Impressum
Text: Wine van Velzen
Cover: Wine van Velzen
Korrektorat: Wilhelm Maria Lipp
Lektorat: N. Weber
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Band 1 der Trilogie
Die Erben der Wächter
Wie so oft saß Alessa in ihrem Büro an ihrem Schreibtisch aus Palisanderholz, der nach ihren Wünschen geschreinert wurde. Er war über zweihundert Jahre in ihrem Besitz, und sie fand die Schnitzereien darauf nach wie vor edel und filigran.
Ihr nachtschwarzes Haar trug die Herrin der Wächter offen, es fiel seidig bis zu ihren Hüften hinab. Mit einer engen Jeans und einer luftig geblümten Bluse bekleidet, blickte sie mit ihren smaragdgrünen Augen durch das Panoramafenster. Von ihrem Platz aus konnte sie den angelegten Park sehen, der zu ihrem Heim gehörte. Links von ihr saß auf einem bequemen Ledersessel ihr Bruder Nathan. Die Beine ausgestreckt, sah er Alessa mit seinen silbergrauen Augen abwartend an. Nathan war nicht nur ihr Bruder, sondern auch Vertrauter und Berater, seit sie die Wächter anführte.
»Alessa, wirst du heute Abend den Befehl zum Angriff geben?«, fragte er mit sonorer Stimme.
»Ja, Nathan. Ich weiß, wo sich heute Abend mindestens zwei Dämonensöhne aufhalten werden.«
Der Wächter erhob sich aus dem Sessel und ging zum Fenster, blickte hinaus und antwortete gelassen:
»Wir werden sie überraschen, da sie keine Ahnung haben, dass du eine Vision von ihren Machenschaften hattest.«
Alessa ging zu ihm und schaute ebenfalls hinunter auf den angelegten Park.
»Stimmt! Ich spüre keine Bedrohung für uns. Heute könnten wir mit Leichtigkeit ihre Pläne durchkreuzen.«
Nathan sah sie an und nickte.
»Also gut, dann werden wir heute zuschlagen.«
»Lass die Anderen in den Besprechungsraum kommen, dann können wir die Einzelheiten gemeinsam erörtern«, forderte sie im freundlichen Ton.
»Zu Befehl, Herrin«, zwinkert er ihr grinsend zu.
Alessa verdrehte die Augen. Sie konnte es nicht ausstehen, Herrin genannt zu werden.
»Nathan, ehe ich es vergesse«, rief sie ihm hinterher, als er schon an der Tür war.
Er blieb stehen, die Hand an der Klinke.
»Ja?«
Er sah die Freude in den Augen seiner Schwester aufblitzen.
»Kilian und Lukas kommen Ende der Woche aus Ungarn zurück. Wir haben gestern Abend miteinander telefoniert.«
»Wie ist es gelaufen?«
»Wie sie mir berichteten, haben sie den Drogen- und Prostituiertenring der Dämonensöhne vollständig zerschlagen.«
»Das ist eine gute Nachricht«, bemerkte Nathan.
»Wie viele von ihnen waren Menschen?«
»Kilian berichtete, dass der Dämon Oran mit einer Armee von dreißig Männern diesen Markt beherrschte. Diese Menschen hatten alle eine hervorragende Kampfausbildung genossen.«
Nathans Gesicht verdunkelte sich.
»Alessa, das nimmt immer mehr überhand. Die Dämonen heuern Söldner, Mörder, Kriminelle und was weiß ich, an. Solche Typen, die nicht erst nachfragen, bevor sie einen anderen töten.«
»Ich weiß.«
Alessa konnte ihren Unmut nicht verbergen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und berichtete weiter:
»Lukas und Kilian konnten die Bande fast vollständig auslöschen. Oran ist entkommen, ebenso drei seiner Gefolgsleute.«
Nathans Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als er das hörte.
»Nachdem Lukas die Polizei in Budapest über den Handel des organisierten Ringes ins Bild gesetzt hat, haben sie etliche Verhaftungen vorgenommen«, berichtete sie weiter.
