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Anwendung in der Praxis:
Selbstsabotage
- kennen wir das nicht alle in irgendeiner Form?
* Alle Jahre wieder kommt der Winterspeck und legt sich ohne unsere Einwilligung um unsere Hüften - wiewohl wir uns im Vorjahr doch eigentlich felsenfest vorgenommen hatten, uns heuer etwas weniger Vanillekipferl und andere Weihnachts-Köstlichkeiten einzuverleiben! Und dies vor allem in den Wochen und Monaten, in denen wir uns mit scheinbar von Jahr zu Jahr größerer Mühe dieser Fettpolster wieder entledigen mussten ...
* Wann immer wir wieder hören oder lesen, wie gesund ein regelmäßiges Bewegungsprogramm wäre, und was es uns alles für unser körperliches, mentales und emotionales Wohlbefinden bringen würde, nehmen wir uns - diesmal ganz fest! - vor: 'Aber jetzt! Jetzt gehe ich es wirklich an!' Und es mag sogar sein, dass wir uns Laufschuhe und vielleicht auch noch ein ins Freie lockendes Joggingdress kaufen - und es kann sogar so weit gehen, dass wir die ersten Laufversuche wagen - die ersten überhaupt oder die ersten nach der letzten Pause -, aber dann ... ja, dann kommt an einem Morgen irgendetwas eminent wichtiges dazwischen - ist ja nicht so schlimm, einen Tag zu pausieren ist sicher keine Katastrophe! Aber auch am nächsten Tag kommt uns leider etwas dazwischen, und auch am dritten Tag geht es sich leider wieder nicht aus ... und unser großer Vorsatz hat sich diskret aufgelöst ...
* Angesichts der Leberwerte im aktuellen Blutbefund, der unseren Hausarzt bedenklich die Stirn runzeln und 'Hm, hm, hm...' vor sich hin murmeln lässt - die Moralpredigten bezüglich unseres Alkoholkonsums erspart er sich mittlerweile, weil er nicht zum Sisyphos werden möchte und längst resigniert hat ..., angesichts dieser Leberwerte also nehmen wir uns fest vor, unser 'allabendliches Achterl', das in Wahrheit längst nicht mehr in ein Achtelliterglas passen würde, zu reduzieren, ja vielleicht sogar auch mal einen Abend zu pausieren, aber dann ...
* Irgendwann einmal hatten wir eine Zeit, in der wir regelmäßig meditiert haben und die wohltuende Wirkung dieses Rituals deutlich wahrnehmen konnten. Aber so wie viele heilsame Gewohnheiten hat sich auch diese im Alltagsstress verloren; gerade in der Zeit, wo wir sie dringender denn je gebraucht hätten. Und wieder, wie so oft, fällt uns ein Artikel in die Hände, der uns daran erinnert, ganz so, als wäre das ein Zeichen ... und wir nehmen uns ganz fest vor, diese heilsame Gewohnheit wieder in unseren Alltag aufzunehmen, aber dann ...
* Die Beziehung, in der wir leben, scheint ihre beste Zeit überschritten zu haben, und aus dem Zauber der Liebe, der uns anfänglich zueinander geführt hat, ist gegenseitigem 'Einander - und damit zugleich auch sich selbst - das-Leben-schwer-Machen' gewichen. Wiewohl wir uns doch hoch und heilig versprochen hatten, es diesmal besser zu machen ... dieses Mal mehr aufzupassen, dass das langsame Sterben der Anziehung nicht passiert ... in dieser Partnerschaft achtsamer zu sein für die ersten Alarmzeichen, aber dann ...
* Wenn uns morgens beim Aufwachen dieser ekelhafte Geschmack im Mund unüberschmeckbar daran erinnert, dass wir am Vorabend wieder viel zu viel geraucht haben, dann steht fest: 'So geht das nicht weiter - jetzt hör ich endlich auf! Wäre doch gelacht!' Und dieses Vorhaben wird noch bestätigt durch den Zigarettengestank, den unser Gewand und unsere Haare immer noch ausdünsten ... 'Nein, das muss jetzt ein Ende haben! Ich bin doch schließlich nicht Sklave des Nikotins!' Und es kann sogar sein, dass wir tatsächlich auf die liebgewonnene Frühstückszigarette verzichten, weil unser Vorsatz ja feststeht, aber dann ... und dann reihen wir uns in die Riege derer ein, die von sich sagen, sie könnten jederzeit leicht mit dem Rauchen aufhören, hätten sie es doch schon zigmal praktiziert ...
