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Dinner for two

Sarah drehte und wendete sich vor dem großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer und warf sich prüfende Blicke zu. Ja, das neue Cocktailkleid aus flaschengrüner Seide stand ihr fantastisch! Es schmiegte sich wie eine zweite Haut über ihre schlanke, aber weibliche Figur, die Farbe unterstrich das Grün ihrer mit dramatischen Lidstrichen betonten Augen, der dezente Schmuck harmonierte perfekt. Perfekt.

So wollte sie heute Abend aussehen. Wieder begann ihr Magen leicht zu flattern, wie immer, wenn sie an Darian dachte, den sie vor einigen Wochen kennengelernt und in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass er sie gleich abholen würde. Sie lächelte ihr Spiegelbild voller Zuversicht an.

Dieses Mal war es, nach den ganzen Enttäuschungen der letzten Jahre, endlich der Richtige, der Mann fürs Leben, das spürte sie. Er sah nicht nur unfassbar gut aus und schien über haufenweise Geld zu verfügen, er besaß auch Charme, war gebildet und ein guter Zuhörer, so viel hatte sie über ihn bereits herausgefunden. Rasch trug sie mit routinierten Strichen Lippenstift auf, der dieselbe Farbe besaß wie ihre lackierten Fingernägel, und schlüpfte in die hochhackigen Schuhe.

Noch zwei Spritzer ihres Lieblingsparfüms, das Darian unwiderstehlich genannt hatte, dann war sie fertig.

Ich bin aufgeregt wie ein verknallter Teenie. Da läutete es.

 

»Wow, du siehst umwerfend aus!«, stieß Darian hervor, als sie ihm öffnete, in der Hand hielt er einen Strauß dunkelroter Rosen. Er umarmte sie und presste sein Gesicht in ihre Halsbeuge, sein warmer Atem ließ wohlige, erregte Schauer über ihren Körper rieseln.

»Und du duftest wieder zum Anbeißen«, murmelte er, während seine Hände über ihren Rücken strichen.

Du bist aber auch nicht zu verachten, durchfuhr es Sarah. Jedes Mal verschlug es ihr den Atem, wenn sie ihn erblickte. Wie eine Mischung aus römischem Gott und Hollywoodstar sah er aus und der maßgeschneiderte Anzug unterstrich diesen Eindruck.

Sie ergriff seinen Nacken, zog seinen Kopf zu sich hinunter und fuhr mit ihren Fingern durch sein Haar, versenkte ihre Augen in die unglaublich blauen Tiefen seiner, bevor sie in einem leidenschaftlichen Kuss verschmolzen. »Ein wahres Gottesgeschenk!«, dachte sie, sich an die Bedeutung seines Namens erinnernd, als sie sich voneinander lösten.

Darian half ihr in den Mantel und führte sie zu seinem Sportwagen. Heute würde sie zum ersten Mal sein Heim kennenlernen, bisher hatten sie sich immer in noblen Restaurants getroffen.

»Ich wohne etwas außerhalb der Stadt, die Fahrt wird einen Moment dauern.« Ihr Liebster schenkte ihr sein Lächeln, das sie jedes Mal schwach machte. »Aber der heutige Abend soll ein ganz besonderer werden, unvergesslich für uns beide … da halte ich ein intimes Dinner für angebracht.«

Er sah ihr tief in die Augen und strich bedeutsam über ihren Ringfinger. Selbst die kleinste Berührung von ihm jagte erregende Impulse durch ihren Körper, eine wohlige Wärme stieg in Sarah auf. Sie kannten sich jetzt zwei Monate, aber sollte er … hatte er vor, sie …

Nein, sie zog voreilige Schlüsse, das konnte nicht sein, nicht nach acht Wochen.

Doch ihr Herz machte wegen der subtilen Andeutung einen kleinen Satz und klopfte einen Takt schneller.