Nathan zog die Mundwinkel nach unten. Seine Hand fuhr über sein Gesicht:
»Oran ist bestimmt schon auf dem Weg zu Saburo, um ihn zu informieren«, sagte er nachdenklich.
»Ja, das denke ich auch,« bestätigte Alessa, »warten wir den vollständigen Bericht von Lukas und Kilian ab.«
Nathan ging in die Eingangshalle, deren Boden mit schneeweißem Carrara-Marmor gefliest war. Gemälde aus vielen Epochen hingen an den hohen Wänden, und der schwere Kristallleuchter, der von der gewölbten Decke herunterhing, gab der Halle ein imposantes Aussehen. Die breite weiße Treppe, die zu den drei Etagen des Hauses führte, wurde vom Tageslicht, das in bunten Schattierungen durch die großen Bleiglasfenster schien, in schillernden Farben erhellt.
Die handgemalten Bilder auf den Fenstern gaben die Geschichte von den gefallenen Engeln wieder. Alessa hatte diese Arbeit in Auftrag gegeben, weil sie damit ihren Vätern huldigen wollte und dass sie und die Wächter nie vergaßen, was ihre Aufgaben waren.
Oben im dritten Stock des großen Herrenhauses bewohnten Alessa und Jodoc ein großes Apartment. Die beiden anderen Etagen nutzten die Brüder.
Die im Untergeschoss gelegene Halle, mit vielen Sportgeräten ausgestattet, bot reichlich Platz für die Trainingskämpfe, die die Wächter an allen Tagen absolvierten. Nodin und Jodoc beendeten das Training, sobald Nathan die Sporthalle betrat. Fragend sahen sie ihn an.
»Alessa erwartet euch in einer Stunde im kleinen Konferenzraum«, teilte er seinen Brüdern mit.
»Endlich geht es zur Sache«, stellte Nodin trocken fest.
Er wischte mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn und legte es über seine breiten Schultern. Seit Tagen wollte er sich in einen Kampf stürzen. Er spürte eine Unruhe, die er nicht erklären konnte. Jodoc zog das feuchte Shirt aus und warf es zu Boden. Nodin und Jodoc waren seit Kindesbeinen eng miteinander befreundet. Jodoc war der einzige von ihnen, dessen Vater kein gefallener Engel war. Er war vor vielen Jahrhunderten zu den Gefallenen in deren Obhut gekommen. Ihm wurde das Wissen der Väter geschenkt. Er wurde einer von ihnen. Ein Wächter der Menschheit. Alessa und Jodoc liebten sich vom ersten Augenblick an, und er wurde ihr Gefährte. Sie ernannte ihn am Tage ihrer Ernennung zur Herrin der Wächter zu deren Befehlshaber. Seitdem führte er die Brüder im Kampf an.
Djamil, der Schönling, wie er neidlos von den Anderen genannt wurde, sprang vom Laufband. Er schlug Nathan auf die Schulter:
»Ich bin bereit, Ladys.«
Nodin und Jodoc grinsten ihm kameradschaftlich zu.
»Alessa hatte eine Vision, und der Zeitpunkt zum Handeln ist heute Abend«, erklärte Nathan ernst.
»Dann wollen wir denen mal kräftig den Arsch versohlen«, lachte Djamil und versprühte ungewollt seinen Sex-Appeal, der die Luft zum Kochen brachte. Er nahm ebenfalls ein Handtuch und fuhr sich damit über das markante Gesicht.
Nathan erzählte von dem Erfolg in Ungarn und dass Kilian und Lukas am Ende der Woche nach Hause kommen würden.
Sie waren nicht die einzigen Brüder, die unterwegs waren.
»Was ist mit Adrian? Gibt es Neuigkeiten?«, fragte Jodoc.
Nathan sah in beunruhigt an.
