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Wie erinnerlich, ist Camillo Castiglioni im Sommer vergangenen Jahres vom Präsidenten Masaryk empfangen worden und auf Schloß Lana zu Gast gewesen. Einzelne tschechische Blätter hatten nun in den letzten Tagen im Zusammenhang mit den vielen Meldungen, die über Castiglioni kursierten, das Gerücht verzeichnet, Castiglioni habe für die Vermittlung dieser Audienz mehrere Millionen bezahlt. Dem gegenüber veröffentlicht die Kanzlei des Präsidenten heute folgende Erklärung :

»Die Kanzlei des Präsidenten kann nicht jede Pressenachricht richtig stellen, die unsinnig ist oder bei der das Tendenziöse jedem Einsichtigen klar sein muß. Castiglioni wurde vom Präsidenten der Republik empfangen, ebenso wie eine Reihe anderer einheimischer und ausländischer Volkswirtschaftler. Wir müssen dafür dankbar sein, daß wir einen Präsidenten haben, der es versucht, sich auch durch persönliche Bekanntschaft mit Männern, die mächtig in die öffentlichen Angelegenheiten eingreifen, zu informieren. Das persönliche Kennenlernen dieser Menschen ist für die Politik von der größten Bedeutung. Die Mitteilung von dieser Audienz ist ebenso wie dies bei allen übrigen der Fall ist, am 18. Juli 1923 amtlich der Presse zur Verfügung gestellt worden. Es bestand somit keine Absicht, irgend etwas zu verschweigen. Kein vernünftiger Mensch wird glauben, daß Castiglioni für etwas, das er umsonst erhalten konnte, Millionen bezahlt hätte. Damit fallen alle Gerüchte zusammen, die an das Zustandekommen dieser Audienz geknüpft worden sind.«



Gewiß hat es kein vernünftiger Mensch geglaubt und es liegt klarer Weise einer der tausend Fälle vor, in denen sich jene nachrevolutionäre Geistesverfassung des mitteleuropäischen Bürgertums zu erkennen gibt, die sich der während des Kriegs beobachteten würdig anreiht und die man wie diese mit Recht »Mentalität« nennt. Jedes Spießerhirn lebte und lebt der durch keinen noch so lückenlosen Gegenbeweis, durch keinen noch so eindeutigen moralischen Sachverhalt zu erschütternden Überzeugung daß, wo der Kaiser sein Recht verloren hat, nichts ist als Korruption, daß der Zugang zu jeglicher Amtlichkeit der Republik ein Sperrgeld kostet, daß jede Regierungshandlung der neuen Macht ein Versuch ministerieller Bereicherung ist, daß dem Seitz der Heinrichshof gehört und, wenn ein Masaryk Herrn Castiglioni empfängt, daß da nicht das Problem der sittlichen Persönlichkeit im Zwange der Staatsinteressen gegeben sei, sondern die Wahrscheinlichkeit der staatlichen oder gar der persönlichen Bestechung. Die unzähligen Versionen, die in solcher und ähnlicher Richtung seit den Umsturztagen verbreitet wurden, haben eine gesellschaftliche Atmosphäre geschaffen, in der es geradezu als ein Wunder erscheint, daß die giftigen Idioten, die aus ihrem ureigensten Gesinnungsdreck heraus die leibhaftige Niedertracht als das Opfer der Selbstlosigkeit produzierten, unerschlagen geblieben sind. Zumal in Böhmen hat die knirschende Wut einer um die Privilegien ihrer Engherzigkeit gebrachten Kaste Exzesse der Verleumdung gezeitigt, welche nur dem Mitleid mit einer Geistigkeit geringfügig erscheinen konnten, der eben noch die Beweggründe der eigenen Moral zur Erklärung weltgeschichtlichen Umschwungs erreichbar sind. Daß ein Mann wie Masaryk genötigt ist, eine solche Erklärung zu erlassen, zeigt, welche gesellschaftliche Lumpengesinnung dort noch immer die Macht hat, den ihrer würdigen journalistischen Ausdruck zu finden.

