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Grillparty



Frueher kam die Sittenpolizei, wenn zwei unverheiratete Menschen in einem Hotelzimmer abstiegen und sich gegenseitig beiwohnten. Waren die Menschen von gleichem Geschlecht oder zumindestens einer davon minderjaehrig, oder wenn es sich um mehr als zwei Menschen handelte, die in dem Hotelzimmer versuchten, ihren Triebnaturen gerecht zu werden, konnte es passieren, dass die Polizei die Betreffenden festnahm und den Fall zur Anzeige brachte. Kuppelei, Unzucht, Unzucht mit Minderjaehrigen und/oder Abhaengigen, Homosexualitaet, Erregung oeffentlichen Aergernisses - auch wenn eine Oeffentlichkeit erst durch das ungebetene Eindringen von einem oder mehreren Polizisten hergestellt wurde - das waren Tatbestaende, die uns heute teilweise abartig erscheinen moegen oder unverstaendlich, auf jeden Fall aber aussergewoehnlich.
Interessant dabei ist, dass die Hotels ohne materiellen Schaden fuer den oder die Besitzer mit der Polizei kooperieren konnten: wird doch in solchen Etablissements immer im Voraus bezahlt. Es gab also nie eine Umsatzeinbusse, sollte sich die Ordnungsmacht gezwungen sehen, die denunzierten Menschen in ihrem Tun nicht nur zu unterbrechen, sondern sie festzunehmen und abzufuehren. Die Miete fuer das Zimmer war zu diesem Zeitpunkt bereits in der Kasse gelandet.
Solche hier erwaehnten Etablissements bezeichnete man gerne als „Absteigen“. Mancher von uns denkt dabei auch heute noch an Abstieg: sozialen Abstieg vielleicht, moralischen Abstieg, Abstieg in die Hoerigkeit; Hoerigkeit sagt man gerne im Zusammenhang mit sexuellen Angelegenheiten. „Absteigen“ wird gleichgesetzt mit heruntersteigen: von der strahlenden Persoenlichkeit zum Sexmonster oder zur Nymphomanin. Dabei wird vergessen, dass das Absteigen ein Begriff aus vorindustrieller Zeit ist, als der Mensch - solange er es sich leisten konnte - sich gerne des Pferdes als Fortbewegungsmittel bediente; in machen sozialen Schichten oder in weiter entfernten Laendern auch des Maultieres oder des Esels; Versehrte oder Alte oder Eskimos nutzten den Hund: allerdings nicht als Reit- sondern als Zugtier. War ein Hund vor ein Waegelchen gespannt, bezeichnete man diesen als „Wagenhund“ (oberbayerisch: „Waglhund“), und es hiess dann aussteigen und nicht absteigen. Vom Schlitten hinter einem Hundegespann dagegen steigt man nicht aus, sondern ab. Auch heute noch. So ist das.
Wagen und Kutsche - ob Kroenungskarosse oder Leiterwagen - wurden in aller Regel von Pferden gezogen. Manches Mal von Maultieren oder Ochsen, nie aber von Hunden. Und absteigen musste man in jedem Fall. Absteigen heisst auch heruntersteigen: herunter vom hohen Bock, herunter von dem gelben Wagen der Postkutsche, herunter von der erhoehten und deshalb uebersichtlichen Position des zahlenden Passagiers. Dann hiess es, sich wieder unter das gemeine Volk zu mischen und seine eigenen Beine zur Fortbewegung zu benuetzen, auch auf die Gefahr hin, unterzugehen in der Masse fast gleichgrosser Menschen.
Nicht vergessen sollte man an dieser Stelle die Saenfte (von sanft) und die Rikscha. Bei Rikscha und Saenfte spricht man allerdings von Aus- und nicht von Absteigen. In beiden Faellen.
Interessant ist auch der Unterschied zwischen Automobilen in ihrer Anfangszeit und den Autos heute: in Nachahmung von Kutschen waren Automobile frueher so hoch gebaut wie diese; sie hatten auch Lampen wie Kutschen; hier konnte man also noch in alter Manier absteigen. Die Limosinen heute, die Stufen- und Fliessheckmodelle, die Jeeps, Pickups, Cabrios und Sportwagen, machen ein Absteigen meist nicht mehr moeglich. Bei manchen Fahrzeugtypen ist das sogar mit dem Aussteigen schwierig. Oder mit dem Einsteigen.
Also alles auf einen kurzen Nenner gebracht: Frueher kam die Sittenpolizei in Absteigen und schnueffelte. Heutzutage schnueffelt die Polizei anderswo.
Heute gibt es die Grill-Polizei

