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Kritik ueber die Kritik

Alle sitzen sie an einem Tisch, Damen und Herren, junge und aeltere. Sie lesen nacheinander ihre selbstverfassten Geschichten oder Gedichte vor, urteilen danach darueber, versuchen dem, welcher der Verfasser ist, zu helfen, seine Wortwahl, seine Zusammenstellungen, seine Spitzfindigkeiten besser zum Ausdruck zu bringen.
Jetzt ist ein junger Autor an der Reihe. Und er kuendigt sofort an, dass seine Geschichte in das Genre des Psychohorror hineinfaellt. Wovon die anderen nicht so begeistert sind, doch der junge laesst sich davon nicht stoeren. Denn er will in Zukunft mit dem Schreiben seine Broetchen verdienen, moechte nicht irgend jemanden imitieren, moechte seinen eigenen Stil kreieren. Er faengt an vorzulesen.
Nach einer halben Seite versucht ein alter Mann, ihn zu unterbrechen: "So ein Stuss! Das kann man sich ja nicht mit anhoeren! Das naechste Mal sagst du Bescheid, wenn du anfaengst zu lesen, dann gehen wir vorher raus!"

Sieht so Kritik aus?

"Dann viel Spass draussen!", entgegnet der junge.
Worauf sich die Leiterin des Zirkels einmischt: "Jetzt haben wir den Anfang gehoert, jetzt hoeren wir auch das Ende."
Der junge faehrt fort, seine Geschichte vorzulesen.
Als er damit fertig ist, schaut er sich um. Und sieht in Gesichter, welche von tiefem Ekel erfuellt sind. Woraus er erkennt, dass die Geschichte ihren Zweck erfuellt. Nur der alte Mann teilt dieses Gefuehl nicht. "Die gehoert in den 'Playboy'", prustet er sofort veraechtlich aus.
Der junge faengt an zu lachen: "Ich wuesste gar nicht, was die im 'Playboy' zu suchen hat."
Der alte Mann will dies jedoch nicht einsehen: "Es ging doch die ganze Zeit einzig und allein um die Voegelei! Und dabei ... "
"Falsch, es ging um Muecken", unterbricht ihn der junge.
"Aber eklig war es auf jeden Fall!", wirft eine aeltere Frau ein.
"Sollte es ja auch sein", kann sie der junge beruhigen.
"Eigentlich ist dies ja eine schoene Sache", unterhaelt sich eine andere Frau laut mit der Leiterin. "Doch so ... Nein danke!"
"Sowas ist ja auch schoen! Wenn man es kann!" Der junge schiebt einen aufreizenden Blick dem aelteren Mann rueber. "Doch wenn ein Schwarm Muecken dazukommt, ich bezweifle, ob es dann ... "
Ein anderer junger Teilnehmer wird gefragt, ob der Jugend sowas gefallen wuerde.
"Absolut nicht! Zumindest in meinen Kreisen nicht!" - Er hatte sich am Anfang noch erfreut darueber geaeussert, dass er Psychohorror zu hoeren bekomme, meinte, dass er sowas mag. Aber wenn der Wind ploetzlich eine andere Richtung einschlaegt, dann ...
Der Verfasser der Geschichte schuettelt fassungslos und schon nicht mehr veraechtlich grinsen koennend den Kopf. Denn wenn man den anderen jungen als Sprachrohr der Jugend auswaehlt, kommt dasselbe raus wie wenn man einer Hummel sagt, sie solle die Schwimmstufe I ablegen. "Heh, diese Geschichte haben schon andere gelesen bzw. vorgelesen bekommen. Und sie fanden sie fesselnd und gut geschrieben."
"Der alte Mann ergreift wieder das Wort: Die Jugend ist doch nur auf Voegelei aus! Da ..."
"Ehre, wem Ehre gebuehrt!"
"Da ist es doch kein Wunder, dass die heutige Jugend zu nichts mehr taugt, sich nur noch an diesen scheiss Gruselfilmen ergoetzt, sitzt nur noch an Computern, ist nicht mehr imstande, ein Buch zu lesen, weiss nicht mehr, was schoen ist!"
"Ich habe das Gefuehl", laesst ihn der Autor wissen, "Sie wollen ueber etwas urteilen, von dem Sie nicht den blassesten Schimmer haben! Haben Sie schon mal ein Horrorbuch gelesen?"
"Natuerlich nicht! Aber du scheinbar zuviel!"
"Dann koennen Sie natuerlich auch nicht wissen, dass es oftmals notwendig ist aufzuzeigen, was passieren koennte, wenn man dieses und jenes nicht aendert."
Der alte Mann uebergeht einfach diesen Einwurf

Vielleicht wuerde er sich da auf's Glatteis begeben?

und erwaehnt, dass er ueber diese Verrohung der Jugend schon einiges geschrieben und etwas davon heute mitgebracht habe. Und beginnt, dies vorzulesen.
Der alte Mann ist fertig. Der junge Autor schaut ihn zweifelnd an, ist sich sicher, dass er eben gehoert hat, wie der alte schon vor langer Zeit den Abhang runtergerutscht ist: Die Sprache war von der Jugend, die nicht weiss, wer Goethe und Schiller sind - Warum hat er denn nicht Walter von der Vogelweide erwaehnt? - nur noch auf Brutalitaet und Aggression steht, sich nur noch diese "Hottentotten-Musik" anhoert, hinter Computern verkriecht und das Wort "Liebe" aus seinem Wortschatz gestrichen hat.
Dem wird allgemein zugestimmt unter grossem Applaus. Aber der junge Autor moechte sehr viel dagegen sagen: "Ich bin wohl nicht mehr jung! Denn ich kenne Goethe, kenne Schiller, sowie Lessing und auch die Siegfriedsaga. Was die Musik angeht: Sie meinen bestimmt Rockmusik, und die hat nichts mit der Hottentotten-Bewegung zu tun. Die war in den 60-er Jahren. Computer: Wer hat denn die Entwicklung der Computer vorangetrieben? Wer hat denn die Jugend zur Aggressivitaet erzogen? Es ist doch kein Wunder, wenn der Vater die Mutter schlaegt und das