Acht Aphorismen
STREITKULTUR: Das sind die Waffen der schweigenden Mehrheit: Auszischen oder Totschweigen.
LACHEN UND KRANKHEIT: Lachen ist ansteckend. Das Lachen des gesunden Volksempfindens kann geistig krank machen.
ZWEI GESUNDE HÄNDE: Gelegentlich sind zwei gesunde Hände von großem Nutzen: Mit der einen kann man sich die Nase zuhalten, mit der anderen den Mund beim Gähnen.
PARTEIEN UND MINISTER: Wer solche Minister in die Regierung schickt, braucht keine Gegner.
HÖFLICHKEIT: Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige. Sie bewährt sich vor allem, wenn es Zeit ist abzudanken.
ALLZU ÖKONOMISCH: Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche ruiniert am Ende auch die Wirtschaft
MÄNNCHEN MACHEN: Das Menschliche geht oft ohne klare Abgrenzung ins Tierische über – und umgekehrt. Beispiel: Männchen machen.
ÜBER SEX REDEN: Was immer wir über unseren oder fremden Sex sagen, meist trifft auch das Gegenteil zu. Woran liegt das? Daran: Das Medium Sprache und unser kreatürliches Verhalten gehören grundverschiedenen Sphären an, sie sind nicht kompatibel.
Sieben Aphorismen über Weihnachten
DER SINN DES FESTES: Weihnachten ist ein sich selbst genügender Wirtschaftsfaktor.
DAS GEMEINSAME VON WEIHNACHTEN UND FUSSBALL: Beides sind Großereignisse mit Anspruch auf Totalität. Kein Entrinnen - nirgendwo.
DAS PARADOXE AN WEIHNACHTEN: Totale Gleichschaltung einer extrem individualistischen Gesellschaft.
DAS ÖKOLOGISCHE AN WEIHNACHTEN: Der Lichterglanz überall. Er verdeutlicht, wie wichtig uns Stromsparen tatsächlich ist.
WEISSE WEIHNACHTEN: Eine kollektive Zwangsvorstellung, die tief blicken lässt. In Wirklichkeit extrem selten, dafür als Idee mit allem aufgeladen, was Weihnachten gewöhnlich fehlt: Stille. Unschuld. Reinheit. Frieden.
DAS WUNDERBARE AN WEIHNACHTEN: Weihnachten scheint nicht totzukriegen.
WEIHNACHTEN UND WISSENSCHAFT: In der Zukunft werden Wissenschaftler aus anderen Kulturen kommen und unsere Feste und Bräuche studieren. Fürchten wir ihre Forschungsergebnisse - schon heute!
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Sechs Aphorismen
ORIGINELL SEIN: Maxime: Es ist besser, wahrhaftig als originell zu sein.
LOYALITÄT: Bei manchen Leuten hat das Bemühen um Loyalität Züge, die an Leidenschaft grenzen.
POSITIV DENKEN: Ein Widerspruch in sich. Denken an sich ist negativ, indem es untersucht, zergliedert und Vorgedachtes entwertet.
BISEXUALITÄT: Echte Bisexualität ist so selten wie Wasser, das nach zwei Richtungen abfließt (Bifurkation). Das Begehren folgt wie das Wasser einem vorgegebenen Gefälle (Hirn- oder Geländestruktur).
TRAGIK: Die menschliche Tragik: Jedes Individuum will Freiheit - alles Gesellschaftliche beruht auf Zwang. Der Tod ist der äußerste Zwang, die Hoffnung auf Unsterblichkeit ein absolut gewordener Wille zur Freiheit.
FREIHEIT: Das bürgerliche Leben ist ein erweitertes Gefängnis mit gelockertem Strafvollzug.
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Sechs neue Aphorismen
LIEBLINGSZITAT: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ (Erich Kästner) – Noch besser, man lässt es.
HINDUKUSCH: Zu Hause kuschen und am Hindukusch die Freiheit verteidigen – wessen Freiheit?
CHIMÄREN: Können Chimären schön sein? Aber ja: liberté, égalité, fraternité.
SCHÖNHEIT: Schönheit ist ein Versprechen von Glück? Umso schwerer die Enttäuschung.