Darian plauderte auf seine weltmännische Art so unterhaltsam, dass die Fahrt wie im Fluge vorüber war. Schon hielten sie vor einem Schiebetor, eingelassen in eine Backsteinmauer, die ein weitläufiges Anwesen umfasste. Als sich das Tor zur Seite schob und sie auf die Gründerzeitvilla zufuhren, musste Sarah schlucken. Wahnsinn! Sie hatte ja geahnt, dass er reich war, aber das hatte sie nicht erwartet.

Diesen Goldfisch darf ich auf keinen Fall von der Angel lassen.

 

Als sie die Villa betraten, schnappte sie fast nach Luft. Fasziniert saugte sie das geschmackvolle Ambiente in sich auf, in dem wertvolle Antiquitäten mit Modernem geschickt kombiniert worden waren. In der Eingangshalle schlug ihnen der Duft von Gebratenem und italienischen Kräutern entgegen.

»Sag bloß, du kannst auch kochen?«, fragte Sarah mit einem koketten Lächeln, als Darian ihr aus dem Mantel half. »Nein, Liebling, das gehört leider nicht zu meinen Qualitäten. Unser Vier-Gänge-Menü hat meine Haushälterin gezaubert. Aber - « nun schlang er seine Arme um Sarahs Taille und zog sie fest an sich. »ich habe andere Vorzüge, die ich dir nach dem Dinner gerne zeigen würde.« Er begann an ihrem Hals zu knabbern, seine Hände fuhren über ihren Leib und Sarah fühlte Hitze in sich aufsteigen. Ja, sie war bereit. Heute Abend würde sie diesen unglaublichen Mann endlich aus seinem Anzug pellen und ihm beweisen, dass er mit ihr eine perfekte Wahl getroffen hatte. Danach würde er sie nicht mehr gehen lassen, da war sie sich sicher. Sarahs Augen glitzerten.

 

Im nur von Kerzenlicht erhellten Esszimmer warteten ein festlich gedeckter Tisch und eine eisgekühlte Flasche Champagner auf sie. Darian ließ mit geübtem Griff den Korken knallen, schenkte ein und stieß mit ihr an.

»Auf uns, auf einen unvergesslichen Abend und - auf den Hunger, den ich nicht nur auf das Essen verspüre.« Sein Blick ließ sie innerlich erbeben. Sarah musste an sich halten, um nicht vor Aufregung den edlen Tropfen hinunterzuschütten wie Wasser. Galant zog ihr Gastgeber den Stuhl zurück, auf dem sie Platz nahm. Sofort entdeckte sie die in verschnörkelter Schrift geschriebene Karte, die das 4-Gänge-Menü verkündete: Schinken a la Parma mit Melone und Rosmarinbrot - Trüffelleberpastete - Filetsteak mit Ofenkartoffeln und Toskana-Gemüse – Champagnersorbet a la Angelique. Sarah lief das Wasser im Mund zusammen. Seit dem Frühstück hatte sie nichts gegessen, nun brüllte der Hunger in ihr wie ein wildes Tier. Nach der wunderbaren Vorspeise – sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen so delikaten Parmaschinken gekostet zu haben - erhob sich Darian und schlenderte zur antiken Anrichte hinüber, auf der warmgehaltene Platten mit silbernen Deckeln standen und legte ihr die Leberpastete vor.

»Mmh, deine Haushälterin kocht göttlich«, lobte Sarah und spülte den Bissen mit einem Schluck Champagner hinunter. »Sieht sie zu allem Übel auch noch gut aus?«, fügte sie schelmisch hinzu.

»Gott bewahre, sie kocht klasse und hält das Haus in Schuss, aber -« Jetzt beugte sich Darian mit Verschwörermiene vor. »Sie ist ein schrecklicher, alter Drachen.«

Sarah kicherte in ihre Champagnerflöte, als irgendwo ein Rumsen ertönte. Darian hob den Kopf und sie ließ ihr Glas sinken.

