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Bürgerkriegsjahre.

Aus privaten Gründen zog ich im August 1992 nach Nordirland. Das Städtchen Portadown im County Armagh sollte meine Heimat für die nächsten Jahre werden.

 

Vor meiner Ankunft hatte ich mich zwar schon mit dem Bürgerkriegs-Geschehen in Nordirland auseinandergesetzt, aber die Feindseligkeiten der verschiedenen Terrorgruppen in der Realität mitzuerleben, das war wieder ein ganz anderes Kaliber, als am heimischen Fernsehschirm.

 

Bomben-Drohungen gab es praktisch jeden Tag und da lange Zeit nichts passierte, ließ ich mich mit der Zeit nicht mehr aus der Ruhe bringen, wenn es mal wieder eine gab. Polizei und Militär kümmerten sich darum, dass die Menschen dort relativ sicher leben konnten. Und ich muss gestehen, dass ich gehörigen Respekt vor den Sicherheitskräften hatte, nachdem ich einmal ein völlig zerschossenes Polizeiauto gesehen hatte.

 

Ich lebte mein Leben genauso wie die anderen Zivilisten, die sich aus der Politik heraushielten und sich nur um ihre eigenen Belange kümmerten. Portadown war eine protestantische Stadt, deren Geschichte auf Siedler aus Schottland und England zurückging. Allerdings gab es auch eine lange Straße, in der sich ausschließlich Katholiken angesiedelt hatten; die "Garvaghy Road", die zur protestantischen Kirche "Drumcree Church" führte. Die "Garvaghy Road" war Jahre lang der Zankapfel zwischen Protestanten und Katholiken in Portadown, der schließlich in zwei Bombenanschläge mündete. Aber lasst mich von Anfang an erzählen.

 

In Nordirland hatte ich mich gut eingelebt und viele Freunde gefunden. In meiner Wohnung in der 51, Carleton Street hatte ich einen Bügel-Service eingerichtet und kannte dadurch viele Leute, die mir ihre Hemden zum Bügeln vorbei brachten und mir brühwarm den ganzen Tratsch erzählten, der in Portadown gerade Tagesgespräch war.

 

Es war Ende Mai `93 an einem wunderschönen Samstag Morgen, als unser beschauliches Leben ein jähes Ende nahm. Ich war spät aufgestanden und musste noch in die Stadt, um Lebensmittel einzukaufen. Doch als ich von der Carleton Street in die Church-Street einbog, sah ich, dass außer einer einsamen Polizistin niemand auf der Straße war. - "Komisch" , dachte ich, "die Stadt war doch Samstags immer rappelvoll. Ich ging weiter. Die Polizistin sah mich kommen und schrie: "ZURÜCK!" - Ich war in Gedanken und reagierte nicht.

 

"ZU-RÜCK!" , schrie die Polizistin wieder und ihre Stimme überschlug sich fast.

 

"Ist ja gut, ich geh´ ja schon" , signalisierte ich ihr und bog in die nächste Nebenstraße ein, wo sehr viele Leute versammelt waren.

 

"Was ist los?" , fragte ich einen von ihnen.

 

"Bomben-Alarm!" , entgegnete er.

 

Ich verdrehte die Augen. Schon wieder dieser Mist. Na ja; es würde nicht lange dauern, bis die Warnung wieder aufgehoben würde. Wir musste auch nicht mehr lange warten.

 

Rumms! - Die ganze Stadt bebte unter der Detonation. Über der Innenstadt sahen wir eine dicke, schwarze Rauchwolke und um uns herum flogen die Fensterscheiben zu Boden. Es war ein Wunder, dass niemand durch das herunter stürzende Glas verletzt wurde. Vor Schreck wie gelähmt standen wir da. Es dauerte etwas, bis wir realisiert hatten, was geschehen war. Wir hörten eine Lautsprecher-Stimme, die uns Anweisung gab, nach Hause zu gehen und auf der Straßenmitte zu laufen, da auf den Bürgersteigen Gefahr durch herabfallende Gegenstände bestand.

 

Zu Hause angekommen traf mich der Schlag. - Sämtliche Fenster und Türen waren durch die Druckwelle zerstört und in meiner Wohnung sah es aus....!