»Seit einer Woche haben wir nichts mehr von ihm gehört. Das letzte Mal berichtete er von der Labyrinth-Höhle am Nordrand der Messara Ebene in Griechenland. Er hatte herausgefunden, wo das Papyrus mit der Formel versteckt wurde.«
Die Stirn gekraust, verdunkelten sich Jodocs Augen.
»Falls er sich bis Ende der Woche nicht meldet, oder wir ihn nicht erreichen, müssen wir uns überlegen, was wir machen.«
Man sah den Männern die Sorge um Adrian an. Bis auf Djamil. Der grinste nur.
»Hey Leute, wir reden von Adrian. Wie lange war er verschollen, als er in Norwegen nach dem Schwert von König Harfagre suchte? Zwei Wochen, oder waren es drei? Macht euch nicht verrückt. Adrian geht es gut, verlasst euch auf mich. Ich würde es spüren, wenn etwas nicht in Ordnung wäre.«
Djamil und Adrian hatten den gleichen Vater. Ihre Bindung zueinander war sehr stark. Über weite Entfernungen konnten sie spüren, ob eine Gefahr dem anderen drohte. Djamil spürte nichts, rein gar nichts, was auf Gefahr schließen ließ. Somit konnten alle sicher sein, dass es seinem Bruder gut ging. Nathan sah ihn erleichtert an.
»Du hast recht Djamil, wäre er in Gefahr, hättest du es gewusst.«
Er nickte ihnen zu. »Geht euch duschen, und versucht pünktlich bei Alessa zu erscheinen.«
Danach ging er in den zweiten Stock hinauf, um sich in seinen privaten Räumen auf den bevorstehenden Einsatz vorzubereiten.
Alessa saß am Tisch in dem kleinen, lichtdurchfluteten Konferenzsaal. Um den Tisch aus schwarzer Esche standen zehn freischwingende Stühle. Sie erwartete ihre Brüder und ihren Gefährten ungeduldig. Ihre Finger klopften nervös auf die Tischplatte, bis sich nach wenigen Minuten die Tür öffnete. In Kampfausrüstung, die bei allen aus einer schwarzen Cargo Hose, schwarzem Shirt, Springerstiefel und einer Lederjacke bestand, fanden sich die Wächter im Konferenzraum ein. Ausgerüstet waren sie mit Messer, Dolchen, Pistolen, Schlagringen und diversen anderen Waffen. Jodoc trat hinter Alessa, strich ihr sanft über den Rücken und drückte ihr einen Kuss in das seidige Haar.
»Meine Gefährtin, ich habe dich vermisst«, murmelte er.
Alessa sah zu ihrem Mann auf, zog ihn zu sich hinunter und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Mit lächelnden Augen sah sie ihren Gefährten hingebungsvoll an.
Jodoc und Nodin setzten sich rechts, Djamil und Nathan links von Alessa. Sie sah ihre Brüder und Gefährten mit ihren smaragdgrünen Augen an. Sie liebte sie innig und hatte ständig Angst, sie zu verlieren.
»Die Dämonen halten sich heute Nacht in der Lagerhalle 52 am Hafen auf. Sie erwarten ein Schiff, das heute Abend aus Kolumbien einläuft, mit einer Ladung von fünfhundert Kilogramm Kokain, «, eröffnete sie das Gespräch.
»Getarnt und verpackt in einer Lieferung für das Kunstmuseum, in dem in Kürze eine Ausstellung über Lateinamerika eröffnet wird.«
Die Wächter hörten ihr aufmerksam zu, keiner unterbrach sie.
»Die Ladung wird um einundzwanzig Uhr gelöscht und in die Lagerhalle transportiert. Dort bleibt sie, bis sie in einen LKW, der offiziell Molkereiprodukte ausführt, im Morgengrauen verladen wird. Bis der Fahrer mit dem Laster kommt, wird die Ware von mindestens zwei Dämonen und ihren Schlägertypen bewacht.«
Djamil verschränkte die Arme über der Brust, lehnte sich nach hinten und sah sie an.