Trotzdem muß gesagt werden, daß die Stilisierung dieser erklärenden Note nicht das Glück hat, auch dem Bedauern über die Tatsache der »Audienz« des Herrn Castiglioni entgegenzuwirken. Ohne Zweifel ist es Recht, Pflicht und vielleicht gar hübsch von einem großen Herrn, selbst den Castiglioni zu empfangen. Immerhin aber könnte sich die Reihe der einheimischen und ausländischen »Volkswirtschaftler« gegen die Komplettierung mit dem gleichen Rechte wehren, mit dem etwa Kriminalisten bestreiten würden, daß das berechtigte Interesse, einen großen Einbrecher kennen zu lernen, eine Anerkennung ihrer Wissenschaft bedeute. Wie doch wohl auch bei aller Möglichkeit, mit Haifischen Ressortfragen zu erörtern, die Auffassung nicht gut platzgreifen könnte, daß sie von der Marine seien. So mächtig sie in die öffentlichen Angelegenheiten eingreifen, so müßte doch die Ohnmacht des Staates, in ihre Angelegenheiten einzugreifen, nicht so sehr als Selbstverständlichkeit wie als tragischer Umstand gefühlt werden und die Repräsentanten dieser Ohnmacht weniger mit Respekt als mit Schauder erfüllen. Recht unglücklich ist die Folgerung, es habe keine Absicht bestanden, irgend etwas zu verschweigen, aus der Tatsache, daß die Mitteilung dieser Audienz »ebenso wie dies bei allen übrigen der Fall ist«, amtlich der Presse zur Verfügung gestellt wurde. Nicht die Audienz, sondern ihre Hintergründe wären verschwiegen worden, wenn es solche gegeben hätte, ja in diesem Falle hätte doch wohl gerade die Publizierung der Audienz eine Bedingung des Audienzwerbers gebildet. Keinesfalls könnte die Tatsache, daß aus dem Empfang kein Hehl gemacht wurde, einen Beweis für die Sauberkeit seines Zustandekommens abgeben. Auch Herr Castiglioni mag Wert darauf legen, den Präsidenten der tschechoslowakischen Republik persönlich kennen zu lernen – er hätte aber viel weniger davon, wenn es nicht gemeldet würde. Nicht über alle Empfänge wird ohneweiters der Presse eine Mitteilung zur Verfügung gestellt und wenn, wie mir bekannt, die Präsidialkanzlei an einen Geladenen die Frage stellt, ob ihm die offizielle Bekanntmachung genehm sei oder nicht, so tut sie dies gewiß mehr mit Rücksicht auf die Eigenart des Besuchers als wegen des Bedenkens, daß dem Empfang ein unlauterer Beweggrund unterschoben werden könnte. Wohl hätte die Audienz des Herrn Castiglioni ex officio verschwiegen werden sollen, weil sie als solche ja bedenklich genug ist. Aber die Frage nach seinen Wünschen betreffs der Publizierung, die an ihn wohl nicht gestellt wurde, hätte er sicherlich nicht ablehnend beantwortet, und wäre die Publizierung in jenem Moment nachträglicher Besinnung, da die vollbrachte Tat ein anderes Antlitz zeigt, unterblieben, der Besucher hätte nicht um Millionen, die man ihm geboten hätte, darauf verzichtet, für publizistischen Ersatz in weitestem Umfang zu sorgen. Allein selbst dieser Freimut, die Tatsache der Audienz zu bekennen, wäre kein Beweis gegen die Absicht gewesen, »irgend etwas zu verschweigen«, nämlich das, was jene entwertet hätte.

Hingegen wäre ferner zu sagen, daß, so einleuchtend der Schluß ist, einer werde doch nicht für etwas Millionen bezahlen, »das er umsonst erhalten konnte«, doch auch das Bedauern vorhanden bleibt, daß er es umsonst erhalten konnte. Es wäre zum Beispiel gar nicht übel gewesen, den Dank für ein Erlebnis, das nebst dem ehrenhaften Informationsdrang des Staatsoberhauptes auch leider dem Ansehen des Herrn Castiglioni geholfen hat, vor aller sehenden Öffentlichkeit die tschechischen Kriegsblinden ernten zu lassen. Schließlich wäre aber noch auf eine Lücke der amtlichen Erklärung hinzuweisen, indem sie unerwähnt läßt, was eigentlich Herr Castiglioni vom Präsidenten Masaryk umsonst erhalten hat, und hier wäre zu erinnern, daß ein persönliches Kennenlernen der Erscheinungen, die es in der heutigen Welt gibt, so nützlich und notwendig es dem Staatsmann erscheinen mag, doch nicht unbedingt zu einem »Lunch« ausarten muß und daß ein solcher keineswegs zu jenen Gaben gehört, welche mächtig in die öffentlichen Angelegenheiten eingreifende Männer umsonst erhalten können. Die Erklärung, die sich damit begnügt, eine »Audienz« zu rechtfertigen, verletzt die Pflichten einmal erwiesener Gastfreundschaft, indem sie sie vergessen machen will. Sie widerlegt die törichte Infamie, daß der Zutritt zu einer der wenigen sittlichen Gestalten der Kriegs- und Nachkriegswelt zu erkaufen sei, sie beseitigt aber nicht das Unbehagen einer Vorstellung, daß ein solcher Mann, für dessen Gesundheit die Nation mit Recht besorgt ist, an einem Tisch mit Herrn Castiglioni zu Mittag gespeist hat. Die Umgebung des Präsidenten, die es unterlassen hatte, ihn, den das Streben ehrt, sich zu informieren, ihrerseits auch über die Grenze zu informieren, bis zu der die Befriedigung solchen Strebens noch möglich ist, sie hat es gleichermaßen unterlassen, den von ihr verschuldeten Mißgriff zu bekennen. Als mich die Nachricht von der Einladung des Herrn Castiglioni zum Lunch bei Masaryk zu einer Absage zwang, wiewohl ich mir doch des ehrenvollen Unterschieds bewußt war, daß es ihm genügt hatte, mich persönlich kennen zu lernen, und daß es in meinem Fall weder nötig würde, einen Lunch zu melden noch zu verschweigen, da wollte ich nicht den ehrwürdigen Mann, sondern ein republikanisches Zeremoniell treffen, das, wie in den tschechischen Belangen militärischer und jagdlicher Aufmachung mit dem Inhalt der Persönlichkeit unvereinbar, noch den Umriß der Staatsfigur verzerrt. Daß Herr Castiglioni etwas umsonst erhalten hat, konnte nur der böseste Wille bezweifeln. Aber der beste muß bedauern, daß er umsonst erhalten hat, was er mit Millionen hätte bezahlen müssen, und daß er erhalten konnte, was nicht mit Millionen zu bezahlen war.

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Publication Date: 09-27-2011

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