. Allen Ernstes. Im Spiegel-Online las ich darueber. Ja, ich lese so manch Interessantes im Spiegel-online. Auch ueber die Grill-Polizei. Das war aber auch ueberfaellig! Was macht so ein bemitleidenswerter Vegatarier, wenn sein Nachbar grillt, dass Fleisch- und Wurstwaesser nur so spritzen? Wohin vertreibt man die Rauchschwaden, die mit Hilfe diverser Brandbeschleuniger erzeugt werden? Im Nuernberger Land und in der Mark Brandenburg moegen es noch die Zapfen von Kiefern sein, in Ober- und Niederbayern, in der Oberpfalz, dem Fichtelgebirge und dem Bayerischen Wald oder dem Schwarzwald in der Hauptsache Fichtenzapfen, in der Lueneburger Heide getrockneter Dung von Heidschnucken - was aber naehrt die Grillfeuer im Rheinland oder die in und um Berlin? In Schleswig-Holstein oder Sachsen? Weiss man's? Wird mit der Grillkohle aus dem Baumarkt auch farbig und/oder schwarz-weiss bedrucktes Papier mitverbrannt? Oder Kartons? Plastikabfaelle vielleicht seltener - aber mitunter doch?
Rauchentwicklung. Reizhusten. Entzuendung der Atemwege. Hat man Grill-Freaks als Nachbarn, kann das leicht chronisch werden. Aber es muss nicht mehr dazu kommen. Die Grill-Polizei faehrt Streife durch die zaehen Ansammlungen von Einfamilienhaeusern in den unuebersichtlichen Vorortgebieten der Staedte. Aber auch manch begruenter Hinterhof in City- oder Cityrandlage ist Schauplatz ausufernder Grillorgien. Sogar auf Balkonen sollen solche stattfinden. "Ohne satellitengestuetztes Orientierungssystem geht da nichts", offenbart Oliver Seipold, der Leiter der Einsatzgruppe GriPo in Moers. Buerger, die die an sich eng gefassten Hausgrillbestimmungen in ihrem Sinn zu grosszuegig auslegen, werden abgemahnt. Manches Mal, so berichtet der Moerser GriPo-Chef, muesste auch direkt eingegriffen und ein flammendes Grillfeuer mit einem mitgefuehrten Schaumloeschgeraet unmittelbar vor Ort estinguiert werden.
Oft aber wird ein GriPo-Einsatz auch von genervten Nachbarn selbst alarmiert: Kotellets vom Lamm oder Zicklein, Nackenstuecke vom Jungschwein, Filets vom Wildfisch oder - billiger -Thunfisch, gehoeren zum hauptsaechlichen Grillgut. Anlass vieler Beschwerden ist auch die grillmaessige Zubereitung sogenannter Grillwuerste, von denen man manches Mal gar nicht wissen moechte, wer sie wo und wie und wann fabrizierte.
"Zum Glueck wird die Gefaehrdung durch exzessives Grillen durch die Natur selbst reguliert und dadurch verhaeltnismaessig gering gehalten: die klimatischen Bedingen in Mitteleuropa erlauben tatsaechlich nur 27,3 Grillaktivitaeten pro Jahr." Das muesste eigentlich zu verkraften sein, denkt man. "Ja, wenn da nicht diese Unentwegten waeren, die selbst bei Dauerregen unter aufgespannten Planen oder Schirmen ihre Fleischkloppse grillen muessen. Aber das ist laut der neugefassten Hausgrillverordnung verboten. Da schreiten wir gnadenlos ein und bringen den Fall zur Anzeige."
Zufrieden reibt sich Einsatzgruppenleiter Seipold die Haende. Unter seinen Fingernaegeln sind schwarze Raender zu sehen.Vielleicht stammen sie noch von seinem letzten Einsatz?

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Publication Date: 11-17-2011

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