»Was geschieht mit den Drogen, wenn die Dämonen erledigt sind?«, wollte er wissen.
Nathan erhob seine Stimme und antwortete für Alessa:
»Sobald die Gegner ausgeschaltet sind, werde ich das Zollamt und die Drogenbehörde benachrichtigen.«
Wenn Alessa eine Vision hatte und dabei keine Gefahr spürte, ging der Einsatz meistens gut aus, wenn sie einen Kampf gegen Saburo führten. Selten kam es zu widrigen Umständen, die selbst sie nicht vorhersehen konnte. Nodin hatte bisher noch nichts gesagt, doch sein Gesicht sprach Bände.
»Das Kunstmuseum wird die Ausstellungsstücke wahrscheinlich später bekommen«, warf er nun ein.
Seine Haltung drückte seinen Unmut aus.
»Ob sie pünktlich eröffnen, kann ich nicht sagen«, antwortete Nathan.
Er wusste, wie sehr Nodin die Kunst aus allen Epochen liebte, er konnte verstehen, dass er nicht glücklich über die Verzögerung der Ausstellung war, zu der er bereits eine Einladung von Matthias Brenner erhalten hatte. Nachdem keiner mehr Fragen stellte, klopfte Jodoc auf den Tisch.
»Ok, alles klar soweit. Nodin, Djamil und ich stürmen die Halle, erledigen die Männer, und danach geht es wieder raus.«
»Kinderspiel«, meinte Djamil mit einem Grinsen im Gesicht.
»Seht euch vor, auch wenn mir meine Vision keine Gefahr für euch zeigte, heißt das nicht, dass es keine Änderung im Schicksal geben kann. Manchmal kommt es vor, dass durch eine Kleinigkeit die Zukunft geändert wird. Dann ist das Ende wieder offen«, warf Alessa nicht gerade glücklich ein.
»Mache dir keine Sorgen um uns, Liebes, es wird schon gut ausgehen«, erwiderte Jodoc.
Mit einem schelmischen Blick sprach er weiter:
»Ich werde in der Morgendämmerung in unser Bett schlüpfen, um dir zu zeigen, wie gesund und munter wir zurückgekommen sind.«
Alessa wurde rot bis zu den Haarspitzen, sie funkelte ihn an.
»Ich werde im Haus wie eine streunende Katze umherlaufen. Jeder, der mir über den Weg läuft, wird genervt das Weite suchen. Ich werde mir Sorgen um euch machen, bis ihr zurück seid.«
Die Wächter erhoben sich.
»Habe nicht immer so große Bedenken, Schwesterlein«, sagte Djamil und grinste Alessa an.
Alle Krieger verbeugten sich vor ihrer Herrin und küssten den Ring der Wächter an ihrem Finger, den sie vor vielen Jahrhunderten von den Ältesten bekommen hatte.
*
Leise und wachsam schlichen sich die Krieger an die schwach beleuchtete Lagerhalle an. Nathan blieb wie besprochen in der Nähe des schwarzen SUV, den sie in einer dunklen Ecke abgestellt hatten. Er war konzentriert und blickte sich suchend um. Die Beleuchtung auf dem Gelände war spärlich. Vereinzelnd gelbe Lampen, die an den Hallenwänden angebracht waren, spendeten nur wenig Licht. Er beobachtete unaufhörlich die gesamte Umgebung. Jede Bewegung nahm er sofort war. Der gelbe Kran, der vom Mondlicht angestrahlt wurde, die Container, die neben den Hallen standen, Ratten, die in der Dunkelheit schnell über den Asphalt huschten. Die Pfoten und der mit Schuppenringen versehene Schwanz waren spärlich behaart. Die kleinen schwarzen Knopfaugen sahen den Wächter erschrocken an. Flink verkrochen sie sich in den dunklen Nischen der Container. Geschmeidig wie ein Panther lief Nathan zu einem Container und verschmolz mit der Dunkelheit.