»Was war das? Ist noch jemand im Haus?« Einen Moment glaubte sie, ihren Liebsten irritiert blinzeln zu sehen, doch sie schien sich getäuscht zu haben. Sein Lächeln war souverän wie immer, als er aufstand, um den nächsten Gang zu servieren. »Nein, Schatz, hier sind nur wir zwei, vergessen? Dinner for two.« Er beugte sich zu ihr herunter, presste seine Lippen auf ihre und sein glutvoller Kuss nahm ihr jeden Zweifel.

 

Vor dem Dessert ließ sich Sarah den Weg zur Toilette weisen, sie wollte sich frischmachen, ihr Make up prüfen. Als sie vor dem edel gerahmten Badspiegel stand und ihre Lippen nachzog, erstarrte sie plötzlich. Irgendwie fühlte sie sich beobachtet, von Blicken durchbohrt. Etwas wie Kälte kroch über ihre unbedeckten Schultern und Arme, sie fröstelte. Hörte sie da nicht ein leises … Schnaufen?

Ihre Augen huschten im Bad umher, sie horchte angestrengt – nein. Da war nichts.

Wie albern. Ich bin einfach überdreht, schalt sie sich und griff nach ihrer Handtasche. Auf dem Rückweg überkam sie der Drang, ins Esszimmer zu spähen, ihren Geliebten zu beobachten. Gedankenverloren saß er auf dem Stuhl und betrachtete den Inhalt eines kleinen,

 

schwarzen Kästchens, das aufgeklappt in seiner Hand ruhte. Heiß durchfuhr es Sarah, sie hielt den Atem an und hob eine Faust an den Mund, um einen triumphierenden Schrei zu unterdrücken. Himmel, ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen! Die Vorfreude zauberte ein strahlendes Lächeln auf ihre Lippen, als sie endlich den Raum betrat und sich zurück an den Tisch setzte, doch die kleine Schatulle in Darians Hand war verschwunden.

 

Nach dem Champagnersorbet a la Angelique, an dem Sarah nur einmal nippte, da es als einziges nicht ihren Geschmacksnerv traf, trat Darian auf sie zu und zog sie vom Stuhl in die Arme, seine Hände fanden sofort den langen Reißverschluss. »Ich will dich«, murmelte er direkt in ihr Ohr, seine vor Begehren heisere Stimme ließ ihren Unterleib kribbeln. Er streifte ihr das Kleid von den Schultern und ließ es zu ihren Füßen herabrutschen. Nur in schwarzer Unterwäsche stand sie vor ihm, mühelos hob er sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer.

 

»Das war unglaublich. Du siehst aus wie ein Engel, aber hast den Teufel im Leib«, raunte er in ihr Haar, nachdem sie erschöpft auf dem riesigen verspiegelten Bett lagen. Sarahs Kopf ruhte auf seiner Brust, so konnte er nicht ihr siegessicheres Lächeln sehen.

»Soll ich dir was verraten?«, flüsterte sie zurück. »Meine Mutter sagte immer: Lass ihn erst nicht ran und dann mach ihn wahnsinnig, dann lässt er dich nicht mehr gehen!« Sie kicherte. Nüchtern hätte sie einen derartigen Kommentar nie von sich gegeben, doch der Alkohol hatte ihr jegliche Hemmung geraubt.

»Weise Worte und so wahr«, murmelte Darian und betrachtete Sarahs nackten Leib im Deckenspiegel, während er ihr entzückendes Hinterteil streichelte. Wann er mich wohl endlich fragt … träumte Sarah, doch plötzlich schnellte ihr Kopf hoch. »Hast du das gehört?«

Darians Hand hielt inne.

»Was?«

»Ich habe jemanden keuchen gehört … oder stöhnen.« Er wollte ihr antworten, doch sie legte ihm zwei Finger auf die Lippen und horchte weiter. Da! Ein Rumpeln, als wäre etwas in einem Nebenzimmer zu Boden gefallen. Sie war sich ganz sicher, dort war jemand! Instinktiv zog sie sich das seidene Laken über die Brust, blickte sich mit aufgerissenen Augen im Raum um. Aus dem Spiegel gegenüber starrte sie ihr ängstliches Gesicht an.

