Kapitel 1
Es war definitiv zu warm, um in einem alten Jeep mit kaputter Klimaanlage die Autobahn entlang zu fahren. Die normale Lüftung war kaum spürbar und die leicht geöffneten Fenster brachten ebenfalls keine Abkühlung.
Sarah lief der Schweiß den Rücken hinunter und ließ ihre Kleider am Körper kleben. Mit der Hand fuhr sie sich über die Stirn. Sie war nun schon seit mehr als fünf Stunden unterwegs, auf den Weg in ihr neues zu Hause.
Vor einem Monat hatte sie ihr Studium beendet und wollte sich nun voll und ganz der Forschung widmen. Sie hatte Biologie studiert, immer mit dem Ziel vor Augen später in der Natur zu arbeiten und Tiere zu erforschen. Ihr Verhalten, ihre Lebensweise und ihre familiären Beziehungen. Die Vorfreude auf dieses neue Leben durchströmte Sarah von oben bis unten. Es ließ sie die ganzen Strapazen der Reise vergessen.
Es durfte nicht mehr weit bis zum bayrischen Wald sein. In etwa einer Stunde sollte sie das Dorf erreicht haben, schätze Sarah.
Die kastanienbraunen, langen Locken hatte sie zu einem Knoten zusammengefasst und ihre grünen Augen versteckte sie hinter einer Sonnenbrille. Die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel. Keine Wolke war zu entdecken, die sich für kurze Zeit vor den strahlenden Planeten hätte schieben können. Sarah ersehnte den letzten Teil der Strecke, der sie durch den Wald führte und sie somit aus der Sonne herauskam.
Nach einer gefühlten Ewigkeit entdeckte Sarah das Ortseingangsschild des kleinen Dorfes in das sie nun ziehen wollte. Lohberg stand in schwarzen Buchstaben auf dem gelben Schild. Viel konnte sie bisher nicht entdecken. Hier und da erblickte sie ein kleines Haus zwischen den Bäumen, die die Straße säumten.
Auf der Suche nach einer Unterkunft war Sarah relativ schnell auf einen kleinen Bungalow gestoßen. Dieser lag am Rand des Dorfes, machte auf den wenigen Fotos, die in Internet zu bestaunen waren einen recht ordentlichen Eindruck und passte auch genau in ihr Budget.
Sarah hatte nicht lange überlegt, die Nummer gewählt, welche unter Kontakt angegeben war und nach dem kleinen Haus gefragt. Ihr war ein riesen Stein vom Herzen gefallen, als sie erfuhr, dass der Bungalow noch frei war. Ein paar Tage später, hatte sie den Mietvertrag in den Händen gehalten, unterschrieben und ihn wieder an ihren Vermieter zurückgeschickt. Die Schlüssel musste sie sich jetzt holen. Darum führte ihr erster Weg dort hin.
Die Straße schlängelte sich durch den Wald und führte Sarah weiter ins Dorfinnere, wo auch mehrere Häuser geballt auf einem Fleck anzutreffen waren. Auch einen kleinen Lebensmittelladen entdeckte sie. Das Navi führte sie weiter, wieder heraus aus der Dorfmitte. „In fünf Metern haben Sie ihr Ziel erreicht.“ Diese Worte waren das Schönest was Sarah an diesem Tag hörte. Sie war fix und fertig und wollte einfach nur noch etwas essen und sich dann hinlegen. Doch noch viel dringender war das Bedürfnis nach einer erfrischenden Dusche. Ihr kam es beinnahe so vor, als würden ihre Kleider jetzt zehn Kilo mehr wiegen, als zuvor.
Sarah parkte ihren Jeep neben einem schon in die Jahre gekommenen Transporter. An manchen Stellen blätterte schon der Lack ab. Bevor sie ausstieg, griff sie sich den Zettel, der die ganze Fahrt über auf dem Beifahrersitz gelegen hatte. Das Haus vor dem Sarah stand, war ein Flachbau aus massivem Holz. Soweit sie das einschätzen konnte, relativ klein. An der Tür fand Sarah keine Klingel, also klopfte sie auf altmodische Art und Weise einfach. Es gab keine Reaktion, sodass sie erneut klopfte. Wenn jetzt keiner zu Hause war, wäre das mehr als ärgerlich, da sie extra einen Termin mit ihrem Vermieter abgesprochen hatte.
Als Sarah beinahe aufgeben wollte, öffnete sich endlich die Tür. Ein verschlafen dreinblickender junger Mann mit wild vom Kopf abstehenden Haaren stand in der Tür.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte der Mann und musste sich ein gähnen verkneifen. „Ähm sind Sie Peter Miller?“, fragte Sarah und trat wieder näher an die Tür. „Paps, da will dich jemand sprechen.“, rief der junge Mann und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, was sie nur noch mehr durcheinander brachte. „Einen Moment er kommt gleich.“ Im Hintergrund waren schwerfällige Schritte zu hören. Ein zweiter Mann mit schon silbergrauen Haaren und einem Gesicht, dem man ein langes Leben ansehen konnte, kam an die Haustür. Er schaute Sarah prüfend an und nickte dann. „Guten Tag Herr Miller. Mein Name ist Sarah Klein. Wir hatten telefoniert, wegen des Bungalows. Ich bin ihre neue Mieterin und wollte die Schlüssel abholen.“, begrüßte Sarah Peter Miller und reichte ihm ihre Hand. Der Mann hatte einen festen Händedruck, aber auf einem Gesicht erschien ein gütiges Lächeln.
„Es freut mich Sie endlich persönlich kennen zu lernen Frau Klein. Ich hoffe Sie hatten eine angenehme Fahrt und haben sich schnell hergefunden.“ „Na ja die Fahrt war nicht ganz so angenehm aber Ihre Wegbeschreibung war sehr genau.“
Sarah wechselte noch ein paar Sätze mit Herrn Miller und nahm dann die Schlüssel an sich. Sobald sie das Metal in ihren Händen spürte, fühlte sie sich gestärkt und konnte es gar nicht erwarten ihr neues zu Hause mit eigenen Augen zu sehen.
„Alex wärst du so freundlich Frau Klein das Haus zu zeigen? Du weist doch ich bin nicht mehr der Jüngste.“ „Klar kein Problem.“ „Ich finde den Weg schon. Sie müssen mich nicht begleiten.“, meinte Sarah und winkte dankend aber ablehnend ab. „Ach was kommt gar nicht in Frage. Er kann ihnen auch gleich beim Entladen ihres Wagens helfen.“ Peter hatte so einen Ausdruck in den Augen, dass das letzte Wort gesagt war und er keine Widerworte duldete.
Alex ging bereits zu ihrem alten Jeep und Sarah folgte ihm mit schnellen Schritten. Nachdem sie den Wagen aufgeschlossen hatte setzte sich Alex auf den Beifahrersitz und Sarah startete den Motor.
Mittlerweile machte Alex einen viel wacheren Eindruck. Er gähnte nicht mehr herzhaft und versuchte seine Haare glatt zu streichen. Sein T-Shirt war fleckig und die Jeans saß locker. Doch sie schenkte ihm keine weitere Beachtung. Der Wunsch endlich bei ihrem Haus anzukommen und sich einfach nur von der anstrengenden Reise zu erholen, wurde immer stärker.
„Da vorne musst du links abbiegen.“ Er duzte sie einfach ohne zu fragen. Sarah warf Alex einen Seitenblick zu. Es war schwer zu sagen wie alt er war. Einerseits wirkte er sehr erwachsen, doch in seinem Gesicht erblickte sie Anzeichen eines kleinen Jungens. Sarah folgte seinen Anweisungen. „Die Nächste rechts und dann immer gerade aus. Du kannst es eigentlich nicht verfehlen.“
Zwischen den Bäumen entdeckte sie es dann. Der kleine Bungalow sah in natura doch etwas älter aus, als auf den Fotos, doch das machte ihn nur charmanter. Das Gebäude hat Geschichte, war ihr erster Gedanke.
Neben dem Bungalow war eine kleine Stellfläche für ihren Jeep. Direkt unter einer Buche, die angenehmen Schatten spendete. Sarah parkte ihren Wagen und schaltete den Motor aus. In der Zeit war Alex schon aus dem Jeep gesprungen und zur Eingangstür gerannt. Merkwürdiger Typ, dachte Sarah und ging ebenfalls zur Tür. Alex hielt ihr die Hand entgegen, als sollte sie ihm etwas geben.
„Ich brache den Schlüssel, ohne den kommen wir nicht rein.“ „Ich mach das lieber selber.“, antwortete sie und schob sich zwischen die Tür und Alex. Den Schlüssel zog sie aus ihrer Hosentasche und steckte ihn dann ins Schloss. Bevor Sarah den Schlüssel drehte, schloss sie die Augen und atmete noch einmal tief durch. Das war der Beginn ihres neuen Lebens auf das sie so lange hingearbeitet hatte.
Die eine Hand am Knauf die andere am Schlüssel, drehte sie diesen und hörte das leise Klicken, als sich der Riegel zurückzog. Sofort öffnete sich die Tür. „Ich zeig dir alles. Es ist ja nicht viel, aber falls du Fragen haben solltest, kannst du sie mir auch gleich stellen.“
Der Flur war klein und an der Wand waren nur ein paar Haken angebracht, um Jacken aufzuhängen. Vom Flur aus gelangte man in die Küche. Durch ein großes Fenster drang das warme Licht der Sonne in den Raum. Eine Einbauküche aus hellem Holz war bereits drinnen, auch wenn sie ihre besten Tage schon hinter sich hatte. Für den Anfang war das aber vollkommen ausreichend. Das Bad enthielt Dusche, Badewanne, Toilette und ein kleines, rundes Waschbecken, also alles was man brauchte. Das Wohnzimmer war der größte Raum im Bungalow und von diesem aus gelangte man ins Schlafzimmer. Fast der ganze Raum war mit dem Doppelbett gefüllt. Es war nur noch Platz für eine Kommode und vielleicht ein Regal an der Wand, aber dann war der Raum vollkommen ausgenutzt.
„Sieht alles ganz in Ordnung aus. Kann ich die Schlüssel wiederhaben?“, sagte Sarah und trat ins Wohnzimmer zurück, wo Alex stehen geblieben war. Er reichte ihr ohne Kommentar die Schlüssel.
„Das ist unsere Nummer, falls es Probleme geben sollte oder etwas kaputt ist. Ich leg dir den Zettel neben das Telefon. So dann wollen mir mal dein Auto ausladen.“ Alex klatschte in die Hände und rieb sie freudig ineinander. „Das mach ich alleine. Es ist nicht viel.“, rief Sarah ihm hinter her, denn Alex war bereits hinaus zur Tür. „Ich fass gerne mit an, um so schneller ist alles im Haus.“ „Nein ich möchte das wirklich lieber alleine machen.“, beharrte sie auf ihrem Standpunkt. Der junge Mann zuckte nur mit den Schultern und ließ die Arme hängen.
„Soll ich Sie noch nach Hause fahren?“ Das Sie betonte Sarah extra. „Nein es ist nicht weit von hier. Ich geh durch den Wald, dann bin ich in fünf Minuten daheim.“ Sarah sah keinen Grund ihn noch länger aufzuhalten und machte sich an ihrem Wagen zu schaffen. Alex hob zum Abschied den Arm und verschwand dann zwischen den Bäumen.
Endlich allein. Ihre wenigen Habseligkeiten vom Auto in das Haus zu bringen dauerte nicht lange. Sarah stellte alles erst einmal im Wohnzimmer ab. Verteilen konnte sie später noch alles. Dann sprang sie unter die Dusche. Es war der Himmel auf Erden. Kurz bevor sie aus der Kabine trat, stellte sie das Wasser für ein paar Sekunden auf kalt, damit sich ihr erhitzter Körper etwas abkühlen konnte. Ihre Locken ließ sie nass den Rücken herunter hängen. Das Föhnen würde nur die Abkühlung der Dusche wieder zunichte machen. Sarah zog sich schnell ihre Wechselsachen, die sie vorsichtshalber in ihre Tasche verstaut hatte an und sah sich alle Räume noch einmal in aller Ruhe an, bevor sie sich ans Auspacken machte.
Kapitel 2
Draußen war es bereits dunkel, als Sarah es endlich schaffte es sich auf dem Sofa bequem zu machen. Sie hatte nur eine Notration an Lebensmittel in ihren Kisten untergebracht, da das meiste die lange Fahrt nicht genießbar überstanden hätte. Aus diesem Grund bestand ihr heutiges Abendbrot aus einer Tasse Kaffee und einer großen Schüssel Cornflakes.
Sie war völlig fertig, kaum noch im Stande ihre Augen offen zu halten. Doch ihr Magen hatte unnachgiebig geknurrt und nach Nahrung verlangt, sodass sie jetzt fast mit geschlossenen Augen einen Bissen nach dem anderen kaute und hinunterschluckte.
Den Kaffee rührte Sarah gar nicht mehr an. Die halbvolle Schüssel ließ sie auch auf dem kleinen Fernsehtisch im Wohnzimmer stehen und torkelte ins Schlafzimmer. Das war der Vorteil an dem kleinen Zimmer. Man konnte sich einfach fallen lassen und landete unter Garantie auf dem Bett. Auch zum Abend hin hatte es sich kaum abgekühlt. Im Zimmer war es warm, also legte sich Sarah einfach auf die Bettdecke und kuschelte sich in die Kissen. Nur wenige Minuten später war sie auch schon eingeschlafen.
Helle Sonnenstrahlen drangen durch das Fenster ins Schlafzimmer. Die Vögel zwitscherten und das Rauschen des leichten Windes in den Bäumen war zu hören. Es war eine angenehme Art und Weise am Morgen geweckt zu werden. Das helle Licht blendete etwas, sodass Sarah die Augen sofort wieder schloss, als sie sie kurz geöffnet hatte. Nach und nach gewöhnten sie sich an die Helligkeit und Sarah krabbelte aus dem Bett.
Im Badezimmer warf sie sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und putzte sich die Zähne. Ihre rotbraunen Locken kringelten sich um ihr Gesicht und schimmerten in all ihrer Pracht. So anstrengend ihre Haare manchmal waren, Sarah würde es niemals übers Herz bringen sie abzuschneiden.
Erfrischt und voller Enthusiasmus ging sie in die Küche. Heute stand so einiges auf dem Tagesplan. Die Vorfreude darauf brachte sie zum Lächeln. Mit einer dampfenden Tasse frisch gekochtem Kaffee griff Sarah nach ihrem Handy und wählte die Nummer ihres Professors. Durch ihn war es ihr erst möglich gewesen in die Forschung zu gehen. Er hatte ihr das Angebot gemacht ihr Interesse mit dem Beruf zu verbinden.
„Guten Morgen Professor. Ich bin es Sarah Klein.“, begrüßte Sarah den Mann, als er an den Apparat ging. „Freut mich von Ihnen zu hören. Sind Sie gut in der neuen Heimat angekommen?“ „Ja es ist alles bestens. Ich möchte mich heute einmal in den Wäldern umsehen und melde mich dann wieder bei Ihnen, wenn ich etwas entdeckt habe.“, berichtete Sarah und ging dabei durch die Zimmer des Bungalows. „Tun Sie das. Es freut mich, dass Sie sich bei mir gemeldet haben. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und hoffe bald wieder etwas von Ihnen zu hören.“ „Vielen Dank. Ihnen auch noch einen schönen Tag.“
Damit war Punkt eins auf der Liste erledigt.
Nach einem kleinen Frühstück, suchte Sarah ihre Wanderausrüstung heraus. Schwere Wanderschuhe, einen großen Rucksack und alles was sie für ihre Forschungen und Erkundungen benötigte. Taschenlampe, Fotoapparat, Zeichenblock und etwas Proviant in Form von Müsliriegeln. Sie selbst schlüpfte in eine abgetragene Jeans und zog eine grüne Bluse dazu an. Die Haare band sie zu einem Pferdeschwanz, damit diese sie nicht bei der Arbeit behinderten. Gerade als sie sich auf den Weg machen wollte, fiel ihr ein das etwas fehlte. Wie sollte sie denn sinnvoll die Gegend erkundigen ohne eine Landkarte?
Doch woher sollte sie jetzt eine bekommen? Da sah sie den Zettel, der neben dem Telefon an der Flurwand klebte. Sie hatten gesagt, sie können anrufen, wenn es Probleme gab oder sie Hilfe brauchte. Sarah griff nach dem Hörer des Wandtelefons und tippte die Nummer ein. Es dauerte lange ehe sich jemand meldete.
„Miller.“ „Guten Morgen Herr Miller. Ich störe nur ungern so früh am Morgen, aber hätten Sie vielleicht eine Landkarte von der Umgebung, die Sie mir leihen könnten?“, fragte Sarah und betete Innerlich, dass er ja sagen würde.
„Guten Morgen. Natürlich habe ich eine Karte. Ich leihe Sie ihnen sehr gerne. Wenn Sie wollten, kann ich Ihnen auch etwas von der Gegend erzählen. Kommen Sie einfach vorbei, wann immer Sie wollten und holen sich die Karte ab.“, antwortete Peter Miller freundlich. „Dann würde ich sie jetzt gleich abholen, wenn Ihnen das keine Umstände macht.“ „Aber keines Falls. Kommen Sie nur vorbei.“ „Dann bis gleich.“, verabschiedete sich Sarah und legte auf.
Sofort schulterte Sarah ihren Rucksack, schnappte sich den Schlüssel, schloss die Haustür ab und machte sich auf den Weg. Den Jeep wollte sie für diese kurze Strecke nicht nehmen, also nahm Sarah den Weg quer durch den Wald. Alex hatte gestern Abend ja gemeint, dass er nur fünf Minuten bis nach Hause bräuchte.
Der Weg, der eigentlich keiner war, führte quer durch den Wald. Sarah musste über große Baumwurzeln steigen und auf jeden Schritt achten, damit sie sich nicht verletzte. „Von wegen in fünf Minuten erreicht man das Haus der Millers.“ Nach fünfzehn Minuten erblickte sie dann endlich das Haus. „Das muss gestern wohl ein schlechter Scherz gewesen sein.“, schnaufte Sarah und trat zwischen den Bäumen hervor. Herr Miller saß auf einem Stuhl vor dem Haus und las in aller Ruhe seine Zeitung.
„Steht denn etwas Spannendes darin?“, fragte Sarah, als sie vor Herrn Miller zum Stehen kam. „Na ja das übliche. Falsche Versprechen der Politik, steigende Preise und irgendwelche Sensationsgeschichten, die sich später sicher wieder als falsch herausstellen werden.“ Peter faltete die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. „Sie machen ja den Anschein, als wollten Sie wandern gehen.“, bemerkte er und musterte Sarah von oben bis unten.
„Ja das habe ich auch vor. Deswegen benötige ich auch die Karte. Ich hatte leider noch keine Gelegenheit mir selber eine zuzulegen.“ Sarah zuckte mit den Schultern und ließ den Blick über den kleinen Platz vor dem Haus schweifen.
„Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Wanderung. Wenn Sie fragen haben, helfe ich gerne. Früher war ich der Forster der umliegenden Wälder und kenne mich daher gut aus.“, sagte Herr Miller und reichte Sarah die Karte. „Auf das Angebot werde ich sicher noch zurückkommen.“
„Paps weist du, ob wir noch einen Bleistift im Haus haben?“ Alex kam um die Ecke. „Ich glaube in der Schublade in der Küche müsste noch einer liegen. Du solltest besser auf dein Werkzeug achten und es auffüllen, wenn es zur Neige geht.“ „Das sagst du mir jedes Mal Paps. Es geht doch nur um einen Bleistift. Meiner ist gerade abgebrochen.“, erklärte Alex und kam auf Sarah und seinem Vater zu.
„Morgen.“ Alex blieb abrupt stehen. Er musste Sarah gar nicht bemerkt haben, denn er schaute sie überrascht an. „Ebenfalls einen guten Morgen. So schnell schon wieder hier. Gibt es irgendwelche Probleme am Bungalow?“ Sarah schüttelte den Kopf und sah zu Alex auf. Er war um einiges größer als sie, schätzungsweise zwei Köpfe größer. „Nein ich leihe mir nur eine Landkarte von Ihrem Vater. Ach ja da fällt mir ein. Mit fünf Minuten vom Bungalow bis hierher, da haben Sie sich aber ganz schön verschätzt.“
Alex grinste wissend und beugte sich etwas zu der neuen Nachbarin herunter. „Man muss nur den richtigen Weg kennen.“, damit verschwand er im Haus und ließ Sarah und Herrn Miller allein.
„Keine Sorge in kürzester Zeit werden sie sich hier genauso gut auskennen, wie jeder andere Bewohner des Dorfes.“
Sarah wollte nicht noch mehr Zeit verplempern als so schon, also machte sie sich auf den Weg. Das Sonnenlicht stahl sich immer wieder durch das dichte Laub der Bäume und erhellte den Waldboden, sodass er golden glänzte.
Sarah faltete die Landkarte auseinander und warf einen Blick darauf. Im Kartenlesen war sie gut, da sie schon als kleines Kind häufig mit ihren Eltern wandern gewesen war und immer die Karte hatte lesen dürften. Schnell fand sie ihren jetzigen Standpunkt und folgte mit dem Zeigefinger den Weg bis zu ihrem Bungalow.
In der Nähe verlief ein kleiner Fluss, zumindest war es so in der Karte verzeichnet. Sarah entschied sich einfach erst einmal die Umgebung zu erkunden, bis zum Fluss zu gehen und ihm dann zu folgen. Er bot eine gute Orientierung und wer weiß was sie auf ihrer Wanderung noch alles entdecken würde.
Da es keine befestigten Wanderwege gab, war es anstrengend durch den Wald zu gehen. Die jahrhunderten alten Bäume, mit ihren kräftigen Wurzeln reichten majestätisch in den Himmel. Die Wurzel waren durch den Boden gebrochen und ragten nun, teilweise über einen Meter heraus. Es war fast wie auf einem Abenteuerspielplatz. So etwas Schönes konnte nur die Natur alleine hervorbringen.
Nach einer Stunde erreichte Sarah den Fluss, den sie auf der Karte gesehen hatte. Es war mehr ein Bach, der langsam vor sich hin plätscherte. Das Wasser war glasklar und glitzerte im Licht der Sonne. Sarah setzte sich ans Ufer und tauchte die Hände ins Wasser. Es fühlte sich angenehm kühl an. Die kalten Hände legte sie sich auf Stirn und Nacken und entschloss sich eine kleine Pause einzulegen.
Es war wunderschön hier. Friedlich, harmonisch und bezaubernd. Mit der kleinen Digitalkamera schoss Sarah ein paar Bilder. Die würden sich gut an den Wänden ihres Bungalows machen, dachte sie und machte noch weitere Fotos.
Die Zeit verging schneller als gedacht. Wirklich etwas entdeckt, hatte Sarah nicht. Aber das war auch nicht ihre Absicht für den ersten Tag gewesen. Zunächst einmal wollte sie sich einen Überblick über das Land und seine Beschaffenheit machen. Sie musste sich heute Abend nur noch alles notieren. Der Professor hatte Sarah gebeten genau Buch darüber zu führen was sie tat und welche Fortschritte sie hinsichtlich ihrer Forschungen machte. Den Gefallen tat sie dem Prof gerne, denn es half ihr ja selber dabei nicht den Überblick zu verlieren.
Als sich Sarah wieder auf den Weg machte, übersah sie doch glatt die großen Pfotenabdrücke, die nur zwei Meter von ihr entfernt waren.
Kapitel 3
Vor ein paar Jahren hatten Tierforscher damit begonnen, Wolfe in den deutschen Wäldern wieder anzusiedeln. Nachdem durch gezielte Hetzjagden in der Zeit der Aufklärung und Reformation diese wunderbaren Tiere vollkommen ausgerottet wurden, hatte man sich endlich wieder besonnen. Diese nun wieder ausgewilderten Wölfe hatten im vergangenen Jahr zum ersten Mal Junge zur Welt gebracht. Das war eine riesige Sensation in der Forschung. Nun wollte Sarah sich selbst davon überzeugen, dass diese jahrelange Arbeit erste Früchte trug.
Sie hatte Wolfjunge in Wildparks und Zoos betreut und bei ihrer Aufzucht geholfen. Natürlich durften die Kleinen keine zu enge Bindung zu den Menschen herstellen, aber sie einfach verhungern zu lassen, weil ihre Mutter sie verstoßen hatte, kam für Sarah nicht in Frage. Bevor sie sich auf dieses Projekt eingelassen hatte, musste sie sich ausführlich mit dem Verhalten dieser Tiere auseinander setzten. Sie genaustens studieren.
Sarah schaute sich gerade noch einmal ihre Unterlagen an. Alles was sie für wichtig erachtet hatte, hatte sie in einen dicken Ordner zusammengetragen. Theoretisch wäre es noch mehr, aber Sarah hatte versucht Wiederholungen zu vermeiden.
Was viele gar nicht glaubten, war, dass der Wolf dem Menschen viel ähnlicher war, als man dachte. Von ihrem sozialen Verhalten und ihrer Lebensweise, waren Wölfe dem Menschen eigentlich am ähnlichsten. Sogar noch mehr, als ihre nächsten Verwandten den Menschenaffen.
Auf sie wartete eine Menge Arbeit. Doch wenn sie die ganze Zeit auf ihrem Sofa verbrachte, würde es nicht weniger werden. Also überwand Sarah ihren inneren Schweinehund und machte sich auf den Weg ins Dorf. Sie hatte noch einige Besorgungen zu machen.
Es dauerte ewig bis Sarah einen Parkplatz gefunden hatte. Wo in der Stadt die freien Plätze eine Mangelware waren, gab es hier kaum welche. Die Paar die Sarah entdeckte, konnte sie an der Hand abzählen. Irgendwann wurde es ihr zu bunt und sie stellte sich einfach auf den großen Parkplatz des Supermarktes. Bis zum Marktplatz war es zwar nun ein längerer Weg, aber Sarah wollte nicht noch mehr Runden um den Markt drehen auf der Suche nach einem Halteplatz.
Ein kleiner Laden grenzte an den anderen. Es wirkte sehr niedlich und traditionell. So etwas fand man heute nur noch in alten Dörfern, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt hatten.
In einen kleinen Souvenirladen hoffe Sarah eine Karte der Umgebung zu finden. Direkt neben dem Eingang stand ein Ständer mit Postkarten, für Urlaube, die den Daheimgebliebenen etwas zuschicken wollten. Der Innenraum war voll gestellt mit hölzernen Regalen und weiteren Ständen. In einen von diesen fand sie dann auch die gewünschte Landkarte.
Doch der Laden hatte noch mehr zu bieten. An den Wänden hingen Bilder von alten Holzschnitten und Kupferstichen. Sie zeigten ländliche Szenen oder Männer auf der Jagd. Auf einen der Bilder entdeckte sie auch Darstellungen von Wölfen. Es war eine wunderschöne Arbeit, so detailreich und realitätsnah, dass Sarah beinahe glaubte zu sehen, wie die Wölfe zwischen den Bäumen verschwanden.
„Gefällt Ihnen das Bild, junge Dame?“, fragte der Verkäufer, der Sarah beobachtet hatte. „Ja es ist eine wunderschöne Arbeit.“, antwortete Sarah und konnte den Blick immer noch nicht abwenden. „Es zeigt eine der vielen Geschichten über unseren Wald. Kennen Sie welche? Manche sind schon uralt.“ „Nein, leider kenne ich die hiesigen Geschichten noch nicht. Aber ich denke mit der Zeit werde ich einige davon kennen lernen.“
Der Verkäufer lächelte Sarah herzlich an. Bevor sie an die Kasse trat, griff Sarah noch nach einer Taschenlampe. Es war immer gut noch eine zweite im Haus zu haben. „Das wäre dann alles.“, meinte sie und legte die Landkarte zu der Lampe. „Wenn Sie die Geschichten interessieren, dann geben ich Ihnen noch dieses Buch mit. Es enthalt auch die ganzen Holzschnitte, die Sie die ganze Zeit bewundert haben.“ „Aber das kann ich doch nicht einfach so annehmen.“, protestierte Sarah und wollte das Buch schon wieder beiseite legen. Der Verkäufer aber legte seine Hand auf ihre. „Sehen Sie es als Willkommengeschenk. Es kommt nicht oft vor, dass junge Leute wie Sie zu uns ins Dorf ziehen. Außerdem konnten Sie die Augen gar nicht von den Bildern anwenden. Also nehmen Sie es bitte.“
„Na gut, aber gegen ein Danke haben Sie doch sicher nicht einzuwenden.“ So eine herzliche Begrüßung, auch von den andern Dorfbewohnern hatte Sarah nicht erwartet. Nachdem der Ladenbesitzer alles in einer Tüte verstaut hatte, verließ Sarah den Laden.
Die Sonne brannte wieder erbarmungslos vom Himmel. Ihr Jeep hatte sich mit Sicherheit total aufgeheizt, sodass es sich anfühlte wie in einer Sauna zu sitzen.
Im Supermarkt kaufte Sarah noch die grundlegendsten Lebensmittel ein, bevor sich sie auf den Rückweg machte. Auf der Fahrt zurück, beschloss sie kurzerhand noch bei den Millers vorbeizufahren und Peter seine Karte sofort zurückzubringen. Der Transporter stand auf demselben Platz wie schon am Tag ihrer Ankunft. Und wieder hörte niemand ihr Klopfen und Klingeln an der Haustür. Das war ja wirklich zu dumm. Da fährt sie extra hierher und dann ist niemand da.
In der Hoffnung doch noch jemanden anzutreffen, umrundete Sarah einmal das kleine Haus. An der Seite befand sich eine alte Scheune aus der Geräusche drangen. Eine Hälfte des Scheunentores war angelehnt, sodass Sarah einen Blick ins Innere werfen konnte. Dort entdeckte sie Alex. Er stand mit dem Rücken zu ihr und schien an etwas zu arbeiten. Die Geräusche, welche sie von außen gehört hatte, kamen von einer Schleifmaschine, die Alex in gleichmäßigen Bewegungen über ein Holzbrett führte.
Als er die Maschine ausschaltete nutze Sarah die Gelegenheit und klopfte mit der Faust gegen das Tor. Alex drehte sich um und nahm die Schutzbrille ab, die er während der Arbeit getragen hatte. „Ah unser Neuzugang. Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“ Er duzte sie schon wieder. Doch Sarah wollte sich nicht schon wieder darüber ärgern. „Ich wollte eigentlich zu deinem Vater. Aber er scheint nicht da zu sein.“, antwortete sie stattdessen und trat in die Scheune. Am Boden lagen überall verstreut Holzteile und Werkzeug herum.
„Mein Vater schon wieder. Du hast nicht zufällig eine Schwäche für ältere Herren oder?“ „Nein ich stehe eher auf kleine Jungs, wenn sie noch dieses süße Lächeln im Gesicht tragen.“ Ein Pfiff drang aus Alex Mund. „Okay die Runde hast du gewonnen. Und nein mein Vater ist nicht da. Er hatte einen Termin und kommt erst gegen Abend zurück. Kann ich dir vielleicht helfen?“
In dem er die Hände an seine Jeans rieb, wischte er sich den Dreck ab. „Ich wollte eigentlich nur die Landkarte zurückbringen, die dein Vater mir geliehen hatte. Ich kann sie aber auch dir geben, wenn du mir versprichst sie dann auch weiterzureichen.“ Sarah wühlte in ihrer Tasche und zog dann das gefaltete Papier hervor. Sie hielt die Karte Alex hin, der die paar Schritte, welche sie voneinander trennten überbrückte und nach dem Papier griff. „Ich denke, dass werde ich gerade noch schaffen. Doch zuvor muss ich das hier noch beenden.“, meinte Alex und setzte die Schutzbrille wieder auf seine Nase.
In der Luft flogen noch ganz feine Holzspäne herum. Viele davon hatten sich auch in den wirren Haaren des jungen Mannes verfangen. „Woran arbeitest du denn, wenn ich fragen darf?“ Doch bevor Sarah ihre Frage zu Ende gestellt hatte, übertönte schon das Surren der Schleifmaschine ihre Worte.
Sarah trat zu Alex und schaute an ihm vorbei. Vor ihnen lag eine große, massive Holzplatte, die Alex mit aller größter Vorsicht bearbeitete. Die durch das Schleifen hervorgehobene Maserung nahm einen immer stärkeren Glanz an. „Was soll das werden wenn es fertig ist?“, fragte Sarah dieses Mal etwas lauter, sodass Alex sie nicht überhören konnte. Er hörte auf zu schleifen und sah sie überrascht an. „Das soll später eine Kommode werden. Ich bin Tischler und Zimmermann.“
„Das wird sicher ein schönes Möbelstück. Ich beineide jetzt schon die Person, die es in ihre Wohnung stellen kann.“ Vorsichtig fuhr Sarah mit den Fingerspitzen über die glatte Oberfläche. „Wenn du eine Bestellung bei mir abgibst, kannst du auch so eine haben.“ „Tut mir leid, aber für so etwas fehlt mir das Geld. Außerdem muss ich los.“, meinte Sarah und schaute auf ihre Armbanduhr. „Also gib die Karte deinem Vater. Ich will schließlich nicht, dass er schlecht von mir denkt.“, sagte sie, während sie die Scheune verließ.
Sarah durfte die Lebensmittel nicht noch länger in der Hitze ihres Jeeps lassen. Sonst konnte sie diese, so wie sie gekauft worden waren direkt in den Mülleimer wandern. Damit etwas Frischluft in das Wageninnere gelang, kurbelte Sarah die Fenster herunter, bevor sie den Motor startete und zurück zu ihren Bungalow fuhr.
Im Supermarkt hatte sie auch ein kleines, kariertes Buch gefunden, dass sie für ihre Forschungsberichte nutzen wollte. Sobald alles im Kühlschrank verstaut war, schnappte sich Sarah einen Kugelschreiber und begann ihren ersten Eintrag.
5. August 2010
Gestern habe ich meine erste Erkundungstour gemacht. Die Gegend ist einfach traumhaft und stellt einen sehr geeigneten Lebensraum für die ausgewilderten Wölfe dar. Bis jetzt habe ich noch keine konkreten Hinweise dafür gefunden, dass sich wirklich Wölfe in diesem Wald angesiedet haben. Dafür wäre es aber auch noch zu früh.
Ich muss mir erst einmal einen besseren Überblick über das Gebiet verschaffen, bevor ich genauer auf Einzelheiten eingehen kann.
Sarah stoppte ihren Schreibverlauf. Der Kugelschreiber war bereit für den nächsten Satz, doch Sarah zögerte. Es gab eigentlich noch nichts was es Wert war festgehalten zu werden. Als Forschungsbericht taugte das was sie gerade geschrieben hatte nun wirklich nicht. Viel mehr war es ihr persönlicher erster Eindruck.
Doch das sollte sich in den nächsten Tagen ändern. Neben diesem Buch hatte sie auch das Buch über die Geschichten der Gegend mit ins Wohnzimmer genommen. Es lag nun neben ihr auf dem Sofa und wartete nur darauf von ihr aufgeschlagen zu werden.
Um sich jetzt die ganzen Geschichten durchzulesen, fehlte ihr die Zeit. Stattdessen blätterte Sarah durch das Buch und hielt jedes Mal inne, wenn eines der Bilder auftauchte, welche sie in dem kleinen Souvenirladen gesehen hatte. In der Mitte des Buches fand sie das Bild mit den Wölfen. Egal wie lange sie es anstarrte, es verlor kein bisschen von seiner Magie.
Sarah blätterte zum Anfang des Kapitels und las die Überschrift.
Die Beschützer des Waldes
Kapitel 4
„Ja macht euch keine Sorgen mir geht es gut. Ich hab alles was ich brauche im Haus und die Leute hier sind auch sehr nett.“ Seit mehr als einer halben Stunde telefonierte Sarah nun schon mit ihrer besorgten Mutter. Sie war nicht gerade begeistert gewesen, als sie von dem Vorhaben ihrer Tochter erfahren hatte. Doch da musste ihre Mutter nun durch.
„Ich werde mich regelmäßig bei euch melden. Natürlich werde ich auch versuchen euch zu besuchen. Aber erst einmal muss ich mich jetzt hier richtig einleben und mit meiner Arbeit einigermaßen vorankommen. Und keine Sorge ich pass schon gut auf mich auf.“ Sarah hatte all ihre Überzeugungskraft anwenden müssten, damit ihre Mutter endlich aufhöre sich unnötig Sorgen zu machen. Ihr Vater war da viel entspannter. Er hatte die Ansicht was einen nicht umbringt macht einen stark. Diese Einstellung hatte Sarah auch sehr früh von ihm übernommen.
Nach weitern zehn Minuten hängte Sarah den Telefonhörer endlich wieder an die Wand. Das Telefonat hätte sie gerne noch weiter hinausgezögert, doch als sie einmal abgenommen hatte, konnte sie ja schlecht wieder auflegen. Ihr Kaffee, den sie sich gekocht hatte, war mittlerweile kalt, sodass Sarah die Tasse in die Mikrowelle stellte, um ihn wenigstens nicht völlig umsonst gekocht zu haben.
Die Temperaturen waren etwas gesunken, sodass man es wieder in der freien Natur aushalten konnte. Die letzten Tage waren ganz schön anstrengend gewesen, da man bereits nach ein paar Schritten angefangen hatte zu schwitzen. Ihre Locken hatte Sarah zu einem Knoten gebunden und zog sich nun ihre Wanderstiefel an.
Sie hatte immer noch nichts Brauchbares in der Hand. Langsam bekam sie Zweifel, ob sie sich nicht doch zu viel zumutete. Energisch schüttelte sie den Kopf. Nein, dies hier war genau das was sie immer machen wollte. So schnell würde sie die Flinte nicht ins Korn werfen. Da müssten schon andere Dinge passieren.
Mit den voll gepackten Rücksack auf den Schultern, machte sich Sarah auf den Weg. Es war später Nachmittag und der Wind wehte leise durch das Blattwerk der Bäume. Die Sonne stand zwar noch hoch am Himmel aber der Tag neigte sich allmählich dem Ende zu. Die perfekte Zeit zum Jagen. Vielleicht war das die Chance für Sarah endlich auf Spuren zu stoßen.
Die Wölfe suchten nachdem ihre Welpen die Höhle, in der sie die ersten Wochen ihres Lebens verbrachten, verlassen hatten einen Platz in der Nähe von Wasser. Gleichzeitig musste er aber auch sicher sein, um eine geeignete Kinderstube für die Welpen zu sein.
Aus diesem Grund machte sich Sarah noch einmal auf dem Weg zu dem kleinen Bach. Sie hatte sich überlegt den Flusslauf zu folgen und sich in der Nähe des Ufers umzusehen. Umgeknickte, platt gelegene Gräser waren ein klares Anzeichen dafür, dass sich Jungtiere in der Nähe aufhielten. Falls sie überhaupt so etwas finden sollte.
Mittlerweise hatte Sarah mehrere Kilometer zurückgelegt und langsam aber sicher ging die Sonne unter. Für den Rückweg benötigte sie ungefähr genauso viel Zeit wie für den Marsch hierher. Richtige Erfolge konnte sie beim besten Willen nicht verzeichnen. Ihre Überlegung dem Bach zu folgen, war gut gewesen. Hier und da hatte Sarah auch brauchbaren Hinweise auf die Anwesenheit von wilden Tieren gefunden. Nur leider konnte sie nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass diese auch von den Wölfen stammten. Warum waren die ganzen Spuren nur so undeutlich? Entweder waren sie schon älter oder jemand versuchte sie zu verwischen. Das ergäbe aber keinen Sinn.
Endlich zu Hause angekommen, zündete Sarah im Wohnzimmer ein paar Kerzen an. Sie liebte das warme, flackernde Licht. Sofort erinnerte sie sich an ihre Kindheit, wie ihre Eltern ihr bei Kerzenschein Gutenachtgeschichten vorgelesen haben.
Um den ganzen Frust von sich zu werfen, wollte Sarah sich heute etwas Besonderes gönnen. Im Kühlschrank fand sie Käse, Créme fresh, Tomaten und aus dem Schrank griff sie Nudelplatten. Heute war eine Lasagne genau das was sie brachte. In aller Ruhe bereitete sie die Auflaufform vor und schichtete die einzelnen Zutaten aufeinander. Für die nächste Dreiviertelstunde kochte die italienische Spezialität im Backofen vor sich hin. Als sich langsam der köstliche Duft in dem kleinen Bungalow ausbreitete, steigerte Sarahs Vorfreude nur noch mehr. Um die Wartezeit zu verkürzen, ging Sarah ins Badezimmer und nahm eine erfrischende Dusche.
Hinter den Fenstern brannte ein angenehmes, mildes Licht. Es flackerte und malte Bilder an die Wände. Aus dem angeklappten Fenster drang ein köstlicher Duft, der einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
Doch er war wegen etwas anderem hier. Schon seit dem ersten Moment, als diese junge Frau einen Fuß auf ihr Land gesetzt hatte, stand sie unter ihrer ständigen Beobachtung. Sie stellte eine potenzielle Gefahr für sie alle dar, die bewacht werden musste.
Bisher war es ihren gelungen, alle verräterischen Spuren vor ihren Augen zu verbergen, oder sie rechtzeitig unkenntlich zu machen. Ihre ständige Schnüffelei machte es ihnen schwer, ihr Geheimnis zu wahren. Mit jedem Tag den sie länger hier blieb, stieg die Gefahr entlarvt zu werden.
Ein Knurren drang aus seinem tiefsten Inneren nach Außen. Seine Krallen gruben sich in den Boden unter seinen Pfoten. Sie durfte einfach nichts von ihnen erfahren. Das würde für sie alle bedeuten, wieder gejagt und verfolgt zu werden, wie vor so vielen Jahren ihre Vorfahren. Diese Gräueltaten sollten sich kein weiteres Mal wiederholen.
Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Das leicht flackernde Licht im Inneren des Bungalows wurde schwächer und wenige Sekunden später wieder so hell wie zuvor. Jemand bewegte sich in den Räumen. Vermutlich war seine Bewohnerin aus dem Badezimmer zurückgekommen.
Gerade noch rechtzeitig kam Sarah aus dem Badezimmer und rannte in die Küche. Die Lasagne blubberte kräftig und drohte über den Rand der Auflaufform zu laufen. Mit von ihrer Oma gehäkelten Topflappen nahm Sarah ihr Essen aus dem Backofen und stellte es auf ein Holzbrett. Mit einem großen Messer teilte sie sich ein Stück ab und balancierte es sicher auf den Teller.
Genussvoll schnupperte Sarah an der Köstlichkeit und machte es sich auf ihrem Sofa im Wohnzimmer gemütlich. Am ersten Bissen verbrannte sie sich gleich die Zunge, was höllisch wehtat. Danach pustete Sarah immer, bevor sie die Gabel zu ihren Mund führte. Es schmeckte so gut, sodass auch noch eine zweite Portion folgte.
Die Reste deckte Sarah sorgfältig mit Alufolie ab, um sie in den nächsten Tagen zu essen. Gutes Essen sollte man schließlich nicht wegwerfen.
Jetzt war es an der Zeit noch schnell ihren Eintrag für ihre Forschungen zu schreiben, bevor sie es sich zu gemütlich machte. Das kleine Buch trug sich immer mit sich herum. Behände zog sie es auch dem Rücksack und griff nach dem Kuli.
11. August 2010
Heute habe ich das Bachufer noch einmal nach Spuren für eine Kinderstube der Wolfswelpen abgesucht. Ich bin zwar auf Spuren gestoßen, doch leider konnte ich sie nicht eindeutig zuordnen. Entweder waren sie schon älter, oder aber jemand versuchte alle Hinweise auf die Anwesenheit von Wölfen in diesen Wäldern zu vertuschen. Denn von anderen Tieren können diese Art von Spuren auch nicht stammen.
Ich werde einfach nicht schlau aus meinen Funden.
Hoffentlich finde ich in den nächsten Tagen endlich etwas Eindeutiges sonst gehen mir allmählich die Ideen aus.
Um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen, legte sich Sarah zurück auf ihrer Couch und zappte durch die Kanäle auf der Suche nach einem passenden Fernsehprogramm. Leider war nichts Brauchbares dabei, weshalb sie den Fernseher wieder ausschaltete.
Auf dem Boden entdeckte sie das Sagenbuch, dass ihr der Mann aus dem Souvenirladen geschenkt hatte. Warum eigentlich nicht, dachte sie sich und blätterte durch die Seiten. Aufmerksam las sie jede Überschrift der einzelnen Geschichten. Einige davon hörten sich recht interessant an. Mit anderen konnte sie überhaupt nichts anfangen.
Bei die „Beschützer“ blieb sie dann hängen. Sarah war eigentlich nicht der Typ, der sich für Mythen und Legenden interessierte, da es einfach nichts Handfestes darin zu finden gab. Es waren ausgedachte Legenden, die man sich damals erzählte, um Naturphänomene zu erklären, die heute jedes Kind kannte. Aber der Abend war noch jung, und Sarah verspürte noch nicht das geringste Gefühl von Müdigkeit. Also begann sie zu lesen.
Die Beschützer
Wenn die Nacht über das Dorf hereinbrach, war es besser sich schon lange in seine Hütte zurückgezogen zu haben. Denn die dunklen Stunden erhörten anderen Wesen. Durch die Nebelschwaden streiften Geschöpfe, die gefährlich und gleichzeitig doch ihre Rettung waren.
Keiner hatte sie jemals wirklich zu Gesicht bekommen, doch alle kannten und respektierten sie. Die Dorfbewohner nannten sie nur die Beschützer, da sie jedes Mal wenn dem Dorf Gefahr drohte, eingriffen. Egal ob Mensch oder Tier, jeden Gegner schlugen sie in die Flucht.
Doch eines Nachts verirrte sich eines der Dorfkinder im Wald und fand den Weg nicht mehr zurück. Nachdem sie Sonne hinter dem Horizont verschwunden war, rannte es voller Angst durch die Dunkelheit, ohne zu wissen wohin dieser Weg es führte. Auf einer Lichtung blieb es stehen. Ein undefinierbares Geräusch hatte es verschreckt, sodass es wie gelähmt war und sich nicht traute auch nur den kleinsten Laut von sich zu geben.
Hinter sich bemerkte es eine Bewegung. Ohne über die Folgen nachzudenken, drehte es sich ruckartig um und erblickte ein riesiges Tier. Doppelt so groß wie das Kind schauten zwei leuchtende Augen auf es hinab. Das riesige Tier hatte eine Schnauze wie der Hund des Kindes daheim. Aber es hatte viel größere Ohren und einen buschigen Schwanz. Sein Fell glänzte im Mondlicht schwarz.
So ein Wesen hatte das Kind noch nie gesehen, doch gegen alle menschlichen Instinkte verspürte es keine Angst. Vorsichtig streckte es seine kleine Hand aus. Das Tier kam es entgehen und bettete seine weiche Schnauze in der zierlichen Hand. Schrittchen für Schrittchen trat das Kind näher heran, um das Wesen genauer zu betrachten.
Mit der Hand auf dem Gesicht des Tieres, führte dieses das Kind aus dem Wald heraus. Es dämmerte bereits, als sie gemeinsam den Rand des Dorfes erreichten. Mit einem leichten Stups drängte das Wesen seinen kleinen Begleiter in Richtung des Dorfes aus dem aufgeregte Stimmen ertönten. Kaum hatte das Kind seine Hand aus dem Fell gelöst, war das Tier auch schon verschwunden.
Zitternde angsterfüllte Arme schlangen sich um das Kind und zogen es an sich. Die Mutter des Kleinen und das gesamte Dorf hatten die ganze Nacht über nach dem Kind gesucht und schon beinahe die Hoffnung verloren.
Als sie das Kind fragten wie es denn aus dem Wald herausgefunden hatte, erzählte es was es gesehen hatte. Zunächst wollten die Dorfbewohner dem Erzählten keinen Glauben schenken, doch als sich diese Geschichten anhäuften, in denen verletzte Holzfäller und Jäger aus dem Wald wieder auftauchten und von seltsamen Wesen berichtete, glaubten die Dorfbewohner wieder an die Geschichten ihrer Vorfahren. Die Beschützer, die keiner richtig kannte, aber von denen doch alle wussten, dass es sie gab, kehrten in die Gedächtnisse der Menschen zurück.
Das kleine Kind aber, ging nachts immer wieder in den Wald, um seinen Retter zu treffen. Doch dieses Mal erzählte er niemanden davon.
Kapitel 5
Sie war wieder das achtjährige Mädchen mit den großen Rehaugen. Ihr rotbraunes Haar kringelte sich um ihr rundes Gesichtchen. Sie stand in einem Wald und hörte das Rauschen eines Flusses, ganz in ihrer nähe. Obwohl sie allein war, verspürte sie keine Angst, sondern lachte herzlich und rannte um die vielen grünen Bäume herum.
Die Natur mit all ihren Gesichtern hatte ihr schon immer gefallen. Es was zu einem zweiten zu Hause für das kleine Mädchen geworden. Sie kannte jeden Stein und jeden Baum.
In ihrer Nähe war immer ihr Begleiter, auch wenn sie ihn nie sehen konnte, wusste es trotzdem, dass er sie niemals allein ließ.