Die drei Wächter standen vor der Lagerhalle. Der Eingang, ein robustes Rolltor, war heruntergelassen.
»Was denkst du, mit wie vielen Gegnern werden wir es zu tun bekommen?«, fragte Djamil leise.
»Wir werden es gleich erfahren«, flüsterte Nodin zurück.
Er ging in die Knie, hob das Tor mit einem Ruck an, und der Weg in die Halle war offen. Sofort wurden sie beschossen. Die Kugeln pfiffen haarscharf an ihnen vorbei. Schneller als das menschliche Auge sehen konnte, gingen die Wächter in Deckung. Sie versteckten sich hinter großen Holzkisten und Truhen, die in der Nähe des Eingangs standen. Sie drückten den Abzug ihrer Waffen und schossen zielsicher zurück. Mit Blicken verständigten sie sich. Nodin und Djamil sollten weiterhin auf die Bande schießen. Währenddessen würde Jodoc an das Ende der Halle schleichen. Einer der Dämonensöhne stand angespannt, mit dem Rücken zu ihm, hinter einer großen Tonne, die umgeworfen und geöffnet war. Das Stroh und die Holzwolle, die als Verpackungsmaterial dienten, lagen verstreut am Boden. Jodoc sah drei weitere Kerle, die ebenfalls Deckung hinter Kisten und Paletten gesucht hatten. Bewaffnet waren sie mit MPs. Diese Schnellfeuerwaffen, für ihre Schussweite bis zu zweihundert Metern bekannt, wurde gerne im Nahkampf eingesetzt. Solche Waffen hatten auch die Wächter dabei.
Leise und katzengleich schlich sich Jodoc hinter den Dämonensohn, der ihm am nächsten war. Sein Gehirn schaltete in den Kampfmodus um. Seine braunen Augen wurden rot, wie die Lava eines Vulkans. Er griff um den Hals des Mannes, und dessen Genick brach mit einem knirschenden Laut. Seine Glieder erschlafften, und er fiel in das trockene Stroh. Sofort griff Jodoc nach der kleinen Axt, die in einem Gurt an seiner Hüfte steckte. Mit zwei präzisen Schlägen hackte er Saburos Gefolgsmann den Kopf ab. Befriedigt sah er zu, wie sich die Leiche veränderte. In Sekunden verwandelte sich der Körper zu einer wabbeligen schwarzen Masse, die bestialisch stank. Jodoc trieb es Tränen des Ekels in die Augen. Sein Blick verfolgte den Zerfall. Nach weiteren zehn Sekunden hatte er sich vollends aufgelöst.
Djamil gab Nodin durchgehend Feuerschutz. Nodin hatte sich erhoben und rannte geduckt einige Schritte vorwärts, um hinter eine Holzkiste Schutz zu finden. Die Bande ging in Deckung, feuerte blind zurück. Nodin schaute zurück, mit Handzeichen erklärte er Djamil, dass er ihm Feuerschutz geben würde, sobald er bereit war. Djamil spannte seinen Körper an, und Nodin drückte auf die Auslöser der beiden MPs, die er in den Händen hielt. Ein Dauerbeschuss, gezielt in die Richtung, wo er die Feinde vermutete, prasselte auf die Stellen nieder. Die am Boden Liegenden machten sich klein, um nicht getroffen zu werden. Djamil sprang aus dem Versteck und lief, so schnell er konnte, an Nodin vorbei. Sein Atem ging gleichmäßig und ruhig, als er hinter einer Kiste verschwand. Jodoc sah zu ihm, grinste ihn an und hob den Daumen. Daraufhin schlich Djamil leise weiter, bis er hinter einem der Männer stand. Erst als die Pistole an dessen Hinterkopf drückte, wusste dieser, dass er verloren hatte. Er versteifte sich und wollte mit einer schnellen Bewegung aus der tödlichen Gefahr, doch die Kugel durchschlug bereits sein Hirn. Schwer sackte er zu Boden und sah den Wächter ungläubig an. Djamil hob sein doppelseitig geschliffenes Messer und trennte ihm mit einigen Schnitten den Kopf vom Rumpf. Zufrieden grinste er, als der Dämonensohn sich auflöste. Zurück blieb nur der beißende Gestank.
