wie ein Magnet: Zuerst die Trennung meiner Eltern, dann die vorzeitige Geburt, und nun der Verlust unserer Tochter.

Und das Schlimme daran war, dass ich stets die Menschen in meinem Umfeld hatte, die ich am meisten liebte. In anderen Worten: Sollte mir etwas passieren, waren sie so gut wie in die Sache miteingebunden.

Ich hoffte immer noch, dass das alles war einfach nur ein schlimmer Traum, aus dem ich bald wieder aufwachen würde. Aber so war es nicht. Die ganze Situation wurde mit jeder Minute schlimmer.
Jeder Atemzug, eine einzige Qual.

"Du bist eine Smith. Und eine Smith gibt nicht auf. Eine Smith kämpft weiter, egal wie verloren der Kampf scheint. Du bist eine Kämpferin, Ana. Und jetzt liegt es an dir, das zu beweisen."

Mir kamen die Worte meiner Mam in den Sinn, wie sie mich immer ermutigte, wenn es mir schlecht ging. Verdammt schlecht. Sie hatte Recht. Sie hatte verdammt noch mal Recht. Ich war eine Smith.

Langsam löste ich mich von Jake und hörte auf, weiterhin zu weinen. Ich konnte nichts mehr ändern, es war zu spät. Sie war tot.

"Jake."

"Ja, Schatz?"

"Meinst du, ich darf sie in den Armen halten?"

"Sie können es dir nicht verbieten. Ich hole Dr. Morgan."

Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, anscheinend hatte er auch geweint.

"Lass mich nicht allein."

"Ich komme gleich wieder."

"Okay. Ich liebe dich."

"Ich dich auch."

Er versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, um mich ein wenig aufzumuntern. Aber das war nicht er. Das war nicht sein typisches Jake-Grinsen, wie ich es normal von ihm gewohnt war. Es war ein trauriges Lachen. Der Körper lacht, die Seele weint.

Ich ließ ihn gehen und wühlte mich in meiner Bettdecke ein.

Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich Jake das nächste mal sah, saß er neben mir, mit der Kleinen im Arm.

Ich richtete mich ein wenig auf und streckte meine Arme nach ihr auf.

Er legte mir sie in die Arme und ich zog sie an mich heran. Ich hatte zum ersten Mal meine Tochter im Arm - und so wie es aussah, auch zum letzten Mal. Sie war nicht größer als mein Unterarm, und daneben noch so federleicht. Ihr Gesicht war ganz bleich, ihr Körper aber noch ganz warm, voller Leben. Sie erweckte den Eindruck, als ob sie nur schlafen würde. Ein langer Schlaf, aus dem sie nie mehr aufwachen würde.

Der Gedanke machte die ganze Sache irgendwie erträglicher. Es war nur ein langer Schlaf, und irgendwann würden wir uns wiedersehen. Ich war mir sicher. Irgendwann.

Mit diesem Gedanken eingeprägt gab ich sie Jake noch ein letztes Mal, bis wir sie dann ein für alle mal in ihr Bettchen legten und den Ärzten überließen.

"Wir werden sie wiedersehen. Ich hab da so ein Gefühl."

Als Dr. Morgan weg war, erzählte ich Jake von meinem Instinkt, während ich seine Hand hielt.














 

Kapitel 30

 

Zwei Wochen nach der Geburt durfte ich unseren Sohn das erste Mal in den Armen halten.
Es war ein schönes Gefühl. Die Angst war weg, Erleichterung durchströmte meinen Körper, ich war rundum glücklich.

Wir waren nun zu dritt.
Jake, Finn und ich.

Seinen Namen hatten wir erst ganz spontan entschieden. Finn - der Name kam aus dem Irischen und bedeutete "hell". Wir fanden das ganz passend, denn Finn war unser 'hell', unser Lichtblick und Sonnenschein.

Sein Lachen konnte Berge versetzen. Dabei strahlten seine braunen Augen genauso wie die von Jake - ach, er erinnerte mich so an Jake. Diese Augen, dieses Lachen. Alles einfach.

Ich fand Babys schon immer süß. Aber dass sie so süß sein konnten und auch noch einem selber gehörten, das war der pure Wahnsinn.