Plötzlich verstummte jedes Geräusch. Die Vögel hatten aufgehört zu singen. Der Wind fuhr nicht länger durch die Blätter der Bäume und auch das Plätschern von Wasser was verschwunden. Die Sonne hatte aufgehört zu strahlen und tauchte den Wald in eine unheimliche Dunkelheit. Aber was dem Mädchen am meisten Angst bereitete, war die Abwesenheit ihres Begleiters. Das Gefühl der Verbundenheit verspürte sie nicht mehr. An dessen Stelle war eine Eiseskälte gerückt.
Das unerwartete Knacken eines Astes ließ das Mädchen herumfahren und noch im letzten Moment konnte sie ihren Angreifer erblicken, bevor dieser es unter sich begrub.
Sarah schreckte schweißgebadet und mit rasendem Herzen aus dem Schlaf auf. Stoßweise presste sie die Luft aus ihren Lungen. Mit der rechten Hand griff sie sich an die Brust, und spürte wie ihr Herz dagegen hämmerte.
Es war nur ein Traum. Nichts weiter, als ein dummer Traum. Doch es hatte sich so echt angefühlt. So als hätte sie das alles wirklich erlebt. Langsam kam Sarah richtig zu sich und schob die Bettdecke von sich. Gestern Abend hatte sie eine der alten Legenden des Dorfes gelesen. Darum musste ihre Fantasie mit ihr durchgegangen sein und ihr solche absurden Träume geschickt haben. So einen Unsinn, dachte Sarah und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die sie immer neben ihrem Bett stehen hatte. Sie konnte sich jetzt schon nicht mehr richtig an ihren Traum erinnern. Was da aus dem Busch gesprungen war, hatte sie sowieso nicht erkennen können. Dafür ging alles viel zu schnell.
Draußen war es noch nicht richtig hell, also ließ sich Sarah zurück in die Kissen fallen und schloss noch einmal ihre Augen. Schlafen konnte sie jetzt nicht mehr, aber das Bett war zu bequem, um es jetzt schon zu verlassen. Lieber ruhte sie noch etwas und überlegte sich, was sie heute alles zu tun hatte.
Nach dieser schrecklichen Nacht, beschloss Sarah sich für den Morgen etwas zu gönnen. Voller Vorfreude auf ein üppiges Frühstück fuhr Sarah zum Bäcker, um sich frische Brötchen und ein Stück Kuchen zu besorgen. Ab und zu konnte sie sich so etwas auch erlauben. Die Schlange vor dem kleinen Bäcker war lang und war schon von draußen zu sehen. Obwohl der Laden klein war, war die Auswahl riesig. Sarah konnte sich gar nicht entscheiden was sie nun nehmen sollte. Während sie in der Schlage stand und darauf wartete endlich an der Reihe zu sein, konnte sie ihren Blick nicht von der Auslage abwenden. Immer wieder entdeckte sie eine neue verführerische Köstlichkeit.
„Was darf es bei Ihnen sein?“, fragte sie Verkäuferin mit einen herzlichen Lächeln. „Ich hätte gerne zwei von den Kürbiskernbrötchen und eine Quarktasche.“, antwortete Sarah und freute sich jetzt schon darauf genüsslich in den Kuchen zu beizen.
„Du bist also eine Süße.“ „Morgen Alex wie immer?“, fragte die Verkäuferin, als sie Sarah den Beutel mit den Brötchen und Kuchen gab. „Ja Elsa wie immer.“, strahlte Alex und grinste Sarah amüsiert an. Sarah wusste nicht was sie sagen sollte. „Na ja du hast ja schon die ganze Zeit den Kuchen angestarrt, da sollte es mich nicht wundern, dass du nun auch welchen gekauft hast.“ „Du scheinst ja keinen Kuchen zu mögen, wenn du deswegen so ein Theater machst.“ „Ich liebe Kuchen. Aber ich finde es viel spannender etwas mehr über dich zu erfahren. Jetzt weiß ich das du nicht nur Tiere magst, sondern auch gutes Essen.“ Alex erhielt ebenfalls seinen Bäckerbeutel und verließ gemeinsam mit Sarah das Geschäft.
„Und wie läuft es so mit deinen Forschungen? Schon irgendwas Interessantes entdeckt?“ Sarah sprach nicht gerne über ihre Forschungen, doch, dass sich Alex sie danach fragte, freute sie dennoch. „Nein noch nicht wirklich spektakuläres. Ich habe zwar hier und da ein paar Spuren gefunden, aber die waren in einem so schlechten Zustand, dass sie mir nicht wirklich weitergeholfen haben. Es ist frustrierend, wenn ich ehrlich sein soll.“
Sarah hatte ihren Jeep erreicht und wollte eigentlich so schnell wie möglich zu ihren Bungalow, um sich ein leckeres Frühstück zuzubereiten, als Alex wieder das Wort ergriff. „Ich dachte immer als Forscher muss man geduldig sein?“ „Muss man auch. Trotzdem wäre es wirklich schön mal etwas Handfestes zu finden.“ Alex nickte und überlegte einen Moment.
„Wenn dich das alles so deprimiert, was hältst du dann davon gemeinsam mit mir in den Wildpark zu fahren? Es ist nur eine halbe Stunde von hier und du hast die Gelegenheit endlich wieder richtige Wölfe zu sehen und nicht nur ihre unklaren Spuren.“
Meinte er das wirklich ernst? Seine bisherigen Sticheleinen gegen sie hatten nicht den Anscheint erweckt, dass er etwas mit ihr unternehmen wollte. „Du machst dich wieder über mich lustig.“, antwortete Sarah und stieg in den Jeep. Durch das heruntergekurbelte Fenster lehnte sich Alex zu ihr. „Ich meine das vollkommen ernst. Das ist keiner meiner üblichen Scherze.“, versicherte er ihr und wartete solange auf ihre Antwort, bevor er von dem Wagen zurücktrat. „Also gut, ist ja eigentlich keine schlechte Idee. Aber dazu muss ich erst noch mal zum Bungalow, um meine Sachen zu holen.“ „Kein Problem. Ich fahre mit zu dir und dann fahren wir mit meinem Transporter zum Wildpark.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, umrundete der junge Mann den Jeep und stieg auf der Beifahrerseite ein. Somit war das gemütliche Frühstück wohl erledig.
Schweigend fuhren die beiden zurück zum Bungalow, wo Sarah schnell ihre Tasche schnappte und alles was sie brauchte hineinstopfte. Das Essen vom Bäcker nahm sie natürlich mit, genauso wie noch eine große Flasche Wasser. Bevor Sarah die Tür hinter sich abschloss, überprüfte sie noch einmal, ob sie auch nichts vergessen hatte.
Alex mit seinen verwuschelten Haare wartete draußen im Schatten einer der großen Bäume. So im Halbdunkeln hatte er etwas Geheimnisvolles an sich. „Können wir los?“ „Ja ich bin fertig.“
Sarah stellte sich jetzt schon auf einen Fußmarsch von einer halben Stunde ein, als Alex wieder den Weg durch den Wald einschlug, den er bei seinem letzten Besuch genommen hatte. Zu ihrer Überraschung brauchte sie aber nur wenige Minuten bis zum Haus der Millers. Alex hatte ihr also die Wahrheit gesagt, als er meinte ihre Häuser legen nicht weit voneinander entfernt. Er hatte sie woanders lang geführt, als den Weg, den Sarah genommen hatte.
„Ich hab dir doch gesagt du musst nur den richtigen Weg kennen.“, meinte Alex und beantwortete damit die Frage, die Sarah ins Gesicht geschrieben stand. Wie auch Sarah zuvor, verschwand Alex kurz im Haus und kam nach wenigen Minuten zurück.
Die Autofahrt war angenehm. Alex hatte beide Seitenfester heruntergelassen, sodass eine warme angenehme Briese durch das Wageninnere zog. Musik dudelte leise aus dem Radio und ließ die Zeit vergehen. Dennoch meldete sich Sarahs Magen mit einem lauten Knurren zu Wort. Verlegen legte sie ihre Hände auf den Bauch und versuchte ein weiteres Knurren zu unterdrücken.
„Du kannst ruhig etwas essen, wenn du Hunger hast. Mich stört das nicht.“ Mit dieser freundlichen Aufforderung, war es mit Sarahs Selbstbeherrschung geschehen. Geschickt wickelte sie das Papier von ihrem Kuchen und nahm einen großen Bissen davon. Es kam ihr beinahe vor wie der Himmel auf Erden. Es schmeckte so gut, dass sie sich keine Zeit zum genießen ließ. Nach dem letzten Bissen bereute sie, sich nur ein Stück gekauft zu haben. Mit der Serviette wischte sie sich die Letzten Krümel von den Lippen und nahm einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. „Auch einen Schluck?“, fragte sie, um nicht unhöflich zu erscheinen. Alex löste eine Hand vom Lenkrad und griff nach der Flasche. Auf der geraden Strecke legte der die Öffnung an seinen Mund und nahm einen großen Schluck. So ganz geheuer war Sarah das ganze nicht, aber Alex fuhr den Wagen weiter ohne auch nur einmal einen kleinen Schlenker zu fahren. Er musste das wohl ständig machen.
Nach etwa einer halben Stunde steuerte Alex den Transporter auf den großflächigen Parkplatz. Es standen kaum Autos darauf, was aber nicht weiter verwunderlich war, da es mitten in der Woche und vormittags war.
Obwohl Sarah heftig dagegen demonstrierte, bezahlte ihr Begleiter die Eintrittskarten. Sarah mochte es nicht jemanden etwas schuldig zu sein, doch Alex hatte sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen.
„Also wo sollen wir als erstes hingehen?“, fragte er und schaute demonstrativ auf die Karte des Parks. „Ich schlage vor wie beginnen am Anfang und enden am Ausgang. Wenn ich schon einen Wildpark besuche, möchte ich auch alles sehen.“, antwortete Sarah und folgte den Hinweisschildern für den Rundgang.
Der Park war einfach wundervoll. Alles war harmonisch in die Landschaft eingefügt und von den Gehegen der Tiere war kaum etwas zu erkennen. Es machte beinahe den Anschein, als würden die Tiere frei um sie herum spazieren. Überall gab es große Schilder mit Erklärungen zu Lebensweise und Herkunft der verschiedenen Arten. Da hatte sich jemand große Mühe gegeben, bei der Gestaltung der Anlage. Durch die vielen Bäume, die reichlich Schatten spendeten war es ein angenehmer Spaziergang. Zum Glück hatte Sarah noch ihre Kamera eingesteckt, sodass sie viele Fotos von dem Park und seinen Bewohnern machen konnte.
Alex war eigentlich ein ziemlich angenehmer Begleiter. Er zeigte reges Interesse an allem und liebte es die Tiere zu beobachten. So ruhig und entspannt wie in diesen paar Stunden hatte Sarah ihn noch nie gesehen. Es wirkte fast so, als fühlte er sich hier zu Hause.
„Dir scheint das ganze hier ziemlichen Spaß zu machen.“, bemerkte Sarah als die beiden eine kleine Pause machten und sich auf eine der aus Baumstämmen geschnitzten Bänke setzten. „Ich bin als kleines Kind oft hier gewesen. Ich verbinde mit dem Park schöne und glückliche Kindheitserinnerungen.“ „Ich weiß was du meinst. Meine Eltern haben mich auch sehr früh mit Tieren in Kontakt gebracht, wodurch ich immer mehr Interesse an ihnen zeigte. Tja und jetzt ist es ein Teil meiner Arbeit. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können.“
Ihre Bank stand nur wenige Meter vom Wolfsgehege entfernt. Eigentlich war dies von Anfang an Sarahs Ziel gewesen. Die anderen Tiere waren auch interessant, aber die Wölfe stellten nun einmal alles andere in den Schatten. Gierig verschlang Sarah eines ihrer Brötchen und zog dann einen Zeichenblock und einen Bleistift aus ihrer Tasche. Vorsicht, damit sie die schönen Tiere nicht verschreckte, ging Sarah zu dem Zaun, der sie von den Wölfen trennte. Auf den ersten Blick entdeckte sie drei Tiere, wovon eines ihre ganze Aufmerksamkeit erweckte. Es war ein stolzer, silbergrauer Wolf, der auf einen der Felsen stand.
Mit ganz leichten Bewegungen ließ Sarah den Stift über das Papier wandern. Strich für Strich versuchte sie die ganze Würde und Ausstrahlung des Tieres einzufangen.
„Das sieht wirklich toll aus. Ich wusste gar nicht, dass du so gut zeichnen kannst.“, flüsterte Alex, der plötzlich hinter ihr stand. Nur mit Müh und Not konnte Sarah verhindern, dass sie vor Schreck aufschrie. „Herr Gott musst du mich so erschrecken?!“, fauchte sie den junge Mann an. Als sie ihre Skizze weiterführen wollte, sah sie den großen Strich, der sich quer über ihre Zeichnung zog. Sie musste den Bleistift über das ganze Blatt gezogen haben, als Alex sie angesprochen hatte. Nun konnte sie noch einmal ganz von vorne anfangen.
Innerlich fluchend blätterte sie eine Seite weiter und begann von Neuen. „Tut mir Leid, das wollte ich nicht.“ Mit einem Nicken tat Sarah die Sache ab.
Doch dann bemerkte sie etwas Sonderbares. Der Blick des silbergrauen Wolfes war fest auf den Mann neben ihr gerichtet. Jede Bewegung die Alex machte, verfolgte der Wolf. So etwas hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen.
„Das ist ja komisch. Schau doch mal. Der Wolf lässt dich nicht mehr aus den Augen.“ Nun schaute auch Alex von ihrer neuen Zeichnung auf zu dem Wolf. Vorsichtig senkte der Wolf den Kopf und beugte die Vorderbeine. Es wirkte beinahe wie eine Verbeugung.
„So wie es aussieht, scheint er mich zu mögen.“, grinste Alex und fuhr sich mit den Fingern durch seine wild abstehenden Haare. „Aber Wölfe benehmen sich Menschen gegenüber nie so. Nun unter Mitgliedern des Rudels sind solche Verhaltensweise bekannt.“ Sarah versuchte selbst eine logische Erklärung dafür zu finden, doch mit all ihrem Wissen konnte sie es sich nicht erklären.
Die gesamte Zeit, die Sarah und Alex vor dem Gehege standen, blieb der Wolf in dieser unterwürfigen Haltung. So schnell sie konnte, beendete Sarah ihre zweite Skizze, um ja keine Sekunde zu verschwenden und dieses Schauspiel nicht festhalten zu können.
„Wollen wir weiter?“; fragte Alex nachdem seine Begleiterin den Zeichenblock und den Stift wieder in ihrer Tasche verstaut hatte. „Ja klar.“
Kurz bevor die Wölfe aus ihrem Blickfeld verschwanden, schaute Sarah noch einmal über ihre Schulter zurück zu den Tieren. Ihre Blicke folgten immer noch Alex und ihr. Es war schon etwas unheimlich und verursachte eine Gänsehaut auf Sarahs Armen.
Es war bereits später Nachmittag, als das Ende des Wildparks wieder zu sehen war. Die beiden hatten beinahe den ganzen Tag hier verbracht. Sarah hatte der Besuch gut getan. Nun hatte sie wieder Hoffnung, dass ihre ganze Arbeit doch nicht umsonst war. Sie hatte endlich wieder den Elan und den Willen nicht mit leere Hände zurückzukehren und ihren Professor zu enttäuschen.
„Und hattest du deinen Spaß?“, fragte Alex sie auf der Rückfahrt. Wieder hatte er die Fenster geöffnet und der leichte Wind zerrte an Sarahs Locken. Einige davon hatten sich aus dem Zopf gelöst und wehten ihr ins Gesicht. Immer wieder versuchte Sarah die Haare hinter ihr Ohr zu klemmen, aber die lösten sich ständig wieder. „Ja es hat sehr viel Spaß gemacht. Danke für den Ausflug.“ „Jeder Zeit wieder. Es ist mal was anders mit einer Frau unterwegs zu sein und nicht immer nur mit den Jungs. Bei Gelegenheit kann ich sie dir ja mal vorstellen.“ „Sind sie alle so wie du?“ Skeptisch blickte er zu seiner Beifahrerin. „So jemanden wie mich gibt es nur einmal.“ „Na dann müsste ich ja bestens mit ihnen auskommen.“ Beide fingen herzhaft an zu lachen. „Ich verspreche sie dir so bald wie möglich vorzustellen.“
Bevor Alex sich verabschiedete, fuhr er Sarah nach Haus zu ihren Bungalow und wünschte ihr eine gute Nacht. Den Motor startete er erst wieder, als Sarah die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte und das Licht im Flur aufleuchtete. Alex wollte einfach nur sicher gehen, dass sie auch wirklich sicher zu Hause ankam.
Kapitel 6
Kaum hatte sich die Wohnungstür hinter ihr geschlossen, ließ sich Sarah auf das Sofa fallen und wühlte in ihrer Tasche nach der Kamera und den Zeichenblock. Es war wirklich schade, dass ihre erste Skizze nichts geworden war. Dennoch die grobe Skizze spiegelte immer noch die starke Persönlichkeit des Wolfes aus. Auf der zweiten Zeichnung sah man etwas vollkommen anderes. Die Würde und Erhabenheit des Tieres war in Demut und Gehorsam übergegangen.
Vorsichtig löste Sarah die zwei Blätter aus dem Block und legte sie auch den Fernsehtisch vor sich, direkt neben der Kamera. Danach griff sie nach ihrem Notizbuch, um die Ereignisse und die Eindrücke des Tages festzuhalten. Es hatte zwar nicht direkt mit ihrer Forschungsarbeit zu tun. Aber das untypische Verhalten des silbergrauen Wolfes wollte sie dennoch festhalten.
12. August 2010
Bei meinen Forschungen kann ich noch keine neuen Fortschritte vermerken. Der Besuch im Wildpark hat mich dennoch auf eine untypische Verhaltensweise der dort gehaltenen Wölfe aufmerksam gemacht.
Einer der Wölfe hatte von einem Moment zum andern seine ganze Haltung verändert. Zuerst hatte er gewirkt wie das Alphatier des Rudels, doch plötzlich hatte es eine vollkommen unterwürfige Haltung gegenüber eines Menschens angenommen. Diese Verhaltensänderung kam nicht zustande, durch das Auftreten des Wärters oder einem dem Wolf vertrauten Person. Sondern durch das einfache Auftauchen meines Begleiters.
Solange wir uns in der Nähe des Geheges aufgehalten hatten, war der Wolf in dieser Position geblieben.
Um diese Eindrücke festzuhalten, habe ich in aller Eile ein paar Skizzen angefertigt. Vielleicht ist diese Reaktion des Wolfes auf sein Leben im Park zurückzuführen. Dies kann ich aber nicht mir Sicherheit sagen. Bei Gelegenheit werde ich versuchen, der Sache nachzugehen.
Zu ihrem Eintrag legte Sarah nun ihre Skizzen und verstaute das Buch, danach wieder in ihrem Rucksack. Es war schon komisch. Sarah hatte Wölfe, die ins Zoos und Parks leben und aufgewachsen sind, gesehen. Kein einziger hatte jemals so ein Verhalten an den Tag gelegt. Noch nicht einmal die, die von den Pflegern per Hand aufgezogen wurden.
Nach wenigen Minuten tat Sarah das Thema ab. Dies gehörte nicht zu ihrem Job. Der bestand darin die Auswilderung der Wölfe zu dokumentieren und zu sehen wie sie sich wieder in den Wäldern ansiedelten. Sie hatte sich schon eine Weile nicht mehr bei ihrem Professor gemeldet. Aber es gab ja auch keinen richtigen Grund ihn anzurufen.
In den nächsten Tagen wollte sie dennoch mal von sich hören lassen.
Ihre Zeichnungen waren beeindruckend gewesen. Es schien beinahe so, als könnte sie die Seele des Wolfes in den Bildern festhalten. Alex hatte kaum den Blick abwenden können, während Sarah mit nur wenigen Strichen ein perfektes Abbild des wunderschönen Wolfes auf Papier gebracht hatte.
Er hatte sie vollkommen anders eingeschätzt nach ihrer ersten Begegnung. Alex hatte gedacht sie sei nur eine von diesen Frauen, die unbedingt beweisen wollte, dass sie etwas drauf haben. Doch nun sah er sie mit anderen Augen. Ihr bedeuteten diese Tiere wirklich etwas. Das Interesse daran Wölfe wieder in Deutschland anzusiedeln, war nicht nur reiner Forschungsdrang. Vielmehr schien es ihre Lebensaufgabe zu sein.
Innerlich musste Alex über sich selbst lachen. Er konnte manchmal so ein Idiot sein und vorschnell ein Urteil über Leute fällen, die er nur einmal gesehen hatte. In Sarah hatte er sich vollkommen getäuscht. Das musste er sich jetzt eingestehen.
Gerade parkte der den Transporter auf den kleinen Stellplatz von dem Haus seines Vaters. Seine Freunde warteten davor auf ihn und hoben die Hand zum Gruß, als er aus dem Wagen stieg.
„Wo warst du denn den ganzen Tag? Niemand wusste wo du abgeblieben warst.“, fragte einer von ihnen. „Ich hatte etwas Besseres zu tun, als den ganzen Tag in der Scheune zu verbringen und Holz zu bearbeiten.“; antwortete Alex und schlug in die Hände seiner Freunde. „Na dann lass mal hören!“, forderten sie Alex auf. „Nicht mehr heute. Ich bin erledigt und will nur noch ins Bett. Ich erzähl es euch ein anders Mal.“
Ohne auf die Reaktion seiner Freunde zu warten, betrat Alex das Haus und knallte ihnen die Tür vor der Nase zu.
Der nächste Tag war das komplette Gegenteil zu den vergangenen drei Wochen. Es regnete in Strömen und ein kalter Wind streifte durch die Straßen des Dorfes. Der rasche Temperaturabfall auf nur noch zwanzig Grad kam vollkommen unerwartet. Und ausgerechnet heute musste Sarah den Schutz ihrer warmen vier Wände verlassen. Da sie gestern mit Alex im Wildpark gewesen war, hatte sie keine Zeit mehr gehabt, einkaufen zu fahren.
Also schlüpfte die in ihre schwarzen Stiefel mit dem kleinen Absatz und zog sich ihren Mantel über, damit der Regen sie noch vollkommen durchnässte.
Mit flinken Schritten und darauf bedacht in keine Pfütze zu treten, rannte Sarah zu ihren Jeep. Sie hatte sich ja gewünscht, dass es etwas kühler wird, aber nicht gleich so viel kühler. Durch die Unmengen an Wasser, das vom Himmel fiel, waren die Straßen rutschig und tückisch, auf den Weg zum Supermarkt.
Für den Fall, dass sich dieses Unwetter in den nächsten Tagen fortsetzen sollte, kaufte sie gleich mehr ein, damit sie einige Tage davon leben konnte. Ihr Einkaufswagen war brechend voll und nur mit einer sehr geschickter Packweise gelang es ihr alles in zwei Einkauftüten unter zubringen.
Wie durch ein Wunder hatte der Regen eine kleine Pause eingelegt, als sich die elektrischen Türen des Supermarktes hinter Sarah schlossen. Mit vorsichtigen, langsamen Schritten überquerte sie den Parkplatz.
Plötzlich aber verlor sie den Halt unter ihren Füßen und flog im hohen Bogen auf den nassen Asphalt. Die Tüten lösten sich dabei aus ihren Händen wobei sich um sie herum deren gesamter Inhalt verteilte.
Hinter sich hörte sie nur das schallende Gelächter von mehreren jungen Männern. Um sich nicht noch mehr die Blöße zu geben, unterdrückte Sarah den Drang sich nach den Männern umzudrehen und ihnen einen bösen Blick zuzuwerfen.
Zusammen mit seinen beiden Kumpels Flo und Tobi stand Alex auf der anderen Straßenseite, als er Sarah entdeckte. Sie lief gerade mit zwei schweren Tüten beladen über den Parkplatz des einzigen Supermarktes im Dorf.
Eher er sich versah, konnte er nur noch mit ansehen, wie Sarah auf einen der durchgeweichten Werbeprospekte des Ladens ausrutschte und hinten über fiel. Ihre gesamten Einkäufe verteilten sich auf dem Parkplatz um sie herum.
Flo und Tobi neben ihm, fingen sofort herzhaft an zu lachen. Man liebsten hätte er den beiden eine verpasst, doch stattdessen überquerte er die Straße. „Ihr seid doch echt solche Vollidioten.“, warf er den beiden noch an den Kopf.
Mühsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte sich Sarah auf, als Alex sie erreichte. „Hast du dir dolle wehgetan?“, fragte er führsorglich und hockte sich neben sie. „Nein es geht schon. Nur meine Einkäufe haben es wahrscheinlich nicht alle überlebt.“, meinte Sarah und sah sich das Schlamassel an. Zunächst einmal half Alex ihr wieder auf die Beine, bevor er mit dem Einsammeln der Tüten begann.
In der Zwischenzeit waren auch Flo und Tobi zu ihnen gestoßen und er konnte Sarah den finsteren Blick, den sie den beiden zuwarf nicht verübeln. Er selbst hätte ihnen noch mehr als nur einen bösen Blick zugeworfen.
„Wie wärs wenn ihr beiden endlich mal mit anfasst, anstatt nur blöd in der Gegend rum zustehen und mir zuzuschauen?“, murrte Alex seine Freunde an. Misswillig gingen auch die beiden nun in die Knie und schnappten sich die herumliegenden Lebensmittel.
Sarah beobachtete die ganze Aktion skeptisch vom Jeep aus. Sie lehnte sich gegen ihr Auto und rieb sich den Rücken, auf dem sie gelandet war.
Mit der Hilfe seiner Freunde war alles innerhalb von wenigen Minuten wieder verstaut. Als Alex die Tüten in ihr Auto verfrachtete, entschuldigte er sich für das schlechte Benehmen seiner Freunde. „Tut mir leid, dass sie über dich gelacht haben. Das sind Florian und Tobias. Und eigentlich sind sie echt gute Freunde, doch heute scheinen sie ihre gute Kinderstube zu Hause gelassen zu haben.“ „Ich glaube du bist mir doch lieber, als deine Freunde. Den ersten Eindruck haben sie auf jeden Fall versaut.“, antwortete Sarah verärgert.
Florian und Tobias hoben die Hand zum Gruß, als Alex und Sarah zu ihnen schauten.
Natürlich setzte auch wieder der Regen ein, der ihnen nur für ein paar Minuten eine Pause von sich gegönnt hatte. Vorsichtig und mit ganz kleinen Schritten humpelte Sarah zur Wagentür, damit sie schnell wieder ins Trockene kam. Bei jedem Schritt zog sie zischend die Luft ein. „Tut dir der Fuß weh?“ „Es wird schon gehen. In einigen Stunden wird er sich wieder beruhig haben. Soll ich euch mitnehmen, oder wollt ihr hier im Regen stehen bleiben?“, fragte Sarah und öffnete die Fahrertür.
„Ich schlage vor ich fahre. Wir werfen die zwei unterwegs raus und ich fahr dich dann nach Hause.“, mischte sich Alex ein und griff nach der Wagentür. Sarah hatte bereits Platz genommen und schien von seinem Vorschlag nicht gerade begeistert zu sein. Da der Regen aber immer stärker wurde, rutschte sie auf den Beifahrersitz und die beiden anderen nahmen auf der Rückbank platz.
So schnell wie es bei den schlechten Bedingungen war, lenkte Alex den Jeep durch die Straßen des kleinen Dorfes. An einer Ecke ließ er Flo und Tobi aussteigen. „Sie sind wirklich gar nicht so übel, glaub mir.“, versuchte Alex zu retten was zu retten war. Sarah nickte nur und schaute aus dem Fenster.
Am Bungalow angekommen, quälte Sarah sich aus dem Jeep und humpelte zur Haustür. Mit dem Einkaufstüten in den Händen folgte ihr Begleiter ihr. Ohne Stiefel und Mantel auszuziehen, steuerte Sarah direkt das Wohnzimmer an und ließ sich vorsichtig in die Polster des Sofas sinken.
Jeder Knochen im Leib tat ihr weh und fühlte sich an wie tausendmal gebrochen. Nur mit eiserner Willenkraft konnte sie ein Stöhnen unterdrücken. Sie war sowohl mit dem Hintern als auch mit dem Rücken auf den Boden geknallt. Der Aufprall hatte alle Luft aus ihren Lungen gedrängt und nur Schmerzen zurückgelassen.
Alex stellte die Tüten in der Küche ab und kam dann sofort zu ihr geeilt. „Ich werde dir jetzt vorsichtig den Stiefel ausziehen und mir deinen Fuß anschauen.“, meinte er, als er vor ihr in die Knie ging. Ihren Fuß hatte es wirklich am schlimmsten erwischt. Ein richtiges Auftreten war nicht mehr möglich gewesen. Bei jeder noch so kleinen Berührung mit dem Boden schoss jedes Mal ein Blitz durch ihren Körper, der sie zusammenzucken ließ. Anders war es auch jetzt nicht. Obwohl Alex mit äußerster Vorsicht den Stiefel von ihrem linken Fuß streifte, zog sie ihm den Fuß aus der Hand. Nachdem auch die Socke verschwunden war, sah man auf den ersten Blick, dass er bereits angeschwollen und blau verfärbt war. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Wo sie doch gerade erst neuen Mut gefasst hatte.
„Am besten du legst den Fuß erst einmal hoch und ich schaue, ob ich etwas zur Behandlung finde.“ Ganz vorsichtig, um ihr nicht noch mehr Leid zuzufügen, bettete Alex den verletzen Fuß auf eines der Kissen, welche auf dem Sofa verteilt waren.
„Im Bad ist der Erste-Hilfe-Kasten. Da müsste eigentlich alles drin sein was du brauchst.“, murmelte Sarah und zog erneut zischend die Luft ein. Da nicht viel Platz im Badezimmer war, wo sie den Kasten hätte verstauen können, war Alex sofort wieder bei ihr am Sofa.
Mit so leichten Berührungen, die sie im gar nicht zugetraut hatte, verfeilte Alex die schmerzlindernde Salbe auf der nun bläulichen Haut. Es folgten eine Kompresse und ein fester Verband. „Vielleicht wollte ich dich zu einem Arzt fahren. Ich konnte zwar jetzt nichts spüren, aber möglicherweise ist doch etwas gebrochen.“, schlug der junge Mann zu ihren Füßen vor. In seinem wirren, schwarzen Haar hat, hingen Wassertropfen, die im Licht der Deckenlampe glitzerten.
„Nein ich will zu keinen Arzt. In ein, zwei Tagen ist das wieder okay. Das ist nicht das erste Mal, dass ich mir den Fuß verknackst habe. Durch das fiele Wandern ist mir das schon häufiger passiert.“, beschwichtigte Sarah Alex. Zu einem Arzt gebracht zu werden, war nur wirklich das aller Letzte was sie wollte.
„Dann kühl den Fuß aber wenigstens, damit die Schwellung schneller zurückgeht.“ Mit dem Kompromiss waren beide zufrieden und nachdem ihr Hilfsarzt noch einen Tee für sie gekocht hatte, wollte er sich selbst auf den Weg nach Hause machen.
„Danke fürs nach Hause bringen und für deine Hilfe. An der Gardarobe hängt ein Regenschirm. Nimm den damit du nicht auch noch klatschnass wirst und dir eine Erkältung einfängst.“ „Mach ich. Brauchst du jetzt noch etwas. Im Moment bin ich noch hier.“ Leicht schüttelte sie den Kopf und nippte dann an der heißen Tasse in ihren Händen. „Okay unsere Telefonnummer hast du ja. Sollte irgendetwas sein oder du Hilfe brauchen, kannst du jeder Zeit anrufen, egal wie spät es ist.“ Mit einem ernsten Blick unterstrich Alex noch einmal sein Angebot.
Er machte sich wirklich Sorgen um sie. Dabei war er noch nicht einmal Schuld an ihrem Unfall, sondern ganz allein sie. Der Kerl steckte wirklich voller Überraschungen. Das Benehmen seiner Freunde war ihm sichtlich unangenehm gewesen. Vielleicht hoffte er hiermit den Schaden etwas zu verringern. Doch das war gar nicht nötig.
Am frühen Abend entschloss sich Sarah ins Bett zugehen. Sie hatte den ganzen Tag auf dem Sofa verbracht und versucht sich so wenig wie möglich zu bewegen. Dadurch hatte aber die Müdigkeit von ihr Besitz ergriffen und hatte ihre Lider immer schwerer werden lassen.
Ganz vorsichtig, um sich selbst zu schonen, erhob sich Sarah aus dem Polstern und hielt sich zunächst an der Sofalehne fest. Schrittchen für Schrittchen und immer mit der Hand an der Wand oder einem Möbel gestützt, humpelte sie in ihr Schlafzimmer.
Das Licht schaltete sie gar nicht erst an. Sie brauchte sich ja nur fallen zu lassen, damit sie auf ihrem Bett landete.
Damit die ersten Sonnenstrahlen sie am nächsten Morgen nicht schon in der Früh weckten, wollte Sarah das Rollo herunterlassen, als ihre Augen etwas erfassten.
Sie war sich nicht ganz sicher und kniff die Augen zusammen, damit sie es besser erkennen konnte. Durch den Regen und zwischen den dicken Stämmen, der alten Bäume, stand ein majestätischer, wunderschöner Wolf.
Er blickte direkt auf ihr kleines Haus und schien sie gar nicht zu bemerken. Es war von der Entfernung aus zu schätzen ein sehr großes Tier mit wunderschönem dunklem Fell. Doch am deutlichsten stachen seine goldenen Augen hervor.
Der Wolf war vollkommen ruhig und rührte sich nicht vom Fleck.
Die Position in der Sarah verharrt war, war überaus unbequem und ihr Rücken machte sie schmerzhaft darauf aufmerksam. Nur ganz langsam veränderte Sarah ihre Haltung auf dem Bett. Aber der Schmerz ließ sie zusammenzucken und erregte damit die Aufmerksamkeit des Wolfes.
Noch bevor sie einen letzten Blick auf dieses beeindruckende Tier werfen konnte, war es im Wald verschwunden.
Sarah konnte gar nicht glauben was sie eben gesehen hatte. Ihre Vermutung war also richtig gewesen. Es lebten tatsächlich Wölfe in diesen Wäldern, rund um den bayrischen Wald. Vor Freude stiegen ihr die Tränen in die Augen.
Schnell wischte sie die Tränen mit den Handrücken weg und musste über sich selber lachen. Nur weil sie endlich einen wildlebenden Wolf gesehen hatte, musste sie nicht gleich vor Glück anfangen zu weisen. Das war doch kindisch.
Sobald ihr Fuß wieder belastbar war, würde sie eine neue Wanderung durch den Wald machen und nach den Wölfen suchen. Sie wusste nun, dass es welche gab. Nun war es nur eine Frage der Zeit, bis sie auch die ersten richtigen Spuren von ihnen finden würde.
Nachdem sich Sarah auf dem Laken ausgebreitet hatte und den Kopf in den Kissen versinken gelassen hatte, bemerkte sie nicht mehr was vor ihrem Schlafzimmerfenster geschah.
Zwischen den Bäumen tauchte erneut eine Gestalt auf, die in der Dunkelheit aber nicht klar zu erkennen war. Auch diese beobachtete den Bungalow und vor allem seine Bewohnerin.
Kapitel 7
Ihr Fuß war auf das Doppelte angeschwollen. Zumindest hatte Sarah den Eindruck, als sie am nächsten Morgen den Verband wechseln wollte. Ihr gesamter Fuß von den Zehen bis hin zum Knöchel war in verschiedenen Blau- und Violetttönen verfärbt.
Jedes Mal wenn sie auch nur ganz leicht die verfärbte Haut berührte, zog Sarah zischend die Luft ein. Doch da musste sie jetzt durch. Nur wenn sie die Salbe sorgfältig verteilte und anschließend wieder einen festen Verband anlegte, konnte der Heilungsprozess ungehindert fortschreiten.
Jetzt erwies es sich als Vorteil, dass sie nur in einem kleinen Bungalow wohnte. Die Wege zwischen den einzelnen Räumen waren sehr gering und es befand sich immer etwas in reichweite auf dem sie sich stützen konnte. Ihren Fuß zu belasten, wagte Sarah noch nicht, deshalb hüpfte sie auf einen Bein in die Küche. Ein Flamingo würde sie auslachen, wenn er sie so sah. Vollkommen wacklig auf dem einen Bein und eigentlich auch total hilflos.
Gerade als sie Wasser in die Kaffeemaschine gießen wollte, fiel Sarah ein, dass sie die Tasse mit dem Kaffee niemals heil und ohne etwas zu verschütten ins Wohnzimmer tragen konnte. Das Einbeinige stehen, war jetzt schon der reinste Balanceakt.
Also musste sie auf den Kaffee am Morgen, an diesem Morgen verzichten.
Plötzlich hörte sie wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte und Sarah blieb entsetzt in ihrer wackligen Position stehen. Ihr Blick war fest auf die Eingangstür des Bungalows gerichtet. Dann war das Zurückschnappen des Schlosses zu hören und die Tür wurde aufgestoßen.
Ein Schrei blieb Sarah im Halse stecken, als sie sah wer da zur Tür hinein kam.
„OH mein Gott, Peter haben sie mir einen Schrecken eingejagt!“, stieß Sarah erleichtert aus. „Guten Morgen Sarah. Tut mir Leid ich wollte dich nicht erschrecken.“, antwortete der alte Mann und schloss die Tür hinter sich.
„Alex hat mir von deinem Unfall erzählt. Am liebsten wäre er selbst vorbei gekommen, um nach dir zu schauen. Aber er muss die Kommode bis heute Abend fertig stellen, denn da kommt sein Kunde um sie abzuholen.“, erklärte Peter weiter und kam zu Sarah hinüber. Um ihm Platz zu machen, wollte sie einen Schritt beiseite machen, wodurch sie aber aus dem Gleichgewicht geriet und beinahe umfiel. „Schön vorsichtig junge Dame. Ich hatte gedacht du schläfst noch, darum habe ich den Ersatzschlüssel benutzt. Und nun mach es dir auf dem Sofa bequem. Ich habe Frühstück mitgebracht.“
Sarah wusste gar nicht was sie sagen wollte. Sie war so gerührt von der Aufmerksamkeit des alten Mannes, das ihr die Worte fehlten. Zielsicher steuerte Peter die Küche an und schon bald war der angenehme Duft von frisch aufgebrühten Kaffee zu riechen.
„Hübsch hast du es hier gemacht.“, staunte Peter und sah sich in dem kleinen Wohnzimmer um. „Besser hätte man es nicht machen können. Wie geht es deinem Fuß?“ „Schon besser. Er sieht zwar so aus, als wäre ich in einen Eimer blauer Farbe getreten, aber ansonsten fühlt es sich schon besser an.“
Peter schaute Sarah etwas skeptisch an. Er ahnte wohl, dass dies nicht ganz er Wahrheit entsprach. Doch er sagte nichts weiter dazu. Stattdessen trug er Tassen, Teller, Messer und Marmelade aus dem Kühlschrank ins Wohnzimmer und verteilte alles auf dem Kleinen Fernsehtisch. Nachdem auch der Kaffee eingeschenkt war, setzte sich Peter zu Sarah aufs Sofa und frühstückte ausgiebig mit ihr.
„Das war gestern aber auch ein Sauwetter. Da musste ja irgendetwas passieren.“, brummte er in seinen Bart hinein. „Das ist nicht das erste Mal, dass ich mir den Fuß verletzt habe. Also bin ich es gewohnt. Ich ein paar Tagen ist alles wieder in Ordnung. Aber sagen Sie mal Peter, Sie waren doch Förster in diesem Wald. Können Sie mir irgendetwas über Wölfe erzählen, die sich in diesen Wäldern aufhalten?“ Sarah nippte an ihrer Tasse und fühlte sich gleich um einiges Besser. Es war wohl einfach aus der Gewohnheit heraus, dass ihr der Kaffee am Morgen gefehlt hatte.
„Nun sei doch nicht so förmlich. Ich hatte doch gesagt du sollst mich duzen. Also was die Wölfe angeht, kann ich dir leider nicht allzu viel sagen. Zu meiner Zeit waren keine Wölfe hier angesiedelt, nachdem sie vor vielen Jahrzehnten vertrieben wurden waren.“
„Ich frage nur, weil ich Spuren gefunden habe, die aber nicht eindeutig als Wolfsspuren zu erkennen waren, da es beinahe so wirkte, als wurden sie absichtlich unkenntlich gemacht. Wie auch immer. Hast du denn sonst irgendetwas von Wölfen gehört, die hier gesichtet wurden oder sich hier wieder angesiedelt haben?“, fragte Sarah weiter. Jetzt hatte sie schon einmal die Gelegenheit in Ruhe mit Peter zu reden, da wollte sie nicht gleich wieder Kleinbeigeben. „Nein. Leider ist mir auch da nichts bekannt, aber ich kann mich ja mal umhören. Vielleicht ist doch jemandem in diesem verschlafen Dörfchen etwas aufgefallen. „Das wäre sehr nett von dir.“
Das gemeinsame Frühstück war überaus amüsant. Peter erzählte Gesichten aus dem Dorf und von seiner Zeit als Förster, während Sarah ihm von ihrem Studium berichtete und wie sie überhaupt auf die Idee gekommen war diesen Weg einzuschlagen.
Gegen Mittag verabschiedete sich Peter mit der Aussicht, dass Alex möglicherweise noch einmal vorbeikommen würde, sobald seine Arbeit erledig sein. Es hatte ihn unheimlich gewurmt, dass er es nicht jetzt schon hatte tun können. Weswegen er seinen Vater losgeschickt hatte.
„Hey Alex und wie geht es unserem kleinen Tollpatsch? Hast du sie heute schon besucht?“, fragte Florian, als er zusammen mit Tobi die alte Scheune betraten. Der unterschwellige belustigte Ton war dabei kaum zu überhören.
„Was wollt ihr denn hier? Ich habe doch geschrieben, dass ich keine Zeit habe.“ „Als ob uns das schon jemals abgehalten hätte.“, grinste Tobi und lehnte sich an einen der Holzbalken.
Alex musste ein paar Mal tief durchatmen. Durch Sarahs Unfall gestern war sein Zeitplan aus den Fugen geraten. Die verlorenen Stunden musste er jetzt versuchen irgendwie wieder aufzuholen. „Ich muss das heute fertig bekommen. Der Kunde kommen heute Abend, um die Kommode abzuholen, da kann ich euch hier absolut nicht gebrauchen.“, brummte Alex seine Freunde an und setzte sich die Schutzbrille wieder auf die Nase.
„Wir werden dir schon nicht im Weg herumstehen.“ Wer´s glaubt wird selig, dachte Alex und schmiss die Schleifmaschine an.
„Nun sag doch schon Alex. Wie geht es der Kleinen denn nun? Sie hat ja gestern einen ganz schönen Flug hingelegt.“, versuchte es Flo noch einmal. „Sie hätte euch gestern doch besser im Regen stehen lassen sollen. Gestern Abend war der Fuß schon dick und geschwollen, sodass Sarah kaum auftreten konnte ohne vor Schmerz zu schreien. Wie es ihr heute Morgen geht weiß ich noch nicht, da ich ja nicht persönlich bei ihr vorbeischauen konnte, aus euch bekannten Gründen.“, antwortete Alex nun schon leicht gereizt, nicht in Ruhe weiterarbeiten zu können. „Nun hab dich doch nicht so Junge. Es sah nun mal zu komisch aus. Und so wie es scheint, hast du wohl ein Auge auf sie geworfen.“ Die beiden jungen Männer fingen herzhaft an zu lachen, was Alex Geduldfaden beinahe zum Reißen brachte.
„Haltet doch endlich einfach mal Klappe und lasst mich weiterarbeiten. Im Moment stört ihr einfach nur.“
So wie es schien, hatten Florian und Tobias endlich verstanden, dass sie ziemlich störend waren, sodass sie einfach still zusahen. Alex wäre gerne selber vor ein paar Stunden noch einmal zu Sarah gegangen, aber dies war einfach nicht drin. Dafür war dieser Auftrag einfach zu wichtig. So viele Kunden hatte Alex für seine selbstgebauten und entwerfenden Möbel noch nicht, also musste er sich um so mehr ins Zeug legen, um neue Kundschaft anzulocken.
Damit ihn kein so schlechtes Gewissen plagte, hatte er stattdessen seinen Vater gebeten, doch noch einmal bei Sarah vorbeizuschauen und sich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen.
Das war allerdings nun auch schon fast drei Stunden her. Entweder ging es Sarah besser und die beiden unterhielten sich ausgiebig, oder aber ihr Zustand war schlimmer geworden, dass sein Vater sie nur ungern alleine in dem abgelegenen Bungalow ließ.
Alex mahnte sich selbst zur Ordnung. Er brauchte seine volle Konzentration, damit er keine Fehler in das wunderschöne Stück Holz machte.
„Ich geh uns mal was zu trinken holen. Heute ist es schon wieder so heiß, als hätte es den gestrigen Tag gar nicht gegeben. Das war echt mal eine angenehme Abwechslung, wenn man von dem Regen absieht.“, meinte Tobias hüpfte von der Holzkiste und schlenderte aus dem angelehnten Scheunentor.
Alex bekam von all dem nichts mit. Seine Freunde vertrieben sich auch ohne ihn die Zeit. Und dies taten sie dankenswerter Weise auch in einem ruhigen Zustand. Erst als ihm eine Flasche Cola auf den Arbeitsplatz gestellt wurde, blicke Alex wieder auf. Seine Haare klebten ihn an der Stirn und die Hitze in der alten Scheune wurde immer unangenehmer.
„Okay Jungs, Pause. Weswegen seit ihr überhaupt hergekommen?“ „Na ja einen bestimmten Anlass gab es eigentlich nicht. Katja ist uns nur einfach ziemlich auf die Nerven gegangen und deshalb haben wir uns zu dir geflüchtet. Sie macht sich Sorgen wegen deiner kleinen Freundin. Katja behauptet die ganze Zeit sie könnte uns Schwierigkeiten machen und will, dass wir uns und vor allem du von Sarah fern halten.“, erklärte Florian und nahm einen großen Schluck aus seiner eigenen Colaflasche. „Sie übertreibt immer gleich so.“, fügte Tobi hinzu und schüttelte leicht den Kopf.
„Da hast du allerdings Recht. Sarah ist vollkommen okay. Für sie zählen nur die Tiere und alles was mit ihnen zu tun hat. Sie wird nun wirklich keine Gefahr darstellen. Da müsste schon etwas Ungewöhnliches passieren.“
Bevor sich die jungen Männer noch mehr über Katjas übertriebene Vorsichtigkeit aufregen konnte, klopfte es am Scheunentor.
„Hey Jungs, mal wieder nichts besseres zu tun?“ „Heute Onkel Peter. Wie geht’s denn so den alten Knocken?“ „So gut wie es ihnen in meinem Alter gehen kann.“, antwortete Herr Miller grinsend zurück.
Alex war froh endlich seinen Vater zu sehen. Sofort ging er zu ihm hinüber ans Tor und erkundigte sich nach Sarah. „Und wie geht es ihr?“ „Sie macht eigentlich einen guten Eindruck. Ziemlich wacklig noch auf den Beinen und deshalb vollkommen unbeholfen. Aber ich denke sobald es dem Fuß wieder etwas besser geht, wird sie die Wälder wieder durchstreifen. Ich hab mich übrigens köstlich mit ihr unterhalten.“
Das waren doch schon einmal gute Neuigkeiten. „Danke Dad, dass du noch mal nach ihr geschaut hast. Der Sturz hatte Sarah ganz schön mitgenommen.“ „Überhaupt kein Problem. Die Kleine ist mir genauso ans Herz gewachsen wie dir, auch wenn sie erst wenige Wochen hier bei uns im Dorf wohnt. Sarah ist nett und wissbegierig, das gefällt mir.“, meinte Peter und klopfte seinem Sohn auf den Rücken.
„Sarah ist mir gar nicht ans Herz gewachsen. Ich fühlte mich ihr gegenüber nur verpflichtet nach ihr zu schauen.“, protestierte Alex und schaute etwas dumm aus der Wäsche. „Das kannst du jedem anderen erzählen aber nicht mir. In fünfundzwanzig Jahren habe ich dich gut genug kennen gelernt, um das zu wissen.“
Damit verabschiedete sich Herr Miller und nahm seinen Platz vor dem Haus mit der Tageszeitung ein, wo er immer saß.
Sein Vater war heute schon der zweiter, der ihm unterstellte etwas für Sarah zu empfinden. Doch das war so ein Blödsinn. Sie und er neckten sich gegenseitig aber mehr war da nun wirklich nicht.
Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr mahnte ihn nicht noch mehr Zeit zu vergeuden, weswegen Alex an seine Arbeit zurückehrte.
Kapitel 8
Sein Kunde war vor wenigen Minuten gegangen. Das Strahlen in seinen Augen hätte schon als Lohn genügt. Dennoch war der Scheck in seiner Hosentasche mehr als beruhigend. Somit war der nächste Monat gerettet. Alex hasste es seinem Vater auf der Tasche zu liegen. Und das sollte nach der Aussage seines Kunden nun auch endlich vorbei sein.
Man hatte Alex an Freunde und Bekannte weiter empfohlen und er konnte sich in nächste Zeit auf viele Neue Aufträge freuen.