Die beiden Kerle, die noch am Leben waren, hatten ängstlich zugesehen, wie ihre Anführer getötet wurden. Sie wollten die Halle verlassen, um ihre Haut zu retten. Dass sie gegen die Wächter nicht gewinnen würden, war ihnen klar. Die Angst zu sterben war größer als die Loyalität gegenüber Saburo. Nodin sah, dass die zwei Gestalten geduckt Richtung Ausgang liefen. Mit schnellen Schritten ging er in die Mitte der Halle. Ruhig und gelassen verfolgte er mit den Augen ihren Weg. Er sah auf seine Hände und ließ eine blau leuchtende Kugel entstehen. Seine Augen strahlten hell auf. Die Kugel wuchs zur Größe einer Faust an und rotierte schnell in seiner ausgestreckten Hand. Gezielt warf er sie den beiden hinterher. Sie flog mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit auf die Männer zu. Am Ziel drehte sie sich immer schneller um die Kerle, bis sie zu einem eiskalten Wind wurde, der zu einem kleinen Tornado anwuchs. Eingehüllt in eisiger Kälte, blieben die beiden stocksteif stehen. Entsetzt spürten sie, dass ihre Körper rasant auskühlten. Die Lippen und Hände nahmen einen dunklen Blauton an. Ihre Zähne klapperten unkontrolliert vor Kälte, die in sie drang. Nodin sprang katzengleich nach vorn und zog seine Dolche. Leichtfüßig drehte er sich um die eigene Achse und stach ihnen gleichzeitig ins Herz. Menschen, dachte er traurig. Er bewegte kurz seine Hand, der eisblaue Tornado zog sich zurück und wurde wieder zur leuchtenden Kugel. Sie flog schnell wie ein Pfeil zu ihm zurück und verschwand in seiner Hand. Die Männer fielen eingefroren und tot auf den nackten Steinboden. Die Wächter blickten ohne eine Spur von Bedauern zu ihnen hinunter.
»Das war es«, sagte Jodoc emotionslos.
Seine Augen verloren das Rot und nahmen wieder den warmen Braunton an.
»Von den Dämonensöhnen ist nichts mehr übrig. Die Menschen nehmen wir mit, damit es zu keinen lästigen Nachforschungen des Zolls oder der Polizei kommt.«
Die Brüder bestätigten seine Anweisung mit einem Nicken.
»Es wird sich nur um die Drogen drehen, die versteckt zwischen den Kunstgegenständen gestapelt sind«, fasste Jodoc zusammen.
Nodin liebte die Kunst und bedauerte, dass die Ausstellung im Kunstmuseum ihre Eröffnung verschieben würde. Er ging öfter zu Veranstaltungen, die ihn an frühere Zeitalter erinnerten. Dort wurde viel von jenen Epochen erzählt. Er hatte oft verhalten geschmunzelt, wenn diese Geschichten nur einen kleinen Wahrheitsgehalt hatten, die von den Ausstellern und Historikern begeistert erklärt wurden. Vieles hatte er selbst erlebt. Er wusste, wie es sich wirklich zugetragen hatte. Auf dem Landgut hatte er einen kleineren Saal in einen Ausstellungsraum umgestaltet. Dort hatte er Waffen, Bücher, Steinplatten mit Gravuren und Gegenstände aus allen Epochen, die in Holzregalen und Glasvitrinen standen. Diese kostbaren und wertvollen Artefakte waren Schätze, die er sorgsam pflegte und hütete.
Er hatte die Einladung für die kolumbianische Ausstellung erhalten. Die wurde nur an ausgewählte Personen geschickt, die die Ausstellung bereits in kleinem Kreis genießen durften, bevor die offizielle Eröffnung stattfand. Nach seinen Informationen wurde die Vernissage von Matthias Brenner eröffnet. Die Kunsthistorikerin Melina Scappi würde ihm begleitend zur Seite stehen.