* Der Frühling zieht ins Land, und diesmal wollen wir die Gelegenheit nützen und uns vom morphogenetischen Feld namens 'Frühlingsputz' mittragen lassen und dabei auch gleich kräftig ausmustern, aber dann ... dann taucht bei jedem zu entsorgenden Stück aus tiefsten Tiefen das Argument auf: 'Also das könnte ich aber noch brauchen!' Und was im Endeffekt tatsächlich unser Heim verlässt, ist ein unscheinbares Häufchen von Dingen, die diesmal daran glauben dürfen, nachdem sie all die Ausmusterungsaktionen der letzten Jahre heil überstanden hatten ...
* Immer dann, wenn uns ein englischer Artikel in die Hände fällt, der uns interessieren würde, zu dessen Verständnis unsere Englischkenntnisse jedoch nicht ausreichen; oder auch dann, wenn die nächste Auslandsreise ansteht oder wir Besuch von Menschen aus einem anderen Kulturkreis bekommen, wird vollkommen klar: unser Schulenglisch gehört aufgefrischt - es ist ja wirklich peinlich! Und fest entschlossen, dieses Manko nun endlich zu beseitigen, besorgen wir uns ein tolles Kursprogramm. Es soll unser durch das lange Brachliegen ausgedünntes Vokabular wieder auffüllen ... und wir beginnen sogar voller Ambition mit der ersten Lektion, aber dann ...
* Die Glühbirne, die vor einigen Tagen ihren Geist aufgegeben hat, sollte ausgetauscht werden ... und zigmal nehmen wir uns vor: 'Aber jetzt!', und machen uns auf den Weg zu dem Schrank, in dem die Reservebirnen auf ihren Einsatz warten, aber auf dem Weg dahin kommt uns etwas noch wichtigeres dazwischen, und die Lampe bleibt trotz Stromversorgung dunkel ... schließlich gibt es noch andere Lichtquellen, die unsere Abende erhellen ...
* Eine Freundin erzählt hoch begeistert von ihrem neuen Job, in dem sie nun endlich alle ihre Fähigkeiten einsetzen kann, in dem sie wertgeschätzt und bestens bezahlt wird, in dem sie überglücklich ist ... und das ist das Stichwort für uns! Stichwort im wahrsten Sinne des Wortes, denn es gibt uns einen Stich! Jetzt werden wir uns auch endlich nach einer neuen Tätigkeit umsehen und uns neuen Möglichkeiten der beruflichen Verwirklichung öffnen! Der Chef ist ein Ekel, die Stimmung in der Firma ist am Boden, und von der Bezahlung wollen wir gar nicht reden! Und tatsächlich gehen wir ins Internet und sehen uns nach etwas Neuem, unseren Fähigkeiten angemesseneren um, aber dann ... dann kriecht aus dunklen Tiefen unser Feind im Inneren - der in seiner Effektivität alle äußeren Feinde um Längen übertrifft - hervor: unser Selbstzweifel! Und er sägt an unserer Selbstachtung und raubt uns den Glauben an uns und unsere Fähigkeiten. Und der Mut, den wir bräuchten, um zu neuen Ufern aufzubrechen, ist dahin ...
* Seit unserer Kindheit haben wir den Traum zu malen - und jedes Mal, wenn wir eine Ausstellung besuchen, wird dieser Wunsch drängender, lauter ... und auf dem Heimweg - erfüllt von der Flut innerer Bilder, die das Betrachten der Kunstwerke in uns ausgelöst hat - fassen wir den unumstößlichen Entschluss, uns nun endlich Farben, Pinsel und Leinwände zu besorgen und diese Ambition auszuleben. Und es kann sogar so weit gehen, dass wir in das Geschäft für Künstlerbedarf gehen und dort nach Herzenslust einkaufen - glücklich wie ein Kind - aber daheim angekommen landen die neu erstandenen Utensilien in einer Ecke, wo sie einer friedlichen und ungestörten Zukunft entgegen dämmern, weil ...