Florian und Tobias waren am späten Nachmittag gegangen. Ihrem Freund die ganze Zeit bei der Arbeit zuzuschauen, war ihnen anscheinend doch zu langweilig gewesen.
Erleichtert und geschafft blickte Alex auf seine Armbanduhr. Sie Sonne war schon beinahe vollständig hinter dem Horizont verschwunden und in wenigen Minuten schlug die Glocke im Dorf zehn Uhr.
Ein Versuch war es auf jeden Fall dennoch wert, dachte Alex und schloss das Scheunentor hinter sich. Mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, ging Alex in Richtung Wald. Wenn noch Licht im Bungalow brennen sollte, wollte Alex bei Sarah klingeln und noch einmal nach ihr schauen. Sein Vater hatte zwar gesagt, dass es ihr gut gingen aber er wollte sich trotzdem noch einmal selbst davon überzeugen.
Schon aus der Entfernung sah er das warme, gelbe Licht durch das satte Grün der Umgebung scheinen. Auf Alex Gesicht erschien ein leichtes Lächeln. Sarah ging es definitiv besser, wenn sie heute schon wieder so lange auf den Beinen war.
Durch die kleinen Fenster des Bungalows konnte er einen kurzen Blick in das Innere werfen.
Sarah humpelte immer noch wacklig durch ihr neues zu Hause. Sie hatte sich eines ihrer vielen Bücher aus dem Regal geholt und wollte es sich gerade wieder auf dem Sofa bequem machen, als es an der Tür klingelte. „Peter, wenn du es bist, kommt einfach rein.“, rief Sarah und hielt sich zur Sicherheit, falls es jemand anderes sein sollte wacklig auf ihrem gesunden Fuß. Eine Antwort erhielt sie nicht, sodass Sarah sich auf dem Weg machte mit kleinen, wackligen Sprüngen, um die Haustür zu erreichen.
Gerade als sie nach der Klinke greifen wollte, wurde der Türknauf gedreht und die Tür vorsichtig geöffnet. „Guten Abend Sarah. Ich hoffe ich störe nicht.“, begrüßte Alex sie, als er den Kopf durch den Türspalt steckte. „Nein du störst nicht, aber hättest du die Tür nicht etwas schneller aufmachen können? Ich bin gerade den gesamten Weg vom Sofa hierher gehumpelt.“, antwortete Sarah und drehte sich um, nachdem Alex die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Ich habe den Schlüssel in meiner Hosentasche gesucht. Beim nächsten Mal komme ich ohne zu klopfen rein. Mal sehen was du dann dazu sagst.“, neckte Alex sie und ein Grinsen breitete sich auf seinem gebräunten Gesicht aus. Seine Haare waren so durcheinander wie immer, nur dass sie heute auch noch an seiner Stirn klebten. „Okay dann bleiben wir lieber bei dieser Variante. Schließlich will ich nicht, dass du plötzlich unerwartet in meinen Haus stehst und mich in einer unangenehmen Situation vorfindest.“
Endlich am Sofa angekommen, ließ sich Sarah darauf nieder und griff wieder nach ihrem Buch.
„Wie geht es dir? Vater hatte zwar gesagt du schlägst dich gut, aber ich dache ich schaue lieber noch einmal selbst vorbei.“ Alex blieb im Türrahmen zwischen Flur und Wohnzimmer stehen. „Ich komme zurecht. Die Salbe scheint schon zu wirken, also werde ich in ein paar Tagen wieder auf dem Damm sein.“
Sarah hatte wegen der Hitze nur ein kurzes mint-farbenes Nachthemd mit dünnen Trägern an. Die Haare hatte sie nur locker hochgesteckt, sodass sich vereinzelt braune Strähnen um ihr Gesicht kringelten. Dieser Anblick hatte schon etwas für sich.
„Peter hatte erwähnt, der Kunde für deine Kommode sei heute Abend gekommen. Hast du sie noch rechtzeitig fertig bekommen?“ Sarah zog die Beine an sich heran und deutete mit der Hand auf dem Platz neben sich, damit Alex nicht länger dumm mit Raum herumstand.
„Ja ich habe es gerade so noch geschafft. Flo und Tobi haben mich zwar etwas abgelenkt und von der Arbeit abgehalten, aber am Ende war das gute Stück dann genau so wie ich es haben wollte.“ Alex nahm den Sitzplatz gerne an. Der Tag hatte ihn doch mehr abverlangt, als er gedacht hatte.
„Warum baust du eigentlich all diese Möbel? Ich das eher ein Hobby oder dein Beruf?“, erkundigte sich Sarah um ein Gespräch aufzubauen. Ihr war es unangenehm einfach nur schweigend neben Alex zu sitzen, obwohl er doch noch einmal zu ihr gekommen ist, um zu schauen wie es ihr geht.
„Ich habe dir doch erzählt, dass ich Schreiner und Tischler bin. Ich versuche mich selbstständig mit dem Herstellen von hochwertigen Möbelstücken zu machen. Im Moment bin ich noch auf jeden Auftrag angewiesen, den ich bekommen, aber in den nächsten Monaten könnte sich das möglicherweise ändern.“ „Da hast du dir aber ganz schön was vorgenommen.“ „Ja ich weiß, aber ich hab Spaß daran. Zumindest will ich es versuchen, damit ich mir später nicht vorwerfen kann, dass ich es nicht wenigstens versucht habe.“
Alex schloss kurz die Augen und schaute dann zu Sarah hinüber. Sie sah gut aus. Die Farbe es Nachthemdes stand ihr wirklich gut. „Wenn du etwas trinken möchtest, bedien dich. Ich würde dir ja selbst etwas bringe, aber ich glaube bis ich hier wäre, wäre auch das Glas wieder leer.“, scherzte Sarah und wischte sich mit der Hand über die Stirn.
„Das ist lieb von dir, aber ich brauche nichts. Möchtest du was.“ Sarah schüttelte den Kopf und legte das Buch in ihren Händen auf den Fernsehrtisch. Solange Alex hier bei ihr war, würde sie eh nicht zum Lesen kommen.
Nach einer Woche tatenlosen Rumsitzen, hatte Sarah genug davon. Ihr Fuß hatte sich gut von dem Umfall erholen. Er war zwar noch etwas geschwollen und geld-grün verfärbt, dennoch war das Auftreten kein Problem mehr.
Von Tag zu Tag hatte Sarah sich mehr zu getraut und seit gestern konnte sie wieder normal und ohne Schmerzen durch ihren Bungalow schlendern.
Diese vier Wände konnte sie einfach nicht mehr sehen, also schlüpfte Sarah in ein weißes T-Shirt und kurze Jeans und machte sich auf den Weg raus in die Natur. Durch ihre Lange Abstinenz nah Sarah ihr Umgebung wieder viel intensiver wahr. Die frische wieder warme Luft, das gebrochene Licht, das durch das dicke, grüne Laub der Bäume brach und die ganzen verschiedenen Geräusche.
Zur Sicherheit sah sich Sarah ganz genau in ihrer Umgebung um und setzte jeden ihrer Schritte gezielt auf den Boden. Man musste ja eine verheilte Verletzung nicht gleich wieder überstrapazieren. Viel an Ausrüstung hatte Sarah nicht eingepackt. Nur ihren Zeichenblock und die Kamera. Sie hatte auch nicht wirklich vor heute auf Spurensuche zu gehen. Vielmehr war es ein Ausflug in die Natur.
Sarah wusste genau wo sie hinwollte und steuerte ihr Ziel auf den schnellsten und sichersten Weg an. Hier und da brach ein Vogel aus dem Gebüsch oder ein flinkes Eichhörnchen kreuzte ihren Weg. Das Fell des kleinen Tierchens schimmerte im Sonnenlicht genau so wie ihre Haare.
Ein angenehmes, friedliches Gefühl breitete sich in Sarahs Bauch aus und drang bis in den letzten Winkel ihres Körpers vor. Sie fühlte sich in ihre Kindheit zurück versetzt. Oft war sie mit ihren Eltern im Wald spazieren gegangen und hatte immer wieder etwas Neues entdeckt. Eine schönere Kindheit konnte sich keiner wünschen.
Nachdem sie die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatte, war das sanfte, immer noch sehr leise Rauschen von Wasser zu hören. Ein strahlendes Lächeln erschien auf dem Gesicht der jungen Frau und ein Leuchten erfasste ihre Augen, das mit der Sonne wetteiferte.
Als Sarah endlich den kleinen Bach erreichte, war sie dort, wo sie schon die ganzen letzten Tage nur hinwollte. Das glitzernde Wasser floss und sprang über die kleinen Steine auf dem Grund. Durch den leichten angenehmen Wind wurden winzige Tröpfchen mitgetragen und landeten auf Sarahs nackten Armen und Beinen.
Vollkommen entspannt und im Reinen mit sich selbst schritt Sarah den Bach entlang. Sie folgte der Strömung, die tiefer in den Wald führte und ihr neue Orte offenbarte an denen sie zuvor noch nicht gewesen war.
Je länger sie neben dem Bach entlang ging, desto breiter wurde er und war nach einigen Metern schon ein richtiger Fluss.
In einer Senke sammelte sich das Flusswasser zu einem kleinen Teich, bevor es weiter abwärts floss. In dem Teich war das klare Wasser ganz ruhig. Man konnte kaum eine Bewegung wahrnehmen. Das war der ideale Ort für deine Pause. Sarah legte ihre Tasche ab und setzte sich auf den Boden, wo hier und da dicke Büschel Gras wuchsen.
Vorsichtig löste Sarah die Schleife ihrer Schuhe und zog sie aus. Die dünnen Socken folgten gleich darauf. Skeptisch betrachtete Sarah ihren verfärbten Fuß von allen Seiten. Ein leichtes Puckern war zu spüren, was sicherlich von der ungewohnten Belastung kam. In der letzten Woche war sie nicht gerade viel unterwegs gewesen.
Da fiel Sarahs Blick auf den Teich vor ihr. Warum eigentlich nicht, dachte sie und tauchte ihren verletzen Fuß in das kühle Nass. Es fühlte sich himmlisch an. Den zweiten Fuß ließ sie ebenfalls ins Wasser sinken. Auf den Händen stützte sie sich ab und reckte das Gesicht zur Sonne. Die warmen Strahlen trafen auf ihre freiliegende Haut und verströmten eine wohlige Hitze.
Die Geräusche der Natur strömten auf sie ein. Jede noch so kleine Nuance nahm Sarah in sich auf. Die Wärme der Sonne. Die Kühle des Wassers. Der Geruch der Wiesen und die Gesänge der Waldbewohner.
Als nach einer gefühlten Ewigkeit, die Sonne aus ihrem Gesicht wich, stellte Sarah erst fest, wie sie Zeit verstrichen war. Obwohl sie eigentlich noch nicht zurück in ihren Bungalow wollte, wurde es dennoch langsam Zeit zu gehen.
Doch in dem Moment, als sich Sarah wieder aufsetze und ihre Beine aus dem Wasser ziehen wollte, erfassten ihre Augen etwas mit dem sie überhaupt nicht gerechnet hatte.
Sie hatte immer gedacht es waren vielleicht die Nachbeben des Sturzes gewesen, als sie geglaubt hatte in der Nacht zwischen den Bäumen von ihrem Schlafzimmerfenster dieses Tier gesehen zu haben. Aber nun wusste sie, dass es doch keine Einbildung gewesen war.
Im Dickicht stand ein riesiges Tier. Sarah musste mehrmals blinzeln, um sicher zu sein, dass sie richtig sah. Auf der anderen Seite des Flusses stand der wunderschöne schwarze Wolf, der in der Nacht vor einer Woche vor ihrem Haus gestanden hatte.
Sarah traute sich gar nicht sich überhaupt auch nur einen Millimeter zu bewegen, aus Angst der Wolf würde wieder verschwinden.
Der Blick des Tieres war auf sie geheftet und ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Jede noch so kleine Bewegung ihrerseits folgten seine Augen seinerseits. Diese strahlten wie pures Gold und sein Fell war schwarz wie die Nacht.
Millimeter für Millimeter wanderte Sarahs Hand in Richtung ihrer Tasche. Sie musste diesen Moment einfach festhalten. Entweder in Form eines Fotos oder einer Zeichnung. Endlich spürte sie den Stoff ihrer Tasche und zog sie schnell an sich. Das Gesicht wandte auch sie in der Zeit nicht von dem Wolf ab. Und wie durch ein Wunder blieb auch er genau an der Stelle stehen wie zuvor.
Ein leichtes Knurren war zu hören, sodass Sarah sofort in ihrer Bewegung inne hielt. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Dies war das erste Mal, dass sie einen Wolf in freier Natur sah. Und dann war es auch noch so ein riesiges Tier. Vollkommen unnormal nach ihrem Wissen. In ihrer Tasche ertastete sie den Zeichenblock und den daran befestigten Bleichstift. Nur ganz langsam zog sie beides heraus und legte es auf ihren Schoß.
Das Blatt war zerknitterst, doch das war in diesem Moment vollkommen egal. Mit gezielten, schnellen Bewegung flog der Bleistift über das weiße Blatt. Mit jedem Strich entstand ein exaktes Ebenbild des Wolfes, der ihr gegenüber stand.
Besonders diese faszinierenden Augen wollte sie festhalten. Der Wolf blieb die ganze Zeit vollkommen ruhig stehen und zeigte nicht das geringste Anzeichen zu flüchten oder sie anzugreifen. Dass Wölfe Menschen angreifen, war sowieso eher selten. Lieber hielten sie Abstand. Nur wenn man sie bedrängte und ihnen das Fressen nahm, konnte es zu Angriffen kommen.
Kaum hatte Sarah den letzen Strich gesetzt und den Bleistift auf den Block sinken gelassen, sprang der Wolf zurück ins Gebüsch. Wie aus Reflex rief Sarah den Wolf nach. „Warte!“ Dies war vollkommener Unsinn. Warum sollte dieser Wolf auf sie hören?
Sarah wunderte sich über sich selbst. Mit gesenktem Kopf schallte sie sich als eine Idiotin und zog ihre Füße aus dem Wasser.
Sobald sie abgetropft waren, zog sich Sarah wieder ihre Schuhe an und stand auf. Durch das lange stille dasitzen war sie etwas wacklig auf den Beinen. Aber nach wenigen Schritten zirkulierte das Blut wieder normal durch ihre Beine. In der Hand hielt sie noch immer den Zeichenblock. Es war ihr wirklich gelungen den intensiven Ausdruck festzuhalten. Sie war so glücklich darüber, dass sie es einfach nicht beschreiben konnte. Mit vor Glück glühenden Herzen ging Sarah zurück und durchlief immer und immer wieder dieses Zusammentreffen.
Kapitel 9
Der Wind wehte ihm durch das Fell. Mit schnellen Schritten und geschmeidigen Bewegungen rannte er durch den Wald.
Er hätte sich ihr nicht zeigen dürfen. Sofort, als sie ihn entdeckt hatte, hätte er verschwinden sollen und sie weiter aus dem Dickicht beobachten müssen. Die junge Frau stand schon seit ihrem Ankommen unter seiner Beobachtung. Jeder ihrer Schritte wurde von ihm und seinen Gefährten genaustens verfolgt. Keine Tat blieb unbeobachtet.
Sie war eine Fremde in ihrem Gebiet und stellte mit ihren Nachforschungen eine Gefahr für ihn und alle anderen seiner Art dar.
Dennoch hatte er keine Angst vor ihr gehabt. Sie hatte vollkommen entspannt an dem kleinen See gesessen. Die Füße ins kühle Wasser getaucht. Durch dessen Klarheit war auch immer noch die leichte Verfärbung ihres Fußes zu sehen gewesen. Die im Sonnenlicht leicht rötlich schimmernden Haare wehten sachte im Wind.
Doch es war ihr Blick gewesen, der in daran gehindert hatte sich zu verstecken. Diese faszinierten, glänzenden Augen. Darin war keine Angst oder Furcht zu erkennen gewesen. Nur Bewunderung und Freude. Ihre Entscheidung an Stelle der Kamera ihren Skizzenblock zu greifen war gut gewesen. Eine Zeichnung sollte keinen klaren Beweis liefern. Im Gegensatz zu einem Foto.
Hinter sich vernahm der Wolf die schnellen Schritte seiner Freunde und Gefährten. Kurz danach brachen sie durch das Unterholz und schlossen sich ihm an. Ein leichtes Knurren war ihre Begrüßung. Im Gleichschritt setzen die drei Wölfe ihren Weg in der einbrechenden Dunkelheit fort.
Kaum war sie in ihrem Bungalow angekommen, ging Sarah in ihr Schlafzimmer und ließ sich auf den Holzboden sinken. Sie hatte unter dem Bett eine Kiste mit Dingen verstaut, die sie nicht täglich benötigte. Unter anderem bewahrte Sarah darin auch unzählige Bilderrahmen auf, die sie für die Dekoration ihres neuen Zuhauses vorgesehen hatte.
Sarah wusste genau welchen Bilderrahmen sie suchte. Es war ein schlichter dunkelbrauner Rahmen, der ideal war, um ihre Zeichnung zum Blickfang zumachen und gleichzeitig nicht zu erdrücken.
Auf ihr Bett legte sie den Skizzenblock und daneben den Bilderrahmen. Ohne große Umschweifen entfernte Sarah die Rückwand und legte vorsichtig ihre Zeichnung hinein. Danach legte sie die Pappe darauf und drehte die Hacken zurück in Position. Wie sie gehofft hatte, sah es einfach wunderbar aus.
Suchend schaute sich Sarah in ihrem Schlafzimmer um. Für so ein Bild musste man einen geeigneten Platz finden. Direkt über der Kommode hing ein großer quadratischer Spiegel. Genau daneben zwischen Spiegel und Fenster erklärte Sarah für den idealen Platz. Nur noch ein Nagel in die Wand und ein weiteres Bild würde die Wände des Bungalows schmücken.
Immer wieder verfolgte sie das Zusammentreffen mit diesem wunderschönen, ungewöhnlich großen Wolf in ihrem Kopf. Es war zwar schon ein paar Tage her, aber es kam ihr immer noch so vor, also säße sie in diesem Moment noch an dem kleinen Teich.
Ihr Fuß war inzwischen wieder voll einsatzfähig. Die Verfärbungen hatten nachgelassen und die Schwellung war vollständig zurückgegangen.
Natürlich hatte Sarah gehofft den Wolf noch einmal aufzuspüren, doch das Glück war gegen sie. In den folgenden Tagen hatte sie noch nicht einmal die kleinste Spur oder ein Anzeichen für die Existenz von Wölfen in diesem Wald gefunden. Als hätte man alle mit Absicht verschwinden lassen. Doch Sarah wollte ihr Glück nicht überstrapazieren, also ließ sie es langsam angehen und fertigte aus ihrer Erinnerung heraus noch weitere Skizzen an. Sie waren nicht so gut wie die erste, da sie ja keine lebende Vorlage hatte, dennoch konnten sie sich sehen lassen. Sarah machte vor allem Datailskizzen, wo sie zum Beispiel die Pfoten oder die Augen nur zeichnete.
Auf ihrem kleinen Wohnzimmertisch lagen nun mindestens zehn Blätter von diesen Skizzen. Dazwischen sah man noch ihr Forschungstagebuch und ihre Aufzeichnung von ihrem Studium. Zwischen all diesen Unterlagen blätterte sie immer wieder hin und her. Las dort etwas und schaute hier noch einmal nach, zur Bestätigung.
Die Zeit verstrich, und die Sonne versank allmählich hinter den Spitzen und Kronen der alten, ehrwürdigen Bäumen. Das Licht im Wohnzimmer wurde immer weniger und färbte alles in ein sanftes rot, doch auch davon ließ sich Sarah nicht stören. Sie bemerkte ja noch nicht einmal wie es immer dunkler um sie herum würde, sodass sich ihre Augen immer mehr anstrengen mussten, um die schnell geschriebenen Buchstaben in ihren Aufzeichnungen lesen zu können. Ihr Magen hatte es schon vor einer ganzen Weile aufgegeben sich bemerkbar zu machen, denn auch dem hatte Sarah keine Beachtung geschenkt.
Sie war voll und ganz in ihre Gedanken versunken, wodurch sie auch vor Schreck durch das halbe Zimmer sprang, als es unerwartet an ihrer Haustür klopfte. Wobei das Klopfen eher einem Hämmern ähnelte. Sarah presste die Hand auf ihre Brust und konnte sich keinen Millimeter rühren.
Als es nun ein zweites Mal klopfte, fand Sarah mit etwas Mühe ihre Stimme wieder.
„Ja?“
Ihre Stimme zitterte etwas, da ihr Herz immer noch wie wild klopfte von diesem Schreck. Von draußen konnte sie mehrere Stimmen hören, die sie aber nicht sofort zuordnen konnte.
„Ich hab dir doch gesagt sie ist da.“ „Es ist stockfinster im Haus, da darf man doch vermuten, dass niemand zu Hause ist.“
Es waren die Stimmen von Männern, die da anscheinend vor ihrem Bungalow diskutierten. Sarah hatte eine dumpfe Vermutung wer da vor ihre Haustür stand, weshalb sie in den Flur trat, kurz noch einmal an der Tür lauschte und diese dann aufriss.
„Das darf doch jetzt nicht wahr sein.“, rief sie aus und hielt mit einem Arm die Tür auf und mit dem anderen stützte sie sich am Türrahmen ab. Die drei Männer, die vor ihrer Tür standen, waren augenblicklich verstummt und schauten sie mit großen Augen an.
„Was gibt’s denn? Ober habt ihr nur aus Langeweile beinahe die Tür eingeschlagen, so wie ihr gegen sie gehämmert habt?“
„Hey Sarah wie geht’s denn so?“, fragte dann endlich, immer noch etwas aus dem Konzept gebracht Florian sie. Gemeinsam mit Alex und Tobias standen die drei im Halbkreis vor der Haustür.
„Danke bis eben ging es mit ausgezeichnet. Warum fragst du?“, fragte Sarah etwas spitz, denn ihre letzte Begegnung mit den dreien war ihr noch sehr lebhaft in Erinnerung. „Na ja wir wollten einfach mal nach dir schauen und nachfragen was denn dein Fuß so macht“, meldete sich jetzt Tobias zu Wort.
„Das fällt euch aber wirklich früh ein. Mein Unfall, den ihr ja so amüsant gefunden habt, ist schon über zwei Wochen her. Mittlerweile ist alles wieder verheilt und in seinem ursprünglichen Zustand. Aber danke, dass ihr überhaupt fragt. Das hat euch bestimmt eine riesige Überwindung gekostet.“, feuerte Sarah zurück.
Alex fing schallend an zu lachen und drehte sich von der kleinen Gruppe ab. Zwischen seinen Lachanfällen bracht er noch ein paar schwer verständliche Worte heraus. „Ich hab euch doch gesagt ihr hättet viel früher herkommen sollen. Ich wusste ganz genau, dass Sarah euch zur Schnecke macht. Darum bin ich ja auch nur mitgekommen, um zu sehen wie sie euch die Meinung sagt. Sarah das war genial.“
Florian und Tobias standen da wie zwei begossene Pudel und schauten mit hängenden Schultern zu Boden. Sarah kräuselte die Stirn und wusste nicht was sie von dem ganzen Theater halten sollte. Am liebsten hätte sie einfach die Tür vor ihre Nasen zugeschlagen und wäre zurück zu ihren Unterlagen gegangen, aber sie wollte nun auch nicht zu unfreundlich sein.
„Na wenigsten einer, der etwas zu lachen hat. Also mal ernsthaft, warum seit ihr hergekommen? Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“, fragte Sarah und stellte sich nun etwas entspannte in die Tür.
„Ja weswegen wir eigentlich hierher gekommen sind, war wir wollten fragen, ob du nicht Lust hast uns auf eine Nachtwanderung zu begleiten? Du bist ja noch relativ neu hier und hast den Wald sicher noch nicht bei Nacht gesehen. Vielleicht hast du dich auch einfach nicht allein in den Wald getraut, aber wir dachten möglicherweise könnte es dich interessieren.“
Das sollte wohl ihre Form eines Versöhnungsangebotes sein.
Die Sonne stand wirklich schon ziemlich tief am Horizont, wie Sarah erst jetzt auffiel. In einer halben Stunde würde sie vollständig untergegangen sein. Sarah ließ sich die Idee kurz durch den Kopf gehen, bevor sie sich entschied die Jungs zu begleiten oder doch an ihren Nachforschungen weiterzuarbeiten. Aber eigentlich war es gar keine so schlechte Idee. Sie war den ganzen Tag noch nicht wirklich aus dem Haus gekommen und wieso sollte sie die Jungs nicht einfach begleiten. Möglichweise würde sie Tobi und Flo besser kennen lernen und sich mit ihnen anfreunden. So wie mit Alex, obwohl sie ihr Verhältnis zu ihn nicht unbedingt als Freundschaft bezeichnen würde, eher als Bekanntschaft.
„Gebt mir ein paar Minuten. Ich ziehe mich nur um und überprüfe noch einmal die Laterne.“
Alex war wirklich nur mitgekommen, um live mit anzusehen wie Sarah seinen Freunden die Hölle heiß macht. Und es hatte sich gelohnt. Seine Erwartungen waren sogar noch übertroffen worden. Er hatte sich das Lachen einfach nicht mehr verkneifen können. Die entsetzten und erschrockenen Gesichter der beiden Kerle waren einfach unbezahlbar gewesen. Zu schade, dass er keine Kamera dabeigehabt hatte, um diesen Moment festzuhalten.
Eigentlich sollte er jetzt auch sofort zurück in seine Werkstatt. Alex hatte zu tun und war mal wieder in enger Bedrängnis nicht pünktlich fertig zu werden. Doch nun da Sarah zugesagt hatte an der Nachtwanderung teilzunehmen, haderte etwas mit sich. Es würde sicher lustig werde mit ihr durch den Wald zu streifen.
„Wozu brauchst du denn bitteschön eine Laterne? Hast du etwa Angst im Dunkeln?“, fragte Alex und trat in den Flur des Bungalows. Von hier aus konnte er den vollen Tisch im Wohnzimmer sehen. Dieser war bedeckt mit unzähligen Blättern und Hefter. Alex meinte sogar hier und da ein Buch unter den ganzen Papier zu erkennen. Seine Neugierde brachte ihn dazu einen genaueren Blick darauf zu werfen. Dabei entdeckte er ein paar von Sarahs Skizzen. Die waren wirklich gut, sogar noch besser als nur gut. Sein Blick blieb an diesen Zeichnungen geheftet, als Sarah aus dem Schlafzimmer trat.
„Wenn ich schon an einer Nachtwanderung teilnehme, dann muss es auch stilecht sein.“, antwortete sie und hielt dabei eine alte Gaslaterne in der Hand. Sie trat an den flachen Tisch, schlug die Hefter zu und legte die vielen losen Blätter auf einen Stapel.
Vorsichtig stellte Sarah auf der nun freien Fläche des Tisches die Laterne ab und öffnete eine der Glasseiten.
„Wie lange dauert das denn noch?“ Und wolltest du nicht schon lange wieder in deiner Werkstatt sein?“, fragten nun seine Freunde, die ebenfalls in den Bungalow getreten waren. Mit ihnen war der kleine Flur vollständig ausgefühlt, sodass sich keiner mehr bewegen konnte.
„Ich bin gleich fertig.“, sagte Sarah und schaute Alex etwas fragend an, so als wollte sie wissen, ob er wirklich nicht mitkäme.
„Ach wisst ihr Jungs, ich habe es mit anders überlegt. Ich komme lieber mit euch. Falls Sarah wirklich Angst bekommen sollte, braucht sie einen richtigen Kerl an ihrer Seite an den sie sich klammern kann.“ Sofort veränderte sich Sarahs Gesichtsausdruck. Von fragend interessiert zu leicht genervt und herausfordernd.
„Wer hat euch überhaupt erlaubt hier rein zu kommen? Das ist mein Haus und es wäre schön wenn ihr draußen auf mich warten würdet. Und zwar alle.“ Das Alle betonte Sarah besonders, bevor sie sich wieder der Laterne zuwandte.
Das war die Rache für seinen Spruch gewesen, dachte Alex und schob Tobias und Flo hinaus zur Tür.
Kurze Zeit später kam auch Sarah raus, schloss die Tür hinter sich und drehte den Schlüssel zweimal, damit das kleine Häuschen auch wirklich verschlossen war.
„Also von mir aus können wir los. Die Laterne funktioniert noch tadellos.“, sagte sie und hielt diese hoch wo jetzt eine kleine Flamme drin loderte.
Die Sonne war nur vollständig untergegangen und die Nacht legte sich über das kleine Dorf und seine Wälder. Zu viert begaben sich die jungen Männer und Frauen in den Wald.
Eine richtige Nachtwanderung hatte Sarah das letzte Mal gemacht, als sie in der Grundschule war. Auf Klassenfahrt waren sie zusammen mit ihren Lehrern einen Wanderweg entlang gegangen. Die meisten hatten natürlich tierische Angst gehabt und hatten sie gegenseitig festgehalten, damit sie nicht von irgendwelchen Monstern weggeschnappt werden konnte. Zumindest hatte man sich damals solche Sachen eingeredet.
Dass im Wald keine Monster lebten, wusste Sarah nun und konnte nur noch über ihre damalige Angst grinsen. Als Kind hatte man noch so eine lebhafte Fantasie und hatte in jedes Geräusch und jeder noch so kleinen Bewegung gleich das fürchterlichste Ungeheuer hineininterpretiert.
„Deine erste Nachtwanderung?“, fragte sie Florian. „Nein ich hatte schon ein paar, aber das ist lange her.“, antwortete Sarah und folgte Alex und Tobias, die schon vorgegangen waren. „Pass auf wohin du trittst Sarah. Wir wollen doch nicht, dass du dir gleich wieder einen Fuß verletzt.“ „Dann schau besser selber nach vorne Alex, denn dich können wir nicht nach Hause tragen, wenn du am Boden liegst.“
„Ich glaube das kann heute eine sehr unterhaltsame Wanderung werden.“, grinste Tobias und schaute zu den anderen.
Außer dem weichen Lichtschein der Laterne war der Wald in Dunkelheit getaucht. Die Rufe der Tiere und das Knacken des Unterholzes unterbrach die Stille der Nacht. Erst wenn alles im Dunkeln lag, erwachte der Wald wirklich zum Leben. Den Weg, dem sie jetzt folgten war Sarah bei Tag schon einige Male gegangen, doch nun kam er ihr vollkommen fremd vor. Kaum brach keine Licht mehr durch die dichten Baumkronen wirkte alles so verändert.
Die Unterhaltung zwischen den vieren wurde immer impulsiver. Von anfänglichen Sticheleien ging es über zu angeregten Gesprächen. Alex erzählte Sarah wie er, Tobi und Flo sich kennen gelernt hatten und zeigte auch reges Interesse an ihren Forschungen. Er wollte wissen wie es voranging und ob sie schon etwas Neues herausgefunden hatte. Viel konnte Sarah ihm natürlich nicht erzählen, da sie immer noch ziemlich auf der Stelle trat und von ihrer Begegnung mit diesem riesigen Wolf am Bach wollte sie noch nichts erzählen. Das war ihr erster ernst zunehmender Erfolg gewesen. Aber sie wollte lieber noch ein paar mehr Hinweise sammeln, bevor sie darüber sprach.
Selbst die beiden anderen jungen Männer schienen neugierig zu sein und stellten Sarah immer neue Fragen, wo sie gar nicht wusste welche sie zuerst beantworten sollte.
„Also mal ehrlich, unter einer Nachtwanderung habe ich mir ein bisschen was anders vorgestellt und nicht, dass ihr mich die ganze Zeit ausfragt. Wo bleibt denn da der Nervenkitzel?“, fragte Sarah und schwenkte die Laterne über ihren Kopf, wodurch Schatten auf ihr Gesicht fielen und es so einer unheimliche Fratze bildeten.
„Du willst also etwas Nervenkitzel? Den kannst du haben, wenn du darauf bestehst. Wir drei kennen den Wald wie unsere Westentasche. Du wirst schon noch sehen was du davon hast.“, grinste Alex und verschwand zwischen den Bäumen. „Oh man jetzt können wir uns aber auf etwas gefasst machen. Alex kennt jedes gute Versteck, das wir in all den Jahren gefunden haben. Er könnte jetzt wirklich aus jeder Ecke gesprungen kommen. Bist du sicher, dass du immer noch den Gruselfaktor haben willst?“, fragte Tobias und bewegte bedrohlich seine Finger vor Sarahs Gesicht.
„Aber klar doch, Nur so macht eine Nachtwanderung richtig Spaß mit etwas Angst und Ungewissheit.“ Florian zuckte nur mit den Schultern und so setzten sie ihren Weg, nun nur noch zu dritt fort.
Sie achteten nun wirklich auf jedes noch so kleine Geräusch und hielten die Laterne in die Richtung aus der sie das Knacken von Ästen hörten, damit sie Alex rechtzeitig entdeckten, wenn er sie erschrecken wollte.
Lange Zeit passierte gar nichts und die beiden Jungs meinten, Alex habe es sich anders überlegt und ist doch lieber zurück zur Werkstatt gegangen und habe sie nun allein gelassen.
Doch plötzlich sprang Sarah vollkommen unerwartet etwas von hinten an und riss sie zu Boden. Die Wucht war so groß, dass Sarah das Gleichgewicht verlor und die Laterne auf ihrer Hand flog. Das Zerschlagen von Glas war zu hören und augenblicklich erlosch auch die kleine Flamme, die in der Laterne gebrannt hatte.
Die brauen Locken hingen Sarah im Gesicht, als sie sich auf die Ellenbogen stütze um zu sehen was sie da umgeworfen hatte. Sie hatte schon die passenden Worte für Alex, weil er es für ihren Geschmack etwas übertrieben hatte. Doch als sie sich die Haare aus dem Gesicht sprich, glaubte sie nicht was sie da sah.
Zwei Meter von ihr entfernt mit gefletschten Zähnen und aufrechtstehenden Nackenhaaren stand ein riesiger Wolf, der sie bedrohlich anknurrte. Er war nicht ganz so groß wie der Wolf, den sie am Teich gesehen hatte, aber dafür wirkte dieser hier um einiges gefährlicher.
Bei jeder noch so kleinen Bewegung, die Sarah machte, um wieder auf die Beine zu kommen, knurrte der Wolf bedrohlicher und ging noch weiter in die Angriffsstellung. Solche Angst wie sie in diesem Moment von Sarah Besitz ergriff, hatte sie noch nie in ihrem Leben verspürt.
„Ach du Scheiße! Sarah du darfst dich auf keinen Fall bewegen. Bleib da lieben und rühr dich nicht.“, hörte sie Tobi hinter ihr flüstern. Ihm und Florian schien nichts passiert zu sein, zumindest bis jetzt noch nicht.
Obwohl sie am ganzen Körper zitterte, konnte Sarah auch nicht den Blick von diesem Tier abwenden. War es derselbe Wolf, wie der den sie am Teich gesehen hatte und wirkte er jetzt nur kleiner, oder war es ein anderer? In der Dunkelheit konnte Sarah die Farbe des Fells nicht erkennen und konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es der gleiche Wolf war. Die leuchtend gelben Augen schienen sie förmlich zu durchbohren. Sie leuchteten wie zwei Kohlen in der Finsternis. Das tiefe Knurren war eine deutliche Drohung, die man nicht unterschätzen durfte.
Auf einmal beugte sich die Vorderbeine des Wolfen und es sah so aus, also wollte er zum Sprung ansetzten. Jetzt war alles aus. Diesem Tier konnte Sarah nicht entkommen, egal wie schnell sie war.
Kapitel 10
Dem sicheren Tod ins Auge blickend, konnte Sarah auch weiterhin nur Bewunderung für diese wunderschönen Tiere empfinden. Hinter sich hörte sie die beschleunigte Atmung von Tobias und Florian, die sich ebenfalls nicht vom Fleck bewegten.
Auf einmal spürte Sarah einen Windstoß über sich. Reflexartig schaute sie nach oben und blickte auf den pelzigen Unterleib eines weiteren Wolfes, der vor ihr federleicht auf seinen Pfoten landete. Er stellte sich genau zwischen Sarah und dem ersten Wolf, der sie hatte angreifen wollte.
Beide Wölfe hatten die Angriffshaltung eingenommen und fletschten gefährlich die Zähne. Jeder von ihnen schien auf eine Reaktion des anderen zu warten.
Sarah traute ihren Augen kaum. Zuerst hatte sie gar keine ernstzunehmende Spur für die Existenz der Wölfe in diesem Naturschutzgebiet gefunden und nun standen gleich zwei von ihnen direkt vor ihr.
Nach wenigen Minuten in dieser unveränderten Stellung, gab der erste Wolf seine Position auf und rannte auf den zweiten zu. Sarah konnte leider kaum etwas sehen, doch als der angreifende Wolf sich auf sie stützen wollte, ging der Wolf, der sich für ihr aufgestellt hatte dazwischen. Er biss seinen Artgenossen in das dichte Fell am Hals und warf ihn zurück auf den Boden.
Es kam zu einer heftigen Rangelei zwischen den beiden, wobei der zweite von ihnen deutlich stärker war. Immer wieder drückte er seinen Gegner zu Boden, wenn dieser versuchte Sarah erneut anzugreifen.
Endlich gab er sich aber doch geschlagen und ließ den Schwanz hängen und senkte den Kopf. Dies war ein klares Signal für Unterlegenheit. Dennoch drängte der Sieger den Verlierer immer weiter in den Wald zurück, weg von den Menschen.
Kurz bevor die zwei Wölfe vollends zwischen den Bäumen verschwunden waren, hob der zweite Wolf noch einmal den Kopf in Sarahs Richtung. Das war er, schoss es Sarah durch den Kopf. Dies war der Wolf, den sie vor ein paar Tagen schon einmal gesehen hatte. Bereits da war er friedlich und zutraulich gewesen. Diese warmen Augen schauten sie auch jetzt wieder aus der Entfernung an, so als wolle er sich vergewissern, dass es ihr gut ging. Automatisch nickte Sarah ihm zu.
Mit dieser Bestätigung verschwand er in der Dunkelheit.
„Oh mein Gott Sarah bis du in Ordnung?“, rief Florian und kam mit Tobi zu ihr gerannt. Sie ließen sich beide jeweils auf einer Seite von ihr auf die Knie fallen. Tobias packte sie am Oberarm und half ihr auf.
„Ja ich bin okay. Ich denke mir ist nichts passiert.“, meinte Sarah und setzte sich auf. „Ihr habt das gerade eben auch gesehen, nicht wahr?“, fragte Sarah und schaute immer noch vor sich in den Wald hinein. „Ja haben wir. Mein Gott war das unheimlich. Ich dachte jeden Moment wird dieser Wolf uns angreifen.“, meinte Florian und griff sich an die Brust. „Das hätte er auch, wäre der andere nicht dazwischen gegangen.“
Wohl eben so erschrocken wie Sarah redeten die beiden jungen Männer wie wild drauf los. Versicherten sich aber auch, ob mit Sarah wirklich alles in Ordnung war. Nachdem sich alle von dieser ungewöhnlichen Begegnung erholt hatten, wollten sie sich auf den Weg zurück zu Sarahs Bungalow machen.
Das Knirschen von Glas unter den Schuhsohlen erinnerte sie jedoch noch an etwas. Die Laterne war bei Sarahs Stutz zu Bruch gegangen und überall lagen nun Glasscherben verteilt. Die konnten sie unmöglich einfach so liegen lassen. Also zog Florian sein Hemd aus, das er über einem Shirt trug und die drei legten alle Scherben und Überreste der Laterne da hinein.
Auf Grund der fehlenden Lichtquelle war der Weg zurück etwas beschwerlicher. Sie mussten ganz genau aufpassen wohin sie traten, um nicht versehendlich über eine der aus dem Boden ragenden Baumwurzeln zu stolpern.
Jeweils einen der Jungs an jeder Seite trabte Sarah nach Hause. Florian, der das Hemd mit den Scherben trug hielt sie an der Schulter fest und Tobias hielt sie an der Hand.
Nach einer gefühlten Ewigkeit traten sie endlich auf den Platz vor dem Bungalow. Sarah hatte schon die Schlüssel aus der Hosentasche gezogen und schloss mit zittrigen Händen die Tür auf.
Die beiden Männer folgten ihr ins Innere. „Du kannst die Scherben in den Mülleimer in der Küche kippen.“, sagte Sarah nachdem sie das Licht eingeschaltet hatte. Sie zeigte mit der Hand in Richtung Küche und ließ sich selber aufs Sofa fallen.
„Also, dass unsere kleine Nachtwanderung so endet, hatte ich nun wirklich nicht erwartet.“ „Damit hatte wohl keiner von uns gerechnet“, meinte Sarah und schaute zu Tobias und Florian auf. „Ist mit dir auch wirklich alles in Ordnung? Meinst du wir können dich hier alleine lassen?“, fragte Tobi und kam zum Sofa, um noch einmal nach Sarah zu schauen.
„Mit mir ist alles in Ordnung. Ich bin nur noch ein bisschen zittrig, aber ansonsten geht es mir gut.“ Tobi sah sie besorgt an, nickte dann aber und stand wieder auf.
„Na dann, wir sehen uns sicher bei Alex. Ruh dich etwas aus. Diese Nacht steckt uns wohl allen noch in den Knochen.“, verabschiedete sich Flo. Sarah begleitete die beiden noch bis zur Tür und wünschte ihnen eine gute Nacht.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, sahen sich Florian und Tobi ernst an. Und ob ihnen diese Nacht noch in den Knochen steckte. Sie mussten unbedingt mit Alex sprechen und zwar sofort.
Tobias zog sein Handy aus einer der vielen Taschen an seiner Hose und hielt es sich ans Ohr.
„Hey wo bist du? Wir müssen dringend reden.“, sprach er und lauschte der Antwort. Mit einem Nicken beendete er das Gespräch und schob das Handy zurück in die Hose.
„Er wartet auf uns. Machen wir uns auf den Weg.“
Sofort rannten die beiden jungen Männer los und verschwanden erneut in der Dunkelheit des Waldes.
Alex war gerade wieder bei sich zu Hause angekommen, als er den Anruf von Tobias erhielt. Die Stimme seines Freundes war angespannt und er und Flo wollten ihr sofort sprachen. Auch Alex hatte ihnen was zu sagen.
Keine zwei Minuten später waren seine Freunde bei der Werkstatt angekommen und schlossen das Tor hinter sich, als sie eintraten. „Mein Gott was für ein Abend.“ „Ja das war ganz schön knapp. Das hätte auch ganz anders ausgehen können.“, meinte die beiden und fuhren sich mit den Händen übers Gesicht.
Alex stand an der Werkbank gelehnt und hörte seinen Freunden zu. „Zum Glück ist Sarah nichts Ernsthaftes passiert. Sie ist zwar ziemlich fertig mit den Nerven, soweit ich das beurteilen konnte, aber sonst fehlt ihr nichts.“
Alex wollte dennoch von ihr persönlich wissen, ob auch wirklich alles in Ordnung war und tippte schnell eine SMS und schickte diese an Sarah.
„Du kannst froh sein, dass du dich vorher aus dem Staub gemacht hast, sonst wäre wir jetzt alle Hackfleisch. So was habe ich noch nie gesehen. Dass ein Wolf so die Beherrschung über sich verlieren kann, hätte ich nie gedacht.“, sagte Tobi und ging hinüber zu Alex. „Ja das war wirklich Zufall, dass ich vorher weggegangen bin. Stell dir mal vor ich wäre bei euch geblieben. Wer weiß wie dann das ganze ausgegangen wäre.“ „Auf jeden Fall nicht so glimpflich wie jetzt.“, mischte Florian sich ein und setzte sich auf einen der dicken Holzbalken.
Die drei Männer diskutierten noch eine ganze Weile über die Nachtwanderung, bevor sich Flo und Tobi wirklich auf den Heimweg machten.
Am nächsten Morgen wachte Sarah auf dem Sofa auf.
Sie hatte nachdem die beiden Jungs gegangen waren einfach keinen Schlaf finden können. Ruhelos war sie durch die kleinen Räume ihres Zuhauses gegangen. Vollkommen fertig mit der Welt war Sarahs Blick auf ihre Unterlagen gefallen. In der Hoffnung die Ereignisse der vergangenen Stunden besser verarbeiten zu können, hatte Sarah nach ihren Zeichenblock gegriffen und einfach angefangen einzelne Striche auf das weiße Papier zu ziehen.
Das Ergebnis sah sie nun vor sich. Im ganzen Raum lagen Blätter herum. Auf dem flachen Tisch, auf dem Fußboden und in den Regalen, die in dem kleinen Wohnzimmer noch Platz gefunden hatten.
Sarah konnte sich nicht mehr daran erinnern so viele Skizzen angefertigt zu haben, doch wie es schien, hatte sie der Arbeitseifer ergriffen gehabt. Mit schmerzendem Kopf setzte sich Sarah auf und sah sich das ganze Ausmaß des Chaos an. Neben ihr auf der Sofalehne lag ihr Handy.
Alex hatte ihr gestern Abend kurz nachdem Tobi und Flo gegangen waren eine Nachricht geschickt in der er wissen wollte, ob es ihr gut ginge. Gleichzeitig hatte er sie auch noch zum Frühstück bei sich eingeladen.
Mit immer noch schlaftrunkenen Augen blickte Sarah zur Uhr. Es war fast zehn Uhr, also erhob sie sich vom Sofa und stapfte ins Badezimmer. Schnell die Zähne geputzt und etwas kaltes Wasser ins Gesicht und Sarah fühlte sich schon um einiges lebendiger. Ihre brauen Locken ließ sie wie sie waren und strich sie sich nur hinters Ohr.
Im Wohnzimmer zurück wirkte es noch schlimmer als vorher. Doch zum Aufräumen blieb ihr jetzt keine Zeit. Das müsste sie wohl oder übel auf später verschieben.
Da sie nun die kleine Abkürzung zu den Millers kannte, brauchte Sarah nur knapp fünf Minuten bis sie bei Alex ankam. Wie immer saß Peter mit der Tageszeitung schon vor dem flachen, keinem Haus und las in aller Ruhe.
„Morgen Peter. Was gibt es denn Neues in der Welt da draußen?“, fragte Sarah und blieb bei dem älteren Herren stehen. „Nichts wirklich Wichtiges. Dafür scheint hier einiges passiert zu sein in den letzten Stunden, wenn ich meinen Ohren Glauben schenken darf.“, antwortete dieser, faltete die Zeitung zusammen und lächelte Sarah gutgläubig an.
„Ja deine Ohren scheinen noch vollkommen in Ordnung zu sein. Aber es ist ja nichts weiter Schlimmes passiert. Wir sind alle mit dem Schrecken davon gekommen.“, beruhigte Sarah und machte eine wegwerfende Handbewegung.
In diesem Moment kam Alex herausgetreten mit einer Kaffeekanne und einen Korb mit Brötchen in der Hand.
„Morgen. Na dich scheint ja wirklich nichts zu schocken.“ Alex ging weiter zu einem massiven Holztisch der etwas im Schatten neben dem Haus stand. Rechts und links davon standen zwei Bänke, die ausreichend Platz für Gäste boten. „Setzt dich, das Frühstück ist angerichtet.“
Peter und Sarah ließen sich das nicht zweimal sagen und nahmen jeweils auf einer Seite Platz. Alex ließ sich neben Sarah nieder und schenkte jedem frischen Kaffee ein.
„Wo bist du eigentlich gestern Abend abgeblieben? Machst dich einfach so aus dem Staub und lässt mich mit den beiden zurück.“, fragte Sarah und schaute Alex ernst an. Dieser ließ etwas verlegen den Kopf hängen. „Na ja nachdem ich vorausgegangen war, um wie du es formuliert hast, den Nervenkitzel zu sorgen, hatte ich ein schlechtes Gewissen bekommen. Ich hatte noch etwas fertig zu machen und bin deshalb zurück zur Werkstatt gegangen. Ich dachte mir du wirst es schon noch mit der Angst zu tun bekommen. Dass es nun gleich solche Ausmaße annimmt, konnte ja keiner ahnen.“
Da hatte er allerdings Recht, aber sie einfach da stehen zu lassen, war ja so was von mies von ihm. „Na ja dafür habe ich jetzt meinen Beweis, dass sich Wölfe wieder in Deutschland angesiedelt haben. Und das können Tobias und Florian, als Augenzeugen bestätigen. Somit hatte die Sache auch was Gutes. Obwohl ich sagen muss, dass diese zwei Exemplare überdurchschnittlich groß waren.“
Alex hielt ihr den Brotkorb unter die Nase und wartete darauf, dass sie endlich zugriff. „Ich hoffe ich hab das richtige besorgt. Nimm dir worauf du Lust hast.“ Er hatte sich anscheint ihre letzte Begegnung beim Bäcker gemerkt, denn obenauf lagen zwei Kürbiskernbrötchen. Genau die hatte Sarah sich gekauft, bevor sie gemeinsam mit Alex in den Wildpark gefahren war.
„Danke.“
Danach griffen auch die beiden Männer zu und schmierten sich die Brötchenhälften.
