Zurück erinnern kann ich mich bis zu meinem dritten Lebensjahr.
Ich bin das erstgeborene Mädchen meiner Eltern. Das Licht der Welt erblickte ich
im Jahre 1932 an einem Sonntag Nachmittag.
Da ich auf dem Lande groß geworden bin, in einem Dorf
mit ca. 3.000 Einwohnern, habe ich dennoch eine schöne und
behütete Kindheit erlebt.
Nur 4 Jahre besuchte ich die Volksschule in unserem Ort.
Man konnte unbekümmert und gefahrlos alle Straßen
und Wege benutzen.
Vater sagte, das Kind soll eine gute Ausbildung bekommen
und daher das Oberlyzeum für Mädchen in Stade besuchen.
Darauf war ich sehr stolz.
Schulgeld kostete damals 25,00 Reichsmark monatlich,
dann kam noch die Fahrt per Postbus zum Bahnhof,
monatlich 16,00 Reichmark und die Bahnfahrkarte von
8,50 Reichsmark hinzu.
Das konnten sich nicht alle Eltern leisten.
Nach erfolgreicher Aufnahmeprüfung kamen jetzt
diverse Lehrfächer hinzu:
Englisch, Französisch, Latein, Physik, Chemie und für
mich das schönste und wichtigste Kunst, Malerei, Musik
und Handarbeit.
Es waren schwierige Zeiten für Schüler,
besonders für diejenigen, die Fahrschüler
und oft den ganzen Tag unterwegs waren.
Schulaufgaben konnten dann nur noch
abends gemacht werden.
Der Besuch der Höheren Handelsschule.
Es kam das Erlernen der Stenografie, des
Schreibens mit der Schreibmaschine mit
dem 10-Fingersystem hinzu und auch
Englisch und Französich für Handelskorrespondenz.
Es herrschte Hunger und Armut. Die Menschen entwickelten Improvisationstalent.
Wer einen Garten hatte, war gut dran. Schwarzschlachtungen und Schwarzhandel gab es überall.
Steckrüben auf den Feldern luden uns Kinder zum Naschen ein.
Aus Altkleidern wurden neue geschneidert. Sandalen stellte ein Findiger aus Holz her.
Geheizt wurde nur ein Raum mit Holz und Torf. Kohlen gab es nur auf Bezugscheinen.
Der große Strom von Vertriebenen und Flüchtlingen aus den deutschen
Ostgebieten kam auch in unser Dorf und wurde untergebracht bei unseren
Einwohnern, die sich sehr einschränken mussten.
Viele kamen mit Pferd und Wagen, hoch beladen mit ihren
Habseligkeiten.
Die Pferde kamen zu den einheimischen Bauern.
Amerikaner schickten Care-Pakete und nach und nach ging es
aufwärts durch das sogenannte Wirtschaftswunder unter dem
Wirtschaftsminister Ludwig Erhard.
Die höheren Schulen waren geschlossen.
Sie wurden für andere Zwecke genutzt.
In unserem Dorf hat ein pensionierter Studienrat
Notunterricht organisiert in Konfirmandenräumen
und auch in leer stehenden Räumen von Pfarrhäusern.
Die Räume wurden von den Eltern der Schüler
beheizt. Wir Schüler brachten täglich je ein Stück
Holz und Torf mit.
Die Lehrkräfte waren pensionierte Lehrer, Ingenieure
oder auch Schauspieler, Dramaturgen etc..
Erst nach längerer Zeit wurden die Mittelschulen
und Gymnasien wieder geöffnet.
Junge Lehrkräfte gab es zunächst kaum. Sie waren
vielfach im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft.
Ich gehörte zu den Fahrschülern und nicht zu den einheimischen
Stadern.
Täglich war morgens einer der Lehrkräfte am Bahnhof
und gab bekannt, wo am jeweiligen Tag der Notunterricht
stattfinden sollte.
Entweder war es ein Kartenraum im damaligen Atheneum
oder ein Zimmer im Gerichtsgebäude oder oder oder.