»Liebling, schau bitte nach«, wisperte sie.

»Ich hab‘ nichts gehört. Dies ist ein altes Haus, es atmet und lebt, weißt du das nicht?« Leicht genervt erhob er sich vom Bett, warf sich einen Morgenmantel über seinen prächtigen Körper und füllte Sarahs Champagnerglas wieder auf.

»Hier, trink‘ einen Schluck. Wenn`s dich beruhigt, sehe ich halt nach.«

»Darian«, zischte Sarah, sie hielt sich selbst für ein wenig kindisch, doch sie hatte Angst, auch um ihn. Im Türrahmen wandte er sich zu ihr um.

»Sei vorsichtig, Liebling!«, flüsterte sie. Er lächelte ihr zu und ging hinaus.

 

Die Minuten verrannen, ohne dass ihr Liebster zurückkehrte. Sarah wurde immer unruhiger, zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass es doch keine so gute Idee gewesen war, sich auf diesen Abend eingelassen zu haben.

Sie zog sich Darians Hemd über und tappte barfuß auf die Tür zu, während sie weiterhin aufmerksam auf irgendwelche Geräusche lauschte.

Doch es war still wie in einem nächtlichen Museum. Wo war er nur?

»Darian!« Was ein Ruf hatte werden sollen, war kaum mehr als ein lautes Flüstern, das sich in der Finsternis verirrte.

Sie zog die Tür auf, die leise knarrte, und schlich über die eisigen Fliesen des dunklen Flurs. Wo waren die verdammten Lichtschalter? Sie tastete sich an der Wand entlang, noch immer lauschte sie verzweifelt auf ein Lebenszeichen von ihrem Geliebten. Plötzlich erstarrte sie. Sie hörte Stimmen, dumpf, wie durch eine Wand. Sprach er mit jemandem? Wo war er?

 

Erneut umfing sie Stille, aber etwas lauerte darin. Sarah hörte nur noch ihren eigenen Herzschlag, die feinen Härchen auf ihrer Haut stellten sich auf, das Blut rauschte in ihren Ohren, sie atmete stoßweise. Reiß dich zusammen!, fuhr sie sich innerlich an, doch eine lähmende Angst kroch unaufhaltsam durch ihren Leib, etwas in ihren Eingeweiden schlug stillschweigend Alarm.

In diesem Augenblick nahm sie hinter sich eine rasche Bewegung wahr, doch bevor sie sich umwenden konnte, krachte etwas auf ihren Kopf, Funken explodierten vor ihren Augen, dann wurde alles schwarz.

 

»Musstest du ihr so viel zu schlucken geben? Jetzt müssen wir sie stundenlang hier hängen lassen, damit der verdammte Alkohol aus dem Blut raus ist … Ha, dein Täubchen wird wach!« Nur verschwommen nahm Sarah ihre Umgebung wahr, ihr war übel, ihr Kopf schmerzte höllisch, die schrille Stimme hinter ihr brachte ihn fast zum Platzen und fast war Sarah dankbar, als sie verstummte.

Auch ihre Hände und Arme taten so weh … Oh Gott!

Jetzt erst bemerkte sie – und erneut brach Panik in ihr aus und weckte sie schlagartig aus ihrer Benommenheit – dass sie nackt und an den Handgelenken gefesselt von der Decke baumelte. Es war schrecklich kalt, sie schien in einem Keller zu sein, der nur von einer einzelnen Glühbirne erhellt wurde. Darian! Wo bist du?

»Na Flittchen, Kopfschmerzen? Beinahe hätte ich zu fest zugeschlagen.« Die unangenehme Stimme ging in ein heiseres, selbstgefälliges Lachen über.

»Nenn sie nicht so«, quakte eine weinerliche Stimme, die Sarah entsetzt als die Darians identifizierte.