„Na das scheint ja wirklich ein ziemliches Abendteuer gewesen zu sein. Und dann hat es dich auch noch in deinen Forschungen weitergebracht. Also wenn du mich fragst, hatte das Ganze doch eine ziemlich positive Auswirkung oder?“, ergriff Peter das Wort und strahlte über das ganze Gesicht. „In meiner gesamten Zeit als Förster ist mir so eine Ehre nie zu Teil geworden.“, schwärmte er weiter und lehnte sich zurück.
„Von der Seite habe ich das noch gar nicht betrachtet. Ich habe es schon als kleinen Erfolg angesehen, aber so. Es war ja nun nicht so, dass ich vorher rein gar nichts gefunden hatte. Die Spuren waren halt nur sehr undeutlich und ich konnte sie nicht mit Sicherheit den Wölfen zuordnen.“, überlegte Sarah und stützte den Kopf auf ihrer Hand.
„Hast du auch schon wieder mal neue Skizzen angefertigt? Ich war von deinen Zeichnungen, die du auf unseren kleinen Ausflug angefertigt hattest echt beeindruckt.“ Alex sprach mit vollem Mund, sodass er nur sehr schwer zu verstehen war. Und ob Sarah neue Skizzen angefertigt hatte. Nur leider wusste sie selbst nicht einmal was für Skizzen das waren.
„Klar habe ich Zeichnungen gemacht. So kann man neben dem Fotografieren am besten etwas festhalten. Davon abgesehen liebe ich es zu zeichnen. Mein Vater meinte immer ich sollte mein Talent nicht vergeuden. Also habe ich angefangen während meines Studiums meine beiden Hobbies zu verbinden.“
Vater und Sohn stellten während des gemütlichen Frühstücks unter freien Himmel noch ein paar Fragen. Doch bald schon kamen sie vom Thema ab und unterhielten sich über alles Mögliche. So erfuhr Sarah mehr über die Jahre in denen Peter als Förster arbeitete und welche Erfahrungen und Beobachtungen er gemacht hatte.
Sein Sohn beschwerte sich über die viel zu schnell vergehende Zeit und, dass er niemals rechtzeitig fertig würde, wenn nicht bald das Material kam, welches er zum Weiterarbeiten benötigte.
„Sag mal Sarah kann ich mir noch mal ein paar von deinen Bildern anschauen? Das letzte hatte so lebendig gewirkt, dass ich gerne wüsste, ob das auch bei anderen Zeichnungen von dir so ist.“, fragte Alex plötzlich aus dem Zusammenhang heraus. Sarah war etwas überrumpelt, das sie dachte das Thema wäre schon längst vom Tisch.
„Äh ja warum auch nicht. Daran ist ja nun nichts geheimes, was niemand sehen darf.“, antwortete Sarah etwas holprig. „Na dann lass uns gehen. Ich habe ja im Moment eh nichts zu tun, also habe ich alle Zeit der Welt für dich.“, dabei grinste er sie herausfordernd an. Aber Sarah hatte etwas dagegen Alex jetzt in ihren Bungalow zu lassen.
„Ich hole sie lieber her. Ich hatte noch keine Zeit aufzuräumen und du hast ja gestern gesehen wie es bei mit aussieht.“ „Das stört mich nicht.“ „Mich aber. Ich bin gleich wieder da.“
Sarah trank den letzten Schluck Kaffee aus ihrer Tasse und machte sich dann auf den Weg zurück zum Bungalow. Das hätte ihr jetzt gerade noch gefehlt diesen Kerl bei sich im Haus zu haben. Außerdem hatte sie so die Gelegenheit noch kurz ihre neusten Skizzen zu sichten und dann die besten herauszusuchen.
Innerlich hoffe sie, dass das Chaos, welches sie zurückgelassen hatte sich mittlerweile aufgelöst hatte. Leider war dies aber nicht der Fall. Alles lag noch immer genau an der Stelle, wo sie es zurückgelassen hatte. Also ging Sarah in die Hocke und sammelte die einzelnen Blätter auf. Danach griff sie nach denen im Regal und legte alles dann zusammen auf dem Tisch, wo ja ebenfalls einige Skizzen lagen.
Sie war letzte Nacht wirklich produktiv gewesen. Es waren mindesten zwanzig Blätter, die sie nun in der Hand hielt und durchsah. Keines sah wie das vorherige aus. Jedes zeigte einen vollkommen andere Ansicht und Teil der Wölfe.
Bei der letzten Zeichnung hielt Sarah allerdings inne. Denn dort sah sie etwas mit dem sie überhaupt nicht gerechnet hatte.
Kapitel 11
Sarah konnte sich nicht erklären was sie dort sah. Das war komplett unerklärlich. Auf der letzten Zeichnung des Stapels war der wunderschöne Wolf zu sehen, der ihr gestern Nacht wohl das Leben gerettet hatte und den sie das erste Mal an dem kleinen Bach gesehenen hatte. Doch das war nicht das Eigenartige. Viel mehr verunsicherte sie die Zeichnung, die den Hintergrund des Skizze bildete. Denn dort waren die markanten Gesichtszüge von Alex zu sehen. Seine wirren Haare gingen in das üppige Fell des Wolfes über. Aber seine Augen und die des Tieres waren es, die Sarahs Aufmerksamkeit erregten.
Natürlich hatte sie das Gefühl gehabt, dass diese warmen gelben Augen ihr auf irgendeine Art und Weise vertraut vorkamen. Doch, dass sie den Haselnussbrauen Augen von Alex zu gleichen schien, war erst auf der Zeichnung zu erkennen.
Aus unerklärlichen Gründen beschleunigte sich Sarahs Herzschlag und nervös strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. Um sich nicht noch mehr Gedanken darüber zu machen, legte sie die Skizze beiseite und verließ den Bungalow. Sarah wollte nicht noch mehr Zeit verschwenden, denn die anderen warteten sicher schon auf sie. Und Sarah wollte auf keinen Fall, dass Alex die Zeichnung zu sehen bekam. Was würde er nur von ihr denken? Das wäre für ihn das gefundene Fressen sich wieder über sie lustig zu machen.
Tief durchatmend machte sich Sarah auf den Weg zurück zu dem Haus der Millers. Doch dann fiel ihr ein, dass sie die andere Hälfte ihrer Skizzen im Bungalow hatte liegen lassen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als noch einmal umzukehren und auch noch den Rest zu holen. Noch einmal im Wohnzimmer fiel ihr Blick erneut auf die Zeichnung von Alex und dem Wolf, da sie diese nur schnell auf den flachen Tisch im Wohnzimmer abgelegt hatte.
Was war nur los mit ihr? Warum brachte ausgerechnet diese Zeichnung sie so aus dem Konzept? Vielleicht lag es daran, dass Sarah sich einfach nicht mehr daran erinnern konnte diese überhaupt gezeichnet zu haben. Wann in der letzten Nacht war sie nur auf diese Idee gekommen? Normalerweise war es nicht Sarahs Ding Menschen auf Papier festzuhalten. Dennoch musste sie irgendetwas dazu getrieben haben Alex zu zeichnen.
Jetzt war sie aber wirklich schon zu lange weg. Also legte Sarah noch einen Zahn zu, als sie sich ein zweites Mal auf den Rückweg begab.
„Wir wollten schon einen Suchtrupp losschicken.“, rief Alex, als Sarah zwischen den Bäumen hervortrat. Sie hatte die Arme voll mit einen Stapel an Papier. Kaum war sie in seiner Hörweiter antwortete Sarah ihm. „Tja ich bin ja nun auch kein D-Zug. Und außerdem hatte ich nun wirklich keine Lust nur weil ich nicht richtig sehen kann über irgendetwas zu stolpern und das hier alles im Wald zu verteilen.“, dabei hob sie ihren Arm kurz an, sodass sich die Blätter bewegten.
„Na ja ich wollte nur nicht riskieren, dass dir wieder ein Wolf über den weg gelaufen ist und du nun vor Angst davon gelaufen bist.“, meinte Alex mit einen amüsanten Grinsen im Gesicht. „Wirklich sehr witzig. Ich lach mich gleich tot.“ Damit landete der Blätterstapel dumpf klatschend auf den Tisch und Sarah legte leicht die Hand darauf, damit der Wind das leichte Papier nicht erfassen und wegwehen konnte.
„Also wirklich Alex, sei nicht wieder so. Du kannst von Glück reden, dass wirklich nicht noch mehr passiert ist. Über so etwas macht man keine Scherze.“, wies Peter seinen Sohn zurecht und reckte schon den Kopf, um einen Blick auf Sarahs Zeichnungen und Skizzen zu werfen. „Du solltest besser auf deinem Vater hören. Ihm hat man zumindest Manieren beigebracht.“, antwortete Sarah genervt und ließ sich neben Peter nieder, um ihm ihre Arbeit zu zeigen und wenn nötig einige Erklärungen zu liefern.
„Du musst dir unbedingt die Skizzen aus dem Wildpark anschauen. Ich dachte damals gleich kommt mir der Wolf aus dem Blatt entgegen gesprungen.“, meinte Alex und lehnte sich von hinten über seinen Vater und Sarah, damit er auch etwas sehen konnte. „Die habe ich nicht dabei. Ich habe sie zu meinen Aufzeichnungen gepackt. Aber es sind ja noch genügend andere dabei, die genauso gut sind.“
Mit leicht enttäuschtem Blick beugte sich Alex nach etwas weiter nach vorne und stützte sich mit den Händen auf der Rückenlehne der Bank ab. Selbst Sarah musste sich etwas kleiner machen, da er so viel Platz in Anspruch nahm. Da Peter total fasziniert schien von dem was er dort sah, griff Sarah nach der Kaffeekanne und goss sich noch eine Tasse voll ein.
Hier und da warf sie ein paar Kommentare ein, oder unter welchen Umständen diese oder jene Skizzen entstanden war. Natürlich waren nicht nur Wölfe von ihr skizziert worden. Auch die anderen Tiere, während ihrer Zeit im der Aufzuchtstation, hatte sie immer wieder festgehalten.
„Wirklich sehr beeindruckend.“, murmelte Peter und schaute sich alles ganz genau an. „Ich nehme mal an, dass diese hier von deiner Begegnung von gestern Abend sind?“, fragte er und hielt dabei drei Blätter hoch, damit Sarah einen Blick darauf werfen konnte.
„Ja das sind sie. Die nächsten habe ich auch noch gestern Nacht angefertigt, weil ich nicht schlafen konnte. Ich finde aber ich konnte die Wölfe recht gut festhalten.“, meinte Sarah und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.
Peter hielt Alex ein Blatt hin, welches er in die Hände nahm und sich wieder aufrecht hinstellte. Alex runzelte die Stirn und sein Vater schaute ihn weiterhin aufmerksam an. So als wollte er seinen Sohn auf etwas aufmerksam machen, ohne etwas zu sagen. Sarah sollte wohl nichts davon mitgekommen.
Während nun auch Sarah zu dem jungen Mann aufschaute, fiel ihr wieder ihre ungewöhnliche Zeichnung ein. Erst jetzt fiel ihr auf, wie aufmerksam sie Alex in diesem Moment musterte. Durch die Sonne, die von oben hinab schien, waren die Konturen seines Gesichtes nicht klar zu sehen. Sie wirkten viel mehr verschwommen. Dennoch waren seine dunklen, aufmerksamen Augen genau so ausdruckstark wie immer. Die Haare waren mal wieder völlig durcheinander und standen von seinem Kopf ab.
Plötzlich erinnerte sich Sarah an das weiche, aber struppige Fell des Wolfes und auch an dessen warme Augen, die sie angesehen hatten. Kann es sein, dass Sarah letzte Nacht die gleichen Parallelen in den Kopf geschossen waren und sie deshalb ihren Fingen freien Lauf beim Zeichen gelassen hatte? Bis genau dieses Bild entstanden war.
Aber das war doch völliger Schwachsinn. Leicht den Kopf schütteln, senkte sie ihn wieder und nippte erneut an ihrer Tasse. Trotzdem musste sie immer und immer wieder zu Alex hinaufschauen. Es irritierte Sarah selbst und sie konnte keine plausible Erklärung dafür finden.
„Hab ich irgendetwas im Gesicht, das da nicht hingehört?“, fragte Alex sie auf einmal und schaute zu Sarah hinab. Vollkommen aus dem Konzept gebracht, dachte sich Sarah schnell eine Antwort aus. „Nein. Ich warte nur darauf, dass du wieder irgendeine blöde Bemerkung machst.“
Innerlich atmete Sarah auf. Das war doch gar nicht so schlecht, als Notlösung gewesen. „Warum soll ich eine blöde Bemerkung von mir geben? Mir gefallen deine Zeichnungen. Das habe ich dir auch schon einmal gesagt. Wenn ich so genau zeichnen könnte, würde mir meine Arbeit um einiges leichter fallen. Denn dann könnte ich meine Kunden ein genaues Bild von meinen Vorstellungen für die Möbel liefern.“
Sarah war erstaunt, über Alex Antwort. Ein ernsthaftes Lob aus seinem Mund, hatte sie nun wirklich nicht erwatet. Da sah sie einmal wieder, dass sie ihn möglicherweise völlig falsch einschätze. In Momenten wie diesen war Alex wirklich ein netter Kerl. Hinter seinen ganzen Späßen und überflüssigen, manchmal ziemlich amüsanten Sprüchen, schien er sehr ernsthaft und gewissenhaft zu sein.
„Vielleicht kann ich dir dabei helfen.“, schlug Sarah etwas verunsichert vor. Im selben Augenblick, als sie dies gesagt hatte, bereute sie es auch schon. Sarah hatte noch nie Möbel gezeichnet. Und diese dann auch nur aus der Beschreibung von jemand anderen aufs Papier zu bringen, war noch um einiges schwieriger.
„Ich werde darauf zurückkommen, wenn ich es für nötig halte, aber danke.“
Ein Windstoß wehte über die Lichtung und erfasste die nun auf dem Holztisch verteilten Blätter. Sofort hoben sie ab und flogen durch die Luft.
„Oh nein!“, rief Sarah und sprang auf. Auch Peter und Alex rannten hinter denen in der Luft tanzenden Blättern hinterher, um sie wieder einzufangen. Peter war durch sein Alter nicht mehr so schnell und sammelte stattdessen die Blätter auf, die zu Boden gefallen waren. Währenddessen sprangen Sarah und Alex weiter auf die Lichtung herum.
Einige Blätter verfingen sich auch in den niedrigeren Ästen der alten, großen Bäume. Sodass weder Sarah, als auch Alex nicht an sie heran kamen. Die Arme in die Hüfte gestemmt stand Sarah da und überlegte wie sie am besten an die Blätter herankommen konnte. Da war Alex schneller ging in die Hocken und hob Sarah unvorbereitet auf seine Schultern.
Zunächst etwas wacklig, fanden die beiden schnell das Gleichgewicht wieder und so war es auch ein Leichtes die letzten Skizzen zurückzuholen.
Wie Sarah so auf seinen Schultern saß und mit der Hand nach den letzten Skizzen in den Ästen des Baumes griff, spürte er kaum ihr Gewicht. Sie war zwar schlank und auch nicht besonders groß, aber dennoch wirkte sie in diesem Moment noch um einiges leichter, als es Alex vermutet hätte.
„Du kannst mich jetzt wieder runter lassen. Ich habe die Blätter.“, meinte Sarah und wedelte mit dem Papier vor seinen Augen herum. Das Sonnenlicht, das durch das grüne Laub der Bäume drang ließ ihre Locken rötlich glänzen, was ihre grünen Augen nur noch mehr strahlen ließ.
Gerade als Alex sie absetzen wollte, hörte er ein Rascheln hinter sich und drehte seinen Oberkörper leicht in diese Richtung. Sarah, die auf diese Bewegung nicht vorbereitet war, klammerte sich an seinen breiten Schultern fest, um nicht runter zufallen. „Vorsicht ich sitze schließlich immer noch auf deinen Schultern.“, schimpfte sie und schaute nun ebenfalls in die Richtung in die Alex schaute.
Auf dem steinigen Weg, der zum Haus der Millers führte, kam einen wunderschöne junge Frau zu ihnen gelaufen. Ihre Haut war von der Sonne schön gebräunt und ihre Haare fielen in üppigen, schwarzen Wellen uber ihre Schultern. Sie nickte Peter nur leicht zu und kam dann direkt zu Alex hinüber. Dieser war allerdings alles andere als begeistert.
„Wir müssen reden.“, sagte sie in einen herrschen Ton und schaute dabei Alex bedrohlich an. Sie trug nur eine ausgewaschene Jeans und ein weißes Tanktop, wodurch ihre Kurzen ausgezeichnet zur Geltung kamen. Sie hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt und den anderen Arm ließ sie locker hinabhängen.
„Morgen Katja. Wie du siehst bin ich gerade beschäftigt.“, begrüßte Alex die junge Frau. Danach ging er leicht in die Knie und legte beide Hände um Sarahs Taille, um sie sicher von seinen Schultern zu holen.
„Es wird nicht lange dauern.“, drängte Katja weiter und warf das Haar zurück, das über ihre Schultern nach vorne gefallen war. Alex stellte sich so zwischen die beiden Frauen, dass er Sarah größtenteils mit seinem Körper vor Katja abschirmte. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, die beiden so nah beieinander stehen zu sehen. Doch anstatt sich einfach still im Hintergrund zu halten, blickte Sarah an seiner Schulter vorbei, direkt zu der anderen Frau.
„Willst du uns nicht vorstellen?“, fragte sie und schaute Alex fragend an. Mit einem tiefen Seufzer gab sich Alex geschlagen und nickte Sarah kurz zu.
„Sarah, dass ist Katja Nachtac eine gute Freundin von mir. Katja, dass ist Sarah Klein. Sie ist erst vor kurzem hergezogen, um einige Forschungen zu betreiben.“ Während er die beiden Frauen vorstellte, zeigte Alex einmal auf Sarah und dann auf Katja.
„Freu mich sehr Sie kennen zulernen.“, lächelte Sarah und streckte die Hand zur Begrüßung aus. Doch ihre Geste wurde nicht erwidert. Katja hatte nur einen abfälligen Blick für die ihr dargebotene Hand übrig und wandte sich dann mit vor der Brust verschränkten Armen wieder Alex zu.
„Ich bin sicher deine kleinen Freundin kann dich mal für fünf Minuten entbehren.“, antwortete Katja und schaute Sarah von der Seite her an. Sarah ließ währenddessen ihre Hand sinken und wandte den Blick ab. „Geh nur. Ich erzähle noch etwas mit Peter.“, murmelte Sarah und ließ die Schultern hängen. Sie so niedergeschlagen zusehen, gefiel Alex überhaupt nicht. „Also schön. Wenn du dann endlich aufhörst zu nerven, dann sollst du deinen fünf Minuten bekommen.“, brummte er und schaute Katja dabei genervt an. Mit einem triumphierenden Lächeln hackte sich Katja bei Alex ein und zog ihn mit sich.
Bevor die beiden im Gebüsch verschwanden, schaute Alex noch einmal über die Schulter zurück zu Sarah, die sich neben seinem Vater auf der Bank niederließ und ihre Skizzen zusammenpackte. Dieses Gespräch würde nicht lange dauern, da war sich Alex sicher.
„Also was ist nun? Ich hab was Besseres zu tun, als mich mit deinen Launen herumzuschlagen.“, fragte Alex genervt und verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust. „Du weist genau worum es geht. Die Kleine hat hier nichts verloren. Sie gehört nicht zu uns.“, antwortete Katja und sah Alex herausfordernd an. „Doch an Stelle dich wie alle anderen von ihr fernzuhalten, freundest du dich auch noch mit ihr an. Weist du eigentlich was du da machst? Du bringst uns alle in Gefahr.“, setzte Katja ihre Triade fort, wobei ihre Stimme immer lauter wurde und der Zorn immer mehr von ihr Besitz ergriff. In ihren Augen loderte eine unbändige Wut.
„Das ist doch vollkommener Unsinn. Du steigerst dich da in etwas hinein und siehst Gespenster wo gar keine sind. Weder Sarah noch meine Freundschaft zu ihr stellen irgendeine Gefahr dar. Wohingegen dein Verhalten ihr gegenüber echt das Letzte ist. Sie hat weder dir noch irgendeinen anderen hier etwas getan. Sarah hat es auch so schon schwer genug, also mach es nicht noch schlimmer als es ist.“
Auch Alex fiel es allmählich schwer seine Gefühle im Zaun zu halten. Katjas Temperament und ihre Dickköpfigkeit machten immer wieder Ärger, auf den Alex im Moment gut verzichten konnte.
„Wenn das alles war, würde ich jetzt gerne wieder zurückgehen.“, meinte Alex und fuhr sich mit der Hand durch seine schwarzen Haare. Für ihn war das Gespräch beendet und er würde Katja auch keine Sekunde länger zuhören. Ansonsten würde er die Beherrschung über sich verlieren.
„Oh nein, das war noch lange nicht alles. Du wirst schon noch sehen was du davon hast. Aber denk daran, dass du uns alle mit hineinziehst, wenn irgendetwas schief geht.“
Ohne weiter auf Katjas Worte zu hören, ging Alex mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen zurück zu seinem Haus. In ihm brodelte es und er musste einige Male bis zehn zählen, bis er sich sicher war nicht gleich Sarah oder seinen Vater anzubrüllen.
Doch als er auf die Lichtung vor dem flachen Haus trat, saß nur noch sein Vater mit der Zeitung in der Hand am Tisch. Sowohl Sarah als auch ihre Zeichnungen waren verschwunden.
„Wo ist sie hin?“
„Sarah ist gegangen. Kurz nachdem du mit Katja verschwunden bist, hat sie ihre Sachen genommen und wollte zurück zum Bungalow. Anscheinend hat sie noch etwas zu erledigen und ich wollte sie nicht aufhalten. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dein Gespräch mit Katja so schnell beendet sein würde.“, erklärte Peter und schaute dabei kurz über den Rand seiner Zeitung.
Verdammt, dachte Alex und schaute in die Richtung in der Sarahs Bungalow lag. Er wusste nicht ob er ihr nachgehen, oder lieber erst einmal abwarten sollte, bis sich die Lage etwas beruhig hatte.
Um überhaupt irgendetwas zu machen, stapfte Alex zu der Scheune, die ihm als Werkstatt diente und machte sich an die Arbeit. Was genau er da machte wusste er nicht. Er arbeitete wie mechanisch während es in seinem Kopf rotierte.
Schlimmer hätte der Vormittag nicht enden können, dachte er und schlug ein paar Nägel ins Holz, die schon beim ersten Schlag vollständig versenkt waren.
Kapitel 12
Diese Katja war ja wirklich reizend, dachte Sarah, als sie auf dem Weg zurück zu ihrem Bungalow war. Zunächst hatte sie sich noch einmal zu Peter gesetzt. Nach wenigen Minuten war es ihr aber zu dumm geworden und sie hatte ihre Skizzen geschnappt und gesagt sie hätte noch einiges zu tun.
Auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sarah hatte nicht wirklich etwas zu tun, doch auf ein zweites Zusammentreffen mit dieser Frau konnte Sarah gerne verzichten. Katja schien genau zu wissen, welchen Eindruck sie bei anderen hinterließ und bekam wohl immer alles was sie wollte.
Alex hatte am Anfang zwar nicht mit ihr reden wollen sich dann aber doch breitschlagen lassen.
Kaum war sie bei sich zu Hause sorgte sie erst einmal für Ordnung und machte es sich dann auf ihrem Sofa bequem. Da sie aber nicht wirklich etwas mit ihrer Zeit anzufangen wusste, griff sie nach ihrem Forschungstagebuch und begann zu schreiben. Ihr letzter Eintrag lag schon einige Zeit zurück, also hatte sie einiges nachzuholen.
24. August
Auf meiner gestrigen Nachtwanderung bin ich nun endlich auf Wölfe gestoßen. Ich hatte zwar bereits ein paar Tage zuvor einen schwarzen großen Wolf am Teich gesehen. Doch bei diesem Zusammentreffen hatte ich keine Möglichkeit nähere Beobachtungen zu machen, da mir nur wenige Minuten blieben, um wenigstens eine Skizze anzufertigen.
Dies war gestern Nacht nun anders. Vollkommen unerwartet hatte mich ein Wolf angefallen und in Angriffsstellung vor mir Stellung bezogen. Ich hatte wirklich Angst, dass nun mein letztes Stündlein geschlagen habe. Dieser Wolf war mehr als nur aggressiv, er war auf einen Kampf aus und ich war wohl sein Opfer.
Wie durch ein Wunder kam noch ein zweiter Wolf hinzu, der sich zwischen mit und dem ersten Wolf aufgebaut hatte. So als wolle er mich beschützen. Es war allem Anschein nach der gleiche Wolf, den ich schon am Teich gesehen hatte.
Auch da hatte ich schon eine gewisse Verbindung zwischen ihm und mir gespürt. Und in diesem Moment der Todesangst noch um einiges deutlicher.
Auch sein letzter Blick, bevor er mit dem angriffslustigen Wolf im Wald verschwunden war, hatte auf mich gewirkt, als wolle er sich noch einmal vergewissern, ob es mir auch wirklich gut geht.
Dieses ganze Verhalten beider Wölfe war vollkommen untypisch und entspricht keinen meiner bisherigen Forschungen.
Ich habe keine Ahnung was ich von der ganzen Sache halten soll. Und ob ich mir das alles nur eingebildet habe, oder meine Beobachtungen richtig waren.
Plötzlich hielt Sarah mitten im Schreibfluss inne und starrte auf das eben geschriebene. „Das kann ich doch unmöglich in diesem Buch lassen. Wenn mein Professor das liest, denkt er ich bin irregeworden“, murmelte Sarah.
Mit einem kräftigen Ruck riss Sarah die Seite aus ihrem Tagebuch und knüllte sie zu einer Kugel. Mit etwas Schwung warf Sarah die Papierkugel durch ihr kleines Wohnzimmer und traf sogar noch den Papierkorb.
Sarah startete einen zweiten Versuch, aber dieser war genauso schlecht wie der erste, also lernte auch diese Seite das Fliegen.
Der dritte Versuch war schon besser, aber immer noch nicht ganz zu Sarahs Zufriedenstellung. Doch sie gab es auf noch einen rein wissenschaftlichen Eintrag zu schreiben und klappte das kleine Buch zu.
Ihren Gedanken freien Lauf lassend, musste sie wieder an die Zeichnung von Alex und dem Wolf denken. Während des Frühstücks hatte sie Alex immer wieder heimlich angeschaut und dabei wirklich gewisse Parallelen zu erkennen gemeint. Besonders seine zerzausten Haare und das lange glänzende Fell des Wolfes waren sich sehr ähnlich.
Sarah fand selber, dass dies, totaler Schwachsinn war, Alex mit einem Tier zu vergleichen. So etwas gab es doch gar nicht. Auch wenn manche Leute an die alten Geschichten, in denen es Menschen gab, die sich in Wölfe verwandeln können, glauben.
Da fiel Sarah wieder das Buch mit den Legenden des Dorfes ein. Ich hatte bisher zwar nur einige der Geschichten überflogen. Da sie aber sonst nicht wirklich etwas zu tun hatte, zog sie das Buch aus dem Regal und begann darin zu blättern. Natürlich blieb sie wieder an den wunderschönen Holzschnitten hängen. Aber dieses Mal las sie auch in einigen der Geschichten hinein.
Da ging es um Waldgeister und magische Tiere. Aber auch Helden aus dem bayrischen Wald spielten eine große Rolle.
Und dann stieß Sarah auch wieder auf die Geschichte der Beschützer. Sarah las sie noch einmal, da sie meinte etwas übersehen zu haben. Jedoch hatte sie Recht behalten. Nirgendwo in der gesamten Geschichte wurde wirklich gesagt was für Wesen diese so genannten Beschützer nun waren. Es gab zwar die Beschreibung des Mädchens, diese war aber auch nicht gerade viel sagend, sodass man nicht genau sagen konnte, um was es sich dabei handelte.
Der Holzschnitt, der dazugehörte zeigte ja nach ihrer Auffassung ein Rudel Wölfe. Vielleicht hatten sich die Leute das zusammengereimt, denn früher lebten in diesem Wald viele Wölfe.
Egal wie Sarah es drehte und wendete eine klare Antwort erhielt sie nicht.
Also legte sie das Buch beiseite und machte sich daran das Essen vorzubereiten. Die Zeit war schneller vergangen als Sarah geglaubt hatte und so war es auch schon soweit fürs Abendbrot.
Für den Abend hatte sich Alex mit seinen Kumpels verabredet. Sie trafen sich auf einer der vielen kleinen Lichtungen im Wald und machten ein kleines Lagefeuer. Wer Hunger hatte, konnte sich dann jeder Zeit eine Bratwurst grillen. Das machten sie häufig.
Sein Vater wusste natürlich darüber Bescheid. In seiner Zeit als Förster war Peter von diesen Treffen nicht sonderlich begeistert gewesen, aber mittlerweile hatte er sich damit abgefunden.
Alex war mal wieder etwas spät dran. Nach dem ziemlich verkorksten Morgen hatte er doch noch angefangen in seiner Werkstatt zu hantieren und kaum war er mal in Fahrt, hatte Alex erst aufhören können, als er mit seinem Werk zufrieden war.
Natürlich hatten in der ganzen Zeit ständig Tobias und Flo angerufen. Nach dem dritten Mal hatte Alex das Klingeln einfach ignoriert. Sie würden es schon überleben, wenn sie mal ein paar Minuten ohne ihn auskommen mussten.
Schon von weitem roch er den Rauch des Feuers und hier und da war ein herzhaftes Lachen zu vernehmen. Nach wenigen Metern stieß Alex dann zu seinen Freunden. Diese saßen in einem Halbkreis um das Feuer und waren in ein Gespräch vertieft. Es musste eine hitzige Diskussion sein, so wie jeder versuchte zu Wort zu kommen.
Neben Tobi und Flo waren noch weitere Jungs und junge Männer aus dem Dorf anwesend. Zu Alex Leidwesen leider auch Katja, wie er nach einem Blick in die Gesichter der Anwesenden feststellen musste. Am liebsten hätte er sofort wieder kehrt gemacht, doch leider war es dafür zu spät.
Seine Freunde hatten ihn entdeckt und zogen ihn zu sich auf den grasigen Boden.
„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon ich muss dich persönlich hier her schleifen.“, brummte Florian und legte seinen kräftigen Arm um Alex Nacken, damit dieser nicht wieder abhauen konnte.
„So jetzt bin ich mal gespannt was du zu unserer kleinen Auseinandersetzung beisteuern kannst.“, erzählte Flo einfach weiter, ohne Alex zu Wort kommen zu lassen.
„Das Problem sieht wie folgt aus. Unsere süße Katja findet, dass wir uns unbedingt von der Neuen, also Sarah fern halten sollten. Sie gehört hier nicht her und brauch nichts über uns und diesen Wald zu wissen.“, mischte sich Tobias nun ein.
Alle anderen spitzten die Ohren und beugten sich ein wenig weiter nach vorne zu Alex, damit sie jedes Wort seiner Antwort mitbekamen.
In dem jungen Mann kochte sofort wieder die Wut des Morgens hoch. Er hätte doch besser zu Hause bleiben sollen. Aber Alex hatte gehofft hier auf andere Gedanken zu kommen. Jetzt musste er sich aber erneut mit diesem leidigen Thema auseinandersetzten.
„Ich habe ihr heute Morgen schon meine Meinung mehr als deutlich gesagt. Also entschuldigt mich, wenn ich wirklich keine Lust dazu habe das ganze noch einmal zu wiederholen. Ich mag Sarah und sehe keinen Grund, warum ich mich nicht mit ihr unterhalten sollte.“
Einen bissigen Blick zu der temperamentvollen Frau konnte Alex sich nicht verkneifen. Sie sollte wissen, dass er immer noch sauer auf sie iwar und ihr die Szene, die sie gemacht hatte noch lange nicht verziehen hatte.
Katja zuckte aber nur mit den Schultern und schaute in die Runde.
„Damit ist die Sache also ziemlich ausgeglichen. Tobi, Johannes und ich sehen das nämlich genauso wie du, Alex.“
„Mein Paps hat von ihr erzählt. Sie war in unseren kleinen Laden und hatte eine Karte der Umgebung gekauft. Paps meinte sie habe ganz fasziniert die alten Holzschnitte angesehen, weshalb er ihr auch ein Buch über unsere Legenden geschenkt hatte. Er fand sie recht sympathisch. Also warum sollte ich was anderes sagen.“, ergriff der kleine Johannes das Wort. Er war der Jüngste in der Runde. Mit seinen Fünfzehn Jahren war er voller Tatendrang und wissbegierig. Seine dunkelbraunen Haare waren leicht gewellt, sodass er immer ziemlich chaotisch aussah. Dies unterstrich aber sein aufgewecktes Wesen nun noch deutlicher.
Alex mochte den Kleinen. Und trotz seines jungen Alters, war Johannes voll und ganz in der Gruppe aufgenommen wurden.
„Da habt ihrs. Selbst die älteren Dorfbewohner mögen Sarah, Also stellt euch nicht so an. Sie ist schließlich nicht die Pest.“, meinte Alex und fuhr seinen jungen Freund mit der Hand über den Kopf.
Die anderen vier jungen Männer sagen erst einmal gar nichts und sahen sich etwas verunsichert an. „Na ja ich finde aber wir sollten vorsichtig sein. Schließlich kennen wir sie noch nicht richtig und ich für meinen Teil gehe lieber auf Nummer sicher.“, erklärte Max.
„Und das ist genau die richtige Einstellung.“ Genau auf diese Chance hatte Katja wohl gewartet. Sie musste immer das letzte Wort haben.
„Oh man ich habe jetzt echt genug davon. Mein Magen beschwert sich schon, also mach ich mir jetzt was zu essen. Will noch einer?“, lockerte Florian die Stimmung auf und griff in seinen Rücksack, den er an einen Baum gelegt hatte. Daraus holte er mehrere Packte Würstchen. Lange, dünne Äste lagen schon etwas abseits des Lagerfeuers bereit.
Geschickt spießte Florian die Würste auf und lehnte sie dann in die züngelnden Flammen. Natürlich wollte jeder etwas abhaben. Also standen nach kurzer Zeit neun Äste am Feuer. Ab und zu drehten die Jungs diese, damit die Würstchen nicht verbrannten.
Endlich alle mit dem Essen beschäftigt, rückte Tobias näher an Alex heran. „Was war denn heute Morgen los? Katja hatte nur erwähnt, dass sie bei dir war und da auf Sarah getroffen wäre“
So knapp wie möglich berichtete Alex den Vormittag noch einmal. Auch Johannes war näher an die kleine Gruppe herausgerückt und lauschte.
„… dann hatten wir alle ihre Skizzen wieder eingesammelt und in diesem Moment ist Katja aufgetaucht. Und ihr wisst ja wie sie immer ist. Ich dachte ich flippe gleich aus. Na ja als ich dann mit ihr gesprochen hatte, war Sarah verschwunden.“
„Zeichnet sie gut?“
Die drei hoben erstaunt die Köpfe und schauten zu Johannes, der in aller Ruhe seine Wurst am Stock aß.
„Ja sie zeichnet sogar sehr gut. Wenn du dir ihre Bilder anschaust, hast du das Gefühl sie kommen dir gleich aus dem Blatt entgegen gesprungen.“, beantwortete Alex die Frage. „Cool, die würde ich mir wirklich gerne mal anschauen.“
Nach diesem eher unerfreulichen Start wurde der Abend doch noch ganz lustig. Johannes war Feuer und Flamme und wollte alles über Sarah wissen, während er nebenbei noch zwei weitere Bratwürste aß.
Florian und Tobias empfanden das ganze Theater auch maßlos übertrieben. Sie waren am Anfang ebenfalls sehr verhalten Sarah gegenüber gewesen. Aber nachdem sie sie kennen gelernt hatten, sahen sie auch kein Problem und schon gar keine Gefahr in ihr.
Wenigsten auf diese drei konnte er sich verlassen, dachte Alex.
Geschmeidig und vollkommen lautlos streiften sie durch die Mond erhellte Nacht. Der Wind, der durch ihre schnellen Bewegungen entstand, fegte durch ihr langes, geschmeidiges Fell. Sie waren zu fünft und hatten ein festes Ziel vor sich. Doch niemand durfte etwas von ihrer Anwesenheit erfahren. Schon gar nicht die ansässigen Dorfbewohner. Das würde ihr ganzes Vorhaben zu Fall bringen.
Mit ihren feinen Nasen nahmen sie jede noch so kleine Nuance wahr. Sie rochen das langsam erlöschende Feuer. Aber vor allem nahmen die fünf Wesen die unterschiedlichen Gerüche der Anwesenden wahr.
Sie hatten alle schon lange die kleine Lichtung verlassen, dennoch waren ihre Duftspuren immer noch präsent.
Kurz bevor sie auf die Lichtung traten, stoppte die Gruppe. Ihr Anführer schaute sich genau um, um zu verhindern, dass sie entdeckt wurden. Von der gegenüberliegenden Seite war ein Rascheln zu hören. Sofort stellten alle Wesen ihre Ohren auf und gingen in Angriffsstellung.
Aus den Schatten der Bäume trat eine junge Frau hervor und blieb mitten auf der Lichtung, wo sie vom Mondlicht beschienen wurde stehen.
„Da seit ihr ja endlich.“, war ihre markante und leicht verärgerte Stimme zu hören. Daraufhin trat der Anführer hervor, während die anderen weiter im Unterholz versteckt blieben.
Ohne jedes Zögern trat er auf die junge Frau zu. Auch auf ihrem Gesicht war nicht die geringste Spur von Angst zu sehen, was die normale Reaktion auf ihn und seine Art war. Nur wenige Zentimeter vor ihr, blieb das Wesen stehen und schaute ihr direkt in die Augen.
„Ich habe auf euch gewartet. Ihr wurdet doch nicht gesehen oder?“, fragte die Frau und fuhr mit ihrer Hand durch das dichte Fell des Wesens und schmiegte sich an es an.
Ein leises Knurren war zu hören, doch die Frau verstand genau was der Anführer ihr zu sagen hatte.
„Gut, dann höre mir jetzt ganz genau zu.“
Kapitel 13
Sarah hatten am letzen Abend keine Lust mehr gehabt noch den Abwasch zu machen. Darum blieb ihr nun nichts anderes übrig, als ihn nach dem Frühstück zu erledigen, denn sie hatte kaum noch Geschirr und Besteck in den Schränken.
Sonderlich viel Lust hatte sie immer noch nicht darauf. Aber was gemacht werden musste, musste erledigt werden. Würde sie es noch weiter vor sich herschieben, hätte das nur zur Auswirkung, dass es bald anfangen würde zu stinken. Darauf konnte Sarah liebend gern verzichten.
Sie war gerade fertig mit spülen und schnappte sich ein Handtuch, um die Teller abzutrocknen. Dabei ließ sie ihren Gedanken freien Lauf und achtete kaum auf ihre Umgebung. Die Handgriffe liefen beinahe mechanisch ab. Sie griff sich einen Teller, fuhr mit dem Geschirrtuch darüber und stellten ihn wieder sicher neben sich auf der Ablage ab.
„Morgen Sarah.“
Wie vom Blitz getroffen, geriet Sarahs Rhythmus durcheinander und beinahe wäre ihr der Teller aus den feuchten Händen gerutscht und klirrend zu Boden befallen. Der Teller wäre in tausend Scherben zerbrochen, so war Sarah zusammengezuckt.
„Sag mal hast du sie nicht mehr alle!“, schimpfe sie und fasste sich an die Brust unter der ihr Herz wie wild schlug.
„Tut mir leid. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du mich nicht bemerkt hast“, antwortete Alex und hob verteidigend die Hände.
Nur sehr langsam beruhigte sich Sarahs Herzschlag. Ihre Hände zitterten immer noch heftig, daher stellte sie den Teller, der sich immer noch sicher in ihren Händen befand auf der Arbeitsplatte ab.
„Mach das bitte nicht noch einmal mit mir. Beim nächsten Mal falle ich tot um. Kein Herz hält das zweimal aus“, meinte Sarah und stützte ihre Arme am Spülbecken ab. Es war immer noch angenehm warm, deshalb hatte sie das Küchenfenster geöffnet, um frische Luft in den Bungalow zu lassen. Sie schaute Alex fragend an und wartete auf eine Reaktion von ihm. Was wollte er denn hier?
„Na ja wenn du den Teller hättest fallen lassen, hätte man wenigstens sagen können, Scherben bringen Glück.“ Alex zuckte die Schultern und lehnte sich auf die Fensterbank. Die Küche war auch so schon nicht besonders groß, also blieb er draußen und schaute zur Küche hinein.
„Soll das jetzt ein Trost sein? Vielleicht ist das ja ein wertvoller alter Teller von meiner Großmutter.“ „Ganz sicher nicht. So ein billiger weißer Teller. Denn hast du wohl eher bei Ikea gekauft.“
Leider hatte Alex damit Recht. „Also was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“, fragte sie stattdessen und lenkte somit das Gespräch auf ein anderes Thema. Die Uni bezahlte sie zwar für ihre Arbeit, trotzdem war das nun auch nicht gerade eine Menge.
„Ich bin eigentlich gekommen, um dich zu fragen warum du gestern so plötzlich gegangen bist. Und gleichzeitig möchte ich mich auch für da Benehmen von Katja entschuldigen“, antwortete Alex und legte dich jetzt förmlich mit den Armen auf das Fensterbrett, das deutlich knarrte.
„Warum entschuldigst du dich denn für ihr Verhalten? Das ist doch Unsinn. Wenn dann müsste sie das schon tun. Außerdem bin ich gegangen, weil ich auch noch etwas zu tun hatte. Ich kann doch nicht den ganzen lieben langen Tag bei dir und deinem Vater sitzen und Kaffee trinken. Da komme ich ja nie weiter.“
Da ihre Hände aufgehört hatten zu zittern, schnappte sich Sarah wieder einen Teller und begann ihn mit dem Geschirrtuch abzutrocknen. Dieses Mal behielt sie dabei aber das Fenster im Auge. Noch so eine Überraschung brauchte sie heute nicht.
„Da hast du wohl Recht. Trotzdem war es mir wichtig, dass du es mir nicht übel nimmst. Und natürlich möchte ich dich auch nicht von deiner wichtigen Arbeit abhalten.“
Ein leichtes Lächeln bildete sich auf Sarahs Gesicht. Man konnte Alex wirklich nur sehr schwer böse sein.
„Weist du Katja ist so ziemlich das einzige Mädchen hier im Dorf, dass in unseren Alter ist. Die meisten anderen haben das Dorf verlassen und wohnen und arbeiten jetzt woanders. Da hat sie eine gewisse Sonderstellung und die nutzt sie auch in vollen Zügen aus. Da du jetzt die Fremde bist, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, sieht sie in die wohl eine Art Konkurrentin“, versuchte Alex zu erklären, doch er merkte selbst wie idiotisch das klang, was er da von sich gab.
„Sonderstellung? Aber nur weil ihr sie dorthin stellt. Wenn ihr, ihr nicht so viel Beachtung schenken würdet, wäre sie wie jeder andere hier im Dorf. Und wenn sie in mir wirklich eine Rivalin sieht, finde ich das ziemlich albern.“
Nebenbei verstaute Sarah das Geschirr im Schrank und musste sich dafür etwas strecken, um an das oberste Fach zu kommen. Dabei gab das T-Shirt einen Blick auf ihren flachen Bauch frei, den Alex angeregt studierte.
„Bist du dann mit der Hausarbeit fertig?“ „Für heute ja, warum fragst du?“
Alex lächelte sie verschwörerisch an. „Dann möchte ich, dass du kurz mit mir kommst. Ich brauche mal kurz deine Hilfe bei einer Kleinigkeit.“
Sarah hatte zwar keine Ahnung was das zu bedeuten hatte, doch die warf das Handtuch in die Ecke und schloss das Küchenfenster. Alex stand schon in der Haustür, als Sarah ihm öffnen wollte.
„Du brauchst deine Tasche nicht. Es wird auch nicht lange dauern, das verspreche ich.“ „Na gut, wenn du meinst“
Im Schatten der Bäume stand auch Alex sein Transporter. Wie konnte das nur möglich sein? Sarah hatte gar nichts gehört, und dass der Wagen leise war, konnte man nun wirklich nicht behaupten.
„Steig ein. Ich entführe dich kurz ins Dorf“; grinste Alex und stieg selbst in seinen Wagen. „Wirklich sehr charmant. So lasse ich mich doch gerne entführen. Was ist unser Ziel Herr Entführer?“ Alex musste laut loslachen, was allerdings von dem startenden Motor noch übertönt wurde.
„Das kann ich meinem Opfer doch wohl schlecht sagen. Nachher kommt der Ritter in seiner weißen Rüstung und holt dich zurück. Das kann ich unmöglich zulassen.“ Jetzt müsste auch Sarah lachen, da Alex es wirklich schaffte den Bösen zuspielen und dabei einfach nur zum totlachen auszusehen.
„Wirklich gut gekontert. Aber man Spaß beiseite wo wollen wir wirklich hin?“ „Kleinen Moment noch wir sind gleich da. Ich erkläre dir alles wenn wir vor Ort sind. Ich denke das macht es einfacher.“ Sarah zuckte nur leicht mir den Schultern und ließ sich in den Sitz zurückfallen. Man konnte schon die Federn durch die verschlissenen Polster spüren, sodass es alles andere als bequem war. Aber man konnte es aushalten.
Etwa zehn Minuten später hielt Alex auf dem Dorfplatz an. Wohin er mit ihr wollte, wusste Sarah immer noch nicht. Gemeinsam stiegen sie aus dem Transporter und Alex führte sie zu dem kleinen Blumenladen zu ihrer Linken. Der Anblick war wirklich toll. Auch wenn der Laden nicht gerade groß war, war das Angebot riesig. Und die schon fertig gebundenen Sträuße waren so hinreißend, dass Sarah sich gar nicht entscheiden konnte, welcher davon nun der schönste war.
„Hast du mich hierher gebracht, um einen Blumenstrauß für eine andere Frau auszusuchen?“, fragte Sarah provozierend und stemmte die Arme in die Hüfte. Wie ertappt, fuhr sich Alex durch seine wilden Haare und grinste verlegen. „Nicht ganz, aber du bist der Sache schon recht nahe. Ich habe folgendes Problem. Einer meiner Kundinnen möchte gerne ein Blumenmuster auf ihrer Kommode haben. Leider habe ich selber kaum Ahnung davon und bin froh wenn ich Tulpen von Lilien unterscheiden kann. Und da kommst du jetzt ins Spiel. Ich wollte auf dein Angebot zurückgreifen, dass du mir helfen würdest bei der Gestaltung meiner Möbel. Also was meinst du welche Blumen passen gut zusammen und wie bringe ich diese dann am besten auf das Holz?“
Damit hatte Sarah nun nicht gerechnet, sodass sie Alex etwas überrascht musterte. „Erst einmal Glückwunsch, dass du Tulpen von Lilien unterscheiden kannst. Wie Rosen aussehen, dass weist du aber?“ Alex nickte kaum merklich. „Wenigstens etwas, denn die sind wirklich wichtig. Gut dann lass mich mal schauen.“
Sarah betrachtete noch einmal eingehend die Blumenauswahl und machte sich dabei ihre Gedanken was gut zusammen aussehen würde. „Hat deine Kundin irgendwelche genaueren Vorstellungen und dem Blumenmuster?“ „Sie hat nichts konkretes genannt, meinte nur es solle bodenständig und nicht zu verschnörkelt sein“, antwortete Alex und sah sich ebenfalls um, obwohl es kaum eine der Blumen beim Namen kannte.
„Gut dann bleiben wir lieber bei einfachen Blumen und nicht zu edel. Schau mal hier. Tulpen kennst du ja. Das hier sind noch Christrosen, Nelken, Primeln und Kornblumen. Ach und hier sind auch noch Sonneblumen. Ich schlage vor wir lassen und von der zwei mitgeben und dann schauen wir wie man es am besten zusammenstellt, damit es nicht zu überladen wirkt“, schlug Sarah vor und zog jeweils die schönsten Exemplare aus den Vasen.
Sofort war auch die Floristin an ihrer Seite und fragte, ob sie Hilfe benötigten. Sarah verneinte höflich, fragte aber, ob die gute Frau noch ein paar grüne Blätter zum ausschmücken des Straußes hätte. Mit einem herzlichen Lächeln auf dem Gesicht führte sie ihre beiden Kunden in den Laden und nahm Sarah die Blumen aus der Hand. Mit ein paar geschickten Griffen waren in zwei Minuten alle Blumen zusammengefasst mit etwas Schleierkraut und ein bisschen Grün.
Alex zückte sofort sein Portemonnaie und bezahlte alles, nachdem die Floristik Sarah den Strauß gegeben hatte. „Vielen Dank noch mal und einen schönen Tag noch“, verabschiedeten sich die beiden und gingen zurück zum Transporter.
Auf der Fahrt zum Bungalow der Millers bettete Sarah die Blumen vorsichtig auf ihren Schoß und betrachtete die zarten Blüten.
„Damit wäre Punkt eins erledigt. Kommen wir nun zum schweren Teil der Arbeit“ meinte Alex und bog in die Einfahrt zu einem Haus ein und parkte vor der alten Scheune.