 

Während ich mich heulend auf einen Stuhl niederließ, kamen meine Wohnungsnachbarn herein und fragten, ob ich was zu Essen gekauft hätte.

 

Nein, hatte ich nicht. Meine Wohnungsnachbarn hatten auch nichts mehr und da die ganze Stadt zerstört war, würde es dieses Wochenende auch nichts zu Essen geben, dachten wir. Doch ausgerechnet eine ältere Mitbewohnerin, die sich immer über Kleinigkeiten bei unserem Vermieter beschwert hatte, erwies sich in der Not als gute Fee und lud die ganze Hausgemeinschaft kurzerhand zum Abendessen ein. Ich werde den Anblick nie vergessen, als wir uns Abends bei ihr einfanden. Trotz der Zerstörung hatte sie den Tisch festlich gedeckt; mit Damast-Tischtuch, Kerzen und - oh, welch Wunder, ihre Weingläser aus Kristallglas hatten die Detonation in ihrem Karton unbeschadet überstanden. Es gab Lammbraten mit Ofenkartoffeln, Spinat und Cherrytomaten. Und während wir im Kerzenschein wie die Fürsten tafelten, fuhren unten auf der Straße die Militär-Konvois im Minutentakt vorbei.

 

Im Sommer lernte ich die Ursache der Feindschaft zwischen Protestanten und Katholiken in Portadown kennen. Es ging um die Marsch-Route der protestantischen Orange Order durch die von Katholiken besiedelte Garvaghy Road. Jeden Sommer um die gleiche Zeit gab es Zoff um diese Marsch-Route. Da flogen Steine und Flaschen in Richtung der Protestanten, die mit einem großen Polizei-Aufgebot geschützt wurden. Die Unruhen wiederholten sich Jahr für Jahr und steigerten sich in Schießereien und brennenden Barrikaden, sobald es dunkel wurde. Fernseh-Übertragungswagen aus aller Welt filmten diese Scheußlichkeiten.

 

Das gleiche Schauspiel wiederholte sich in den Jahren 1994, 1995 und 1996.

 

Im Jahr 1997 verbot die Nordirland-Ministerin Mo Mowlam kurzerhand die Marsch-Route durch katholisches Gebiet. Doch die Protestanten nahmen das Verbot nicht ernst und beriefen sich auf das Recht der Gewohnheit. Trotz Marsch-Verbots zogen sie durch die Garvaghy Road und beschwörten damit die schwersten Unruhen herauf, die ich bis dahin erlebt hatte und die in einen 2. Bombenanschlag im Februar 1998 gipfelten.

 

Damals sahen wir im Fernsehen, wie Mo Mowlam sich in ihrem Regierungssitz Schloss Enniskillen präsentierte; eine krebskranke Frau, die von Tony Blair in diese Provinz zu diesem Drecks-Job geschickt worden und die fest entschlossen war, das Verhalten der Protestanten nicht noch einmal durchgehen zu lassen. Die Garvaghy Road wurde kurzerhand gesperrt. Niemand kam durch. Die Orange-Order-Marschierer mussten eine Ausweich-Route nehmen, um in die Stadt zu gelangen. Sie stellte sich taub für die Beschwerden der Marschierer und verhalf den katholischen Anwohnern der Garvaghy Road zu ihrem Recht. Wir sahen es im Fernsehen und stellten uns auf Unruhen ein.

 

Aber, oh Wunder, es blieb alles ruhig.

 

Wir trauten unseren Augen nicht und unser Respekt für diese krebskanke, mutige Frau stieg bis ins Unermessliche. Und ihr werdet es kaum glauben, wie ich mich gefreut habe, ihr in Belfast in der "Linnenhall Library" zu begegnen. Sie hielt mich für eine Angestellte und sprach mich an. Ihre Stimme habe ich noch heute im Ohr und das nette Gespräch mit ihr zaubert mir auch jetzt noch ein Lächeln ins Gesicht.

 

Ich war längst wieder nach Deutschland zurückgekehrt, als ich hörte, dass sie am 19. August 2005 den Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Viel zu früh musste sie gehen. Ihren 56. Geburtstag hat sie nicht mehr erleben dürfen.

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Publication Date: 04-02-2016

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Dedication:
Dies ist eine Hommage an eine tatkräftige, mutige Frau, die gleich an zwei Fronten zu kämpfen hatte.

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