Feixend marschierten sie, die Typen auf ihren Schultern geladen, aus der Halle. Nathan löste sich aus dem dunklen Schatten.
»Verletzte?«
»Nein, alles in Ordnung«, erwiderte Jodoc.
»Dann nichts wie weg«, stieß Nathan erleichtert aus. »Ich rufe beim Hafenzoll und dem Drogendezernat an.«
Nach einem Blick auf die Männer, die auf Nodins und Djamils Schultern lagen, fügte er hinzu:
»Und bei unserem Freund, dem Bestatter.«
Unterwegs zum Landsitz trafen sie sich mit dem Leichenbestatter, der die Toten in seinen Wagen lud und sie noch in der Nacht verbrennen würde. Die Wächter kannten und arbeiteten mit einigen Menschen zusammen, die loyal zu ihnen standen. Da solche Dienste mit hohen Summen von den Wächtern bezahlt wurden, stellten sie wenig Fragen.
Beim Landsitz angekommen, fuhren sie den SUV in die Tiefgarage, die Platz für acht Fahrzeuge hatte. Ebenso für Jodocs Hayabusa und die Blackbird, die Adrian gehörte.
Adrian hielt sich seit drei Wochen bei der Labyrinth-Höhle am Nordrand der Messara Ebene in Griechenland auf. Er war oft für die Wächter unterwegs auf der Suche nach verschwundenen Schriften, Artefakten und Waffen aus den verschiedensten Epochen. In der Ebene suchte er ein Papyrus, auf dem ein Magier eine Zauberformel aufgeschrieben hatte. Würde sie in falsche Hände geraten, würde man den Menschen einen immensen Schaden zufügen können.
Jodoc sprang die Treppe vom Untergeschoss mit großen Schritten zur Eingangshalle hoch. Alessa fiel ihm mit einem lauten Seufzer in die starken Arme. Zitternd schmiegte sie sich an Jodocs breite Brust, der ihr beruhigend über den Rücken strich.
»Diese Angst um euch, wenn ihr einen Auftrag ausführt, werde ich in den nächsten tausend Jahren nicht verlieren«, flüsterte sie und sah sich nach ihren Brüdern um.
Gemeinsam gingen sie in das geräumige Wohnzimmer. Die hohe Stuckdecke wurde von vier weißen schlanken Marmorsäulen gestützt. Eine bodentiefe Fensterfront aus Verbundsicherheitsglas an der Südseite ließen warme Sonnenstrahlen bis zu den Abendstunden in den Raum dringen. Im offenen Kamin knisterte ein behagliches Feuer, das eine wohlige Atmosphäre schaffte. Oft saßen die Wächter abends gemeinsam auf den einladenden Sofas und den bequemen Sesseln in dem gemütlichen Raum. Auf dem dunklen Parkett lagen teure weiche Teppiche und bunte Läufer. Hier sprachen sie über ihre Firmenanteile, über den neuesten Kinofilm oder lauschten kopfschüttelnd Djamils Geschichten über die Damenwelt, die ihm zu Füßen lag.
Ein weiterer Raum, der Ruhe und Erholung versprach, war die Bibliothek. Sie hatte Platz für die vielen Bücher, die so alt waren, dass sie zum Teil hinter Glas standen. Seitlich vor den Regalen standen zwei gemütliche Ohrensessel, die ein wunderbarer Rückzugsort waren, um in Ruhe zu lesen oder um in das warme Feuer des Kamins zu schauen. Weitere kleine Tische und Stühle vervollständigten das behagliche Bild. Meistens saß Nathan auf einem der bequemen Sessel. Der andere wurde oft von Adrian belegt, wenn er zu Hause war. Zwischen den einladenden Sesseln stand ein kleiner Tisch aus dem 18. Jahrhundert mit einer außergewöhnlichen Patina. Adrian hatte ihn nach einer Reise aus Frankreich mitgebracht.