Das war der Beginn einer NEUEN OBERSCHULE:
In unserem Dorf tauchte der alte
pensionierter Studienrat Dr. Peters auf,
bei dem schon mein Vater früher unterrichtet wurde.
Dr. Peters setzte sich für die zahlreichen Schüler im Dorf ein
und orgaanisierte Räumlichkeiten in der näheren Umgebung
für die Mittel- und Oberschüler.
Er wurde fündig in Warstade. Ca. 10 km von unserem Dorf
entfernt.
Anfang fuhren wir täglich per Fahrrad zur Schule und später
gab es auch schon einen Postbus.
Das war der Beginn einer neuen Oberschule
Diese neu gegrünete Oberschule begann mit einem
Neubau und wurde nach und nach erweitert.
Sie besteht noch heute und hat schon viele
Abiturienten hervorgebracht aus der
näheren Umgebung.
Inzwischen konnte ich wieder mit vielen anderen Schülern,
Auswärtige (Fahrschüler) und Einheimische (Stader) wieder
in unsere "alte Schule" einziehen.
Die Besatzungssoldaten waren wieder abgezogen.
Das Oberlyzeum in Stade war zwar sehr überfüllt
durch die Zuwanderung der Vertriebenen und Flüchtlinge
aus den deutschen Ostgebieten, aber man hat somit
die Jahrgänge aufgeteilt in a- und b-Klassen.
Durch den Mangel an Lehrkräften (viele waren im Krieg
gefallen), wurden wir von alten, bereits pensionierten
und ganz jungen, neu eingestellten Lehrern unterrichtet.
Für die auswärtigen Schüler, die per Bahn zur Schule kamen,
wurde in der Turnhalle eine Suppe ausgegeben.
Es gab Erbsensuppe, Schokoladensuppe, Haferflockensuppe mit Rosinen
jeweils im Wechsel.
Viele Schüler bekamen von zu Hause kein Pausenbrot mit auf den Weg.
Ich hatte großes Glück, weil ich eine Freundin unter den Flüchtlingen hatte,
die eine Bauerntochter war und bei heimischen Bauern Räumlichkeiten bekamen
und auch sogar als Lohn für die Arbeit auf dem Hof ein Deputat in Form
von beispielsweise einer Kuh.
Mein Vater hat aus Wehrmachtsmaterial eine Schultasche für mich hergestellt.
Kleidung wurde ausschließlich selber gechneidert aus alten Sachen, die
aufgetrennt wurden und meist aus 2 Kleidern neu gestaltet wurden.
Von dem Bindegarn, das Bauern zum Garbenbinden bekamen, haben wir
Unterwäsche gestrickt, indem das garn mit einem Spinnrad geviertelt wurde
und so die richtige Stärke zum Verarbeiten hatte.
Sogar Gardinen haben wir aus diesem Garn geknüpft.
Man war schon ziemlich kreativ.
Im Jahre 1948 kam die Währungsreform und jeder Deutsche bekam
40,00 Mark Kopfgeld.
Mutter hat sorgfältig Buch über Ein- und Ausgaben geführt.
Vater baute seine selbst konstruierte Standbohrmaschine um und
montierte eine Kaffeemühle darunter.
So brauchte man nicht ständig per Hand Kurbeln, um etwas
Kaffee-Mehl zum Frühstück zu erhalten.
Diese Konstruktion war besonders wichtig, als meine Schwester und ich
im heiratsfähigen Alter waren und demnächst Familienfeste anstanden.
Die Schaufenster waren wieder voller schöner Sachen,
nur das nötige Geld fehlte.
Es musste erst nach und nach wieder erarbeitet und verdient werden.
Die Menschen waren wieder optimistisch und hatten Mut,
auch Risiken einzugehen, z.B. in Form von Krediten, die
mittlerweile von den Banken gewährt wurde.
Publication Date: 11-20-2023
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Dieses Büchlein ist allen Lesern gewidmet, die sich für Geschichte und die Entwicklung der Zukunft interessieren.