GLÜCK: Das Glück des Fetischisten ist real: Er bekommt es in die Hand.
LACHEN: Nur ein so trauriges Tier wie der Mensch hatte diese Kompensation nötig: das Lachen.
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Aphorismen zur Gesellschaft von heute
DIE ZUKUNFT DES THEATERS: Das Theater wird überleben – wo sonst könnte man so gut Schmuck und Abendgarderobe vorführen?
DIENSTLEISTUNGSGESELLSCHAFT: Wenn wir nicht aufpassen, werden noch aus Bürgerrechten Kundenrechte.
SOZIALVERSICHERUNG: Sie ist weder sozial noch überhaupt eine Versicherung.
PHILOSOPHIE: Auch der Klopapierfabrikant redet heute von seiner Philosophie, wenn er das Geschäft meint.
DIE MODEN DES SCHRECKENS: Jede Zeit hat ihre Pest, ihre Hexenverfolgung und ihre Endzeitstimmung.
TOLERANZ: Toleranz kommt von tolerare = ertragen – manches ist wirklich eine Zumutung.
Aphorismen 2010 (1)
MISSTRAUEN: Rat an einen Misstrauischen: Misstraue auch deinem eigenen Misstrauen.
DER FUCHS UND DIE TRAUBEN: Einem alten Fuchs sind manche Trauben einfach zu süß.
KONTEMPLATION: Das Wesen von Kontemplation wird oft falsch aufgefasst. Sie ist nicht nur Geruhsamkeit, sie ist auch Bemühung, Anstrengung.
ISLAMOPHOBIE: Islamophobie ist säkularisierter religiöser Wahn.
RASSISMUS UND SEINE FOLGEN: Eines Tages werden eure Städte brennen – dann könnt ihr euch sagen: Wir haben genug Gift verspritzt.
LITERATUR UND RAMSCH: Literaturforen sind die Online-Bühnen der Literatur von heute? – Allzu oft sind es vor allem 1 Euro-Jahrmärkte der Eitelkeit.
BILDUNGSDEFIZIT: Übersteigertes Geltungsbedürfnis ist genügsam, es kann auf Talent, Fleiß und Wissen verzichten. Dem Geltungssüchtigen genügt es, sich als Originalgenie zu gebärden.
Aphorismen 2010 (2)
TRADITION: Wenn im Lauf der Zeit aus Sinn Unsinn wird, nennt man das Ergebnis Tradition.
ANBIEDERUNG: Anbiederung ist die kleine Schwester der Konzilianz.
ZYNISMUS: Mit Zynismus versüßt sich der Zynische das Leben wie andere den Kaffee mit Zucker.
ARROGANZ: Auf Banalität nicht mit Arroganz zu reagieren, ist eine der schwierigeren Aufgaben, die das Leben stellt.
AVANTGARDE VON HEUTE: Sie würden gern schockieren, doch mit alten verbrauchten Provokationen ermüden sie ihr Publikum nur – es sind Zombie-Avantgardisten.
TELLS ERBEN: An die Stelle der hohlen Gasse trat die hohle Phrase.
OPPORTUNISMUS: Der Opportunist unterschreibt einen Aufruf gegen Fremdenhass und legt gleichzeitig den freien Arm einem Neonazi um die Schultern.
Aphorismen 2010 (3)
SOZIALDEMOKRATIE: Das sprichwörtliche sozialdemokratische Urgestein erweist sich oft nur als lockeres Geröll.
TODESFURCHT: Mehr als ihren physischen Untergang fürchten einige den gesellschaftlichen Tod. Um ihn zu vermeiden, opfern sie alles, als Erstes ihre Würde.
NACHSICHT: Alles verstehen und alles verzeihen, das heißt: alles mitverschulden.
STILFRAGE: Was passt wozu? So geht es: Vor Unwissenheit stinken und dazu Schwulenwitze reißen.
ERFOLG BEIM PUBLIKUM: Der Mist oben und der Mist unten erkennen sich als wesensgleich.
SPASSGESELLSCHAFT: Ich will Spaß, ich will Spaß – sonst werde ich böse, und zwar im Ernst.
MIMIKRY: Gefährlich wird es, wenn ein Starker einen Schwachen mimt, der einen Starken spielt.
