Wir passen alle rein.
Stephen Urbanski: KNSTNGGR, Neue Dramen Hamburg-Nord. Eine Rezension von Matthias Geissler, Berlin im Februar 2016.
Er ist ein brutaler Ansprechpartner.
Einer, der mit Parolen wedelt, kriegsbewusst; der von der Seite reinbratzt mit der Wut des Überstimmten -- und es ist ihm egal, dass sein Nebenmann längst gegangen ist. Sein Hamburger Wohnviertel grüßt ihn nicht mehr, manchmal weht noch der Ärger auf... Show more
Wir passen alle rein.
Stephen Urbanski: KNSTNGGR, Neue Dramen Hamburg-Nord. Eine Rezension von Matthias Geissler, Berlin im Februar 2016.
Er ist ein brutaler Ansprechpartner.
Einer, der mit Parolen wedelt, kriegsbewusst; der von der Seite reinbratzt mit der Wut des Überstimmten -- und es ist ihm egal, dass sein Nebenmann längst gegangen ist. Sein Hamburger Wohnviertel grüßt ihn nicht mehr, manchmal weht noch der Ärger auf „kleinstbürgerliche Kulissenschieberei“, auf „neo-spießige Idiotien" durch die „Kontakte tagsüber" wie verspukter Trotz.
Jetzt spaziert er durch den Stadtteil, von dem wir wohl aus Überdruss oder Vorsicht nicht zu viel erfahren sollen, und drischt Wörter wie andere Leute Karoflöten.
So was muss ja nicht schön sein. Die Beobachtungen kommen immer ein bisschen billiger als bestellt, die Bilder poltern treppauf bis zum „finalen Spermabad der Zeit", und irgendwann merkt man: Der will mir nix Böses.
Obwohl er mir seinen Müll zeigt.
Der KNSTNGGR ist ein Kerl, der sich verwickelt in die eigene Existenz wiederfindet, sprechend und wünschend. Da steckt viel Anstand drin und obendrein die höfliche Verzweiflung dessen, der sich 44,01 Euro vom Amt erstatten lassen muss. Und rettungsloses Misstrauen gegen Zimmerregeln.
Immer wieder lässt er Aphorismen gegen die Wand fahren, kastriert gut gemeinte Merkregeln und lässt sie nackt dastehen zwischen zwei Leerzeilen. Große Fresse schon, aber eben von allen Seiten verdroschene Seele.
Sogar vom Leser. Denn der Autor und sein Lektor (Redaktion: Gus Bacchus) waren sich nicht zu fein, Fehler einfach drin zu lassen, und so ertappt man sich dabei, die Hauptfigur belehren zu wollen: Es gibt sehr wohl weißen Tee, und Untiefen sind da, wo's flach ist, auch in der Hamburger Oberliga.
Das kann man ihm ruhig sagen, da ist er nicht beleidigt. Man kann ja zum Beispiel auch selber ein Buch schreiben, ein eBook vielleicht: KNSTNGGR wäre ein guter Titel. Falls Sie mal reinschauen möchten?
Sie sind schon mittendrin. Und falls Sie derjenige sind, der gerade anruft, kommen Sie auch drin vor.
Stephen Urbanski hat eine Figur geschaffen, die nicht gut riecht, und mit ihr ein raumgreifendes Erzählnetz weitergesponnen: Von der schäbigen Küche über das Bauerwartungsland und die schwarzhaarige Schlampe im zweiten Stock zum Hamburger Stadtteil Winterhude, wo der Autor in der Küche seine eBooks schreibt und sich selber auf Facebook erfindet. Und alle anderen auch, zeitgleich. Wir passen alle rein.
Wer überredet ihn, das zu vertonen? Vielleicht als „Lesung mit gewöhnlichen Geräuschen"?
Schön wäre es allerdings, wenn der Autor seinem Darsteller nicht ständig übers Leben fahren würde, sondern ihm öfter die Gelegenheit ließe, eine neue Welt auszuwickeln.
„Manchmal weiß ich schon vorher, wie's ausgehen wird", gibt Urbanski zu; vielleicht kann er in einem seiner nächsten Projekte (2016 sind einige geplant, in den vergangenen Jahren bereits diverse erschienen) auch mal ein Auge zudrücken. Muss ja nicht gleich wie Zwinkern aussehen.
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