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Meine kleiner Erinnerung


"Nun stell dir bitte diesen Raum vor. Du sagtest ja, dass du dich an ihn erinnern kannst, also wollen wir dort beginnen. Lehne dich zurück, konzentriere dich ganz genau auf jede Kleinigkeit." Er hielt kurz inne. "Bist du so weit?" Das Mädchen nickte und hauchte leise ein "Ja" hervor. "Nun gut. Bitte beschreibe mir jetzt genau den Raum, in dem du stehst." Sie ließ sich in den Stuhl sinken und überlegte kurz. "Blaue Wände. Ich sehe blaue Wände. Und ein riesiges Bett. Alles in diesem Raum ist riesig. Ich stehe vor einem riesigen Schrank. Und über dem Schrank hängt ein Poster mit einer kleinen weißen Robbe, eine Babyrobbe. Sie ist nicht so riesig wie der Rest. Aber da ist noch ein Fenster. Es ist so groß, aber es ist verschlossen." "Das machst du gut. Nun geh bitte etwas ins Detail. Beschreibe mir das Bett ganz genau." "Das Bett." Sie hielt kurz inne. "Es ist riesig. Das halbe Zimmer ist ein Bett. Der Rahmen ist schwarz, die Matratze auch. Die Bettdecke ist purpurn oder weinrot." "Schau ganz genau hin. Es ist wichtig, dass du alles ganz genau vor dir siehst.", unterbrach er. Nochmal überlegte sie kurz. "Sie ist weinrot. Ich bin mir ganz sicher. Links von dem Bett steht ein Nachtschränkchen, darauf ein Digitalwecker. Er ist schwarz, die Zahlen rot. Das Schränkchen ist auch schwarz. So viel schwarz in diesem Raum." Wieder unterbrach er: "Bitte schweif nicht ab. Es ist mir wichtig, was du denkst, doch zunächst müssen wir das Grundlegende klären. Ok?" Sie nickte. "Ok. Ich sehe einen Schrank. In ihm liegen Anziehsachen. Außerdem stehen ein Fernseher, eine Spielekonsole und eine Musikanlage darin. Im Schrank ist auch eine Glasvitrine. Darin stehen Figuren und Flaschen." "Kannst du dich an noch etwas erinnern?" "Ja, auf dem Fensterbrett steht eine Glasschale. Darin liegt ein Kondom, Kugelschreiber und Kleingeld." "Hat diese Schale eine besondere Bedeutung für dich?" "Ja", flüsterte das Mädchen und ließ ihren Blick zu Boden sinken. "Hm, ich seh' schon, wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Ist in diesem Raum noch etwas von Wichtigkeit für dich, an das du dich erinnern kannst?" Diesmal überlegte sie lange, bevor sie etwas sagen konnte. "Nein, nichts, an das ich mich noch erinnern könnte." "Ok", sagte er. "Dann wollen wir fortfahren. In wie fern ist diese Glasschale für dich wichtig?" Sie schüttelte mit dem Kopf. "Es ist eigentlich nicht die Glasschale, sondern der Kugelschreiber darin." Sie schwieg. Er beobachtete ihre Mimik. Sie ließ nichts gutes erahnen, denn ihre Augen wurden glasig. Tränen kwollen heraus. Er schwieg und ließ sie mit sich ringen, um zu sehen, wie weit sie gehen würde. Als sie nach zehn Minuten immer noch nicht sprach, brach er das Schweigen: "Ok, vielleicht willst du mir sagen, was mit diesem Kugelschreiber auf sich hat?" Sie rieb sich die Tränen aus den Augen und rang um Worte. Offensichtlich war ihr das Geschehene sehr unangenehm. "Hör zu, du brauchst dich für nichts zu schämen. Ich Urteile nicht über dich. Lass es einfach raus. Es brauch dir nicht peinlich sein." Sie nickte, versuchte kurz zu lächeln und begann zu sprechen: "Na ja, wie soll ich sagen. Es war das erste Mal, dass ich da war, glaube ich. Er fragte mich, ob ich mir schon einmal meinen Finger in die..." Sie stoppt abrupt. "Ist es dir peinlich, solche Wörter zu sagen?" Sie schüttelte mit dem Kopf. "Nein, aber ich kann es nicht in diesem Zusammenhang sagen. Es tut irgendwie weh." Sie schwieg. "Nun gut. Dann fahre fort. Überspringen wir dieses Wort." "Ja gut. Also er fragte danach. Und natürlich sagte ich nein, denn in diesem Alter konnte ich nichts damit anfangen. Also bat er mich, den besagten Kugelschreiber zu nehmen und ihn mir dort einzuführen. Ich wollte es nicht, aber er bat mich darum und wurde dann im Tonfall grober. Also tat