Aphorismen 2010 (4)
DILETTANTISMUS: Drei Zutaten benötigt der Dilettant für sein Werk: starken Ausdruckswillen – schwache Ausdruckskraft - fehlendes Formbewusstsein.
VOM GLÜCK DER REGRESSION: Wer das könnte: mit dem Bewusstsein von heute die Fehler von früher noch einmal machen.
FORTSCHRITT HEUTE: Wenn das kein Fortschritt ist – unsere alternative Ellenbogengesellschaft.
LANGER WINTER: Aus Väterchen Frost wurde Väterchen Frust.
KNABENHAFT: Kommt das Knabenhafte mit dem Nimbus des Reinen und Strengen daher, ordnen sich ihm auch gestandene Männer gern unter – aber wehe, wenn es ihn verliert.
AUSGEWOGENHEIT: Absolut ausgewogen ist eine Stellungnahme, die auf die Waagschalen von Pro und Kontra nichts von Gewicht legt – und das am besten gleichzeitig verschleiert.
PRIVATES: Es gibt nichts rein Privates. Noch am kleinsten Bruchstück des Lebens können die Gesetze, denen alle unterliegen, abgelesen werden.
Aphorismen 2010 (5)
DREIEINIGKEIT: Den Begriff Gangstertrio versteht jeder – und von einem Liebestrio spricht keiner?
AUSSENHANDEList die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln und langfristig ähnlichem Ergebnis.
PÄDAGOGISCHER EROS: Auch die Nutte kann sagen, sie besäße ihn.
PHRASEN UND GEMEINPLÄTZE sind Falltüren ins semantische Nichts.
„GUTMENSCHEN“: Wer über andere als „Gutmenschen“ lästert, charakterisiert sich damit selbst: eigene Fäulnis als Lackmustest.
REALPOLITIK: Der Weg zur Hölle ist mit Realpolitik gepflastert.
REIFE: Reife ist ein Austrocknungsprozess.
Aphorismen 2010 (6)
JUPITER UND OCHS: Quod licet Jovi, non licet bovi gilt auch umgekehrt – was man dem Ochsen nachsieht, nie verzeiht man es dem Kompetenten.
MENSCH UND MASCHINE: Gib einem Menschen eine Maschine – früher oder später wird er damit Unheil anrichten.
VERKANNTE DICHTER: Unbegabung gibt sich gern gespreizt. In diesem Fall halten unbegabte Texter sich leicht für Dichter.
GEWÖHNUNG: Gewöhnung nimmt allen Ereignissen ihren ursprünglichen Glanz.
NARZISS: Wenn er abends ausgeht, würde er am liebsten seine eigene Bekanntschaft machen.
DER (DIE, DAS) ANBETUNGSWÜRDIGE: Ohne deine kleinen Fehler wärest du nicht vollkommen.
EMPATHIE: Empathie ist der Versuch, sich einen Handschuh überzustreifen, der einem dann doch nicht passt.
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Aphorismen 2011
STERBEN: Ein junger Körper glaubt nicht an den Tod.
MÜSSEN: Einer der wenigen Vorzüge des Alters: Man muss nicht mehr müssen, abgesehen von der einen Sache.
IM NAMEN DES VOLKES: So hätte das Volk gern seine Justiz: Im Zweifel für das Vorurteil.
DIREKTE DEMOKRATIE: Sie ist so anfällig für Korruption wie ihre repräsentative Schwester. Sind Bildung und Vermögen ungleich verteilt, gilt weiterhin: Wer zahlt, schafft an.
GUTTENBERG: Die Soap übernimmt die Politik.
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Aphorismen 2012
ARCHITEKTUR: Moderne Architektur kann gut oder schlecht sein. Unmoderne Architektur kann nur schlecht sein, da sie den heute Lebenden nicht gemäß ist.
WURZELN: Wozu braucht der Mensch Wurzeln – er ist keine Steckrübe. Einen Kopf braucht er.
SKEPSIS: Der Skeptiker glaubt an nichts, nicht einmal an das Nichts.