„Dann benötige ich aber Papier und Bleistift. Du meintest ja ich bräuchte meine Tasche nicht.“ „Keine Sorge, damit kann ich dienen. Machs dir in der Scheune schon mal gemütlich. Ich bin gleich bei dir.“ Alex verschwand kurz im Haus. Gemütlich sollte sie es sich machen. Das war leichter gesagt als getan. Obwohl die Scheune aufgeräumt war, lagen doch überall Werkzeuge und Holzteile herum. Vorsichtig, darauf bedacht keinen falschen Schritt zu machen, betrat Sarah die Scheune und steuerte die Werkbank an. Diese bot eine freie Fläche, auf der sie die Blumen ablegen konnte, denn mit der Zeit wurden sie ziemlich schwer auf ihrem Arm.
„Ist vielleicht jetzt nicht das beste Papier, das du bisher benutzt hast, aber ich hoffe es reicht für ein paar Skizzen“, sagte Alex, als er ebenfalls die Scheune betrat. Neben dem Papier und den Stift hatte er auch noch zwei Flaschen Wasser auf dem Arm und trug alles zu Sarah an die Werkbank.
„Ich dachte das hier könnte etwas länger dauern und hab gleich was zu trinken mitgebracht. Und schon eine Idee?“ „Noch nichts Richtiges. Ich werde ein paar Skizzen machen und dann sehen wir weiter. Wie sieht denn die Kommoder überhaupt aus? Dann kann ich darauf gleich mit achten beim Zeichnen.“ „Sieh steht da hinten. Eigentlich schon fertig nur die Deko fehlt und dafür bist du ja jetzt zuständig“, grinste Alex und machte sich an die Arbeit an einen der anderen unzähligen Stücke, die herumstanden.
Sarah atmete noch einmal tief durch bevor sie sich auf die Werkbank setzte und mit dem Zeichnen begann. So richtig wollte ihr aber nichts einfallen. Immer und immer wieder knüllte sie ein Blatt zusammen und warf es hinter sich. Es war frustrierend nicht die passende Idee zu finden. Es war zwar alles ganz hübsch, doch es wollte nicht so richtig passen.
„Wenn du noch mehr Bälle formst, hast du bald kein Papier mehr und das ist alles was wir im Haus haben“; bemerkte Alex scherzhaft und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Ich weiß, aber mir will nicht wirklich etwas einfallen. Es ist zum Haare raufen“, seufzte Sarah und ließ den Kopf leicht hängen. „Hey mach dir keinen Stress. Du kommst schon noch auf eine Hammeridee und unter Zeitdruck lässt es sich eh schlecht arbeiten. Also ganz ruhig bleiben.“ Sarah schenkte Alex ein kleines Lächeln und versuchte es erneut.
Dieses Mal aber nahm sie sich direkt die Blumen vor und ging mit ihnen rüber zu der Kommode. Vorsichtig löste Sarah das Band, welches die Blumen zusammenhielt und breitete sie auf der Holzplatte aus. So sah alles schon ganz anders aus. Damit konnte sie viel mehr anfangen, als mit dem gebundenen Strauß.
Und da war auch ihre Inspiration wieder. Als hätte sich die Blockade in Luft aufgelöst, flog der Stift über das Blatt Papier. Immer deutlicher kamen die einzelnen Blüten zum Vorschein und ergaben nach und nach ein stimmiges und harmonisches Ganzes. Auch für die Schubladen ließ sich Sarah noch etwas einfallen, da sie fand es würde sonst zu kahl aussehen. Endlich war sie zufrieden mit dem was sie da zu Papier brachte.
„Hey Alex bist du da?“
Sarah blickte auf und sah einen Jungen im offenen Scheunentor stehen. Es hatte wilde dunkle Locken und ein strahlendes Grinsen im Gesicht. Sarah schätze, dass er ungefähr ihre Größe hatte, aber bei seinem Alter war sie sich nicht sicher.
„Hey Johannes. Was gibs Kleiner?“, antwortete Alex und ließ seine Arbeit liegen. „Mein Vater schickt mich. Wir bräuchten mal deine Hilfe. Im Laden ist ein Regal zusammengebrochen und mein Vater weiß nun nicht, ob es noch zu retten ist, oder ob er ein neues besorgen muss“, erklärte Johannes und schlenderte wie selbstverständlich durch dir Scheune.
„Muss ich sofort vorbeikommen?“ „Nö es drängt nicht. Kannst dir also Zeit lassen.“ Das beruhigte Alex um einiges, denn momentan hatte er keine Zeit für irgendwelche anderen Arbeiten. Und außerdem war Sarah extra mit ihm hergekommen, um die Kommode fertig zustellen.
„Ach ja Johannes, du wolltest doch Sarah kennen lernen, da hast du jetzt die Gelegenheit zu. Sie hilft mir gerade bei der Arbeit“, ergriff Alex das Wort und deutete mit der freien Hand auf Sarah, die im hinteren Teil der Scheune noch nach der passenden Zeichnung suchte. „Da hab ich aber ein Glück.“ Johannes durchquerte mit ein paar Schritten den Raum und stellte sich direkt hinter Sarah, um ihr über die Schulter zu schauen.
„Das sieht ja echt wahnsinnig toll aus. Da hat Alex echt nicht zu viel versprochen“, staunte Johanne und bekam sich kaum noch ein.
„Ich bin übrigens Johannes. Alex hat uns einiges von dir erzählt. Und ich wollte unbedingt ein paar deiner Bilder sehen nachdem er sie so in den Himmel gelobt hat“, strahlte er übers ganze Gesicht und schaute Sarah mit leuchtenden Augen an.
„Ähm … ja es freut mich auch dich kennen zulernen. Freu mich, dass dir die Skizzen gefallen, aber sie sind noch nicht fertig. Das kann noch eine Weile dauern.“ „Also mir gefallen sie jetzt schon. Mein Vater hat dich erwähnt. Er meinte du seiest ganz fasziniert von die Holzschnitten aus dem Sagenbuch gewesen.“ Sarah musste kurz überlegen, bis ihr einfiel, wer Johannes sein Vater war.
„Ach dein Vater ist der Besitzer des kleinen Ladens am Marktplatz? Dann richte ihm bitte schöne Grüße aus. Er ist wirklich sehr freundlich“, meinte Sarah. „Werde ich machen. Mein Gott wenn ich mal so vergleiche was Katja so über dich erzählt hat, da lag sie ja total daneben. Aber so ist Katja ja immer. Kaum könnte sie mal in den Hintergrund geraten, muss sie andere schlecht reden“, schimpfte Johannes und wandte sich wieder Alex zu, der dem Gespräch von seinen zwei Freunden gelauscht hatte.
„Erwähn bloß nicht ihren Namen. Ich hab erstmal genug von ihr. Ich bringt nur Unruhe in unsere Gruppe. Darf ich dann auch mal schauen, wenn schon so von deinem Meisterwerk geschwärmt wird?“, fragte Alex und kam ebenfalls durch die Scheune gelaufen.
„Also ein Meisterwerk ist das bei aller Liebe nicht. Ich bin mir noch nicht sicher welches am besten passt, das musst du entscheiden Alex“, antwortete Sarah und fasste die Blumen wieder zu einem Strauß zusammen. Auf der Holzplatte der Kommode lagen vier verschiedenen Entwürfe. Jeder für sich sah toll aus und hatte seine ganz persönliche Wirkung. Auch Alex fiel die Entscheidung nicht leicht. Doch nach längerem hin und her entschied er sich dann für die dritte Skizze. Es war eine Art Blumenkranz mit ein paar Schnörkeln darum. Und genau diese Schnörkel würden sich dann auch wieder auf den Schubladen wieder finden.
„Wir nehmen diese hier. Ich denke das passt am besten zu den Wünschen meiner Kundin. Aber wie übertragen wir das jetzt aufs Holz? So klein sollte es ja nun nicht bleiben.“
„Ich werde die Konturen ganz leicht mit einem Bleistift auf das Holz zeichnen. Dafür brauch ich aber mehr Licht, damit ich sehen kann wo ich schon etwas gezeichnet habe und wo nicht. Hast du eine Lampe, die hell genug ist? Ich meine du wirst sie ja auch brauchen, damit du später mit dem Schnitzen anfangen kannst“, schlug Sarah vor und nahm Alex die Skizze aus der Hand, um sie sich noch einmal ganz genau anzuschauen. Es würde noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Aber es war mal eine gelungene Abwechslung zu ihrer sonstigen Arbeit.
„Ich denke da habe ich etwas Passendes da. Ich muss nur danach suchen. Gib mir ein paar Minuten.
Kapitel 14
Die nächsten Tage verbrachten Sarah und Alex fast ausschließlich in der Scheune. Nachdem Sarah die Skizze auf das Holz übertragen hatte, hatte Alex mit der Schnitzarbeit begonnen. Ganz vorsichtig und sehr langsam begann er die Konturen der Zeichnung nachzuziehen und in das Holz zu schneiden. Machte er einen Fehler war seine ganze bisherige Arbeit dahin und er müsste noch mal ganz von vorne anfangen.
Natürlich war auch Sarah darauf bedacht keinen Fehler zu machen, weshalb ihre Bleistiftlinien auf der Holzplatte so zart waren, dass Alex manchmal Probleme hatte sie überhaupt zu erkennen.
Obwohl sie unter ziemlichen Zeitdruck standen, arbeiteten sie mit größter Sorgfalt, damit die Kommode auch wirklich zum verabredeten Termin fertig war und an die Kundin übergeben werden konnte.
Einmal schaute auch Johanne noch vorbei um ihre Fortschritte zu bestaunen und in der Hoffnung noch ein paar von Sarahs Bildern zu sehen. Doch dafür war kaum Zeit, da sie gleich noch ein paar andere Skizzen anfertigte, die man später vielleicht auch zur Verzierung der Möbel benutzen konnte. Ihr machte die Arbeit enormen Spaß und so kreativ wie in diesen zwei Tagen war sie schon lange nicht mehr gewesen. Natürlich war das alles noch nicht perfekt und fertig ausgereift, aber man konnte sich schon genaue Vorstellungen machen, wie es aussehen würde wenn alles fertig war.
Peter war so nett und versorgte Sarah und Alex mit Essen und Trinken. Zwar waren es meistens nur eine Kanne Kaffee und Wasser mit einer bestellten Pizza oder ein paar belegten Brötchen, doch das war vollkommen ausreichend, da die beiden sowieso mit ihren Gedanken ganz bei der Arbeit war.
Sie arbeitete immer bis spät in die Nacht. So lange bis ihnen die Augen beinnahe zufielen und sie kaum noch etwas scharf erkennen konnten. Sarah hatte es sich in einer Ecke der Scheune bequem gemacht und aus zwei großen Kissen und einer Wolldecke eine gemütliche Sitzecke eingerichtet in der sie ihre kurzen Pausen verbrachten und etwas aßen.
„Was meinst du, werden wir pünktlich fertig?“, fragte Sarah als sie zusammengesunken an ihrer Tasse nickte.
„Ich denke schon. Wir sind gut in der Zeit und wenn jetzt nicht noch irgendeine größere Katastrophe passiert, schaffen wir es bis morgen. Außerdem sind es jetzt nur noch ein paar Kleinigkeiten, um der Kommode den letzten Schliff zu geben. Also keine Sorge.“
„Es ist schon Wahnsinn was so ein bisschen Schnitzerei und Verzierung so bewirken kann oder? Jetzt sieht die Kommode vollkommen anders aus und um einiges edler. Du solltest das öfter machen. Ich vermute das wird deine Auftragslage noch um einiges steigern. Vielleicht musst du dann sogar jemanden anstellen, damit du alles schaffst“, meinte Sarah zum Teil im Spaß, denn man sollte nicht zu schnell nach den Sternen greifen. Erst einmal sehen, was die Kundin Morgen sagen würde, wenn sie das Möbelstück sieht.
„Eigentlich gar keine schlechte Idee, genügend Skizzen hast du ja angefertigt, die dürften erst mal für eine Weile reichen. Und was die Angestellten angeht, gehe ich doch mal davon aus, dass du meine erste Mitarbeiterin bist, denn du hast schließlich dafür gesorgt, dass es zu einem Unikat geworden ist“, antwortete Alex und neigte den Kopf zu Sarah, damit er ihre Reaktion sehen konnte.
„Alex ich bin Forscherin und keine Handwerkerin. Ich glaube kaum, dass du es lange mit mir aushalten würdest, weil ich so selbstkritisch mit meinen Arbeiten bin. Außerdem habe ich schon einen Job, den ich in den letzten Tagen ganz schön vernachlässigt habe, damit ich dir helfen konnte“, sie meinte es nicht so vorwurfsvoll sie es sich anhörte, aber es stimmte nun mal. Sie hing schon hinterher und hatte noch nichts wirklich Brauchbares herausfinden können. Stattdessen vergeudete sie ihre Zeit mit allem möglichen Unsinn, der sie rein gar nichts weiterbrachte.
„Hör zu Sarah, du hast mir geholfen, also werde ich dir jetzt auch bei deinen Forschungen helfen. Ich kenne den Wald sehr gut und denke ein paar gute Plätze im Laufe meines Lebens entdeckt zu haben, wo man brauchbare Hinweise für die Existenz von Wölfen in diesem Wald finden kann. Und es würde ja reichen wenn du halbtags bei mir arbeitest. Das reicht mir auch, ich will schließlich auch mal meine Ruhe haben.“
„Wirklich sehr witzig, aber dann müsste auch das Geld stimmen, sonst mach ich hier keinen Finger mehr krumm“, scherzte Sarah und stellte ihre Tasse auf die Werkbank. Es war wieder spät geworden und sie wollte auch endlich fertig werden.
„Jetzt stellt sie schon Ansprüche ich fass es nicht“, konterte Alex und fuhr sich mit der Hand durch die wilden Haaren.
„Na komm sehen wir zu, dass wir fertig werden. Ich wer auch langsam müde möchte gern ins Bett“, gähnte Sarah und rieb sich mit der linken Hand das Auge. Schon in den letzten Nächten hatte sie nicht besonders viel Schlaf abbekommen, weshalb sie auch vollkommen übermüdet war. Auch starker Kaffee schien dagegen nicht mehr zu helfen.
„Klar doch. Ich mache jetzt noch die letzten Feinarbeiten und dann polieren wir das Holz nur noch etwas auf damit die Schnitzerei besser zur Geltung kommt. Aufräumen kann ich dann Morgen früh alleine“, stimmte ihr Alex zu, der sich auch nicht mehr ganz fit fühlte.
Eine Stunde später war das Werk endlich vollbracht. Und beide mussten sich eingestehen, dass sich die ganze Arbeit und die langen Nächste gelohnt hatten. Wenn das Stück nicht schon an jemanden verkauft gewesen wäre, hätte Alex sie vielleicht selber behalten, obwohl er keine Ahnung hatte, wo er sie hinstellen sollte. So ein Stück brauchte Platz, damit es wirken kann.
„Oh man es ist wirklich ziemlich spät geworden. Es ist gleich zwei Uhr in der Nacht.“ „Dann werde ich mich mal auf den Weg machen, schließlich hab ich noch ein Stück Weg vor mir. Ich beneide dich richtig, dass du dich jetzt einfach in dein Bett fallen lassen kannst“, seufzte Sarah warf ihre Haare zurück und schulterte ihre kleine Tasche, in der sie alle ihre Zeichenutensilien transportierte.
„Du glaubst doch nicht, dass ich dich jetzt noch durch den Wald laufen lasse. Ich bring dich nach Hause.“ „Was denn, glaubst du der große, böse Wolf schnappt mich sonst und verspeist mich zum Abendbrot, oder eher als Mitternachtssnack?“, scherzte Sarah und trat aus dem Scheunentor.
Die Nachtluft war immer noch angenehm warm. Nicht mehr so heiß wie am Tag aber so, dass man ohne Probleme die Jacke zu Hause lassen konnte. „Vielleicht nicht gerade der böse Wolf, trotzdem kann sich einiges im Wald umher treiben, das da um diese Uhrzeit nichts mehr zu suchen hat. Ich gehe einfach lieber auf Nummer sicher“, erklärte Alex und legte beschützend den Arm um Sarahs Schultern. Natürlich war auch dies mit einem Scherz verbunden. Mit Alex konnte man wirklich nicht lange ernste Gespräche führen. Er zog zu gerne alle ins Lächerliche.
Zusammen machten sie sich auf den Weg. Trotz ihrer Müdigkeit gingen sie schnellen Schrittes. Es war sowohl für Sarah, als auch für Alex ein langer Tag gewesen und sie wollten einfach nur noch in ihre Betten fallen und die Augen schließen können.
Der kleine Spaziergang hätte auch sehr romantisch sein können, so zu zweit allein im dunklen Wald, dafür hatten beide jedoch keinen Blick.
Sie hatten ungefähr die hälfte des Weges hinter sich gebracht, als plötzlich die Stille der Nacht, die ansonsten nur von ihren Schritten durchbrochen wurde, von einem lauten Knacken gestört wurde.
Sowohl Sarah, aber auch Alex sahen auf und suchten ihre Umgebung nach der Ursache für das Knacken ab. Sie waren selber auf keinen Ast getreten, da waren sie sich sicher. Also was hatte dann dafür gesorgt. Das Geräusch war ganz in ihrer Nähe gewesen, weshalb sie stehen geblieben waren.
Alex sein Blick hatte sich verfinstert und er sah sich in allen Richtungen um, so als würde er nach etwas ganz bestimmten suchen.
Auf einmal was das Rascheln von Laub und Gras zu hören. Doch es klang nicht nach Schritten, die von einem Menschen stammen könnten, sondern anders. Vielmehr wie Krallen, die über die harte Erde schaben. Sarah was das alles nicht ganz geheuer. Sie bekam ein seltsames Gefühl in der Magengegend und verspürte instinktiv das Gefühl fliehen zu müssen. Alex trat näher an sie heran und schob Sarah leicht hinter sich, denn er hatte zuerst gesehen, was da auf sie zukam.
Aus dem Gebüsch trat ein riesiger Wolf. Er wirkte noch größer, als die die Sarah bisher gesehen hatte und um einiges gefährlicher. Und es handelte sich definitiv um einen anderen Wolf, als der, der sie versucht hatte anzugreifen. Seine großen spitzen Ohren waren aufgestellt und seine Zähne gefletscht. Er war zum Angriff bereit und wartete nur auf eine Bewegung von Alex oder Sarah.
„Wir war das vorhin gleich noch mal mit dem großen bösen Wolf?“, fragte Sarah ängstlich und griff nach Alex Arm. „Bleib ganz ruhig und beweg dich nicht vom Fleck“, flüsterte ihr Alex zu. Er schien nicht sonderlich überrascht zu sein, dass plötzlich so ein riesiger Wolf vor ihnen stand. Sarah hatte bereits zwei von ihnen gesehen, aber das Alex überhaupt keine Anzeichen von Überraschung oder Angst hatte, verunsicherte Sarah nur noch mehr. Wusste er etwa über diese Tiere Bescheid? Und wenn ja warum hatte er ihr bis jetzt nichts davon erzählt?
Das alles war im Moment allerdings vollkommen unbedeutend, denn jetzt mussten sie erst mal zusehen, wie sie aus diesem Schlamassel wieder herauskamen.
Alex schob Sarah noch ein Stück weiter hinter sich, sodass er zwischen ihr und dem Wolf stand. Der Wolf reagierte augenblicklich auf die Bewegung. Er knickte die Vorderbeine ein und stellte das Fell im Nacken auf. Noch die kleinste falsche Bewegung und er würden angreifen. Und bei diesem Angriff würden sie beide nicht verschont bleiben.
Ohne eine Sekunde länger zu warten, stieß Alex Sarah von sich weg und rannte auf den angreifenden Wolf zu. Sarah landete schmerzvoll auf der harten Erde und glaube nicht was sich da, vor ihren Augen abspielte.
Mitten im Lauf ließ sich Alex nach vorne fallen und veränderte seine Gestalt. Seine Fingernägel verlängerten sich zu Krallen, die wilden Haare wuchsen und breiteten sich über seinen ganzen Körper aus. Die Kleider, die er am Leib trug, zerrissen zu Fetzen und flogen durch die Luft.
Plötzlich war an die Stelle von Alex der ihr bekannte schwarze Wolf mit den leuchtenden Augen getreten und rannte weiter auf den gegnerischen Wolf zu. Bei ihrem Aufeinandertreffen verbissen sie sich sofort ineinander und kämpften erbarmungslos gegeneinander. Im Gerangel der beiden Tier konnte Sarah auch erkennen, dass das Fell des Gegners gar nicht wie vermutet schwarz war, sondern ein dunkles grau.
Es war ein grauenhaftes Schauspiel. Der Kampf wurde begleitet von tiefen Knurren und schmerzhaften aufheulen der Kontrahenten. Sarah konnte gar nicht mehr hinsehen und kroch weiter weg von den kämpfenden Wölfen. Sie wollte wegrennen, sich in Sicherheit bringen, doch ihre Beine verweigerten ihr den Dienst. Ihr ganzer Körper zitterte unkontrolliert und ihre Beine hätten ihr Gewicht keine zwei Schritte getragen.
Um sich dennoch so weit wie möglich, von den kämpfenden Tieren zu entfernen, kroch Sarah weiter bis sie mit den Rücken an den Stamm einer Eicher stieß. Sie drückte sich so weit sie konnte an den Baum und machte sich so klein wie möglich.
Immer wieder hörte sie das Rascheln von Laub und das Knacken von Ästen, aber sie schaffte es nicht noch einmal genauer hinzuschauen. Sie wollte es nicht sehen, wie sich die beiden Wölfe gegenseitig zerfleischten. Die Geräusche waren schon grauenvoll genug. Um sie auszublenden, presste sich Sarah die Hände an die Ohren und kniff die Augen fest zusammen. Trotzdem bekam sie immer noch alles mit.
Einer der beiden Wölfe landete auch direkt neben ihr auf dem Boden. Die Erschütterung war deutlich zu spüren und verstärkte Sarahs Angst nur noch mehr. Als sie auch noch spürte, wie das weiche Fell über ihre Wange strich, erstarte sie vollends zu Stein.
Sie hatte früher im Wildpark schon mal rangelnde Wölfe beobachtet, stand dabei aber immer sicher hinter dem Zaum, sodass sie nicht in der Gefahrenzone war. Die Wölfe hatten auch meistens nur gespielt oder ihre Position im Rudel behauptet. Das hier war allerdings etwas vollkommen anderes. Hier ging es um einen Kampf auf Leben und Tod, weshalb Sarah betete, dass der richtige Wolf, ihr Wolf gewinne würde. Obwohl sie sich nicht sicher sein konnte, ob sie das retten würde.
Alex war keine andere Wahl geblieben. Auch wenn er hiermit alle gesetzte seines Rudels und seiner Familie brach, hatte er nicht länger tatenlos dastehen können.
Bevor er sich verwandelt hatte, musste er Sarah aus seiner unmittelbaren Nähe schaffen. Der Stoß musste ziemlich wehgetan haben, denn Sarah war mit voller Wucht auf die harte Erde aufgeschlagen. Aber ihm war keine andere Möglichkeit geblieben. Dieser Wolf, der fremd in seinem Revier war, wollte sie genau in diesen Augenblick angreifen, als Alex vor ihm auf vier Pfoten zum stehen kam.
Sofort hatte Alex den Angriff erwidert und mit seinen scharfen Zähnen an seinem Gegner geschnappt. Er verbiss sich in den Hals des anderen Wolfes. Oder vielmehr in das dicke Fell, das diesen Umgab. Alex wollte sich von der Stelle, an der sie sich befanden, möglichst weit entfernen, aber er gelang ihm nicht den anderen Wolf wegzustoßen. Er drängte immer wieder in Sarahs Richtung vor. So als hätte er es direkt auf sie abgesehen.
Das tiefe, dunkle Knurren in Alex Hals sollte seinen Gegner warmen keinen Schritt weiter zu machen und sich dahin zurückzuziehen wo er hergekommen ist. Der graue Wolf ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Vielmehr stachelte ihn Alex extreme Reaktion nur noch zusätzlich an.
Die riesige Pfote mit den scharfen Krallen landete direkt in Alex seinem Gesicht und verfehlte nur um wenige Millimeter sein linkes Auge. Vor Schmerz jaulte er laut auf und war für ein paar Sekunden abgelenkt.
Sarah hatte sich von ihnen entfern und kauerte nun zusammengesunken an einem Baumstamm. Die Augen hatte sie fest zusammengepresst und ihre Ohren bedeckte sie mit ihren Händen. Es musste ein grausiger Anblick für sie sein. Alex musste so schnell wie möglich diesen Kampf beenden und den Gegner in die Flucht schlagen. Niemand betrat sein Revier ohne Erlaubnis und die hätte Alex keineswegs erteilt.
Jetzt teilte Alex selbst Hiebe und Bisse aus. Nach und nach gelang es ihn den Gegner zurückzudrängen und von Sarah zu entfernen. Doch denn erhielt Alex einen kräftigen Stoß mit dem Kopf, sodass er noch hinten flog und ungebremst auf den Boden aufschlug. Ein kurzer Blick genügt, damit er merkte, dass er Sarah nur um wenige Zentimeter verfehlt hatte. Sie zitterte am ganzen Körper und rollte sich noch mehr zusammen.
Mit gefletschten Zähnen bewegte sich Alex langsam auf den grauen Wolf zu. Schritt für Schritt versperrte er ihm somit die Sicht auf Sarah und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst. Alex spürte wie er mit seinem Schwanz an etwas weichem vorbeiwischte, doch darauf konnte er jetzt keinen Gedanken verschwenden. Er ging in die Knie und machte sich zum Angriff bereit. Das war seine letzte Chance. Sollte es ihm jetzt nicht gelingen seinen Gegner zu vertreiben, würde das hier ein böses Ende nehmen.
Gerade als er zum Sprung ansetzte und sich erneut in den Hals seines Gegners verbiss, hörte er aus einiger Entfernen schnelle Schritte. Es waren die anderen Wölfe seines Rudels. Sie hatte den Feind also auch bemerkt und eilten ihm nun zur Hilfe. Mit den messerscharfen Krallen verpasste er dem Wolf eine und hinterließ eine tiefe Wunde auf dessen Rücken. Vor Schmerzen krümmte sich der Feind zusammen und löste sich aus Alex Angriff.
Doch viel Zeit zum verschnaufen blieb ihm nicht, denn genau in dieser Sekunde schossen die anderen Wölfe aus der Dunkelheit der Bäume hervor und griffen an.
Einer von ihnen, mit dem sandfarbenen Fell schaute kurz zu Alex hinüber, um zu sehen, ob er einverstanden war, dass sie jetzt übernahmen. Mit einem leichten Nicken gab er sein okay und schaute zu, wie die drei Wölfe ihren Gegner immer tiefer in den Wald drängten und an die Grenzen ihres Reviers jagten.
Alex blieb wo er war für denn Fall, dass noch ein weiterer fremder Wolf durch seinen Wald streifte. Mit gespitzten Ohren lauschte er in die Nacht hinein auf der Suche nach ungewöhnlichen Geräuschen.
Er konnte werde etwas verdächtigen hören und nach er einen ihm unbekannten Geruch wahr. Es schien alles in Ordnung zu sein. Damit fiel ihm ein großer Stein vom Herzen.
Plötzlich war es vollkommen still geworden. Dennoch traute sich Sarah nicht sofort ihre Augen zu öffnen. Nur sehr langsam nahm sie die Hände von ihren Ohren, damit sie sicher sein konnte, dass der Kampf wirklich vorbei war. Als kein Knurren oder schaben von Krallen auf der Erde zu hören war, traute sie sich endlich ganz vorsichtig ihre Augen zu öffnen.
Zunächst konnte sie rein gar nichts erkennen, weil es so dunkel war, doch sie gewöhnte sich schnell daran und betrachtete ihre Umgebung.
Sarah sah sich ganz genau um. Sie wollte nicht noch einmal auf einen dieser riesigen Wölfe stoßen. Für diese Nacht hatte sie wirklich genug davon. Ob sie danach ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzten konnte, da war sich Sarah auch nicht sicher. Diese Begegnung würde mit Sicherheit seine Spuren bei ihr hinterlassen.
Wie vom Blitz gerührt hielt Sarah auf einmal in ihrer Bewegung inne. Sie hatte etwas gesehen, worüber sie gehofft hatte es in dieser Nacht nicht mehr sehen zu müssten.
In etwa zehn Meter Entfernung stand noch immer einer der Wölfe und schaute zu ihr hinüber. Sofort begann Sarah wieder zu zittern und ihr Herz schien einen Schlag ausgesetzt zu haben.
Ihre Blicke trafen sich und verharrten beieinander. Der Wolf senkte leicht den Kopf und legte die Ohren leicht an.
Mit langsamen und vorsichtigen Schritte näherte er sich ihr. Immer darauf bedacht wie sie reagierte. Als Sarah kurz zusammenzuckte, blieb er augenblicklich stehen. Doch kurze Zeit später wagte er sich weiter vor.
Gut einen Meter blieb er dann endgültig vor Sarah stehen und schaute sie weiterhin genaustens an. Es war nicht das erste Mal, dass Sarah diesen wunderschönen schwarzen Wolf sah. Auch schon bei den beiden anderen Malen hatte er ihr kein Leid zugefügt und sie vielmehr beschützt. Seine warmen bernsteinfarbenen Augen leuchteten förmlich in die Dunkelheit hinein und schienen die Umgebung zu erhellen. Sein längeres glänzendes Fell war vollkommen durcheinander und hier und da meinte Sarah auch einige Kratzer erkennen zu können. Direkt unterhalb des linken Auges war eine tiefere Wunde zu erkennen.
Ihr Herz schlug immer noch hektisch in ihrer Brust und sie traute sich auch nicht sich groß zu bewegen.
Stattdessen schaute sie weiterhin in die warmen ihr so bekannt erscheinenden Augen. Wie oft hatte sie schon in sie hineingeschaut? Auch wenn ihr Blick jemand anderes gegolten hatte. Sarah wusste was sie gesehen hatte, aber glauben wollte und konnte sie es einfach nicht. Mit zittriger Stimme nahm sie dann allen Mut zusammen.
„Alex? Bist du es?“
Die Frage allein kam ihr so absurd vor, aber etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
Als plötzlich der Wolf nickte und sich vor ihr hinsetzte, war Sarah vollends verunsichert. Vorsichtig um den Wolf nicht zu verschrecken, hob sie sachte die Hand und streckte den Arm immer weiter aus. Sie wollte ihn berühren, sicher gehen, dass sie das alles nicht nur träumte. Ebenso vorsichtig wie Sarah die Hand ausstreckte senkte der Wolf seinen Kopf, damit sie ihn leichter anfassen konnte. Er legte seinen Kopf ganz leicht in ihre kleine Handfläche und schloss erleichtert die Augen.
Sie spürte die Wärme, die von ihm auf sie überging und streichelte nun mit der Hand über seine Schnauze und durch das lange, weiche Fell. Es kam ihr so vor als hätte sie das schon öfters gemacht. So wie, wenn Alex sich durch seine wirren Haare fuhr.
„Wie ist das nur möglich?“, murmelte Sarah und hoffte auf eine Antwort.
Kapitel 15
Nur sehr schwer war es Sarah nach einer Weile gelungen sich aus ihrer Starre zu lösen. Etwas wacklig und mit schwirrendem Kopf war sie auf die Beine gekommen. Der Wolf hatte sich dabei nicht vom Fleck gerührt. Er hatte sie nur dabei beobachtet und leicht den Kopf gehoben, als Sarah ihn überragte.
Dass Alex dieses Wolf war, konnte sie immer noch nicht fassen. Dennoch erkannte Sarah ihn an seinen dunklen nun braun wirkenden Augen, die die ganze Zeit auf sie gerichtet waren.
Vorsichtig wandte sich Sarah zum Gehen, blickte aber ein letztes Mal über ihre Schulter, um zu sehen was Alex nun tat. Er war ebenfalls aufgestanden und zeigte mit einem sachten Nicken in die Richtung, in der ihr Bungalow stand.
Mit vorsichtigen Schritten machte sich Sarah auf den Weg nach Hause. Die Geräusche des Waldes schienen verstummt zu sein. Nur ganz schwach hörte sie die ruhigen Atemzüge des Wolfes. In einiger Entfernung glaubte sie sachte Schritte zu hören, die niemals an ihr Ohr gedrungen wären, wenn diese Stille sie nicht umschlossen hätte. Waren es etwa die anderen Wölfe, die plötzlich aus dem Dickicht aufgetaucht waren, um ihr und Alex zu helfen?
Sarah wollte gar keine Antwort darauf. Sie wusste überhaupt nicht was sie in diesem Moment wollte, außer endlich die Tür hinter sich schließen zu können und die Ereignisse der Nacht in das Reich der Träume zu verdrängen. Sie glaubte die Wärme zu spüren, die der Wolf ausstrahlte, wenn er in ihre Nähe kam. Alex achtete jedoch sehr genau darauf sie nicht zu berühren. Er hielt immer einen geringen Abstand zu ihr. Jeden Schritt den Sarah tat, machte auch der Wolf und folgte ihr.
Endlich, nach einem schier endlosen Weg, erblickte Sarah den Bungalow. Sie rannte beinahe und mit zitternder Hand steckte sie den Schlüssel in das alte Schloss. Der Wolf war knapp fünf Meter vor der Tür stehen geblieben und folgte Sarah nun nur noch mit seinen Blicken.
Mit einem erleichternden Seufzer drückte Sarah die Tür auf und trat über die Schwelle, mit einem Gefühl der Sicherheit, dass ihr nichts mehr passieren kann.
Als Sarah langsam die Tür schloss, warf sie noch einen letzten scheuen Blick auf den Wolf, der ihr leicht zu zunicken schien, bevor sich auch der letzte Spalt zwischen Tür und Rahmen schloss und die Tür verriegelte.
Tief einatmend und mit geschlossenen Augen drehte sich Sarah um und lehnte mit dem Rücken an der Haustür. Sie hatte gar nicht bemerkt wie zittrig ihre Beine wirklich waren. Der Wille endlich nach Hause zu kommen und die Geschehnisse hinter sich zu lassen, hatte sie dazu angetrieben immer wieder einen Fuß vor den anderen zu machen. Jetzt konnte sie sich jedoch nicht länger auf den Beinen halten und rutschte an der Tür hinunter auf den Boden. Erschöpft legte sie ihren Kopf auf die angezogenen Knie und atmete ein paar Mal ruhig durch, um den Kopf klar zu bekommen. Wie lange sie noch dort saß, konnte Sarah nicht sagen. Nach einer ganzen Weile erhob sie sich auf ihre immer noch wackligen Beine und schwankte ins Schlafzimmer. Achtlos schälte Sarah sich aus ihren Kleidern und ließ sie auf den Boden fallen. Schon halb schlafend fiel sie auf die weiche Matratze und kuschelte sich in das Kissen. Es dauerte keine zwei Minuten und Sarah schlief ein.
Alex wartete noch eine gute Stunde vor Sarahs Tür. Er hatte sich auf den Boden niedergelassen und den Kopf auf seine Pfoten gebettet. Die spitzen Ohren waren aufgestellt, um jedes noch so kleine Geräusch in der Umgebung wahrzunehmen. Was ihm aber am meisten interessierte waren die Geräusche, die aus dem Bungalow kamen. Viel war es nicht, nur der regelmäßige Atem von Sarah, die sich immer noch in der Nähe der Tür befinden musste. Denn weder das Rascheln von Stoff noch irgendetwas anderes drang aus den vier Wänden an sein Ohr. Erst nach einer ganzen Weile vernahm Alex die wackligen Schritte der jungen Frau, wie sie weiter ins Innere des Bungalows trat. Dann erklang ein dumpfer Schlag, der Alex sofort hochschrecken ließ. Vorsichtig ohne Sarah noch mehr Angst einzujagen, als ohne hin schon, ging er um das kleine Haus herum und warf einen Blick durch das Schlafzimmerfenster. Auf dem großen Bett, das fast den ganzen Raum ausfüllte, lag Sarah zusammengerollt und schlief tief und fest. Ein riesiger Stein fiel ihm vom Herzen. Es war kaum zu übersehen gewesen, wie verschreckt Sarah gewesen war und der Unglaube in ihren Augen hatte dies nur noch mehr bestätigt. Plötzlich drangen mehrere rasche Schritte an sein Ohr. Seine Nackenhaare sträubten sich und ein dunkles Knurren bildete sich in seiner Kehle. Es bestand schließlich immer noch die Möglichkeit, dass sich weitere fremde Wölfe in ihrem Gebiet aufhielten. Auf alles vorbereitet und zum Angriff bereit, wartete Alex auf das, was da auf ihn zukam.
Aus den Büschen traten zwei junge Männer mit erhobenen Händen. „Wir sind′s nur. Du kannst dich also beruhigen“, ergriff einer von ihnen das Wort. Alex entspannte sich auf der Stelle und nahm eine entspanntere Hanltung ein. „Wir haben die Situation unter Kontrolle gebracht. Die anderen warten trotzdem auf dich. Wir müssen beraten wie es jetzt weiter gehen soll. Außerdem gibt es da wohl noch ein weiteres Problem.“ Mit einer Kopfbewegung zeigte der andere Mann auf das Schlafzimmerfenster, hinter dem Sarah friedlich schlummerte. „Ich hoffe sie hat alles heil überstanden.“ Das hoffe Alex auch. Er nickte leicht, doch sicher sein konnte er sich dabei nicht. Körperliche Verletzungen hatte er keine an ihr entdeckt, doch wer wusste schon was ihrer Seele zugestoßen war.
Mit einem letzten Blick auf den alten Bungalow machte sich Alex zusammen mit den anderen auf den Weg. Es gab allerdings einiges, das sie besprechen mussten. Die Sicherheit der Dorfbewohner war anscheinend nicht mehr gewährleistet.
Sarah wachte an nächsten Morgen vollkommen erschöpft auf. Der Angriff des Wolfes hatte sie wohl stärker mitgenommen, als sie zunächst gedacht hatte. Selbst in ihren Träumen hatten sie die Bilder verfolgt und keine ruhige Sekunde gelassen. Mit einer starken Tasse Kaffee setzte sie sich im Schneidersitz auf ihr Sofa, unentschlossen was sie jetzt tun sollte. Die ganze Sache erschien ihr immer noch nicht real und auch wie sie sich jetzt Alex gegenüber verhalten sollte und ob er überhaupt noch mit ihr sprechen würde, war höchst fraglich.
Mit leerem Blick schaute sich Sarah in ihrem Wohnzimmer um. All ihre Forschungen wurden nun in Frage gestellt und auch alle bisherigen Erkenntnisse schienen nicht länger Bestand zu haben. Doch dann blieb ihr Blick an einem kleinen Buch hängen, das auf dem flachen Tisch vor ihr lag. Ihr Tagebuch, in das sie all ihre bisherigen Entdeckungen und Notizen geschrieben hatte. Ihre Forschungsergebnisse, wenn man es so nennen wollte, auch wenn sie bisher nicht wirklich etwas Brauchbares gefunden hatte. Geistesgegenwärtig griff sie danach und blätterte in den Seiten. Dabei fiel ihr ein loses Blatt Papier in den Schoß. Sarah wusste nicht genau um was es sich dabei handelte und entfaltete das Blatt. Plötzlich wie vom Donner gerührt, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hielt die Zeichnung des Wolfes in der Hand, den sie ihm Wildpark gezeichnet hatte, den sie mit Alex besucht hatte. Um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht irrte, las sie den dazu gehörigen Eintrag, vom 12. August.
Der Besuch im Wildpark hat mich dennoch auf eine untypische Verhaltensweise der dort gehaltenen Wölfe aufmerksam gemacht.
Einer der Wölfe hatte von einem Moment zum andern seine ganze Haltung verändert. Zuerst hatte er gewirkt wie das Alphatier des Rudels, doch plötzlich hatte es eine vollkommen unterwürfige Haltung gegenüber eines Menschen angenommen. Diese Verhaltensänderung kam nicht zustande, durch das Auftreten des Wärters oder einem dem Wolf vertrauten Person. Sondern durch das einfache Auftauchen meines Begleiters.
Solange wir uns in der Nähe des Geheges aufgehalten hatten, war der Wolf in dieser Position geblieben.
Sarah schaute sich auch die andere Skizze des silbernen Wolfes an, die ein breiter Bleistiftstrich durchzog. Darauf stand er noch aufrecht und zeigte ein vollkommen natürliches Verhalten. Aber auf der anderer Skizze, die in ihrem Schoß lag, verneigte sich der Wolf. Sarah hatte sich damals und auch noch danach immer wieder gefragt, wie es zu diesem sonderbaren Verhalten des Tieres gekommen war.
Innerlich aufgewühlt sprang sie vom Sofa hoch und rannte in das Schlafzimmer. Mit zittrigen Händen nahm sie das Bild von der Wand, das sie von dem Wolf angefertigt hatte, als sie am Bach gesessen hatte. Ebenfalls suchte sie ihre ganzen anderen Skizzen zusammen, die sie in der Zeit angefertigt hatte. Auf eine hatte sie es besonders abgesehen.
Als sie wieder auf dem Sofa Platz genommen hatte, ging sie sowohl die Tagebucheinträge, als auch die Skizzen allesamt noch einmal genau durch. Ihren Eintrag vom 24. August hatte Sarah ganze drei Mal geschrieben und die zwei ersten Versuche herausgerissen. Die abgerissenen Stellen der Seiten, waren immer noch zu sehen. Nun ärgerte sie sich ungemein darüber. Warum hatte sie die Seiten auch gleich wegwerfen müssen. Jetzt hätten sie ihr vielleicht weiter geholfen. Auf den weißen Blättern war immer wieder der anmutige schwarze Wolf zu sehen, der wie sich nun herausgestellt hatte, Alex war. Wirklich glauben konnte Sarah es immer noch nicht. Vielleicht weigerte sie sich auch innerlich so dagegen, da es gegen alles sprach, was sie in ihrem Studium gelernt und sie selbst erforscht hatte. So etwas konnte es einfach nicht geben. Menschen die sich in Wölfe verwandelten, gab es nur in Ammenmärchen und in Gruselgeschichten, mit denen man kleine Kinder erschrecken wollte. Aberglaube, nichts anderes war es, zumindest versuchte Sarah sich das einzureden, denn sie hatte es ja mit eigenen Augen gesehen, wie Alex zum Wolf wurde. Außerdem waren diese Wölfe um einiges großer, als im Normalfall, und ihr Verhalten entsprach nicht vollständig, dem dieser Tiere.
Kaum war sie gewillt dem Gesehenen Glauben zu schenken und es als wahr zu akzeptieren, da meldete sich wieder ihr wissenschaftlicher Verstand und schimpfte sie eine Närrin. Sarah konnte nicht anders und musste über sich selbst lachen. Warum machte sie sich überhaupt solche Gedanken darüber?
Plötzlich fiel Sarahs Blick auf die Zeichnung, wo Alex und der Wolf gemeinsam zu sehen waren. Wie sie sie gezeichnet hat, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern. Doch ihr Unterbewusstsein musste wohl schon damals eine gewisse Vermutung gehabt haben, sonst wäre das Bild niemals entstanden. Vorsichtig strich sie mit den Finger darüber und nahm es hoch, um es sich noch einmal genauer anzuschauen. Die Ähnlichkeit zwischen beiden war wirklich nicht von der Hand zu weisen. Wenn sie daran dachte, wie der Wolf seinen Kopf in ihre Hand gelegt hatte, durchströmte sie ein wohliges und sichereres Gefühl, das ihr nichts mehr passieren konnte.
Ihr blieb wohl keine andere Wahl, als abzuwarten und zu schauen was nun passierte. Vielleicht hätte sie keine Zukunft mehr in diesem Dorf und müsste ihre Forschungen abbrechen, so schwer ihr das auch fallen würde. Wenn es keine andere Möglichkeit gab, würde sie gehen und hoffen, dass sie das alles hinter sich lassen konnte und einem neuen Projekt zugeteilt wurde. Andererseits wollte sie mehr wissen. Es interessierte sie wie das ganze überhaupt funktionierte und warum. Sie wollte die Wölfe erforschen mehr herausfinden und tiefer in ihre Geheimnisse eintauchen. Allerdings war es mehr als fraglich, ob Alex und die anderen Wölfe dies zulassen würden. Wer waren überhaupt die anderen Wölfe? Könnte es sich dabei um weitere Dorfbewohner handeln? Vielleicht sogar um Alex Freunde?
Der Gedanke wirkte abwegig. Bei der Nachtwanderung hatten Florian und Tobias die Wölfe ebenfalls gesehen und genau so geschockt reagiert wie Sarah. Also konnten sie davon auch nichts gewusste haben. Oder etwa doch?
Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf und auf keine von ihnen erhielt sie eine Antwort. Nicht bevor sie das Risiko einging mit Alex zu sprechen und ihn danach zu fragen. Für den Moment musste Sarah sich damit abfinden. Ob sie überhaupt den Mut dafür aufbringen konnte, war zu bezweifeln.
Ihr Plan war letzte Nacht schief gegangen. Man hatte sie rechtzeitig entdeckt und aus dem Waldgebiet vertrieben. Mit dem einen Wolf wären sie spielend fertig geworden. Jedoch waren drei weitere Wölfe zu Hilfe an seine Seite geeilt und hatten somit dafür gesorgt, dass sie ihren Auftrag nicht erfüllen konnten. Es selber hatte keine Verstärkung holen können, da sie sich sonst verraten hätten.
Bisher war dem Rudel noch nicht aufgefallen, dass sich in ihrem Gebiet ein weiteres Rudel aufhielt. Jede verräterische Spur hatten sie beseitigt und ihren Geruch versucht zu verbergen und mit andern zu überdecken.
Nun allerdings drohte alles aufzufliegen und dies musste sie unter allen Umständen vermeiden. Nicht mehr lange und sie werden diesem Rudel die Land streitig machen und dann den Anspruch darauf erheben.
Die ganze Situation war mehr als heikel. Ihr Geheimnis war bedroht und stand kurz davor an die Öffentlichkeit zu treten. Nur sehr schwer hatte Alex die anderen davon überzeugen können, erst einmal alles so zu belassen wie es war. Es sollten besser keine vorschnellen Entscheidungen getroffen werden, die sie später möglicherweise bereuen könnten. Sie hatten beinahe die ganze Nacht damit verbracht zu besprechen wie es jetzt weiter gehen sollte. Am Anfang fühlte sich Alex auf verlorenen Posten mit seiner Einstellung, niemanden unnötig zu bedrohen. Natürlich war damit Sarah gemeint. Die anderen Rudelmitglieder waren von Anfang an sehr skeptisch ihr gegenüber gewesen und, dass sie nun auch noch mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Alex sich in einen Wolf verwandelt hatte, machte dies nicht unbedingt besser. War sie vorher schon eine Gefahr für das Rudel gewesen, war sie nun ein Risiko, das nicht jeder gerne eingehen wollte. Sollte ihr Geheimnis aufgedeckt werden, wusste keiner was aus ihnen werden würde.
Alex hatte versucht ihnen vernünftig klarzumachen, dass keine Gefahr von Sarah ausging und in seinen bisherigen Zusammentreffen mit ihr auch kein Wort über ihre Lippen gekommen war. Auf Grund ihrer Ausbildung war allen klar geworden, dass sie schon längst mitbekommen haben muss, dass sich die Wölfe in diesem Wald sehr stark von andern unterschieden. Sarah hatte bisher lediglich Zeichnungen angefertigt, die im Ernstfall schnell vernichtet werden konnten, sodass sie keinerlei Beweise für ihre Behauptung vorbringen könnte. Hinzu kam noch, dass sie bisher nur von Alex wusste und keine Ahnung hatte, wer die anderen Wölfe waren.
Nach und nach hatten sich einige Alex Meinung angeschlossen, doch bei weiten nicht alle. Die, die ihr auch schon vorher nicht über den Weg getraut hatten, taten dies jetzt noch weniger und waren zu allem bereit, falls sie auch nur ein falsches Wort von sich geben sollte.
Der Gedanke, dass ihr etwas zustoßen könnte, machte Alex krank. Wenn sie erneut angegriffen werden sollte und dann auch noch von seinem eigenen Rudel wusste er nicht was er tun sollte. Er war das Alphatier und somit hatten ihm alle Gehorsam zu leisten, allerdings wollte Alex sich nicht darauf verlassen. Es kam immer wieder vor, dass sich Mitglieder aus dem Rudel lösten, um eigene Wege zu gehen.
Ob er es sich nun eingestehen wollte oder nicht, als Sarah letzte Nacht angegriffen wurde, ist ihm beinahe das Herz stehen geblieben. Da waren ihm seine Gefühle für sie erst richtig bewusst geworden. Die Tatsache, dass sie nicht vor ihm davongelaufen ist und ihre Hand nach ihm ausgestreckt hatte, machten ihm Mut sie nicht vollständig vertrieben zu haben. Alex machte sich aber keine Hoffnung auch nur einen kleinen Platz in ihrem Leben zugeteilt zu bekommen. Dafür sprach im Moment einfach zu viel dagegen.
Der Gedanke an das erste Zusammentreffen nach der letzten Nacht ließ ihn erschaudern. Würde sie sich ihm gegenüber nun anders verhalten und auf Abstand gehen? Oder würde sie ihn jetzt als Forschungsobjekt betrachten und versuchen alles über ihn und seine Art in Erfahrung zu bringen? So oder so beides würde ihm nicht wirklich gefallen.