* Immer schon wollten wir ein Buch schreiben - unser Buch! Es gibt so vieles, das uns beschäftigt, und das wir gerne in Worte fassen würden - vielleicht, um es auch mit anderen zu teilen, vielleicht aber auch bloß aus Lust an der Freude des Schreibens ... und wir sind stolze Besitzer eines Notebooks mit einem leicht zu bedienenden Schreibprogramm, und in unserem Eigentum befindet sich sogar ein Drucker - also eigentlich stünde unserem Schreibfluss nichts entgegen, aber ...
* Wie lange wollen wir uns schon diesen stillen, bis in die tiefsten Tiefen unseres Seins regenerierenden Urlaub auf 'unserer Insel' genehmigen - ja, wir fühlen uns 'reif für die Insel', aber ...
* Wie schön wäre es, ein Haus im Grünen zu haben ... mit der Möglichkeit, Natur hautnah zu erleben, vielleicht mit einem kleinen Gemüsegarten und eigenen Obstbäumen ... mit Auslauf für unsere Katzenkinder ... mit gemeinsamen Abenden auf der Terrasse, umschmeichelt vom Zirpen der Grillen und gewärmt von den späten Strahlen der sich neigenden Sonne ... und bei genauer Berechnung müsste es sich finanziell sogar ausgehen, aber ...
* Wie schade ist es, dass die anregende Verbindung zu unserem Jugendfreund sich verloren hat - sicher, er ist weggezogen, aber es gibt das Telefon, die Möglichkeit, zu mailen, und nicht zuletzt auch die Möglichkeit zu reisen, um einander zu besuchen, aber ...
* Und wenn es sich wieder meldet, dieses ekelhafte Brennen in der Brust, das auch noch in den linken Arm ausstrahlt, spätestens dann ist klar, dass wir kürzer treten müssen! Ja, wir werden den seit Jahren aufgesparten Urlaub jetzt einmal tatsächlich konsumieren und abschalten ... und lesen ... und uns Massagen gönnen ... und mit unserem Junior den lang versprochenen Besuch im technischen Museum nachholen ... und endlich wieder einmal ausschlafen ... und uns Zeit nehmen für unsere Partnerschaft, in der es unüberhörbar kriselt ... aber ... 'Ja, Herr Generaldirektor, natürlich ... ja, das müsste sich ausgehen! Wird nicht leicht sein, weil noch nicht alle Unterlagen da sind, aber wir haben schließlich schon ganz andere Unmöglichkeiten möglich gemacht! Natürlich, Sie können sich auf mich verlassen!' ...
* Ja, ein Segelturn mit netten Menschen, das wäre eine Freude! Ein Freund erzählt, dass er eine kleine Segeljacht chartern könnte und Mitfahrer sucht - die Gelegenheit! Schon lange ist das ein geheimer Traum ... von einer einsamen Bucht zur nächsten ... frei von allen Fahrplänen und anderen Terminen, stundenlang ins Meer schauen, einfach SEIN ... Freundschaft schließen mit Delphinen ... sich abends im Sternenhimmel verlieren und bei jeder Sternschnuppe einen Wunsch loslassen, aber leider ... 'Nein, mein Freund, leider geht sich das nicht aus, ich hab gerade ein wichtiges Projekt am Laufen, von dem meine berufliche Zukunft abhängt, vielleicht beim nächsten Mal...' Aber auch dann wird es ein Projekt geben, das nicht aufzuschieben ist ...
* Selbstständigkeit, ja, das wäre genau nach unserem Geschmack! Schon klar, dass selbstständige Unternehmer meist mehr arbeiten als ihre Angestellten, dass sie mehr Verantwortung haben und eigentlich nie richtig abschalten können - aber das ist bloß der durchaus ebenbürtige Preis für viel größere Gestaltungsfreiheit, für Kreativität und die Möglichkeit, eigene Ambitionen in voller Eigenverantwortlichkeit umzusetzen ... dafür, die eigenen moralischen Grundsätze umsetzen zu können und so vielleicht sogar Vorbild für andere zu sein - für all jene, die nicht nach unserem Geschmack wirtschaften ... aber wer weiß ... ja, schön wäre es, erfüllend und befriedigend, aber …

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Publication Date: 10-17-2011

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