Vorwort
Hast du schonmal daran gedacht, was eine Zeichnung denkt?
Nein, sicher nicht.
Niemand denkt daran!
Was würde uns die Zeichnung nur erzählen, wenn es reden könnte?
Ich schenke einer Zeichnung ein eigenes Buch, es wird uns erzählen, was es denkt, was es fühlt, was passiert.
Hören wir ihm geduldig zu!
1
Um mich völlige Dunkelheit.
Ich fühle, dass ich da bin, aber ich spüre kein Körperteil von mir.
Ich spüre nichts.
Ich weiß nur, dass ich da bin.
Kein Geräusch ist zu hören.
Ich sehe auch nicht.
Plötzlich erscheint ein Licht.
Jemand setzt den Bleistift an die Leinwand.
Ja!
Jetzt sehe ich etwas.
Erst verschwommen, dann immer klarer.
Der Maler, ein bärtiger, alter Mann, zeichnet mir eine Pupille.
Ich sehe einen Bleistift.
Und den Maler.
Eine Scheune auch.
Und eine Katze.
Ich spüre einen Stich in meinem Auge.
Jetzt zeichnet er mir einen Lichtfleck in mein Auge. Es tut mir sehr weh.
Plötzlich sehe ich aus zwei Augen.
Jetzt nehme ich endlich auch die andere Seite war.
Links von mir steht eine kleine Kutsche. Sie ist rot mit weißen Polstern. Die Farbe ist schon etwas abgeblättert und dem Gefährt fehlt ein Rad.
Nach und nach bekomme ich Gefühl.
Ich bekomme Arme!
Der Maler setzt langsam den Bleistift an.
Es kitzelt sehr, wenn er zeichnet.
Wenn ich ein Gesicht, einen Mund, gehabt hätte, hätte ich gelacht.
Aber das ging noch nicht.
Meine Augen nahmen rechts von mir eine Bewegung wahr.
Was war das?
Ach ja! Die Katze!
Beruhigt warte ich ab, bis der Maler sein Werk vollendet hat.
Ich fühle meine Arme.
Nach einigen Minuten bekam ich auch Gefühl in den Beinen.
Ich verspüre ein leichts Kribbeln.
Der Zeichner hatte beschlossen, mir weite Jeanshosen zu zeichnen.
Mit Gefühl und Geschick zeichnete er.
Jetzt!
Jetzt kam er mit dem Bleistift auf meine Augen zu!
Ich schloss schnell meine Augen und spürte, dass er mir eine Nase verpasste.
Plötzlich konnte ich auch etwas riechen.
Es roch muffig und etwas nach Farbe.
Doch das störte mich nicht.
Dann bekam ich auch einen Mund.
Endlich! Endlich konnte ich lächeln!
Ich bekam dichtes, volles Haar.
War ich eine Frau? Oder ein Mann?
Das wusste ich noch nicht.
Ich würde es später noch erfahren können...
2
Ich wurde eine Frau.
Das merkte ich daran, dass ich ein Top bekam.
Ich glaubte, fertig zu sein.
Doch da irrte ich mich.
Ich wurde noch bemalt.
Das kitzelte!
Der Maler benutze einen kleinen, dünnen Pinsel mit weichen Borsten.
Mein Top wurde rot, meine Jeans bläulich.
Ich bekam volle, rote Lippen, blaue Augen und blodes Haar.
Meine Schuhe, hochhackige Pumps, wurden blass-lila.
Nachdem ich fertig war, wurde es dunkel um mich herum...
3
Am nächsten Tag wachte ich auf.
Um mich herum standen mehrere Bilder.
Ich versuchte, die anderen Zeichnungen anzusprechen - zu fragen, wo ich war.
Doch keine gab mir eine Antwort.
Sie waren alle nicht lebendig, so wie ich es war.
Es war schade.
Am späten Nachmittag wurde ich verkauft...
Publication Date: 02-07-2009
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