Nathan schlenderte zur Bar, er schenkte jedem ein Glas irischen Whisky ein. Die goldbraune Flüssigkeit schimmerte warm im Licht. Die Krieger erzählten Alessa, was sich in der Lagerhalle zugetragen hatte. Danach verabschiedeten sie sich von Jodoc und Alessa, um ihre Räume aufzusuchen. Auf der weißen Marmortreppe drehte sich Djamil zu Nodin um:
»Kommst du mit ins Velvet?«
»Nein, ich werde duschen und mir die neue CD Rock and Soul anhören«, erwiderte er.
Djamil konnte nach einem Kampf nicht alleine bleiben. Er brauchte Leute um sich, am liebsten schöne Frauen. Das Velvet versprach, dass er dort finden würde, was er suchte, um sich zu entspannen.
Das Velvet war eine Nachtbar, die von den Wächtern und den Dämonensöhnen besucht wurde. Es war der einzige Ort in der Stadt, an dem es so etwas wie Waffenstillstand zwischen ihnen gab. Der Besitzer, Mike, ein Vampir, der weder zu den einen noch zu den anderen hielt, war knapp zweihundert Jahre alt. Trafen die Gegner bei ihm aufeinander, wurde seine Bar des Öfteren von ihnen im Kampf demoliert und zu Kleinholz verarbeitet. Die Wächter kamen zwar für die Schäden auf, doch Mike hatte es eines Tages endgültig satt, ständig eine neue Einrichtung zu kaufen. Er machte Alessa und Saburo den Vorschlag, das Velvet als kriegsfreie Zone anzuerkennen. Er machte unmissverständlich klar, dass er keinen bevorzugen würde, noch dass er Partei für einen von ihnen ergreifen würde. Im Gegenzug könnten sie weiterhin in die Bar kommen, um sich zu amüsieren. Es wurde von beiden Parteien akzeptiert und mit Handschlag besiegelt. Seitdem wurden keine Kämpfe mehr in der Bar ausgetragen, und man ignorierte sich, so gut es ging, was leichter war, als man glauben wollte. Mike trennte das obere Stockwerk in zwei gleich große Räume ab, die von den Wächtern und den Dämonensöhnen genutzt wurden. Das Erdgeschoss und die Theke konnten sie von oben, von einem hohen Geländer aus, einsehen. An beiden Seiten wurde eine Wendeltreppe angebracht. Sie einigten sich, dass die Wächter rechts und die Dämonen auf der anderen Seite die Abende mit Freunden und Frauen genießen konnten.
Im Velvet wurden viele Geschäfte getätigt. Damit sich das für den Vampir lohnte, bekam er von jedem Deal, der in seiner Bar abgeschlossen wurde, zehn Prozent. Viele verschiedene Wesen trafen sich dort. Ob Vampire, Gestaltwandler, Elfen, Fenisse oder Lykaner, keiner musste sein wahres Ich verstecken. Jeder akzeptierte Mikes Regeln und hielt sich daran.
*
Als das Paar alleine im Wohnzimmer war, nahm Jodoc, Alessa zärtlich in den Arm und küsste sanft ihre Schulter. Gemeinsam gingen sie eng umschlungen in ihre privaten Räume in der dritten Etage.
Im Bad zog Jodoc seine Klamotten aus und stellte sich unter die Dusche. Sein Körper genoss das Prickeln des heißen Wassers auf seiner Haut. Er wusch sich den Kampf vom Körper. Ein kleiner Luftzug sagte ihm, dass Alessa herein gehuscht war. Nackt stieg sie zu ihm in die Dusche. Jeder Muskel, jede Sehne an diesem berauschenden Körper wurde von ihr zärtlich berührt. Ihre Hände glitten immer tiefer bis zu seinem Schaft, den
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Publication Date: 06-24-2019
ISBN: 978-3-7487-0802-5
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