Warum half er ihr nicht? Was war los mit ihm? Sie wollte seinen Namen schreien, doch ihre Stimmbänder reagierten nicht, sie stand unter Schock.

»Ich kann die Schlampe nennen, wie ich will. Du hattest sie, und das war‘s. Du kennst die

Regeln, oder?«

Sarah quollen fast die Augen aus dem Kopf, ein Ächzen drang aus ihrer Kehle, ihr war schwindelig und sie hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen.

»Darian.« Sein Name kam nur als leises Krächzen aus ihrem Mund, sie versuchte, den Kopf zu wenden, aber der aufflammende Schmerz war so groß, dass sie es sofort sein ließ.

Stattdessen hörte sie Schritte. Ihr Geliebter trat in ihr Blickfeld. Doch war er wie ausgewechselt: Von dem nonchalanten, selbstsicheren Mann war nichts mehr zu spüren, seine Schultern hingen herab und sein Gesicht trug den Ausdruck eines schmollenden Jungen. Auch sein Tonfall ähnelte einem kindlichen Quengeln, als er zu der Person in Sarahs Rücken sprach: »Ich will sie aber noch ein bisschen behalten!«

War das ein mieser Albtraum? Was war hier los? Endlich bahnte sich ein irrer Schrei seinen Weg in Sarah hinauf, sie fühlte ihn in sich aufsteigen, doch bevor er ihrer Kehle entweichen konnte, wurde ihr von hinten etwas grob in den Mund gestopft, und nur ein dumpfer Klagelaut drang hervor. Sarah starrte panisch und atmete mit geblähten Nasenflügeln.

»Klappe!« Die andere Person trat nun ebenfalls vor sie.

Es war eine alte Frau in einem edlen Designerkleid, auf dem eine mehrreihige Perlenkette prangte, das rauchblaue Haar trug sie zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt.

Als sie Sarah anstarrte, glaubte diese, ihr Herz bliebe stehen. Schlangenaugen! Ein bösartiger Wahnsinn glomm ihr aus dem runzeligen Gesicht entgegen. Schon wandte sich die Alte wieder von ihr ab, Darian zu.

»Genug. Du hattest deinen Spaß mit ihr, und jetzt werde ich den meinen haben, verstanden, Junge?« Der Zurechtgewiesene senkte ergeben die Augen. »Ja, Mutter.«

Was waren das für Psychopathen! Die Situation war so absurd und irreal …  Was hatten sie mir ihr vor? Ein hysterisches Kichern gluckste hinter Sarahs Knebel, das in gedämpfte Entsetzensschreie mündete.

 

Die Strafe folgte auf dem Fuß. Darians Mutter holte aus und rammte ihr den Ebenholzstock in den Magen, den sie normalerweise als Gehhilfe benutzte, und Sarah blieb die Luft weg, der Schmerz ließ sie fast ohnmächtig werden.

»Schnauze«, spuckte ihr die alte Dame entgegen. »So, mein Sohn, such‘ dir dein Souvenir aus

und dann geh auf dein Zimmer.«

Gehorsam trat Darian vor und ließ seinen Blick über Sarahs zitternden Körper wandern. Die wagte nicht, einen Laut von sich zu geben, allein ihre Augen, in denen panisches Weiß zu sehen war, flehten ihn an. Doch er reagierte nicht, stattdessen starrte er auf ihre rechte Hand.

»Ich möchte den Nagel vom Ringfinger da, der ist schön.«

Wortlos trat Darians Mutter hinzu, packte die Hand und riss mit einer Zange den Nagel aus. Sarah brüllte hinter dem Knebel ihren Schmerz heraus und warf sich an ihrer Handfessel hin und her, die Pein überwältigte sie und sie stieß hysterische Schluchzer aus. Blut quoll aus der verletzten Fingerspitze und tropfte auf den Boden.

Darian summte zufrieden vor sich hin und zog das schwarze Schmuckkästchen aus der Sakkotasche, ließ es aufschnappen und legte seine Trophäe behutsam hinein.