Ich konnte es kaum erwarten, unseren Kleinen endlich mit nach Hause zu nehmen. Aber das war nur möglich, wenn er die Gewichtsgrenze von 2500 Gramm überschritten hatte und zudem selbstständig atmen und sich ernähren konnte, was zur Zeit noch nicht so recht der Fall war.

Solange unser Baby noch nicht zu Hause war, fuhren Jake und ich jeden Tag ins Krankenhaus, um es zu besuchen.

Meine Mam hielt sich ebenso wie wir sehr oft bei ihm auf, sie war richtig besessen davon, bald eine gute Oma zu sein. Sie so glücklich zu sehen, ließ mein Herz jedes Mal aufs Neue höher schlagen.

All diese Momente, in denen man glücklicher war als man es sich je erträumt hatte, all das war ein Zeichen dafür, dass es das Schicksal von Anfang an so gewollt hatte.

Auch wenn wir Verluste ertragen mussten und eine schwere Zeit durchstehen mussten, im Endeffekt war alles doch gar nicht so schlecht, wie es am Anfang zu werden schien.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

Und dann war er da, der große Tag, nach acht langen Wochen des Wartens.

Finn durfte endlich nach Hause.

Nun war unsere kleine Familie komplett.

In den nächsten Tagen kamen Besucher ohne Ende, die unseren Sohn sehen wollten. Meine Mam, Sabrina, mein Bruder, ja sogar mein Dad brach extra seine Geschäftsreise ab, um seinen Enkel im neuen Heim willkommen zu heißen.

Abends fiel ich jeden Tag todmüde ins Bett, in der Hoffnung, ein wenig Schlaf zu bekommen. Das laute Stimmorgan hatte unser Kleiner definitiv von Jake geerbt.

◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇◇

"Hey Schatzi."

"Hey."

Jake drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen und ich musste feststellen, dass es leider schon wieder Morgen war.

Was verwunderlich war, war die Tatsache, dass ich mich ziemlich ausgeschlafen fühlte.

"Wo willst du hin?"

Als ich gerade aufstehen wollte, hielt mich Jake zurück.

"Nach Finn sehen. Wie immer."

"Okay." Mit einem Grinsen im Gesicht blickte er mich an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, da war etwas im Busch.

"Ja-ake?"

"Ja Schatzi?"

"Wo ist Finn?"

Keine Antwort.

"Ja-ake!"

Als er mir wieder nicht antwortete, ging ich in mein Zimmer zurück und blieb im Türrahmen stehen. Er lag im Bett, mit dem Kopf auf seinen Armen und grinste immer noch.

"Gibt es vielleicht irgendetwas, was du mir sagen möchtest?"

Mit hochgezogenen Augenbrauen grinste ich zurück.

"Ja. Da gibt es etwas."

"Und das wäre?"

Jake winkte mich zu ihm und ich ließ mich neben ihn in mein Bett fallen. Dann schob er mir eine Strähne hinters Ohr und flüsterte mir zu.

"Ich liebe dich."

Ein Kuss sagte mehr als tausend Worte.

"Mach dir keine Sorgen um Finn, der ist in besten Händen."

"Wenn du das sagst."

"Ana Smith, haben Sie Lust, heute gemeinsam etwas mit mir zu unternehmen?"

"Ich habe große Lust auf einen Ausflug mit dir."

Wald. Wildschweine. Sprint. Das letzte Mal war Adrenalin pur.

"Schön. In 20 Minuten geht's los."

"Was? 20 Minuten? Nicht dein Ernst."

"Mein voller Ernst. Ich mache schon mal Frühstück."

Er stand auf und ging nur in Boxershorts in Richtung Küche.

Völlig überrumpelt verließ ich mein Bett heute zum zweiten Mal und legte eine neue Rekord-Duschzeit hin. 5 Minuten. Topt das erst mal einer.

"Fertig."

Nachdem ich mir meinen Bauch noch mit reichlich Pfannkuchen vollgeschlagen und meinen Haarbausch einigermaßen gebändigt hatte, rief mir Jake auch schon von außen zu, dass ich endlich kommen sollte.

"Aaaana. Beeil dich. Mein Großer kann es kaum erwarten!"

Augenblicklich packte ich meine Tasche und verließ das Haus, als ich feststellen musste, dass er mit seinem Großen sein Auto gemeint hatte.