Eigentlich hatte Alex in der Scheue arbeiten wollen, um sich abzulenken und seine düsteren Gedanken zu vertreiben, doch daraus wurde nichts. Das Holzbreit, das er gerade vorbereitete für den nächsten Arbeitsschritt hatte er vollkommen versaut. Überall waren Kerben und Unebenheiten zu sehen, womit das Brett nutzlos wurde. Frustriert löste er das Brett auf den Klemmen, die er zur Stabilisierung angebracht hatte und feuerte es in eine Ecke der Scheune, wo es laut krackend zerbrach.
„Davon wird es auch nicht besser werden, mein Sohn“, meldete sich Peter, der in der halboffenen Scheunentür stand und seinen Sohn eine ganze Weile über stillschweigend beobachtet hatte. „Das ist mir auch klar. Aber dieses tatenlose abwarten, macht mich fertig. Ich weiß noch nicht mal was ich jetzt tun soll“, antwortete Alex und zerzauste sich mit beiden Händen sein ohnehin schon wildes Haar. „Du wirst es wissen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Glaube mir, ich wusste auch nicht immer was das richtige war, bevor ich es getan habe.“
Die Worte seines Vaters waren nicht gerate aufbauend, doch nahmen sie ihm etwas die Unruhe. „Ich hab wohl keine andere Wahl, als abzuwarten wie sich das ganze weiter entwickelt oder?“ Herr Miller zuckte nur mit den Schultern und wandte sich anschließend zum Gehen. Alex folgte ihm mit tausend Gedanken im Kopf, auf die er keine Antwort zu finde schien.
Kapitel 16
Warum waren ihr all die Parallelen vorher nicht schon aufgefallen? Hatte sie denn absichtlich die Augen vor der Wahrheit verschlossen? Es gab doch viel zu viele Hinweise und Anzeichen dafür, dass Alex kein gewöhnlicher Mann war.
Die letzten fünf Tage hatte Sarah den Bungalow nicht verlassen. Sie wollte einfach nicht auf Alex treffen. Weder beim Bäcker, noch im Laden oder auf einer ihrer Erkundungswanderungen durch den Wald.
Der Wald.
Bis vor ein paar Tagen war sie vollkommen unbeschwert hindurch gegangen und hatte die unberührte Natur bewundert. Im Moment machte er ihr Angst. Woher sollte sie den wissen was sonst noch auf sie in den Büschen und dunklen Stellen wartete? Die Gewissheit, dass es noch mehr Wölfe wie Alex gab und diese ganz offensichtlich feindlich gestimmt waren, hielt sie davor ab ihre Forschungen weiter zu betreiben.
Sarah wusste einfach nicht was sie machen sollte. Früher oder später musste sie ihre sicheren vier Wände verlassen. Und nach dem Inhalt ihres Kühlschrankes zu urteilen würde dies wohl eher früher der Fall sein. Ihre Vorräte waren beinahe vollkommen aufgebraucht. Es würde maximal noch zwei Tage reichen und selbst dann musste sie sich das Brot und die Wurst gut einteilen. Der Kaffee war ihr schon ausgegangen. Ihr angeschlagenes Nervenkostüm tat der Koffeinentzug allerdings gut. Sonst wäre sie nur noch unruhiger gewesen.
Bei jedem Geräusch oder Knacker, das von draußen an ihr Ohr drang, zuckte Sarah verängstigt zusammen. Früher war sie nie so gewesen. Da war sie todesmutig in das weitläufige Geheges eines Wolfsrudels gegangen. Nun allerdings schreckte sie vor allem und jedem zurück.
So konnte das doch nicht weiter gehen. Sie musste endlich wieder zu sich selbst finden und ihre Ängste überwinden. Und am besten tat sie dies gleich, ansonsten fiel ihr wieder ein vollkommen idiotischer Grund ein, doch erst am nächsten Tag einen Schritt zurück in ihr Leben zu wagen.
Allerdings musste sie Alex anrechnen, dass er von sich aus auch nicht zum Bungalow gekommen ist. Er hätte jeder Zeit bei ihr in der Tür stehen können, da er selbst ja einen Schlüssel besaß. Möglicherweise wollte er erst sehen was sie mit dem neuen Wissen anstellte, bevor er mit ihr sprach.
Nach etwas mehr als einer halben Stunde bog Sarah mit ihren alten Jeep wieder auf die Zufahrt zu ihren Bungalow ein. Sie hatte sich sicherheitshalber noch eine Schirmmütze aufgesetzt und ihre Haare darunter versteckt, damit man sie nicht sofort an ihren kastanienroten Locken erkannte. Jetzt kam es ihr albern vor, denn sie hatte niemanden getroffen. Weder Peter noch Alex oder einen seiner Freunde.
Gleichzeitig war Sarah mit dem Einkaufen noch nie so schnell gewesen. Sie hatte genau gewusst was sie wollte und brauchte und ihre Zeit nicht noch damit verschwendet in den Regalen zu schauen, ob es noch etwas anderes leckeres gibt, das sie ja mal ausprobieren könnte.
Als der Bungalow in Sicht kam wendete Sarah kurz den Blick vom Feldweg ab, um nach ihren Schlüssel zu greifen, den sie in das kleine Fach auf dem Beifahrersitz gelegt hatte.
Plötzlich bemerkt sie eine schnelle Bewegung im Augenwinkel und blickte auf. Vollkommen unerwartet stand auf einmal Alex mitten auf dem Weg. Total erschrocken trat Sarah auf die Bremse und brachte den Jeep rückartig zum Stehen.
Zum Glück war sie nicht mehr schnell gefahren, weil sie gleich anhalten wollte, sonst hätte sie Alex wohl mitgenommen.
Am ganzen Körper erstarrt und mit entsetztem Blick, schaute Sarah durch die Frontscheibe auf Alex, der vollkommen ruhig nur wenige Zentimeter von der Stoßstange entfernt wartete. Die Finger hatten sich krampfartig um das Lenkrad geschlossen und Sarah fühlte sich nicht in der Lage den Griff zu lösen. Ihre Atmung ging stoßweise und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte Sarah es endlich den Motor abzustellen und die Autotür zu öffnen.
Doch anstatt Alex anzuschreien, was er sich dabei gedacht hat, einfach vor ihren Jeep stehen zu bleiben, ging Sarah wortlos zum Kofferraum und schnappte sich ihre Einkäufe. Die Tüten waren verdammt schwer, weil sie gleich mehr eingekauft hatte, damit sie in den nächsten Tagen nicht wieder los musste. Den Wasserkasten bekam sie mit einem Mal aber nicht mehr weg.
Wütend auf sich selbst, biss sich Sarah auf die Unterlippen. Weil es bedeutete, dass sie noch einmal an Alex vorbei musste, obwohl sie nicht mit ihm sprechen wollte. Außerdem steckte ihr der Schock noch in den Knochen, sodass ihre Schritte leicht unsicher waren.
Gerade als Sarah die Tür zu ihren sicheren vier Wänden aufschloss, spürte sie, dass Alex hinter ihr stand. Verunsichert schaute sie über die Schulter direkt in seine warmen braunen Augen.
„Ich würde mich freuen, wenn du mich begleitest. Ich möchte dir gerne war zeigen.“
Skeptisch verzog Sarah die Augenbrauen und ging in die Küche, um endlich die schweren Tüten abzustellen. Alex folgte ihr direkt in die Küche und stellte den Wasserkasten, den sie im Jeep hatte stehen lassen in eine Ecke der Küche ab.
„Ich meins ernst. Du brauchst keine Angst haben, es wird dir nichts passieren. Sieh es als eine Art … Versöhnungsangebot“, meinte Alex und lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen.
„Danke“, war alles was Sarah im Moment herausbekam. Sie wusste nicht was sie von Alex plötzlichen Auftauchen halten sollte. Um Zeit zu schinden, packte sie ihre Tüten aus und verstaute alle Lebensmittel im Kühlschrank.
„Komm schon Sarah. Ich bin immer noch der, der ich auch vorher war.“
Da die Küche nicht viel Platz bot, lehnte sich Sarah an die Spüle, nahm die blöde Mütze ab und schaute Alex prüfend an. Er ruhte immer noch ruhig am Türrahmen und wartete auf eine Reaktion von ihr.
„Wo soll es denn hingehen?“, fragte Sarah endlich und es kostete sie alle Überwindung, denn innerlich war sie immer noch aufgewühlt und durcheinander und wusste nicht was sie denken sollte.
„Das soll eine Überraschung sein. Wir sollten uns allerdings bald auf den Weg machen. Es ist bereits um drei und wir haben ein Stücken Weg vor uns. Pack auch deinen Skizzenblock ein, den könntest du möglicherweise gebrauchen“; antwortete Alex und in seine Augen trat ein leichter Hoffnungsschimmer.
„Woher soll ich wissen, dass ich dir vertrauen kann?“
„Das kannst ich dir nicht sagen. Ich gebe dir aber das Versprechen, dass dir nichts passieren wird und, dass ich dich später wieder wohlbehalten hier absetzte. Sarah du hast mir vorher vertraut, also vertrau mir auch jetzt.“
Sarah fiel es immer schwere seinen Worten nicht zu glauben und Argumente zu finden, warum sie nicht mit ihm gehen sollte. Die Wärme in seinen Augen und die Art und Weise wie er sie zu überreden versuchte, ließen sie weich werden.
„Also schön. Aber sobald ich es sage, bringst du mich sofort zurück, ohne Widerworte, klar!“ Sarah atmete tief durch und ließ ihre Ängste zurück, als sie die Küche verließ. Wegen Alex enormer Größe, musste sie dicht an ihm vorbei und spürte dabei seine angenehme Körperwärme, die auf sie überzuspringen schien.
„Du wirst es nicht bereuen und sollte es nur das leiseste Anzeichen von Gefahr geben, bringe ich dich sofort zurück. Du hast mein Wort drauf.“ Um das Versprechen zu besiegeln, streckte Alex Sarah die Hand entgegen. Zögerlich legte sie ihre in seine Hand und schüttelte sie leicht.
Wie Alex ihr geraten hatte, packte sie ihr Notizbuch, Skizzenbuch und mehrere Stifte, sowie ihre Kamera in ihre Tasche. Ihre ausgelatschten Turnschuhe tauschte Sarah gehen ihre derben Wanderschuhe und packte noch eine Falsche Wasser ein.
„Okay ich wäre dann soweit. Wir können los“, meinte Sarah und wies Alex den Weg nach draußen.
Sorgsam schloss sie die Haustür ab und verstaute auch den Schlüssel in ihrer Tasche. Alex wartete geduldig, bis sie mit allem fertig war und ging dann voran. Beide schienen nicht so richtig zu wissen wo sie anfangen sollten, sodass sie sich gegenseitig anschwiegen. Diese Stille zwischen ihnen wog schwerer, als wenn Alex sie angeschrieen und ihr verboten hätte, jemanden von seinem Geheimnis zu verraten.
Früher war es so viel einfacher gewesen mit ihm zu sprechen, doch diese Leichtigkeit und Gelassenheit war Sarah nun verloren gegangen.
„Hast du jetzt Angst vor mir?“, fragte Alex auf einmal in die Stille hinein. Sarah hatte mit dieser Sarah nicht gerechnet, sodass sie stehen blieb. Alex hatte sie die ganze Zeit über beobachtet und das Unbehagen bemerkt, das Sarah mit sich herumtrug. Er konnte verstehen warum sie sich so verhielt und trotzdem schmerzte es, dies mit anzusehen.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Du hast dich nicht verändert und verhältst dich mir gegenüber wie vorher. Aber …“
„Du weist nicht wie du mit dem Wissen über mein anderes Wesen umgehen sollst“, beendete Alex den offen gelassenen Satz. Mit einem sachten nicken, stimmte sie ihm zu. Geräuschvoll stieß Alex den Atem aus und ging auf Sarah zu.
„Sieh mich an Sarah. Schau mich richtig an. Ich bin der gleiche Mann mit dem du in der Scheune zusammen gearbeitet hast und mit dem du im Wildpark gewesen bis. Du hast mich mehrfach als Wolf gewesen und ich habe dir kein einziges Mal etwas getan oder bin dir zu nahe gekommen.“
Alex griff nach Sarahs Hand, die sie ruckartig seinen Griff zu entziehen versuchte. Doch Alex hielt sie umschlossen und legte ihre Hand auf seine Brust, genau auf die Stelle, wo sich sein Herz befand. Sarah konnte das rhythmische Schlagen durch den dünnen T-shirtstoff spüren.
„Ich weiß. Aber ich bin Wissenschaftlerin, das alles ist für mich unbegreiflich. So etwas ist mir noch nie begegnet.“
„Ich werde versuchen es dir zu erklären“, meinte Alex und legt eine Hand an ihre Wange. „Doch jetzt musst du erst mal mit mir kommen.“
Der Weg, den Alex sie entlang führte, wurde immer unzugänglicher. Große Felsbrocken und dicke Wurzeln alter Bäume durchzogen den Wald. An schwierigen Stellen bot Alex Sarah seine Hilfe an, die sie meistens ausschlug, um zu zeigen, dass sie nicht so zart besaitet war wie er offenbar annahm und sie für ihre Arbeit alle Strapazen auf sich nahm.
„Es ist nicht mehr weit, nur noch um diese Biegung und dann haben wir unser Ziel erreicht“, sagte Alex und zeigte auf einen steilen Felshang, der ihnen die Sicht auf das Gebiet dahinter versperrte.
„Gehr ruhig weiter vor. Ich bin direkt hinter dir.“ Der Marsch war anstrengend gewesen und von der Kletterei brannten Sarah die Beinmuskeln. Bevor sie ihrem Begleiter folgte, nahm Sarah noch einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
Mit neuer Kraft nahm Sarah die letzten Meter in Angriff. Sie war allerdings nicht auf den Anblick vorbereitet, der sich ihr bot, als sie um den Hang ging und Alex wieder in ihr Sichtfeld kam.
Er kniete auf dem Boden und war von einer ganzen Schar Wolfswelpen umgeben, die fröhlich und vergnügt an ihm hochsprangen, um von ihm gestreichelt zu werden. Es wirkte wie das Normalste auf der ganzen Welt. Keine Scheu oder Angst ging von den Welpen aus. Es schien eher so als würden sie Alex als einen von ihnen ansehen.
Auch die älteren Tiere, die weiter hinten unter den Bäumen saßen und das Schauspiel beobachteten, verhielten sich vollkommen ruhig. Normalerweise ließen Wölfinnen niemanden an ihre Welpen. Zumindest in den ersten acht Wochen nicht. Sie griffen jede an, der es wagte dem Bau und den Jungtieren zu nahe zu kommen.
Konnte es wirklich sein, dass die Wölfe die wölfische Seite von Alex erkannten und ihn als Teil ihres Rudels akzeptieren?
Sarah musste wieder an den Wolf im Wildpark denken. Er hatte sich genauso verhalten. Unterwürfig Alex gegenüber, als wäre er ein Alphatier.
„Nicht so stürmisch. Ich freu mich ja auch euch zu sehen“, lachte Alex und wurde von der Schar Welpen umgeworfen, die sich sofort auf ihn stürzten und ihm das Gesicht ableckten. Das herzhafte Lachen des Mannes, ließ auch ein Lächeln auf Sarahs Gesicht erscheinen.
„Komm her“
Alex streckte Sarah den Arm entgegen. Sie hatte sich gar nicht angesprochen gefühlt, da sie von der ganzen Szene so fasziniert war.
Langsam, damit sie die anderen Wölfe nicht aufschreckte, trat sie einen Schritt auf Alex zu und ergriff die ihr dargebotene Hand. Mit einem Ruck wurde sie auf den Boden gezogen. Alex fing ihren Fall ab und zog sie an sich, dabei dennoch darauf beacht, die Welpen nicht zu verletzten.
„Das sind die Jungen von diesem Jahr. Sie sind noch total verspielt und freuen sich immer mich zu sehen“, erklärte Alex und setzte einen der kleinen Wölfe auf Sarahs Schoß. „Das ist unglaublich“, staunte sie. „Erkennen dich die anderen Wölfe wirklich als Teil ihres Rudels an? Sonst würde sie dich doch niemals in die Nähe ihrer Jungen lassen.“
Der kleine Welpe schnüffelte neugierig an ihrer Hand und stupste sie vorsichtig mit der Pfote an, jederzeit bereit zu flüchten. Dieser Anblick war so hinreißend, dass alle Angst, die sie zuvor verspürt hatte von Sarah abfiel.
„Ja ich bin ein festes Mitglied ihres Rudels. Sie dulden mich in ihren Reihen. Darum wollte ich dir diesen Ort hier um bedingt zeigen. Und ich dachte es könnte dich interessieren Wolfswelpen einmal in der freien Natur zu sehen. Vielleicht bring es dich ja in deinen Forschungen weiter“.
„Erkennen sie deine wölfische Seite, oder warum sind sie dir gegenüber so zutraulich?“
„Ja genauso ist es. Wölfe haben ein viel feineres Gespür und haben mich von der ersten Sekunde als das erkannt was ich bin. Nicht nur Mensch, sondern auch Wolf.“
Zu den kleinen Welpen hatten sich noch zwei andere gesellt, die Sarah mit großem Interesse erkundeten. Einer war ganz mutig und leckte über ihre Hand. Der zweite hatte Gefallen an Sarahs Haaren gefunden und schlug mit den Pfoten nach den Locken, die sich in der leichten Brise bewegten.
„Du kannst sie ruhig anfassen. Die Eltern werden sich nicht auf dich stürzen.“
Mit der größten Freude nahm Sarah einen der Welpen in die Hand und hob ihn sich vorsichtig ans Gesicht. Als der kleine ihr mit seiner rauen Zunge über die Wange leckte, war es um Sarah geschehen. Sie hatte sich Hals über Kopf in die kleinen Welpen verliebt. Sie strahlte über das ganze Gesicht und konnte ihre Freude gar nicht in Worte fassen.
Den ganzen Nachmittag bis in den frühen Abend hinein, blieben Alex und Sarah bei dem Rudel. Aufmerksam beobachtete Sarah das Familienverhalten der Tiere und machte ich ein paar Notizen in ihrem Buch. Die meiste Zeit verbrachte sie aber damit zu zeichnen. Mit Block und Bleistift bewaffnet hatte sie es sich an einen der Baumstämme bequem gemacht und fertigte eine Zeichnung nach der anderen an. Eine davon zeigte auch Alex, wie er mit den Welpen spielte.
Die jungen Wölfe waren zusehends an Sarah interessiert und stupsten sie immer wieder mit Nasen und Pfoten an, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Einer sprang sogar auf ihr Knie und stützte sich auf dem Skizzenblock ab. Dadurch konnte Sarah nicht mehr weiter zeichnen und streichelte stattdessen das weiche Köpfchen des Kleinen.
Während Sarah so entspannt am Baum sitze und ihre Skizzen anfertigte, hatte sich Alex ihre Kamera aus der Tasche geholt und machte nun ein paar Aufnahmen und ihr und den verspielten Welpen.
Besonderes Gefallen hatten sie an ihren kastanienroten Locken gefunden. Immer wieder sprangen sie nach ihnen oder schlugen mit ihren kleinen Pfoten danach. Er konnte sie verstehen, er liebte ihre Haare ebenfalls. Wie zuvor bei ihm sprangen die jungen Wölfe nun auch auf ihr herum und entlockten ihr ein vergnügtes Lachen, das Alex Herz hören schlagen ließ.
Das schwächer werdende Sonnenlicht, das durch die Baumkronen brach ließ Sarahs grüne Augen aufleuchten und ihre Locken in Flammen stehen.
Als sie bemerkte, dass er sie fotografierte, schenkte sie ihm ein herzliches Lächeln. So wie es schien, konnte er wohl wieder hoffen, dass sich die Spannungen und Ängste zwischen ihnen legen würden. Vielleicht hatte er jetzt doch wieder eine Chance ihr näher zu kommen.
„Wir müssen langsam los. Es wird bald dunkel werden und wird haben noch einen Weg zurück vor uns“, ergriff Alex das Wort und legte die Kamera zurück. „Mir wäre es lieber wir sind zurück beim Bungalow bevor es dunkel wird.“
Kaum hatte Alex dies gesagt, war die Fröhlichkeit und Gelassenheit aus Sarahs Gesicht verschwunden. Es wirkte, als hätte sie die Wirklichkeit wieder eingeholt.
„Ja machen wir uns auf den Weg.“ Zum Abschied nahm Sarah einen der Welpen hoch und drückte ihm einen sachten Kuss auf die Schnauze.
Der Kleine war echt zu beneiden.
Als Sarah sich auch von den anderen Welpen verabschiedet hatte, kam sie zu Alex herüber, der ihr ihre Tasche reichte, in der sich schnell noch ihre Zeichenutensilien verstaute.
„Dann los. Wir sollten keine Zeit verlieren.“
„Dir wird nichts passieren, das habe ich dir versprochen. Außerdem haben wir noch genügend Zeit. Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen“, versuchte Alex Sarah zu beruhigen und führte sie zurück zum Bungalow.
Kapitel 17
Als Sarah und Alex endlich wieder am Bungalow ankamen, wartete bereits jemand auf die beiden. „Wir wollte schon einen Suchtrupp losschicken“, begrüßte Florian die beiden.
Sarah verlangsamte augenblicklich ihren Schritt. Sie hatte ein mulmiges Gefühl in ihrem Bauch, das sie nicht wirklich deuten konnte.
„Was gibs denn?“, fragte Alex mit genervtem Unterton. „Wir haben dich gesucht. Weil du nicht zu Hause warst, haben wir deinen Vater gefragt und der meinte, dass du im Wald unterwegs bis und etwas wichtiges zu erledigen hast“, erklärte Tobi und stieß sich von der Hauswand ab, an der er bisher gelehnt hatte. „Wenn ich mir das hier so anschaue, weiß ich nun was es so wichtiges zu erledigen gab. Hallo Sarah, lange nicht mehr gesehen.“ Sarah hob verunsichert die Hand und erwiderte Flos Gruß. Auch Tobi nickte sie kurz zu, hielt sich aber lieber weiter in sicherer Entfernung.
Sarah wusste nicht was sie von der Szene, die sich vor ihr abspielte, halten sollte. Florian und Tobias versuchten zwar gelassen zu wirken, doch sie konnte unterschwellig die Sorgen in ihren Augen sehen.
„Ja ich hatte wirklich etwas wichtiges zu erledigen und dabei wollte ich nicht gestört werden“; antwortete Alex und schaute seine Freunde ernst an. „Es wäre auch schwer gewesen dich zu stören, denn du hattest ja dein Handy nicht mit dabei“, brummte Flo und vergrub seine Hände in den weiten Hosentaschen.
Sarah fühlte sich fehl am Platz, so als würde sie heimlich ein vertrauliches Gespräch belauschen. Die jungen Männer verheimlichten ihr etwas und das war auch verständlich, schließlich war sie die Neue im Ort und noch lange nicht so vertraut mit ihnen, dass sie ihr alles erzählen würden. Was Sarah allerdings brennend interessierte war, ob Tobi und Flo von Alex Geheimnis wussten. Taten sie deshalb so geheimnisvoll und achteten darauf nichts Falsches zu sagen? Obwohl sie es unbedingt wissen wollte, konnte sie die beiden schlecht jetzt fragen.
„Ich hoffe du hast den Schreck von unserer kleinen Wanderung gut verdaut.“ Aus ihren Gedanken zurück in das Hier und Jetzt geholt, hob Sarah ruckartig den Kopf und blickte verunsichert an Alex vorbei zu Tobi. Statt eine vollkommen gelassenen Antwort brachte sie nur ein paar gestotterte Worte heraus. „Ähm … ja … ich habs überstanden.“ „Das freut mich zu hören.“ Das Lächeln, dass dabei auf seinem Gesicht erschien, ließ seine Antwort ehrlich und aufrichtig erscheinen.
„Was gibt es denn nun so wichtiges, dass ihr mich unbedingt sprechen wolltet?“, ergriff Alex wieder das Wort. „Es wäre besser, wenn wir das unter sechs Augen besprechen könnten“, meinte Florian und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung Wald, wo sich in einiger Entfernung das Haus von Peter und Alex befand.
„Lasst euch von mir nicht aufhalten. Ich wollte eh gerade ins Haus und noch ein paar Dinge erledigen. Also, ich verabschiede mich dann.“ Damit huschte Sarah an Alex vorbei und schloss die Haustür auf. Sie wollte so schnell wie möglich aus dieser unangenehmen Situation heraus und sich in ihrem Schlafzimmer verkriechen. Gerade als das Schloss aufsprang und sie die Tür aufstieß, hielt sie Alex zurück.
„Danke, dass du mitgekommen bist. Ich meld mich später bei dir, wenn das okay ist.“ Hoffnung glänzte in seinen Augen, als er sich zu Sarah in den Türrahmen stellte. Er war ihr viel zu nah, wie Sarah überrascht feststellte. Ihr Herz machte einen Sprung, den sie sich nicht erklären konnte.
„Sicher, es war wirklich ein schönes Ausflug.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Mit einem unsichern Schritt trag Sarah in den Bungalow und schloss erst die Tür, als Alex Platz gemacht hatte.
Sie kam sich idiotisch vor. Warum war sie denn auf einmal so nervös und verunsichert? Und warum um alles in der Welt schlug ihr das Herz bis zum Hals?
Durch das Fenster im Wohnzimmer fiel das warme rote Licht der untergehenden Sonne und tauchte den Raum in ein goldenes Reich der Ruhe und Geborgenheit. Mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht schritt Sarah hinüber zum Sofa und ließ sich darauf nieder.
Sie ließ all die verschiedenen Eindrücke des Tages auf sich wirken. Ihren Tag hatte sie sich wirklich ganz anders vorgestellt. Er war um einiges schöner geworden, als gedacht.
Alex hatte es wirklich gut mit ihr gemeint. Unter anderen Voraussetzungen hätte er sie wohl kaum mit zu dem Rudel genommen, das besonders vorsichtig war, wenn es Junge hatte. Was Sarah am meisten beeindruckt hatte, war, dass die Tiere vollkommen ruhig geblieben sind, als sie zusammen mit Alex in ihr Revier eingedrungen war.
Sie mussten Alex wirklich für einen von ihnen halten. Die kleinen Welpen hatten sich förmlich auf ihn gestürzt. Es war ein rührender Anblick gewesen, den Sarah nicht so schnell vergessen würde.
Gelöst und glücklich zog die junge Frau ihren Zeichenblock aus dem Rucksack und blätterte in ihren Erinnerungen versunken durch die vielen Skizzen. Das würde ihr bei ihrer Forschungsarbeit sehr helfen und sie einen gehörigen Schritt voran bringen. In ihren Notizbuch hielt sie alle Eindrücke fest und fügte noch ein paar zusätzliche Bemerkungen hinzu, was sie, falls sie noch einmal die Möglichkeit erhalten sollte, die Wölfe aus nächste Nähe zu beobachten, untersuchen wollte.
Bevor sie die Bilder auf der Kamera sichtete, beschloss Sarah sich einen Kaffee zu kochen. Mit einer dampfenden Tasse der dunklen Flüssigkeit in der Hand machte es sich Sarah wieder auf dem Sofa bequem. Sie schmiegte sich in eine Ecke des alten Sitzmöbels zurück und zog die Knie nah an den Körper.
Es befanden sich mehr als sechzig Bilder auf der Speicherkarte. Sarah konnte sich gar nicht daran erinnern wirklich so viele Fotos geschossen zu haben. Vielleicht waren ja noch ein paar alte darauf, die sie vergessen hatte zu löschen.
Zu ihrer Überraschung war dem aber nicht so. Alle Fotos stammten von diesem Nachmittag. Die ersten zeigten Alex zusammen mit dem Welpen. Sarah musste schmunzeln als sie das zufriedene Lachen auf seinem Gesicht sah. Seine Haare wirkten noch wilder als sonst, da sie von Staub, kleinen Blättern und Steinen bedeckt waren, als er mit dem Rücken auf dem Boden lag und mit den jungen Wölfen spielte. Ein warmes Gefühl legte sich um Sarahs Herz und ließ es höher schlagen.
Die nächsten Bilder zeigten das Rudel in ihrer familiären Gemeinschaft. Ähnliches hatte sie schon während ihrer Studienzeit beobachtet, als sie in der Aufzuchtsstation geholfen hatte. In der freien Natur wirkte es dennoch noch einmal vollkommen anders. Hier gab es für die Wölfe keine Grenzen, die sie in ihrer Freiheit einschränkten. Sie konnten hingehen wohin sie wollte. Sie waren frei.
Soweit Sarah sich erinnerte, waren das auch die letzten Fotos gewesen, die sie geschossen hatte, da sie danach angefangen hatte Skizzen anzufertigen und mit den Welpen gespielt hatte, die ganz interessiert an ihr gewesen waren. Besonders viel Spaß hatte sie mit ihren Haaren gehabt, da sie ständig mit ihren kleinen Pfoten danach geschlagen hatten.
Und genau diese zeigten die nächsten Bilder. Alex musste sich die Kamera geschnappt haben, als sie beschäftigt gewesen war und nicht mehr auf ihn geachtet hatte. Bei dem Gedanken begann sie automatisch einzelne Locken um ihren Finger zu wickeln. Die Bilder waren wunderschön. Normalerweise ließ sich Sarah recht ungern fotografieren, da sie sich selbst nie darauf gefiel. Doch das Sonnenlicht, das sich in ihren Haaren fing und sie rot schimmern ließ, verlieh dem Bild eine ungemein intime Atmosphäre.
Sah Alex sie etwa so?
So hatte sich Sarah selber noch nie gesehen. Sie wirkte glücklich und ausgeglichen. Die Tiere schienen ihr gut zu tun. Dies war aber ganz normal, schließlich hatte sie ihre Leidenschaft für diese Tiere zum Beruf gemacht. Es fühlte sich beinahe wie eine Berufung für sie an.
Sarah klickte sich weiter durch die Bilder bis sie wieder die mit Alex erreichte. Dazu nahm sie noch ihre Zeichnungen. Alex war ein junger Mann, der wusste war er wollte. Dennoch gab es da immer noch diese andere Seite von der Sarah nicht wusste, wie gefährlich sie wirklich war.
Obwohl Alex ihr heute bewiesen hat, dass sie ihm vertrauen konnte, verspürte sie tief im Inneren immer noch eine gewisse Angst, die sie nicht erklären konnte. Vielleicht war es ein natürlicher Instinkt, den jeder Mensch hatte und ihn vor Gefahr warnte.
Sarah wusste einfach nicht wie sie Alex einschätzen sollte. Je mehr sie von ihm wusste, desto interessanter fand sie ihn. Gleichzeitig schreckte es sie zurück, wenn sie tiefer in seine Welt einzutauchen drohte. Sie musste auf der Hut sein und durfte nicht leichtsinnig werden. Schon gar nicht in seiner Nähe.
„Also was gibt es denn so furchtbar dringendes, dass ihr schon vor Sarahs Bungalow auf mich wartet musstet?“, brummte Alex und verschränkte verärgert die Arme vor der Brust. Mit drohendem Blick schaute er seine zwei Freunde an, die selbst nicht besonders erfreut wirkten.
„Die anderen werden zunehmend unruhiger. Sie wollen, dass endlich etwas passiert und gehandelt wird“, ergriff Florian als erstes das Wort und fuhr sich mit der Hand über seine sehr kurz geschnittenen Haare und blickte zu Boden.
„Die Geschichte mit der Nachtwanderung war ihrer Meinung nach der Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. In ihren Augen weiß Sarah bereits viel zu viel und sie wollen nicht länger akzeptieren, dass du dies einfach so hinnimmst“, erklärte Tobias weiter, wobei die Verärgerung in seiner Stimme deutlich zu hören war. Er und Florian kannten Sarah schließlich auch und sahen in ihr keine Bedrohung.
Alex hörte sich alles an und ließ sich nicht anmerken, was dabei in seinem Inneren vor sich ging. Es brodelte in ihm und es fehlte nicht mehr viel, bis er vollends die Beherrschung verlor.
„So, sie wollen also, dass ich etwas unternehme. Ist ja interessant.“ Nur mit Müh und Not gelang es Alex seine Stimme einigermaßen ruhig zu halten und nicht seine Freunde anzubrüllen.
„Was glauben die denn was ich hier gerade noch versucht habe? Wofür ich den ganzen Tag heute genutzt habe?“
„Alex, Kumpel, wir wissen das, aber die anderen nicht. Auf sie macht es eher den Eindruck, als wolltest du ihr noch mehr Geheimnisse über uns anvertrauen“, versuchte Florian kleinlaut Alex etwas zu beruhigen. Allerdings schien er damit nicht sonderlich viel Erfolg zu haben.
„Ich versuche ihr klar zu machen, dass sie vor uns keine Angst haben muss. Nur wenn Sarah es mit der Angst zu tun bekommen sollte, besteht eine ernsthafte Gefahr für uns, weil sie dann vielleicht mit anderen darüber redet. Solange sie mir vertraut, glaube ich kaum, dass sie uns verraten wird. Und woher zum Teufel wissen die anderen eigentlich von den Geschehnissen in der Nacht unserer Wanderung?“
Jetzt schrie Alex und eine Ader an seiner Schläfe trat pochend hervor.
Florian und Tobias traten einen Schritt zurück. „Ich fürchte, wir haben es ihnen erzählt. Aber wir haben es nur gut gemeint, da wir den anderen eigentlich davon erzählen wollten, dass ein fremder Wolf in unserem Gebiet aufgetaucht ist, der ziemlich aggressiv zu sein scheint. Dabei ist es uns leider herausgerutscht.“ „Und kaum war die Katze aus dem Sack wollten sie natürlich alles ganz genau wissen und du weißt wie sie sein können“, fügte Flo noch hinzu.
Alex kämpfte mich sich. Wie ein Getriebener schritt er von seinen Freunden unruhig auf und ab und hoffe eine Lösung für dieses Schlamassel zu finden. Er musste schnell handeln, da er sonst riskierte, dass Sarah etwas zustoßen könnte. Und das wollte er unter allem Umständen vermeiden.
„Ruf die anderen an und sagt ihnen es wird morgen Abend eine Versammlung geben. Ich möchte, dass alle daran teilnehmen, da es uns alle betrifft“, sagte Alex nun etwas ruhiger, weil er eine Idee hatte, wie es die Situation in den Griff kriegen könnte. Er würde dies zuvor mit seinem Vater besprechen. Vielleicht hatte Peter auch noch eine Idee und konnte seinem Sohn einen Ratschlag geben.
Erleichterung breitete sich auf den Gesichtern der beiden jungen Männer aus. Mit einem schiefen Lächeln auf dem Gesicht traten sie an ihren Freund heran und legte ihre Hände auf seine Schultern.
„Machen wir. Du kriegst das schon wieder hin, davon sind wir überzeugt.“ Damit verabschiedeten sich Tobi und Flo und verschwanden im Unterholz des Waldes. Alex blieb noch einen Moment. Mit der geballten Faust schlug er gegen den dicken Stamm einer alten Buche. Der Baum geriet in Bewegung was die Vögel, die in seinen Ästen ruhten, aufschreckte und sie davonfliegen ließ.
Es war wirklich an der Zeit, dass er etwas unternahm. Doch er hatte einen vollkommen anderen Plan, als den, den seine Freunde von ihm erwarteten. Jetzt hieß es nur noch es auf die richtige Weise anzustellen, damit am Ende nicht alles im Chaos endete.
Kapitel 18
„Paps bist du da? Ich muss dringend mit dir sprechen“, rief Alex, als er durch die Tür ins Inneres des kleinen Hauses trat. Bei der Tür musste er jedes Mal aufpassen, dass er sich nicht den Kopf stieß.
„Ich bin in der Küche“, ertönte es aus dem hinteren Teil des Hauses. Mit schnellen Schritten durchquerte Alex den Flur und das Wohnzimmer, von dem aus die restlichen Zimmer abgingen. „Was gibt es denn so dringendes, das du das ganze Haus zusammenbrüllst?“, lächelte Peter und schenkte sich eine Tasse Tee ein.
„So laut hab ich doch gar nicht gerufen.“
„Du merkst es schon gar nicht mehr.“
Alex ging nicht weiter auf die Bemerkung seines Vaters ein, sondern nahm in der kleines Essnische in der Küche platz. Die langen Beine musste er in den Raum stellen, um genügend Spielraum am Tisch zu haben. Sein Vater nahm ihm gegenüber auf der anderen Sitzbank platz und schlürfte seinen Tee.
„Nun was liegt meinem Sohn auf dem Herzen? Du siehst gehetzt aus.“ Gehetzt war gar kein Ausdruck. So schnell wie Alex hierher gekommen war und ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er brauchte Hilfe und nur sein Vater hatte die nötige Erfahrung des Lebens, dass er diese wirklich erhalten konnte.
„Es gibt ein Problem, ein ziemlich großes sogar, wenn ich nicht bald etwas unternehme“, begann Alex und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Das tat er immer, wenn er nicht mehr weiterwusste. „Die anderen drohen sich gegen mich zu stellen.“
Peter gab keinen Laut von sich, für den Fall, dass Alex noch etwas hinzufügen wollte. Als auch von seinem Sohn nur ein verzweifelter Blick kam, nahm Peter einen letzten Schluck von seinem Tee und stützte dann seine Arme auf dem Tisch ab, sodass er sich zu seinem Sohn lehnen konnte.
„Was ist der Grund, dass sie dir anscheinend nicht mehr ihr volles Vertrauen schenken?“
„Was glaubst du wohl.“
„Ich möchte es lieber von dir selbst hören, bevor ich mich auf irgendwelche Spekulationen verlasse“, entgegnete sein Vater und schaute ihn ernst an mit einer solchen Aufrichtigkeit, die er seinem Sohn schon als kleinen Jungen geschenkt hatte.
„Es geht um Sarah. Sie weiß was ich bin und nun fürchten die anderen, dass sie uns verrät. Ich bin allerdings der Ansicht, dass sie dies nicht tun wird. Wenn sie es wirklich gewollt hätte, hätte sie es schon längst getan und nicht so viel Zeit zwischen dem Angriff und jetzt vergehen lassen.“ Alex war der festen Überzeugung, dass Sarah ihn niemals an jemanden verraten würde. Dafür hatte er heute den Beweis erhalten. Sie hatte ihn begleitet, trotz ihrer Angst und ihm ihr Vertrauen geschenkt. Die ganze Aktion heute durfte nicht ohne Folgen bleiben.
„Du vertraust ihr also. Bist du denn der einzige?“
Energisch schüttelte Alex den Kopf. „Florian und Tobias waren am Anfang auch skeptisch, doch nun sehen sie die Dinge so wie ich. Sie haben Sarah kennen gelernt und gesehen was in der Nacht passiert ist. Auch Johannes wird zu ihr stehen, dafür hat er sie einfach viel zu gerne. Was glaubst du denn warum er sonst so oft hier war, als ich mit Sarah zusammengearbeitet habe.“
„Hmm“
„Was würdest du an meiner Stelle machen? Jetzt brauch ich deine Lebensweisheiten wirklich mal“.
Auf Peters Gesicht erschien ein amüsiertes Lächeln. „Endlich erkennst du den Nutzen des Alters. Aber dies ist eine Sache, die nur du allein wieder einrenken kannst. Vertrau auf deinen Instinkt, dazu ist er da. Was sagt dir dein Herz? Wenn du die anderen von deiner Sicht der Dinge überzeugen willst, musst du mit dem ganzen Herzen dabei sein“, gab der Vater dem Sohn mit auf dem Weg.
„Wirklich hilfreich ist das jetzt aber nicht“, murrte Alex mit vor der Brust verschränkten Armen. „Jeder muss seine eigenen Erfahrungen im Leben machen. Die Situation in der du dich befindest, ist sehr schwierig. Du musst eine Entscheidung treffen, die möglicherweise dein ganzes weiteres Leben beeinflussen wird. Diese kann ich dir also nicht abnehmen, so gerne ich es auch täte, mein Sohn.“
Peter hatte mit seiner Erklärung natürlich Recht, das musste auch Alex einsehen. Allerdings war er sich dadurch nur noch unsicherer was er nun wirklich tun würde. Vor diesem Gespräch war er sich so sicher gewesen und wollte eigentlich nur noch einmal eine väterliche Bestätigung gekommen. Jetzt war er aber wieder ins wanken geraten und viel Zeit zum Überlegen blieb ihm nicht mehr.
„Paps ich muss dich um einen weiteren Gefallen beten. Bitte halte dir den morgigen Nachmittag frei“, bat Alex seinen Vater bevor er sich aus der Nische erhob und das Haus noch einmal verließ.
Alex machte sich noch einmal auf den Weg zu Sarahs Bungalow. Er konnte nicht bis morgen warten, um noch einmal mit ihr zu sprechen. Die Sonne war schon untergegangen, weswegen sich Alex noch mehr beeilte. Vielleicht würde ihn Sarah so spät nicht mehr sprechen wollen oder hatte sich bereits hingelegt.
Als er am Bungalow ankam, sah er noch ein schwaches Licht durch das Wohnzimmerfenster scheinen. Wie es aussieht, hatte er wohl doch noch Glück.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, wodurch er im gleichen Rhythmus wie sein Herzschlag an der Tür klopfte, was um einiges heftiger ausfiel als er beabsichtigt hatte. Wenn er jetzt vor verschlossener Tür stehen bleiben würde, überraschte ihn das noch nicht einmal. Von Innen hörte er das Knacksen des Sofas und langsamen, sehr vorsichtige Schritte, die sich der Tür näherten.
„Sarah ich bins. Ich hab aus versehen etwas zu stark an der Tür geklopft“, rief Alex um ihr die Angst zu nehmen. Sofort wurden ihre Schritte schneller und das Schloss der Eingangstür wurde aufgeschlossen.
„Alex, hast du was vergessen?“ Die Überraschung über seinen späten Besuch war deutlich in ihren Augen zu sehen. Die Tür gab sie auch noch nicht ganz frei, da sie sie nur zur Hälfte geöffnet hatte und sich gehen sie lehnte.
„Ich muss dringend mit dir sprechen. Darf ich rein kommen?“
Ihre Überraschung wandelte sich in Skepsis was kein gutes Zeichen für Alex Absichten war. Dennoch trat Sarah beiseite und ließ ihn ein. „Was gibt es so wichtiges, das es nicht bis morgen früh warten kann? Weißt du überhaupt wie spät es schon ist?“
Sarah hatte sich einen kurzen dünnen Morgenmantel aus mintgrünem Satin übergeworfen und schlang nun die Arme um ihre Körpermitte, um ihn zusammenzuhalten. Also war sie doch schon so gut wie im Bett gewesen. Der Gedanke war in diesem Moment nicht gerade hilfreich.
„Ich weiß nicht wo ich anfangen soll…“
„Am besten am Anfang, wenn du meine Meinung hören willst.“
Mit einem verzweifelten und leicht amüsierten Blick legte Alex den Kopf schief und schaute Sarah an. Sie war wirklich eine Augenweide. Vor allem wenn sie ihre Haare offen trug und sie ihr zartes Gesicht umspielten.
Damit er nicht doch noch einen Rückzieher machen konnte, trat Alex zu Sarah, die immer noch an der Tür auf eine Erklärung für seinen Besuch wartete. Als er vor ihr stand und sie mit mehr als einen Kopf überragte, zog sie hörbar die Luft ein, wobei sich ihre Augen weiteten.
„Vertraust du mir?“
„Was…?“
„Ich will wissen, ob du mir vertraust Sarah.“
Sie war von seiner Frage vollkommen überrumpelt, da sie mit allem gerechnet hatte nur nicht damit. Was sollte sie darauf antworten? Das er ihr so nah stand und sie seine Körperwärme deutlich spüren konnte, lenkte sie zusätzlich ab.
Die ganze Zeit schaute er sie erwartungsvoll an mit seinen dunklen Augen, die sie keine Sekunde losließen. Wie schon bei seinem Abschied vorhin, beschleunigte sich Sarahs Herzschlag auf unnatürliche Weise. Das Blut rauschte in ihren Ohren, sodass sie nichts anderes mehr hören konnte, als das Pochen in ihrer Brust und seinen ruhigen Atem.
„Vertraust du mit Sarah?“, wiederholte Alex noch einmal seine Frage, nun mit etwas mehr Nachdruck.
Natürlich vertraute sie ihm, das hatte sie bei der Sichtung ihrer Skizzen und Fotos doch selbst festgestellt. Er machte ihr stellenweise auch Angst, doch das hinderte sie nicht daran in Alex Nähe sein zu wollen.
„Ja, ja ich vertraue dir. Warum ist das auf einmal so wichtig?“
Alex legte seine großen, von der Arbeit rauen Hände an ihre Wagen und seine Finger tauchten in ihre Locken ein. Vorsichtig senkte er den Kopf und nahm Sarah somit die letzte Fluchtmöglichkeit, die ihr noch geblieben war.
„Weil ich es wissen musste.“
Seine Lippen legte sich auf ihrer und rissen somit auch den letzten Widerstand, den Sarah aufrechterhalten hatte nieder. Das Herz, das ihr zuvor nur bis zum Hals geschlagen hatte, drohte nun zu zerspringen vor überquellenden Gefühlen. Sie spürte wie sich die Röte ihren Weg vom Hals in ihre Gesicht bahnte und es zum glühen brachte.
Er war so zärtlich zu ihre, trotz seinen einnehmenden Gestalt. Sarah hatte mit allem gerechnet nur nicht hiermit, dennoch genoss sie den Kuss in vollen Zügen.
Viel zu früh löste sich Alex wieder von ihr. Nur seine Hände blieben auf ihrem Gesicht ruhen. Jetzt wurde Sarah noch roter, da sie jetzt Alex Blick auf sich spürte.
„Tut mir leid. Ich konnte nicht anders.“
„Nein.. ist schon… gut“, flüsterte Sarah, der die Luft zum Atmen fehlte.
Schüchtern schielte sie zu Alex hinauf. Seine Augen strahlten, als hätte er einen Schatz gefunden. Aber auch er atmete unregelmäßig, was Sarah vorher völlig entgangen war.
„Bist du deswegen hergekommen?“
Sofort versteifte sich Alex und er ließ von ihr ab. Die Stellen ihrer Haut, wo zuvor noch Alex Hände gelegen hatte, fühlten sich nun unangenehm kalt an, da seine Wärme fehlte. Die vorher so angenehme Hitze war auf einmal verschwunden.
„Nein, eigentlich nicht. Das war mehr eine Kurzschlussreaktion. Ich bin wegen etwas anderem hier. Setzten wir uns. Du siehst im Moment nicht so aus, als sollten wird dieses Gespräch im stehen fortsetzten“, antwortete Alex und lehnte sich an die Flurwand, um Sarah Platz zu machen. Seine Beobachtungsgabe war wirklich unglaublich, denn die wackligen Knie fielen Sarah erst auf, als sie den ersten Schritt in Richtung Wohnzimmer machte.
Unsicher wackelte Sarah zum Sofa im Wohnzimmer und schob schnell all ihre Unterlagen beiseite, damit sich auch Alex setzten konnte. Wenn sie bei ihren Erkundungstouren in Zukunft auch so unsicher auf den Beinen sein würde, nur weil Alex dabei war, war das nicht gerade vorteilhaft für sie.
„Die sind wirklich gut geworden“, meinte er und deutete auf die Skizzen, während er sich setzte und auch die andern kurz anschaute. „Deine Fotos sind auch nicht schlecht geworden“, gab Sarah das Kompliment zurück. Das war es dann aber auch mit der Plauderei, denn Alex wurde plötzlich vollkommen ernst.
„Tobias und Flo waren doch vorhin hier und meinten sie müssten mich dringend sprechen“, begann Alex zu erzählen.
„Sie sind wie du, nichts wahr?“ Alex brauchte nicht zu antworten, die Antwort stand in seinen Augen. „Es gibt noch mehr von uns, viel mehr. Und da liegt das Problem. Sie sehen eine Gefahr in dir, da du unser Geheimnis gelüftet hast und wollen das nicht länger hinnehmen.“
Die Angst, die Sarah gerade überwunden dachte, kam mit einer gigantischen Welle zurück und ließ sie erschaudern. Die Kälte wurde noch intensiver, sodass Sarah ihrer Knie an den Körper zog und ihre Arme darum schlang. Sie war auf einmal noch kleiner neben Alex, als ohnehin schon.
„Ich werd nicht zulassen, dass sie dir etwas antun.“ Zur Versicherung legte Alex seine Hand auf Sarahs Knie und drückte es leicht. Seine Berührung nahm etwas von der Kälte, doch die Angst blieb.
„Du hast mir gesagt, dass du mir vertraust und ich tue das gleiche bei dir. Ich bin mit absolut sicher, dass du uns nicht verraten wirst, denn hättest du es gewollt, war genug Zeit, um dies zu tun. Davon möchte ich auch die anderen überzeugen. Darum bitte ich dich, mich morgen zu begleiten, wenn ich mich mit der Gruppe treffe. Du wirst nicht allein sein. Florian und Tobias sind auf meiner Seite und werden genauso auf dich aufpassen, wie ich es tu.“
Das war zu viel für sie. Erst der unerwartete Kuss, der seine Wirkung noch nicht verloren hatte und nun diese Offenbarung, dass sie mehr oder weniger bedroht wurde. Wie konnte innerhalb von nur wenigen Minuten eine gute, gegen eine so schreckliche Erkenntnis ausgetaucht werden?