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Meine Lieblingszitate:
„Wenn die Augen geschlossen sind, beginnt die wahre Welt.“ (Gore Vidal, The City and the Pillar, dt. Geschlossener Kreis)
„Der Homosexuelle hat nur eine Chance – die Brillanz, und er wird wegen ihrer gehasst; ist er nicht brillant, wird er verachtet.“ (Hubert Fichte, Versuch über die Pubertät)
„Das Fleisch ist schmutzig, aber sehr gütig.“ (Hans Henny Jahnn, Fluss ohne Ufer)
"Er muß nicht etwa sein Leben erzählen, wie er es gelebt hat, sondern es so leben, wie er es erzählen wird." (André Gide über den Schriftsteller, Tagebuch 3.1.1892)
„Für jede Dummheit gibt es hier unsagbar rasch rechtfertigende, gute, kluge Gründe.“ (Robert Walser, Friedrichstraße)
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Das bisschen Lyrik (eigene Produktion)
lenau in der s-bahn
lang hingezogen die eisenbänder
ein tag ein jahr ein leben: angeschmiedet
schienenersatzverkehr bringt uns auch nicht weiter
eng bemessen die zwischenräume
lila dämmerung über friedrichsfelde
und dann auf der falschen Seite ausgestiegen
preisen wir uns – glücklich?
es ist wie es ist
berlin friedrichstraße
falsche zwanziger spielen
viel miesvanderrohtes jetzt in mitte
mit transplantierten fassaden
wildes fleisch wuchert unter op-verbänden aus glas
über interessen wachen interessenverbände
die kontrolle über die seltenen erden nicht verlieren
während die kinder vom bahnhof friedrichstraße
noch immer nach london reisen
oder nach auschwitz
pünktchen und anton entern die weidendammbrücke
die charons haben wieder viel zu tun
wart ihr da auch mal gewesen
wohnen müssen wo andere urlaub machen
eine lethe von biergärten gesäumt
so stell ich mir das paradies vor
abknickt die straße und heißt auf einmal anders
go northwest old man
und dann sind wir noch
ja und die weigel damals auch
beide auf dem friedhof gleich nebenan
wie praktisch da liegen sie doch alle
schinkel und borsig, ivan nagel und johannes rau
ach der auch - biermann noch nicht
und keiner dreht sich heute mehr im grab um
schaffensfreude
wir schaffen das
sagt uns die alte schaffnerin
erschaffung der welt in nur sieben tagen
wir schaffen und schaffen
jetzt heißt es anschaffen
wir schaffen manches beiseite
wir schaffen das fort
wir schaffen viel ab
frohes ausschaffen hellas
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terror corona putin
ich meld mich ab
corona putin terror
meld ich mich ab
putin terror corona
ab und zu meld ich mich
ich klink mich aus und wieder ein
ein aus ein
ach wie gut
dass niemand weiß
weiß ich was ich tu
kann sein
autarkie
autarkie – aber wie?
gold gab ich für gas
mehr brutto vom netto
seltene erden im steckrübenwinter entdecken
patrioten duschen nicht
stinken für die ukraine angesagt
unser neuer hindukusch liegt am dnepr
aber taiwan nicht vergessen
demnächst wiedereröffnung vom café größenwahn
autarkie – eher nie
man kann es drehen und wenden
derkriegistdervaterallerdinge
wiezumbeispielinflation
dervaterallerdingeistderkrieg
wiezumbeispielstreiks
allerdingevateristderkrieg
wiezumbeispielsozialeunruhen
derkriegistdervaterallerdinge
wiezumbeispielpolitischeinstabilität
DER KRIEG IST DER VATER ALLER DINGE
als da sind:
INFLATION
STREIKS
SOZIALE UNRUHEN
POLITISCHE INSTABILITÄT
KRIEG
blatt für blatt
acht rollen zu zweihundert blatt
discounterbillig
reißfest und dreilagig
mit veilchenduft
wie inspirierend
der drang ist da
obstipation zum glück nie
eher das gegenteil
von dicht keine rede
dafür nun dichter am werk
komparativ ohne vergleich
man mag es tadeln
der drang ist da
raum für poesie im engsten gelass
ein stift rasch zur hand
nun ist’s vollbracht
die taste betätigt
strömt alles mitführend dahin ihr fluten
flutet kanäle und gruben
verbreitet weit das produzierte
Publication Date: 05-25-2013
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