Ich gebe zu, nicht ganz so bewandert zu sein in ‚disse moderne Welt.‘ Aber was das für Probleme mit sich bringt, hätte ich nie gedacht.
Es ist ja richtig, dass Großeltern sich gerne um ihre Enkelkinder kümmern, so auch wir, aber heute – ne! Was uns in diesen Ferien widerfahren ist, geht auf keine Kuhhaut. Alles fing damit an, dass wir unserer Enkeltochter einen Schleich-Reiterhof gekauft haben. Teuer! Wirklich teuer! Unsere halbe Rente haben wir darin investiert und mit was für einem Erfolg? Unsere Enkelin bekam Depression und das, obwohl sie sich diesen Hof sehnlichst gewünscht hat.
„Was ist denn nun verkehrt?“, haben wir sie gefragt, als sie in Tränen ausgebrochen ist.
„Warum wollt ihr mich umbringen?“, kam als Antwort.
Ratlos haben Horst, mein Mann, und ich uns den Kopf zerbrochen, was wir falsch gemacht haben. Aber auch Horst war sich keiner Schuld bewusst. „Ich habe das ganze Ding zwei Stunden zusammengebaut“, überlegte er, „war reichlich kompliziert. Habe ich was vergessen?“
„Nein“, jammerte die Lütte und zeigte auf ihr Tablet. „Der sagt, ihr wollt mich umbringen.“
„Der Computer?“, staunte ich. „Den schalte mal aus. Disse Elektrosmog war früher schon nicht gut. Spiel doch mit dem Reiterhof, den Opa aufgebaut hat.“
Ein grelles Kreischen kam aus ihrem Mund und zu beruhigen war sie auch nicht mehr. Weder hatte sie am Essen teilgenommen, noch den weiteren Tag mit uns gesprochen. Unsere Kleine zog sich wortlos mit diesem Internetzeugs in ihr Zimmer zurück und schloss die Tür.
„Drei Wochen“, stöhnte Horst, „in drei Wochen wird sie wieder abgeholt. Wenn sie sich nun in den Kopf gesetzt hat, dass wir beide Verbrecher sind, dann wird das ja ne tolle Zeit.“
„Morgen gehen wir in den Zoo“, schlug ich vor, „da kommt sie auf andere Gedanken.“
„Das mach‘ mal“, meinte Horst, „ich bleibe Zuhause. Der Reiterhof war teuer genug und drei Wochen sind lang. Unser Geld ist wie immer knapp.“
Ich nickte beschämt. Es stimmte. Unsere Rente war bescheiden und wir konnten uns eigentlich nichts außer der Reihe leisten. Umso mehr traf Horst die Aussage unseres Enkelkindes. Für dieses Geschenk hatten wir alles zusammen gekratzt und nun war sie darüber anscheinend auch noch unglücklich.
„Ich gehe mit ihr zum Kinderarzt“, schlug ich vor. „Vielleicht weiß der, was mit ihr los ist.“ Horst fand meine Idee richtig und am nächsten Morgen machten wir uns anstatt zum Zoo zum Arzt auf den Weg.
Doktor Neumann untersuchte unsere Marie gründlich. „Sie ist gesund“, meinte er schließlich und wunderte sich doch, dass die Kleine nicht mit uns nach Hause wollte.
„Die wollen mich umbringen“, flüsterte sie ihm hörbar zu, so dass Horst und ich einen roten Kopf bekamen.
„Wie kommst du darauf?“, fragte Doktor Neumann nach und bat uns, als sie zögerte, alleine mit ihr sprechen zu dürfen. Betreten verließen wir den Raum und harrten der Dinge.
„Was haben wir denn nur falsch gemacht?“, fragte Horst verzweifelt. „Verstehen kann ich das alles nicht!“ Ich versuchte ihn zu beschwichtigen und war mir sicher, dass Doktor Neumann herausfinden würde, was Marie bedrückt.
Nach einer Weile rief Doktor Neumann uns wieder zu sich.