„Ich weiß nicht…“
„Dir wird nichts passieren. Das verspreche ich dir, bei meinem Leben“, versicherte Alex und lehnte sich zu Sarah hinüber.
„Meine letzte Begegnung mit einem wütenden Wolf, hätte mir beinahe das Leben gekostet, Alex. Ich weiß auch immer noch nicht wie ich mit deiner tierischen Seite umgehen soll. Du hast mir nie etwas getan, wenn ich dir als Wolf begegnet bin. Aber werden die anderen auch so sein, wie du?“
Er konnte ihre Einwende nur zu gut verstehen. Sie hatte auch die grausame Seite seinesgleichen gesehen.
„Du sagst du vertraust mir. Jetzt bitte ich dich darum dieses Vertrauen zu beweisen.“
Sarahs Augen weiteten sich vor Schreck, als Alex das zu ihr sagte, und sie entzog sich seiner Berührung. Das war ein deutliches Zeichen. Sarah würde ihn nicht begleiten. Er verstand sie, schließlich war sie es, die in größter Gefahr schwebte verletzt zu werden. Allerdings sank damit auch seine Chance, die anderen zu überzeugen.
Um über die ganze Sache nachzudenken, erhob sich Sarah vom Sofa und lief in dem kleinen Wohnzimmer herum. Dabei schenkte sie Alex keinen Blick, da er sie nur ablenken würde. Wie sollte das überhaupt mit ihnen weiter gehen, wenn sie sich jetzt schon von ihm zurückzog? Da konnten sie es auch gleich lassen. Bei dem Gedanken schmerzte es in Sarahs Brust.
„Also schön.“
Vollkommen überrascht riss Alex den Kopf hoch.
„Ich werde dich begleiten, wenn du mir versichern kannst, dass mir nichts passieren kann.“
Sofort war Alex auf den Beinen und wäre dabei beinahe mit der Deckenlampe zusammengestoßen. Er griff nach Sarah Händen und barg sie in seinen. „Du hast mein Wort. Niemand wird dir auch nur ein Haar krümmen.“
Sie gab ihm den notwendigen Beweis für ihr Vertrauen, was Alex Herz überlaufen ließ. Er zog sie in seine Arme und drückte sie an seine harte Brust. Die Umarmung ihrer Arme um seine Taille war gerade zu zärtlich im Vergleich zu seiner. Alex legte ihr die Hand unter ihr Kinn und hob es an, damit sie ihn ansah. In diesen Augen konnte er sich verlieren. Erneut küsste er sie, dieses Mal aber fordernder.
Sachte strich er mit der Zunge über ihre vollen weichen Lippen, die sich ihm bereitwillig öffneten. Er drang in ihren Mund ein und nahm sich von ihr was er brauchte. Damit die Verbindung zwischen ihnen nicht abbrach drückte Alex sie noch näher an sich.
„Ah“, stieß Sarah aus und zog sich etwas zurück. Sofort lockerte Alex seine Umarmung. Er war um einiges stärker, als ein normaler Mann. Seine Arme hatte Sarah angeklemmt. Den Kuss unterbrach sie aber nicht.
Vollkommen außer Atem lösten sich die beiden voneinander und Sarah sank zurück auf ihre Fußsohlen. Sie hatte sich auf ihre Zehenspitzen gestellt, was Alex vollkommen entgangen war, da sie immer noch so klein neben ihm war.
„Du hast einen ziemlich kräftigen Griff“, scherzte sie. Alex fand es nicht so lustig und schob die weiten Ärmel ihres Morgenmantels hoch. Noch waren keine blauen Flecken an Sarahs Armen zu sehen.
„Tut mir Leid. Ich muss in Zukunft wohl etwas vorsichtiger im Umgang mit dir sein.“
Auch wenn es ihm ungemein schwer fiel, musste er zurück zu seinem Vater. Es waren noch einige Vorbereitungen zu treffen.
„Ich muss jetzt los. Ich meld mich Morgen noch einmal und sag dir wie alles ablaufen wird. Außerdem siehst du aus, als könntest du eine Mütze Schlaf gebrauchen und die will ich dir ungern nehmen.“
„Meinst du, wenn du bleiben würdest, könnte ich keinen Schlaf finden?“
„Die Wahrscheinlichkeit wäre sehr hoch.“
Mit einem hinreißenden Lächeln verabschiedete sich Alex. Sein Daumen streichelte noch einmal über ihre Wange bevor er mit einem letzten flüchtigen Kuss aus dem Bungalow stürmte.
Er war schon wieder bei ihr gewesen. Den ganzen Abend über hatte er sich im Verborgenen gehalten und dieses winzige Haus beobachtet. Die Kleine würde einen leckeren kleinen Bissen abgeben, doch dafür war es noch zu früh.
Den Abend über war nichts mehr passiert, bis dieser Alex noch einmal zu ihr gerannt war. Wie ein läufiger Hund. Durch das Wohnzimmerfenster hatte er sie beobachten können, wie sie sich gegenseitig angesehen hatten. Es widerte ihn an diesem Schauspiel beizuwohnen, doch das war nun einmal seine Aufgabe und die erledigte er gewissenhaft.
Die Spannung zwischen den beiden war kaum zu übersehen gewesen. Bevor Alex den Bungalow wieder verließ lieferte er seinem Beobachter auch den Beweis auf den er seit Wochen wartete. Sein Anführer würde überaus erfreut über diese Neuigkeiten sein. Nun hatte sie endgültig seine Schwachstelle gefunden.
Nicht mehr lange und sein Ende und das seines Rudels waren gekommen.
So schnell wie der Wind rannte er durch die Dunkelheit des Waldes und wich jedem Baum und Strauch so geschickt aus, dass es nicht die geringste Spur von ihm geben würde.
Kapitel 23
Am wolkenlosen Himmel glänzten die Sterne und erhellten mit ihrem schwachen Licht den stillen dunklen Wald. Nur das leise Rascheln von Blättern, die in Schwingung gebracht wurden, unterbrach die Stille.
Mit geschmeidigen Bewegungen rannte der Wolf durch das Unterholz. Er versuchte, die in ihm brodelnde Wut von sich abzuwerfen, indem er sein Tempo immer weiter erhöhte. Doch es half nichts. Immer wieder erschienen die Bilder vor seinem inneren Auge und machten ihn nur noch rasender.
Eigentlich war es zu erwarten gewesen, dass sich zwischen der kleinen Forscherin und dem Anführer des Wolfrudels früher oder später etwas Intimes entwickelt. Es jedoch hautnah mit ansehen zu müssen, war doch schmerzvoller gewesen, als erwartet.
Es war nicht mehr weit bis der Wolf die Grenze des Gebietes erreichte, indem sein Wolfrudel lebte. An der Grenze wartete jemand auf ihn, mit hoffentlich besseren Nachrichten.
Kurz bevor der Grenze blieb der dunkelgraue Wolf stehen. In der Dunkelheit waren die drei schwarzen Streifen auf seinem Rücken kaum zu erkennen. Was ein großer Vorteil war, da so seine Tarnung aufrechterhalten wurde.
Mit einer fließenden Bewegung verlagerte der Wolf sein Gewicht auf die Hinterbeine und nahm seine menschliche Gestalt an. Mit einer ruckartigen Bewegung entfernte Katja eine Locke ihrer langen schwarzen Haare aus ihrem Gesicht.
Ohne weitere wertvolle Zeit zu verlieren, holte sie ihr Handy aus der Hosentasche und wartete mit unruhigen Füßen darauf, dass abgenommen wurde.
„Ja?“, erklang die tiefe raue Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
„Ich will dich allein treffen. Schick die anderen weg. Wie es bei euch gelaufen ist, kannst du mir auch selbst sagen.“
Als antwort war nur das kehlige Lachen des Mannes zu hören. Danach war die Leitung tot. In ihrer unmittelbaren Umgebung könnte Katja die schnell sich entfernenden Schritte der anderen hören.
Mit gefährlich glänzenden Augen und einen herausfordernden Lächeln trat die junge Frau zwischen den Bäumen hervor. An einem der ihr gegenüberliegenden Bäumen lehnte ein Mann, der nicht weniger gefährlich aufschaute.
„Hallo, meine Schöne“, grinste er, rührte sich aber nicht von der Stelle. Er hatte eine ähnliche Statur, wie Alex und seine Freunde. Allerdings war sein Oberkörper wesentlich muskulöser. Einen Ansatz davon war an dem V-Ausschnitt seines Shirts zu erkennen. Die kräftigen Oberarme steckten in den Ärmeln seiner abgewetzten Lederjacke.
Mit wenigen Schritten hatte Katja die Entfernung zwischen ihnen überwunden. Besitzer greifend packte sie sein Gesicht und zog ihn zu sich hinunter. Fordernd presste sie ihren Mund auf seinen und küsste ihn ungestüm.
Seine starken Arme schlangen sich um sie und zogen sie fester an seinen harten Körper. Genau diese Bestätigung brachte Katja in diesem Moment. Mit anzusehen, wie es Alex mit diesem kleinen Miststück trieb, hatte sie innerlich zum brodeln gebracht. Alex gehörte ihr. Schließlich gab es keine andere Möglichkeit, um so für den Fortbestand des Rudels zu sorgen.
Doch was Alex ihr nicht geben wollte, holte sich Katja eben woanders.
Ihre Zunge drang in seinen Mund ein und umspielte herausfordernd seine. Wie um sein Revier zu markieren, packte er Katja an ihrem Hindern und drückte sie gegen seine Hüfte. Dabei entfuhr ihm ein genüssliches Stöhnen.
Der Kuss nahm noch an Wildheit zu. Katja fuhr ihm durch die Haare und kratzte ihm mit den Fingernägeln über die Kopfhaut und den Nacken hinunter.
„Jetzt versteh ich, warum du mich allein sehen wolltest. Ich liebe es, wenn du seine tierische Seite so freien Lauf lässt“, knurrte er und wanderte mit seinen heißen Küssen ihren Hals hinab, bis in den Ausschnitt ihres knappen Tops.
„Mein anderes Ich kann ich auch nur bei dir so ausleben“, schurrte Katja und genoss die Aufmerksamkeit, die ihr geschenkt wurde. Sie brachte die Bestätigung, im Moment mehr als sonst.
Alex wusste offensichtlich gar nicht was ihm entging. Bei seiner Kleinen muss er immer vorsichtig sein und konnte sich nie richtig gehen lassen. Er würde sich wohl nie verzeihen, wenn er sie beim Liebesspiel verletzte.
„Es wird Zeit, dass ihr den nächsten Schritt macht. Ihr habt lange genug gewartet. Nehmt euch jetzt was euch zusteht.“
„Deine Worte sind wie Musik in meinen Ohren“, raunte Katjas Liebhaber an ihrem Brustbein. Bestimmend entfernte sie seine Hände von ihrem Hintern und trat einen Schritt von ihm weg.
Die Überraschung, über die Unterbrechung, war dem Mann deutlich anzusehen. Er schreckte die Hand nach Katja aus und erwischte ihre Hand, bevor sie diese wegziehen konnte.
„Ich meine es ernst, Ray. Wie laufen eure Bestrebungen das Gebiet an euch zu reißen?“
Um Katja zu zeigen, was sie sich entgehen ließ, spielte Ray aufreizend mit ihren Fingern. Katja musste schwer schlucken, wenn sie daran dachte, was er alles mit ihr anstellen konnte, doch jetzt musste sie einen klaren Kopf behalten.
„Es läuft alles zu unserer Zufriedenheit. Ich habe nur noch auf dein Zeichen gewartet, um dann richtig zuzuschlagen. Heute waren wir kurz davor, einen von diesen Kuschelwölfen die Lichter auszupusten. Ware ihr Anführer nicht rechtzeitig dazwischen gegangen, hätte das Wölfchen nicht mehr lange durchgehalten. Allerdings hab ich diesem schwarzen Alphawolf auch einiges verpasst. Seine Schulter dürfte noch etwas angeschlagen sein.“
Um den Mund des Mannes spielte sich ein zufriedenes Lächeln und seine Augen blitzen wieder gefährlich auf. Er war ein Mann, der seine tierische Seite voll auslebte und nicht zwanghaft versuchte diese zu unterdrücken und vor den anderen Menschen geheim zu halten.
„Gut, das ist genau das was ich hören wollte. Erhöht den Druck. Ihr braucht euch von jetzt an nicht mehr zurückzuhalten. Aber denkt daran, die Kleine, die immer in der Nähe der Wölfe ist, gehört mir. Ich habe meine ganz persönlichen Pläne mit ihr. Nur, dass ich es bin, die dabei ihren Spaß haben wird“, meinte Katja und konnte sich ein böswilliges Lachen nicht verkneifen.
Ray spielte immer noch mit Katjas Fingern, ließ sich aber ansonsten nichts von dem anmerken, was sich in seinem Innerlichen abspielte. Er lehnte vollkommen gelassen an dem Baumstamm und verfolgte jede von Katjas Bewegungen.
„Ich bin schon so gespannt auf Alex Reaktion, wenn er endlich erkennt, was wirklich vor sich geht. Er hat überhaupt keine Ahnung und meint immer noch Herr der Lage zu sein. Dabei ihr er nur noch wenige Zentimeter von seinem Untergang entfernt.“
Es war eine große Befriedigung für Katja die einzige zu sein, die wusste was sich im Wald wirklich zutrug. Sie hatte alles so geplant, dass sie, egal wie es am Ende ausgeht, immer die Fäden in der Hand hat.
Nur weil sie die einzige Frau im Rudel war, machten die Jungs den großen Fehler sie zu unterschätzen und nicht als ernst zu nehmendes Mitglied an zuerkannten.
„Wenn wir dann mit der Planung durch sind, können wir ja endlich da weiter machen, weswegen du in Wirklichkeit hergekommen bist.“
Ray verstärkte seinen Griff, um Katjas Finger und zog sie wieder an seinen festen Oberkörper. Zuerst wollte sich Katja noch einmal von Ray lösen, doch seine geschickten Hände ließen ihr keine andere Wahl. Sie nahmen Besitz von ihrem Körper und ließen ihn in Flammen stehen.
„Du musst dich nicht gegen mich wehren, um meinen Hunger auf dich noch zu steigern. Ich will dich auch so in jeder wachen und in den meisten schlafenden Sekunden“, säuselte Ray Katja ins Ohr.
Mit dem Fuß knickte er Katjas Bein weg, sodass sie das Gleichgewicht verlor und zu Boden sank. Ray hielt sie dabei weiter an seinen Körper gepresst und nahm seine Wanderung von Küssen über Katjas Körper wieder auf.
Es war schon gegen Mittag, als Sarah es endlich schaffte auf dem Bett zu steigen. Die vergangene Nacht hatte wirklich ein anderes Ende genommen, als sie erwartete hatte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl gewesen mit Alex zu schlafen. Trotz seiner beeindruckenden Kraft war er zärtlich und vorsichtig mit ihr umgegangen.
Außerdem hat er sich alle Zeit der Welt gelassen, um ihren Körper zu erkunden. Nur als sie beide kurz vor dem Höhepunkt waren, hatte Sarah etwas von seiner Wildheit erkennen können.
Es hatte sie aber nicht geängstigt. Vielmehr war es ein Zeichen für sie gewesen, dass er ihr voll und ganz vertraute und sie ihn dazu brachte, all seine Vorsicht vergessen zu lassen.
Sarah war in Alex’ Armen aufgewacht. Er hatte sie sicher gehalten. Ihre Beine hatten sich nicht nur ineinander verschlungen, sondern auch die Decke herumgewickelt.
Um sich aus dem Knoten zu befreien, hatte Sarah ganz schön mit den Füßen treten müssen. Dabei hatte Alex ein zufriedenes Knurren von sich gegeben. Er war durch ihre Befreiungsversuche geweckt wurden.
An Aufstehen war jetzt erst einmal nicht mehr zu denken. Alex legte Sarah den Arm und die Taille und zog sie zurück an seine Seite.
„Guten Morgen“, raunte er und streifte dabei sanft Sarahs Lippen. Diese waren immer noch leicht gerötet von seinen fordernden Küsse, letzte Nacht.
„Mittag wäre wohl besser angebracht“, kicherte Sarah und versuchte Alex wirres Haar zu bändigen, das ihm im Gesicht hing.
„Ich hoffe du hast gut geschlafen.“ Alex Stimme war noch leicht kratzig und der Schlaf hing noch in seinen Augen. Er schien noch nicht wirklich wach zu sein, ließ Sarah aber keine Sekunde los.
„Ich kann mich nicht beschweren. Es hätte mich ehrlich gesagt, aber auch gewundert, wenn ich nicht sofort eingeschlafen wäre.“
Alex rollte sich auf Sarah und stützte die Arme rechts und links von ihrem Kopf ab. Sein nackter Oberkörper lag auf ihr und drückte Sarah in die Matratze. „Ich habe dir doch gesagt, die Möbel sind von einem Fachmann angefertigt wurden“, raunte Alex und küsste Sarah nun richtig. Zuerst war er noch zurückhaltend. Aber kaum hatte Sarah ihre Lippen einen Spalt breit geöffnet, drang seine Zunge in ihren Mund und begann seinen Tanz von letzte Nacht erneut.
Eine Hand legte Alex unter Sarahs Kinn, um sie während seines Kusses zu führen. Mit der anderen fuhr er ihre Beine entlang. Vom Knöchel an hinauf, über ihren angespannten Oberschenkel, unter die Decke und weiter ihren Rücken entlang.
Sofort stand Sarah wieder in Flammen. Ebenso schien Alex jetzt hellwach zu sein. Seine Augen glänzten liebevoll, als er seine Lippen von ihren löste und Sarah minutenlang einfach nur betrachtete.
„Ich könnt dich stundenlang einfach nur ansehen und es immer noch nicht glauben, dass du an meiner Seite bist“, flüstere Alex und fuhr mit den Finger die Linien ihres Gesichts nach. Sarahs Herz schlug bei seinen Worten schneller und sorgte dafür, dass sie ihn noch mehr liebte.
„Ich würde zu gerne den ganzen Tag mit dir im Bett verbringen, doch leider ruft die Arbeit. Ich sollte endlich mal bei Johannes Vater vorbeischauen und die Regale reparieren. Es ist in letzter Zeit zu viel liegen geblieben.“
„Daran bin ich wohl nicht ganz unschuldig“, meinte Sarah und schaute schuldbewusst zu Alex auf.
„Oh glaub mir, für dich habe ich überaus gern meine Arbeit liegen lassen. Außerdem hast du mir auch schon geholfen. Nein, es sind eher die Unruhen im Wald, die mich immer mehr in Anspruch nehmen.“ Alex hielt in seinen Schilderungen plötzlich inne. Er durfte Sarah nicht zuviel erzählen, sonst würde sie sich nur Sorgen machen.
Von seinem Zusammentreffen und dem Kampf hatte Alex ihr bewusst nichts erzählt. Zu seinem Glück hatte Sarah auch die Überbleibsel des Kampfes nicht auf seiner Haut entdeckt. Sein kleines Ablenkungsmanöver hatte besser funktioniert als gedacht.
Bei dem Gedanken verzog sich Alex Mund zu einem schelmischen Grinsen.
„Dann will ich dich lieber nicht länger von deiner Arbeit abhalten. Nicht, dass am Ende noch dein guter Ruf gefährdet ist.“ Sarah trieb ihre kleinen Späße mit Alex, der auch sofort darauf ansprang und sie zur Strafe auskitzelte.
Nach mehreren Versuchen schafften es die beiden auch endlich aus dem Bett. Sarah musste zugeben, dass es schon einige Vorzüge hatte, jeden Tag auf diese Art geweckt zu werden. Sie bekam immer mehr das Gefühl, das Lohberg und die nähere Umgebung eine neue Heimat für sie werden konnte.
Trotz ihrer noch recht kurzen Zeit hier, hatte sie schnell Bekanntschaften und sogar Freundschaften geschlossen. Dass Alex jetzt sogar an ihrer Seite stand, machte das ganze natürlich perfekt.
Sarah schlüpfte gerade in ihre Jeans, als Alex erneut hinter sie trat und ihr ihre kastanienbrauen Locken über die rechte Schulter schob. „Ich muss dann los. Je nachdem wie schnell ich bei Johannes fertig bin, werde ich dann noch was in meiner Werkstatt machen. Gegen Abend werde ich wieder hier sein.“
Zum Abschied drückte Alex Sarah noch einen Kuss in den Nacken und drückte sie kurz an sich.
Es war schon später Nachmittag, als das Telefon im Flur klingelte. Sarah sprang vom Sofa auf, ging zu dem Telefon an der Wand und nahm den Hörer ab.
„Sarah Klein“, meldete sie sich und lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand. Sarah hatte schon lange keinen Anruf mehr über das Festnetz bekommen, weswegen sie in Gedanken die Personen durchging, denen sie diese Nummer gegeben hatte.
„Schönen guten Abend, Frau Klein, ich hoffe ich rufe nicht zu spät an“, meldete sich die vertraute Stimme ihres Professors. Mit einer so schnellen Antwort von ihm, hatte Sarah nicht gerechnet und war für einen Moment aus dem Konzept gebracht.
„Guten Abend, Professor Blumsberg. Sie stören überhaupt nicht. Ich gehe davon aus Sie haben meinen Bericht erhalten?“ In Sarahs Bauch begann es zu kribbeln. Auch wenn sie fünf Jahre studiert hatte und häufig mit ihren Professor zu tun hat, machte es sie immer noch nervös mit ihm zu sprechen. Vielleicht jetzt noch mehr, da er ihr Chef war und sie jeder Zeit von dem Forschungsprojekt absetzen konnte. Darum wollte Sarah besonders gut sein und hatte ihren Bericht gestern so sorgfällig noch einmal überarbeitet.
„Allerdings, ich hatte ihn heute Morgen auf meinen Schreibtisch. Um ehrlich zu sein, hatte ich mir schon Sorgen gemacht, da ich so lange nichts von Ihnen gehört habe. Allerdings waren diese offensichtlich vollkommen unbegründet. Ich bin von Ihren derzeitigen Forschungsstand sehr beeindruckt.“
Bei diesen Worten fiel Sarah ein Stein der Erleichterung vom Herzen. Dies war schon einmal ein gutes Zeichen.
„Das freut mich sehr zu hören. Ich Arbeit hier ist auch sehr spannend und interessant. Ich habe das Gefühl hier jeden Tag neue Erkenntnisse zu sammeln. Wir ich schon in meinem Forschungsbericht geschrieben habe, scheint sich die Population der Wölfe, besonders im Gebiet des Bayrischen Waldes stetig zu steigern.“
Während Sarah mit Professor Blumsberg sprach, hörte sie, wie sich das Schloss der Haustür drehte und beobachtete, wie Alex sich leise durch die Tür schlich. Als er sie im Flur stehend entdeckte, weiteten sich kurz seine Augen.
Mit ein paar Gesten signalisierte Sarah ihm, dass sie gerade telefonierte, weswegen er sie nicht laut begrüßte, sondern ihr nur einen Kuss auf die Wange hauchte und an ihr vorbei weiter ins Wohnzimmer trat.
„Weswegen ich eigentlich anrufe, ich würde gerne noch einmal ihre ganz persönliche Einschätzung der Entwicklungen hören. Und hier und da noch etwas genauere Informationen haben“, meinte Sarahs Professor.
Sarah seufzte kurz auf. Sie musste sich konzentrieren und daran erinnern, was sie alles geschrieben hatte.
„Natürlich, also es ist auf jeden Fall gesichert, dass die Wölfe sich wieder in Deutschland ansiedeln. Und sie vermehren sich auch. Bei meinen Erkundungstouren bin ich auf ein Rudel gestoßen, das mehrere Welpen hatte. Somit würde ich davon ausgehen, dass das Rudel sich hier ein festes Revier angelegt hat.“
„Sehr schön. Waren Sie auch in der Lage Bilder von dem Rudel und den Jungen zu machen? Ich glaube mich daran zu erinnern, dass sie künstlerisch und auch fototechnisch sehr versiert sind“, setzte Blumsberg seine Nachfrage fort.
„Ja, ich habe Fotos von dem Rudel machen können. Allerdings habe ich diese noch nicht an Sie weitergeleitet, da ich hoffe noch einmal so nah an das Rudel heranzukommen, um weiterer Fotos machen zu können. So wäre es möglich den Entwicklungsstand der Welpen genauer zu verfolgen“, erklärte Sarah. Das eigentliche Problem war auch, dass auf vielen ihrer Fotos Alex mit drauf war, wie er mit den Welpen spielt. Es würde den Eindruck entstehen, dass die jungen Wölfe sich nicht natürlich verhalten. Obwohl sie in Alex den Wolf und somit ein Teil ihres Rudels sehen. Doch wie sollte Sarah das erklären?
„Ich hätte, dennoch gerne Abzüge von diesen Fotos mit genauen Angaben und Vermerken.“
„Wir Sie wünschen. Ich werde die Fotos mit genauen Angaben zu dem Rudel für Sie fertig machen und so schnell wie möglich zu Ihnen schicken. Geben Sie mir dafür aber bitte ein paar Tage Zeit.“
„Gut ich warte dann auch auf die neuen Fotos, wenn es Ihnen gelingt, dass Rudel noch einmal ausfindig zu machen. Es würde unser Forschungsprojekt um einiges nach vorne bringen, Frau Klein.“
„Ich werde mein bestes geben. Sobald ich das Rudel erneut gefunden habe, bekommen Sie den nächsten Bericht von mir, in dem ich alles ausführlich für das Projekt aufarbeiten werde. Es war wirklich gut, mich hier runter zu schicken …“
Zu ende sprechen konnte Sarah nicht, denn plötzlich wurde ihr der Hörer aus der Hand gerissen und auf das Telefon gedonnert. Durch die Wucht des Aufpralls war ein leises Bröseln in der Wand zu hören, so als würde das Telefon jeden Moment aus seiner Verankerung brechen.
„Bis du wahnsinnig geworden, jemanden von dem Rudel zu erzählen? Ich habe meine Hand für dich ins Feuer gelegt, dass du unser Geheimnis für dich behältst“, donnerte Alex mit bedrohlicher Stimme los.
Sarah wusste gar nicht wie ihr geschah. „Wie konntest du das tun? Das war mein Professor am Telefon. Ich erforsche für ihn die Wolfrudel hier im Bayrischen Wald. Das wusstest du von Anfang an. Es ist der eigentliche Grund warum ich überhaupt hierher gezogen bin“, antwortete Sarah geschockt.
Was würde Professor Blumsberg nur von ihr denken? Das Gespräch mittendrin, ohne Vorwarnung zu beenden? Sie wollte schon erneut zum Telefonhörer greifen, um zurückzurufen, doch Alex hielt sie davon ab.
„Ich weiß, dass du die Wölfe erforscht, doch ich habe nicht damit gerechnet, dass du bereitwillig Informationen über das hier lebende Rudel weitergibst. Weißt du in was für eine Gefahr du uns bringst?“ Alex wurde immer lauter und redete sich in Rage.
„Ich versteh nicht warum du dich so aufregst. Du hast mir das Rudel doch selbst gezeigt“, verteidigte sich Sarah. Was hatte diesen Gefühlswandel in Alex nur ausgelöst.
„Du willst auch noch Fotos von dem Rudel machen, damit dein Forschungsprojekt auch gleich den stichhaltigen Beweis für die Existenz des Rudels hat. Wie kannst du nur so rücksichtslos sein? Weißt du überhaupt in welche Gefahr du uns alle bringst?“
Sarah wich einen Schritt vor Alex zurück. Dabei stieß sie an die Wand. Ein Zittern erfasste ihren Körper, als sie in seine Augen schaute. Alex war wirklich wütend. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Zumindest nicht in seiner menschlichen Gestalt.
In seinen Augen blitze etwas Bedrohliches auf, dass sie noch weiter von ihm zurückweichen ließ. Doch Alex folgte ihr und fasste sie jetzt sogar an den Armen, sodass sie keinen größeren Abstand mehr zwischen sie bringen konnte.
„Alex, du machst mir Angst“, flüsterte Sarah.
Offenbar bemerkte er jetzt erst, dass sich seine Hände um Sarahs Oberarme geschlossen hatten und sie am ganzen Körper zitterte. Augenblicklich ließ Alex sie los und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand, des schmalen Flurs. Alex fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wandte den Blick von Sarah ab.
„Alex, ich bring euch nicht in Gefahr. Von dir und den anderen, wird niemand etwas von mir erfahren. Ich habe mit meinen Professor über das Rudel gesprochen, das du mir vor einigen Wochen gezeigt hast. Du meintest doch selbst, du willst mir bei meinen Forschungen helfen. Der Professor hat mich gebeten, ihm die Fotos zu schicken und wenn möglich auch neue zu schießen, damit wir die Entwicklung der Welpen verfolgen können“, erklärte Sarah und hoffe Alex damit beruhigen zu können.
Mit einem herzzerreißenden Seufzer schaute Alex Sarah wieder an. Ob ihre Worte gefruchtet und Alex sich beruhigt hatten, konnte Sarah jedoch noch nicht sagen. Beide standen sie im Flur des Bungalows und schwiegen.
„Tut mir leid. Ich wollte nie, dass du Angst vor mir haben musst. Ich habe nur den Teil des Telefonats mitbekommen, wo du gesprochen hast. Und dann fordert der Kerl am anderen Ende auf einmal mehr Fotos für die Forschung. Da sind bei mir die Sicherungen durchgebrannt“, versuchte Alex sich zu erklären, brach aber wieder ab.
„Es ist nun mal mein Job. Daran kann und will ich nichts ändern. Das wusstest du von der ersten Minute an, Alex“, meinte Sarah mit bemüht ruhiger Stimme. Sie hatte sich auch noch nicht wieder beruhig. Ohne Grund beschuldigt zu werden eine Lügnerin und Verräterin zu sein, hatte sie schwer getroffen. Besonders, da es von einer Person kam, die sie liebte.
„Ich hab nicht mehr daran gedacht, dass wir gemeinsam bei dem Wolfrudel im Wald waren. Ich hatte nur noch das Bild von meinem Rudel vor Augen. Wenn das jemals an die Öffentlichkeit kommt, wird es eine Hetzjagd geben und niemand wird sicher sein, bis auch der letzte Wolf getötet wurde. Es würde eine Kettenreaktion geben, die ich verhindern will.“
„Du scheinst zu vergessen, dass ich auch auf der Seite der Wölfe bin und es für vollkommen unbegründet halte, wie früher mit ihnen umgegangen wurde“, konterte Sarah und schob sich an Alex vorbei ins Wohnzimmer.
Alex folgte ihr und griff nach ihrer Hand, doch Sarah schüttelte ihn ab.
„Ich will nicht mit dir streiten. Ich sehe ja ein, dass ich etwas missverstanden habe. Bitte Sarah, ich bin nun einmal sehr aufbrausend, wenn es um solche Sachen geht“, versuchte Alex sich zu erklären und versuchte erneut Sarahs Hand zu greifen zu bekommen.
Dieses Mal ließ sie Alex gewähren.
„Ich will auch nicht mit dir streiten. Vor allem weil es genug andere Dinge gibt, die schon mehr als genug Ärger verursachen. Ich muss jetzt erst einmal meinen Professor zurückrufen und mich für die Unterbrechung des Telefonats entschuldigen.“
Zum Zeichen, dass sie seine Entschuldigung angenommen hatte, stellte sich Sarah auf die Zehenspitzen und küsste Alex. Vor Erleichterung ließ er die Schultern nach vorn fallen und zog Sarah an sich.
Doch der Kuss blieb scheu und zurückhaltend. Sie wussten beide, dass solche Auseinandersetzungen noch öfters auf sie zukommen könnten und ihre Beziehung auf eine harte Probe stellte.
Kapitel 24
Sarah hatte Alex’ Entschuldigung angenommen, dennoch war eine gewisse Anspannung zwischen ihnen nicht von der Hand zu weisen. Sie konnte Alex Beweggründe verstehen.
Doch würde es jetzt immer so zwischen ihnen laufen?
Musste Sarah immer damit rechnen, dass Alex etwas falsch verstand und die Sicherheit seines Rudels immer an erster Stelle stand?
Sarah wusste nicht, wie sie mit Alex Reaktion umgehen sollte und was sie in Zukunft erwartete. Deswegen stattete sie Peter einen Besuch ab. Vielleicht konnte er ihre Bedenken mildern, schließlich lebte er schon über zwanzig Jahre mit seinem Sohn zusammen.
Irgendwie, schien es Peter gar nicht zu überraschen, als Sarah bei ihm klingelte. Wie immer erhellte ein gütiges und wissendes Lächeln sein von der Sonne gebräuntes Gesicht.
Er bat Sarah hineinzukommen und setzte sofort frischen Kaffee für sie beide auf.
„Wie es scheint, weißt du schon Bescheid“, begann Sarah und nahm in einen der Sessel platz. Aus der Küche erklang ein amüsiertes Lachen. „Ich weißt so gut wie immer über alles Bescheid. Du musst wissen, ich sehe meinem Sohn sofort an, wenn irgendetwas nicht stimmt. Und als er gestern Abend nach Hause kam, war definitiv etwas nicht in Ordnung.“
Peter kam mit zwei dampfenden Tassen zurück ins Wohnzimmer und setzte sich in dem zweiten Sessel.
Offenbar schien auch das Wetter genau zu wissen, was in diesem Wald vonstatten ging. War es die letzten Tage noch ungewöhnlich warm für September gewesen, zeigten sich, an diesem Morgen, die ersten Vorboten des kommenden Herbstes.
Die Temperaturen waren gefallen und ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt.
„Das zwischen euch ist Alex sehr ernst. So habe ich meinen Sohn noch nie erlebt“, begann Peter das Gespräch. Sarah wusste nicht wo sie anfangen sollte und stellte die erste Frage, die ihr in den Sinn kam.
„Steht das Rudel für ihn immer an erster Stelle?“ Sarah traute sich gar nicht Peter ins Gesicht zu schauen und wendete sich dem Fenster zu. Wie feine Fäden fiel der Regen vom Himmel hinab. Jeder einzelne Regenfaden stelle eine von Sarahs Fragen dar, die mit der Zeit immer mehr wurden, anstatt weniger.
„Bis jetzt war es nie eine Frage, wer an erster Stelle stand. Alex ist nun einmal der Alphawolf und hat damit eine große Verantwortung für die anderen Wölfe. Vielleicht solltest du wissen, dass Alex große Bedenken deinetwegen hatte, bevor du nach Lohberg gekommen bist.
Du hast für ihn eine potenzielle Gefahrenquelle dargestellt, weil du wegen der Erforschung der Wölfe hierher gekommen bist.“
„Das wusste ich nicht. Alex hat das mir gegenüber nie erwähnt. Aber seine anfängliche Abneigung hätte es mir eigentlich verraten sollen“, meinte Sarah und nippte an ihren Kaffee. Es war schon merkwürdig, wie schnell sich die Dinge geändert hatten.
Sarah hatte Alex am Anfang auch nicht sonderlich gemocht. Offensichtlich beruhten die Vorurteile, dem anderem gegenüber, auf Gegenseitigkeit.
Sie waren beide überaus vorsichtig gewesen.
„Es wärmt mir das Herz euch zusammen zu sehen. Ihr harmoniert, obwohl das auf den ersten Blick nicht zu erwarten gewesen war. Ihr zwei erinnert mich ein bissen an meine Jugend“, schmunzelte Peter und schwelgte in Erinnerungen.
„Peter, mir ist vollkommen klar, dass Alex eine große Verantwortung trägt und ich weiß was in den vergangenen Jahrhunderten mit den Wölfen gemacht wurde. Sie wurden vollkommen zu Unrecht ausgerottet und vertrieben.
Aber ich bin doch auf Alex’ Seite. Ich will das gleiche wie er, die Wölfe beschützen und kämpfe nicht gegen ihn. Gestern schien er das aber total vergessen zu haben.“
Es tat Sarah gut, sich ihre Bedenken und Ängste einmal von der Seele zu reden. Gleichzeitig versetzte es sie an den vergangenen Abend zurück. Ihr lief immer noch ein leichter Schauer über den Rücken, wenn sie an Alex ernsten Gesichtsausdruck dachte und wie sich seine starken Hände, um ihre Oberarme schlossen.
„Es ist eine vollkommen neue Situation für Alex. Wie gesagt, früher war es nie eine Frage gewesen, wer an erste Stelle für ihn stand. Seine früheren Freundinnen stammten alle aus dem Dorf oder waren selbst Teil des Rudels.
Die Dorfbewohner glauben an die Sagen aus der Gegend. Sie sind fester Bestandteil des bayrischen Waldes. Somit haben sie es mehr oder weniger akzeptiert, wenn mal etwas seltsames passierte.“
Sarah hörte auf und schaute Peter direkt in die Augen.
„Also war doch mal etwas zwischen Alex und Katja gewesen.“ Das war keine Frage, sondern vielmehr eine Bestätigung.
„Ja, die beiden waren Mal ein Paar. Wusstest du das auch nicht?“ Anscheinend begann Peter sich nun auch leichte Sorgen zu machen. Alex hatte so vieles aus seiner Vergangenheit und seinem Leben für sich behalten.
Der ehemalige Förster war sich nicht so sicher, ob das eine geeignete Grundlage für eine Beziehung darstellte.
„Nein, Alex hat es mit keinem Wort erwähnt. Ich hatte allerdings eine Vermutung, als sie den einen Tag hierher gekommen war und sich so aufgeführt hat. Spätestens, als sie mit Alex unter vier Augen sprechen wollte, habe ich etwas geahnt.
Davon einmal abgesehen, scheint Katja mich ohnehin nicht sonderlich leiden zu können. Sie hat noch größere Vorbehalte mir gegenüber, als alle anderen Rudelmitglieder“, erklärte Sarah.
Es schmerzte zu hören, dass sie mit ihrer Vermutung recht gehabt hatte. Sie wollte sich Alex und Katja gar nicht als Paar vorstellen und schüttelte vehement den Kopf und das Bild zu verscheuchen.
„Gebt euch beide etwas mehr Zeit. Für jeden von euch ist das eine völlig neue Situation, an die ihr euch erst gewöhnen müsst. Das wird schon werden. Ich habe gesehen wie sehr Alex dich liebt. Das wird er nicht so leichtfertig aufs Spiel setzten.“
„Danke, es tut gut das zu hören“, murmelte Sarah und trank ihren Kaffee aus.
Zumindest ein Teil ihrer Sorgen hatte sie abschütteln können.
„Noch einmal danke, dass du Zeit für mich hattest und du dir meine Bedenken angehört hast, Peter“, sagte Sarah und erhob sich aus dem weichen Sessel.
„Ach, das mach ich gerne, schließlich will ich auch nicht, dass du wieder von hier wegziehst, nur weil mein Sohn sein Temperament nicht unter Kontrolle hat.“
Bevor Sarah das kleine Haus verließ, schloss Peter sie noch einmal fest in seine Arme und strich ihr mit der Hand über den Kopf, so wie es Sarahs Eltern getan hatten, als sie noch ein kleines Mädchen war.
Es war ein Zeichen der Geborgenheit, welches Sarah mit Freuden erwiderte.
Mit eingezogenem Kopf machte sich Sarah auf den Weg zurück. Bei dem miesen Wetter machte es keinen Sinn im Wald unterwegs zu sein. Stattdessen würde sie die Fotos von dem Wolfsrudel sichten und für ihren Professor vorbereiten.
Sie hatte schon während des Telefonats gemerkt, dass er nicht der Geduldigste war und die Fotos so schnell wie möglich auf seinen Schreibtisch haben wollte.
Die Sonne zeigte sich erst am nächsten Tag wieder.
Alex hatte gesehen, wie Sarah das Haus seines Vaters verlassen hatte und durch den Regenschleier zurück zu ihren Bungalow gegangen war.
Er war in der Scheune gewesen und hatte an einem Schrank gearbeitete. Alex konnte sich immer noch selbst in den Hinter treten, für sein Verhalten. Doch daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Seine tierische Seite hatte in diesem Moment die Kontrolle übernommen und nur noch die drohende Gefahr für das Rudel gesehen.
Unter normalen Bedingungen wäre Alex natürlich klar gewesen, dass Sarah ihn und die anderen niemals hintergehen würde.
Er musste sich unbedingt etwas einfallen lassen, um die Wogen wieder zu glätten. Etwas Ähnliches hatte ihn auch sein Vater gestern Abend geraten.
Durch das neblige grün des Waldes drangen allmählich vereinzelte Sonnenstrahle, als plötzlich ein Strahl Alex direkt ins Gesicht traf und ihn blendete. Sofort kniff er die Augen zu und hob die Hand schützend vor sein Gesicht.
Durch seine Finger drang immer noch etwas von dem gleißenden Licht, doch es brannte nicht mehr so stark in den Augen. Das Leuchten erinnerte Alex an etwas und er glaubte endlich die richtige Idee zu haben, wie er sein Verhältnis zu Sarah wieder gerade biegen konnte.
So schnell wie möglich beendete Alex seine Arbeit für den heutigen Tag. Das Treffen mit den Kunden musste heute einmal sein Vater übernehmen.
Schließlich hatte er Alex mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass ihm Sarah sehr am Herzen lag.
Was genau die beiden gestern mit einander gesprochen hatten, war aus Peter nicht herauszukriegen. Er hatte nur gemeint, dass Sarah jemanden zum Reden gebraucht und er ihr gerne geholfen hatte. Somit vermutete Alex, dass es um seinen Streit mit ihr gegangen war.
Gegen Mittag machte sich Alex auf den Weg zu Sarah, um sie für seine Überraschung abzuholen.
In ihrem Bungalow war es still, sodass er schon befürchtete sie gar nicht anzutreffen. Bevor er aber schon vorab die Hoffnung aufgab, klopfte Alex an ihrer Tür. Er wollte nicht seinen Schlüssel benutzen und einfach so bei ihr eindringen.
Alex wollte ihr nicht noch einen weiteren Grund geben auf ihn wütend zu sein.
Von innen konnte er ein frustriertes Seufzen hören und dann schnelle Schritte über den glatten Holzboden.
„Hallo“, begrüßte Sarah ihn überrascht, als sie die Tür öffnete. Von ihrer sonstigen Gelassenheit und Freude war heute nichts zu spüren. Vielmehr schaute sie schüchtern zu ihm auf.
„Hey, ich hoffe ich störe nicht“, antwortete Alex so gelassen wie möglich. In seinem Magen lagen schwere Steine und sein Innerstes hatte sich vor Anspannung verknotet. Er hoffe so sehr alles wieder in Ordnung bringen zu können.
„Naja, kommt drauf an. Einerseits ja, andererseits nein.“
„Darf ich rein kommen?“
Sarah machte ihm sofort die Tür weiter auf und ließ Alex eintreten, was er als ein gutes Zeichen deutete.
Der Tisch im Wohnzimmer war übersäet mit Unterlagen, Bildern und Fotos. In der Mitte stand ihr Laptop und daneben eine leere Tasse. Offenbar steckte sie mitten in der Arbeit. Keine guten Voraussetzungen.
„Ich bearbeite seit gestern Nachmittag Fotos und hab das Gefühl überhaupt nicht voran zu kommen. Irgendwas ist immer, warum ich das jeweilige Bild nicht verwenden kann“, meinte Sarah, als sie zurück ins Wohnzimmer trat. Resigniert strich sie sich über die Stirn und ließ sich auf das Sofa fallen.
Mit frustriertem Blick starrte sie auf dem Bildschirm und stützte ihr Kinn auf den Händen ab.
„Vielleicht ist es dann gut, dass ich gerade jetzt gekommen bin“, versuchte Alex die Stimmung zu heben und lehnte sich an den Türrahmen vom Wohnzimmer. Skeptisch schaute Sarah zu ihm auf.
„Ich hab etwas vorbereitet und es wäre toll, wenn du mich begleiteten würdest. Wenn du momentan mit deiner Arbeit eh nicht vorankommst, wäre eine kleine Pause ja nicht schlecht. Danach hast du den Kopf wieder frei und kannst mit neuen Elan an die Sache ran gehen.“
„Warum eigentlich nicht“, antwortete Sarah und fuhr ihren Laptop herunter.
Während sich Sarah Jeans und Shirt anzog, packte Alex heimlich ihren Skizzenblock und die Kamera ein. Die würde sie später möglicherweise noch brauchen.
„Okay ich wäre dann soweit. Zum Glück hat’s endlich aufgehört zu regnen“, meinte Sarah, band ihre Haare zum Pferdeschwanz und zog sich eine dünne Jacke über.
„Das war Grundvoraussetzung, sonst würde das hier alles gar nichts klappen.“
„Du machst es aber spannend. Wohin soll es denn gehen?“, fragte Sarah, da jetzt ihre Neugierde geweckt war.
„Das wird eine kleine Überraschung, also musst du dich noch etwas gedulden. Folge mir einfach und dann wirst du schon sehen.“
Zu Alex großen Erleichterung folgte Sarah ihm ohne Vorbehalte. Als es etwas steiniger wurde und die beiden erst festen halt finden mussten, um weiter voranzukommen, nahm Sarah dankend Alex Hand an und ließ sich von ihm hochziehen.
Zwischenzeitlich glaube Alex in Sarahs Augen erkennen zu können, dass sie eine Vermutung hat wohin er sie führe. Ob sie es nun wusste oder nichts, war aber nicht weiter wichtig. Für ihn war die Geste entscheidend und er hoffe, dass Sarah daran erkannte, dass er ihr wirklich vollkommen vertraute.
„Ich glaub, hier waren wir schon mal, oder.“
„Ich befürchte, es gibt kaum noch einen Fleck in diesem Wald, wo du nicht mindestens schon einmal warst“, scherzte Alex.
„Machst du dich etwa über mich lustig. Pass gut auf, sonst lasse ich dich noch länger schmoren“, konterte Sarah und lachte amüsiert los.
„Soll das eine offizielle Drohung sein?“
„Kommt ganz drauf an.“
Während ihrer kleinen spaßigen Auseinandersetzung folgte Sarah Alex blind. Sie entzog ihm ihre Hand nicht wieder, sondern ließ sich einfach weite von ihm durch den Wald führen.
Kurz vor ihrem Ziel verrieten die Welpen leider seine Überraschung, als sie zur Begrüßung laut heulten. Doch kaum hörte Sarah dies, begannen ihre Augen zu strahlen.
Sofort ließ sie Alex’ Hände los und rannte zu der Lichtung.
Kaum hatten sie die Lichtung betreten, rannten ihnen die Welpen entgegen. Doch was Sarah am meisten erstaunte, war wie schnell die jungen Wölfe, in den wenigen Wochen, seit ihrem letzten Besuch, gewachsen waren.
Sie waren nicht mehr die kleinen kuscheligen Welpen, die noch stark an Hundewelpen erinnerten. Mittlerweile waren sie ein gutes Stück größer und ihr Körperbau schlanker und drahtiger. Die Ohren hatten sie spitz nach oben aufgestellt und lauschten auf jedes noch so kleine Geräusch.
Natürlich stürzten sich die Kleinen als erstes auf Alex. Er blieb nun einmal das Alphatier, dem sie Respekt zollten. Alex ging sofort in die Hocke und spielte ausgiebig mit den Welpen.
Sarah musste bei dem Anblick anfangen zu lächeln. Vorsichtshalter warf Sarah dennoch einen Blick auf die anderen ausgewachsenen Wölfe.
Wie beim letzten Mal ließen sie sich von dem ungewöhnlichen Besuch nicht stören. Sie hatten ebenfalls die Ohren aufgestellt, zeigten aber kein Anzeichen von Aggressivität. Eines der Weibchen gähnte ausgiebig und machte es sich im Schatten eines Baumes bequem.
„Hättest du mir gesagt, dass wir hierher gehen, hätte ich doch meine Kamera mitgenommen“, meinte Sarah enttäuscht.
Auf die Gelegenheit hatte Alex gewartet. Sachte schob er die jungen Wölfe von sich und griff in den Rücksack, den er mitgenommen hatte.
„Ich habe bei deinem Gespräch mit deinem Prof. ja aufmerksam zugehört. Und dabei habe ich auch mitbekommen, dass er gerne neue Fotos haben möchte. Ich weiß ich habe vollkommen überreagiert und mich benommen wie der letzte Vollidiot. Aber ich hoffe es hiermit wenigstens ein bisschen wieder gut zu machen“
Jetzt holte Alex Sarahs Kamera und ihren Skizzenblock hervor und rechte ihr beides. „Darum habe ich das hier vorhin auch eingepackt. Ich will nicht, dass du deine Forschungen wegen mir und meinem Dickkopf vorzeitig beenden musst.“
Die Reue und sein schlechtes Gewissen war Alex deutlich anzusehen und sein Versuch sich bei ihr zu entschuldigen und seinen Fehler wieder gut zu machen, rührte Sarah sehr. Er hatte also wirklich sehr aufmerksam ihr Telefonat belauscht.
Alex wollte ihr wirklich helfen. Sonst hätte er sie kein zweites Mal hierher geführt. An dem Ort, wo sich das erste Wolfrudel im Bayrischen Wald niedergelassen hat.