»Guck mal.« Er hielt die Schachtel direkt vor Sarahs Augen. Kurz erhaschte ihr tränenumflorter Blick ein ekelerregendes Sammelsurium weiblicher Fragmente. »Von jeder darf ich was behalten.« Mit der stolzen Miene eines Grundschülers ließ er die Schatulle wieder zuklappen. Oh Gott, wie hatte sie sich getäuscht, was deren Inhalt anging ...

»Und jetzt lässt du uns allein, Bubi. Geh nach oben. Ich habe dir den neuen Film schon eingelegt. Obwohl ich es äußerst ungezogen finde – hörst du? - äußerst ungezogen, dass du dir die schmutzigen Sachen, die du mit den Flittchen treibst, noch mal anschaust.«

Wieder senkte der Sohn verschämt den Blick. »Und, Darian – «

Als ihr Sohn sie anschaute, verpasste ihm die Alte - gleich einer zuschnappenden Kreuzotter - eine Ohrfeige, sie knallte wie ein Peitschenhieb.

»Das war für den schrecklichen, alten Drachen.«

Er schluchzte auf und hielt sich die brennende Wange, aber schon lächelte seine Mutter wieder und tätschelte ihm die andere. In Erwartung dessen, was sie gleich für Freude hier unten haben würde, war sie in Geberlaune.

»Nun geh!« Darian wandte sich ab, und verließ, ohne Sarah eines weiteren Blickes zu würdigen, den Kellerraum. Seine Schritte verhallten. Ihre Gedanken stoben unkontrolliert durcheinander. Wie hatte ich mich nur so in ihm täuschen können, schrie es in Sarah. Ahnte denn niemand, wie diese beiden Psychopathen hinter ihren Fassaden wirklich tickten? Nein, keiner würde ihr helfen, wenn die Alte jetzt perverse Spielchen mit ihr durchführte. Nein, verdammt, sie hatte niemanden informiert, dass sie heute Abend mit Darian hier war, hatte ja nicht einmal gewusst, wo er wohnt.

Die Alte wandte sich der jungen Frau zu, die kurz vor einer Ohnmacht stand.

Plötzlich war es so still, dass nur der hektische Atem ihres Opfers hinter dem Knebel zu hören war.

»Lass dich anschauen.« Während sie Sarah umschlich wie ein Tiger, kniff sie immer wieder in das junge, feste Fleisch. »Mal sehen, was von dir verwertet wird … Der Schinken war von Hure 4, Leber und Steak von deiner Vorgängerin. Wie ich gesehen habe, hat dir mein Menü gemundet, so wie deine besten Teile der nächsten schmecken werden.« Sarahs Herz setzte einen Schlag aus, als ihr letzter Irrtum in ihr Bewusstsein drang. Keine Spielchen. Die Vettel wird mich umbringen ...

Die Alte lachte in sich hinein, dann zog sie einen stählernen Rollwagen heran, auf dem säuberlich aufgereiht ein ganzes Arsenal chromblitzender Operationsbestecke lag. Sarah schloss die Augen. Aus. Vorbei.

»Ach, bevor`s losgeht: Du hast übrigens als einzige das Champagnersorbet Angelique –

benannt nach mir - verschmäht.«

Sie verzog ihr Gesicht zu einem dämonischen Grinsen, bleckte zu viele falsche Zähne.

 

»Da warst du ausnahmsweise ein kluges Mädchen. Weißt du, was außer Champagner darin war?« Sarah zeigte keine Reaktion, das Entsetzen lähmte sie. Ihre Peinigerin beugte sich vor, brachte ihren Mund ganz dicht an ihr Ohr, um ihr die Zutat hineinzuflüstern. Die Alte roch nach einem ekelhaft süßlichen Aroma, das Sarah an welkende Blumen erinnerte, sie schauderte.

»Und dieses Geheimnis wirst du mit ins Grab nehmen!«, raunte sie und griff zum Skalpell …

 

ENDE

 

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Publication Date: 01-04-2020

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