ich, was er befahl. Ich blutete. Es tat weh und ich weinte. Er nahm mich in den Arm und lobte mich, dass ich das gut gemacht hätte. Ich war verwirrt." "Gut, was ist deine nächste Erinnerung?" "Mmm, ich befand mich im Bad. Es war klein und muffig. Ich sollte mich duschen und als ich mich weigerte, nahm er mich an die Hand und ging mit mir in die Kabine. Sie war eng und kalkig. Er stellte das Wasser an und seifte mich ein. Dann begann er an mir rum zu spielen. Es sollte schön für mich sein, doch das war es nicht. Im Gegenteil. Als er mit seinem Wurstfingern anfing, in mir rum zu stochern litt ich Qualen. Ich meine ich war fünf." Sie brach in Tränen aus. Niemals zuvor hatte sie so deutlich und genau darüber geredet. "Ok, ich würde sagen, wir beenden die Sitzung für heute. Wir sollten ein anderes Mal weiter machen." Sie schlug den Kopf hin und her. "Ich weiß nicht, ob ich nochmal den Mut aufbringen kann, hier her zu kommen. Bitte schicken sie mich jetzt nicht weg." Er nickte. "Nun gut. Dann machen wir weiter. Was weißt du noch?" "Ab jetzt weiß ich nur noch Bruchteile. An viel kann ich mich nicht mehr erinnern." "Dann erzähl mir diese Bruchteile." "Ich weiß noch, eines Nachts, ich war schon oft da gewesen..." Er unterbrach: "Kannst du das so erzählen, als wenn du in dieser Situation wärst? Dann erinnerst du dich vielleicht an mehr." Sie nickte. "Ich kann es probieren. Also, ich liege im Bett. Er liegt hinter mir. Wir sind in der Löffelchenstellung. Er steckt seinen Penis in mich. Ich weiß nicht, wie ich mich fühle. Es ist so leer, kalt. Irgendwie ist es komisch. Es ist, als sehe ich das aus der Perspektive einer anderen Person oder einer Kamera. Es ist ganz komisch." "Handelt es sich dabei um eine besondere Person?" "Nein, die Perspektive der Kamera trifft ehr zu. Ich beobachte die Handlung von außen. Na ja und dann, ganz plötzlich kommt meine Mutter ins Zimmer. Sie fragt, ob alles ok ist. Er sagt ja und sie geht wieder. Jetzt fühle ich mich verloren und allein. Sie hilft mir nicht. Sie geht einfach weg. Es ist so grausam. Ich kann es nicht beschreiben." "Die Sache mit ihrer Mutter hatten wir ja bereits geklärt. Sie lieben sie und wollen sie nicht verlieren, weil sie nach den Vorfällen so sehr für sie da war." "Ja." "Ok, erzählen sie weiter." "Das war es eigentlich schon. Also dieses Bruchstück. Dann war da noch, das eine Mal, er nahm mich in der Hundestellung. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt es mir so vor, als wäre ich zu diesem Zeitpunkt schon erwachsen gewesen." "Also hat der Verkehr mit dem Mann sie gezwungen im Kindesalter erwachsen zu sein?" "Ich weiß es nicht so genau. Wenn ich daran denke, sehe ich mich immer als Frau. Nicht als fünfjähriges Kind." "Ich verstehe. Fahren sie fort." "Ich muss kurz überlegen. Es gibt noch eine Szene, bei der bin ich mir nicht so sicher, ob sie so passiert ist. Genauer gesagt, will ich nicht, dass sie so passiert ist. Es war Nachts. Nur der Fernseher erhellte den Raum ein wenig. Wir liegen im Bett nebeneinander." Erneut schwieg sie. "Sie müssen nichts erzählen, was ihnen unangenehm ist." "Es ist so... Ich weiß es nicht genau. Ich liege neben ihm, fühle mich erwachsen. Ich nehme seine Hand und will, dass er.." "Sie denken also, dass sie es wollten?" In sich gekehrt nickte sie leicht, den Blick starr zu Boden gerichtet. "Wissen sie, dass es so ist oder spielt ihnen ihre Fantasie einen Streich? Es kann schnell passieren, dass man Realität und Illusion durcheinander bringt." "Ich weiß es wirklich nicht. Aber es verwirrt mich. Ich meine, wieso sollte ich das nach so vielen Qualen wollen? Mein Kopf ist total durcheinander." "Wollen wir aufhören?" "An mehr kann ich sowieso nicht erinnern."

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Text: Anastasia Duckert
Publication Date: 02-16-2013

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