„Danke“, murmelte Sarah und trat an Alex heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen sachten Kuss auf die Lippen.
„Ich will nicht, dass du Angst vor mir hast. Du musst mir sagen, wenn ich die Grenze überschreite“, raunte Alex an Sarahs Mund und erwiderte ihren vorsichtigen Kuss.
„Frag mich das nächste Mal einfach, bevor du voreilige Schlüsse ziehst.“
Dass Alex und Sarah auf einmal so eng beieinander standen, schien den Welpen überhaupt nicht zu gefallen, denn sie sprangen bellen und winselnd an ihren Beinen hoch. Einer hatte sofort die Krallen ausgefahren und verhackte sich in Sarahs Jeans.
„Aua, ich glaube die Kleinen wollen wieder deine ungeteilte Aufmerksamkeit“, schrie Sarah kurz auf und befreite den Welpen aus ihrer Jeans. „Ich fürchte allerdings, da müssen sich die Kleinen noch einen Moment gedulden, denn ich bin gerade dabei mich mit meiner Freundin wieder richtig zu versöhnen und das möchte ich ungern noch einmal gegen den Baum fahren“, lächelte Alex und umfasste Sarah um die Taille und hob sie doch. So war Sarah vor den spitzen Krallen der Welpen in Sicherheit gebracht.
Alex fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als Sarah die Arme um seinen Hals schlang, um besseren Halt zu haben. Lange schauten sie sich nur gegenseitig an und vergaßen die verspielten Wölfe, die um sie herum sprangen.
„Ich glaube du kannst mich jetzt wieder runter lassen.“
„Das tu ich nur äußerst ungern, aber ich weiß, die Forschung geht vor.“
Sofort machte sich Sarah mit ihrer Kamera an die Arbeit. Zunächst machte sie einige Aufnahmen von den ausgewachsenen Wölfen. Die Kleinen waren noch zu verspielt und ließen nicht von Alex ab.
Sarah wollte dieses Mal aber Fotos ohne Alex, damit nicht der Anschein erweckt wurde, dass er irgendeinen Einfluss auf das Verhalten der Wölfe hatte. Dieses Mal ging es Sarah rein um die Arbeit.
Schöne Fotos von Alex mit den Welpen hatte sie schon beim letzten Mal angefertigt. Und genau das war ihr Problem bei der Bearbeitung der Fotos. Es gab so gut wie keins wo nicht entweder Alex oder sie mit drauf war.
Solche Bilder konnte Sarah aber unmöglich an Professor Blumsberg oder das Forschungsprojekt schicken. Wie sollte sie denen erklären, dass so ein vertrautes Verhältnis zwischen Menschen und Tieren bestand?
„Ich will euch wirklich nur sehr ungern trennen, aber ich bräuchte ein paar Aufnahmen vom ganzen Rudel und zwar ohne einen Menschen im Bild.“
Sofort beendete Alex sein Spiel mit den Kleinen. Nur leider wollten die ihren neuen Spielkameraden so schnell nicht aufgeben. Alex musste seine volle Autorität zum Ausdruck bringen, damit die Welpen zu den anderen zurückkehrten.
Während Sarah ihre Fotos schoss, beobachtete sie aus dem Augenwinkel, wie Alex hinter ihr am Hantieren war. Er bereitete irgendetwas vor. Vorhin war ihr der Rücksack auch überhaupt nicht aufgefallen, obwohl es äußerst ungewöhnlich für ihn war.
Hatten sich die jungen Wölfe zuvor auf Alex gestürzt, taten sie dasselbe nun bei ihren älteren Artgenossen. Nur leider hatten nicht alle sonderlich große Lust darauf, als Kletterbaum benutzt zu werden.
Hier und da schnappte eine der Wölfinnen mal nach den Kleinen, um die Welpen zur Vernunft zu bringen.
Als Sarah meinte genug Fotos geschossen zu haben, ließ sie die Kamera sinken und drehte sich zu Alex um. Der hatte hinter ihr unter einem der großen Bäume eine Decke ausgebreitet und darauf ein kleines Picknick vorbereitet.
„Du scheinst das alles hier wirklich gut durchdacht zu haben. Was hättest du gemacht, wenn ich nicht mitgekommen wäre?“, fragte Sarah, als sie sich auf der Decke niederließ, nach einem der Schokocroissant griff und genüsslich hinein biss. Es war genau das Richtige jetzt. Ihr eigenes Frühstück an diesem Morgen war ziemlich mager ausgefallen.
„Ich hätte wohl so lange nachgefragt und gewartet, bis du ja gesagt hättest“, antwortete Alex und lehnte sich an den Baumstamm.
Sarah selbst lehnte sich an seine angewinkelten Beine und machte es sich gemütlich. Nachdem sie ihr Croissant aufgegessen hatte, nahm sie ihren Skizzenblock und begann zu zeichnen. Es beruhte sie immer, wenn sie in der freien Natur zeichnen konnte.
Das Sonnenlicht fiel durch das immer dünner werdende Blätterdach der Bäume.
Alex betrachtete Sarah einfach nur still beim Anfertigen ihrer Skizzen. Sachte strich er ihr mit den Fingern über die Schulter. Das Licht verfing sich in ihren Haare und ließ sie rot aufleuchten. Wie auf dem Foto, das er von ihr geschossen hatte, als sie gerade nicht hingesehen hatte.
„Ich liebe es, wenn sich da Sonnenlicht in deinen Haaren verfängt. Es wirkt dann immer so, als würdest du in Flammen stehen. So wird ein Teil deines Charakters sichtbar“, sagte Alex und wickelte eine ihrer Locken um seinen Finger.
„Du bist ja heute richtig poetisch“, lachte Sarah und drehte sich zu ihm um. „Ich habe dir bereits verziehen, du musst mir also nicht noch weitere Komplimente machen.“
„Vielleicht will ich es aber, damit du weißt, wie ernst es mir mit dir ist. Allerdings gibt es da noch etwas, dass ich bisher nicht bekommen habe.“ Ein herausforderndes Lächeln umspielte Alex Mund.
Er setzte sich auf und umfasste Sarahs Gesicht mit beiden Händen. Leidenschaftlich drückte er seinen Mund auf Sarahs Lippen. Seine Zunge strich herausfordernd über ihren Mund und bat um Einlass.
Ob Sarah wollte oder nicht, sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, was Alex augenblicklich ausnutze und ihren Mund gefangen nahm.
Es fühlte sich so gut an, Alex wieder so nah zu sein. Die Anspannung zwischen ihnen war verflogen.
Um die Verbindung zwischen ihnen nicht zu unterbrechen, hob Alex Sarah auf seinen Schoß und drückte sie an sich. Sarah hätte ewig so dasitzen können. Ihr Streit war so sinnlos gewesen und sie hatten damit leichtfertig das aufs Spiel gesetzt, was sich gerade so viel versprechend zwischen ihnen entwickelte.
„Es waren zwar nur knapp zwei Tage gewesen, doch das hier habe ich wirklich vermisste“, raunte Alex, als er Sarah kurz Luft holen ließ. „Ja, das merk ich. Du gibt’s dir heute richtige Mühe.“
„Hey, das tu ich immer.“ Wie zum Beweis küsste Alex sie gleich noch einmal und schlang die Arme besitz ergreifend um sie.
Kapitel 25
Der Nachmittag war ein voller Erfolg gewesen. Nicht nur, dass sich die Wogen zwischen Sarah und Alex wieder geglättet hatten, auch war es Sarah gelungen ihre Forschungen voranzutreiben.
Neben den zahlreichen neuen Fotos und Skizzen hatte Sarah auch die Möglichkeit gehabt, verschiedenen Vermessungen an den Wolfswelpen durchzuführen und die Messdaten in eine Tabelle zu übertragen.
Die Maße von ihrem letzten Besuch auf der Lichtung konnte sie nur schätzen. Sie war damals einfach zu beeindruckt gewesen von der Schönheit der Natur und dem Glück einem frei lebenden Wolfrudel so nah kommen zu können. Mit Hilfe der anderen Fotos und der aufgenommenen Daten sollte es ihr aber möglich sein, eine relativ genaue Auswertung auf die Beine zu stellen.
Sie war so erleichtert, den neuerlichen Stress, durch das enorme Interesse von Professor Blumsberg an ihrem Forschungen und den Streit mit Alex etwas hinter sich zu lassen.
Am Abend hatte sie jedoch nicht mehr die Geduld dafür, ihre Dateien abzugleichen und auszuwerten. Dafür war in den nächsten Tagen auch noch Zeit.
Wegen der heiklen Situation mit Wald blieb Alex nicht über Nacht. Wie schwer ihm diese Entscheidung fiel, war dem jungen Mann deutlich anzusehen. Dafür viel sein Abschiedkuss umso intensiver aus.
Kaum hatten sich ihre Lippen berührt, hatte Alex die Kontrolle übernommen. Fordernd war seine Zunge in Sarah Mund eingedrungen. Seine großen rauen Hände hatte sich um ihre Gesicht geschlossen und teilweise in ihren Haaren vergruben.
Seine Körperwärme ging auf Sarah über. Um zu verhindern, dass sie wegen seiner fordernden Art umkippte, dirigierte Alex Sarah gegen eine der Flurwände und drückte sie dagegen. Sein Körper presste sich eng gegen ihren und nur mit Gewalt hätte man etwas Luft zwischen sie bringen können.
Je länger der Kuss andauerte desto schneller schlug Sarahs Herz, sodass sie befürchtete es würde ihr aus der Brust springen, wenn Alex sie noch länger in seinem leidenschaftlichen Griff gefangen hielt.
Ein Stöhnen entrang ihr was Alex nur noch mehr motivierte. Seine Zunge vollführte ein geschicktes Spiel mit dem Sarah bald nicht mehr mithalten konnte und sie sich gänzlich seiner Führung hingab.
Mit einem letzten, beinahe schon keuschen, Kuss auf Sarah pulsierenden Lippen löste sich Alex von ihr. Beide rangen schwer nach Luft. Hitzig blickte Alex auf seine Freundin hinab und strich mit den Daumen über ihre leicht geröteten Wangen.
„Ich muss jetzt los“, murmelte er, machte aber keine Anstalten sich von ihr zu lösen.
„Ich weiß“, keuchte Sarah und atmete immer noch schwer.
Widerwillig trat Alex endlich einen Schritt zurück. Bevor er aus dem Bungalow trat, schob er noch eine von Sarahs Locken hinter ihr Ohr.
„Bitte meld dich, wenn etwas passiert ist. Ich mache mir sonst nur Sorgen“, bat Sarah Alex noch. Gerade als er die Tür hinter sich schließen wollte, hielt er noch einmal in der Bewegung inne.
„Das ist nicht nötig. Wir sind ein starkes Rudel und wissen uns zu verteidigen. Falls wirklich etwas passieren sollte, sage ich dir Bescheid. Rechne aber besser nicht mit einem Anruf von mir“, versuchte Alex Sarah zu beruhigen.
Noch einmal trat er kurz auf sie zu, drückte ihr einen letzten Kuss auf ihre immer noch empfindlichen Lippen und verließ endgültig das kleine Haus.
Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding, sodass Sarah sich an der Flurwand hinunterrutschen ließ und tief durchatmete. Neben ihr lag ihr Rucksack, indem sich ihre ganzen Sachen befanden.
Mit einen zufriedenen Seufzen schüttelte Sarah den Kopf und ließ ihre Sachen, dort wo sie waren. Heute Abend würde sie sich damit nicht mehr beschäftigen.
Etwas schwerfällig kam Sarah auf die Beine und sie wankte ins Badezimmer, wo sie die Dusche anstellte und wartete bis das Wasser die richtige Temperatur hatte.
Kaum hatte Alex den Bungalow verlassen, griff er in seine Hosentasche und holte sein Handy hervor. Ein kurzer Blick darauf genügte, um zu erkennen, dass es eine gute Idee gewesen war, das Handy auf stumm zu stellen.
Er hatte seine Ruhe mit Sarah haben wollen. Schließlich war der Ausflug vorhin sein Versuch gewesen ihre Beziehung zu retten. Zu seiner großen Erleichterung hatte dies auch geklappt.
Bei näherer Betrachtung bemerkte Alex, dass die zehn verpassten Anrufe entweder von Tobias oder Florian waren. Das hieß nichts Gutes. Schnell drückte er auf Rückruf und hatte auch sofort Tobi am Telefon.
„Na endlich“, schimpfte dieser augenblicklich. „Wir haben mindestens acht Mal schon versucht dich zu erreichen.“
„Zehn Mal, um genau zu sein“, antwortete Alex und nahm die Abkürzung durch den Wald, der schneller zu seinem Zuhause führte.
„Ist doch total egal. Wichtig ist, dass du die letzten Stunden für niemanden zu erreichen warst und wir hätten dich gebraucht“, meckerte Tobi weiter und redete sich immer mehr in Rage. Jetzt war Alex gewarnt. Irgendetwas stimme überhaupt nicht. Seine Schritte beschleunigten sich und fanden allein den Weg durch das lose Unterholz.
„Was ist passiert?“
„Das ist zuviel, um es am Telefon zu besprechen. Das wichtigste ist, Mark wurde schwer verletzt und wir mussten ihn ins Krankenhaus bringen. Komm so schnell wie möglich zum Haus deinen Vaters. Wir sind hier alle versammelt“, erklärte Alex Freund weiter. Der Ernst in seiner Stimme ließ keine Zweifel zu, dass die Situation außer Kontrolle geraten war.
„Ich bin schon auf den Weg dahin.“
Kaum hatte Alex aufgelegt, rannte er los. Die ein oder andere hoch herausragende Baumwurzel übersprang Alex geschickt, um auf den schnellsten Weg zu den anderen zu kommen.
Er hatte die Tür noch nicht einmal richtig geöffnet, geschweige denn, dass er eingetreten war, da kam ihm schon ein lautes Stimmengewirr entgegen.
„Da bist du ja“, drang die noch jungenhafte Stimme von Johannes an Alex Ohr. Der Junge kam sofort zu Alex gerannt und klärte ihn über den derzeitigen Stand der Dinge auf.
„Wir sind angegriffen wurden. Es waren viel mehr als wie gedacht hatten und dann wurde Mark schwer verletzt. Wir hatten keine andere Wahl und haben ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus gebracht“, sprudelte es aus Johannes heraus. Der Junge war so aufgedreht, dass er sich beim Sprechen verschluckte und Alex somit nur die Hälfe verstand.
„Jetzt beruhig dich erstmal, Johannes“, redete Alex beruhigend auf ihn ein und legte seine Hände brüderlich auf die Schultern des jüngsten Mitgliedes des Rudels.
„Nun noch mal ganz langsam. Was ist genau passiert?“
Johannes kam gar nicht dazu noch einmal alles zu erklären, denn Florian trat in den schmalen Flur. Sein Gesicht war angespannt und ernst. „Wir warten alle im Wohnzimmer auf dich“, sagte dieser nur und ging zurück in den größten Raum des Hauses.
Ein Teil des Rudels hatte sich auf den Sofa und den beiden Sesseln niedergelassen. Der Rest stand verteil im Raum herum, mit vor der Brust verschränken Armen oder liefen unruhig auf und ab. Wobei dafür kaum noch Platz war. Was alle gemeinsam hatten, war der angespannte Gesichtsausdruck, so als würden sie auf etwas warten.
„Du hast uns heute im Stich gelassen. Wir hätten dich gebraucht, aber du hast deine Zeit wohl lieber mit deiner Kleinen verbracht und uns damit in große Schwierigkeiten gebracht“, schoss Katja sofort ihre Hasstriade ab, als Alex mit den beiden anderen Männern den Raum betrat.
„Jetzt mach mal halblang, Katja“, wies Tobi sie zurecht.
„Wie wäre es, wenn ihr mir erst einmal genau sagen würdet, was überhaupt passiert ist, bevor ihr mich mit Vorwürfen bewerft“, versuchte Alex die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ein dunkles Raunen ging durch den Raum. Unter den Anwesenden befand sich auch Peter, doch er hielt sich zurück und beobachtete das Szenario nur.
„Wir haben zwei Wölfe verfolgt, die wieder einmal unser Gebiet betreten hatten. Zunächst schien daran nichts ungewöhnlich zu sein, schließlich kam das in den letzten Wochen immer häufiger vor“, übernahm Florian. „Allerdings wurden es immer mehr fremde Wölfe, je näher wir den Rand unseres Reviers kamen. Mit so vielen hatte keiner von uns gerechnet. Es waren mindestens fünfzehn Stück.“
„Wenn nicht noch mehr“, platze es aus Johannes hervor.
„Wir haben unser haben unser Gebiet verteidigt, doch waren deutlich in der Minderheit. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen, bei denen einige von uns ziemlich was abgekommen haben. Zum Glück ist es uns gelungen dieses fremde Rudel vorläufig von unseren Revier fernzuhalten.“
„Wie lange sie das abhalten wird, wissen wird aber nicht. Sie waren unglaublich aggressiv und scheinen unbedingt unser Revier übernehmen zu wollen“, fügte Tobias hinzu und verschränkte die Hände ineinander.
„Wir hätten deine Hilfe gebrauchen können, dann hätten wir vielleicht eine größere Chance gehabt sie länger fernzuhalten.“
„Jetzt reichs Katja, mit deinen Vorwürfen hilft du keinen von uns weiter.“
„Was ist mit Mark? Warum musste er ins Krankenhaus?“, fragte Alex, um zum eigentlichen Problem zurückzukehren.
„Ihn hat es am schlimmsten erwischt. Gleich zwei Wölfe hatten sich auf ihn gestürzt und sich in ihn verbissen. Dabei haben sie ihm die Schulter ausgekugelt und den Oberarmknochen gebrachen“, berichtete Johannes wieder ganz aufgeregt.
„Unsere Heilung verläuft zwar schneller als bei anderen Menschen, aber Marks Verletzungen waren einfach zu schwerwiegend, als dass wir hätten abwarten können, ob alles von allein wieder richtig zusammen wächst. Außerdem hatte er viel Blut verloren. Uns blieb keine andere Wahl.“
Allein die kalten Fakten waren schon beunruhigend genug. Bisher hatte Alex noch gehofft alles wieder in geregelte Bahnen bringen zu können. Doch nun hatte sich die Situation enorm zugespitzt. Es war zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen, das konnte Alex nicht einfach so hinnehmen. Sie mussten etwas unternehmen, um endlich dieses fremde Rudel loszuwerden.
„Es war ein Akt sich eine plausible Ausrede einfallen zu lassen, wie sich Mark solche Verletzungen zugezogen haben könnte. Ich glaube der Arzt ist immer noch skeptisch“, redete Johannes vor Nervosität einfach weiter.
Zumindest er schaffte es mit seinen unüberlegten Bemerkungen allen kurz ein Lachen zu entlocken. Doch die fröhliche Stimmung war nur von kurzer Dauer. Wenig später verliefen alle wieder in ihre ernsten Haltungen.
„Wir warten auf den Anruf vom Krankenhaus. Vielleicht ist es doch möglich, dass Mark heute schon entlassen werden kann. Zumindest würden so weitere Fragen verhindert werden, die uns nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen“, meinte Tobi und es hielt auch ihn nicht mehr länger auf seinen Platz. Schnell verließ er den beengten Raum und trag vor die Tür, wo er tief durchatmete.
„Warst du wirklich mit Sarah unterwegs?“, erkundigte sich Flo noch einmal bei Alex. Sein Freund flüsterte, damit die anderen ihre kurze Unterhaltung nicht gleich folgen konnten.
„Ja, es konnte ja keiner damit rechnen, dass das Ganze solche Ausmaße annehmen würde. Außerdem hatte ich noch etwas gut zu machen, was nicht länger aufgeschoben werden konnte.“
„Dann schau in Zukunft öfters auf dein Handy. Ich glaube kaum, dass dies der letzte Kampf gewesen ist. Ich habe bisher noch nie von so einem aggressiven Wolfrudel gehört.“
„Doch hast du, in den alten Legenden“, antwortete Alex und trat nun auch vor die Tür. Er brauchte Raum um über alles in Ruhe nachdenken und sich einen Plan überlegen zu können.
Wenn es so weiterging würde es nicht nur bei Verletzten innerhalb seines Rudels bleiben. Die Gefahr, dass auch die Dorfbewohner angegriffen werden könnten, war zu groß, als dass er diese ignorieren hätte können.
„Ist dir bei dem Kampf zwischen euch und den anderen Wölfen irgendetwas aufgefallen?“, fragte Alex plötzlich Tobias, der bisher still neben ihm gestanden hatte. Der junge Mann blickte überrascht auf. Seine Augen verengten sich jedoch und er versuchte sich an den genauen Ablauf der Auseinandersetzung zu erinnern.
„Nicht, dass ich wüsste. Aber es war am Ende auch nur noch ein großes Durcheinander. Wir haben uns selbst beinahe kaum noch erkannt in dieser riesigen Gruppe von um sich beißenden Wölfen“, überlegte Tobias und schüttelte den Kopf, wie zur Bestätigung.
„Na schön. Wir müssen die Augen offen halten. Jeder noch so kleine Hinweis könnte uns helfen. Kommt es dir denn nicht auch merkwürdig vor, dass sich so ein großes Rudel genau auf unser Gebiet konzentriert?“
„Es ist zumindest nicht ganz normal, aber wir und die sind ja auch keine normalen Wolfsrudel. Bei unseren Bewegungen spielt doch noch immer der menschliche Verstand mit hinein. Bei ihnen wird es kaum anderes sein, auch wenn sie eine viel stärkere tierische Verhaltensweise an den Tag legen, als wir.“
Die beiden Männer schauten sich stumm an. Sie wussten, dass etwas nicht mit rechten Dingen vorging. So konnte es nicht weiter gehen, sie müssten endlich etwas unternehmen, sonst war die ganze Gegend in Gefahr.
Vielleicht war es wirklich an der Zeit die alten Legenden wieder aufleben zu lassen.
Sarah hatte ganze vier Tage für die Bearbeitung der Fotos und die Auswertung ihrer Messdaten benötig. Weitaus mehr, als sie gedacht hatte. In diesem Fall war es ganz gut gewesen, dass Alex zu beschäftigt war, um länger als ein, zwei Stunde bei ihr vorbeizuschauen. So hatte sie es noch alles geschafft und konnte nun ihre Unterlagen nach Berlin schicken.
Vorher war sie noch einkaufen gewesen, da ihre Vorräte stark zur Neige gegangen waren. Das Frühstück war schon sehr knapp ausgefallen. Bevor sie sich auf den Rückweg machte, schaute sie noch einmal kurz in dem Geschäft von Johannes Vater vorbei.
Sarah fiel sofort das erst vor kurzem reparierte Regal im hinteren Teil des Geschäfts auf. Selbst wenn sie nicht gewusst hätte, dass Alex die Reparatur übernommen hätte, wäre ihr aufgefallen, dass er seine Finger im Spiel gehabt hatte.
Sie kannte seine Arbeitsweise mittlerweile recht gut, sodass ihr gewisse Feinheiten auffielen.
„Hey Sarah, suchst du was Bestimmtes?“, sprach Johannes Sarah an. Der Junge war ihr ans Herz gewachsen. Egal was war, er versprühte immer so eine Gelassenheit und Fröhlichkeit, dass man einfach lächeln musste, wenn er in der Nähe war.
„Eigentlich nicht. Ich benötige nur noch Briefmarken. Verkauft ihr so was aus?“, meinte Sarah und trat an die Verkaufstheke.
„Aber klar doch. Hier findest du alles was du benötigst.“ Sarah musste auflachen, als sie die alles umfassende Geste des Jungen sah. Irgendwie hatte er ja auch Recht. So klein wie der Laden auch war, irgendwie fand sie immer genau das, was sie gerade brauchte.
„Dann gib mir bitte gleich mal ein Zehnerpack Briefmarken. Ich glaube ich werde in nächster Zeit noch einige davon gebrauchen.“
Nach einen kurzen Gespräch mit Johannes verließ Sarah das Geschäft und klebte eine der Briefmarken auf den großen Umschlag, den sie auf dem Beifahrersitz ihres alten Jeeps gelegt hatte. So ging sie auf Nummer Sicher, dass sie es auch nicht vergaß ihn in den Briefkasten zu werfen.
Einer der gelben Kästen befand sich auf dem Dorfplatz, der nur wenige Meter von ihrem Parkplatz entfernt war. Die Tasche über der Schulter und den Briefumschlag unter den Arm geklemmt, ging Sarah entspannt über den Platz und warf den Umschlag mit einem erleichterten Seufzen in den Briefkasten gleiten.
Plötzlich spürte sie ein Kribbeln im Nacken. Verunsichert drehte Sarah den Kopf und schaute sich aufmerksam um. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein und war etwas überempfindlich. Schließlich sanken langsam doch die Temperaturen und der Wind frischte immer häufiger auf.
Doch sie war sich sicher, dass dort etwas war.
Auf der gegenüberliegenden Straße stand ein Mann. Er war groß, auf eine raue Art attraktiv und trug eine abgewetzte Lederjacke, die schon einiges mitgemacht hatte. Sarah hatte ihn noch nie gesehen und dennoch war sein Blick eindeutig auf sie gerichtet.
Er legte sogar die Finger an die linke Schläfe und grüßte sie. Sarah betrachtete die Szene skeptisch und spürte wie ihr kalt wurde und sich eine Gänsehaut an ihrem ganzen Körper bildete.
Was das alles zu bedeuten hatte, war Sarah vollkommen schleierhaft. Es war nicht der Mann an sich, sondern seine Augen, die ihr ein ungutes Gefühl in der Magengegend bereiteten. Sie hatten etwas bedrohliches, etwas animalisches an sich, das alle Alarmsignale in Sarah zum Aufleuchten brachten.
Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine dünnen Lippen, bevor er sie Hände in die Jackentaschen vergrub und sich davon machte.
Sarah verspürte immer noch eine eisige Kälte in sich, als sie sich schnellen Schrittes zurück zu ihrem Jeep begab. Kaum saß sie in der Fahrerkabine verschloss sie die Türen, was vollkommen unüblich für sie war.
Der Blick des Fremden hatte sich eingebrannt und schien sie zu verfolgen. Sarah hatte das Gefühl solch einen Blick schon einmal verspürt zu haben. Sie konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern.
Sie wollte einfach nur noch weg von hier und ihre Nerven beruhigen. Stumm beschimpfte sie sich selbst als eine Idioten, dass sie ein Gruß so verunsicherte. Allerdings war die Situation in der Umgebung momentan so angespannt, dass sich dies mittlerweile wohl auf sie übertrug.
Statt zu sich nach Hause zu fahren, bog Sarah in den Feldweg ein, der zu dem Haus der Millers führte. Ein Tasse Tee und ein Gespräch mit Peter würden ihr jetzt sicher gut tun. Vielleicht bildete sie sich das alles auch nur ein, deshalb wollte sie nicht vorschnell auch Alex damit belasten.
Er hatte momentan genug um die Ohren.
Kapitel 26
Sarah lenkte ihren Jeep vorsichtig über den unebenen Schotterweg, der zum Haus der Millers führte. So oft sie sich auch immer wieder über die Arme strich, die Gänsehaut wollte einfach nicht verschwinden.
Ihr standen immer noch die feinen Härchen zu Berge. Nicht vor Kälte, dafür war das Wetter heute viel zu mild. Nein, es war dieses ungute Gefühl, das sie ergriffen hat, als der Blick des Fremden und ihrer sich getroffen hatten.
Als der Wagen neben der Scheune geparkt war, stellte Sarah den Motor ab, blieb aber noch im Jeep sitzen. Sie kam sich albern vor, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Es gab überhaupt keinen Grund so unruhig zu sein, schließlich war nichts passiert.
Ein Mann, den sie nicht kannte, hatte sie gegrüßt. Das war auch schon alles. Warum wollte sein Blick sie aber nicht loslassen?
„Hallo Sarah. Du willst sicher zu Alex“, erklang auf einmal die tiefe angenehme Stimme von Peter. Der ältere Mann war aus dem Haus gekommen und hatte das Auto stehen sehen.
„Nein, ich wollte eigentlich zu dir. Ich weiß ja, dass Alex momentan viel um die Ohren hat“, erklärte Sarah und stieg aus dem Jeep. Ihre Beine waren noch etwas wacklig, wodurch sie beim Verlassen des Wagens sicher ungemein unbeholfen aussah.
„Dann freu ich mich um so mehr, dich hier zu sehen, wenn du extra wegen mir kommst“, scherzte Peter und ging zusammen mit Sarah ins Haus. In der Küche setzte er sofort den Kessel mit Wasser für frischen Tee auf.
Währenddessen schälte sich Sarah aus ihrer Jacke und ließ sich in einen der bequemen Sessel fallen. Durch die vielen Jahre und Personen, die schon auf ihnen Platz genommen hatten, waren die Polster durchgesessen, sodass selbst Sarah tief in sie versank.
Bis das Teewasser bereit war, kam Alex Vater zu Sarah und nahm ihr gegenüber Platz.
„Du siehst etwas angeschlagen aus“, stellte der Mann mit leicht besorgtem Blick fest. Er beugte sich zu Sarah hinüber und legte ihr die Finger prüfend an die Stirn.
„Fieber hast du zumindest nicht.“
„Nein, nein, ich bin nicht krank. Die letzten Tage habe ich mit der Bearbeitung von Bildern und Auswertung von Messdaten verbracht. Bevor ich zu dir gekommen bin, habe ich den Brief mit den fertigen Unterlagen in den Briefkasten geworfen.
Ich dachte nach all der Anstrengung könnte ich eine kleine Pause gebrauchen und wollte dich besuchen“, erklärte Sarah und strich sich die Haare aus der Stirn. Von ihren Bedenken wollte sie Peter vorerst nichts erzählen.
„Schön“, lächelte Peter und lehnte sich entspannt zurück.
„Offensichtlich hat mir die Arbeit aber mehr zugesetzt als gedacht, wenn du schon denkst ich sei krank. Vielleicht hätte ich heute Morgen doch noch ein paar Sekunden aufbringen sollen, um einen Blick in den Spiegel zu werfen.“
Sie versuchte ihre wahren Gefühle mit Witz zu verbergen. Und sie fand, dass ihre Erklärung doch recht plausibel klang.
In der Küche pfiff der Wasserkessel und machte lautstark klar, dass das Wasser kochte. Sofort sprang Peter wieder von seinem Platz auf und goss den Tee auf. Augenblicklich verbreitete sich ein angenehm würziger Duft von der Küche aus im Wohnzimmer.
Obwohl Peter schon ein gestandenes Alter hatte, war er immer noch recht flink auf den Beinen. Er würde sicher auch jetzt noch einen guten Förster abgeben. Er stand seinem Sohn in nichts nach, wenn es darum ging sich geräuschlos zu bewegen.
Hätte Sarah nicht gewusst, dass der Mann in der Küche beschäftigt war, wäre das leise Rascheln und Klirren kaum aufgefallen.
„Hat sich Mark von seinen Verletzungen erholt?“, erkundigte sich Sarah, als Peter ihr eine Tasse reichte. Vorsichtig stellte sie diese auf dem Couchtisch ab, da der Tee noch viel zu heiß zum Trinken war.
„Alex hat dir davon erzählt?“
„Nur sehr widerwillig, aber ich hatte ihm angesehen, dass etwas nicht stimmte. Dann hab ich ihn so lange mit Fragen gelöchert, bis er endlich mit der Sprache herausgerückt hatte. Ich glaube aber, er hat mir nur die Hälfte von dem erzählt, was wirklich passiert war.“
„Ja, Mark ist fast wieder der Alte. Die Verletzungen sind gut verheilt, aber er ist noch vorsichtig, nur für den Fall. Er will ja nicht gleich wieder außer Gefecht gesetzt werden“, meinte Peter und versuchte vorsichtig einen Schluck. Doch er zuckte sofort zurück und stellte seine Tassen nun ebenfalls auf dem flachen Tisch ab. Offensichtlich hatte er sich leicht die Zunge verbrannt.
„Alex will nicht, dass du dir unnötig Sorgen machst, darum wird er dir nicht alles erzählt haben. Er weiß ja was du momentan für dein Forschungsprojekt zu tun hast und möchte, dass du einen freien Kopf dafür hast.“
Anscheinend wollten sie beiden den jeweils anderen vor unnötigen Sorgen und Ängste bewahren. Sarah erzählte Alex ja auch nicht alles, wie zum Beispiel ihre Begegnung vor wenigen Minuten.
„Da sind wir uns wohl ziemlich ähnlich“, scherzte Sarah und ließ sich noch tiefer in den Sessel sinken. So in den Polstern versunken, stützte sie ihren Kopf auf der Hand ab und ließ sich von ihren Gedanken treiben.
Die ganze Zeit überlegte sie, ob sie nicht wenigstens Peter von ihrer Begegnung erzählen sollte, oder es ganz für sich behalten sollte. Möglicherweise reagierte sie wirklich nur über, weil sie so gestresst war und die Berichte von Alex sie unterschwellig doch ängstigten.
„Du bist doch nicht wirklich einfach her gekommen, ohne Grund. Dir liegt doch etwas auf dem Herzen, meine Kleine.“
Peters Feststellung war wie ein Stichwort, dass die Entscheidung für Sarah traf, ob sie sich ihm anvertrauen sollte oder nicht.
Mit einem tiefen Seufzer schaute Sarah auf. „Ich wollte wirklich nur mal vorbeischauen. Kurz bevor ich hergekommen bin, ist allerdings etwas Merkwürdiges passiert.“
Peters Gelassenheit was auf einmal aus seinem Gesicht verschwunden. Er schaute plötzlich sehr ernsthaft drein. Seine Finger verschränkten sich ineinander und er setzte sich aufrecht hin.
„Was ist passiert?“
„Es ist nicht wirklich was passiert“, versuchte Sarah ihn zu beruhigen. „Ich habe meine Unterlagen in den Briefkasten geworfen und da ist mir ein Mann aufgefallen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand. Ich habe mir erst nichts dabei gedacht, dann hat er mich aber auf einmal gegrüßt“, erklärte Sarah und unterbrach den Blickkontakt zu dem Mann.
„Und weiter?“
„Ich kenne den Mann nicht, hab ihn noch nie gesehen. Darum finde ich es auch so merkwürdig, dass er mich gegrüßt hat. Was mir aber wirklich so zugesetzt hat, waren seine Augen. Ich hatte das Gefühl als hätten sie etwas bedrohliches, vielleicht auch etwas animalisches.
Wie gesagt, vielleicht übertreibe ich auch nur und habe mir alles nur eingebildet.“
„Ich denke nicht, dass du dir das eingebildet hast.“
Jetzt war es an Sarah überrascht aufzuschauen.
„Was hat sie sich nicht nur eingebildet?“
Alex war gerade von einem Erkundungstrip zurück. Er hatte sich gleich besser gefühlt, als er Sarahs Jeep vor der Scheune entdeckt hatte. So schnell er konnte, war er ins Haus gestürmt und hatte dabei nur noch die letzten Worte der Unterhaltung aufgeschnappt.
Allerdings waren diese letzten Worte nicht gerade das gewesen was er hören wollte.
Als er das Wohnzimmer betrat, konnte er Sarah und seinem Vater sofort ansehen, dass dies keine entspannte Unterhaltung war.
Sarah wirkte unruhig und kauerte sich in dem durchgesessenen Sessel zusammen. Sie hatte die Beine angezogen und den Kopf auf einer Hand abgestützt.
Von Peters sonstiger Gelassenheit war auch nicht viel zu erkennen. Sein Gesicht war angespannt und schaute nun seinen Sohn durchdringend an.
„Kommt schon, raus mit der Sprache. Was ist hier los?“, bohrte Alex jetzt nach, um endlich zu erfahren was vorgefallen war. Zunächst zögerten noch beide, was Alex beinahe in den Wahnsinn trieb. Er wusste, dass sie ihm etwas verschwiegen.
„Sarah hatte vor etwas mehr als einer halben Stunde eine merkwürdige Begegnung mit einem fremden Mann, drüben am Markt“, ergriff endlich Peter das Wort. Im ersten Moment war daran nichts zu erkennen, was den verängstigten Ausdruck von Sarah erklären würde. Er kannte diesen Ausdruck nur zu gut. Vor wenigen Tagen hatte sie ihn noch so angesehen, als Alex die Beherrschung verloren hatte.
„Ich habe sicher nur überreagiert. In letzter Zeit bin ich vielleicht etwas überempfindlich, sodass ich Dinge in etwas hineininterpretieren, die gar nicht vorhanden sind“, meinte Sarah und lächelte erschöpft zu Alex auf.
Ihr Verhalten beruhigte Alex kein bisschen, es verstärkte seine Befürchtungen nur noch. Da seine Freundin vollkommen verloren wirkte in dem alten Sessel ging er auf sie zu und knickte vor ihr nieder.
Sorgsam streckte er die Hände nach ihr aus und umfasste ihr Gesicht. Beruhigend strich er mit den Daumen über die zarte Haut ihrer Wangen.
„Erzähl mir bitte was passiert ist. Selbst wenn du wirklich etwas gesehen haben solltest, das nicht da gewesen ist, möchte ich dennoch wissen was dich bedrückt und dir solche Angst einjagt“, forderte Alex Sarah mit sanfter Stimme auf und unterbrach dabei keine Sekunde seine Streicheleinheiten.
Das schwache Lächeln verschwand nun völlig aus ihrem Gesicht und Sarah versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Doch Alex ließ nicht zu, dass sie seine Hände weg schob, sondern hielt sie gefangen, sodass Sarah seinem Blick nicht ausweichen konnte.
„Sarah meinte etwas Bedrohliches, Animalisches in den Augen des Mannes gesehen zu haben. Er war ihr vollkommen fremd, weswegen sie seinen Gruß für überaus merkwürdig empfand“, übernahm Peter die genauer Erklärung.
„Du hast den Mann vorher noch nie gesehen?“
So weit es Sarah möglich war, schüttelte sie den Kopf.
„Und du bist dir sicher, dass es auch keiner aus meinem Rudel war?“, hackte Alex nach.
„Nein, da bin ich mir ziemlich sicher. Er war zumindest nicht unter den Leuten, die bei der Aussprache mit dem Rudel dabei waren.“
Das klang nicht gut. „Ich denke wir haben beide dieselbe Vermutung nicht wahr?“, ergriff Peter erneut das Wort.
„Ich furchte ja. Wenn sie jetzt schon ins Dorf kommen, kann das eine wirklich ernst zu nehmende Gefahr für die Bewohner bedeuten. Ich dachte wie konnten sie bis jetzt soweit in Schach halten, dass sie sich von dem Dorfbewohnern fernhalten. Offensichtlich haben wir uns da getäuscht.“
Alex ließ von Sarah ab und ging im Wohnzimmer auf und ab. „So kann es nicht weiter gehen. Dieses fremde Rudel ist schon viel weiter in unser Gebiet vorgedrungen, als wir gedacht haben. Uns droht die ganze Sache aus den Fingern zu gleiten“, sprach Alex mehr mit sich selbst, als zu den anderen, die ihn aufmerksam beobachteten.
Es gefiel ihm gar nicht, dass Sarah offensichtlich immer wieder in diese Auseinandersetzungen mit hinein gezogen wurde.
„Ich muss schnell die anderen darüber informieren und dann überlegen wir uns was, wie wir verhindern können, dass sie Sarah noch einmal so nahe kommen“, sagte Alex bestimmt und verließ für das Telefonat kurz das Haus.
Als er nach wenigen Minuten wieder hereinkam, klammerte sich Sarah an ihre Teetasse und trank vorsichtig keine Schlucke daraus. Zu seiner großen Erleichterung war die Angst aus ihren Augen gewichen. Wirklich glücklich und gelöst war Sarah immer noch nicht, aber den Schrecken schien sie überwunden zu haben.
„Paps, ich denke es wird das Beste sein, wenn du Sarah Unterricht im Umgang mit einer Schusswaffe gibt’s“, ließ Alex die Bombe platzen. Er hatte sich schon die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, wie er sicherstellen konnte, dass Sarah in Sicherheit war. Es konnte nicht immer jemand in ihrer Nähe sein. Momentan brauchten sie jeden einzelnen des Rudels, um die anderen Wölfe fernzuhalten.
Genauso wenig wollte Alex seinen Vater belasten. Er übernahm schon genügend Aufgaben, um das Rudel geheim zu halten, da wäre es wirklich zu viel verlang, ihn darum zu bitten ein Auge auf Sarah zu halten.
„Was hast du gerade gesagt?“, fragte Sarah entsetzt, stellte ihre Teetasse ab und setzte sich aufrecht hin.
„Ich will, dass du dir von meinem Vater das Schießen beibringen lässt“, wiederholte Alex noch einmal.
„Auf gar keinen Fall. Ich habe mich schon geweigert das Betäubungsgewehr in die Hand zu nehmen. Da werde ich jetzt wohl kaum anfangen mit wirklich gefährlichen Waffen zu hantieren“, protestierte Sarah und schaute Hilfe suchend zu Peter.
„Ich denke auch, dass es die beste Lösung ist. Es ist ja auch nur für den Notfall, wenn es zum Beispiel wirklich gefährlich für dich wird und keiner in der Nähe ist, der dir zu Hilfe kommen kann.“
„Es würde mich auch beruhigen, wenn ich wüsste, dass du dich selbst verteidigen kannst und nicht mehr in allergrößter Gefahr schwebst, sobald du das Haus verlässt“, versuchte Alex Sarah von seiner Idee zu überzeugen. Allerdings schien er nicht wirklich viel Erfolg damit zu haben.
„Ich bin nicht in Gefahr. Also ist es auch nicht nötig, dass ich eine Schusswaffe in die Hand nehme.“ Jetzt war Sarah aufgestanden und stellte sich direkt vor Alex. Wegen seiner Größe musste sie zu ihm aufschauen. Herausfordernd stemmte sie die Hände in die Hüfte und wartete nur darauf, Alex von seinem Vorhaben abzubringen.
„Nachdem was du mir gerade erzählt hast, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du zwischen die Fronten gerätst, im Gegenteil, sehr hoch“, konterte Alex. In Sarahs Augen blitzte etwas auf. Sie würde sich nur unfreuwillig darauf einlassen, soviel stand fest.
„Du sollst ja auch nicht mit einer Schrottflinte bewaffnet durch den Wald laufen. Ich werde dir den Umgang mit einem Revolver zeigen. Das ist für diesen Fall die einfachste Handfeuerwaffe. Es ist nicht schwer ihn zu entsichern und jederzeit einsatzbereit“, ergriff Peter das Wort und holte aus dem Schrank in der hintersten Ecke des Raumes einen Revolver heraus.
In dem Schrank befanden sich noch weitere Waffen. Hauptsächlich verschiedenen Gewehre, sowie ein paar Jagdmesser und die notwendige Munition.
„Schau ihn dir zumindest einmal an.“ Peter hielt Sarah den Revolver hin, doch sie machte keinerlei Anstalten diesen in die Hand zu nehmen. Stattdessen schaute sie weiter dickköpfig zu Alex auf.
„Probier es wenigstens einmal. Wenn sich herausstellt, dass du überhaupt nicht damit klar kommst, müssen wir uns halt etwas anderes überlegen. Oder willst du, dass ich dich in deinem Bungalow einschließe und solange nicht mehr rauslassen, bis wir dieses Problem mit den Wölfen gelöst haben?“
„Das würdest du nicht wagen.“
„Und ob. Zumindest wüsste ich dann immer wo ich dich finde.“ Alex schlug eine andere Taktik ein. Mit einem schiefen Lächeln griff er um Sarahs Taille und zog sie dich an sich. Besitz ergreifend beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie.
Auch wenn sie versuchte sich gegen seinen Kuss zu währen, konnte sie den Widerstand nicht lange aufrechterhalten und ließ ihn gewähren.
Alex legte Sarah die eine Hand auf den Po und die andere in den Nacken, damit sie ihm nicht entkommen konnte und somit seinen Überzeugungsversuchen entkam.
„Sieh es mal von der Seite, wenn ich dich in deinem Haus einsperren würde, würde dich so einen Begrüßung jedes Mal erwarten, wenn ich zu dir käme. Allerdings kann ich nicht dafür garantieren, dass ich auch wirklich jeden Tag vorbeischaue.“
„Als ob du es schaffen würdest, jedes Mal auch wieder zu gehen“, konterte Sarah und hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Vorstellung, die ganze Zeit mit ihr eingeschlossen zu sein, hatte schon etwas ungemein Verführerisches. Sich dann auf die ernsten Dinge zu konzentrieren, könnte ihm dann allerdings sehr schwer fallen.
„Bitte, tu es für mich“, bat Alex, nur wenige Zentimeter von ihren vollen Lippen entfernt. Er konnte ihren heißen Atem auf seinem Gesicht spüren, was seine Haut zum prickeln brachte. Wäre sein Vater nicht mit im Zimmer würde Alex noch weiter gehen, um dieser Frau ein Ja abzuringen.
„Ich werd’s mir überlegen, mach dir aber keine all zu großen Hoffnungen. Die Betreuer im Wildpark sind schon beinahe an mir verzweifelt, weil ich die Betäubung einiger Wölfe, die dringend untersucht werden mussten, nicht übernehmen wollte“, lenkte Sarah zumindest ein.
„Naja, ich habe aber die besseren Argumente“, und zur Bestätigung küsste Alex Sarah noch einmal.
„Das sind ja tolle Neuigkeiten. So kann das nicht länger weiter gehen. Wir, und damit meine ich besonders Alex, müssen endlich etwas unternehmen, bevor alles aus dem Ruder läuft“, schimpfte Katja in ihr Handy.
Sie hatte gerade Florian am Telefon, der ihr offenbarte, dass wohlmöglich einer der fremden Wölfe im Dorf gesehen wurden war. Als ob sie das nicht schon längst wüsste. Ohne weiter darauf einzugehen, beendete Katja das Gespräch und drehte sich wieder zu Ray um.
Dieser Mann war einfach unglaublich. Rr brauchte einfach nur dazustehen und sie anzuschauen und sie verspürte augenblicklich ein Kribbeln im Bauch. Er wusste genau wie er sie rum bekam. Aber sie hatte immer noch die Oberhand, denn sie wusste, was sie tun musste, um von ihm zu bekommen was sie wollte.
„Dein kleiner Ausflug ist nicht unbemerkt geblieben“, schnurrte Katja als sie auf Ray zuging und die Hände in seinen hinteren Hosentaschen verschwinden ließ. Viel versprechend packte sie Ray durch die Taschen an den Hintern und biss sich dabei auf die Lippen.
Das leidenschaftliche Aufflackern in seinen Augen sagte ihr, dass sie genau die Wirkung bei ihm erzielte, die sie wollte.
„Hätte mich auch gewundert, wenn es unbemerkt geblieben wäre. Ich hab der Kleinen einen ganz schönen Schrecken eingejagt. So schnell wie sie zu ihrer Schrottkarre gerannt ist, läuft nur jemand der Angst hat“, knurrte Ray und ließ seine Zunge geschickt in Katjas Mund gleiten.
„Du hast dich Sarah gezeigt?“, fragte Katja empört und beugte sich zurück, um den Kuss zu unterbrechen.
„Klar. Ich wollte wissen wer die Kleine ist, wegen der dieses ganze Theater hier mehr oder weniger stattfindet. Ich muss schon sagen, sie hat was an sich, das einen schwach werden lässt“, meinte Ray und holte Katja zu sich zurück, damit er dort weiter machen konnte, wo sie gerade aufgehört haben.
Doch Katja ließ sich nicht so einfach wieder um den Finger wickeln. „Was soll das heißen? Gefällt sie dir etwa auch so gut, wie Alex, der für sie sein ganzes Rudel vernachlässigt?“
„Ich sagte, sie hat was, nicht dass sie mir gefällt. Dein Ex ist ein Vollidiot, wenn er dich verlassen hat. Diese Sarah ist hübsch und hat etwas Zerbrechliches an sich, sodass man sehen will wie schnell sie kaputt geht“, erklärte Ray während er weiterhin kaum von Katja abließ.
„Du hingegen bis leidenschaftlich und nimmst dir was du willst. Es macht Spaß mit dir zu Verhandeln und zu Streiten, bis ich am Ende das bekomme was ich will. Dich, mit Haut und Haaren.“
Bei den letzten Worten knurrte Ray und presste ihren Unterleib gegen seinen. Es war unmissverständlich, dass er keine Lust hatte weiter über Sarah zu reden, sondern endlich das zu bekommen, wonach ihm verlangte.
„Wenn das so ist, kannst du und dein Rudel nun machen was du willst. Es gibt keinen Grund mehr sich in irgendeiner Form zurückzuhalten“, hauchte Katja, denn sie konnte den Verlockungen des Mannes nicht länger widerstehen.
„Na also und jetzt hör auf dir länger den hübschen Kopf über die beiden zu zerbrechen und komm her.“
Katja war mittlerweile egal was aus dem Rudel und dem ganzen Dorf wurde. Ich hatte lange genug die Demütigungen aller hingenommen. Sollten Ray und seine Wölfe doch machen was sie wollte. Jetzt in diesem Moment bekam sie das, wonach sie sich immer gesehnt hatte. Den Preis und die Folgen bezahlte sie gern dafür.
Publication Date: 11-11-2011
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