Mit einem Grinsen im Gesicht stieg ich in den Wagen ein.

"Soso. Dein Großer also."

"Jawohl. Mein ganzer Stolz."

Wohlgemerkt, er fuhr einen kleinen VW. Aber ich fand das Auto auch irgendwie süß.

"Darf ich diesmal wissen, wohin die Reise geht?"

"Nein, darfst du nicht."

"Pfff." Gespielt beleidigt drehte ich mich zur Seite und schauspielerte solange auf Modus trotzig, bis mich Jake mittendrin aus heiterem Himmel in den Bauch piekte.

Ich fing daraufhin an, zu quieken wie eine Maus, während er am Steuer saß und sich einen runterlachte.

"Du. Bist. So. Ge. Mein."

Mit jeder Silbe "schlug" ich seinen Arm, amüsiert beobachtete er mich dabei.

"Du Sack."

Die gesamte Autofahrt verbrachten wir nur damit, uns gegenseitig zu dissen. Und so waren wir auch im Nu an unserem Ziel angekommen.

Neben einer großen, grünen Wiese machte er halt und brachte seinen Großen zum Stehen.

"Komm mit."

Er nahm mich an der Hand und führte mich durch die Wiese.
Mittendrin setzte er auf den Boden und zog mich auf seinen Schoß.

Danach folgte ein zärtlicher Kuss.

"Weißt du, warum wir hier sind?"

"Nein, nicht wirklich."

Ich hatte keinen Plan, um ehrlich zu sein.

"Es ist so: Die Wiese hier gehört meinen Großeltern. Und wie du weißt, kommt irgendwann die Zeit, an denen Dinge vererbt werden. Ich habe diese Wiese bekommen."

Er hatte eine Wiese. Aha. Was wünscht sich ein 18-Jähriger auch mehr?

"Wie findest du den Platz hier?"

"Eigentlich... ziemlich nett."

Nicht zu viel Stadt, nicht zu viel Land, auf einer Seite Wald, auf der anderen Straße.

"Eigentlich?"

"Sehr nett."

"Okay, gut. Geht dir nicht schön langsam ein Licht auf?"

Welches Licht? Ahhh!

"Du meinst- ?"

"Ja. Lass uns ein Haus bauen. Ein eigenes. Für uns beide und Finn. Was hältst du davon?"

Ich war sprachlos. Mit offenem Mund starrte ich ihn an, als wäre er ein Monster.

"Klingt toll."

"Klingt nicht nur toll, sondern ist es auch."

Ich fiel ihm um den Hals.

"Jake, weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?"

"Ich weiß es, aber ich kann's nicht begreifen. Die Liebe raubt uns allen den Verstand "

"Selbst die letzten funktionierenden Gehirnzellen."

Ich weiß, ich zerstörte immer die romantischten Momente, aber das war nun mal mein Job. Ihm das Leben zur Hölle machen, anfangs ging alles noch nach Plan. Das Gehirn arbeitet 365 Tage im Jahr, solange, bis man sich verliebt. Und das war genau meine Macke gewesen. Jake, mein schlimmster Erzfeind - Macho seit jeher, und ausgerechnet ich, Ana Smith musste so einen abbekommen. Und dann auch noch unter solchen Umständen.

Aber tja, wie heißt das gute, alte Sprichwort? Wo die Liebe hinfälllt.

Er hatte mir gezeigt, was es heißt, geliebt zu werden, mit Leib und Seele, mit Herz und Verstand. Und ich wollte, dass er nie wieder damit aufhörte.

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Das Buch ist nun zu Ende.
Ich bedanke mich bei allen Lesern, die mich unterstützt und haben und für die unzähligen, lieben Kommentare! :)
Gestern haben wir 6K Leser erreicht, ich hätte nie im Leben gedacht, dass wir diese Zahl jemals erreichen würden! ;)

Aber wo ein ein Wille, da bekanntlich auch ein Weg... :)

Wenn ihr möchtet, kommen noch ein paar Extra-Kapitel, lasst es mich wissen! ;)

Ein riesengroßes Dankeschön an euch alle!

Eure Erdbeerblume22 ♥
















Imprint

Publication Date: 06-30-2015

All Rights Reserved

Dedication:
Für meine besten Freunde und meine große Liebe :)

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