„Es liegt am Influencer. Ich habe mir das Video auf dem Tablet angesehen. Der Influencer sagt, dass die schädliche Belastung im Schleich-Material, das aus China kommt, zu hoch liegt und die Kinder daran qualvoll sterben. Dass das Material unbedenklich ist, hat Stiftung Warentest widerlegt, aber es ist schwer ein Kind dem Einfluss dieser Youtuber zu entziehen. Achten Sie darauf, was sie sich anschaut.“
„Ja, das machen wir“, stammelte ich und hatte in Wirklichkeit kein Wort verstanden. „Bekommen wir ein Rezept?“
Doktor Neumann lächelte mitfühlend. „Dagegen gibt es kein Rezept, außer aufpassen, was das Kind täglich konsumiert.“
Hilfesuchend sah ich zu Horst, der vor sich hinstarrte. „Können wir Marie denn wieder mitnehmen?“, fragte ich unsicher und sah uns schon im Gefängnis sitzen.
„Natürlich“, lächelte Doktor Neumann. „Sie müssen nur besser darauf achten.“
Horst nahm Marie an die Hand und wir gingen zur Straßenbahn zurück. „Was hat Marie denn jetzt?“, fragte er mich ratlos.
„Grippe, glaube ich“, antwortete ich unsicher. „Lass uns man noch mal eben in die Apotheke gehen.“
Die Apothekerin wunderte sich zwar darüber, dass wir kein Rezept vom Arzt bekommen hatten, gab uns aber das, was sie als richtig erachtete. „Essen tut sie auch nicht“, bestätigte ich ihre Nachfrage und bekam noch eine weitere Medizin für Marie.
Horst suchte seine letzten Groschen zusammen und zahlte unseren Einkauf. „Was für Preise“, raunte er mir leise zu und meinte, dass ich man Hühnersuppe kochen sollte.
„Ist bestimmt das Beste und reicht für ein paar Tage“, stimmte ich ihm zu und so gaben wir unser letztes Geld für diesen Einkauf aus.
Schon am Nachmittag fühlte Marie sich besser. Sie spielte sogar kurz mit ihrem neuen Hof, doch die richtige Freude kam zu unserer Enttäuschung nicht auf. Leider verweigerte die Kleine auch die Medizin und meine Hühnersuppe.
„Das musst du aber nehmen“, beharrte ich und hielt ihr eisern den Löffel mit dem Sirup hin, „sonst wirst du nicht gesund!“ Marie schluckte das Zeug hinunter und sah mich bemitleidenswert an. „Das schmeckt so ekelig. Hast du noch ein Eis?“
An Eis hatten Horst und ich gar nicht gedacht. Aber nur zwei Straßen weiter gab es eine Eisdiele. Ich nahm den Rest von meinem Haushaltsgeld und spendierte Marie ein großes Eis. ‚Ist ja auch das Beste‘, dachte ich, ‚wenn man Halsschmerzen hat.‘
Marie wurde zusehends fröhlicher. Zwar hatte ihr heiß gewünschter Reiterhof seinen Reiz verloren, aber ihr Vertrauen in Horst und mich war wieder da. „Gehen wir noch in den Zoo?“, fragte sie am Abend und mein Mann nickte fröhlich. „Aber klar, das machen wir morgen, mein liebes Kind.“
Zwar wunderte ich mich, dass er unsere finanzielle Lage so lächelnd überging, fragte aber auch nicht weiter nach und genoss am nächsten Tag einen wundervollen Besuch im Zoo.
„Wie bist du an das Geld gekommen?“, fragte ich ihn, als wir im Café des Tierparks saßen und Marie auf dem Spielplatz tollte.
„Da war gestern so ein Spot in der Werbung“, erklärte er mir lächelnd. „Man kriegt gleich Geld und nach dem jetzigen Stand der Dinge wird nicht so gefragt.“
„Und Sicherheiten? Wollten die keine Sicherheiten haben?“, stammelte ich und irgendwie krampfte sich mein Magen zusammen.
„Marie hat mir das mit dem Internet gezeigt. Ist ne dolle Sache“, meinte er. „Da erledigt man alles mit einem Mausklick. Ging richtig schnell. Nun haben wir mehr Geld.“
Ich lief zum Klo und musste mich erbrechen. Die innere Unruhe wollte auch nach Tagen nicht weichen. Vermutlich habe ich mich bei Marie angesteckt.
Ende
Publication Date: 07-20-2019
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